HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

April 2016
17. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

321. BGH 1 StR 389/15 - Beschluss vom 26. November 2015 (LG München II)

Verhängung einer Geldstrafe neben einer Freiheitsstrafe (Voraussetzungen: Einkommens- und Vermögenslosigkeit des Täters: Vereinbarkeit mit dem Schuldgrundsatz, Grundgedanken des einkommensunabhängigen Strafens; Bereicherungsabsicht des Täters: Vermeidung eines Vermögensnachteils).

Art. 1 Abs. 1 GG; § 41 StGB

1. Der Bundesgerichtshof hat die Anwendung von § 41 StGB gegen einkommens- und vermögenslose Täter beanstandet, wenn diese nicht wenigstens sichere Erwerbsaussichten hatten (vgl. BGH wistra 1985, 147 f. Es bestehen Zweifel, ob uneingeschränkt daran festgehalten werden kann. Eine vor allem an den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Angeklagten ausgerichtete Auslegung des Merkmals „angebracht“ in § 41 StGB kann zu mit dem verfassungsrechtlichen Schuldgrundsatz und dem in § 40 StGB zum Ausdruck kommenden Grundgedankens des einkommensunabhängigen Strafens schwer vereinbaren Konsequenzen führen.

2. Die nach § 41 StGB zusätzlich verhängte Geldstrafe ist keine konfiskatorische Maßnahme (vgl. BGH NStZ 2003, 198). Sie ist vielmehr eine „kombinierte Übelzufügung“ (Fischer, StGB, 63. Aufl., § 41 Rn. 3), wobei sich die im Entzug von Geld zu bestimmende Sanktion nach den

Einkünften des Angeklagten richtet. Der Schuldgrundsatz gebietet, bei der Verhängung von Geldstrafe neben einer Freiheitsstrafe das Gesamtstrafübel innerhalb des durch das Maß der Einzeltatschuld eröffneten Rahmens festzulegen. Die zusätzliche Geldstrafe muss deshalb bei der Bemessung der Freiheitsstrafe strafmildernd berücksichtigt werden. Dürfte geringes oder fehlendes Einkommen bzw. Vermögen als Differenzierungskriterium dafür herangezogen werden, ob einem Angeklagten überhaupt die Wohltat einer kumulativen Geldstrafe zuteil wird, kann dies mit den im vorstehenden Absatz genannten Grundsätzen in Widerspruch geraten.

3. Zur Verhängung einer Geldstrafe neben einer Freiheitsstrafe, die im Übrigen nach der Vorschrift des § 41 StGB Ausnahmecharakter hat (vgl. BGHSt 32, 60, ist erforderlich, dass der Täter sich bereichert hat oder versucht hat, sich zu bereichern, er also eine günstigere Vermögenslage für sich angestrebt hat (so schon RGSt 50, 277, 279). Hierfür genügt jedoch auch, wenn der Täter eine Vermögensminderung verhindert (vgl. BGH NJW 1976, 525, 526).


Entscheidung

382. BGH 4 StR 497/15 - Urteil vom 3. März 2016 (LG Halle)

Strafzumessung (Grundsatz der schuldangemessenen Strafe als Grenze für individualpräventive Strafzumessungserwägung; darüberhinausgehende Individualpräventionen durch Anordnung von Maßregeln); Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (gebundenes Ermessen des Tatrichters; Erfolgsaussicht der Unterbringung: Prognoseentscheidung, Gesamtwürdigung, Therapieunwilligkeit des Täters).

Art. 1 Abs. 1 GG; § 46 Abs. 1 StGB; § 61 StGB; § 64 StGB

1. Aus dem Grundsatz „Keine Strafe ohne Schuld“ folgt für die Strafgerichte das in § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB verankerte Gebot schuldangemessenen Strafens im Einzelfall (vgl. BVerfGE 95, 96, 140). Während somit die Strafe dem Schuldausgleich dient und sich das Strafmaß in jedem einzelnen Fall am Maßstab des Schuldprinzips messen lassen muss, dienen die in § 61 Nr. 1 bis 6 StGB aufgezählten Maßregeln jeweils der Besserung und Sicherung des Angeklagten. Sie übernehmen damit diejenigen insbesondere individualpräventiven Funktionen, die die Strafe wegen ihrer Bindung an die Schuld des Täters gerade nicht übernehmen kann (vgl. BVerfGE 109, 133, 173 f.). Hieraus folgt, dass – nicht anders als hinsichtlich einer Strafschärfung aus generalpräventiven Erwägungen – eine Strafmilderung aus individualpräventiven Gründen nur im Rahmen der schuldangemessenen Strafe in Betracht kommen kann (vgl. BGHSt 20, 264, 267).

2. Nach der Umgestaltung des § 64 StGB in eine Sollvorschrift ist die Anordnung der Maßregel bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen zwar nicht mehr zwingend. Jedoch kommt ein Absehen von der Unterbringungsanordnung – auch nach dem Willen des Gesetzgebers – nur in Ausnahmefällen in Betracht (vgl. BGH NStZ- RR 2008, 73 f).

3. Voraussetzung der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist unter anderem, dass eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Süchtigen zu heilen oder doch über eine gewisse Zeitspanne vor dem Rückfall in die akute Sucht zu bewahren (§ 64 Satz 2 StGB). Dabei erfordert die Prognoseentscheidung über den Behandlungserfolg eine Gesamtwürdigung, die auch die Persönlichkeit des Täters, die Art und das Stadium seiner Sucht sowie bereits eingetretene physische und psychische Veränderungen und Schädigungen in den Blick zu nehmen hat. Insbesondere in der Persönlichkeit und den Lebensumständen des Angeklagten müssen sich daher konkret zu benennende Anhaltspunkte dafür finden lassen, dass es innerhalb eines zumindest „erheblichen“ Zeitraums nicht (mehr) zu einem Rückfall kommen wird (vgl. zum Ganzen BGH NStZ 2014, 203, 205 mwN). Maßgeblich sind insofern die Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten Verhandlung vor dem Tatrichter. Dies gilt auch für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Maßregel.

4. Therapieunwilligkeit ist lediglich ein Indiz für das Fehlen einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht. Besteht sie, bedarf es regelmäßig der Prüfung, ob die konkrete Aussicht besteht, die Therapiebereitschaft für eine erfolgversprechende Behandlung auch mit therapeutischen Mitteln zu wecken. Ob der Schluss vom Mangel an Therapiebereitschaft auf das Fehlen einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Behandlung gerechtfertigt ist, lässt sich nur aufgrund einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und der Gründe und Wurzeln des Motivationsmangels beurteilen (vgl. BGH NStZ-RR 2011, 203).

5. Fehlende Erfolgsaussichten der Unterbringung nach § 64 StGB können auch nicht allein darauf gestützt werden, dass andere Maßnahmen erfolgversprechend oder ins Auge gefasst sind (vgl. etwa BGH StV 2010, 678). Auch hieran hat sich nach der Umgestaltung des § 64 StGB zu einer „Soll-Vorschrift“ nichts geändert (vgl. BGH StV 2010, 678).


Entscheidung

354. BGH 2 StR 448/15 - Beschluss vom 4. Februar 2016 (LG Aachen)

Strafzumessung (Berücksichtigung von Taten, die wegen des Fehlens eines rechtzeitig gestellten Strafantrags nicht verfolgbar sind).

§ 46 StGB

Eine wegen Fehlens eines rechtzeitig gestellten Strafantrages nicht verfolgbare Tatbestandserfüllung kann jedoch, wenn auch mit geringerem Gewicht, im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt werden (vgl. BGH NJW 2001, 1874, 1876); dies insbesondere dann, wenn sich die wegen Fehlens eines wirksamen Strafantrags nicht verfolgbare Tatbestandserfüllung als straferschwerende Modalität des zu ahndenden Delikts darstellt.


Entscheidung

332. BGH 1 StR 606/15 - Beschluss vom 3. Februar 2016 (LG Ansbach)

Anordnung des Verfalls (Absehen von der Anordnung, da das Erlangte nicht mehr im Vermögen des Angeklagten nicht mehr vorhanden ist: Ermessensentscheidung des Tatrichters: Anforderungen an die Darstellung im Urteil, revisionsrechtliche Überprüfung).

§ 73 Abs. 1 StGB; § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB; § 267 StPO

1. Die Anwendung des § 73c StGB ist zwar Sache des Tatrichters; Auslegung und Anwendung (bzw. Nichtanwendung) der Vorschrift unterliegen aber – wie jede Gesetzesanwendung – der Überprüfung auf Rechtsfehler hin durch das Revisionsgericht (vgl. NStZ-RR 2015, 176, 177). In Bezug auf die Ermessensvorschrift § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB prüft dementsprechend das Revisionsgericht lediglich, ob der Tatrichter das ihm eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt hat. Dazu gehört, dass er von rechtlich zutreffenden Maßstäben für die Merkmale der Ermessensvorschrift ausgegangen ist. Zudem bedarf es ausreichender Feststellungen zu denjenigen rechtlichen Voraussetzungen des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB, die dem Tatrichter die Ausübung seines Ermessens erst ermöglichen. Fehlt es daran, liegt darin ein Rechtsfehler (Ermessensdefizit).

2. Nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB kann eine Verfallsanordnung bzw. eine Anordnung des Wertersatzverfalls unterbleiben, soweit das Erlangte oder dessen Wert zum Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung im Vermögen des Betroffenen nicht mehr vorhanden sind. Es ist deshalb zunächst festzustellen, was der Angeklagte aus der Tat erlangt hat, sodann ist diesem Betrag der Wert seines noch vorhandenen Vermögens gegenüberzustellen. Wenn hiernach auch ein Gegenwert des Erlangten im Vermögen des Angeklagten nicht mehr vorhanden ist, kann der Tatrichter von einer Verfallsanordnung absehen (vgl. BGH NStZ 2010, 86).

3. Solche Feststellungen sind erforderlich, damit der Tatrichter das ihm eingeräumte Ermessen überhaupt ausüben kann. Maßgebend für die Ermessensentscheidung gemäß § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB ist nämlich neben der Gesamthöhe des Erlangten und den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen insbesondere der Grund, aus dem das Erlangte bzw. dessen Wert sich nicht mehr im Vermögen des Angeklagten befindet.

4. Hierbei können nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs etwa das „Verprassen“ der erlangten Mittel oder ihre Verwendung für Luxus und zum Vergnügen gegen die Anwendung der Härtevorschrift sprechen; andererseits soll der Verbrauch in einer Notlage oder zum notwendigen Lebensunterhalt des Betroffenen und seiner Familie als Erwägung für eine positive Ermessensentscheidung dienen können (vgl. BGH wistra 2013, 462, 463).


Entscheidung

303. BGH 3 StR 486/15 - Beschluss vom 11. Februar 2016 (LG Kleve)

Rechtsfehlerhafte Anordnung des erweiterten Wertersatzverfalls beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Anordnungsvoraussetzungen; deliktische Herkunft; nicht konkretisierbare Straftaten; Ausschöpfung aller zulässigen Beweismittel).

§ 73d StGB; § 73 StGB; § 29a BtMG; § 33 Abs. 1 Nr. 2 BtMG

Eine Anwendung des erweiterten Verfalls nach § 73d StGB kommt erst in Betracht, wenn nach Ausschöpfung aller zulässigen Beweismittel ausgeschlossen werden kann, dass die Voraussetzungen des § 73 StGB erfüllt sind. Dies hindert es, in dem Verfahren wegen einer Anlasstat, die auf § 73d StGB verweist, Gegenstände dem erweiterten Verfall zu unterwerfen, die der Angeklagte aus anderen, von der Anklageschrift nicht erfassten, aber zumindest möglicherweise konkretisierbaren Straftaten erlangt hat; denn diese Taten können und müssen zum Gegenstand eines gesonderten Strafverfahrens gemacht werden, in dem die Voraussetzungen des vorrangig anwendbaren § 73 StGB zu prüfen sind.


Entscheidung

333. BGH 1 StR 624/15 - Beschluss vom 16. Februar 2016 (LG Landshut)

Reihenfolge der Vollstreckung von Freiheitsstrafe und Maßregel (Vorwegvollzug)

§ 67 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 5 StGB

1. Nach der in § 67 Abs. 1 StGB normierten Grundentscheidung des Gesetzgebers soll möglichst umgehend mit der Behandlung des süchtigen oder kranken Rechtsbrechers begonnen werden, weil dies am ehesten einen dauerhaften Erfolg verspricht. Eine Abweichung von der regelmäßigen Vollstreckungsreihenfolge ist - unbeschadet der Regelung in § 67 Abs. 2 S. 2 und 3 StGB - nur zulässig, wenn hierdurch der Zweck der Maßregel leichter erreicht werden kann (§ 67 Abs. 2 S. 1 StGB). Das Urteil muss in einem solchen Fall auf der Grundlage einer eingehenden, die Persönlichkeit des Angeklagten berücksichtigenden Beurteilung darlegen, wegen welcher besonderen Umstände der Vorwegvollzug der Strafe die Therapie günstiger beeinflussen wird und dass dieses Ziel im Maßregelvollzug nicht in gleicher Weise erreicht werden kann.

2. Hingegen soll das Gericht bei einer verhängten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist (§ 67 Abs. 2 Satz 2 StGB); dies also dann, wenn nicht aus gewichtigen Gründen des Einzelfalls eine andere Entscheidung eher die Erreichung eines Therapieerfolges erwarten lässt. Liegen keine Gründe vor, die gegen eine Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Strafe sprechen, so hat der Tatrichter im Erkenntnisverfahren bei der Bemessung des vorweg zu vollziehenden Teils der Strafe keinen Beurteilungsspielraum mehr. Dieser Teil ist so zu berechnen, dass nach seiner Vollstreckung und einer anschließenden Unterbringung eine Bewährungsentscheidung nach § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB möglich ist. Dies gilt auch in Fällen, in denen neben der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet wurde.


Entscheidung

336. BGH 1 StR 646/15 - Beschluss vom 3. Februar 2016 (LG Hof)

Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen: Voraussetzungen, rein indizielle Bedeutung der Beeinträchtigung der Gesundheit, Arbeits-und Leistungsfähigkeit); nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe (Zäsurwirkung bei mehreren Vorverurteilungen).

§ 64 StGB; § 54 Abs. 1 StGB; § 55 Abs. 1 StGB

Für einen Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition

zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH NStZ 2005, 210). Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits-und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. BGH NStZ-RR 2008,). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen dürften, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hanges aus (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 198).


Entscheidung

357. BGH 2 StR 462/15 - Beschluss vom 19. November 2015 (LG Wiesbaden)

Bildung einer Gesamtstrafe (Zusammentreffen von Geld- und Freiheitsstrafe: grundsätzliche Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe); Rücktritt vom Versuch (Fehlschlag des Versuchs: Bestimmung nach dem Rücktrittshorizont).

§ 52 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 StGB; § 22 StGB; § 23 Abs. 1 StGB; § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB

Nach § 53 Abs. 2 Satz 1 StGB wird in Fällen, in denen Freiheitsstrafe mit Geldstrafe zusammentrifft, regelmäßig auf eine Gesamtfreiheitsstrafe erkannt, weil die Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe in aller Regel günstiger für den Angeklagten ist. Anderes kann in besonderen Fallkonstellationen gelten, in denen die Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe als das schwerere Übel erscheint, etwa weil sie eine Strafaussetzung zur Bewährung erschwert oder verhindert (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 264) oder sonstige nachteilige Folgen für den Angeklagten nach sich zieht (vgl. BGH NJW 1989, 2900).