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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Februar 2016
17. Jahrgang
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Von RiLG Dr. Gunnar Helmers, Hamburg[*]
Die Formulierung des Mordtatbestands (§ 211 StGB) ist seit langem Kritik aus Rechtswissenschaft und -praxis ausgesetzt. Kritisiert werden nicht nur einzelne Tatbestandsmerkmale (insoweit vor allem die Merkmale der niedrigen Beweggründe und der Heimtücke[1]). Die Kritik richtet sich generell gegen das vorhandene gesetzliche Konzept, wonach der Tatbestand der vorsätzlichen Tötung eines anderen Menschen bei zusätzlichem Vorliegen mindestens eines der in § 211 Abs. 2 StGB abschließend aufgezählten Merkmale (Mordmerkmale) als Mord qualifiziert wird, dessen Verwirklichung die lebenslange Freiheitsstrafe als Rechtsfolge zur Konsequenz hat. Derzeit werden von Seiten des Bundesjustizministeriums – wieder einmal – Reformbestrebungen betreffend die Systematik der Tötungsdelikte und insbesondere die Formulierung des § 211 StGB unternommen (zur Reformbedürftigkeit des Tatbestands sogleich II.).
Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit der inhaltlichen Ausfüllung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe. Er stellt zugleich einen Beitrag zur aktuellen Reformdiskussion um den Mordtatbestand dar: Kritisiert wird eine derzeit populäre Auffassung, die dahin geht, die Verwendung von "Gesinnungsmerkmalen" sei zur Bestimmung der Mordvoraussetzungen illegitim[2]. Diese Auffassung resultiert aus einer unzutreffenden Einordnung der subjektiven Mordmerkmale in die Kategorien von Unrecht und Schuld (III.) sowie aus dem bisherigen Misslingen, das Merkmal der niedrigen Beweggründe zu Tötungshandlungen durch eine allgemeingültige Formel sachhaltig mit Inhalt zu füllen (IV.). Eine allgemeingültige Bedeutungskonkretisierung dieses Merkmals ist jedoch möglich, so dass sich dieses Merkmal unter Schuldgesichtspunkten – wohl als einziges – zu einem Mordmerkmal sachhaltigen Sinnes eignet (V. – VII.).
Die Erforderlichkeit einer gesetzgeberischen Änderung der Formulierung des § 211 StGB dürfte kaum zweifelhaft sein:
Die Reformbedürftigkeit beruht nicht etwa bloß auf dem unglücklichen Wortlaut der Norm, soweit dieser in atypischer Weise zunächst die Strafdrohung benennt (Absatz 1) und erst in Absatz 2 die Voraussetzungen für die Qualifizierung eines Menschen als "Mörder" merkmalsartig aufgezählt werden. Diese – auf unhaltbare Vorstellungen eines Tätertypus zurückgehenden – Formulierungen in § 211 StGB wären zwar im Rahmen einer Reform zu bereinigen; sie haben jedoch heutzutage so gut wie keine begriffliche oder praktische Relevanz[3]. Soweit das Reform-
erfordernis der Norm mit bloß diesen Formulierungsschwächen begründet wird, erscheint die Diskussion auch ideologisch motiviert[4].
Die Reformbedürftigkeit der Norm beruht vielmehr darauf, dass es unter Schuldgesichtspunkten nicht nachvollziehbar ist, weshalb das vorsätzliche Tötungshandeln aus einem der in der derzeitigen Gesetzesfassung beispielhaft benannten Vorstellungen (Beweggründe und Absichten, subjektive Mordmerkmale) oder die Verwirklichung bestimmter Tötungsausführungsweisen stets und ausschließlich einen anderen Schuldspruch sowie den Strafausspruch der lebenslangen Freiheitsstrafe auslösen soll: Die Norm des § 211 StGB erfüllt inhaltlich ihre Funktion als allgemeines Strafrechtsgesetz nicht[5]. Der katalogartigen, positiv wie negativ abschließenden Aufzählung der Mordmerkmale fehlt es unter Schuldgesichtspunkten schon an einem erkennbaren inneren Zusammenhang[6].
Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hat im Jahr 1981 – im damals zu entscheidenden Fall konfrontiert mit dem Problem der Verwirklichung des Heimtückemerkmals trotz offensichtlichen Fehlens von Höchstschuld – in "verfassungskonformer Rechtsfortbildung" angenommen, bei Mord aus Heimtücke trete auf der Rechtsfolgenseite an die Stelle der lebenslangen Freiheitsstrafe der sich in Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB ergebende Strafrahmen, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, die das Ausmaß der Täterschuld erheblich mindern (sogen. Rechtsfolgenlösung[7]). Eine in der Rechtslehre vorgeschlagene Auslegung des Tatbestands, wonach stets zusätzlich zur Feststellung der Verwirklichung eines Mordmerkmals eine umfassende Gesamtwürdigung aller Tatumstände und der Täterpersönlichkeit daraufhin durchzuführen sei, ob die Tat ggf. als nicht besonders verwerflich erscheine (sogen. "Typenkorrektur"[8]) hat der BGH abgelehnt. Das Kriterium der "besonderen Verwerflichkeit" sei von generalklauselartiger Weite und stelle infolgedessen Berechenbarkeit und Gleichmäßigkeit der die Tatbestandsfrage betreffenden Rechtsanwendung in einem zentralen Bereich des Strafrechts in Frage. Wie im Einzelfall eine – nur noch indizielle – Bedeutung eines Mordmerkmals im Rahmen der Gesamtwürdigung zu veranschlagen sei, sei ungewiss[9].
Die Gefahr, dass ein zusätzliches Erfordernis des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens einer "besonderen Verwerflichkeit" einer Tötungshandlung nicht nach einem nachvollziehbaren – als solchem dargelegten – allgemeingültigen und zugleich konkretisierbaren Maßstab bestimmt werden würde, ist nicht zu leugnen.
Schon bei der Auslegung des ebenfalls auf eine besondere Verwerflichkeit (Vorwerfbarkeit) der Tötungstat abhebenden Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe zeigt sich nämlich dieses Problem: Rechtsprechung und Rechtswissenschaft haben es bislang nicht vermocht, das Merkmal der niedrigen Beweggründe im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB allgemeingültig – nach einer sachhaltigen Formel und nicht bloß kasuistisch – in seiner Bedeutung zu konkretisieren.
Die Formulierung des BGH zur Erläuterung dessen, was niedrige Beweggründe im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB bedeuten, lautet: Beweggründe sind niedrig, wenn sie "nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, durch hemmungslose Eigensucht bestimmt und deshalb besonders verwerflich, ja verächtlich sind"[10].
Dies ist nur eine erneute, ggf. sogar missverständliche Umschreibung des Merkmals, dem keine inhaltlich bestimmende Wirkung zukommt; eine allgemeingültige, sachhaltige Bestimmungsformel ist es jedenfalls nicht. Missverständlich ist die Formulierung deshalb, weil die Bezugnahme auf "Sittlichkeit" als eine Bezugnahme auf
bloße Sitten im Sinne von auf Gewohnheit bzw. gesellschaftliche Übung beruhenden Handlungsregeln verstanden werden kann, obwohl es um "Sitten"-Verstöße in diesem Sinne unter Schuldgesichtspunkten nicht gehen kann.
Diese Sittlichkeits-Formulierung des BGH ist zwar durch Kasuistik erheblich unterfüttert; im Rahmen der einzelnen höchstrichterlichen Entscheidungen wurden inhaltliche Kriterien zur Bestimmung der Niedrigkeit eines Beweggrunds zu einer Tötungshandlung herausgearbeitet.
Die Legitimation der Rechtsprechung sowie die Legitimität des Merkmals der niedrigen Beweggründe als Tatbestandsmerkmal (Mordmerkmal) steht jedoch in Frage, solange eine Formel fehlt, die die inhaltlichen Kriterien vorgibt bzw. determiniert, nach welchen alle möglichen Einzelfälle gleichmäßig und richtig beurteilt werden können[11].
Die Frage des Maßstabs der Bewertung der Niedrigkeit eines Beweggrunds ist in Rechtsprechung und Literatur explizit vor allem thematisiert worden, wenn es um Tötungen aus fremdkulturellen Wertvorstellungen ging ("Ehrenmord", "Blutrache"). Das ist merkwürdig; denn diese Frage stellt sich selbstverständlich stets, wenn eine vorsätzliche Tötungshandlung unter § 211 StGB subsumiert wird.
Der Umstand, dass dieses Thema explizit im Zusammenhang mit Tötungen aus fremdkulturellen Wertvorstellungen auftaucht, indem die Frage gestellt wird, ob auch fremdkulturelle Wertvorstellungen ohne Weiteres unter die "Wertmaßstäbe der BRD" subsumiert werden können[12], ist Ausdruck einer Unsicherheit, die ihre Ursache eben darin hat, dass eine sachhaltige, allgemeingültige Bestimmung des Merkmals bislang nicht vorhanden ist. So wird die Floskel der "Wertmaßstäbe der BRD" bemüht; inhaltlich hilft das nicht weiter.
Die Auffassung, es seien zur Bestimmung der Niedrigkeit eines Tötungsbeweggrunds nach "allgemeiner sittlicher Wertung" die "Wertmaßstäbe der BRD" zu Grunde zu legen, ist schon ihrem Anspruch nach nicht allgemein. Sie hat zwar die vordergründige Plausibiltät für sich, dass die Judikatur der BRD eben auf die Wertmaßstäbe des Landes bzw. ihres Geltungsbereichs rekurriert. Sie lässt aber erstens offen, welches denn die "Wertmaßstäbe der BRD" sind bzw. wie diese zu formulieren sind, sondern tut, als ob es sich dabei um eine empirische Frage handele (was nicht der Fall ist). Damit zusammenhängend bleibt die Richtigkeit des schon nicht klar benannten Maßstabs unausgewiesen[13].
Anstatt die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen – nämlich auf die Verwendung der Floskel der "Wertmaßstäbe der BRD" zu verzichten – vertritt Hörnle umgekehrt die These, es sei die in der Rechtsprechung verwendete Formel der "allgemeinen sittlichen Wertung" aufzugeben, weil sie nicht "für multikulturelle Gesellschaften" passe. Es sei auf eine ethische Wertung zu verzichten; aus "demokratietheoretischen Erwägungen" und Gründen der Gleichbehandlung seien "die Maßstäbe der Rechtsgemeinschaft" zu Grunde zu legen[14].
Dies weicht der Lösung des Sachproblems – der Formulierbarkeit eines allgemeingültig-sachhaltigen Bewertungsmaßstabs für Beweggründe zu Tötungshandlungen unter Schuldgesichtspunkten – wohl auf Basis der (Fehl‑)Vorstellung, dieses Problem sei unlösbar, offen aus. Einen solchen Vorschlag umzusetzen, bedeutete nicht nur keinerlei Verbesserung der Begriffslage. Im Gegenteil: Es soll demnach ganz bewusst auf ein Urteilen nach allgemeingültigen Rechtsbegriffen verzichtet werden und sich so des Legitimitätsanspruchs rechtlicher Entscheidungen entledigt werden – was unmöglich ist.
Allerdings stellt auch ein vertretener Gegenentwurf zum Abstellen auf die "Wertmaßstäbe der BRD" – nämlich der Einbezug anderer faktisch bzw. kulturell vorkommender Wertvorstellungen oder gar dem individuellen Werturteil des jeweiligen (Totschlags-)Täters zur Bestimmung eines allgemein-niedrigen Beweggrunds – keine Alternative dar: Eine dahingehende Tendenz ließ die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Zeit zwischen 1979 und 1994 erkennen, indem entschieden wurde, es bedeute, wenn sich die Tat nach den Wertmaßstäben der BRD als niedrig
darstelle, nicht, dass dies auch "nach allgemeiner sittlicher Wertung" so sei[15].
Wenn in diesem Sinne jedoch weitergehende faktische bzw. kulturelle Wertvorstellungen zur Bestimmung der (objektiven) Niedrigkeit eines Beweggrunds zu einer Tötungshandlung einzubeziehen wären, dann höbe dies das Merkmal der niedrigen Beweggründe überhaupt auf, weil – in letzter Konsequenz – der jeweils handelnde Totschlagstäter mit Durchführung der Tötungshandlung zeigt, dass diese Handlung für ihn aus seinen Beweggründen konkret vertretbar ist.
Insofern lässt sich feststellen: Das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB kann nur unter Zugrundelegung eines (absolut-) allgemeingültigen Bewertungsmaßstabs für Beweggründe zu vorsätzlichen Tötungshandlungen unter Schuldgesichtspunkten definiert werden und nur sofern ein solcher Maßstab formulierbar ist, hat dieses Merkmal seine Berechtigung.
Es bedarf – als Voraussetzung der folgenden Stellungnahme sowohl zur Maßstabsbestimmung als auch zur Legitimität der gesetzlichen Verwendung des Terminus der "niedrigen Beweggründe" als Mordmerkmal – zunächst einer Einordnung der subjektiven Mordmerkmale in die Kategorien von Unrecht und Schuld[16].
Es ist strittig, ob es sich bei den subjektiven Mordmerkmalen um subjektive Unrechtsmerkmale[17] oder um besondere Schuldmerkmale handelt.
Viele halten die subjektiven Mordmerkmale für subjektive Unrechtsmerkmale[18]. Otto mutmaßt gar, das Vorliegen eines subjektiven Mordmerkmals zeige eine "höhere Sozialgefährlichkeit oder -schädlichkeit" des Täters an[19].
Das ist verfehlt.
Es kann, sofern Grundbegriffe des Rechtsdenkens leitend sind, kaum zweifelhaft sein, dass die subjektiven Mordmerkmale keine subjektiven Unrechtsmerkmale, sondern besondere Schuldmerkmale darstellen, die also einen besonderen Schuldgehalt der Tat anzeigen sollen, welcher eben nicht bloßer Reflex der Unrechtsverwirklichung ist[20].
Warum kann es sich bei den subjektiven Mordmerkmalen ausschließlich um besondere Schuldmerkmale handeln?
Die rechtliche Verbindlichkeit bezieht sich in Abgrenzung zur ethischen Verbindlichkeit nur auf das äußere praktische Verhältnis einer Person zu einer anderen. Recht definiert allgemeingültig Zustehensbeziehungen zwischen Menschen, nämlich die dem jeweiligen Menschen als Person im Verhältnis zu jedem anderen zustehende äußere Handlungssphäre einschließlich der interpersonalen Zuordnung von Objekten zu (Sonder‑)Gebrauchsbefugnis (Privatrecht)[21].
Das Motiv einer Handlung bzw. der Beweggrund des Handelnden ist für die Bestimmung des Daseins von Recht und Unrecht irrelevant. Auch die Bestimmung von Art und Umfang (Schwere) von Unrecht – der qualitativen und quantitativen Bestimmung einer Überschreitung der allgemeingültig bestimmten äußeren Zustehenssphären
(vgl. Fn. 21) – fragt in keiner Hinsicht nach der Triebfeder oder dem Motiv bzw. Beweggrund des Verhaltens. Eine nach der Triebfeder einer Handlung fragende Beurteilung ist nur für eine (im engen Sinne) ethische Qualifizierung derselben oder aber – betreffend eine Strafunrechtshandlung – für das Schuldmaß erforderlich.
Dementsprechend sind subjektive Unrechtsmerkmale solche in eine Handlung umgesetzte Vorstellungen bzw. Willensinhalte, die auf Verwirklichung einer äußeren Handlungssphärenverletzung anderer gerichtet sind, etwa der Tatbestandsvorsatz bzw. auf weitergehende Verletzung des tatbestandlich erfassten Rechtsguts gerichtete Willensinhalte wie die Zueignungsabsicht im Sinne des § 242 StGB[22], die Absicht, ein bei Raubbegehung mitgeführtes Werkzeug zu verwenden, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden (§ 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB) oder die Absicht zur Täuschung im Rechtsverkehr bei Fälschung einer Urkunde (§ 267 StGB).
Die subjektiven Mordmerkmale erfassen hingegen Triebfedern bzw. Beweggründe für eine Tötungshandlung; solche erhöhen oder qualifizieren das Unrecht der vorsätzlichen Tötung in keiner Weise[23]. Das Unrecht der vorsätzlichen Tötung ist – abgesehen von Fällen der Einwilligung/des Verlangens in das Getötetwerden und Notwehrtötungen – qualitativ stets Höchstunrecht. Die Person des anderen wird subjektiv-objektiv vollständig vernichtet.
Eine etwaige "höhere Sozialgefährlichkeit" eines Täters (Otto) hat mit Qualität und Maß des Tötungsunrechts nichts zu tun[24]. Ebenfalls unzutreffend ist Klesczewskis dahingehende Annahme, die Mordmerkmale enthielten zumindest dann auch Unrechtselemente, wenn in ihnen weitergehende (Unrechts-)Ziele zum Ausdruck kämen, wie dies beim Merkmal der Habgier, der Befriedigung des Geschlechtstriebs oder der Ermöglichungs-/Verdeckungsabsicht der Fall sei[25]: Solche weitergehenden Absichten betreffen weder Qualität noch Quantität des Tötungsunrechts; sie sind auf Unrechtsebene vielmehr vollständig irrelevant[26].
Zu pauschal ist auch die diesbezügliche Annahme Merkels: Dieser stellt zunächst zutreffend fest, dass auch oder gerade unter Zugrundelegung des freiheitlichen Rechtsbegriffs die Qualität des Unrechts maßgeblich durch Willensinhalte mitbestimmt wird (u.a. bei der Unterscheidung zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsunrecht). Er nimmt jedoch an, wenn "Verletzungsunrecht" vorliege seien bloße Motive geeignet, dessen Gewicht mitzubestimmen[27]. Das übersieht gerade das maßgebliche Unrechtsbestimmungskriterium: Wenn eine Überschreitung (bzw. der Beginn einer Überschreitung) des äußeren rechtlichen Verhältnisses zur Person des anderen das unrechtsbegriffsdefinierende Moment ist, kann der Begriff des "subjektiven Unrechtsmerkmals" nicht widerspruchslos ohne jede Bezugnahme auf eben dieses Kriterium gefasst werden. Subjektive Unrechtsmerkmale zeichnen sich also durch die Gerichtetheit des – zumindest teilweise im Handeln zur Ausführung kommenden – Willensinhalts auf eine äußere Handlungssphärenverletzung aus.
Bei dem Merkmal der niedrigen Beweggründe zu einer Tötungstat kann es sich somit nur um ein besonderes Schuldmerkmal handeln. Rechtsstaatliche Bedenken gegen die Verwendung solcher (Beweggrund-)Merkmale durch den Gesetzgeber ändern – unabhängig davon, ob diese Bedenken begründet sind oder nicht – nichts an dieser grundbegrifflich vorgegebenen allgemeinen Einordnung als besondere Schuldmerkmale. Jedoch trifft jedenfalls der Vorwurf, "Gesinnungsstrafrecht" zu praktizieren – unter Zugrundelegung der vorgestellten Einordnung, die gerade aus der Einsicht in die Irrelevanz von Motiven oder Beweggründen auf der Unrechtsebene folgt – nicht zu.
Dementsprechend muss Mord aus niedrigen Beweggründen die vorsätzliche Tötung eines anderen in Höchstschuld bedeuten[28].
Schuld als selbständige Voraussetzung der Strafbarkeit ist der selbstbestimmte Entschluss zur Unrechtsmaxime (in diesem Sinne stets bezogen auf Strafunrechtsverwirklichung, Fn. 22). Sie setzt als Willensschuld lebensgeschichtlich erworbenes potentielles Normwissen und die dazu erforderte Fähigkeit des praktischen Denkens voraus[29]. Praktisches Handeln mit möglichen Auswirkungen auf andere vollzieht sich stets, indem die jeweilige Verhaltensmaxime – wenn auch meist wie selbstverständlich und aufgrund Verinnerlichung oder Habitualisierung oft nahezu unbemerkt – intersubjektiven Verhaltensregeln (hier relevant: dem Tötungsverbot) subsumiert wird[30]. Das Maß der Tatschuld bemisst sich maßgeblich durch die "Tiefe der Grundsatzverkehrung"[31] bzw. nach dem Grad der Allgemeinheit, mit welchem der Strafunrechtstäter das jeweilige Rechtsgesetz bzw. die implizierte interpersonal-allgemeingültige Zustehensbeziehung für sich selbst als ungültig/unbeachtlich erklärt.
Das die Höchstschuld indizierende Merkmal der niedrigen Beweggründe zu vorsätzlichen Tötungshandlungen erfordert vor diesem Hintergrund eine normative, jedoch weder eine "sittliche", noch eine bloß "gesellschaftliche" und auch keine unmittelbar-"rechtliche" Bewertung der der Tat zu Grunde liegenden Beweggründe (weil solche eben unmittelbar rechtlich-irrelevant sind).
Die Indikation von Höchstschuld bei Vorliegen von "niedrigen Beweggründen" zu Tötungshandlungen kann nur gegeben sein, wenn die Niedrigkeit anhand eines allgemeingültig-ethischen bzw. -moralischen Verhaltensmaßstabs bestimmt wird, der gerade unabhängig von gesellschaftlichen Konventionen und subjektiven Befindlichkeiten gültig ist.
Weil ein allgemeingültiger Verhaltensbestimmungsmaßstab möglich ist, ist auch eine allgemeingültige Bestimmung der Niedrigkeit eines Beweggrunds zu Tötungshandlungen möglich, so dass das Mordmerkmal seine Aufgabe als besonderes Schuldmerkmal erfüllen kann.
Ansatzpunkt ist dabei die menschliche Vernunftfähigkeit als gemeinsames Gleiches aller Menschen als Personen. Vorauszusetzen sind insofern bloß diejenigen Bedingungen, die uns als Menschen in die Lage versetzen, ein einheitliches, intersubjektiv-allgemeines (in diesem Sinne objektives) Begriffssystem überhaupt zu haben.
Wie demnach ein allgemeingültiger, also unabhängig von subjektiven Erfahrungen bzw. Begehren gültiger Maßstab für menschliches Handeln bzw. zur Bestimmung der Richtigkeit/Falschheit desselben zu formulieren ist, hat Immanuel Kant gezeigt: Es ist niemals anders zu verfahren, als so, dass man wollen könne, die Handlungsmaxime solle ein allgemeines Zustehensgesetz[32] werden. Die Ausführung jeder Maxime als subjektivem Handlungsprinzip ("Regel des Handelnden, die er sich selbst aus subjektiven Gründen zum Prinzip macht", Kant, Fn. 33) bzw. die Setzung einer möglichen Maxime zur wirklichen ist so zu bedingen bzw. dergestalt zu bestimmen oder zu beschränken, dass jeder Mensch dabei immer auch als Zweck-an-sich-selbst vorkommt und nicht nur als bloßes Mittel zum Zweck eines anderen[33].
Was folgt daraus für die Frage der allgemeingültigen Bestimmbarkeit der Niedrigkeit von Beweggründen zu Tötungshandlungen unter Schuldgesichtspunkten?
Ein einer vorsätzlichen rechtswidrigen Tötungshandlung zu Grunde liegender Beweggrund kann als Maxime im Sinne einer subjektiven Handlungsregel formuliert werden. Die einer vorsätzlichen rechtswidrigen Tötungshandlung zu Grunde liegende Maxime ist nie verallgemeinerbar; sie kann per se kein allgemeines Zustehensgesetz sein. Die Handlungsmaxime bildet stets eine subjektive Gegennorm zum Tötungsverbot bzw. ist eine vom Täter für sich selbst zugelassene Ausnahme davon ("Ich töte nicht, es sei denn x, y, z…." oder: "Wenn x, y, z…der Fall ist, dann töte ich.").
Insofern setzt der Täter sich durch seinen Beweggrund bzw. in seiner Handlungsmaxime in ein bestimmtes Verhältnis zum Opfer und – nämlich durch die Bedingungen, nach welchen er dieses Opfer aussucht – in ein Verhältnis zu allen anderen Personen.
Daraus folgt:
Der Beweggrund bzw. die Handlungsmaxime definiert den Grad der Allgemeinheit, mit welchem der Täter das Tötungsverbot für sich selbst außer Kraft setzt bzw. negiert. Das ist, eben weil es stets um Verwirklichung des qualitativ schwersten Unrechts, nämlich die vollständige (subjektiv-objektive) Vernichtung einer anderen Person geht, zugleich der Grad der Allgemeinheit, mit welcher der Totschlagstäter die Achtung des anderen als Person negiert.
Ein Beweggrund[34] ist demnach niedrig, wenn der Täter dadurch das Tötungsverbot mit hohem Allgemeinheitsgrad für sich selbst außer Kraft setzt, so dass seine Maxime eine prinzipiell-unbegrenzte Missachtung der Person des anderen offenbart.
Demnach wird ein Beweggrund als niedrig zu beurteilen sein, wenn die handlungsbestimmenden Faktoren bloß-subjektiv dem Belieben des Täters entspringen. Tötung bloß aus Freude an der Vernichtung eines Menschenlebens ("Mordlust"), Rassenhass oder ähnliche bloß subjektive Setzungen wie Differenzierungen nach Geschlecht, Alter, Aussehen etc. stellen solche prinzipiell-grenzenlosen, subjektiven Bedingungen dar.
Hingegen liegt unter einer der folgenden Voraussetzungen – mangels weiter subjektiver Bedingung des Tötungsverbots – kein niedriger Beweggrund zu einer Tötungshandlung vor:
a) Ein niedriger Beweggrund ist zu verneinen, wenn das Opfer zuvor normativ greifbar, das heißt rechtswidrig oder zumindest in erheblicher Weise durch ethisches Fehlverhalten in den Bereich des Täters eingedrungen war und dadurch die Tötungsmaxime mitbeeinflusst (wenngleich nicht im Sinne eines Er- oder gar Bewirkens mitbestimmt) hatte. In Betracht kommen durch das spätere Opfer begangene schwere Rechtsverletzungen zum Nachteil des Täters oder ihm nahestehender Personen sowie ethisch-verwerfliche Provokationen, wenn diese Fehlhandlungen zur Fassung und Ausübung des Tötungsentschlusses mitbestimmend sind[35];
b) Auch nicht abgenötigte Einwilligungen oder gar Verlangen des späteren Opfers in das bzw. zum Getötetwerden, die für den Täter handlungsbestimmend sind, schließen das Vorliegen eines niedrigen Beweggrunds aus;
c) Veränderungen der Natur/Umwelt, die den zum Unverletzt-Aneinander-Vorbeikommen vorhandenen Raum für Täter und Opfer verengen, schließen das Vorliegen eines niedrigen Beweggrunds jedenfalls dann aus, wenn sie die Voraussetzungen von Notständen im Sinne von § 35 StGB erreichen bzw. der Täter davon zumindest in tatsächlicher Hinsicht ausgeht.
Solche Umstände – seien sie vom späteren Opfer personal gesetzt (a) und b)) oder sich Täter und Opfer äußerlich aufdrängend (Notstandssituationen, c)) – verengen die Ausnahme bzw. subjektive Bedingung des Tötungsverbots, als welche die im Beweggrund auffindbare Handlungsmaxime zu betrachten ist.
Die in der Rechtsprechung des BGH im Laufe der Zeit entwickelten Kriterien zur Bestimmung des Vorliegens/Nichtvorliegens eines "niedrigen Beweggrunds" im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB sind weitgehend zutreffend, weil sie aus dem dargelegten Maßstab folgen bzw. letzterer – wenn auch bislang unformuliert – ihrer Genese zu Grund liegen dürfte.
Hier ist nicht der Rahmen, um die Rechtsprechung des BGH zu den niedrigen Beweggründen im Einzelnen auf Konformität mit dem genannten Begriff zu überprüfen. Beispielhaft sei lediglich angeführt, dass es dem hier Dargelegten in der Sache nahekommt, wenn der BGH etwa ausführt, Mord aus niedrigen Beweggründen könne auch dann vorliegen, wenn der Täter "in dem Bewusstsein handelt, keinen Grund für eine Tötung zu haben oder zu brauchen" oder wenn er bewusst seine frustrationsbedingten Aggressionen an einem unbeteiligten Opfer abreagiert[36]. Gegen diese Entscheidung wendet sich Saliger mit der Argumentation, schon der allgemeine Sprachgebrauch ("grundlos") verbiete es, eine solche Tötung aus einem Nicht-Grund als "niedrigen Beweggrund" zu definieren[37]. Das ist eine der Sache nach unbegründete Kritik. Zwar hätte der BGH den Terminus ("keinen Grund für die Tötung") vermeiden sollen. Jedoch lässt die Entscheidung ihre inhaltliche Richtigkeit aus sich heraus erkennen: Der BGH führt aus, dass die Tötung eines Menschen, zu der der Täter weder durch das Verhalten des Opfers noch durch sonstige, außerhalb seiner Person liegende Umstände veranlasst worden ist, das Vorliegen von niedrigen Beweggründen nahelegt[38]. Wenn der für den Handelnden hinreichende Tötungs-
grund darin liegt, einen (letztlich beliebig auserwählten) anderen Menschen als Mittel zum Abreagieren von eigener Wut, Gereiztheit oder sonstiger vom Opfer nicht zu verantwortender Emotionen durch Tötung zu benutzen, so stellt die im Beweggrund auffindbare Handlungsmaxime – wegen der grenzenlosen Reichweite der subjektiven Ausnahme vom Tötungsverbot – einen niedrigen Beweggrund dar: Wer aufgrund von eigenem Unwohlsein eine andere, an dem subjektiv als unbefriedigend eingeschätzten eigenen Zustand völlig unbeteiligte Person tötet, um sich abzureagieren, handelt aus einer Verhaltensmaxime, welche als Ausnahme vom Tötungsverbot so weite und beliebige Voraussetzungen hat, dass das Tötungsverbot für überhaupt aufgehoben erklärt wird ("Ich töte nicht, es sei denn, dass es mir passt"). So etwas ist nicht wesentlich verschieden von der Tötung bloß aus Freude an der Vernichtung eines Menschenlebens ("Mordlust")[39].
Was Tötungen aus fremdkulturellen Wertvorstellungen ("Blutrache", "Ehrenmord") angeht, so werden niedrige Beweggründe vorliegen, wenn der Täter das Opfer in seinem Beweggrund unter für das Opfer zufällige, subjektive Wertvorstellungen presst[40]. So sind Tötungen etwa der Schwester oder Tochter deshalb, weil diese einen nach Meinung des Täters unpassenden Partner ausgewählt hat oder sonst einen dem Täter nicht passenden Lebensstil ausübt, als Mord aus niedrigen Beweggründen zu qualifizieren. Ob ggf. eine Vielzahl anderer Personen oder gar ganze "Kulturen" die subjektive Wertvorstellung des Täters teilen, spielt dabei keine Rolle. Auch die Biografie des Täters ist insoweit nicht von maßgeblicher Bedeutung[41].
Keine niedrigen Beweggründe liegen hingegen vor, wenn motivbildend- und handlungsbestimmend für die Tötungstat Enttäuschung aufgrund von ethischem oder rechtlichem Fehlverhalten des Opfers zum Nachteil
(auch) des Täters war. Grenzwertig mag insofern etwa sein, wenn ein Mann eine Frau tötet (oder umgekehrt), weil – nachdem beide willentlich eine länger währende und ernsthafte Beziehung mit Exklusivitätsversprechen eingegangen waren – der andere heimlich etwa sexuelle Beziehungen mit anderen aufnimmt und so begründetes Vertrauen erheblich enttäuscht. Hier zeigt die Maxime einerseits zwar den überheblich erscheinenden Besitzanspruch des Täters; andererseits ist dieser Besitzanspruch jedoch nicht rein subjektiv gesetzt, sondern beruht auf einem frei abgegebenen (ggf. konkludenten) Versprechen des Opfers gegenüber dem Täter, dessen Inhalt für den späteren Täter selbst verhaltensbestimmend war und ein besonderes Vertrauen auslöste. In Abgrenzung dazu sind niedrige Beweggründe unproblematisch zu bejahen, wenn etwa eine Frau auf Drängen ihres Vaters oder Bruders diesen eine Unterwerfung ihres privaten Lebensstils unter die Familien- oder Heimatsitten verspricht, sie sich nicht daran hält und deswegen getötet wird: Dieser Versprechensinhalt geht den Vater oder Bruder nichts an. Ein solches Versprechen kam nur deshalb zu Stande, weil die Versprechensempfänger die Person der Tochter/Schwester schon zuvor unter eigene (Kultur‑)Vorstellungen unterordneten und deren Selbstunterwerfung erwarteten; zur zukünftig-permanenten Befolgung von bloß gesellschaftlichen Sitten ohne objektiv-normative Gültigkeit[42] kann sich niemand gegenüber einem anderen dauerhaft-bindend verpflichten.
Die fortsetzbare Beurteilung weiterer Einzelfälle unter dem dargelegten Begriff der niedrigen Beweggründe muss an dieser Stelle unterbleiben. Es soll jedoch knapp skizziert werden, was aus dem genannten Maßstab für die Beurteilung von empirisch relativ häufig vorkommenden Affekt-Tötungstaten folgt (1.) und wie sich das Verhältnis des besonderen Schuldmerkmals der niedrigen Beweggründe (im beschriebenen Sinne) zu den allgemeinen Schuldmerkmalen darstellt (2.).
Affekte sind nicht per se gegennormbeschränkende – die Reichweite der subjektiven Ausnahme vom Tötungsverbot inhaltlich verengende – Umstände, weil sie an sich ethisch indifferent sind[43]. In ihnen kommt jedoch meist (auch) eine Normeinstellung zum Ausdruck; es ist bei jeder Affekttat zu prüfen, welche das ist: Etwa dürften bei Vorliegen von auf Schwäche basierenden Affekttaten in Nähebeziehungen (Affekttötung als Ergebnis langfristig aufgestauter Konflikte in vermeintlich auswegloser Situation) niedrige Beweggründe im dargestellten Sinne in der Regel nicht vorliegen. Die Umsetzung eines unmittelbaren Impulses zu einer vorsätzlichen Tötung stellt dann kein Töten aus niedrigen Beweggründen dar, wenn er auf Schwäche des Täters beruht, die in zurechenbarer Weise durch (Fehl-)Verhalten des späteren Opfers mitverursacht ist[44]. Anders ist dies, wenn der Affekt selbst etwa auf einer Grundhaltung der über Individuumsgrenzen hinweggehenden Unbeherrschtheit im Sinne einer habitualisierten Überheblichkeit gegenüber anderen beruht[45].
Das besondere Schuldmerkmal der niedrigen Beweggründe im hier dargelegten Sinne harmonisiert mit den allgemeinen Schuldmerkmalen:
Zur Feststellung des Vorliegens des besonderen Schuldmerkmals der niedrigen Beweggründe – bei der Prüfung des Allgemeinheitsgrades, mit welchem der Täter das Tötungsverbot in seiner konkreten Handlungsmaxime für sich selbst als unbeachtlich erklärt – werden die insoweit relevanten, die Tatschuld betreffenden Aspekte des § 46 Abs. 2 StGB miterfasst.
Umstände, welche eine Einschränkung bzw. Aufhebung von Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit begründen können, sind lediglich im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB maßgeblich. Das dargestellte allgemeinverbindliche Verfahren zur Inhaltsbestimmung des besonderen Schuldmerkmals der niedrigen Beweggründe ist also auf jede vorsätzliche Tötung anzuwenden; die Berücksichtigung von subjektsbezogenen Unterschieden erfolgt nur unter den Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB[46]. Dass ein unter den Voraussetzungen des § 20 StGB zur Tatzeit schuldlos Handelnder demnach den Tatbestand des Mordes verwirklichen kann, stellt – ebenso wie nach der aktuellen Fassung des Mordtatbestands – kein begriffliches Problem dar. Werden die Voraussetzungen des § 20 StGB in Bezug auf eine Tötung aus niedrigen Beweggründen festgestellt, bedeutet dies also die Feststellung einer für ein vernunftfähiges/zurechnungsfähiges Subjekt generell besonders vorwerfbaren Höchstunrechtstat eines im Tatzeitpunkt Schuldunfähigen.
Die Voraussetzungen der §§ 33, 35 StGB schließen das Vorliegen von niedrigen Beweggründen nach dem dargelegten Begriff materiell aus, weil der Beweggrund unter diesen Umständen stets eine nur enge subjektive Ausnahme von Tötungsverbot beinhaltet.
Eine "individuelle Unzuständigkeit für die Fehlorientierung" im Sinne Saligers[47], der etwa in Bezug auf ausländische Täter unter Rückgriff auf den Rechtsgedanken des § 17 StGB zur Prüfung einer "Quasi-Vermeidbarkeit" eines Wertungsirrtums Aspekte wie Dauer des Inlandsaufenthaltes, Erkenntnisfähigkeiten des Täters, Maß der sozialen Integration und Alter bei der Einreise berücksichtigen will, gibt es nicht: Für das Urteilen und Handeln nach dem dargestellten Maßstab ist jeder Mensch aufgrund seines Menschseins – unabhängig von Staatsangehörigkeiten und persönlichen Kulturvorstellungen – "zuständig".
Unter den Voraussetzungen, nach welchen niedrige Beweggründe zu bejahen sind, dürfte ein Verbotsirrtum (§ 17 StGB) einer vollverantwortlich handelnden Person – eben wegen der Allgemeinheit, mit der diese Person anderen das Lebensrecht absprechen müsste – kaum denkbar sein. Wenn man einen solchen, nur theoretischen Fall (eine zurechnungsfähige Person tötet einen anderen Menschen aus einem bloß subjektiv-beliebig gewählten Anlass und nimmt an, eine solche Tötung sei in der BRD nicht verboten) bloß probeweise unter dem dargelegten Begriff beurteilt, so ergibt sich diesbezüglich: Ein solcher Irrtum hätte keine schuldmindernde Bedeutung; die fehlende Kenntnis der Rechtswidrigkeit der Tat wäre kein schuldmindernder, sondern ein schuldsteigernder Umstand. Es wäre rechtsfehlerhaft, hier die (fakultative) Strafmilderung gemäß §§ 17 Satz 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen[48].
Wie dargelegt ist das Merkmal der niedrigen Beweggründe nach einer allgemeingültigen Formel in seiner Bedeutung konkretisierbar, so dass es sich als Mordmerkmal sachhaltigen Sinnes eignet, weil sein Vorliegen bei vorsätzlichen Tötungshandlungen Höchstschuld anzeigt. Das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe dürfte sogar das einzige Mordmerkmal sein, welches diese Aufgabe erfüllt.
Diese These soll abschließend knapp begründet werden, indem die sonstigen, in § 211 Abs. 2 StGB genannten Mordmerkmale mit dem hier dargelegten Maßstab abgeglichen bzw. unter diesen subsumiert werden.
Die Mordmerkmale der "Mordlust"[49] und der Habgier in ihren durch die Rechtsprechung erarbeiteten Bedeutungen[50] sind bloß Beispiele für niedrige Beweggründe im hier darstellten Sinne. Deren Vorliegen zeigt stets Höchstschuld der vorsätzlichen rechtswidrigen Tötung an. Dies ergibt sich der Sache nach jedoch aus der hier dargelegten Formel zur Bestimmung der Niedrigkeit von Beweggründen zu Tötungshandlungen: Weder die Tötung aus bloßer Freude an der Vernichtung eines Menschenlebens (dem reinen Belieben des Täters) noch aus eigenem Gewinnstreben verengen die subjektive Ausnahme, welche die entsprechende Handlungsmaxime des Täters in Bezug auf das Tötungsverbot darstellt; diese ist prinzipiell-grenzenlos[51]. Die gesetzliche Benennung solcher Beispiele für niedrige Beweggründe ist nicht zu beanstanden; sie ist jedoch sachlich nicht erforderlich.
Diese Merkmale sollten im Rahmen einer Reform des Mordtatbestands entfernt werden. Sie sind nur insoweit Mordmerkmale sachhaltigen Sinnes (Höchstschuld der vorsätzlichen Tötung anzeigende Merkmale), wie ihr Vorliegen zugleich das Vorliegen eines niedrigen Beweggrunds im hier dargelegten Sinne ist. Das dürfte zwar in der Mehrzahl der praktisch vorkommenden Fälle von Tötungen zur Befriedigung des Geschlechtstriebs oder zur Ermöglichung oder Verdeckung einer anderen Straftat der Fall sein: Vorsätzliche Tötungen zur Triebauslebung werden in der Regel ebenso wie Tötungen zur Erreichung von bloß dem Belieben des Täters entspringenden Zwecken prinzipiell-grenzenlose subjektive Bedingungen des Tötungsverbots bzw. prinzipiell-grenzenlose Missachtungen des Lebensrechts anderer darstellen. Jedoch sind Verurteilungen wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe trotz Fehlens von Höchstschuld nach diesen Merkmalen nicht ausgeschlossen: So ist der Tötungsbeweggrund "zur Befriedigung des Geschlechtstriebs" dann kein im beschriebenen Sinne niedriger Beweggrund, wenn eine Einwilligung oder gar ein Verlangen des Opfers für den Täter Bedingung der Ausführung des Tötungsentschlusses ist. So war es im Fall des sogen. "Kannibalen von Rotenburg"[52]. Der BGH gab dem Landgericht Frankfurt a.M. bei Zurückverweisung der Sache nach Aufhebung des wegen Totschlags verurteilenden Urteils des Landgerichts Kassel die – dann auch erfolgte – Verurteilung wegen Mordes zur Befriedigung des Geschlechtstriebs sowie zur Ermöglichung der Störung der Totenruhe vor. Diese Entscheidung beruht auf dem geltenden Recht; sie stellt sich unter Schuldgesichtspunkten trotzdem als verfehlt dar: Nach den Feststellungen war die (faktische) Einwilligung des späteren Opfers zu seinem Getötetwerden sowie zu dem anschließenden Umgang mit der Leiche – die zudem keine bloße Zustimmung war, sondern in einem auch vom Opfer ausgehenden Drängen lag – für den späteren Täter erforderliche Bedingung der Umsetzung seines Tötungsentschlusses. Auch wenn die Einwilligung konkret kein bestimmendes Verlangen im Sinne von § 216 StGB gewesen sein mag, war sie für den Täter mit-handlungsleitend bzw. beweggrundbestimmend: Sie verengte die subjektive Bedingung des Tötungsverbots, die die im konkreten Beweggrund des Täters auffindbare Handlungsmaxime darstellt. Dies berücksichtigte der BGH in dieser Entscheidung in keiner Weise: Er beurteilte den – gewiss atypischen und mit als eklig zu bezeichnenden Details gespickten – Sachverhalt genau so, als hätte jemand ganz einseitig (beliebig) einen anderen Menschen ausgewählt und diesen ohne/gegen dessen faktischen Willen geschlachtet und teilweise verspeist. Letzteres wäre jedoch zweifellos ein unter Schuldgesichtspunkten anderer Fall[53], nämlich die Tötung aus einem niedrigen Beweggrund nach der dargelegten Formel[54].
Einen niedrigen Beweggrund in einem sachhaltigen Sinne stellt aus denselben Gründen auch die – in der Kannibalenentscheidung bejahte – Tötung zur Ermöglichung der Störung der Totenruhe nicht dar. Es ist unter Schuldgesichtspunkten unergründlich, weshalb angenommen wird, der Täter ("Kannibale") habe eine vorsätzliche Tötung eines anderen in Höchstschuld verwirklicht, weil er in der Absicht handelte, mit der Leiche wie vom Getöteten gewünscht umzugehen, was jedoch das "Pietätsempfinden" anderer verletze (die nach Vorstellung von Täter und Opfer zudem nie davon erfahren sollten).
Gerade solche Entscheidungen zeigen, dass der Mordtatbestand tatsächlich reformbedürftig ist, weil Verurteilungen ohne Vorliegen von Höchstschuld vorkommen[55].
Das Mordmerkmal der Straftatverdeckungsabsicht ist als Mordmerkmal zumindest überflüssig: Wie Schneider zutreffend ausführt, ist etwa die Tötung zur Verdeckung einer bloßen Ordnungswidrigkeit oder "in dem Bestreben, das Bekanntwerden eines rechtlich belanglosen, nur moralisch anstößigen Verhaltens zu verhindern, um befürchtete sozialabträgliche Weiterungen bereits im Keime zu ersticken, erst recht als Mord aus niedrigen Beweggründen zu klassifizieren"[56]. Insofern ist es nicht sinnvoll, die Straftatverdeckungsabsicht als bloß eine von zahlreichen sonstigen Absichten, die einen niedrigen Beweggrund zu einer Tötungshandlung darstellen können, in die gesetzliche Formulierung des Mordtatbestands aufzunehmen.
Als Mordmerkmale sachhaltigen Sinnes – nämlich als zwingende Indikatoren für Höchstschuld – eignen sich die objektiven Mordmerkmale (Tatausführungsweisen) nicht. Durch eine vorsätzliche Tötung wird das Rechtsgut Leben total verletzt (die Person des anderen vernichtet). Das Maß der diesbezüglichen Vorwerfbarkeit hängt – für sich betrachtet – nicht davon ab, ob der Täter daneben auch noch sonstiges, ggf. schweres Unrecht verwirklicht.
Wird etwa bei der grausamen Tötung erhebliches Körperverletzungsunrecht zum Nachteil des später Getöteten verwirklicht, so muss dies zwar sowohl im Schuldspruch als auch in der Rechtsfolge Berücksichtigung finden; Höchstschuld in Bezug auf die Tötung an sich indiziert es hingegen nicht. Wenn – um ein verwendetes Beispiel nochmals zu bemühen – ein Elternteil denjenigen, der zuvor dessen Kind grausam tötete, aus Rache vorsätzlich, geplant und grausam tötet, so verwirklicht die vorsätzliche Tötung qualitativ Höchstunrecht und die vorangegangene Körperverletzung weiteres schweres Unrecht; beides ist dem Täter (der Täterin) vorwerfbar und zieht notwendig eine schwere Strafe nach sich. Höchstschuld ist hier jedoch nicht gegeben (siehe Fn. 43).
Dass ein bestimmtes "Tatbild" Anlass sein kann, das Vorliegen eines niedrigen Beweggrunds genauestens zu prüfen, weil darin ggf. ein solcher zu Ausdruck kommt, ist zutreffende Rechtsprechung des BGH[57]. Das Tatbild bzw. die Tatausführungsweise begründet aber eben an sich keine Höchstschuld.
Dasselbe gilt für das Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel: Der Umstand, dass eine Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln oftmals aus einem im hier dargelegten Sinne niedrigen Beweggrund erfolgen wird, sollte nicht dazu verleiten, diese Tatausführungsweise als Mordmerkmal zu betrachten. Ein solches muss Höchstschuld allgemein – für jeden Fall seines Vorliegens – anzeigen.
Das Merkmal der Heimtücke ist im Rahmen einer Reform zu entfernen. Seine Verwirklichung indiziert keineswegs Höchstschuld.
Entgegen einer häufig vertretenen Auffassung in der Diskussion um die Änderung des Tatbestands des § 211 StGB ist das Mordmerkmal der "niedrigen Beweggründe" nicht nur durch eine allgemeingültige (befindlichkeits- und kulturunabhängige) Formel in seiner Bedeutung strikt konkretisierbar, so dass es sich unter Schuldgesichtspunkten zur Differenzierung zwischen Mord und Totschlag eignet. Es handelt sich bei diesem besonderen Schuldmerkmal wohl um das einzig geeignete Mord-
merkmal: Die vorsätzliche rechtswidrige Tötung eines anderen Menschen ist nämlich ein qualitativ nicht steigerbares und insbesondere weder durch subjektive Merkmale (Beweggründe, Absichten) noch durch bestimmte Tatausführungsweisen zu qualifizierenden Unrecht (die vollständige Vernichtung der Person des anderen). Die Tatschuld bestimmt sich diesbezüglich maßgeblich durch den Grad der Allgemeinheit, mit welchem der Täter das Tötungsverbot für sich selbst (subjektiv) für ungültig erklärt. Der konkrete Beweggrund bzw. die darin auffindbare konkrete Handlungsmaxime als subjektive Handlungsregel definiert diesen Grad der Allgemeinheit der subjektiven Unbeachtlichsetzung des anderen als Person: Der Täter setzt sich in seinem Beweggrund bzw. in seiner Handlungsmaxime in ein bestimmtes Verhältnis zum Tötungsopfer und – durch die Bedingungen, nach welchen er dieses Opfer aussucht – in ein Verhältnis zu allen anderen Personen.
Beweggründe zu vorsätzlichen rechtswidrigen Tötungshandlungen sind somit niedrig, wenn der Täter dadurch das Tötungsverbot mit hohem Allgemeinheitsgrad für sich selbst außer Kraft setzt, so dass seine Maxime eine prinzipiell-unbegrenzte Missachtung der Person des anderen offenbart. Das ist der Fall, wenn die handlungsbestimmenden Faktoren bloß-subjektiv dem Belieben des Täters entspringen (Auswahl des Opfers nach bloß-subjektiven Differenzierungen wie Geschlecht, Alter, Aussehen, Nationalität etc.). Ausgeschlossen sind niedrige Beweggründe hingegen, wenn entweder das Opfer durch vorangegangenes, ethisch verwerfliches oder rechtswidriges Fehlverhalten zum Nachteil des Täters (oder ihm nahestehender Personen) in dessen Bereich eingedrungen war oder in sein Getötetwerden (ungenötigt) eingewilligt hatte und diese Verhaltensweise für die Setzung oder Ausführung der Tötungsmaxime mitbestimmend ist. Die Abhängigmachung der Tötung eines anderen von solchen Umständen verengt die subjektive Ausnahme, die der Täter für sich selbst vom Tötungsverbot zulässt. Dasselbe gilt, wenn es sich um Notstandstötungen handelt[58].
Nach diesem Begriff können vorsätzliche Tötungen ohne Rekurs auf etwa bloß kulturelle oder gar "emotionale"[59] Reflexe – sondern strikt nach ihrem Schuldumfang – als Mord identifiziert werden. Das trifft auf die sonstigen Mordmerkmale hingegen nicht zu, sofern diese nicht zugleich notwendig auch die Voraussetzungen niedriger Beweggründe im hier dargelegten Sinne enthalten[60].
Dass die gerichtliche Feststellung eines handlungsleitenden Beweggrunds schwierig sein kann, ist kein erheblicher Einwand gegen die Verwendung dieses "Gesinnungsmerkmals": Subjektive Elemente (innere Geschehnisse) sind notwendiger Weise Gegenstand der Tatsachenfeststellung, weil sie als subjektive Unrechtsmerkmale (Tatbestandsvorsatz, weitergehende Verletzungsabsichten in Bezug auf das tatbestandlich erfasste Rechtsgut) das Unrecht und als Beweggründe, Ziele, Gesinnung und Willensaufwand (§ 46 Abs. 2 StGB) die Schuld maßgeblich definieren[61].
Es dürfte nicht schwer fallen, im Rahmen einer – zweifellos gebotenen – Neufassung des Mordtatbestands das Merkmal der niedrigen Beweggründe zu Tötungshandlungen im dargelegten Sinne gesetzlich zu konkretisieren[62]. Auf weitere Mordmerkmale sollte verzichtet werden.
* Der Autor ist tätig als Richter am Landgericht in Hamburg und Strafrechtsreferent des Gemeinsamen Prüfungsamts der Länder Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein beim Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg.
[1] Während die größten Bedenken unter Schuldgesichtspunkten im Zusammenhang mit dem Merkmal der Heimtücke aufgetaucht sind, hat das Merkmal der niedrigen Beweggründe wohl die größten Auslegungsprobleme aufgeworfen.
[2] Unter anderem Deckers/Fischer/König/Bernsmann NStZ 2014, 9, 16, fordern eine Abkehr von der Anknüpfung der Höchststrafe an "moralisch aufgeladene Gesinnungsmerkmale"; entsprechend Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins (DAV) durch den sogen. "Ausschuss Strafrecht" zur Reform der Tötungsdelikte aus Januar 2014, S. 3.; vgl. auch Hörnle NJW 24/2014, Beilage 2/2014, S. 37. Die vom Justizminister beauftragte Expertengruppe zur Reform der Tötungsdelikte ist sowohl hinsichtlich der Einordnung des Mordtatbestands in die Kategorien von Unrecht und Schuld, als auch hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmungen zu keiner einheitlichen Auffassung gelangt, vgl. deren Abschlussbericht vom 29.06.2015, S. 40 ff., veröffentlicht auf der Internetseite des Bundesjustizministeriums unter www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/Artikel/Abschlussbericht_Experten_Toetungsdelikte.html (Stand November 2015).
[3] Allein relevant dürfte diese an eine Tätertypenlehre angelehnte Formulierung noch insoweit sein, wie nicht alle Strafsenate des BGH ihre – durch die atypische Formulierung wohl mitbegründete – unzutreffende Annahme aufgegeben haben, es handele sich beim Delikt des Mordes um ein aliud gegenüber dem Totschlag mit "arteigenem Unrecht" (so BGHSt. 1, 368, 370-371; BGHSt. 22, 375, 377; Aufgabe der Sache nach jedoch vorgenommen vom 5. Strafsenat mit Urteil vom 10.01. 2006, 5 StR 341/05 = HRRS 2006 Nr. 219). Eine praktische Relevanz dahingehend, dass ein Richter oder Staatsanwalt bloß durch den an die Tätertypenlehre angelehnten Wortlaut an sich zu unrechtlichen Entscheidungen verleitet würde, besteht jedoch nicht.
[4] Es erscheint im Übrigen widersinnig, aus der – der Tätertypenlehre entstammenden – Formulierung des § 211 StGB den Bedarf zur Änderung der nunmehr fast 75 Jahre alten Norm abzuleiten, während die aktuelle Strafgesetzgebung zur "Terrorismusbekämpfung" ähnliche Fehler produziert. So wird etwa in § 89a Abs. 1 StGB zunächst die bloße und nicht weiter konkretisierte "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat" unter Strafe gestellt, während diese Norm dann gemäß Absatz 2 nur unter bestimmten Voraussetzungen auf den – eben nur vermeintlich schon als solchen bestimmten – "Täter" dessen (den Vorbereiter) "anzuwenden" sein soll. Wird diese Formulierung ernstgenommen, so verstößt § 89a Abs. 1 StGB zweifellos gegen das Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) und das sogen. Übermaßverbot, während § 89a Abs. 2 StGB gegen das Legalitätsprinzip verstößt, welches gemäß § 3 GG ebenfalls Verfassungsrang hat. Ein nicht auf konkrete äußere Tathandlungen angewiesener (Un-)Begriff eines bösen/gefährlichen Terroristen – der schon als solcher eine Strafe verdient – liegt dem in dieser Normformulierung zum Ausdruck kommenden Denken offensichtlich unausgesprochen zu Grunde (strafrechtsbegrifflich absurd auch die nochmalige Vorverlagerung in § 89a Abs. 2a StGB durch Bestrafung bloßer Ausreiseversuche); zur Illegitimität einer solchen Präventivstrafgesetzbebung vgl. Köhler, Der Begriff der Strafe, 1986, S. 5 ff.; ders. Strafrecht AT, 1997, S. 22 ff.; Zaczyk, Staat und Strafe, in: Landwehr (Hrsg.), Freiheit, Gleichheit, Selbständigkeit, 1999, S. 73 ff.; Helmers ZStW 121 (2009), S. 516 ff.; deutlich gegen das "Bekämpfungsstrafrecht" auch Fischer NStZ 2004, S. 476, 478 .
[5] Dass "jede Strafe…in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Straftat und zum Verschulden des Täters stehen" muss (BVerfG, Urteil vom 21. 6. 1977, 1 BvL 14/76), ist ein unbezweifelbares Verfassungsgebot.
[6] Zutreffend stellt Köhler fest, dass etwa zwischen den Merkmalen der niedrigen Beweggründe und der Heimtücke ein gespanntes Verhältnis möglich sein kann, weil ein heimtückisches Tötungshandeln im Sinne der Ausnutzung einer auf Arglosigkeit beruhenden Wehrlosigkeit eines anderen keineswegs aus einem besonders verwerflichen Motiv bzw. Beweggrund geschehen muss; vgl. Köhler JuS 1984, 762, 765.
[7] BGH, Beschluss vom 19. Mai 1981, GSSt 1/81.
[8] Darstellung etwa bei Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, 29. Auflage 2014, § 211, Rn. 9 f. m.w.N.
[9] BGH, a.a.O. (Fn. 7).
[10] BGH, Urteil vom 25. Juli 1952, 1 StR 272/52 (BGHSt. 3, 132-134).
[11] Vor diesem Hintergrund ist die Annahme, eine inhaltliche Ausfüllung dieses Merkmals sei unvermeidlich bloß subjektiv (so etwa Schneider, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Band, 2. Auflage 2012, § 211, Rn. 10; Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, 2010, S. 48; Müssig, Mord und Totschlag, 2005, S. 116 f.) zunächst verständlich.
[12] Vgl. dazu Saliger StV 2003, 22 ff.; bejahend etwa BGH, Urteil vom 07.10.1994, 2 StR 319/94; Urteil vom 20.08.2004, 2 StR 281/04 = HRRS 2004 Nr. 784; Urteil vom 10.01.2006, 5 StR 341/05 = HRRS 2006 Nr. 219; Kohlhaas Anmerkung zu BGH LM Nr. 59 zu § 211; Jähnke, in: Leipziger Kommentar, 11. Auflage, § 211, Rn. 33-37; inhaltlich abweichend hingegen BGH JZ 1980, 238; BGH (3. Strafsenat), StV 1994, 182; BGH, Beschluss vom 27.11.1979, 5 StR 711/79; Neumann, in: Nomos Kommentar, Band IV, § 211, Rn. 30; Köhler JZ 1980, 238 ff.; Sonnen JA 1980, 747.
[13] Insofern mit "Wertmaßstab der BRD" etwa eine von den jeweils zuständigen Richtern gemutmaßte Mehrheitsmeinung gemeint sein könnte, bliebe gänzlich unverständlich, weshalb ein Abweichen von diesen "Wertmaßstäben der BRD" überhaupt schulderhöhende Bedeutung haben sollte (denn das Andere ist nicht per se etwas Falsches).
[14] Hörnle NJW 24/2014, Beilage 2/2014, S. 37.
[15] BGH JZ 1980, 238; ebenso BGH (3. Strafsenat), StV 1994, 182; BGH, Beschluss vom 27.11.1979, 5 StR 711/79; ähnlich Köhler JZ 1980, 238(240). Zutreffend arbeitet Saliger in StV 2003, 22 ff. die mehrmalige Wandlung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu der Frage, was ein (objektiv) niedriger Beweggrund sei, heraus und teilt die Rechtsprechung diesbezüglich in drei Phasen ein (der BGH thematisierte eine Rechtsprechungsänderung insoweit in den früheren Entscheidungen nicht explizit; nachholend BGH, Urteil vom 28.01.2004, 2 StR 452/03 = HRRS 2004 Nr. 261).
[16] Diese Einordnung betrifft nicht nur die niedrigen Beweggründe der ersten Gruppe der Mordmerkmale, sondern gilt jedenfalls auch für die Mordmerkmale der dritten Gruppe als ebenfalls subjektive Merkmale (Ermöglichungs- und Verdeckungsabsicht). Das gilt unabhängig davon, ob diese Absichten als Ausprägungen der niedrigen Beweggründe betrachtet werden (so BGHSt. 11, 226, 228; 23, 39, 40; Kühl, Kommentar zum StGB, 24. Auflage, § 211, Rn. 13) oder nicht.
[17] Subjektive Unrechtsmerkmale werden üblicherweise definiert als subjektive Tatbestandselemente, die den Handlungsunwert der Tat charakterisieren und die besondere Art und Weise der Verletzungs- oder Gefährdungshandlung näher kennzeichnen, etwa. Maurach/Zipf, Allgemeiner Teil I, § 20, Rn. 4 ff; Wessels/Beulke, Strafrecht Allgemeiner Teil, 35. Auflage 2006, Rn. 136.
[18] Der BGH hat in der Vergangenheit die Ansicht vertreten, die täterbezogenen Mordmerkmale (erste und dritte Gruppe) seien subjektive Unrechtsmerkmale (zuerst BGHSt. 1, 368). Diese Einordnung der subjektiven Mordmerkmale als subjektive Unrechtsmerkmale teilen viele mit dem BGH; vgl. etwa Horn, in: Systematischer Kommentar zum StGB, Band 2, § 211, Rn. 3.; Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 9. Auflage 2007, § 4, Rn. 11 ff.; Küpper, Strafrecht Besonderer Teil, Band 1, 3. Auflage 2007, § 1 Rn. 37 ff.
[19] Otto Jura 1994, 141, 143.
[20] Insoweit treffend Schmidhäuser, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1982, S. 231 ff.; siehe auch Wessels/Hettinger, Besonderer Teil I, 36. Auflage 2012, Rn. 93; Lenckner, in: Schönke/Schröder, 26. Auflage, vor § 13, Rn 122 (ebenso Eisele in der 29. Auflage 2014); Köhler GA 1980, 121, 123.
[21] Eine Handlung ist rechtmäßig, wenn sie mit jedermanns Willkür nach einem allgemeinen Zustehensgesetz zusammen bestehen kann; rechtswidrig ist ein Verhalten, wenn es im Verhältnis der Personen zueinander ein äußeres Verhalten ist und die dadurch gegenüber anderen zum Ausdruck kommende Zustehensbehauptung als solche nicht verallgemeinerbar und damit als solche nicht allgemeingültig ist; grundlegend Kant, Die Metaphysik der Sitten, Königsberg 1797, §§ B – E; aufgrund der Verfasstheit des menschlichen Erkenntnisvermögens besteht eine logische Notwendigkeit der Konstruktion des Rechtsbegriffs im Sinne bedürfnisunabhängiger Zustehensbeziehungen zwischen Menschen (Personen), ausführlich Helmers, Möglichkeit und Inhalt eines Notstandsrechts (im Erscheinen bei Duncker und Humblot), dort Hauptteil A.II.1.-3. sowie B.I. und II.3.; siehe auch Köhler, AT, a.a.O. (Fn. 4), S. 9 – 29.
[22] So wird etwa das Diebstahlsunrecht durch das Merkmal der Zueignungsabsicht erst als solches – als Strafunrecht im Sinne einer Missachtung der Person des anderen als Eigentümer (zum Begriff des Strafunrechts Helmers ZStW 121 (2009), 516, 518 ff. m.w.N.) – qualitativ bestimmt. Die in jeder vorsätzlichen, nicht gerechtfertigten Wegnahme einer fremden Sache liegende Eigentümerrechteverletzung i.S.v. § 903 S.1 BGB ist nur dann eine vollständige Verkehrung der Gegenstandszuordnung (Diebstahl), wenn sie in der Absicht der Einverleibung der Sache sowie deren dauerhafter bzw. endgültiger Entziehung seitens des Wegnehmenden erfolgt.
[23] Insoweit ebenso Karl Lackner NStZ 1981, 348; Köhler JuS 1984, 762(763). Verfehlt hingegen Sinn, der irrig davon ausgeht, es sei mit der Anerkennung der Existenz subjektiver Unrechtsmerkmale anerkannt worden, dass "die Größe…des Tatunrechts auch von inneren Umständen (Absichten, Beweggründen) mitbestimmt werden" könne; in: Systematischer Kommentar (2012), § 211, Rn. 4. Der Begriff des Rechts (vgl. Fn. 21) schließt ein solches Verständnis von subjektiven Unrechtsmerkmalen aus (und definiert diesen Begriff vielmehr selbst wie dargestellt).
[24] Treffend gegen jeden Versuch, eine besondere Gefährlichkeit von Täter oder Tat für ein Leitprinzip zur Abgrenzung von Mord und Totschlag zu halten Merkel ZIS 09/2015, S. 429 ff. (ein "Leitprinzip Gefährlichkeit" sei "unplausibel, scheinrational und irreführend", S. 433).
[25] Siehe Klesczewski, Die limitierte Akzessorietät der Teilnahme am Mord. in: hrsg. C. Degenhart: Festschrift der Juristenfakultät zum 600. Jubiläum der Gründung der Universität Leipzig. Berlin 2009, S. 489(494 ff.).
[26] Zur Verdeutlichung: Wer mit seinem Kfz eine Trunkenheitsfahrt begeht, um am Zielort einen Diebstahl zu begehen, verwirklicht qualitativ dasselbe (abstrakte) Körpergefährdungsunrecht wie derjenige, der eine entsprechende Trunkenheitsfahrt begeht, um am Zielort einen Einkauf zu tätigen. Wer ein fremdes Kfz in Zueignungsabsicht wegnimmt, um damit demnächst eine Trunkenheitsfahrt zu begehen, verwirklicht dasselbe (Diebstahls-)Unrecht wie derjenige, der ein gleiches Kfz stiehlt, um es für seine ansonsten stets korrekte Lebensführung zu verwenden. Insbesondere liegt in den in diesen Beispielsfällen genannten jeweiligen Tatausführungshandlungen kein "doppelter Rechtsgutsangriff" (Klesczewski). Die Parallele, die Klesczewski zwischen einigen "Varianten des Mordes" als angeblich selbständigen Qualifikationen des Totschlags einerseits und dem Raubunrecht im Verhältnis zu Diebstahl und Nötigung andererseits ziehen will, besteht nicht.
[27] Merkel ZIS 09/2015, S. 434 f. Die von Merkel als subjektive Unrechtsmerkmale benannten Beispiele (etwa: Tatbestandsvorsatz, Zueignungsabsicht im Sinne des § 242 StGB) treffen zu, weil es sich dabei jeweils um auf Verletzung des tatbestandlich erfassten Rechtsguts gerichtete Willensinhalte handelt (a.a.O., S. 435).
[28] Ebenso Köhler GA 1980, 121, 123; ders. Jus 1984, 762 ff.. Die kategorische Rechtsfolge der "lebenslangen" Freiheitsstrafe hat darin (Höchstunrechtsverwirklichung in Höchstschuld) nicht nur ihre Legitimation, sondern – entgegen anderslautender Stimmen aus der Rechtswissenschaft (etwa Eser, Gutachten zum 53. DJT 1980; Deckers/Fischer/König/Bernsmann Fn. 2, S. 14; auch Köhler, AT, a.a.O. (Fn. 4), S. 635) – wohl auch ihr Erfordernis: Dem in qualitativer Hinsicht schwersten und höchstvorwerfbaren Rechtsverstoß folgt die nicht zeitlich-begrenzte (insofern absolut-schwerste) Strafe.
[29] Zum Begriff der Schuld siehe statt vieler die präzisen, weitsichtigen und dicht-geschriebenen Ausführungen Köhlers, AT, a.a.O. (Fn. 4), S. 348 ff.
[30] In dem Sinne stellt sowohl schuldhaftes ebenso wie rechtskonformes und darüber hinaus verdienstliches Handeln stets auch das Ergebnis eines – im bisherigen Leben durchlaufenen – Entscheidungsprozesses (Gewissens-/Habitusbildung) dar; vgl. Köhler, a.a.O. (Fn. 29).
[31] Köhler , Fn. 4, S. 364.
[32] Zu diesem Terminus, der als Synonym für den von Kant verwendeten, jedoch heute vielfach unterschiedlich besetzten und deshalb zur Verständigung über einen Begriff problematischen Terminus "Freiheitsgesetz"/"Gesetz der Freiheit" verwendet werden kann, ausführlich Helmers, a.a.O. (Fn. 21).
[33] Kant , Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (GMS, 1785), S. 400 ff.; es bestehen weitere (sprachliche) Formulierungsmöglichkeiten für dasselbe, siehe GMS, S. 428-437 und derselbe, Kritik der praktischen Vernunft (1788), § 7 sowie ders., Die Metaphysik der Sitten (1797), Einl. IV, S. 224-226. (Seitenangaben nach den Akademie-Ausgaben).
[34] Zumindest missverständlich ist die übliche Formulierung des BGH, wonach das Vorliegen eines niedrigen Beweggrunds "in subjektiver Hinsicht" voraussetze, dass sich der Täter "der Umstände bewusst ist, die seine Beweggründe als niedrig erscheinen lassen" (so etwa BGH GA 1967, 244). Einen Tatsachenirrtum eines Totschlagstäters hinsichtlich des Inhalts seines eigenen Beweggrunds kann es nicht geben. Gegenstand der Prüfung und Subsumtion unter das Merkmal der niedrigen Beweggründe ist stets der wirkliche Beweggrund des Täters und nicht ein nach dem äußeren Anschein der Tat bestimmter hypothetischer anderer Beweggrund (der dem Täter dann deshalb nicht vorgeworfen wird, weil es nicht seiner war; dieser widersinnige Gedanken wird in der Entscheidung BGH GA 1967, 244 jedoch vollzogen).
[35] Diese Voraussetzungen sind selbstverständlich weiter als die Voraussetzungen minderschwerer Totschlagfälle nach § 213 StGB.
[36] BGH , Urteil vom 19.10.2001, 2 StR 259/01.
[37] Saliger StV 2003, 38, 40.
[38] BGH, a.a.O. (Fn. 36).
[39] Vgl. auch BGH, Urteil vom 22.10.2014, 5 StR 380/14 = HRRS 2014 Nr. 1116.
[40] Zutreffend BGH, Beschluss vom 10.01.2006, 5 StR 341/05 = HRRS 2006, 219 : "… Eine Tötung aus dem Motiv der ‚Blutrache‘ ist in aller Regel deshalb als besonders verwerflich und sozial rücksichtslos anzusehen, weil sich der Täter dabei…gleichsam als Vollstrecker eines von ihm und seiner Familie gefällten Todesurteils über die Rechtsordnung und einen anderen Menschen erhebt. Ein niedriger Beweggrund wird in aller Regel in…Fällen…anzunehmen sein, in denen ein Angehöriger einer Sippe sich als Vergeltung für das Verhalten eines anderen Sippenangehörigen, an dem ihn keine persönliche Schuld trifft, getötet wird. Auch die Tötung…für ein als ehrenwidrig bewertetes Verhalten, das seinerseits nicht in der Tötung oder zumindest schweren Verletzung einer anderen Person bestand, wird regelmäßig als niedrig zu bewerten sein...". Anders könne dies sein, wenn das spätere Opfer "seinerseits nachvollziehbar als schuldig an der Tötung eines anderen Menschen erachtet wird…".
[41] Dass solche die Tötung motivierenden – ggf. fremdkulturellen – Wertvorstellungen aufgrund des familiären/kulturellen Hintergrunds des Täters von anderen zunächst an diesen herangetragen und schließlich von ihm übernommen wurden, ändert nichts daran, dass sie unter Schuldgesichtspunkten als niedrig zu beurteilen sind. Die Akzeptanz des Zustehens des lebendigen Körpers eines anderen Menschen zu diesem (als vorausgesetztem intelligiblen Selbst) ist nichts anderes als die basale Anerkennung des anderen überhaupt. Dies ist von jedem zu erwarten und zu leisten, was das Erfordernis gründlichster Reflexion auch auf diejenigen Bedingungen beinhaltet, unter denen man töten zu können glaubt. Dem kategorischen Imperativ kann sich niemand entsagen; er ist durch seine Möglichkeit als verbindlicher Verhaltensmaßstab wirklich, vgl. Helmers, a.a.O. (Fn. 21), dort Hauptteil B.II.3.b); grundlegend Kant, a.a.O. (Fn. 33).
[42] Vgl. Fn. 33 und Fn. 21.
[43] Aus demselben Grund ist auch der Gegensatz zur Affekttat – die überlegte Tötung – kein Kriterium, welches an sich Höchstschuld indizieren würde. Wenn etwa ein Vater oder eine Mutter denjenigen, der zuvor deren Kind grausam tötete, aus Rache vorsätzlich und geplant tötet, so stellt dies eine rechtswidrige Verwirklichung schwersten Unrechts dar. Mord im Sinne der vorsätzlichen Tötung in Höchstschuld ist es nicht: Die subjektive Ausnahme, welche der Täter (bzw. die Täterin) im Beweggrund für sich selbst vom Tötungsverbot zulässt, hat wegen der durch das spätere Opfer begangenen (motivbegründenden) Kindstötung enge Voraussetzungen.
[44] Vgl. etwa Deckers/Fischer/König/Bernsmann NStZ 2014, 9, 11, 12: "…Die Praxis lehrt zudem, dass in Fallkonstellationen, denen Konflikt- und Spontantaten im personalen Nahbereich zu Grunde liegen – das dürfte die überwiegende Anzahl der Fälle sein – oft gerade die Betrachtung der gegenseitigen Abhängigkeit von inter- und intrapersonalen Konflikten den Schlüssel zur gerechten Beurteilung liefert"; die Schuldmaßbedeutung des Affekts zutreffend herausarbeitend Köhler, AT, a.a.O. (Fn. 4), 417 ff..
[45] Beispiel: Ein seine Partnerin permanent tyrannisierender Mann tötet diese aus Wut darüber, dass das Essen nicht auf dem Tisch steht, nach seiner Meinung nicht ausreichend aufgeräumt ist oder ähnliches (ein krasser Fall habitualisierter Überheblichkeit – hier endend in der Tötung des "Familientyrannen" durch seine Lebensgefährtin – liegt dem Urteil des BGH vom 25. März 2003, 1 StR 483/02, zu Grunde).
[46] Eine in der Sache nicht anders denkbare Berücksichtigung solcher Unterschiede bei der Prüfung des besonderen Schuldmerkmals kommt nur dann in Frage, wenn etwa ein psychisch schwer Kranker im Hinblick auf einen seiner Wahnvorstellung entspringenden irrealen Sachverhalt handelte, so dass sich möglicherweise keine Handlungsmaxime ermitteln lässt, anhand derer geprüft werden könnte, mit welchem Allgemeinheitsgrad dieser Mensch das Tötungsverbot für sich außer Kraft setzte (im bekannten "Katzenkönig"-Fall, BGH, Urteil vom 15.09.1988, 4 StR 352/88, war zwar ein Handlungsmaximeninhalt feststellbar; dieser beinhaltete jedoch ein irreales Geschehen bzw. eine auf Aberglauben beruhende Zukunftsprognose für den Fall des Unterlassens der letztlich versuchten Tötung).
[47] Vgl. Saliger StV 2003, 22 ff., 25.
[48] Wenn das Reichsgericht die Auffassung vertrat, jede zurechnungsfähige Person müsse die den Strafnormen zugrundeliegenden Verbote und Gebote kennen (RGSt. 63, 218 f.; teilweise Einschränkung dieser Position durch BGHSt. 2, 194, 202) so gilt dies zumindest für das prinzipielle Tötungsverbot uneingeschränkt. Dahinter steht die unabdingbare Verpflichtung einer jeden in Gesellschaft mit anderen lebenden Person, ihre Vernunftfähigkeit zumindest bis zur Einsicht in die Notwendigkeit der generellen Respektierung des Lebensrechts (auch) der anderen auszubilden. Dies trotz Fähigkeit/Zurechnungsfähigkeit zu unterlassen, wäre ein Verschuldungsprozess.
[49] Die Benennung des Mordmerkmals als "Mordlust" ist unsauber, weil die Feststellung einer Lust auf "Mord" einen Begriff des Mordes voraussetzt, der nun nicht selbst durch den Terminus der "Mordlust" definiert werden kann. Der eigentlich gemeinte Merkmalsinhalt ist trotzdem verständlich.
[50] Vgl. die Darstellung bei Fischer, StGB-Kommentar, 63. Auflage 2016, § 211, Rn. 8 m.w.N.: "Mordlust" als "Freude an der Vernichtung eines Menschenlebens…Kennzeichen von ‚Mordlust‘ ist daher gerade die (subjektive) Austauschbarkeit des Opfers…"; zur "Habgier" ders., ebenda, Rn. 10; zum Verhältnis der Merkmale der Habgier zu den "sonstigen niedrigen Beweggründen" etwa BGH, Urteil vom 12.01.2005, 2 StR 229/04 = HRRS 2005 Nr. 135.
[51] Etwa die reine Benutzung des Opfers als Objekt einer Willkürtötung, die mangels Befriedigung des Täters durch den Tötungsvorgang selbst keine "Mordlust", sondern ein sonstiger niedriger Beweggrund ist (vgl. Fischer, a.a.O., Fn. 50), ist davon unter Schuldgesichtspunkten nicht relevant zu unterscheiden.
[52] BGHSt. 50, 80 ff. = HRRS 2005 Nr. 458.
[53] Ob die faktische Einwilligung des Opfers – auch wenn diese aufgrund grober Unvernunft im Selbstverhältnis keinesfalls wirksam/rechtfertigend war (anders als das bei Einwilligungen irreversibel-todkranker Personen jedenfalls im Endstadium ihrer Erkrankung der Fall sein kann, vgl. BGH, Urteil vom 25.06.2010, 2 StR 454/09 = HRRS 2010 Nr. 704) und auch kein hinreichend bestimmendes Verlangen im Sinne von § 216 StGB vorlag – sogar das Unrecht der Tat minderte, mag hier dahinstehen. Jedenfalls verengte diese für den Täter notwendige Bedingung der Umsetzung seines Entschlusses seine Handlungsmaxime (subjektive Ausnahme vom Tötungsverbot) in erheblichem Maße; dies hat evident schuldmindernde Bedeutung.
[54] Wobei es auf die besonderen Ekelelemente wie u.a. das Kannibalische dafür nicht entscheidend ankommt; maßgeblich ist die Reichweite der subjektiven Ausnahme vom Tötungsverbot in der Handlungsmaxime.
[55] Dass das Bundesverfassungsgericht in der Regel sehr zurückhaltend ist, in die Rechtsauslegung auf dem Gebiet des materiellen Strafrechts, die "Sache der dafür zuständigen Strafgerichte" ist (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07. Oktober 2008, 2 BvR 578/07 = HRRS 2008 Nr. 1007), einzugreifen, ist aus seiner Funktion heraus verständlich und an sich richtig. Solange das BVerfG jedoch weder einen materiellen Verbrechensbegriff herausarbeitet, nach welchem Strafunrecht qualitativ von anderen Unrechtsformen abgegrenzt werden kann (so dass etwa auch gewisse Strafnormen als bloße Polizei- und Ordnungsnormen bestimmt und aus dem Bereich des Strafrechts zwingend ausgeschieden werden können; vgl. Fn. 4) noch die angeblichen "Strafzwecke" in eine Systematik bringt, sondern beliebig nebeneinander stellt (vgl. BVerfGE 45, 187 ff.; zutreffende Kritik daran bei Köhler, AT, Fn. 4, 37 ff., 44, 67), sind dessen Entscheidungen im Bereich des materiellen Strafrechts eo ipso schwankend und nicht ohne Beliebigkeit. So lassen etwa die Cannabis-Entscheidung (BVerfGE 90, 145 ff.) und die Inzest-Entscheidung (BVerfGE 120, 244 ff.) denjenigen Leser, der nicht an kulturell bedingten Meinungen sondern an Strafrechtsbegriffen interessiert ist, verwundert zurück.
[56] Schneider , Anmerkung zu BGH NStZ 2005, 101, ebenda S. 104.
[57] Siehe etwa BGH, Urteil vom 22.10.2014, 5 StR 380/14 = HRRS 2014 Nr. 1116.
[58] Ein Totschlag kann nach § 35 StGB entschuldigt sein; Mord und entschuldigender Notstand schließen sich hingegen materiell aus.
[59] DAV , Fn. 2.
[60] Was lediglich bei den deshalb akzeptablen, jedoch überflüssigen Merkmalen der "Mordlust" und der "Habgier" der Fall sein dürfte.
[61] Wenn sich ein im dargestellten Sinne als niedrig zu qualifizierender Beweggrund nicht zweifelsfrei feststellen lässt, dann hat eine Verurteilung wegen Mordes zu unterbleiben; das ist eine strafprozessuale Selbstverständlichkeit.
[62] Keine befriedigende Lösung des Sachproblems stellte es hingegen dar, wenn § 211 StGB abgeschafft und in § 212 StGB als Rechtsfolge eine Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren oder die lebenslanger Freiheitsstrafe vorgesehen würde, wodurch dem Tatgericht pauschal der Zugriff auf die Strafzumessungserwägungen gemäß §§ 46 ff. StGB eröffnet würde; so eine Forderung etwa des DAV im Rahmen der aktuellen Reformdiskussion; ebenso Deckers/Fischer/König/Bernsmann (jeweils a.a.O., Fn. 2). Nur eine gesetzliche Konkretisierung dessen, was eine besonders verwerfliche (vorwerfbare) Tötung ist, die rechtlich die lebenslange Freiheitsstrafe nach sich zieht, genügt dem Bestimmtheitserfordernis (Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB). Die Umsetzung dieses Vorschlags stellte in erheblich größerem Ausmaß als eine vom BGH aus diesen Gründen abgelehnte "Typenkorrektur" (BGH, a.a.O., Fn. 7) die Berechenbarkeit und Gleichmäßigkeit der Rechtsprechung in diesem Bereich in Frage.