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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2016
17. Jahrgang
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Von Wiss. Mit. Dr. Dominik Brodowski, LL.M. (UPenn), Goethe-Universität Frankfurt am Main[*]
Die strafrechtliche Erfassung der Bestechung und der Bestechlichkeit im Ausland – sei es im geschäftlichen Verkehr, sei es von ausländischen Amtsträgern – hinkt der Erfassung rein inländischer Konstellationen nicht nur materiell-strafrechtlich, sondern auch in der Strafverfolgungspraxis hinterher. Daher überrascht es kaum, dass der BGH erst knapp 17 Jahre nach dessen Inkrafttreten eine Grundsatzentscheidung zum EUBestG[1] traf – jenem Gesetz, das die Delikte der Bestechlichkeit und Bestechung (§§ 332, 334 StGB) u.a. auf bestimmte europäisch-transnationale Bestechungshandlungen erweitert. Doch auch wenn die materiell-strafrechtlichen Bestimmungen des EUBestG inzwischen außer Kraft getreten sind (unten III.), ist dieser Beschluss nicht nur von rechtshistorischem Interesse: So lenkt er das Augenmerk auf Amtsträger im Neben- bzw. Ehrenamt und die bei diesen teils diffizile Frage des Bezugs zur Dienstausübung (unten II. 1.). Zudem hat eine methodisch zweifelhafte Konstruktion des 1. Strafsenats des BGH zur Konsequenz, dass dieser den europastrafrechtlichen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung in sein Gegenteil verkehrt (unten II. 2.). Schließlich ist der Sachverhalt auch phänomenologisch von Interesse (sogleich I.).
Beschreibt man Korruption – mit Saliger[2] – als vorteilsbedingte und interessenwidrige Dienerschaft zweier Herren, so kann man den mitgeteilten Feststellungen zufolge das Verhalten des Angeklagten für korrupt und daneben
auch aus kriminalpolitischer Sicht für verfolgenswert halten: Zur Tatzeit war der Angeklagte zum einen ein Honorarkonsul der Republik Portugal und daher dieser in besonderem Maße – womöglich sogar als Amtsträger nach portugiesischem Korruptionsstrafrecht[3] – verbunden. Zum anderen stand er deutschen Rüstungsunternehmen zu Diensten, ließ er sich nämlich für die Vermittlung eines Verkaufs von U-Booten an Portugal und insbesondere "für die Vermittlung zu Kontakten zu ranghöchsten Regierungsvertretern Portugals" eine (als Beraterhonorar bezeichnete) Erfolgsprovision seitens eines Konsortialpartners, der F. AG, in Höhe von 0,3 % der Auftragssumme zusichern. Schon bald kam es zu einem Zivilprozess zwischen der F. AG und dem Angeklagten über die Zahlung dieser Erfolgsprovision, die am 9.12.2004 in einer Vergleichsvereinbarung und der Zahlung von über 1,6 Mio € an den Angeklagten endete.
Daran ist zweierlei bemerkenswert: Erstens unterließ es das Zivilgericht – soweit ersichtlich –, die Staatsanwaltschaft über den Sachverhalt zu informieren. Hierzu ist ein Zivilgericht zwar nach §§ 13 Abs. 2 Satz 1, 17 Nr. 1 EGGVG berechtigt,[4] soweit es eine solche Übermittlung personenbezogener Daten zur Verfolgung von Straftaten für erforderlich erachtet und – hier nicht erkennbare – schützwürdige Interessen des von der Übermittlung Betroffenen dem nicht entgegenstehen. Eine Pflicht zur Mitteilung an die Staatsanwaltschaft besteht aber nur, soweit diese gesondert angeordnet ist – etwa, wenn eine Straftat in der Sitzung begangen wird (§ 183 Satz 1 GVG).
Zweitens ist die Entscheidung des Angeklagten, die Erfolgsprovision zivilgerichtlich einzuklagen, ein gewichtiges Indiz für sein fehlendes Bewusstsein, dass sein Verhalten (jedenfalls aus phänomenologischer und aus politischer Sicht) als korrupt bewerten werden könnte. Dies erinnert an die mahnenden Worte von Papst Franziskus in einer Ansprache an eine Delegation der Internationalen Strafrechtsgesellschaft (AIDP) im Oktober 2014: "Der Korrupte nimmt seine Korruption nicht wahr. Es ist ein wenig wie mit Mundgeruch: Wer ihn hat, bemerkt ihn kaum; die anderen bemerken es und müssen es ihm sagen."[5]
Doch aus juristischer Sicht entscheidend ist nicht die Phänomenologie oder die kriminalpolitische Beurteilung des Verhaltens des Angeklagten, sondern dessen strafrechtliche Relevanz. Diese hatte das LG München im Hinblick auf Art. 2 § 1 Nr. 2 lit. a EUBestG a.F. i.V.m. § 332 Abs. 1, Abs. 3 StGB a.F. bejaht, dabei aber nur die Amtsträgereigenschaft des Angeklagten bei hypothetischer Prüfung nach deutschem Recht (§ 11 Abs. 2 Nr. 1 StGB) geprüft. Das hielt der 1. Strafsenat des BGH allerdings für unzureichend (unten 2.). Zu einem anderen, ebenfalls diskussionswürdigen Punkt verhielt sich der 1. Strafsenat hingegen nicht:
Die hauptsächliche berufliche Tätigkeit des Angeklagten war es, ein Consultingunternehmen zu betreiben. Die Tätigkeit als Honorarkonsul Portugals war hierzu nur ein kleines finanzielles Zubrot (Aufwandsentschädigung von 2.000 € bis 2.500 € p.a.), wenn nicht – angesichts der "von ihm selbst durchgeführte[n]Veranstaltungen und Empfänge" (Rz. 4) – ein Verlustgeschäft. Daher gewinnt der tatbestandliche Bezug der §§ 331 ff. StGB zur dienstlichen Tätigkeit ("Dienstausübung", "Diensthandlung") an besonderem Gewicht: Denn nur innerhalb dieser dienstlichen Sphäre besteht das Risiko einer Dienerschaft nicht nur gegenüber dem Dienstherren, sondern zugleich und (jedenfalls potentiell) mit den Dienstpflichten konkurrierend auch einem Vorteilsgeber gegenüber.[6]
Außerhalb dieser dienstlichen Sphäre kann man zwar einen "Amtsträger im Hauptamt", der von seinem Dienstherren ausreichend alimentiert wird, erheblichen Verhaltensrestriktionen unterwerfen, um auch den bloßen Anschein einer Käuflichkeit der Verwaltung zu vermeiden. Daraus legitimiert sich auch die in der Literatur vertretene Auffassung, nur "völlig außerhalb des Aufgabenbereichs des Amtsträgers liegen[de]" Handlungen aus dem Anwendungsbereich der §§ 331 ff. StGB herauszunehmen.[7] Bei "Amtsträgern im Nebenamt" oder "Amtsträgern im Ehrenamt" ist jedoch zu berücksichtigen, dass diese ihren Lebensunterhalt weiterhin durch ihre hauptsächliche berufliche Tätigkeit bestreiten müssen.
Nun gehört die Unterstützung in Vertragsverhandlungen zum typischen Tätigkeitsfeld eines Consultingunternehmens; die Nutzung von – auch schon vor seiner Bestellung zum Honorarkonsul bestehenden – "Kontakten zu hochrangigen Vertretern der portugiesischen Regierung" (Rz. 8) könnte durchaus auch der außerdienstlichen Sphäre zugerechnet werden. Angesichts dieser Melange überrascht es, dass der 1. Strafsenat in diesem Beschluss nur knapp davon berichtet, dass der Angeklagte "in seiner Funktion als Honorarkonsul gegenüber … amtlichen Stellen Portugals die Interessen der F. AG" vertreten habe (Rz. 8, Herv. hier). Damit verpasste er eine Chance, die erhebliche Unsicherheit darüber zu thematisieren und zu reduzieren, wie die dienstliche und die außerdienstliche Sphäre – insbesondere bei Amtsträgern im Neben- und im Ehrenamt – trennscharf voneinander abzugrenzen sind.
Ausführlich und methodisch-schulmäßig erörtert der 1. Strafsenat die Frage, nach welchem Maßstab zu bestimmen ist, ob der Angeklagte Amtsträger i.S.d. Art. 2 § 1 Nr. 2 lit. a EUBestG a.F. i.V.m. § 332 Abs. 1, Abs. 3 StGB a.F. war.[8] Hierzu schließt er im Einklang mit der weit überwiegenden Literatur[9] aus dem Wortlaut und der Mikrosystematik des Art. 2 § 1 Nr. 2 lit. a EUBestG a.F. und aus der – bei der Umsetzung europäischer Regelungen stets besonders bedeutsamen – Gesetzgebungsgeschichte als Leitlinie für eine europarechtskonforme Auslegung auf eine Doppelprüfung: Täter des Art. 2 § 1 Nr. 2 lit. a EUBestG a.F. i.V.m. § 332 Abs. 1, Abs. 3 StGB a.F. könne nur sein, wer sowohl nach dem Recht des anderen Mitgliedstaats als auch – bei entsprechender Umstellung des Sachverhalts in eine Inlandskonstellation – nach deutschem Recht als Amtsträger zu klassifizieren sei. Das überzeugt zwar, nicht jedoch die bereits im amtlichen Leitsatz der Entscheidung enthaltene zusätzliche Maßgabe, dass zuerst die Amtsträgereigenschaft nach ausländischem und erst anschließend die Amtsträgereigenschaft nach deutschem Recht zu prüfen sei: Denn beide Prüfungsschritte sind voneinander unabhängig und daher nach den Gesetzen der Logik kommutativ, also in beliebiger Reihenfolge durchführbar, ohne dass sich das Ergebnis verändern würde. Und die umgekehrte Prüfungsreihenfolge erscheint für die Rechts- und Beratungspraxis als einfacher handhabbar, da der Maßstab der vertrauteren, inländischen Rechtslage als erster, vorentscheidender Filter fungieren kann.[10] Hierauf beruft sich an späterer Stelle auch der 1. Strafsenat im Rahmen seiner apodiktischen Erwägung, dass das Strafbarkeitsrisiko bereits durch diesen Filter der deutschen Rechtsordnung hinreichend abgrenzbar und daher im Lichte des Art. 103 Abs. 2 GG hinreichend bestimmt sei.[11]
Als deutlich zu hoch gegriffen, ja als methodisch bedenklich erweist sich die Behauptung des 1. Strafsenats, eine solche Doppelprüfung setze "den im europäischen Rechtsraum geltenden Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung (Art. 82 AEUV, Art. 67 AEUV) um" (Rz. 28). Aus europastrafrechtlicher Sicht ist nämlich erstens daran zu erinnern, dass dieser – ohnehin erst seit dem Vertrag von Lissabon primärrechtlich verankerte – Grundsatz keineswegs self-executing ist. Vielmehr ist dieser Grundsatz, wie sich dies insbesondere aus Art. 82 Abs. 1 UAbs. 2 lit. a AEUV ergibt, erst durch europäisches Sekundärrecht zu konkretisieren. Zweitens bezieht sich dieser Grundsatz, wie den vom 1. Strafsenat zitierten Normen unmittelbar zu entnehmen ist, in seiner derzeitigen primärrechtlichen Gestalt auf die "gegenseitige Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen" (Art. 67 Abs. 3 AEUV, Herv. hier), auf die "gegenseitige[...]Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen" (Art. 82 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV, Herv. hier) bzw. auf die "Anerkennung aller Arten von Urteilen und gerichtlichen Entscheidungen" (Art. 82 Abs. 1 UAbs. 2 lit. a AEUV, Herv. hier) und daher allenfalls indirekt auf die Anerkennung einer ausländischen materiell-rechtlichen Rechtslage. Drittens ist zu beachten, dass die europastrafrechtliche Korruptionsbekämpfung heutzutage ihre Rechtsgrundlage an anderen Stellen findet, namentlich in Art. 83 Abs. 1 AEUV und/oder in Art. 325 Abs. 4 AEUV;[12] das dem EUBestG zugrundeliegende EU-Protokoll vom 27. September 1996 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der EG (im Folgenden: EU-Protokoll)[13] wiederum fand seine Stütze in Art. K.3 Abs. 2 lit. c EUV-Maastricht. All dies sind Vorschriften, welche die Angleichung von Rechtsvorschriften (Harmonisierung) oder jedenfalls die Schaffung eines harmonisierten Mindeststandards zum Gegenstand haben – und daher ein Gegenmodell zu einer gegenseitigen Anerkennung verfolgen. Viertens und besonders problematisch ist, dass der 1. Strafsenat den Grundsatz gegenseitiger Anerkennung mit der Maßgabe einer Doppelprüfung ausländischen und inländischen Rechts zu verknüpfen sucht: Die Prüfung auch an inländischem Recht sieht er bei Art. 2 § 1 Nr. 2 lit. a EUBestG a.F. nämlich als einen Beitrag "zum Schutz des innerstaatlichen Primärraums" (Rz. 20). Eine gegenseitige Anerkennung in Reinform würde jedoch auf eine
ergänzende oder korrigierende Prüfung am Maßstab inländischen Rechts verzichten, sondern allein die ausländische Entscheidung – bzw., bei Transfer auf das materielle Recht, die ausländische Rechtsnorm – als maßgeblich erachten. Daher ordnet der Archetyp für die gegenseitige Anerkennung, der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl,[14] auch den Verzicht auf eine Doppelprüfung an, konkret einen Verzicht auf die historisch übliche Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit bei einer Liste von Deliktskategorien (Art. 2 Abs. 2 RbEuHb). Dies verdeutlicht, dass dem 1. Strafsenat (nicht zum ersten Mal[15]) in Bezug auf europastrafrechtliche Fragen ein folgenschwerer methodischer Fehltritt unterläuft, der hier den Grundsatz gegenseitiger Anerkennung letztendlich in sein Gegenteil verkehrt und ferner Misstrauen in die Rechtsordnungen der anderen Mitgliedstaaten schürt.[16]
Das vom Bundestag am 15.10.2015 beschlossene und zum 26.11.2015 in Kraft getretene Gesetz zur Bekämpfung der Korruption[17] war vor allem wegen der Neufassung der Regelung zur Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) in der kriminalpolitischen Diskussion. Es enthält jedoch daneben eine fundamentale Neuordnung der strafrechtlichen Erfassung der Bestechung und Bestechlichkeit von europäischen Amtsträgern – d.h. Amtsträgern von Institutionen und Organe der Europäischen Union (vgl. hierzu die Legaldefinition in § 11 Abs. 1 Nr. 2a StGB) – sowie für den hier interessierenden Bereich der transnationalen Bestechung und Bestechlichkeit von ausländischen Amtsträgern (§ 335a StGB).
Die neue Rechtslage differenziert nicht länger zwischen europäisch-ausländischen und allgemein ausländischen Amtsträgern, so dass sich die Streitfrage[18] einer parallelen Anwendbarkeit von Art. 2 § 1 IntBestG und Art. 2 § 1 EUBestG erledigt hat. Vielmehr ist von § 335a Abs. 1 Nr. 2 lit. a StGB jeder "Bedienstete[...]eines ausländischen Staates" und zudem jede "Person" erfasst, "die beauftragt ist, öffentliche Aufgaben für einen ausländischen Staat wahrzunehmen". Dem ausdrücklichen gesetzgeberischen Willen zufolge soll die Verweisung auf § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB für europäisch-ausländische Amtsträger aufgegeben werden und der Personenkreis – wie dies der bisherigen Regelung in Art. 2 § 1 IntBestG entspricht[19] – autonom anhand der völkerrechtlichen Maßgaben bestimmt werden.[20] Diesbezüglich verweist die Begründung des Gesetzentwurfs[21] bemerkenswerterweise nur auf die OECD-,[22] Europarats-[23] und UN-Übereinkommen zur Korruption,[24] nicht aber auf das Art. 2 § 1 Nr. 2 lit. a EUBestG zugrundeliegende EU-Protokoll. Zudem sind die in Bezug genommenen völkerrechtlichen Maßgaben nicht identisch:[25] Während Art. 1 Abs. 4 lit. a OECD-Übereinkommen[26] und Art. 2 lit. b UN-Übereinkommen für eine autonome Bestimmung des Amtsträgerbegriffs streiten, verweisen Art. 1 lit. a Europarats-Übereinkommen sowie – wie der 1. Strafsenat hervorgehoben hat – Art. 1 UAbs. 1 Nr. 1 lit. c EU-Protokoll auf die Amtsträgerdefinition im "Recht des Staates, in dem die betreffende Person die entsprechenden Aufgaben wahrnimmt, und so, wie er in dessen Strafrecht verwendet wird" (Rz. 24 unter Verweis auf BT-Drs. 13/10424) und eröffnen die – von Deutschland nunmehr nicht länger genutzte – Möglichkeit, eine Doppelprüfung nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts vorzusehen (Art. 1 lit. c Europarats-Übereinkommen, Art. 1 UAbs. 2 EU-Protokoll). Aus Gründen der Bestimmtheit ist es jedoch unerlässlich, § 335a Abs. 1 Nr. 2 lit. a StGB einheitlich auszulegen. Wegen der gesetzgeberischen Intention, die Regelung aus Art. 2 § 1 IntBestG als Vorbild zu wählen, ist daher zukünftig – auch im europäisch-transnationalen Kontext – der Amtsträgerbegriff autonom und damit weder nach Maßgabe des ausländischen Korruptionsstrafrechts noch nach Maßgabe des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu bestimmen.
Doch dies hat europarechtliche Implikationen: Wo der autonom bestimmte Amtsträgerbegriff im Vergleich zu einer Doppelprüfung anhand des ausländischen wie inländischen Amtsträgerbegriffs Lücken hinterlassen sollte, wird ein Umsetzungsdefizit hinsichtlich des Europarats-Übereinkommens, aber auch hinsichtlich des EU-
Protokolls bestehen.[27] Letzteres ist trotz seiner ursprünglichen völkerrechtlichen Gestalt ein Rechtsakt der Union (arg. ex Art. 9 Satz 2 Protokoll Nr. 36 zum Vertrag von Lissabon[28] ) und kann daher tauglicher Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens zum Vertrag von Lissabon werden (Art. 258 AEUV i.V.m. Art. 10 Abs. 1, Abs. 3 Protokoll Nr. 36), mit dem die unzureichende Umsetzung gerügt werden könnte. Allerdings favorisiert die Kommission selbst eine Harmonisierung des Amtsträgerbegriffs,[29] so dass diese Sorge wohl eher eine theoretische bleiben dürfte.
Schließlich bleibt abzuwarten, ob der BGH überhaupt dieser gesetzgeberischen Intention einer autonomen Auslegung des § 335a Abs. 1 Nr. 2 lit. a StGB anhand der völkerrechtlichen Maßgaben Folge leisten wird: Die oben aus methodischer Sicht kritisierte Erwägung zum Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung könnte sich nämlich als Fingerzeig dahingehend erweisen, dass "zum Schutz des innerstaatlichen Primärraums … eine Beschränkung durch die deutsche Begriffsbestimmung" – und daher bei § 335a Abs. 1 Nr. 2 lit. a StGB doch eine Prüfung auch am Maßstab des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB – zu erfolgen habe.
Doch nicht nur wegen dieser zu BGHSt 52, 323 (2. StS) divergierenden Argumentationslinie[30], sondern auch angesichts der gestiegenen Sensibilität – auch der Strafverfolgungsbehörden – für die transnationale Korruption ist zu vermuten, dass die nächste Entscheidung des BGH zu diesem Themenkomplex nicht allzu lange auf sich warten lassen wird.
* Mein Dank gilt Professor Dr. Pedro Caeiro für seine hilfreichen Anmerkungen zur portugiesischen Rechtslage.
[1] Gesetz zu dem Protokoll vom 27. September 1996 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (EU-Bestechungsgesetz – EUBestG) vom 10. September 1998, BGBl. 1998 II S. 2340, zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Juli 2004, BGBl. 2004 I S. 1763. Zum nach der Entscheidung erfolgten Außerkrafttreten durch das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 20. November 2015, BGBl. 2015 I S. 2025 siehe unten III. bei und mit Fn. 17.
[2] Saliger , in: Albrecht/Kirsch/Neumann/Sinner (Hrsg.), FS Kargl (2015), 493, 497 f.; ähnlich Kindhäuser ZIS 2011, 461, 462; von Armin NvwZ 2006, 249, 253 f.
[3] Dies richtet sich nach Art. 386 Abs. 1 Código Penal Português. Während der GBA – aus Rz. 40, 41 des Beschlusses ersichtlich – davon ausging, der Angeklagte sei kein Amtsträger nach portugiesischem Recht, wird vom LG München die ausgesprochen weite Fassung des Amtsträgerbegriffs in Art. 386 Abs. 1 lit. d (zur Tatzeit: lit. c) Código Penal Português zu beachten sein.
[4] Vgl. Pabst, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo-ZPO, 4. Aufl. (2013), § 17 EGGVG Rdn. 3.
[5] Papst Franziskus , Ansprache … an eine Delegation der Internationalen Strafrechtsgesellschaft (AIDP) vom 23. Oktober 2014. Der Text dieser Ansprache ist verfügbar unter https://w2.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2014/october/documents/papa-francesco_20141023_associazione-internazionale-diritto-penale.html (12.01.2016).
[6] Zu diesem phänomenologischen Verständnis der Korruption siehe oben bei und mit Fn. 2.
[7] So Heine/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. (2014), § 331 Rdn. 33 (unter Verweis auf BGHSt 18, 59); Korte, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), MüKo-StGB, 2. Aufl. (2013), § 331 Rdn. 87; s. ferner Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl. (2014), § 27 Rdn. 42.
[8] Siehe hierzu zuvor bereits die knappen Erwägungen in BGHSt 52, 323, 347.
[9] Vgl. hierzu die Nachweise in Rz. 20 des Beschlusses sowie ergänzend Brockhaus/Haak HRRS 2015, 218, 221 m.w.N.; Kretschmer StraFo 2014, 325, 326 f.; Saliger, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg.), NK-StGB, 4. Aufl. (2013), § 11 Rdn. 17.
[10] Rathgeber NZWiSt 2015, 359, 359; Groß, jurisPR-StrafR 20/2015 Anm. 3.
[11] Zu diesem Problemkomplex siehe Heinrich, in: GS Keller (2013), 103, 104 ff.
[12] Zum Streit über diese Rechtsgrundlage siehe Brodowski ZIS 2013, 455, 464 m.w.N.
[13] ABlEG Nr. C 313 v. 23.10.1996, S. 1; BGBl. 1998 II S. 2342.
[14] Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten i.d.F. CONSLEG 2002F586 v. 28.3.2009.
[15] Brodowski JR 2014, 87, 91 f.
[16] In diese Richtung – indes vor der gegenständlichen BGH-Entscheidung – auch Kretschmer StraFo 2014, 325, 327.
[17] BGBl. 2015 I S. 2025; zuvor BT-Drs. 18/4350 i.d.F. BT-Drs. 18/6839.
[18] Das EUBestG hält insbesondere Nestler StV 2009, 313, 315 für ein regionales lex specialis; a.A. Korte, in: MK-StGB (Fn. 7), § 334 Rdn. 5; Kretschmer StraFo 2014, 325, 327; Satzger, NStZ 2009, 297, 304; offen gelassen in BGHSt 52, 323, 347.
[19] BGHSt 52, 323, 345 ff.; dem nunmehr folgend die Literatur, insbesondere Brockhaus/Haak HRRS 2015, 218 (221); Eser/Hecker, in: Schönke/Schröder (Fn. 7), § 11 Rdn. 15; Heine/Eisele, in: Schönke/Schröder (Fn. 7), § 334 Rdn. 2; Korte, in: MK-StGB (Fn. 7), § 334 Rdn. 6 f.; Kuhlen, in: NK-StGB (Fn. 9), § 334 Rdn. 3c; Rathgeber NZWiSt 2015, 359, 360; Saliger/Gaede HRRS 2008, 57, 60 f.
[20] BT-Drs. 18/4350, S. 24 f.
[22] OECD-Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr vom 17. Dezember 1997, BGBl. 1998 II S. 2329.
[23] Strafrechtsübereinkommen des Europarats über Korruption v. 27.1.1999, ETS Nr. 173.
[24] Übereinkommen der Vereinten Nationen v. 31.10.2003 gegen Korruption (UNCAC), BGBl. 2014 II S. 763.
[25] Brockhaus/Haak HRRS 2015, 218, 222 favorisieren insoweit eine kumulative Auslegung.
[26] Siehe hierzu BGHSt 52, 323, 347.
[27] Ebenfalls zweifelnd Rathgeber NZWiSt 2015, 359, 360.
[28] Protokoll (Nr. 36) über die Übergangsbestimmungen, ABlEU Nr. C 326 v. 26.10.2012, S. 322.
[29] COM(2014) 38 final v. 3.2.2014, S. 10 bzgl. des Schutzes der finanziellen Interessen der EU.
[30] Da sich jene Entscheidung des 2. Strafsenats auf Art. 2 § 1 IntBestG bezog (siehe oben bei und mit Fn. 19), ist sie mit Inkrafttreten des § 335a StGB wegen Gesetzesänderung überholt und kann daher diesbezüglich keine Anfrage- oder Vorlagepflichten nach § 132 Abs. 2, Abs. 3 GVG mehr begründen (vgl. Hannich, in: ders. (Hrsg.), KK-StPO, 7. Aufl. (2013), § 132 GVG Rdn. 7).