HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 115
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 397/15, Beschluss v. 28.10.2015, HRRS 2016 Nr. 115
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 8. Juni 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten führt entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils.
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
Der Angeklagte und der Geschädigte sind Lkw-Fahrer. Nach einem Trinkgelage unter Fernfahrern auf einem Parkplatz drang der beträchtlich alkoholisierte Geschädigte in die Fahrerkabine des ebenfalls erheblich berauschten Angeklagten ein, in der dieser bereits schlief. Er griff den Angeklagten an oder verhielt sich so, dass dieser sich angegriffen fühlen konnte. Der Angeklagte schubste ihn aus dem Lkw. Der Geschädigte versuchte erneut, in den Lkw zu gelangen, wobei er möglicherweise einen Gegenstand in der Hand hielt. Der Angeklagte ergriff eine leere Bierflasche und schlug sie dem Geschädigten gegen den Kopf. Dieser fiel aus der Fahrerkabine in am Boden liegende Bierflaschen und zog sich Schnittverletzungen am Rücken zu. Der Angeklagte wollte die Beifahrertür schließen, was ihm aber nicht gelang. Er nahm eine neben dem Fahrersitz verstaute Eisenstange und stieg aus, weil er einen neuen Angriff fürchtete. Er ging um den Lastwagen herum. Der Geschädigte war inzwischen aufgestanden. Der Angeklagte forderte ihn auf, sich zu entfernen. Der Geschädigte ging aber auf den Angeklagten los, brachte ihn zu Boden und stürzte selbst. Er riss dem Angeklagten dabei ein Büschel Haare aus, was erhebliche Schmerzen bereitete. Die Kontrahenten kamen wieder auf die Beine. Der Angeklagte schlug dem Geschädigten die Eisenstange mit bedingtem Tötungsvorsatz zweimal auf den Kopf, so dass er mit schweren Kopfverletzungen zusammenbrach. Das Leben des Geschädigten konnte gerettet werden, nachdem der Angeklagte selbst die Rettungskräfte herbeigerufen hatte.
b) Die Schwurgerichtskammer hat hinsichtlich der Schläge mit der Eisenstange eine objektive Notwehrlage angenommen. Diese seien „zur Abwehr des festgestellten Angriffs“ geeignet; eine Androhung des Einsatzes der Eisenstange sei nicht erfolgversprechend gewesen, den „auch nach wiederholt erfolgter Abwehr weiterhin aggressiv auf ihn los gehenden“ Geschädigten hinreichend abzuschrecken (UA S. 14). Jedoch sei es dem Angeklagten ohne weiteres möglich gewesen, den Angriff durch Schläge gegen den Rumpf oder die Extremitäten zu beenden. Er habe daher nicht das relativ mildeste Mittel ergriffen, womit die Verteidigung nicht erforderlich im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB gewesen sei.
2. Das Urteil kann schon deswegen keinen Bestand haben, weil dem Senat aufgrund unklarer, lückenhafter und widersprüchlicher Ausführungen in den Feststellungen, der Beweiswürdigung und der rechtlichen Würdigung keine Überprüfung möglich ist, ob die Schwurgerichtskammer dem Angeklagten zutreffend eine Rechtfertigung wegen Notwehr (§ 32 Abs. 1 StGB) versagt hat. Namentlich ist auch dem Zusammenhang der Urteilsgründe nicht hinreichend zu entnehmen, wie sich die „Kampflage“ unmittelbar vor den beiden Schlägen mit der Eisenstange objektiv darstellte. Während sich aus den Feststellungen nicht eindeutig ergibt, dass der Angriff nach dem beiderseitigen Aufstehen fortdauerte, vielmehr nur von einer Angst des Angeklagten „vor weiteren Angriffen“ die Rede ist (UA S. 6), wird in der rechtlichen Würdigung auf einen „festgestellten Angriff“ bzw. auf ein aggressives „Losgehen“ des Geschädigten auf den Angeklagten abgehoben (UA S. 14 f.). Weder das eine noch das andere findet dabei in der Beweiswürdigung eine hinreichende Stütze. Die Schwurgerichtskammer beschränkt sich dort nämlich auf die Aussage, die Feststellungen zum äußeren Tatablauf beruhten „im Wesentlichen“ auf dem Geständnis des Angeklagten (UA S. 7), ohne die Bekundungen des Angeklagten zur Situation im maßgebenden Zeitpunkt ansatzweise mitzuteilen. Art und Ausmaß der „Kampflage“ sind aber bestimmend für die Frage der Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung; die Beurteilung muss auf der Grundlage einer objektiven Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung erfolgen (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 21. November 2012 - 2 StR 311/12, NStZ-RR 2013, 105, 106; Urteil vom 28. Februar 1989 - 1 StR 741/88, NJW 1989, 3027; Beschluss vom 5. November 1982 - 3 StR 375/82, NStZ 1983, 117).
3. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Sollte das nunmehr entscheidende Tatgericht zu dem Ergebnis gelangen, dass der durch den Geschädigten verübte Angriff im maßgebenden Zeitpunkt unverändert fortdauerte, wird in Übereinstimmung mit den Erwägungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts und der dort zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu erörtern sein, aus welchem Grund bei Schlägen gegen den Rumpf oder die Extremitäten des Geschädigten sicher mit einer endgültigen Beendigung des Angriffs zu rechnen gewesen sein könnte. Dieser im angefochtenen Urteil eingenommenen Sicht könnte widerstreiten, dass sich der Geschädigte unter anderem durch einen Schlag mit einer Bierflasche gegen den Kopf und die durch den Angeklagten vor dem beiderseitigen Niederstürzen offen geführte Eisenstange von weiteren Angriffshandlungen nicht hatte abhalten lassen.
b) Für den Fall, dass es abermals zu einer Verurteilung des Angeklagten kommen sollte, wird zu prüfen sein, ob wegen des hier offensichtlich erfüllten Provokationstatbestandes der ersten Alternative des § 213 StGB eine (weitere) Strafrahmenverschiebung vorzunehmen ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 17. März 2011 - 5 StR 4/11, StraFo 2012, 24 mwN).
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 115
Bearbeiter: Christian Becker