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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
April 2016
17. Jahrgang
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Von Dr. Stefan Sinner, Berlin[*]
Der Tatbestand der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) – aus § 12 UWG in das Kernstrafrecht übernommen – ist seit jeher Gegenstand intensiver Debatten. Erinnert sei an die Frage der Auslandsbestechung, die nun gesetzlich geregelt ist,[1] und an die Erweiterung des Tatbestands durch die Einführung des sogenannten Geschäftsherrenmodells in § 299 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 StGB.[2] Aktuell fokussiert sich die Diskussion – im Anschluss an die Entscheidung des Großen Senats zur Strafbarkeit der niedergelassenen, für die vertragsärztliche Versorgung zugelassenen Ärzte wegen Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr[3] – auf die Regelungen der Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen in §§ 299a, 299b StGB.[4] Zu erwähnen ist schließlich der Vorschlag, einen an § 299 StGB angelehnten Tatbestand des Sportwettbetrugs und der Manipulation berufssportlicher Wettbewerbe in das Strafgesetzbuch einzuführen.[5]
Die Entscheidung des 1. Senats gibt Anlass, sich mit eher "klassischen" Fragen des Tatbestands auseinanderzusetzen. Zum einen ist zu erörtern, welche Folgen die Subjektivierung des Tatbestandsmerkmals "Bevorzugung im Wettbewerb" auf die Annahme einer Wettbewerbslage hat. Zum anderen stellt sich die Frage, wie der "Vorteil großen Ausmaßes" in § 300 S. 2 Nr. 1 StGB zu bestimmen ist. Abschließend soll untersucht werden, ob die
neueren Entwicklungen im Bereich der Bestechungsdelikte etwas zur Beantwortung der zweiten Frage beitragen können.
Zunächst soll der umfangreiche Beschluss knapp rekapituliert werden:[6]
Das Landgericht verurteilte den Angeklagten N wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren, die Angeklagten D und E jeweils wegen wettbewerbsbeschränkender Absprache bei Ausschreibungen in Tateinheit mit Bestechung im geschäftlichen Verkehr zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten bzw. zwei Jahren und vier Monaten.
N war nach den Feststellungen des Landgerichts als Geschäftsführer der E-GmbH von P – einem Zweckverband – beauftragt worden, beschränkte Ausschreibungen für Aufträge im Rahmen der technischen Umgestaltung einer Tierkörperverbrennungsanlage durchzuführen. P hatte dabei vorgegeben, dass mindestens drei unterschiedliche Firmen ein Angebot abgeben sollten. Die Aufträge sollten möglichst an Unternehmen aus der näheren Umgebung vergeben werden. Den regen Wettbewerb wollte P nutzen, um ein möglichst günstiges Angebot zu bekommen. N beschloss, die Ausschreibungen zu manipulieren. In Absprache mit einem der Mitangeklagten bzw. dem gesondert Verfolgten K, von denen jeder um die Beauftragung des N durch die P wusste, wollte er deren Unternehmen den jeweiligen Auftrag verschaffen. Dazu sollten neben dem Angebot des begünstigten Unternehmens noch "Schutzangebote" abgegeben werden, um die Anforderungen an die Zahl der an der Ausschreibung teilnehmenden Firmen dem Schein nach zu erfüllen. Diese "Schutzangebote" sollten von Unternehmen stammen, mit deren Verantwortlichen eine Absprache darüber erfolgt ist, dass das Angebot über demjenigen des für den Zuschlag ausersehenen Unternehmens liegt. Auf diese Weise sollte der tatsächliche Wettbewerb ausgeschaltet, für P aber der Eindruck erweckt werden, das zuvor vom Angeklagten ausersehene Unternehmen habe sich unter Wettbewerbsbedingungen als der wirtschaftlich günstigste Anbieter der ausgeschriebenen Leistungen erwiesen. Als Gegenleistung für die von N sichergestellte Auftragsvergabe unter Ausschaltung des Wettbewerbs sollten die jeweils begünstigten Unternehmen eine dem N zuzuordnende Firma "rückbeauftragen" und ihm dadurch ein Auftragsvolumen in "nicht unerheblicher Höhe" verschaffen. Damit diese Rückbeauftragung für P unerkannt blieb, plante N zur Verschleierung die Nutzung seines komplexen Firmengeflechts. So sollte der Auftrag an die Pl., eine dem N zuzurechnende Firma, erfolgen, für die er bewusst gegenüber P nicht nach außen in Erscheinung trat, deren faktischer Geschäftsführer er aber war. Der Firma Pl. wurde in vier Fällen ein Folgeauftrag erteilt, und zwar i.H.v. 478.839,74 Euro, 140.560,50 Euro, 102.250,00 Euro sowie 281.383,00 Euro.
Das Landgericht hat das Verhalten des N als vier Fälle der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr gem. § 299 Abs. 1 StGB gewertet und sich vom Vorliegen der Regelbeispiele des § 300 S. 2 Nrn. 1, 2 Alt. 1 StGB überzeugt. Das Verhalten von D und E hat es jeweils als eine wettbewerbsbeschränkende Absprache bei Ausschreibungen nach § 298 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit Bestechung im geschäftlichen Verkehr gem. § 299 Abs. 2 StGB gewertet. Insoweit ist es jeweils vom Vorliegen des Regelbeispiels des § 300 S. 2 Nr. 1 StGB ausgegangen, da sich ihre Tat auf die Verschaffung eines Vorteils großen Ausmaßes durch N bezogen habe. Die Revisionen der Angeklagten blieben erfolglos.
Der 1. Senat stellt fest, die Vorschrift des § 299 StGB setze eine Unrechtsvereinbarung in dem Sinne voraus, dass der Vorteil als Gegenleistung für eine künftige unlautere Bevorzugung angenommen bzw. gewährt werde. Bevorzugung bedeute dabei die sachfremde Entscheidung zwischen mindestens zwei Bewerbern, setze also Wettbewerb und Benachteiligung eines Konkurrenten voraus. Hierbei genüge es aber, wenn die zum Zwecke des Wettbewerbs vorgenommenen Handlungen nach der Vorstellung des Täters geeignet seien, seine eigene Bevorzugung oder die eines Dritten im Wettbewerb zu veranlassen. Das Tatbestandsmerkmal der Bevorzugung im Wettbewerb sei subjektiviert. Es reiche aus, wenn nach der Vorstellung des Täters der Wettbewerb unlauter beeinflusst werden solle. Der Vorstellung eines bestimmten verletzten Mitbewerbers bedürfe es nicht. Weder müsse die vereinbarte Bevorzugung noch eine objektive Schädigung eines Mitbewerbers eingetreten sein. Schutzgut des § 299 StGB sei die strafwürdige Störung des Wettbewerbs sowie die abstrakte Gefahr sachwidriger Entscheidungen.
Die Angeklagten N, E und D sowie der gesondert Verfolgte K haben nach Auffassung des Senats eine diesen Anforderungen entsprechende Unrechtsvereinbarung geschlossen. Das Landgericht habe sich auch deshalb in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise vom Vorliegen einer Wettbewerbslage überzeugt, weil es des manipulativen Vorgehens im Wege gezielter Ausschaltung von potenziellen Mitbewerbern durch Unterlassen der Ausschreibung bei gleichzeitiger Vorspiegelung, es handele sich um das jeweils günstigste Angebot im Rahmen eines Wettbewerbs zwischen drei Unternehmen, nicht bedurft hätte, wenn die Angeklagten nicht vom Vorliegen einer Wettbewerbslage ausgegangen wären. Das Gericht habe die vor der Auftragsvergabe abgesprochene Vergabe des Folgeauftrags an die Firma Pl. als Vorteil für den Beauftragten des Zweckverbands P, also den Angeklagten N, angesehen, der für die Bevorzugung gewährt worden sei. Dabei habe es sich auch darauf gestützt, dass die über die Firma Pl. erfolgte "Rückbeauftragung" des N vor dem Auftraggeber P verschleiert und hierfür ein Unternehmen genutzt worden sei, das N zwar zuzurechnen, für das er aber bewusst gegenüber der P nicht in Erscheinung getreten sei.
Die Subjektivierung des Tatbestandsmerkmals "Bevorzugung im Wettbewerb" ist Folge der in der Entscheidung bestätigten Konzeption des Senats, wonach Schutzgut des § 299 StGB die strafwürdige Störung des Wettbewerbs sowie die abstrakte Gefahr sachwidriger Entscheidungen sei.[7] Diese Formulierung ist bereits sprachlich problematisch, denn selbstverständlich soll nicht die strafwürdige Störung oder abstrakte Gefährdung des Wettbewerbs geschützt werden, sondern der Wettbewerb vor strafwürdigen Störungen oder Gefahren. Außerdem setzt die Formulierung voraus, was für das Schutzgut (Rechtsgut) überhaupt erst zu begründen wäre, nämlich die Strafwürdigkeit seiner Verletzung oder Gefährdung. Der zweite Teil der Konzeption wirft überdies die hier nicht zu vertiefende Frage auf, ob abstrakte Gefährdungsdelikte[8] Bestandteil eines rechtsstaatlichen Strafrechts sein können, das primär durch strenge Gesetzesbindung die Freiheit des Einzelnen zu sichern hat.[9]
Dass der Bundesgerichtshof mit der abstrakten Gefahr sachwidriger Entscheidungen auch die bloß vorgestellte unlautere Bevorzugung im Wettbewerb für die Unrechtsvereinbarung ausreichen lässt und keine Vorstellung eines bestimmten Mitbewerbers verlangt,[10] hat Folgen, die kaum mehr in den Griff zu bekommen sind. Das zeigt die hier besprochene Entscheidung in besonders deutlicher Weise: Der Wettbewerb war durch das kollusive Zusammenwirken der Angeklagten ausgeschaltet, mag nach der Vorstellung der P auch ein Wettbewerb bestanden haben. Einen "echten Wettbewerb"[11], aus dem P einen wirtschaftlichen Nutzen hätte ziehen können, gab es auf dem Gebiet der Tierkörperverbrennungsanlagen jedoch tatsächlich nicht. Um dennoch eine Wettbewerbslage annehmen zu können, greift das Landgericht auf Hilfserwägungen zurück, die der Bundesgerichtshof aus revisionsrechtlicher Sicht billigt. So hätte es des manipulativen Vorgehens im Wege gezielter Ausschaltung potentieller Mitbewerber, des Unterlassens der beauftragten Ausschreibung und der Vorspiegelung gegenüber der P, es handele sich um das jeweils günstigste Angebot im Rahmen eines Wettbewerbs zwischen drei Unternehmen, nicht bedurft, wenn die Angeklagten nicht von einer Wettbewerbslage ausgegangen wären. Auch die Betonung der Tatsache, die "Rückbeauftragung" als Vorteil für den Angeklagten N sei vor dem Auftraggeber P verschleiert worden, bewegt sich auf derselben argumentativen Ebene. Ein manipulatives oder verschleierndes Vorgehen ist aber gerade keine Voraussetzung für die Erfüllung des Tatbestands der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr. Heimlichkeit oder mangelnde Transparenz können vielmehr nur Indizien für die Unlauterkeit einer Bevorzugung[12] innerhalb eines bestehenden Wettbewerbs sein. Die Wettbewerbslage als solche vermögen sie nicht zu begründen. Wäre das Landgericht – was nahe liegen mag, aber in der Revisionsentscheidung nicht erörtert wird – tatsächlich von einem Wettbewerb mit weiteren Unternehmen ausgegangen, die nicht an der Absprache beteiligt waren, so hätte es nicht auf diese Hilfskriterien zurückgreifen müssen. Die Subjektivierung des Bevorzugungsbegriffs hat damit die merkwürdige Konsequenz, dass eine Wettbewerbslage im Sinne des § 299 StGB auch dann konstruiert werden kann, wenn das kollusive Handeln der vermeintlich im Wettbewerb stehenden Täter darauf gerichtet ist, eine solche Konkurrenzsituation auszuschließen – eine Wettbewerbslage ohne Wettbewerb!
Der 1. Senat hat die Annahme des Regelbeispiels "Vorteil großen Ausmaßes" (§ 300 S. 2 Nr. 1 StGB) durch das Landgericht revisionsrechtlich nicht beanstandet. Wann ein solcher Vorteil vorliege, sei betragsmäßig nicht bestimmt. Entsprechende Regelungen seien zwar in weiteren Strafzumessungsregelungen als Regelbeispiele zu finden. Der Senat nennt § 263 Abs. 3 Nr. 2 Alt. 1 StGB ("Vermögensverlust großen Ausmaßes"), § 264 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB ("Subvention großen Ausmaßes"); § 267 Abs. 3 Nr. 2 StGB ("Vermögensverlust großen Ausmaßes"), § 335 Abs. 2 Nr. 1 StGB ("Vorteil großen Ausmaßes"), § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO ("in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt"). Die Auslegung habe sich jedoch an dem jeweiligen Tatbestand zu orientieren. Der Gesetzgeber habe keine Festlegung getroffen, sondern wenig erhellend einerseits auf die begriffliche Identität hingewiesen, andererseits deutlich gemacht, dass sich die Auslegung an dem jeweiligen Tatbestand zu orientieren habe. Daher könne ein Vorteil großen Ausmaßes nach § 300 StGB schon vorliegen, wenn man bei einer Subvention noch nicht hiervon sprechen würde. Bei Bestechung und Bestechlichkeit von Amtsträgern wiederum könne ein anderer Auslegungsmaßstab geboten sein. Angesichts des eindeutigen Wortlauts – so der Senat – habe sich die Bestimmung nur auf die Höhe des Vorteils und nicht auf den Umfang der Bevorzugung zu beziehen. Schutzzweckspezifisch sei ein großes Ausmaß erreicht, wenn der Vorteil besonders geeignet sei, den Vorteilsnehmer zu korrumpieren. Dies erfordere eine Berücksichtigung einzelfallbezogener Umstände, denn anders als die nach objektiven Maßstäben zu bestimmenden Merkmale des großen Ausmaßes in § 263 Abs. 3 Nr. 2 Alt. 1 StGB und § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO sei der Anreiz für Korrumpierbarkeit abhängig von den jeweiligen Verhältnissen des Vorteilsnehmers, mithin von individuellen Kriterien. Ob es zur Vorhersehbarkeit der Anwendung der kodifizierten Strafzumessungsregel einer betragsmäßig festgelegten Untergrenze als Begrenzung für den Einfluss individueller Kriterien bedürfe, brauche der Senat hier nicht zu entscheiden, weil die Untergrenze angesichts der Vorgabe des Gesetzgebers unter der für § 264 Abs. 2 S. 2
Nr. 1 StGB geltenden Größenordnung liegen müsse. In der Literatur würden stark variierende und damit keine klaren Maßstäbe für eine Grenzziehung vertreten. Die in Betracht kommenden Grenzwerte seien nach der Bewertung des Landgerichts jedenfalls überschritten.
Zustimmend zu unterstreichen ist die Feststellung des 1. Senats, angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts habe sich die Bestimmung nur auf die Höhe des Vorteils und nicht auf den Umfang der Bevorzugung zu beziehen. Mit den weiteren Ausführungen leistet der Senat indes keinen Beitrag zur Bestimmbarkeit[13] des Merkmals "Vorteil großen Ausmaßes", was aber angesichts der fehlenden gesetzlichen Bestimmtheit i.S.d. Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB erforderlich wäre.[14] Der Senat spricht zwar das Problem der Vorhersehbarkeit einer Anwendung dieser kodifizierten Strafzumessungsregel an, lässt die Frage jedoch wegen der Größe der im konkreten Fall gewährten Vorteile – zwischen gut 100.000 Euro und knapp 500.000 Euro – (noch) unbeantwortet.
Bereits die Annahme, die Untergrenze müsse angesichts der Vorgabe des Gesetzgebers unter der für § 264 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB geltenden Größenordnung liegen, ist problematisch. In der Gesetzesbegründung ist nämlich ausgeführt, die Auslegung des Tatbestandes werde sich an dem jeweiligen Tatbestand zu orientieren haben, so dass ein Vorteil großen Ausmaßes im Sinne des § 300 S. 2 Nr. 1 StGB bereits vorliegen könne, wenn man bei einer Subvention in der gleichen Größenordnung noch nicht von einem großen Ausmaß sprechen würde.[15] Es handelt sich also zum einen um einen keineswegs zwingenden Schluss von § 264 StGB auf §§ 299, 300 StGB. Zum anderen hat der BGH die Untergrenze für § 264 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB erst selbst und dabei auch nur auf "etwa 50.000 Euro" festgelegt.[16]
Die Bezugnahme auf den Schutzzweck des § 299 StGB ist in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht geeignet, etwas zur Vorhersehbarkeit der Anwendung des Regelbeispiels beizutragen, denn das Schutzgut ist nicht eindeutig. § 299 StGB soll nach dem hier besprochenen Beschluss des 1. Senats vor der strafwürdigen Störung des Wettbewerbs sowie der abstrakten Gefahr sachwidriger Entscheidungen schützen.[17] Der Senat bestätigt hiermit die Definition aus seinem Urteil vom 9. August 2006.[18] Daneben finden sich in der Rechtsprechung weitere Schutzzweckbestimmungen: So sollen primär die Chancengleichheit sowie das Vermögensinteresse der inländischen und ausländischen Mitbewerber, vor denen sich der Vorteilsgeber einen Vorsprung verschaffen möchte, sekundär auch der Geschäftsherr vor Benachteiligung[19] sowie die Allgemeinheit vor einem Preisanstieg, Erhalt schlechter Ware oder unrichtiger Beratung geschützt werden.[20] Zu Recht ist für § 299 StGB ein "Kaleidoskop an Kriminalisierungswünschen"[21] und eine "hypertrophe Rechtsgutsbeschreibung"[22] beklagt worden. Wann ein Vorteil "besonders" geeignet ist, den Vorteilsnehmer zu korrumpieren, lässt sich daher auch unter Rückgriff auf das Rechtsgut nicht eindeutig ermitteln. Sicherheit für die Auslegung des § 300 S. 2 Nr. 1 StGB ist mit einer auf das Schutzgut bezogenen Betrachtungsweise nicht zu gewinnen.
Nach der hier besprochenen Entscheidung steht nur fest, dass es sich jedenfalls bei einem Vorteil über 102.250 Euro um einen "Vorteil großen Ausmaßes" handelt, wobei die Berücksichtigung einzelfallbezogener Umstände immer noch möglich bleibt. Der 1. Senat scheint die Grenze zur Annahme eines solchen Vorteils generell-abstrakt bei 50.000 Euro ziehen zu wollen, legt sich jedoch nicht fest. Für einen Angeklagten bleibt also auch nach der Entscheidung des Senats eine erhebliche Unsicherheit, ob die kodifizierte Strafzumessungsregel des § 300 S. 2 Nr. 1 StGB auf seinen Fall Anwendung finden wird oder nicht.[23] Der Tatbestand und seine Auslegung durch den BGH genügen daher nach wie vor nicht den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes (Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB).[24] Auch der Literatur ist es bisher – wie der Senat zu Recht kritisch anmerkt – nicht gelungen, klare Maßstäbe für eine Grenzziehung zu entwickeln. Angesichts der Unklarheit des Rechtsguts des § 299 StGB[25] und der fortbestehenden, durch die Rechtsprechung und die Literatur wohl auch nicht zu lösenden Unbestimmtheit des Begriff "Vorteil großen Ausmaßes" ist eine Klarstellung durch den Gesetzgeber angezeigt. Sollte der Begriff abstrakt nicht zu bestimmen und ein konkreter Betrag nicht festzulegen sein, müsste die Klärung in einer Streichung des Regelbeispiels bestehen.
Abschließend soll untersucht werden, ob aus den in der Einleitung erwähnten Entwicklungen auf dem Gebiet und im Umfeld der Bestechung im geschäftlichen Verkehr etwas für die Bestimmung des Begriffs "Vorteil großen Ausmaßes" in § 300 S. 2 Nr. 1 StGB zu gewinnen ist.
Die Erfassung auch des ausländischen Wettbewerbs – zunächst in § 299 Abs. 3 StGB[26], nun in § 299 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StGB[27] – relativiert jeden für das Inland als "Vorteil großen Ausmaßes" genannten Betrag, denn das Tagesgehalt eines deutschen Vorstandsvorsitzenden ist in anderen Weltgegenden ein Jahresgehalt.[28] Zur Bestimmung des Begriffs ist mit der Erweiterung des Schutzguts also nichts abzuleiten.
Zur Einführung des sogenannten Geschäftsherrenmodells in § 299 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 StGB führt die Gesetzesbegründung aus, der Straftatbestand habe bereits bisher nicht nur dem Schutz der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, sondern auch dem Schutz der Interessen des Geschäftsherrn gedient. Durch die Änderung werde der Schutz der Interessen des Geschäftsherrn an der loyalen und unbeeinflussten Erfüllung der Pflichten durch seine Angestellten und Beauftragten im Bereich des Austauschs von Waren und Dienstleistungen erweitert.[29] Damit wird zwar einer der bereits zur alten Fassung des Tatbestands genannten Schutzzwecke stärker betont, dies trägt aber nicht zu einer Präzisierung der bestehenden Schutzzweckkonzeption[30] bei. Ob die Erweiterung des § 299 StGB tatsächlich sachgerecht ist, weil die früher geltende Fassung durch die Beschränkung auf Bevorzugungen im Wettbewerb die strafbedürftigen Fälle der mit Schmiergeldzahlungen erkauften Verletzung von Pflichten durch Angestellte und Beauftragte von Unternehmen außerhalb von Wettbewerbslagen nicht erfasst hat,[31] bedarf an dieser Stelle keiner Vertiefung.[32] Möglicherweise wären aber Fälle wie der vorliegende, in dem wegen des kollusiven Zusammenwirkens zum Nachteil des Zweckverbands keine Wettbewerbslage bestand, über den neu gefassten Tatbestand ohne die aufgezeigten Widersprüche zu lösen.
Auch von der Einführung der Straftatbestände der Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen (§§ 299a, 299b StGB)[33] ist bei einer schutzzweckspezifischen Betrachtung kein wesentlicher Beitrag für die Bestimmung des "Vorteils großen Ausmaßes" zu erwarten. Die Einführung der an § 299 StGB angelehnten[34] Straftatbestände soll einen doppelten Rechtsgüterschutz verfolgen. Er diene zum einen der Sicherung eines fairen Wettbewerbs im Gesundheitswesen und komme damit der ganz großen Mehrheit der ehrlich arbeitenden und Korruptionsrisiken vermeidenden Ärzte, Apotheker und sonstigen Heilberufsausübenden zugute. Er diene zum anderen dem Schutz des Vertrauens der Patienten in die Integrität heilberuflicher Entscheidungen. Mittelbar werde der Straftatbestand auch die Vermögensinteressen der Wettbewerber im Gesundheitswesen sowie der Patienten und der gesetzlichen Krankenversicherung schützen.[35] Nach dem neu gefassten § 300 StGB soll die kodifizierte Strafzumessungsregel auf §§ 299a, 299b StGB erstreckt werden. Diese Rechtsgutbestimmung ergänzt das "Kaleidoskop an Kriminalisierungswünschen"[36] in § 299 StGB um einige schillernde Facetten[37] – Rechtssicherheit für die Auslegung des § 300 S. 2 Nr. 1 StGB lässt sich hieraus aber nicht gewinnen. Vielmehr verweist der Gesetzentwurf auf die zu den §§ 299, 300 StGB entwickelten Auslegungsgrundsätze zurück.[38]
Das Gleiche gilt für die geplante, an § 299 StGB angelehnte Regelung zur Strafbarkeit von Sportwettbetrug und der Manipulation berufssportlicher Wettbewerbe (§§ 265c, 265d StGB-E), für die in § 265e S. 2 Nr. 1 StGB-E ebenfalls eine kodifizierte Strafzumessungsregel des "Vorteil[s]großen Ausmaßes" vorgesehen ist. Mit der Regelung des § 265c StGB-E (Sportwettbetrug) soll den Gefahren begegnet werden, die von Sportwettbetrug für die Integrität des Sports und damit für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung des Sports ausgehen. Der Straftatbestand schütze zugleich das Vermögen von Wettanbietern und redlichen Wettteilnehmern sowie das Vermögen von in sonstiger Weise durch die Manipulation sportlicher Wettbewerbe Betroffenen.[39] Der Straftatbestand des § 265d StGB-E (Manipulation berufssportlicher Wettbewerbe) ziele, neben dem Schutz der Integrität des Sports und insbesondere seiner Bedeutung als wichtiger Wirtschaftsfaktor, auf den Schutz des Vermögens der mit sportlichen Wettbewerben verbundenen Vermögensinteressen.[40] Beide Vorschriften sind ebenfalls an § 299 StGB angelehnt,[41] tragen aber mit dem kaum fassbaren Rechtsgut "Integrität des Sports" nichts zu einer schutzzweckspezifischen Bestimmung des Begriffs "Vorteil großen Ausmaßes" in § 300 S. 2 Nr. 1 StGB bei. Die Gesetzesbegründung hält auch hier lediglich fest, die Erschwerungsgründe in § 265e StGB-E entsprächen inhaltlich den Regelbeispielen für besonders schwere Fälle der Be-
stechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 300 StGB).[42]
Die besprochene Entscheidung sowie die neueren Entwicklungen auf dem Gebiet und im Umfeld der Bestechung im geschäftlichen Verkehr tragen also nichts zur Bestimmung des Begriffs "Vorteil großen Ausmaßes" in § 300 S. 2 Nr. 1 StGB bei. Die Debatte über den Tatbestand des § 299 StGB, seinen Schutzzweck und die verfassungsmäßige Bestimmung eines besonders schweren Falles muss daher weitergehen.
* Der Verf. ist Ministerialrat beim Deutschen Bundestag. Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Verf. wieder.
[1] Eingeführt zunächst in Abs. 3 durch Gesetz vom 22.8.2002, BGBl. I S. 3387; zur Unanwendbarkeit dieser Vorschrift auf vor ihrem Inkrafttreten liegen Sachverhalte vgl. BGH NJW 2009, 89 (92 ff.) = HRRS 2008 Nr. 1100; nun geregelt in § 299 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB.
[2] § 299 StGB wurde durch Gesetz vom 20.11.2015, BGBl. I S. 2025, m.W.v. 26.11.2015 neu gefasst.
[3] BGH NJW 2012, 2530 (2532 ff.) = HRRS 2012 Nr. 612.
[5] Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 7.11.2015, abrufbar unter www.bmjv.de.
[6] Vgl. NStZ-RR 2015, 278 = HRRS 2015 Nr. 91.
[7] Vgl. BGH NJW 2006, 3290 (3298) = HRRS 2006 Nr. 767.
[8] Zur Einordnung des § 299 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt s. BGH NJW 2006, 3290 (3298); Fischer, StGB, 63. Aufl. (2016), § 299 Rn. 2b; Heine/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. (2014), § 299 Rn. 2; Krick, in: MüKo-StGB, 2. Aufl. (2014), § 299 Rn. 2; einschränkend Tiedemann, in: LK-StGB, 12. Aufl. (2008), § 299 Rn. 7.
[9] Zur Gefährdung der Gesetzesbindung durch Universalrechtsgüter und abstrakte Gefährdungsdelikte vgl. nur Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, 2. Aufl. (1990), S. 274 ff.; Naucke KritV 1999, 336 (340, 347); ders. Strafrecht – Eine Einführung, 10. Aufl. (2002), § 2 Rn. 65.
[10] Vgl. BGH NJW 2003, 2996 (2997); BGH NJW 2004, 3129 (3133) = HRRS 2004 Nr. 800.
[11] So die Formulierung in BGH NJW 2006, 3290 (3298).
[12] Heine /Eisele, a.a.O. (Fn. 8), Rn. 19a.
[13] BVerfG NJW 2010, 3209 (3210 ff.) = HRRS 2010 Nr. 656; BGH NJW 2009, 528 (532) = HRRS 2009 Nr. 127.
[14] Zur Geltung des Bestimmtheitsgrundsatzes auch für Rechtsfolgenvorschriften s. BVerfG NJW 2002, 1779 (1780 f.); BGH NJW 2003, 3717 (3718).
[15] BT-Drucks. 13/5584, S. 15 (Hervorhebungen nur hier).
[16] BGH wistra 1991, 106: 100.000 DM; BGH NJW 2004, 169 (171): etwa 50.000 Euro.
[17] Zur Zirkulariät der Schutzzweckbestimmung vgl. o., 1.
[18] BGH NJW 2006, 3290 (3298); zur Rechtsgutbestimmung vgl. auch Fischer, a.a.O. (Fn. 8), Rn. 2; Dannecker, in: NK-StGB, 4. Aufl. (2013), § 299 Rn. 4 ff.; Heine/Eisele, in: Schönke/Schröder, a.a.O. (Fn. 8), Rn. 2; Krick, a.a.O. (Fn. 8), Rn. 2; Rosenau, in: SSW-StGB, 2. Aufl. (2014), § 299 Rn. 4 f.; Tiedemann, a.a.O. (Fn. 8), Rn. 1 ff.
[19] BGH NJW 1952, 898; BGH NJW 1983, 1919 (1920); RGSt 48, 291 (296 f.); RGSt 66, 16 (17), jeweils zu § 12 UWG; vgl. auch Tiedemann, a.a.O. (Fn. 8), Rn. 5; Krick, a.a.O. (Fn. 8), Rn. 2; Dannecker, a.a.O. (Fn. 18), Rn. 6.
[20] BGH NJW 1968, 1572 (1574) zu § 12 UWG.
[21] Vormbaum , in: FS Schroeder, 2006, S. 649.
[22] Rönnau , Wirtschaftskorruption, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau, HWSt, 4. Aufl. (2015), Rn. 6.
[23] Ebenso Bergmann ZWH 2015, 273 (274).
[24] Sinner , in: Matt/Renzikowski, StGB, § 300 Rn. 3 m.w.N.
[25] Die Gegenkritik Danneckers, a.a.O. (Fn. 18), Rn. 4, das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG beziehe sich nur auf den Tatbestand und nicht auch auf das Rechtsgut, ist zwar im Ansatz zutreffend. Falls sich jedoch kein Rechtsgut angeben lässt, dessen Verletzung die in der Strafe liegende Freiheitsverletzung hinreichend rechtfertigen kann, kommt die Einführung eines Straftatbestands von vornherein nicht in Betracht; vgl. in diesem Sinne zu §§ 299a, 299b StGB-E Frank/Vogel AnwBl 2016, 94 (97 f.).
[26] Eingeführt durch Gesetz vom 22.8.2002, BGBl. I S. 3387.
[27] § 299 StGB wurde durch Gesetz vom 20.11.2015, BGBl. I S. 2025, m.W.v. 26.11.2015 neu gefasst.
[28] Sinner , a.a.O. (Fn. 24), Rn. 3.
[29] BT-Drucks. 18/4350, S. 21.
[30] Vgl. o., 2.
[31] So die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/4350, S. 21.
[32] Aus der umfangreichen Diskussion vgl. Dann NJW 2016, 203 ff.; Dannecker/Schroeder ZRP 2015, 48 ff.; Gaede NZWiSt 2014, 281 ff.; Krack ZIS 2016, 83 ff.; Kubiciel ZIS 2014, 667 ff.; Schünemann ZRP 2015, 68 ff.; Wolf CCZ 2014, 29 ff.
[33] Gesetzentwurf auf BT-Drucks. 18/6446; 1. Lesung am 13.11.2015; Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am 2.12.2015; Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drucks. 18/8106; 2. und 3. Lesung am 14.4.2015; die Beschlussfassung des Bundesrates stand bei Abschluss der Druckfassung dieses Beitrags noch aus; vgl. auch Antrag der Fraktion DIE LINKE., BT-Drucks. 18/5452.
[34] BT-Drucks. 18/6446, S. 16.
[35] BT-Drucks. 18/6446, S. 12 f.; BT-Drucks. 18/8106, S. 18.
[36] Vgl. Vormbaum a.a.O. (Fn. 21), S. 649.
[37] Hierzu Frank/Vogel AnwBl 2016, 94 (96 ff.).
[38] BT-Drucks. 18/6446, S. 23.
[39] Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) vom 7.11.2015, S. 11 f., abrufbar unter www.bmjv.de.
[40] Referentenentwurf, a.a.O., S. 17.
[41] Referentenentwurf, a.a.O., S. 12, 17.
[42] Referentenentwurf, a.a.O., S. 19.