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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 728

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, StB 10/16, Beschluss v. 12.05.2016, HRRS 2016 Nr. 728


BGH StB 9 und 10/16 - Beschluss vom 12. Mai 2016

Keine Beschwerde gegen sitzungspolizeiliche Maßnahmen des erstinstanzlich tätigen OLG (Durchsuchung der Verteidiger und Durchsicht mitgeführter Behältnisse).

§ 304 StPO; § 176 GVG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der Senat kann offenlassen, ob sitzungspolizeiliche Maßnahmen (hier: Durchsuchung der Verteidiger und Durchsicht mitgeführter Behältnisse) im Sinne des § 176 GVG überhaupt der Anfechtung unterliegen oder der Beschwerde entzogen sind (näher BGH HRRS 2015 Nr. 1133). Jedenfalls ist ein Rechtsmittel gegen Verfügungen und Beschlüsse der Oberlandesgerichte in Fällen, in denen diese erstinstanzlich tätig werden, nur in den in § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 StPO ausdrücklich aufgeführten Fällen statthaft.

2. § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 bezieht sich mit dem Begriff der Durchsuchung auf die „klassische Durchsuchung“ nach Beweismitteln im Sinne der §§ 102 ff. StPO. Auch mit Blick auf möglicherweise tangierte Grundrechtspositionen aus Art. 12 Abs. 1 GG ist es nicht gerechtfertigt, entgegen dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers ein Beschwerderecht einzuräumen.

Entscheidungstenor

Die Beschwerden der Verteidiger Dr. He., H. und R. gegen die sitzungspolizeilichen Anordnungen des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht München vom 8. März 2016 (8 St 3/15 [2]) werden verworfen.

Die Beschwerdeführer tragen die Kosten der Rechtsmittel.

Gründe

I.

Seit dem 27. April 2016 findet vor dem 8. Strafsenat des Oberlandesgerichts München gegen mehrere Angeklagte die Hauptverhandlung unter anderem wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung statt. Vor Beginn der Sitzung hat der Vorsitzende des Strafsenats am 8. März 2015 eine sitzungspolizeiliche Anordnung getroffen. Darin hat er unter anderem die Durchsuchung der Verteidiger der Angeklagten und die Durchsicht mitgeführter Behältnisse verfügt (Ziff. 8 der Verfügung) und dies nach Widersprüchen der Verteidiger in einem Vermerk vom 29. März 2016 begründet. Gegen die sitzungspolizeiliche Anordnung wenden sich die Verteidiger des Angeklagten Ha., die Rechtsanwälte Dr. He. und R., sowie einer der Verteidiger der Angeklagten G., Rechtsanwalt H. Der Strafsenat hat der Beschwerde mit Beschluss vom 19. April 2016 nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde ist unzulässig.

Der Senat kann es (erneut) offenlassen, ob sitzungspolizeiliche Maßnahmen im Sinne des § 176 GVG überhaupt der Anfechtung unterliegen oder der Beschwerde entzogen sind (vgl. zum Ganzen BGH, Beschlüsse vom 13. Oktober 2015 - StB 10 und 11/15, NJW 2015, 3671 mwN; vom 10. März 2016 - StB 3/16). Denn auch bei Annahme der grundsätzlichen Anfechtbarkeit sitzungspolizeilicher Maßnahmen würde sich diese nach den allgemeinen Vorschriften über die Beschwerde gemäß § 304 Abs. 1 StPO richten, mit der alle richterlichen Entscheidungen angegriffen werden können, sofern sie nicht ausdrücklich von der Anfechtbarkeit ausgenommen sind. Eine solche generelle Ausnahme beinhaltet § 304 Abs. 4 Satz 2 StPO. Danach ist ein Rechtsmittel gegen Verfügungen und Beschlüsse der Oberlandesgerichte in Fällen, in denen diese - wie vorliegend - erstinstanzlich tätig werden, nur in den in § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 StPO ausdrücklich aufgeführten Fällen statthaft. Diesem Katalog unterfällt die angegriffene Verfügung nicht.

Zwar nennt der Ausnahmekatalog des § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 StPO in Nr. 1 auch Durchsuchungen. Indes ergibt sich bereits aus der Aufzählung der in § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO genannten Eingriffe, die sich auf Zwangsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren nach dem 8. Abschnitt des ersten Buches der Strafprozessordnung und Haftentscheidungen nach dessen 9. Abschnitt beziehen, dass mit dem Begriff der Durchsuchung im Sinne der Vorschrift die „klassische Durchsuchung“ nach Beweismitteln im Sinne der §§ 102 ff. StPO gemeint ist (vgl. LRMatt, StPO, 26. Aufl., § 304 Rn. 77). Einer Ausdehnung der Vorschrift des § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO auf sitzungspolizeilich angeordnete Durchsuchungen von Personen und Sachen steht der - auch im Gesetzgebungsverfahren hervorgehobene (vgl. BT-Drucks. 5/4086 S. 11, 5/4269 S. 6) - Ausnahmecharakter dieser Norm entgegen, die nach der ständigen Rechtsprechung des Senats eng auszulegen ist (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 3. Juli 1981 - StB 31/81, BGHSt 30, 168, 170; vom 19. März 1986 - StB 2 und 3/86, BGHSt 34, 34, 35; vom 20. März 1991 - StB 3/91, BGHSt 37, 347, 348). Der Senat hat es deshalb bisher auch abgelehnt, Beschwerden gegen Entscheidungen, die lediglich die Art und Weise des Vollzugs einer Durchsuchung zum Gegenstand haben, in erweiternder Auslegung des Begriffs der „Durchsuchung“ im Sinne des § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO als statthaft anzusehen (BGH, Beschlüsse vom 14. Oktober 1998 - 3 ARs 10/98, BGHR StPO § 304 Abs. 5 Durchsuchung 2; vom 13. Oktober 1999 - StB 7 und 8/99, NJW 2000, 84, 86). Nichts anderes kann für eine sitzungspolizeilich angeordnete Durchsuchung gelten, die - letztlich im Interesse der Wahrheitsfindung - lediglich den ungestörten äußeren Verlauf der Sitzung sichern soll (vgl. Kissel/Mayer, GVG, 8. Aufl., § 176 Rn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt, 59. Aufl., § 176 GVG Rn. 4).

Auch mit Blick auf die möglicherweise tangierte Grundrechtsposition der Beschwerdeführer aus Art. 12 Abs. 1 GG ist es nicht gerechtfertigt, diesen entgegen dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers ein Beschwerderecht einzuräumen. Der Gesetzgeber hat in § 304 Abs. 4 Satz 2 StPO Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte - mit Ausnahme der im Katalog enumerativ aufgeführten Eingriffe - einer Beschwerde entzogen und es damit in Kauf genommen, dass in anderen Fällen mit Grundrechtsbezug ein Rechtsmittel nicht gegeben ist. Dies spricht gegen die Annahme, der Gesetzgeber habe bei Verfügungen und Beschlüssen eines Oberlandesgerichts, die in ein Grundrecht eingreifen, generell eine Rechtsmittelmöglichkeit vorsehen wollen (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2015 - StB 10 und 11/15, NJW 2015, 3671). Vor diesem Hintergrund ist es nicht Sache der Fachgerichte, unter Missachtung dieses gesetzgeberischen Willens den Katalog der ausnahmsweise anfechtbaren gerichtlichen Entscheidungen im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit möglicher in Betracht kommender Grundrechtsbeeinträchtigungen beliebig zu erweitern.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 728

Bearbeiter: Christian Becker