HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2016
17. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Das BVerfG und der Europäische Haftbefehl – ein Gericht auf Identitätssuche

Von Prof. Dr. Frank Meyer, Zürich

I. Einleitung

Der EuHb-II-Beschluss des BVerfG hat berechtigte Aussichten darauf, zu einer der meist diskutierten Entscheidungen der letzten Jahre zu werden.[1] Er hat weitreichende Folgen für das Gefüge des europäischen Grundrechtsschutzes und die Praxis des Auslieferungsrechts. Dabei hätte es nie zu dieser Entscheidung kommen dürfen, lag ihr doch ein eigentlich simpler Sachverhalt zugrunde.[2] Eine italienische Staatsanwaltschaft hatte einen Europäischen Haftbefehl gegen einen in Deutschland aufhältigen US-Bürger zur Vollstreckung eines (zwölf Jahre zuvor!) in Abwesenheit ergangenen (und nicht zugestellten) Urteils ausgestellt und Deutschland um Vollstreckung ersucht. Diesem Ansinnen wurde von Seiten des Rechtsbeistands substantiiert entgegengebracht, dass nicht gewährleistet sei, dass dem Gesuchten in Italien die menschenrechtlich gebotene Wiederaufnahme seines Verfahrens[3] gegen das Abwesenheitsurteil in effektiver Weise eingeräumt würde. Insbesondere war nicht sichergestellt, dass es zu einer vollwertigen neuen Beweisaufnahme kommen würde. Die italienischen Behörden hatten es bei vagen Erklärungen bewenden lassen und in wenig vertrauenerweckender Form keine eindeutige Garantie dafür ausgesprochen, dass die konkret betroffenen unions- und konventionsrechtlich gewährten Verfahrensrechte eingehalten werden. Damit hätte eigentlich § 83 Nr. 3 IRG a. F. einer Überstellung entgegengestanden. Doch das zuständige OLG Düsseldorf versuchte sich lieber selbst an einer Analyse der italienischen Rechtslage und kam zu dem Schluss, dass man zumindest nicht ausschließen könne (!), dass der Fall nach Überstellung von einem Gericht behandelt wird, das zur Überprüfung des Urteils in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht befugt und auch zur Erhebung neuer Beweise berechtigt wäre, obwohl dies bei italienischen Berufungsgerichten in der Regel gerade nicht der Fall ist. Dieses haarsträubende Vorgehen blieb nur deshalb ohne gravierende Folgen für den US-Bürger, weil die Überstellung vom BVerfG per einstweilige Anordnung gestoppt wurde. In der Hauptsache entschied das BVerfG dann wenig überraschend, dass das OLG Düsseldorf die Grundrechte der gesuchten Person verletzt hatte, weil es die Überstellung trotz der ernstzunehmenden Gefahr einer schweren Grundrechtsverletzung im Ausstellungsstaat für zulässig erklärt hatte.

Das BVerfG traf damit sachlich die einzig richtige, weil grundrechtsschützende Entscheidung und stopfte zugleich eine empfindliche Lücke im Rechtsschutzsystem des Auslieferungsrechts, die der Fall offengelegt hatte: Gegen Entscheidungen der OLG-Rechtshilfesenate, die Unionsrechte verletzen, besteht weder ein ordentliches nationales Rechtsmittel noch eine europäische Grundrechtsbeschwerde. Der Weg zum EGMR ist subsidiär, sodass das BVerfG gefordert war. Ungläubiges Erstaunen und mittlerweile massive Kritik[4] haben jedoch der Weg, den das BVerfG einschlägt, um seine Kompetenz zur Prüfung der Implementierung von Unionsrecht anhand des Grundgesetzes zu begründen, und dessen Implikationen hervorgerufen. Denn das BVerfG aktivierte erstmals den in der Lissabon-Entscheidung aus der Taufe gehobenen Identitätsvorbehalt; ohne dass es auf diesen für die Lösung des Falles angekommen wäre bzw. dessen Anwendungsvoraussetzungen überhaupt vorgelegen hätten. Ein aktueller Beschluss des BVerfG im einstweiligen Rechtsschutz gegen eine Überstellung an das Vereinigte Königreich unterstreicht jedoch,[5] dass es sich nicht um einen Sturm im Wasserglas handelt, sondern um eine fundamentale tektonische Verschiebung mit weitreichenden Konsequenzen, deren genaue Umrisse sich noch nicht genau absehen lassen, die aber die Funktionsfähigkeit des europäischen Rechtshilfesystems erschüttern könnten.

Der Beitrag wird sich nach einem Kurzabriss der Entscheidung daher schwerpunktmäßig der materiellen Herleitung der Prüfungskompetenz durch das BVerfG widmen und deren europarechtlichen und rechtshilfe-

rechtlichen Auswirkungen nachgehen. Vor diesem Hintergrund wird auch zu diskutieren sein, wie das BVerfG den Geist, den es gerufen hat, wieder in die Flasche bekommt. Denn unmoderiert ist die derzeitige Position nicht haltbar. Diverse Abschwächungsmechanismen werden dazu aufgezeigt. In der Hauptsacheentscheidung zu der zuvor erwähnten Verfassungsbeschwerde gegen die Für-zulässig-Erklärung einer Überstellung an das Vereinigte Königreich wird das BVerfG bald Gelegenheit haben, offenzulegen, wie es künftig mit den Folgen seiner Identitätsrechtsprechung umzugehen gedenkt. Dieser Fall ist auch deswegen von großer Bedeutung, weil mit der möglichen Verwertung des Schweigens des Angeklagten ein Aspekt im Zentrum steht, der weder im Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl noch in der Rechtsprechung des EGMR als Ablehnungsgrund anerkannt ist.

II. Der EuHb-II-Beschluss in Kürze

Mit Blick auf die etablierten auslieferungsrechtlichen Standards hätte man mit einer nüchternen Feststellung rechnen dürfen, dass der Grundsatz des fairen Verfahrens bei der Anwendung einfachen nationalen Rechts (hier: des IRG) verletzt worden ist, weil der gesuchten Person in Italien ein "flagrant denial of justice" gedroht hätte: ein vom EGMR anerkanntes Auslieferungshindernis, das in RB-EuHb und IRG ausdrücklich Erwähnung findet.[6] Freilich hat weder die EMRK Verfassungsrang, noch dient das BVerfG als Beschwerdeinstanz für fehlerhafte Beschlüsse von Oberlandesgerichten in Rechtshilfesachen. Das BVerfG musste daher einen unmittelbaren Grundgesetzbezug herstellen, um seine Gerichtsbarkeit zu begründen. Das war eigentlich auch nicht sonderlich schwer, denn das Grundgesetz enthält mit der Garantie des fairen Verfahrens aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG eine parallele Gewährleistung.[7]

Im Kontext des Unionsrechts ist dieser Schritt zwar generell durch dessen allgemeinen Vorranganspruch erschwert, weil dieser auch gegenüber der Verfassung greift. Jedoch ist nach EU-Recht von einer (jurisdiktionseröffnenden) parallelen Anwendbarkeit von Unionsgrundrechten und nationalen Grundrechten auszugehen, soweit dadurch nicht Vorrang und Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt werden.[8] Eine solche Kollision war weit und breit nicht in Sicht. Das BVerfG kommt in seiner Begründung selbst zu dem Ergebnis, dass ein Gleichklang zwischen den Anforderungen von Grundgesetz und Grundrechtecharta besteht.[9] Das BVerfG hätte daher ohne viel Aufhebens eine "normale" Grundrechtsprüfung durchführen können. Doch diesen naheliegenden Weg geht das BVerfG nicht, sondern stützt sich (in letztlich nicht mehr vertretbarer Weise) auf den sog. Identitätsvorbehalt. Es präsentiert seine Prüfungskompetenz als prioritäre Pflicht zum Schutz der Verfassungsidentität und damit als Grenze des Anwendungsvorrangs.[10]

Neben dem Ultra-vires-Vorbehalt [11] ist der Identitätsvorbehalt der zweite Sicherheitsmechanismus, den das BVerfG ersonnen hat, um die fundamentalen, von der Ewigkeitsgarantie umfassten Rechtsgrundsätze des Grundgesetzes ( gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 und Art. 1 Abs. 1 GG) gegen Übergriffe des Unionsgesetzgebers zu armieren.[12] Ihr Eingreifen setzt voraus, dass die Anwendung der rechtlichen Vorgaben des Unionsrechts sich nicht mehr mit den Schutzgehalten der Ewigkeitsgarantie in Einklang bringen lässt.[13] In diesem Fall sieht sich das BVerfG nicht mehr an den grundsätzlich akzeptierten Vorrang des Unionsrechts gebunden. Um im vorliegenden Fall zu ihrer Anwendung zu gelangen, musste zum einen ausgeblendet werden, dass eine Kollisionslage gar nicht existierte. Zum anderen musste auch der Fairnessverstoß des OLG neu verpackt werden. Hierbei kam dem BVerfG seine eigene Rechtsprechung zum Schuldgrundsatz gut zupass.[14] Zum einen verortet das BVerfG das personelle Schuldprinzip (auch) in der Menschenwürde,[15] und zum anderen schreibt es ihm in Bezug auf Wahrheitsbegriff und Wahrheitserforschung im Strafverfahren fortlaufend neue Gehalte zu.[16] Prima vista werden dadurch (auch allenfalls lose) schuldbasierte Erfordernisse der Beweiserhebung und Prozessführung zu Bestandteilen der Menschenwürdegarantie und damit zum integrationsfesten Identitätskern der deutschen Verfassung. Vermittelt über den Schuldgrundsatz gelangt das BVerfG im vorliegenden Fall daher zu einem Verstoß gegen Art. 1 GG,[17] weil das OLG die gesuchte Person der Gefahr einer Bestrafung ausgesetzt hätte, ohne dass deren Schuld zuvor in menschenwürdekonformer Weise festgestellt worden wäre. Denn nach deutschem Rechtsverständnis wäre eine umfassende und effektive Überprüfung des Urteils zur Ermittlung der materiellen Wahrheit (als Grundvoraussetzung für eine auf individueller Schuld beruhende Verur-

teilung) durch ein Gericht mit voller Kognition erforderlich gewesen.

Da dieser Verstoß sich im Ausland ereignet und primär in der Verantwortung ausländischer Justizorgane gelegen hätte, bedurfte es aber noch eines weiteren Begründungsschritts. Das BVerfG bedient sich hierbei des auch aus der Praxis des EGMR zu Art. 1 EMRK bekannten "Handreichungsgedankens".[18] Deutsche Amtsträger dürften keinen fremdstaatlichen Verhaltensweisen im Ausland Vorschub leisten, die ihrer Qualität nach Art. 1 GG verletzten. Auf diesem Weg kommt das BVerfG zu dem in der Sache einzig richtigen Ergebnis, demzufolge das OLG sich sorgfältig hätte vergewissern müssen, dass der gesuchten Person wirklich eine erneute und effektive Überprüfung der Vorwürfe gewährt würde, bevor es eine Überstellung zur Vollstreckung eines Abwesenheitsurteils für zulässig erklärt.[19] Und genau dies hatte das OLG Düsseldorf sträflich vernachlässigt.

Dass das Ergebnis in der Sache richtig und begrüßenswert ist,[20] vermag indessen nichts daran zu ändern, dass vorliegend keine Kollision mit dem Unionsrecht vorlag und somit auch kein Anwendungswendungsfall für den Identitätsvorbehalt.[21] Die sekundärrechtlichen Unionsvorgaben und deren nationale Implementierung boten keinen Anlass, an ihrer Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zu zweifeln. [22] Vielmehr hatte ein deutsches Gericht sowohl deutsches als auch EU-Recht verletzt.

Und dennoch macht sich das BVerfG dazu auf, sein Verhältnis zum EuGH im Bereich des Grundrechtsschutzes neu auszutarieren. Der EuHb-II-Beschluss wirft damit vor allem ein Schlaglicht auf die Suche des BVerfG nach einer passenden Rolle im Gefüge des europäischen Grundrechtsschutzverbundes. Das BVerfG nimmt sich des Falles anfänglich als Superrevisionsinstanz in Rechtshilfesachen und Ad-hoc-Menschenrechtsgerichtshof an, mutiert dann zum verfassungspolitischen Akteur[23] und krönt sich schließlich selbst zum (unbedingten, d.h. unionsrechtlich nicht gebundenen und vorrangigen) Letztentscheider und Treuhänder in Sachen höchster nationaler, identitätsprägender Verfassungsgarantien. "Solange II" hat hier ausgedient; es gilt "Für immer I".[24] Dieser Schritt hat freilich nicht nur erhebliche Auswirkungen für das Europarecht, sondern auch für das Rechtshilferecht.

III. Europarechtliche Implikationen

EuGH und BVerfG sind sich von jeher uneins über die Begründung des unionsrechtlichen Vorrangs. [25] Mit dem EuHb-II-Beschluss durchbricht das BVerfG diese Hierarchisierung grundsätzlich und negiert im von ihm aufgezeigten Umfang jedweden Vorranganspruch. Das BVerfG will seine Rolle im Kernbereich des Grundrechtsschutzes dezentral und autonom selbst definieren. Es stellt sich neben den EuGH. Das Gericht lehnt es damit ab, die Stellung im Prüfungsgefüge des europäischen Grundrechtsschutzes einzunehmen, die ihm die Rechtsprechung des EuGH zwangslos eröffnet hätte. Zudem stellt sich das Gericht außerhalb der unionsrechtlichen vorgesehenen Strukturen zum Schutz nationaler Identität und Diversität und beansprucht ein autarkes Selbstdefinitionsrecht, wo das Primärrecht wechselseitige Moderation und supranationale Einbettung vorsieht.

1. Zum Verhältnis von nationalen und europäischen Grundrechten

Sind die Anwendungsvoraussetzungen von Art. 51 GRC wie vorliegend eindeutig erfüllt, gelangt die GRC zur Anwendung und beansprucht infolge der Notwendigkeit einer einheitlichen Rechtsanwendung als verbindlicher Grundrechtskatalog auch Vorrang gegenüber nationalen Grundrechten. Wie der EuGH in der Rs. Åkerberg Fransson ausgeführt hat, bleiben nationale Grundrechte parallel anwendbar und können sogar weitergehenden Schutz gewähren, "sofern durch diese Anwendung weder das Schutzniveau der Charta, wie sie vom Gerichtshof ausgelegt wird, noch der Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt werden."[26] Auch dies wäre vorliegend eindeutig der Fall gewesen. Das Unionsrecht ermöglichte eine Prüfung des Falles anhand der Grundrechte (für eine unmittelbare Prüfung anhand der GRC fehlt dem BVerfG das Mandat), was zu einem hervorragenden Beispiel für mehrschichtigen, dezentralen Grundrechtsschutz in der EU hätte werden können und auch die Fortentwicklung der GRC-Standards befruchtet hätte. Diesem gemeinsamen Weg erteilt das BVerfG aber eine Absage. Das Bundesverfassungsgericht ist der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 51 GRC bereits unter dem Blickwinkel der Ultra-vires-Grenze von vorn-

herein kritisch begegnet,[27] nicht zuletzt weil man die eigene ausdifferenzierte Grundrechtsordnung einem unitarisierenden Expansionsstreben der Unionsgrundrechte ausgesetzt sah. Im EuHb-II-Beschluss macht das BVerfG gar keine Anstalten mehr, seine Prüfungskompetenz in diesem Kontext zu begründen (oder zumindest mit der sog. Trennungsthese zu einer Anwendbarkeit des Grundgesetzes zu gelangen). Hierzu mag das BVerfG die mit Blick auf die Melloni-Entscheidung nicht ganz unberechtigte Sorge bewogen haben, die Kontrolle über die Anwendbarkeit der nationalen Grundrechte aus der Hand zu geben, falls man sich auf den Begründungsstrang über die Åkerberg-Parallelität einließe. Die parallele Anwendbarkeit endet aus Sicht des EuGH nämlich, sobald die Anwendung nationalen Verfassungsrechts das Schutzniveau der Charta, wie sie vom Gerichtshof ausgelegt wird, oder Vorrang, Einheit und Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigen würde.[28] Das BVerfG mag daher befürchtet haben, den Selbststand und die Endgültigkeit seiner Entscheidungen gegenüber konkurrierenden Bewertungen europäischer Gerichte nicht hinreichend absichern zu können.

Die Plausibilität dieser Sorge ist nicht von der Hand zu weisen, hat aber im konkreten Fall keine Berechtigung und führt über den konkreten Fall hinaus dazu, dass einem Grundrechts- und Prüfungspartikularismus Vorschub geleistet wird, statt einen konstruktiven Beitrag zur Fortentwicklung eines integrierten europäischen Prüfungsverbundes und gemeinsamer europäischer Grundrechtsstandards zu leisten. Gerade für das Recht der strafrechtlichen Zusammenarbeit ist das bedauerlich, weil es trotz nicht zu bestreitender Bemühungen auf Unionsebene weiterhin viele offene Fragen gibt (z.B. bei den ungeschriebenen Grundrechtsvorbehalten oder der Präzisierung der jeweiligen Prüfungs- und Kontrollpflichten von ausstellendem und vollstreckendem Staat im Rahmen des Trennungsprinzips), die auf gemeinsame, anschlussfähige Lösungen warten.

2. Art. 4 Abs. 2 EUV

Aus strafrechtlicher Sicht nur ein Nebenschauplatz (und daher auch nur kurz zu streifen) ist die Behandlung der Diversitätsklausel in Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUV. Danach achtet die Union "die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen und ihre jeweilige nationale Identität, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der regionalen und lokalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt." Das BVerfG deutet diese Passage knapp als Autorisierung des eigenen Vorgehens.[29] Dieses Verständnis lässt sich nur schwer mit der vorherrschenden Interpretation der Norm vereinbaren. Soweit man konsequent der Begründungslinie folgen will, dass sich die Anwendbarkeit der nationalen Grundrechte aus dem Identitätsvorbehalt ergibt, wäre deshalb eigentlich eine Vorlage zum EuGH notwendig gewesen. Das BVerfG geht diesen Schritt nicht, wohl ahnend, dass die nationale Identität unter Art. 4 Abs. 2 S. 1 weder absoluten Schutz genießt noch der autonomen Definition der Mitgliedsstaaten überlassen ist.[30] Auch in dieser Hinsicht scheut das BVerfG davor zurück, seine Prüfungskompetenz in den supranationalen Rahmen des EUV einzubetten.[31] Eine Norm, die zentripetale Kräfte freisetzen sollte, wird dadurch in einen Verstärker zentrifugaler Kräfte umgedeutet. Auch dies kann einem integrierten, gemeinsamen Grundrechtsschutz nicht zuträglich sein und fördert auch nicht die wichtige Diskussion darüber, wie der Begriff der nationalen Identität in Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUV zu verstehen und in Konkordanz mit anderen Unionsprinzipien und dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zu bringen ist.

IV. Implikationen für die Rechtshilfe in Strafsachen

Der Begründungsweg, den das BVerfG gewählt hat, wirft lange Schatten auf die zukünftige Praxis der strafrechtlichen Zusammenarbeit voraus. Die Ausführungen betreffen nicht nur die Zulässigkeitsprüfung von Überstellungsersuchen, sondern berühren auch die Vollstreckungshilfe und kleine Rechtshilfe.[32] Im Zulässigkeitsverfahren muss sich die Prüfung durch das OLG nach den Vorgaben des BVerfG wohl deutlich ändern.[33] Durchzuführen ist nicht mehr nur das Standardprüfungsprogramm[34] aus implementiertem EU-Sekundärrecht und fest etablierten EMRK-Fallgruppen, die über die Kohärenzklausel des Art. 52 Abs. 3 S. 1 GRC materiell der GRC inkorporiert wurden[35] und zuletzt zumindest partiell auch vom EuGH anerkannt worden sind.[36] Verfahrensmängel, die bei der Strafverfolgung nach Überstellung zu befürchten sind oder bereits vor einer Verurteilung im Ausland stattgefunden haben, werden einer stärkeren Kontrolle zu unterwerfen sein,[37] und zwar nicht anhand der Maßstäbe von EMRK und GRC, sondern anhand der Vorstellungen des BVerfG zu einem menschenwürde- und schuldgerechten Strafverfahren. Das BVerfG stellt damit die gewachsenen Strukturen des Auslieferungsrechts insgesamt in Frage und muss sich mehr als je zuvor die Frage gefallen lassen, wie es seine Verfassungsidentitätsrechtsprechung in geordnete und berechenbare Bahnen lenken will.

1. Prüfungsumfang im Zulässigkeitsverfahren

Das BVerfG leitet aus Art. 1 Abs. 1 eine Prüfungspflicht her, wonach das über die Auslieferung entscheidende Gericht insbesondere aufklären muss, welche prozessuale Behandlung der Verfolgte im ersuchenden Staat zu erwarten hat.[38] Dem Umfang nach gilt diese Pflicht für alle nach Art. 1 Abs. 1 GG gebotenen Mindeststandards. Das verfassungsrechtlich geforderte Ausmaß der Ermittlungen macht das BVerfG vom Einzelfall abhängig; v.a. davon, ob und wie konkret eine Verletzung von identitätsgeschützten verfassungsrechtlichen Grundsätzen vom Verfolgten behauptet worden ist. Grundsätzlich soll sich das OLG erst nach einer substantiierten Rüge an deren Aufklärung machen müssen. Ein generelles Erfordernis zu einer umfassenden Prüfung von Amts wegen will das BVerfG nicht einführen.[39] Es verweist insofern auf den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, der es rechtfertige, von einer konkreten Nachprüfung abzusehen, solange dieses Vertrauen nicht durch hinreichende (von einem Rechtsbeistand vorgetragene oder anderweitig bekannte) gegenläufige Tatsachen erschüttert wurde.[40] Das BVerfG bürdet dem Verfolgten die Last auf, hinreichende Anhaltspunkte für Ermittlungen darzulegen,[41] wobei klärungsbedürftig bleibt, was das genau heißt.

So verlangt beispielsweise der EuGH in der Rechtssache "Aranyosi" als Voraussetzung für die Nichtvollstreckung eines EuHb Belege dafür, dass der Verfolgte auch individuell von den allgemein bekannten desolaten Haftstandards betroffen würde.[42] Diesen Nachweis wird auch ein hochmotivierter und ressourcenreicher Rechtsbeistand kaum zu leisten vermögen. Hier ist der Staat gefragt. Ferner werden Oberlandesgerichte und Generalstaatsanwaltschaften bestimmte aus ihrer Praxis bekannte, nunmehr womöglich menschenwürderelevante Defizite in einzelnen Staaten nicht ausblenden dürfen, nur weil diese einem (evtl. rechtlich gar nicht vertretenen) Verfolgten nicht bekannt waren. Im entschiedenen Fall hatte der Beistand des Verfolgten die italienische Rechtslage in das Verfahren eingeführt und das OLG auf die Schwierigkeiten aufmerksam gemacht. Ähnlich verhielt es sich beim noch laufenden Verfassungsbeschwerdeverfahren "2 BvR 890/16". Dort hatte der Beistand des Verfolgten herausgearbeitet, dass aufgrund einer besonderen Regelung des englischen Prozessrechts zur Bewertung von Schweigen eine Verletzung der ebenfalls teilweise in der Menschenwürde verankerten Selbstbelastungsfreiheit drohen könnte.[43]

Insgesamt dürfte die neue Prüfungspflicht aber für eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit in der Anwendungspraxis sorgen; das BVerfG wird hier wohl nachsteuern müssen. Dabei sollte freilich überdacht werden, ob die Begründung, welche das BVerfG für das Regel-Ausnahme-Verhältnis bei der Prüfungspflicht liefert, wirklich überzeugt. Zur Limitierung dieser Pflicht zieht das Gericht den Gedanken des gegenseitigen Vertrauens heran. Als Rechtfertigung für die Absenkung der Kontrolldichte ergibt das Sinn, solange sich das Vertrauen auf einen festen Bestand geteilter Prinzipien und Rechte bezieht. Dies ist beim hier interessierenden Identitätsvorbehalt aber gerade nicht der Fall, denn es geht um die Einhaltung von Anforderungen an den Schutz der Menschenwürde nach spezifisch deutscher Lesart, die dezidiert aus Sicht des deutschen Grundgesetzes unverzichtbar sind. Und überhaupt kommt der Identitätsvorbehalt nach seinen Voraussetzungen nur dann zur Anwendung, wenn das gemeinsame europäische Recht im Widerspruch zu den Anforderungen des Grundgesetzes steht und damit das Vertrauen eigentlich immer schon erschüttert ist. Wenn es das BVerfG mit dem Identitätsvorbehalt also ernst meint, müssten die Prüfungspflichten von Oberlandesgerichten, aber auch von Generalstaatsanwaltschaften viel weiter reichen und näher an eine umfassende positive Prüfungspflicht von Amts wegen heranrücken.

Der Umfang der Prüfung muss in Umsetzung der "Handreichungsdoktrin" konsequenterweise auf die Feststellung der Totalkompatibilität des ausländischen Verfahrens mit dem schuldgetragenen deutschen Verfahrensverständnis ausgelegt sein. Besonders aufmerksam ist insofern der parallele Trend in der Rechtsprechung des BVerfG zur Kenntnis zu nehmen, dass immer mehr Aspekte des inländischen Strafverfahrensrechts mit zwingenden Geboten des Schuldgrundsatzes in Verbindung gesetzt werden. Wie die weitschweifigen Ausführungen des BVerfG andeuten, drohen diese nun über die "Handreichungsdoktrin" undifferenziert in das Rechthilferecht eingespiegelt zu werden. Allerdings sind Identitätsverletzungen nicht nur bei Nichteinhaltung des Schuldprinzips denkbar. Momentan kann zwar nur spekuliert werden, welche Fälle künftig auch noch vom Menschenwürdevorbehalt erfasst sein könnten. Aber wenn man das BVerfG beim Wort nimmt, dann müsste auch der Schutz des Menschenwürdekerns der Freiheitsrechte einbezogen sein. Allerdings ist auch das Ausfransungs- bzw. Missbrauchspotenzial in Bezug auf Art. 1 Abs. 1 GG, das die Verfassungsidentitätsrechtsprechung insoweit birgt, evident.[44] Die Unbestimmtheit des Begriffs der Menschenwürde ermöglicht dem BVerfG ein Einschreiten, wann immer es mit der unionsrechtlichen Situation unzufrieden ist.[45]

Um einen kleinen Vorgeschmack darauf zu geben, welche Konsequenzen eine Fortführung der bisherigen Linie für die Rechtshilfepraxis haben könnte, soll im Folgenden ihre potenzielle praktische Tragweite für Auslieferung, Vollstreckungshilfe und Rechtshilfe umrissen werden.

2. Potenzielle praktische Reichweite

Bei der Auslieferung zur Strafverfolgung ist ein Eingreifen des Identitätsvorbehalts in verschiedenen Konstellationen denkbar. Unproblematisch ist die Erfassung der schon bisher international anerkannten Auslieferungshindernisse infolge defizitärer Wiederaufnahmemöglichkeiten bei Abwesenheitsurteilen, menschenunwürdiger (Untersuchungs‑)Haftbedingungen, der hochwahrscheinlichen Verhängung unverhältnismäßiger bzw. menschenunwürdiger Strafe oder massiver Verfahrensfehler, welche die Fairness des Verfahrens insgesamt zu erodieren drohen (flagrant denial of justice). Künftig wird jedoch zusätzlich jeder Verfahrensfehler, für den sich in der Rechtsprechung des BVerfG ein Schuld- bzw. Menschenwürdebezug findet, zu einer Gefahr für die Verfassungsidentität stilisiert werden können. Zeichnet sich die Verurteilung in einem Abspracheverfahren oder auf der Basis von Zurechnungsfiguren ab, die mit dem deutschen Verständnis von materieller Wahrheit unvereinbar sind, dann könnte die deutsche Verfassungsidentität auf dem Spiel stehen und eine Überstellung unmöglich machen. Letztlich kann die Verfassungsidentität bei jeder Inkompatibilität der Beweisverfahren und jedem Vorliegen unterschiedlicher Ansätze bei der Wahrheitsermittlung und Verfahrenslegitimation betroffen sein, wenn die in Rede stehende Regelung aus deutscher Sicht in der Menschenwürde verankert ist. Welche Blüten das treibt, ist im aktuellen Verfassungsbeschwerdeverfahren zu besichtigen. In der Sache geht es dort um die Vereinbarkeit der Verwertung des Schweigens des Angeklagten zur Abrundung des Beweisergebnisses mit der Selbstbelastungsfreiheit . Der EGMR hat mehrfach, zuletzt 2015,[46] befunden, dass eine derartige Möglichkeit nicht den Mindestgewährleistungsgehalt von Art. 6 EMRK verletzt. Das kann man mit guten Gründen anders sehen. Aus deutscher Sicht wird daraus aber ein Menschenwürdeverstoß, weil die Selbstbelastungsfreiheit (auch in Bezug auf diesen Aspekt der Beweiswürdigung von Schweigen?) teilweise auch in der Menschenwürde verankert wird. Gekonnt wird daher vom Rechtsbeistand vorgetragen, die "Pflicht des Gerichts, das Schweigen des Angeklagten im Rahmen der Beweiswürdigung außer Acht zu lassen, gehöre zur Verfassungsidentität der Bundesrepublik Deutschland." Das zeigt nicht nur, dass man in der Anwaltschaft bereits verstanden hat, welche Schätze die neue Linie des BVerfG für die Verteidigung von Verfolgten birgt, sondern auch, dass angesichts des inflationären Gebrauchs von Menschenwürdeallusionen in der Rechtsprechung des BVerfG eine Vielzahl von einfachen Verfahrensverletzungen künstlich zu Verstößen gegen die Verfassungsidentität aufgebauscht zu werden drohen, um so der Verpflichtung zur strafrechtlichen Zusammenarbeit zu entkommen. Aber auch jenseits von Fairness- und Schuldgrundsatz wäre noch einiges zu holen. Verletzt es nicht auch die Verfassungsidentität, einen Verfolgten in ein Land auszuliefern, in dem (wie z.B. in der Schweiz) beschlagnahmte Tagebuchaufzeichnungen verwertbar wären? In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass diese Erweiterungen auch für Nichtmitglieder gelten müssten, solange es keinen Menschenwürdeschutz erster und zweiter Klasse geben soll. Wenn das BVerfG formuliert, dass die Verfassungsidentitätsrechtsprechung jedenfalls in Bezug auf Auslieferungen auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls gelten soll, lässt sich als Argument für eine entsprechende Beschränkung nur anführen, dass aus Sicht des BVerfG eine Gefährdung der Verfassungsidentität nur von Seiten der EU droht. Dennoch geht es trotz der evidenten verfassungspolitischen Motivation des BVerfG im Kern um Verstöße gegen von Art. 1 GG verbürgte Gewährleistungen, die, wenn es das BVerfG materiell ernst meint, auch gegenüber Drittstaaten gewahrt sein müssen.

Im Kontext der Auslieferung zur Strafvollstreckung haben diese Erwägungen mutatis mutandis ebenfalls Gültigkeit. Eine Überstellung zur Vollstreckung von Urteilen, die auf Formen von plea bargaining beruhen, die sich nicht mit der Linie des BVerfG vertragen, wäre wohl nicht mehr möglich. Gleiches gälte für Verurteilungen, die sich auf beweisrechtliche Regelungen, Haftungsformen (z.B. strict liability) oder funktionalistische Zurechnungsfiguren gründen, welche mit dem normativen Schuldverständnis des BVerfG nicht in Einklang stehen. Diese Gedanken lassen sich nahtlos auf die Vollstreckungshilfe übertragen.[47] Auch hier stünde in dem beschriebenen Umfang die Zulässigkeit einer Zusammenarbeit in Frage. Wäre es also wegen Gefährdung der Verfassungsidentität erforderlich, einem Bundesbürger eine Überstellung zum Zwecke der Vollstreckung eines ausländischen Strafurteils in seine Heimat zu verwehren, wenn dieses auf verfassungsrechtlich unzulässigen Zurechnungs- und Verständigungsformen oder Beweiskonzeptionen beruht?

Noch offen ist, ob die Verfassungsidentitätsrechtsprechung auch auf die kleine Rechtshilfe erstreckt werden soll. Nach deren konzeptuellem Ausgangspunkt spricht wenig dagegen. Verletzt die Umsetzung eines Sekundärrechtsakts der kleinen Rechtshilfe oder deren konkrete Anwendung geschützte Rechtsgehalte, müsste der Vorbehalt auch hier greifen. Schwierigkeiten kann allenfalls bereiten, in welchen Fällen diese Sperre aktiv werden soll. Genügt schon die abstrakte Möglichkeit einer menschenwürdewidrigen Vorgehensweise im ersuchenden Staat oder bedarf es eines besonderen Kausalitätserfordernisses? Darf man die Handreichungsdogmatik hier überhaupt in vergleichbarer Strenge wie im Auslieferungsrecht anwenden? Sobald die Europäische Ermittlungsanordnung wirksam umgesetzt ist, werden sich Rechtsbeistände gewiss mit professionellem Vergnügen daran machen, die Grenzen auszuloten.

Den Oberlandesgerichten und Generalstaatsanwaltschaften beschert diese Entwicklung nicht nur einen stark erhöhten Arbeitsaufwand, sondern auch erhebliche Rechtsanwendungsunsicherheiten. Vor allem die Oberlandesgerichte geraten in eine unkomfortable Lage.[48]

3. Die künftige Rolle der OLG

"Zwischen Skylla und Charybdis sein" gehört vermutlich zu den meiststrapazierten Metaphern in der Rechtswissenschaft. Aus Sicht der Rechtshilfesenate muss die dadurch umschriebene Situation aber im Spannungsfeld von unionsrechtlicher Vorlagepflicht und Identitätsvorbehalt furchteinflößend real erscheinen. Einerseits trifft sie eine neue Identitätsverletzungsprüfungspflicht unklaren Umfangs, bei deren nicht ordnungsgemäßer Erfüllung ein scharfer Tadel des BVerfG wegen einer Menschenwürdeverletzung in Aussicht steht. Das OLG ist zwar schon heute selbstverständlich zur Anwendung und Auslegung des Grundgesetzes verpflichtet, doch könnten viele Grundrechtsfragen durch die Identitätsrechtsprechung eine neue Einkleidung bekommen haben. Das Gericht wird sich nunmehr stets fragen müssen, wie es um das "Hochzonungspotenzial" der behandelten Rechtsfragen bestellt ist. Die Klärung der Identitätsrelevanz kann das OLG auch nicht einfach delegieren, da keine Vorlagemöglichkeit zum BVerfG besteht. Die Oberlandesgerichte müssten also die korrekte Anwendung von Art. 1 GG antizipieren.

Andererseits könnte die Prüfung anhand des Grundgesetzes unionsrechtlich wegen des Vorrangs des Unionsrechts versperrt sein. Der Identitätsvorbehalt befreite das OLG aus Sicht des BVerfG vom Vorranganspruch des Unionsrechts, doch dürfte dieser Vorbehalt wiederum nur durch das BVerfG und nicht durch die Fachgerichte ausgelöst werden. Zur Erleichterung der Entscheidungssituation trägt nicht bei, dass wegen der Unklarheiten über die Anwendungsreichweite der GRC, insb. im Bereich des Rechtshilferechts, häufig nicht leicht feststellbar ist, ob überhaupt vorrangige Unionsgrundsätze gelten. Diesbezüglich gilt aber, dass neben dem einfachrechtlichen Prüfungsprogramm (erst recht nach der Öffnung des EuGH gegenüber ungeschriebenen Versagungsgründen) das Vorliegen weiterer ungeschriebener Versagungsgründe aus der GRC im Zulässigkeitsverfahren zu reflektieren und ggf. die Meinung des EuGH einzuholen ist. So hat es das OLG Bremen in der Rechtssache "Aranyosi" vorbildlich vorgemacht, das Kammergericht dagegen beim Schweigerecht vielleicht versäumt.[49] Denn es stellte sich dort durchaus die Frage, ob nicht der EuGH dazu hätte befragt werden müssen, ob bestimmte Formen der Verwertung von Schweigen mit der GRC vereinbar sind und ggf. auch einer Überstellung entgegenstehen könnten. So trifft nämlich die neue Richtlinie über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren in Art. 7 Abs. 5 eine Regelung, die sich als Einschränkung der bisherigen europäischen Zulässigkeitsgrenzen verstehen lassen und insofern auch die Auslegung der korrespondierenden Gewährleistung in der GRC beeinflussen könnte. Eindeutig ist das zwar nicht,[50] hätte insofern aber eben eine Vorlage zur Beseitigung der Unsicherheiten nahegelegt.[51]

In eine echte Zwickmühle zwischen Vorabentscheidung und Identitätskontrolle geraten die Senate dadurch aber nicht. Denn erst wenn eine klärende Entscheidung des EuGH vorliegt, lässt sich sagen, ob ein Fall überhaupt das Potenzial hat, dem Identitätsvorbehalt zu unterfallen. Es ist gewiss unglücklich, wenn Oberlandesgerichte (und Generalstaatsanwaltschaften) andauernd zur Spekulation eingeladen werden, welche weiteren Konstellationen als ungeschriebene GRC-Vorbehalte in Betracht kommen könnten; aber dies ist Teil ihrer Schlüsselfunktion im Überstellungssystem. Sie muss daher auch mit der gebotenen Sensibilität und Wachsamkeit wahrgenommen werden. Es ist in jedem Überstellungsfall zu thematisieren, ob es eine Lücke im IRG bzw. Rb-EuHb gibt, deren Schliessung das Primärrecht, namentlich die GRC, verlangen könnte. Durch die Verfassungsidentitätsrechtsprechung kommt nun jedoch eine zweite Spekulationsebene hinzu, die den Entscheidungsträgern das Leben nicht einfacher macht. Aber auch auf systemischer Ebene zeitigt sie erhebliche Auswirkungen.

4. Auswirkungen auf Grundstrukturen und Effektivität des Auslieferungsrechts

Die Verfassungsidentitätsrechtsprechung schafft einen neuen Fluchtpunkt im Zulässigkeitsverfahren. Sie bewirkt dadurch eine Überlagerung und teilweise Verdrängung des ausdifferenzierten, über Jahrzehnte gewachsenen Auslieferungsrechts. [52] Bislang sind die Rechtsschutzaufgaben zwischen ersuchendem und ersuchtem Staat nach Verantwortungskreisen und Sachnähe aufgeteilt; v.a. drohende Fairnessverstöße sind gerade bei Vertragsstaaten der EMRK im ersuchenden Staat zu behandeln. Das Trennungsprinzip und das Konzept wechselseitigen Vertrauens bedürfen in ihrer überkommenen Form zweifelsohne einer weiteren Konkretisierung und Substantiierung, um einen effektiveren Grundrechtsschutz zu erreichen. Der Ansatz des BVerfG läuft aber letztlich auf eine Verabschiedung vom Trennungsprinzip hinaus. Der Identitätsvorbehalt führt zu einer Konzentration aller vermeintlich menschenwürdebezogenen Fragen im ersuchten Staat. Die Verfassungsbeschwerde droht zum Superzulässigkeitsverfahren zu geraten. Dadurch löst das BVerfG die deutschen Rechtshilfegerichte zugleich sukzessive aus dem gemeinsamen europäischen Rechtsrahmen heraus, der das Fundament des Trennungsprinzips

bildet.[53] Dies impliziert auch die "Handreichungsdoktrin", denn diese ist normtheoretisch nur dann schlüssig, wenn man Autonomie bzw. Höherrangigkeit der eigenen zu wahrenden Rechtsordnung gegenüber dem "Außenrecht" annimmt.

Führt man sich die möglichen praktischen Konsequenzen der Verfassungsidentitätsrechtsprechung vor Augen, darf man zudem mit Kühne kritisch konstatieren, dass der gewünschte Vereinfachungs- und Beschleunigungseffekt, auf den die Reformierung der Zusammenarbeit in der PJZS abzielt, auf der Kippe steht.[54] Die zentralen Bearbeitungsfristen werden zur Makulatur, wenn das BVerfG jede nicht gänzlich abstruse Behauptung einer Identitätsrelevanz dazu nutzt, das Überstellungsverfahren per einstweilige Anordnung anzuhalten.[55] Noch gravierender wären die Folgen ausufernder, europarechtlich nicht mehr anschlussfähiger nationaler Überstellungshindernisse. Sie gefährden die Statik des Gesamtsystems. Es drängt sich zudem in praktischer Hinsicht die Nachfrage auf, was mit den – vielleicht aufgrund prall gefüllter Beweisdossiers – gesuchten Personen geschehen soll, wenn Deutschland nicht mehr überstellen kann. Man wird die Verfolgten wohl kaum in Haft behalten können, bis der ausländische Staat sein Straf- und Strafverfahrensrecht an die Vorstellungen des BVerfG angepasst hat. Eine Übernahme des Strafverfahrens ist ebenfalls mit vielen Hindernissen behaftet und in der Regel auch kaum opportun, wenn das gesamte Tatgeschehen im Ausland spielt. Derartige Hindernisse rechtfertigen es natürlich nicht, elementare Menschenrechte zu ignorieren; die Entscheidungskosten dürfen aber dennoch klar benannt werden und sollten dort, wo zulässiges Bewertungsermessen besteht, auch nicht unbeachtet bleiben.

V. Ausblick

Mit dem EuHb-II-Beschluss des BVerfG hat die "Vermenschenwürdigung" des Verfahrens- und Rechtshilferechts einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Die Gewährleistung effektiven Grundrechtsschutzes durch das BVerfG war im konkreten Fall zwar notwendig und sachlich zweifelsohne richtig. Der Fall zeigt, dass weder EuGH noch EGMR ein Monopol auf Grundrechtsschutz haben, sondern gerade nationale Verfassungsgerichte in einem dezentral angelegten Kontrollsystem eine vitale Rolle spielen. Es hätten aber überzeugendere und konstruktivere Lösungswege offengestanden.[56] Aus verfassungspolitischem Interesse schafft sich das BVerfG unter Verdrängung des EuGH sein eigenes Entscheidungsmonopol. Es entzieht damit Teilbereiche der Rechtshilfe sowohl der Gestaltung durch supranationale Gerichte als auch jener durch nationale und europäische Gesetzgeber.[57] Mehr noch: Es leistet der Verdrängung europäischer Grundrechte Vorschub, anstatt sich in ein Verbundsystem gemeinsamen europäischen Grundrechtsschutzes einzufinden. Die Åkerberg-Rechtsprechung hatte dafür den Boden bereitet. Sie hätte in einem viel umfassenderen und differenzierteren Ausmaß das Einfließen grundrechtlicher Erwägungen erlaubt. Denn während das Konzept der Verfassungsidentität zu einer Engführung auf die Menschenwürde zwingt, ermöglicht die Åkerberg-Parallelität zwangslos die Berücksichtigung grundsätzlich aller relevanten Grundrechte, ohne deren Schutzbereichsgrenzen ausleiern zu müssen. Probleme des fair trial, des Schutzes der Gesundheit oder des Rechts auf Familien- und Privatleben könnten auch als solche differenziert behandelt werden. Durch Rückführung der menschenrechtlichen Diskussion auf das gemeinsame materielle Sachproblem würde auch die Permeabilität zwischen supranationalen und nationalen Normordnungen stimuliert[58] und vorschnellen unitarisierenden Eingriffen des EuGH konstruktiv entgegengewirkt. Stattdessen hätte man in der Quintessenz eine organisch-evolutive Amalgamierung europäischer Grundrechte anschieben können. Diesen Weg wollte das BVerfG aber offenbar nicht einschlagen; über die Gründe darf man spekulieren.[59]

Vor diesem Hintergrund muss man sich umso mehr fragen, wo der permanenten Hochzonung Grenzen zu setzen sind. Im Kern sind die Verstöße, um die es bisher in den Verfassungsbeschwerden ging, typische Verletzungen des fair-trial-Prinzips, bei denen es traditionell nur im höchst seltenen Falle eines flagrant denial of justice zur Versagung der Auslieferung kam. Nunmehr soll in allen diesen Fällen und womöglich selbst dann, wenn sich lediglich D ivergenzen zwischen nationalen Systemen zeigen, die innerhalb der zulässigen Bandbreite von Art. 6 EMRK liegen, die deutsche Verfassungsidentität auf dem Spiel stehen. Ist es aber innerhalb des Europarats wirklich nachvollziehbar, dass eine Verfahrensregelung wie z.B. diejenige zur indiziellen Berücksichtigung des Schweigens eines Angeklagten als konform mit dem europäischen Mindeststandard gilt und andernorts die deutsche Verfassungsidentität untergraben können soll? In der Schweigerechtsentscheidung wird sich zeigen, ob das BVerfG der Inflationierung des Menschenwürdebezugs wirksam entgegentreten will oder ob im strafverfahrens- und rechtshilferechtlichen Missionierungsfuror jede Form von judicial self-restraint verloren gegangen ist.

Sofern man nicht einigen Rechtsgrundsätzen ihre Menschenwürdegrundierung wieder entziehen will, bleiben dem BVerfG drei Auswege. Den ersten deutet das Gericht im EuHb-II-Beschluss selbst an, indem es Verfolgten Substantiierungslasten auferlegt.[60] Ein zweiter Ansatzpunkt wäre die Einhegung der "Handreichungsdoktrin",

da in weit größerem Maße, als es das BVerfG tut, zu begründen wäre, warum die Verfassungsidentität leidet, wenn man ausländische Staaten unterstützt, deren ihrerseits EMRK- und GRC-konforme Verfahrenssysteme nicht in allen Nuancen mit dem expansiven Menschenwürdeverständnis des BVerfG konform gehen. Darauf Bezug nehmend wäre ein dritter Ausweg, den identitären Teil des menschenwürdegetragenen Schuldprinzips zu präzisieren, um Verfahrensstandards, die im Kern der Menschenwürde verwurzelt sind, von jenen zu scheiden, die allenfalls lose Bezüge aufweisen. So muss z.B. in der anhängigen Verfassungsbeschwerde kritisch hinterfragt werden, ob die abstützende Verwertung des Schweigens eines Angeklagten, die zu dessen Lasten andere aussagekräftige Beweismittel und Indizien ergänzt, tatsächlich als eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG bewertet werden kann.[61]

Doch selbst wenn das BVerfG auf die Bremse tritt, bleibt die Verfassungsidentitätsrechtsprechung bereits im Ansatz zu kritisieren.[62] Das BVerfG verabschiedet sich (auf der Grundlage eines verfassungsrechtlich hochumstrittenen Ansatzes) zumindest teilweise von der Idee eines europäischen ordre public zu Gunsten einer maximalen Durchsetzung der eigenen Rechtsposition. Es bereitet einem Grundrechtsinsularismus den Boden, der in bewegten Zeiten hoffentlich keine Schule in Europa macht.


[1] BVerfG, Beschluss v. 15.12.2015, 2 BvR 2735/14, NJW 2016, S. 1149 = HRRS 2016 Nr. 100 .

[2] Für eine genauere Darstellung Kühne StV 2016, 299 ff.; Meyer NJECL 2016, Heft 3.

[3] Der Verurteilte war vor dem Verfahren nicht ordnungsgemäß geladen worden; zum Recht auf eine neue Verhandlung s. Art. 9 i.V.m. Art. 8 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2016/343 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren, ABl. L 65/1; zur Rechtslage nach der EMRK Meyer, in: Karpenstein/Mayer (Hrsg.), EMRK, 2. Aufl. (2015), Art. 6 Rn. 111 ff.

[4] Brodowski JR 2016, II.; Burchardt ZaöRV 76 (2016), 527; Meyer NJECL 2016, Heft 3; Nettesheim JZ 2016, 424; Sachs JuS 2016, 373; Sauer NJW 2016, 1134; Schönberger JZ 2016, 422.

[5] BVerfG, Beschluss v. 6.5.2016, 2 BvR 890/16 = HRRS 2016 Nr. 517.

[6] Art. 4a Rb-EuHb; § 83 Nr. 3 IRG; dazu Meyer, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), Rechtshilferecht in Strafsachen (2015), § 83 Rn. 903 ff.

[7] So auch noch die 3. Kammer des Zweiten Senats im einstweiligen Rechtschutz, BVerfG, Beschluss v. 27. 11. 2014 – 2 BvR 2735/14.

[8] Nach seiner eigenen, mit dem EuGH-Ansatz nicht deckungsgleichen Trennungsthese wäre das BVerfG wohl ebenfalls ohne Schwierigkeiten mit der grundsätzlichen Vorrangstellung zur Anwendbarkeit des Grundgesetzes gelangt; vgl. auch Schönberger JZ 2016, 422, 423.

[9] BVerfG, Beschluss v. 15.12.2015, 2 BvR 2735/14, Rn. 125 = HRRS 2016 Nr. 100.

[10] BVerfG, Beschluss v. 15.12.2015, 2 BvR 2735/14, Rn. 34, 36 = HRRS 2016 Nr. 100.

[11] BVerfG, Beschluss v. 6. Juli 2010, 2 BvR 2661/06, Rn. 55 ff.

[12] BVerfG, Beschluss vom 15.12 2015 – 2 BvR 2735/14 = HRRS 2016 Nr. 100; anknüpfend an BVerfG, Urteil v. 30.06.2009, 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09 (Lissabon-Vertrag), Rn. 240 ff.; kritisch zu dieser Rechtsfigur jüngst Bogdandy/Schill CMLRev 48 (2011), 1417, 1438–1439; Halberstam/Möllers German Law Journal 10 (2009), 1241, 1249 ff., Ingold AöR 140 (2015), 1; Schönberger JöR 63 (2015), 41; Thym CMLRev 46 (2009), 1795.

[13] Vgl. BVerfGE 123, 267, 354; BVerfG, Beschluss v. 15.12.2015, 2 BvR 2735/14, Rn. 43 = HRRS 2016 Nr. 100.

[14] Vgl. BVerfG, Beschluss v. 15.12.2015, 2 BvR 2735/14, Rn. 113, 119, 123 = HRRS 2016 Nr. 100; BVerfG, Urteil v. 30.06.2009, 2 BvE 2/08 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09, Rn. 364.

[15] BVerfG, Beschluss v. 15.12.2015, 2 BvR 2735/14, Rn. 50 ff. = HRRS 2016 Nr. 100

[16] BVerfG, Beschluss v. 15.12.2015, 2 BvR 2735/14, Rn. 57 = HRRS 2016 Nr. 100; krit. dazu Brodowski JR 2016, II. 3.

[17] Skeptisch Nettesheim JZ 2016, 424, 427.

[18] Vgl. EGMR – Soering /GB, Urt. v. 07.07.1989, 14038/88, EuGRZ 1989, 314 = NJW 1990, 2183.

[19] BVerfG, Beschluss v. 15.12.2015, 2 BvR 2735/14, Rn. 56 = HRRS 2016 Nr. 100: "Die Verwirklichung des Schuldgrundsatzes ist gefährdet, wenn die Ermittlung des wahren Sachverhalts nicht sichergestellt ist (aa). Die Zumessung einer angemessenen Strafe, die zugleich einen sittlich-ethischen Vorwurf darstellt, setzt die Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit des Angeklagten und damit grundsätzlich dessen Anwesenheit voraus. Der Schuldgrundsatz macht daher Mindestgarantien von Beschuldigtenrechten im Strafprozess erforderlich, durch die gewährleistet wird, dass der Beschuldigte Umstände vorbringen und prüfen lassen kann, die zu seiner Entlastung führen oder für die Strafzumessung relevant sein können (bb). Diese Garantien müssen auch bei der Auslieferung zur Vollstreckung eines in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Strafurteils gewahrt werden (cc)."

[20] So auch Kühne JZ 2016, 299, 302; Brodowski JR 2016, II. 1. b).

[21] Brodowski JR 2016, II. 1. b) u. c); Meyer NJECL 2016; Heft 3; Sauer NJW 2016, 1134, 1135; Schönberger JZ 2016, 422.

[22] Das Beispiel, in Abwesenheit Verurteilte ausliefern zu müssen, wird bei Masing insofern nicht zutreffend eingeordnet, JZ 2015, 477, 487.

[23] Vgl. auch Nettesheim JZ 2016, 424, 425.

[24] Meyer NJECL 2016, Heft 3; s. ferner Nettesheim JZ 2016,424, 428; Sauer NJW 2016, 1134, 1136.

[25] Allg. Craig/De Búrca, EU Law, 6. Aufl. (2015), S. 266 ff., 278 ff.; ausf. Betrachtung möglicher Hintergründe im konkreten Fall bei Meyer NJECL 2016 Heft. 3.

[26] EuGH, Rs. C-617/10 (Åkerberg Fransson), ECLI:EU:C:2013:105, Rn. 29; EuGH, Rs. C-399/11 (Melloni), EU:C:2013:107, Rn. 60; zur fortbestehenden wichtigen Rolle der nationalen Grundrechte s.a. Wollenschläger, in: Enzyklopädie Europarecht, Bd. 1 (2014), § 8, Rn. 19.

[27] BVerfG, Urteil v. 24.04.2013, 1 BvR 1215/07, Rn. 90.

[28] EuGH, Rs. C-399/11 (Melloni), EU:C:2013:107, Rn. 60

[29] BVerfG, Beschluss v. 15.12.2015, 2 BvR 2735/14, Rn. 44 = HRRS 2016 Nr. 100.

[30] Bogdandy/Schill CMLRev 48 (2011), 1417, 1449 f., 1452; Cloots, National identity in EU Law (2015), S. 142 ff.

[31] Vgl. Bogdandy/Schill CMLRev 48 (2011), 1417, 1419, 1426; van der Schyff European Law Review, 37 (2012), 563; Meyer NJECL 2016 Heft 3.

[32] Brodowski JR 2016, IV., 1.

[33] Vgl. BVerfG, Beschluss v. 15.12.2015, 2 BvR 2735/14, Rn. 63 ff. = HRRS 2016 Nr. 100.

[34] Vgl. Ambos/König/Rackow-Meyer (Fn. 6), Vor §§ 78 ff. IRG Rn. 761, § 79 IRG Rn. 811 ff.

[35] Borowsky , in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 4. Aufl. (2014), Art. 52 Rn. 35.

[36] EuGH, verb. Rs. C-404/15 u. C-669/15 PPU (Aranyosi u. C ă ld ă raru) = HRRS 2016 Nr. 283: dazu Böhm NJW 2016, 1713; Meyer JZ 2016, 621.

[37] Das erwartet auch Kühne StV 2016, 299.

[38] BVerfG, Beschluss v. 15.12.2015, 2 BvR 2735/14, Rn. 63, 65 = HRRS 2016 Nr. 100.

[39] "Das für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung zuständige Gericht ist daher grundsätzlich nicht verpflichtet, bestehende Aufklärungsmöglichkeiten auszuschöpfen oder positiv festzustellen, dass dem um Auslieferung ersuchenden Mitgliedstaat hinsichtlich der Wahrung des Schuldprinzips vertraut werden kann", BVerfG, Beschluss v. 15.12.2015, 2 BvR 2735/14, Rn. 73 = HRRS 2016 Nr. 100.

[40] BVerfG, Beschluss v. 15.12.2015, 2 BvR 2735/14, Rn. 68, 73 f. = HRRS 2016 Nr. 100.

[41] BVerfG, Beschluss v. 15.12.2015, 2 BvR 2735/14, Rn. 69 = HRRS 2016 Nr. 100.

[42] EuGH, verb. Rs. C-404/15 u. C-669/15 PPU (Aranyosi u. C ă ld ă raru) = HRRS 2016 Nr. 283, Rn. 92 ff.

[43] Vgl. BVerfG, Beschluss v. 6.5.2016, 2 BvR 890/16, Rn.7 = HRRS 2016 Nr. 517, unter Verweis auf BVerfGE 56, 37, 41 ff.

[44] Nettesheim JZ 2016, 424, 427.

[45] Treffend Kühne StV 2016, 299, 300, 302.

[46] EGMR, O’Donnell/GB, 7.4.2015, 16667/10.

[47] Meyer NJECL 2016, Heft 3.

[48] Vgl. a. Sauer NJW 2016, 1134, 1137.

[49] Im Unterschied zu den Fällen vor dem OLG Bremen und dem OLG Düsseldorf bestand hier keine klare Rechtslage auf EMRK-Ebene.

[50] Zur Diskussion um den absoluten Charakter des Schweigerechts während des Gesetzgebungsprozesses, Cras/Erbežnik eucrim 2016, 25, 31 f.

[51] Das Vereinigte Königreich nimmt nicht an der Richtlinie teil, was aber nichts an deren Bedeutung für die Interpretation der GRC ändert. Anders als bei Art. 6 EMRK wäre die Bandbreite zulässiger nationaler Implementierungen (margin of appreciation) bei der GRC als integrierter und einheitlicher Grundrechtsordnung für die Ausübung supranationaler Hoheitsgewalt zudem enger, weshalb nicht von vornherein auszuschließen war, dass der Fairnessgrundsatz der GRC einer Überstellung im Wege stehen könnte.

[52] Schönberger JZ 2016, 422, 424.

[53] Potenziellen Rechtshilfehindernissen wird der Mantel der Menschenwürde übergeworfen und damit eine kaum anschlussfähige rechtliche Neubewertung von prozessualen und materiellen Rechtsbeeinträchtigungen im Rechtshilferecht vorgenommen.

[54] Kühne StV 2016, 299, 302.

[55] Vor dem Hintergrund der Rechtssache C-168/13 PPU (Jeremy F.) wirft dieses Vorgehen auch europarechtliche Fragen auf. Der EuGH hält die Gewährung von nationalen Rechtsbehelfen mit aufschiebender Wirkung in seinem Urteil vom 30.05.2013 für zulässig und sieht diese letztlich auch als notwendig an, um den Grundrechtsschutz im Vollstreckungsstaat sicherzustellen. Sie dürfe aber nicht das strenge Fristenregime des Rb-EuHb, namentlich Art. 17, aushöhlen.

[56] Ausf. Meyer NJECL 2016 Heft 3.

[57] Dazu Nettesheim JZ 2016, 424, 425.

[58] Dazu grundlegend Wendel, Permeabilität im europäischen Verfassungsrecht (2011).

[59] Dazu Meyer NJECL2016 Heft 3.

[60] BVerfG, Beschluss v. 15.12.2015, 2 BvR 2735/14, Rn. 50 = HRRS 2016 Nr. 100.

[61] Das wirkliche Problem im englischen Fall liegt darin, dass eine Jury über die Schuld entscheidet und daher nicht in objektiv nachvollziehbarer Weise schriftlich begründet wird, welche Bedeutung die Berücksichtigung des Schweigens tatsächlich für die Beweiswürdigung hatte.

[62] Wie Schönberger zu Recht bemerkt, hat die Verfassungsidentitätsrechtsprechung enorme Folgekosten: "der Verschleiß der ‚Ewigkeitsklausel‘ des Grundgesetzes für kurzfristige europapolitische Ziele und Kommunikationssignale, die Inflationierung der Menschenwürde zum integrationsfesten Supergrundrecht, die Entdifferenzierung der Unterscheidung zwischen einfachem und änderungsfestem Verfassungsrecht", JZ 2016, 422, 424.