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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Februar 2016
17. Jahrgang
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1. Zum Konkurrenzverhältnis von Handlungen, die mitgliedschaftliche Beteiligungsakte an einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung darstellen und zugleich den Tatbestand einer anderen Strafvorschrift erfüllen. (BGHSt)
2. Der Senat gibt seine bisherige Rechtsprechung auf, wonach alle mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte an einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit zusammengefasst werden. Vielmehr unterbleibt diese Verknüpfung jedenfalls mit solchen Handlungen, die auch den Tatbestand einer anderen Strafvorschrift erfüllen und der Zwecksetzung der Vereinigung oder sonst deren Interessen dienen. Diese stehen zwar gemäß § 52 Abs. 1 Alt. 1 StGB in Tateinheit mit der jeweils gleichzeitig verwirklichten mitgliedschaftlichen Beteiligung im Sinne des § 129 Abs. 1 Var. 2 StGB, jedoch – soweit sich nach allgemeinen Grundsätzen nichts anderes ergibt – sowohl untereinander als auch zu der Gesamtheit der sonstigen mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte in Tatmehrheit. (Bearbeiter)
3. Mehrere mitgliedschaftliche Beteiligungsakte bilden grundsätzlich eine tatbestandliche Handlungseinheit. Das ergibt sich aus der pauschalisierenden Handlungsbeschreibung des § 129 Abs. 1 Var. 2 StGB. Der Tatbestand selbst, der vorrangig die Allgemeinsrechtsgüter öffentliche Sicherheit und staatliche Ordnung schützt und daher strukturbedingt keine Tatbestandsmerkmale enthält, die unmittelbar auf Individualrechtsgüter bezogene Angriffsobjekte, Angriffsarten oder Taterfolge umschreiben, lässt es angezeigt erscheinen, mehrere Tatbestandsverwirklichungen rechtlich zu einer Tat zusammenzufassen, um so zu einer sinnstiftenden Bestimmung des Einzeldelikts zu kommen. (Bearbeiter)
4. Die tatbestandliche Handlungseinheit umfasst jedoch nicht ohne Weiteres ausnahmslos alle mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte unabhängig von ihrer inhaltlichen Ausgestaltung und insbesondere unabhängig davon, ob sie neben § 129 Abs. 1 StGB auch einen anderen Straftatbestand verwirklichen. Ausgangspunkt für die Bestimmung der Reichweite muss vielmehr der Umstand sein, dass es sich bei der Rechtsfigur der tatbestandlichen Handlungseinheit um eine Konstruktion handelt, die maßgeblich auf rechtlichen Bewertungen beruht. Die für sich betrachtet unnatürliche Zusammenfassung einzelner Handlungen zu einer Gesetzesverletzung bedarf einer materiellen Rechtfertigung. Fehlt eine solche hinsichtlich einer Handlung im natürlichen Sinne, wird diese nicht Teil der Einheit. (Bearbeiter)
5. Die materielle Rechtfertigung für eine Zusammenfassung kann mithin nur in der Gleichwertigkeit verschiedener Handlungen liegen, die anhand ihres jeweiligen Unrechts- und Schuldgehalts zu bestimmen ist. Geht es aber um eine derartige Bewertung einer Handlung, die den Tatbestand des Organisationsdelikts erfüllt, versteht es sich von selbst, dass auch in den Blick genommen werden muss, ob diese daneben weitere Straftatbestände verwirklicht und so einen gesteigerten Unrechtsgehalt aufweist. (Bearbeiter)
6. Der Unrechts- und Schuldgehalt aller Tätigkeiten, die allgemein dem Zusammenhalt und der „Arbeit“ der Organisation dienen, ohne für sich betrachtet strafbar zu sein, liegt in der bloßen Steigerung der genannten Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und – mittelbar – noch unbestimmte (Individual)Rechtsgüter. Sie sind einer weiteren Aufspaltung nicht zugänglich und deshalb zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit zu verknüpfen. (Bearbeiter)
7. Demgegenüber ist die Begehung einer Straftat, die gerade den Zweck der Vereinigung bildet, stets von entscheidender Relevanz für den Unrechts- und Schuldgehalt dieser Handlung. Denn die Verletzung eines Individualrechtsguts kann gegenüber dessen bloßer Gefährdung, der § 129 Abs. 1 StGB (auch) entgegenwirken will, nicht untergeordnet sein. Deshalb unterfällt die diesbezügliche Tätigkeit nicht der tatbestandlichen Handlungseinheit, sondern tritt – idealkonkurrierend mit der eigenständigen, isolierten Erfüllung des § 129 Abs. 1 Var. 2 StGB – in Tatmehrheit zu dieser. (Bearbeiter)
8. Nichts anderes gilt – unabhängig von der Schwere des Unrechtsgehalts – auch für jede sonstige, lediglich den organisatorischen Zusammenhalt oder die Schlagkraft der Organisation fördernde Handlung durch ein Mitglied einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung, sofern dadurch ein gesonderter Straftatbestand verwirklicht wird; auch sie wird nicht Teil der übrigen Handlungseinheit. Dafür spricht zudem, dass auf diesem Wege Probleme bei der Schwerebestimmung vermieden werden, wie sie bereits heute im Zusammenhang mit der sog. „Entklammerung“ auftreten. (Bearbeiter)
9. § 129 Abs. 1 Var. 2 StGB ist kein Dauerdelikt. Ein solches ist gegeben, wenn der Täter einen von ihm begründeten rechtswidrigen Zustand aufrechterhält oder durch tatbestandserhebliche Handlungen weiter verwirklicht. Da es aber nach dem eindeutigen Gesetzeswortlautlaut des § 129 Abs. 1 StGB für die Strafbarkeit nach dieser Vorschrift nicht ausreicht, bloß Mitglied in einer Vereinigung zu sein, begründet das Faktum der Mitgliedschaft keinen rechtswidrigen Zustand; vielmehr ist eine Beteiligung als Mitglied erforderlich, also eine aktive Förderungshandlung, in der sich die Eingliederung des Täters in die Organisation und seine Unterordnung unter deren Willen manifestiert. (Bearbeiter)
1. Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (vgl. BGH NStZ 2011, 699, 702). Die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ist dabei ein wesentlicher Indikator für das Vorliegen beider Elemente des bedingten Tötungsvorsatzes (vgl. BGH NStZ 2015, 216). Hinsichtlich des Willenselements sind neben der konkreten Angriffsweise regelmäßig auch die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit in die erforderliche umfassende Gesamtbetrachtung einzubeziehen.
2. Zwar liegt es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne dabei zu Tode kommen, und dass er, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln beginnt oder fortsetzt, einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (vgl. BGH NStZ 2014, 35). Der Schluss von einer besonders gefährlichen Gewalthandlung auf einen bedingten Tötungsvorsatz ist jedoch nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter auch die im Einzelfall in Betracht kommenden Umstände in seine Erwägungen einbezogen hat, die den Vorsatz in Frage stellen können (vgl. BGH NStZ 2015, 516, 517). Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Täter die Gefahr des Eintritts eines tödlichen Erfolgs ausnahmsweise nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten, ist der Tatrichter verpflichtet, sich hiermit auseinander zu setzen.
3. Diese Grundsätze gelten auch in Fallkonstellationen, in denen ein Angeklagter mit einer scharfen Schusswaffe auf sein Tatopfer schießt (vgl. BGH StV 1997, 7). Zwar handelt es sich in der Regel um eine besonders gefährliche Gewalthandlung, in der bedingter Tötungsvorsatz nahe liegt. Dies enthebt den Tatrichter indes nicht von der Verpflichtung, die subjektive Tatseite unter Berücksichtigung aller für und gegen sie sprechenden Umstände sorgfältig zu prüfen.
1. Art und Ausmaß der „Kampflage“ sind bestimmend für die Frage der Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung; die Beurteilung muss auf der Grundlage einer objektiven Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung erfolgen.
2. An der Erforderlichkeit der Verteidigung durch zwei Schläge mit einer Eisenstange gegen den Kopf des Angreifers fehlt es jedenfalls nicht ohne Weiteres deshalb, weil Schläge gegen den Rumpf oder die Extremitäten ebenfalls möglich gewesen wären. Vielmehr ist zu erörtern, dass und warum dies zu einer sicheren und endgültigen Beendigung des Angriffs geführt hätten. Das kann jedenfalls dann zweifelhaft sein, wenn sich der Angreifer zuvor bereits durch andere Maßnahmen (hier: einen Schlag mit einer Bierflasche gegen den Kopf) sowie durch die offen geführte Eisenstange von weiteren Angriffshandlungen nicht hatte abhalten lassen.
1. Sprengstoffe im Sinne von § 308 Abs. 1, § 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB sind alle Stoffe, die bei Entzündung eine gewaltsame und plötzliche Ausdehnung dehnbarer (elastischer) Flüssigkeiten und Gase hervorrufen, und geeignet sind, dadurch den Erfolg einer Zerstörung herbeizuführen. Es kommt nicht darauf an, ob der Stoff fest, flüssig oder gasförmig ist, ob er Beständigkeit hat oder nur im Augenblick der Herstellung anwendbar und wirksam ist oder ob die Explosion auf Zündung von außen oder auf Selbstzündung beruht (im Anschluss an RGSt 67, 35). (BGHSt)
2. Der Versuch der Beteiligung an einem Verbrechen im Sinne von § 30 Abs. 2 StGB steht mit einer unter Strafe gestellten Vorbereitung dieses Verbrechens jedenfalls dann in Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB), wenn die sich aus § 30 Abs. 1 und 2 StGB ergebende Strafandrohung diejenige für die Vorbereitungshandlung übersteigt (im Anschluss an BGH, Urteil vom 24. Januar 2001 – 3 StR 324/00, BGHSt 46, 266). (BGHSt)
3. Eine Übertragung der Begriffsbestimmungen des novellierten Sprengstoffgesetzes auf § 308 Abs. 1, § 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB verbietet sich. Vielmehr weichen die im Strafgesetzbuch und im Sprengstoffgesetz jeweils verwendeten Begrifflichkeiten schon im Wortlaut voneinander ab und werden überdies auch jeweils in unterschiedlichen Zweckzusammenhängen verwendet. (Bearbeiter)
4. Zwar erfordert die Vorbereitung einer Straftat – hier gemäß § 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB – weitergehende, über deren bloße Verabredung hinausgehende Schritte in Richtung auf die Vollendung. Die Annahme eines Stufenverhältnisses mit der Folge einer Verdrängung der Verabredung verbietet sich in den genannten Fällen jedoch schon aufgrund der in der höheren Strafandrohung für die Verabredung – hier nach § 308 Abs. 1, § 30 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB – zum Ausdruck kommenden gesetzlichen Wertung. (Bearbeiter)
Trotz der generell hohen Gefährlichkeit eines Messereinsatzes versteht sich nicht von selbst, dass dieser i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nach den Umständen des Einzelfalles generell dazu geeignet ist, das Leben des Verletzten zu gefährden. Um dies zu beurteilen, muss vielmehr regelmäßig mitgeteilt werden, auf welche Körperregionen der Angriff mit welcher Intensität geführt wurde.
Seit der Neufassung der Vorschrift durch das 6. Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164) setzt das Vergehen der Vornahme sexueller Handlungen vor einem Kind zwar nicht mehr voraus, dass der Täter dabei in der Absicht handelt, sich, das Kind oder einen anderen sexuell zu erregen. Um eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Ausdehnung der Strafbarkeit zu vermeiden, hat der Bundesgerichtshof die Regelung der § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB aber insoweit einengend ausgelegt, als für die Annahme einer sexuellen Handlung vor einem Kind über deren Wahrnehmung durch das Tatopfer hinaus erforderlich ist, dass der Täter das Kind so in das sexuelle Geschehen einbezieht, dass für ihn die Wahrnehmung der sexuellen Handlung durch das Tatopfer von handlungsleitender Bedeutung ist (vgl. BGHSt 49, 376, 381).