HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Januar 2016
17. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Brennpunkte des (nicht nur: Wirtschafts-) Strafrechts, Schwerpunkt: Schaden

Zugleich Rezension des AnwaltKommentars StGB, 2. Aufl., herausgegeben von Leipold/Tsambikakis/Zöller, Heidelberg u.a. 2015, 2803 S., 139,99 €.

Von Leitender OStA Folker Bittmann, Dessau-Roßlau

I. Rezensionstypisches

1. Zum Nachdenken

Bereits die alten Römer wussten: Judex non calculat. Aber die Anwälte? Im Vorwort der 2. Auflage 2015 freuen sich die Herausgeber, bereits 3 Jahre nach Erscheinen des Erstlings 2011 eine Neuauflage vorlegen zu können. Sehnen sich die Anwälte doch heimlich nach der Gleichstellung mit Richtern? Müssen sie etwa nicht rechnen? Oder können sie es gar nicht? Wie sieht es dann mit ihren Rechnungen aus? Und der Strafrechtsdogmatik: Unmöglichkeit ist eine Kategorie des Unterlassungsdelikts, § 352 StGB wird aber aktiv begangen. Und im Strafverfahren? Vertrauen sie etwa auf die Beherrschung der mathematischen Kunst seitens des Staatsanwalts? Erkennen somit gar Bundesliga-Verteidiger in der Staatsanwaltschaft die objektivste Behörde der Welt? Wohl kaum. Dennoch: Fragen über Fragen. Die Antwort dürfte darin zu suchen sein, dass das Vorwort aus dem September 2014 mit dem Erscheinungsjahr der Erstauflage ins Verhältnis gesetzt wurde. Die Lehre daraus für alle juristischen Professionen: jede noch so richtige Aussage wird bei unrichtigem Anknüpfungspunkt falsch. Das zwingt zur Skepsis bei Übertragung solcher Aussagen höchstrichterlicher Judikate, die einem passen, dienen umgekehrt aber auch als Ansporn bei Äußerungen, die einem unangenehm sind.

2. Übersicht

a) Der AnwaltKommentar hat ein neues Zuhause gefunden. Er füllt in der Reihe der Heidelberger Kommentare des C.F.Müller-Verlags eine angesichts des darin in 5. Auflage vorliegenden Werks zur StPO auffällig gewesene bisherige Lücke. Allerdings stellt sich damit sogleich eine neue, bislang unbeantwortete Frage: Was wird aus dem AnwaltKommentar zur StPO?

b) Das Team blieb weitgehend unverändert. Schicksalsbedingt musste allerdings für die Verkehrsdelikte Rechtsanwalt Bücken von Rechtsanwalt und VROLG a.D. Burhoff ersetzt werden. Ausgeschieden ist auch Rechtsanwältin Dr. Möhlenbeck. Neu hinzugetreten sind akademischer Rat Dr. Mavany (Staatsschutz) und Staatsanwältin Dr. Christina Putzke (Glückspiel). Damit wuchs die Anzahl der Mitwirkenden auf runde 50 Personen. Der Aufbau der Kommentierungen ist im Kern gleich geblieben und selbst umfängliche Aktualisierungen wurden vorsichtig in die vorhandenen Strukturen eingepasst. Das erleichtert das Auffinden bei vorgefundenen Zitaten aus der Vorauflage sehr. Das Layout entspricht dem der übrigen Heidelberger Kommentare. Leider gelangt es nicht, die überaus angenehme Lesbarkeit aus der Erstauflage in die Neugestaltung zu übertragen, obwohl eine Zeile nunmehr weniger Worte enthält. Die ca. 500 und damit fast 25 % mehr Seiten erklären sich zum Teil aus dieser Tatsache, zudem aus dem Entfallen zweispaltig aufgeführter Fuß-

noten, aber auch aus der Notwendigkeit, der weiteren Rechtsentwicklung mit ihrer zunehmenden Internationalisierung und Ausdifferenzierung bei Inhalt und Umfang einzelner Kommentierungen Rechnung zu tragen.

II. Rechtliche Aspekte

1. Zur Einleitung

a) Die Kreativität der Autor(inn)en, meist bereits als Experten ausgewiesen und teilweise über eine in Jahrzehnten erworbene Reputation verfügend, zeigt sich bereits in der Einleitung (Rn. 26). Aus der Verurteilung eines Betreuungsrichters, der Anhörungen vorgetäuscht hatte, folgert Holm Putzke die Strafbarkeit von Haftrichtern wegen Rechtsbeugung, deren Begründungen für Fortdauerentscheidungen nicht die Tiefe aufweist, die das BVerfG verlangt! Das ist (viel zu!) kühn und würde im Ergebnis nicht nur zu einer strafrechtlichen Erfolgshaftung führen, sondern auch zu einer Versteinerung des Rechts mit quasi totalitärer Festschreibung jeder Äußerung des BVerfG bis in alle Ewigkeit. Die zusätzliche Forderung, de lege ferenda auch leichtfertige Rechtsbeugung unter Strafe zu stellen, zielt auf eine zusätzliche Verschärfung dieser Tendenz und fügt sich damit zwar in den punitiven Mainstream ein, mutet aber in einem verteidigungsorientierten AnwaltKommentar doch eher merkwürdig an. Die Skepsis kann sich doch wohl nicht auf das Fehlen einer ausreichenden Anzahl von Richtern in der Population der Justizvollzugsanstalten richten, sondern sie darf sich allein gegen die Bestrafung im Ausgangsfall wenden: ethisches Unwerturteil über Formalverstöße?

b) Zukunftsbezogen sind die knappen Bemerkungen zu ungelösten Problemen des Enhancements, des Versuchs der Optimierung des Menschen durch Verbesserung seiner Leistungsstärke, nicht nur des Gehirns, mittels neurostimulierender, pharmakologischer, genetischer oder gar chirurgischer Eingriffe (Einl. Rn. 32 – 34). Allerdings wünschte man sich hier mehr als nur einen Verweis auf einen Vorschlag Reinhard Merkels ohne nähere Angabe seines Inhalts. Einen Zusammenhang mit dem Doping im Sport und den Versuchen, diesem Phänomen mit strafrechtlichen Mitteln entgegenzutreten, stellt Putzke ebenfalls nicht her.

2. § 1 StGB

Gaede (Rn. 26) bricht eine Lanze für die innertatbestandliche Analogie in § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB ("andere <erg.: mit Nrn. 1 – 4> vergleichbare Handlung"). In den Rn. 47 – 53 widmet er sich ausführlich der Wahlfeststellung und lehnt eine Verurteilung aus unterschiedlichen Tatbeständen ab. Obwohl er dies mit der wegen des Gesetzlichkeitsprinzips unzulässigen Bildung eines ad-hoc-Tatbestands begründet, erwähnt er die vergleichbare Argumentation im Anfragebschluss des 2. Strafsenats (BGH, NStZ 2014, 392 ff., insbes. Rn. 26) nicht.

3. § 13 StGB

Zur Geschäftsherrenhaftung äußert sich Gercke (§ 13, Rn. 16 f.) knapp, informativ und kritisch. Er überinterpretiert allerdings die Entscheidung des VI. Zivilsenats vom 10.7.2012 – VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 ff. (in Fn. 153 angegeben mit der Fundstelle NZWiSt 2012, 12 statt 460 ff.) als ein Absetzen von strafrechtlichen Judikaten. Dabei betonte der VI. Senat lediglich das Trennungsprinzip zwischen juristischer Person und Organ, z.B. § 13 Abs. 2 GmbHG, und folgerte daraus das Fehlen einer (auch von den Strafsenaten nie behaupteten) allgemeinen deliktischen Haftung der Organmitglieder gegenüber außenstehenden Dritten. Sie kann aber (wiederum im Einklang mit der strafrechtlichen Judikatur) aufgrund "besonderer Anspruchsgrundlagen" (BGHZ 194, 26 ff., Rn. 24) sehr wohl in Betracht kommen.

4. § 14 StGB

Die Ausführungen zu § 14 StGB stammen aus den Federn von Tsambikakis und Kretschmer. Im Hinblick auf die Rezeption von BGH, NJW 2012, 3385 ff. = BGHSt 58, 10 ff. (Tellergeld) begnügen sich beide mit der negativen Abgrenzung, die bloße Einräumung von Leitungsbefugnissen reiche ebensowenig wie die Einbeziehung in unternehmerische Mitverantwortung (Rn. 21a unter Bezugnahme auf BGHSt 58, 10 ff., Rn. 14). Der 5. Strafsenat blieb dabei aber gerade nicht stehen, sondern benannte positiv als entscheidendes Kriterium den Übergang gesetzlicher (in concreto: Arbeitgeber-)Pflichten in die eigenverantwortliche Entscheidungsgewalt des Beauftragten (BGHSt 58, 10 ff., Rn. 15). Die Kontroverse um die Behandlung des faktischen Geschäftsführers (Rn. 24 – 29) hätte ruhig noch etwas weiter zugespitzt werden können: Wenn selbst die Rechtsprechung der Auffassung ist, daß die lediglich einseitig angemaßte Leitungsmacht keine Haftung kraft faktischer Organstellung auslöst, dann beschränkt sich doch die Kontroverse auf die Frage, welche Anforderungen § 14 Abs. 3 StGB an "die Rechtshandlung, welche die Vertretungsbefugnis oder das Auftragsverhältnis begründen sollte", stellt: Ist der Versuch eines formwirksamen Bestellungsakts notwendig? Oder reicht der auf Rechtsfolgen zielende und zum Ausdruck gekommene Wille des Gesellschafters oder der Gesellschafter(mehrheit) zur Überlassung der in Rede stehenden Stellung (ungeachtet jeglicher Formvorschriften) aus (vgl. Rn.27)? Die veränderte Wortfassung des § 15a InsO ("Mitglied eines Vertretungsorgans") gegenüber dem früheren § 84 GmbHG  findet keine Erwähnung (vgl. dazu nunmehr die erst nach Erscheinen veröffentlichte Entscheidung BGH, wistra 2015, 151 f.). Ausführlich gehen die Autoren hingegen auf die Folgen des Endes der Interessentheorie ein (Rn. 31 – 39) und sprechen sich insoweit für eine funktionale Betrachtung aus (Rn. 37).

5. § 73 StGB

a) Ein besonderes Highlight stellen die Ausführungen Rübenstahls zu § 73 StGB dar. Sie nehmen mit 25 Seiten etwa doppelt soviel Raum in Anspruch wie in der Erstauflage. Rübenstahl geht dabei auf (wohl) alle wesentlichen Fragen ein und erörtert das Für und Wider der umstrittensten Themen (beispielhaft: Bestimmung des Verfallsgegenstands im Verhältnis zum Bruttoprinzip, Rn. 14 – 18 über netto 4 Seiten) ebenso kunstvoll wie sachkundig unter Ausbreitung der maßgeblichen Argu-

mente. Das ist gerade für denjenigen Leser sehr hilfreich, der ihm in seinen stets verteidigungsfreundlichen Ergebnissen nicht folgen mag, dem er aber hohe Hürden für die seriöse Befürwortung gegenteiliger Auffassungen in den Weg stellt. Luzide beleuchtet Rübenstahl unter tiefem Eindringen in die Problematik das Thema "Verletzteneigenschaft des Anspruchsinhabers" (Rn. 55 – 58). Dabei geht es um die Frage, ob § 73 Abs. 1 S. 2 StGB den Verfall auch dann ausschließt, wenn der Täter einem Ersatzanspruch (im weitesten Sinne, ungeachtet der spezifischen Grundlage; zum öffentlichen Ersatzanspruch nach einem Umweltdelikt BGHSt 58, 152 ff., worauf Rübenstahl leider nicht eingeht) eines Dritten ausgesetzt ist, der nicht Verletzter der verwirklichten Strafnorm ist. Der BGH hat dies bei der Amtsträgerbestechung für die Fälle der Refinanzierung mittels Erhöhung der (z.B.: Werklohn-)Forderung gegenüber den Dienstherrn um das Schmiergeld bejaht und dabei (verbal; zweifelhaft, ob auch der Sache nach) auf die Tat im prozessualen Sinne abgestellt (BGHSt 47, 22 ff., Rn. 26 – 3. Senat). Zutreffend weist Rübenstahl nach, dass das maßgebliche Kriterium weder die Tat im materiellen noch im prozessualen Sinne ist, sondern dass es gilt, eine doppelte Inanspruchnahme des Täters zu verhindern (Rn. 56a und 56c; ebenso schon BGH, wistra 2001, 295 ff., Rn. 33-35; s.a. Verf., wistra 2013, 309 f.). Dabei kann es allerdings seit Inkrafttreten des § 111i Abs. 2 StPO am 1.1.2007, der aufschiebend bedingten Verfallanordnung, nicht mehr um die drohende, sondern nur noch um die tatsächliche Inanspruchnahme gehen.

b) Nicht ganz klar wird die Stellung Rübenstahls zur Frage nach der Parallelität des Abschöpfungs- zum Bereicherungsrecht: Während er für den Drittverfall (Verschiebung zugunsten des Betroffenen) eine konsequente Orientierung am Bereicherungsrecht verlangt (Rn. 42), könnte dies bei der Bestimmung des "Erlangten" (Rn. 17 – 17b) anders sein. Der Hinweis (Rn. 17b a.E.), § 817 S. 2 Hs. 1 a.E. BGB ermögliche das Rückgängigmachen einer eingegangenen (verbotenen oder sittenwidrigen) Verbindlichkeit, trifft zwar zu und ist konsequent, folgt man der Auffassung Rübenstahls, erlangt sei allein der Vertragsschluss, mangels Unmittelbarkeit aber nicht auch das zur Erfüllung Geleistete. Er erklärt aber für sich weder, ob das Unmittelbarkeitsprinzip in dieser Weise richtig angewendet ist, noch ob das Bruttoprinzip beim Abstellen allein auf die schuldrechtliche Ebene der zivilrechtlich von § 817 S. 2 HS 1 a.E. BGB ermöglichten Berücksichtigung kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung strafrechtlich entgegensteht. Bei Annahme des Letzteren stellte sich zudem die Frage, ob eine derartige strafrechtliche Bestimmung mit dem Grundsatz vereinbar wäre, das zivilrechtlich Erlaubtes strafrechtlich nicht als rechtswidrig angesehen werden kann. Beim Verfall als hoheitlicher Maßnahme ist allerdings nicht das Gleichordnungsverhältnis zwischen Zivilrechtssubjekten betroffen. Soweit es um Rückgewinnungshilfe geht, liegt die Basis dafür jedoch im Zivilrecht. Allerdings ist der Gesetzgeber nicht gehindert, in einem Strafgesetz eine zivilrechtliche Regelung zu treffen, auch nicht, darin eine das Zivilrecht modifizierende Bestimmung aufzunehmen. Das liegt zwar nicht nahe, setzt aber nur den Willen zur Anordnung der getroffenen Rechtsfolge voraus und nicht auch das Wissen um die damit geschaffene Gesetzeskonkurrenz.

c)Hochspannend sind die (erweiterten) Ausführungen zur Frage der Geltung des Grundsatzes ne bis in idem für Verfallentscheidungen (Rn. 61h – 64). Rübenstahl zieht eine Parallele zur Straffestsetzung. Danach ist für ein zweites Verfahren im Inland das Doppelbestrafungsverbot zu beachten (Rn. 64), während es jenseits von Art. 54 SDÜ nicht gilt (Rn. 63). Insoweit spricht er sich jedoch dafür aus, eine ausländische Verfallentscheidung nicht wie die Rechtsprechung allein im Rahmen der Härteklauseln des § 73c StGB zu berücksichtigen, sondern entsprechend § 51 Abs. 3 StGB eine Anrechnung vorzunehmen. Mehr als insgesamt höchstens das Erlangte abzuschöpfen erachtet er als Verfassungsverstoß. Diese Schlussfolgerung ist jedoch keineswegs eindeutig. Da die Härteklausel des § 73c Abs. 1 S. 2 StGB lediglich verlangt, die Entreicherung im Rahmen der Billigkeit zu berücksichtigen, steht sie einer solchen Abschöpfungsentscheidung zumindest nicht von vorn herein entgegen, die dem Betroffenen mit der Summe aus Verfallbetrag und Entreicherung ein Vermögensopfer zumutet, welches den Wert des Erlangten übersteigt. Den Verfall aufgrund Auslandsentscheidung könnte man durchaus als in diesem Sinne Entreicherung ansehen. Gleichwohl spricht der Bereicherungsgedanke für Rübenstahls Lösung.

Bemerkenswert an den Ausführungen Rübenstahls zur Frage nach der Geltung von Art. 54 SDÜ für Verfallentscheidungen ist auch, was er ausblendet: Er thematisiert nicht, ob eine lediglich auf Strafe lautende Verurteilung seitens eines anderen EU-Mitgliedsstaats oder ein Freispruch eine inländische Verfallentscheidung sperrt, sondern bejaht dies für den allein behandelten Fall des Vorliegens einer (anordnenden oder ablehnenden) ausdrücklichen EU-ausländischen Verfallentscheidung (Rn. 62, 62a). Letztlich wird dereinst der EuGH feststellen, ob der Verfall eine unter Art. 54 SDÜ fallende Sanktion ist oder nicht. Sollte er dies trotz ihres gerade nicht auf Ahndung, sondern im Kern auf Bereicherungsausgleich ausgerichteten Zwecks bejahen, so dürfte bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen wohl auch ein im EU-Ausland ergangenes Urteil bei stillschweigend unterbliebener Abschöpfungsentscheidung einer solchen im Inland entgegenstehen. Bei gegenteiliger europarechtlicher Positionierung dürfte der auf die Verfolgung abstellende Wortlaut des Art. 54 SDÜ einer ggf. isolierten Verfallentscheidung analog § 76a Abs. 3 StGB nicht entgegenstehen. Das Verfahren richtet sich zwar nach Regeln der StPO, zielt aber bei Verneinen des Sanktionscharakters eben nicht auf Verfolgung.

Anders als bei der personenbezogenen Strafe stellt Rübenstahl für die von ihm bejahte Anwendbarkeit des Grundsatzes ne bis in idem auf den (potentiellen) Verfallgegenstand als solchen ab (ad rem). So lautet ausdrücklich seine Formulierung für inländische Sachverhalte (Rn. 64) und auf diese Weise erklärt sich, dass er im Rahmen des Art 54 SDÜ einer EU-ausländischen Verfallentscheidung eine Sperrwirkung auch für eine Abschöpfung gemäß § 17 Abs. 4 OWiG im Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen das Unternehmen beimessen will, ja sogar noch weitergehend, bereits eine Unternehmensbuße gemäß § 30 OWiG selbst wegen ihrer der Abschöpfung vergleichbaren Wirkung für ausgeschlossen hält. Die Hochachtung vor der kreativen Phantasie und der höchst professionellen Verteidigungsargumentation ändert jedoch

nichts an der Diskrepanz zwischen dieser Positionierung Rübenstahls einerseits und hier geltendem Recht und dessen dogmatischer Auslegung gemäß allgemein anerkannten methodischen Regeln andererseits.

6. § 263 StGB

a) Generelle Entwicklungslinien

Vor besonderen Herausforderungen stehen Kommentatoren der allgemeinen Vermögensdelikte Betrug und Untreue. Sowohl die grundlegenden Entscheidungen des BVerfG (BVerfGE 126, 170 ff. und 130, 1 ff.) als auch das Europarecht haben so manche dogmatische Gewissheit erschüttert. Daher löst derzeit quasi jede höchstrichterliche Entscheidung eine Fülle von Stellungnahmen aus. Und wie es halt so ist: der Wiederaufbau nach dem Einsturz dauert so seine Zeit. Die Entwicklung in ihren Verästelungen zu verfolgen kostet stete, erhebliche und unermüdliche Aufmerksamkeit. Gaede bejaht im Rahmen seiner Kommentierung des Betrugs eine Restriktion des Täuschungsbegriffs aufgrund der EU-Verbraucherschutz-Richtlinie (§ 263, Rn. 6, 23 und 61). Inzwischen, sicherlich nach Redaktionsschluss, entschied der 2. Strafsenat des BGH (NJW 2014, 2595 ff., Rn. 21 – 33) allerdings im gegenteiligen Sinne.

b) Täuschung

aa) Sehr intensiv widmet sich Gaede der aktuellen Frage nach Möglichkeit und Reichweite konkludenter Täuschungen (Rn. 25 – 36), abzugrenzen gegenüber Täuschungen durch Unterlassen und im Verhältnis zu diesen vorrangig (Rn. 26). Zu Recht hebt er hervor, dass nicht jede falsche Vorstellung auf einer Täuschung beruht, so dass selbst das Verursachen des Irrtums nicht von der Notwendigkeit der Prüfung suspendiert, ob die (bejahte) Kausalität ihren Ursprung tatsächlich in einer Täuschungshandlung findet und dies nur dann der Fall ist, wenn dem gezeigten Verhalten ein (konkludenter) Erklärungswert beizumessen ist (Rn. 27 und 50). Wann dies der Fall ist, ist eine normative Frage. Ob einem typisierten Verhalten aber tatsächlich dieser Erklärungsinhalt zukommt, ist eine tatsächliche, den objektiven Tatbestand im Hinblick sowohl auf Täter- (Täuschung?) als auch auf Opferseite (Irrtum?) berührende Frage, der anschließend noch die Prüfung in subjektiver Hinsicht zu folgen hat (Rn. 28 f.). Im Sinne von Gaede (Rn. 33 a.E.) hat inzwischen der BGH (NStZ 2014, 317 f., Rn. 7) entschieden, daß nicht täuscht, wer als Wetter lediglich von (angeblichen oder tatsächlichen) Täuschungen seitens Dritter erfahren hat.

bb) Nennenswerte Schwierigkeiten stellen sich im Hinblick auf eine Täuschung durch Unterlassen (Rn. 37 – 49). Die Abgrenzung zum Täuschen durch aktives Tun richtet sich danach, ob dem Verhalten des Täters konkludent ein Erklärungswert innewohnt oder nicht (Rn. 37, 39). Gaede weist sehr präzise darauf hin, dass nicht bereits jede Vermögensbetreuungspflicht eine umfassende Garantenstellung begründet, sondern vielmehr erforderlich ist, dass sie gerade in Bezug auf die irrtumsauslösende Fehlvorstellung besteht (Rn. 38). Beispiele sind Sozialleistungen (Rn. 41) und Verträge über Vermögensberatung (Rn. 44). Die Auffassung hingegen, die prozessuale Wahrheitspflicht schütze nur das Gericht, nicht den Prozessgegner, ist kühn: das Gericht ist materiell am Rechtsverhältnis der Prozessparteien nicht beteiligt. Diese müssen es jedoch aufgrund des Selbsthilfeverbots und des ihm komplementären staatlichen Gewaltmonopols, hier in Form des Justizgewährungsanspruchs, anrufen und es muss entscheiden: im Interesse der Wahrung des Rechts jeder der beteiligten Parteien. Da der Zivilprozess als solcher nur ihnen, den Parteien, dient, kann keine Rede davon sein, die Wahrheitspflicht schütze das – gerade unbeteiligte – Gericht und nicht diejenigen, die sich ihm anvertrauen müssen.

c) Irrtum

Irrt der Getäuschte über eine andere als die vorgespiegelte Tatsache, so liegt nach Gaede (Rn. 51) lediglich versuchter Betrug vor. Der BGH (BGHSt 60, 1 ff., Rn. 42) hat allerdings in einer neuen Entscheidung die Gegenauffassung vertreten und die Spiegelbildlichkeit als Stoffgleichheit nur im Verhältnis zwischen Schaden und erstrebtem Vermögensvorteil verlangt. Gaede fordert zudem Identität zwischen Irrendem und Verfügendem (Rn. 66). Dies wird der Arbeitsteiligkeit insbesondere in größeren Unternehmen nicht gerecht. Den überzeugenden Lösungsversuch von Schuhr (ZStW 213 <2011>, 517 ff.) erwähnt Gaede. Es wäre für den Leser spannend geworden, hätte er – der Stoffülle trotzend – sich auch mit ihm inhaltlich näher auseinandergesetzt. Erleichterungen beim Beweis des Irrtums in Fällen zur Aburteilung stehenden Massenbetrugs begegnet Gaede skeptisch (Rn. 52). Über die Fälle der §§ 154 und 154a StPO (letzteres in Bezug auf die Vollendung) hinaus verlangt er die persönliche Vernehmung eines jeden Verfügenden. So geboten es ist, das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals nicht allein aufgrund normativer Erwägungen zu bejahen, so wenig können allerdings gerade wegen des Charakters des Irrtums als eine (vorhandene oder fehlende) Tatsache Beweiserleichterungen, die nun eben die Feststellung von Tatsachen zum Gegenstand haben, als widersprüchlich angesehen werden. Der Ansatz der Rechtsprechung (vgl. BGH zum ärztlichen Abrechnungsbetrug bereits BGHSt 36, 320 ff.; zur Abrechnung gefälschter oder aus anderen Gründen nicht erstattungsfähiger Rezepte seitens eines Apothekers BGH, wistra 2015, 231 f., Rn. 21 – 23), auf der Basis einer repräsentativen Anzahl von Zeugen Hochrechnungen unter Berücksichtigung eines Sicherheitsabschlags vorzunehmen, ist daher systematisch stimmig.

d) Vermögen – Wertbestimmung

aa) Der aktuell wieder sehr intensiv diskutierten Frage nach dem Inhalt des Vermögensbegriffs widmet sich Gaede sehr ausführlich und zwar bereits im Zusammenhang mit seinen Darlegungen zur Vermögensverfügung (Rn. 67 – 80) und nachfolgend beim Schaden (Rn. 107 – 113). Dem subjektivierten Verständnis des Vermögens (zu unterscheiden vom "subjektiven Schadenseinschlag", Rn. 133 – 137, auch Rn. 139, der auf objektiver Bewertung fußt, Rn. 133 a.E.) attestiert Gaede, es sei in der Lage etliche Phänomene überzeugend zu erklären. Gleichwohl lehnt er es unter Hinweis auf ungelöste Entgrenzungsgefahren und der Neigung zum Schutz bloßer Dispositionsfreiheit ab

(Rn. 69, 98; Konzessionen eingehend aber Rn. 105 bei Fn. 631) und gelangt sogar zu der Einschätzung, es vertiefe verfassungswidrige normativierende <welcher Wertbegriff kann aber ökonomischer sein als der subjektive und damit passgenau der freien Marktwirtschaft gemäße?) Tendenzen: nur ein auf den objektiven Wert abstellender Vermögensbegriff sei nicht rechtsgutsfern (Rn. 107). Damit steht er zwar in Übereinstimmung mit Saliger (HRRS 2013, 363 ff.), ohne allerdings die Kritik an dessen Ansicht entkräften zu können.

Faktisch handelt es sich beim Marktwert um die Summe subjektiv vereinbarter oder erwarteter Preise, also gerade nicht um einen von den Marktteilnehmern unbeeinflussten, von ihnen losgelösten und damit objektiven Wert. Stellt man mit Gaede zutreffend auf "die konkreten örtlichen und zeitlichen Besonderheiten" nebst "Besonderheiten des Geschäfts" ab (Rn. 107), so führt dies zu der Frage, wer anderes denn als die individuellen Vertragspartner und wie den Wert bestimmen können soll. Mangels "Nürnberger Trichters" oder eines anderen unmittelbaren Zugangs zur einzigen Wahrheit wird nur, soweit keine Täuschung im Spiel ist, die Gleichsetzung von Preis und Wert der Situation gerecht – gibt es nur einen Marktteilnehmer, so gibt es auch rein logisch keine andere Möglichkeit, will man das abstruse Ergebnis vermeiden, dass der Vertragsgegenstand in solchen Konstellationen eben gar keinen Wert hat. Warum aber wurde er dann trotzdem gehandelt? Mit welcher Begründung soll der Jurist, der entscheidende Richter, klüger sein als die Beteiligten? Und mit welcher Begründung wollte man dann verneinen, dass der Gegenstand mangels eines Wertes gestohlen werden dürfte?

Müsste sich auf der Basis der streng objektiven Wertbestimmung nicht jeder Manager zur Vermeidung seiner Untreuestrafbarkeit vergewissern, welchen Preis andere an seiner Stelle zu akzeptieren bereit wären (vergleichbar einer von Gaede, Rn. 135, zu Recht kritisierten absurden Konsequenz, derzufolge sich bei Anerkennung eines individuellen Schadenseinschlags der Vertragspartner immer Kenntnis vom objektiven Gegenwert für sein Gegenüber verschaffen müsste – eine Folge, die allerdings weder unvermeidlich ist, noch sich beim Abstellen auf intersubjektive Wertbestimmung einstellt, ist diese doch nur dann nicht maßgeblich, wenn ein Partner unlauter und damit täuschend auf das Vorstellungbild des anderen einwirkt.)? Damit wäre via Strafrecht das Ende der freien Preisbestimmung am Markt eingeläutet!

Auch methodisch überzeugt das Ergebnis nicht, müsste doch wohl anstatt einer schlichten Behauptung zunächst der Versuch unternommen werden und zudem gelingen, die subjektive Wertbestimmung als rechtsgutsfremd und verfassungswidrig herauszuarbeiten, und umgekehrt aufgezeigt werden, dass nur die objektive Wertbestimmung das einzig rechtmäßige Ergebnis darstellt (eingangs Rn. 110 zutreffend konstatierend, auch die am Markt orientierte objektive Vermögensbewertung stelle einen normativen Vorgang dar, eine Erkenntnis, die freilich <im grundsätzlichen Einklang mit Gaede, Rn. 111 sowie Rn. 110 und seiner Auflistung nicht konsistenter obergerichtlicher Entscheidungen> nicht als Einfallstor für jede normative Wertbestimmung missbraucht werden darf). Mir scheint, hier bedarf es vor allem der Klärung, in welchem Umfang es sachgerecht ist, ein subjektives Verständnis des Vermögenswerts zugrundezulegen.

bb) Der Abgrenzung zwischen vermögenswerten Exspektanzen und nicht geschützten bloßen Aussichten und Hoffnungen sind die Rn. 72 f. gewidmet. Dem Vermögensschutz rechts- und sittenwidrig erlangter oder zur Verwendung zu derartigen Zwecken bestimmter Vermögenswerte (Rn. 76 – 79) steht Gaede skeptisch bis ablehnend gegenüber (Rn. 79). Die Rechtsauffassungen zum Erfordernis bzw. nach h.M. Entbehrlichkeit eines Verfügungsbewusstseins des Geschädigten referiert er eher distanziert (Rn. 87 f.). Für die h.M. spricht, dass Diebstahl kein Heimlichkeitsdelikt ist, so dass es für die Abgrenzung Betrug/Diebstahl genügen dürfte, allein auf die objektiven Umstände abzustellen: geben oder nehmen. Die Frage, ob Betrug ausscheidet, wenn der Getäuschte in Kenntnis des wahren Sachverhalts ebenfalls wie geschehen verfügt hätte, spricht Gaede als ein Problem der hypothetischen Ersatzursache im Verhältnis Irrtum/Vermögensverfügung an (Rn. 95). Dieses Problem stellt sich aber auch im Hinblick auf den Schaden und zwar im Rahmen der Kompensation (z.B. ersparte Aufwendungen der Krankenkasse bei lege artis erbrachter, aber nicht abrechnungsfähiger Leistung). 

e) Schaden

aa) Für die Bemessung des Schadens fordert Gaede zwei Schritte: einer wirtschaftlichen Betrachtung habe eine Eingrenzung nach spezifisch strafrechtlichen Wertungen, insbesondere im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut, zu folgen (Rn. 96). Zu Recht lehnt er die Kompensationswirkung solcher Ansprüche ab, die dem Getäuschten zwar aufgrund der Tat erwachsen, ihm aber verborgen bleiben sollten (Rn. 98, 102).

bb) Mit verbreiteter, vielleicht gar h.M. betrachtet er die Vermögensminderung beim Eingehungsbetrug als Gefährdungsschaden (Rn. 104). Dem kann allerdings jedenfalls nicht ohne Einschränkungen gefolgt werden. Ob ein Schaden entstanden ist, wird gemäß üblicher Formulierung im Wege der Saldierung des Vermögens vor und nach der Vermögensverfügung ermittelt. In der Praxis werden jedoch nicht sämtliche Auswirkungen auf alle Einzelteile des gesamten betroffenen Vermögens überprüft, sondern der Wert von Leistung und Gegenleistung verglichen (Velten, FS Schünemann 2014, S. 715, 716 – 719). Welche Umstände dabei zu berücksichtigen sind, ist vom Sachverhalt abhängig.

(1) Angesichts des im geltenden Zivilrecht bestehenden Abstraktionsprinzips geht außerhalb gesetzlicher Schuldverhältnisse dem realen Güterverkehr, der Ebene das Sachenrechts, (zumindest: regelmäßig) eine schuldrechtliche Vereinbarung voraus. Beim Eingehungsbetrug sind Anspruch und Gegenanspruch gegenüberzustellen. Beide sind bereits für sich vermögensrelevant. Das bedeutet, dass die Beeinflussung des Vermögens nicht notwendig eine Veränderung in der realen Güterwelt voraussetzt: im Einklang mit Gaede, Rn. 99, 103, kommt bereits einer Forderung selbst Vermögenswert zu – spiegelbildlich dazu stellt eine Verbindlichkeit eine Einbuße am Vermö-

gen dar. Ob bereits der unausgewogene Schuldvertrag zu einem Schaden des Getäuschten führt, hängt von verschiedenen tatsächlichen Umständen ab.

(2) Ist der Täuschende vorleistungspflichtig oder muss der Getäuschte seine (Gegen-)Leistung nur Zug – um – Zug erbringen, so liegt darin ebenso wie im Fall der Bestellung einer ausreichend werthaltigen Sicherheit eine vollständige Kompensation. Hier scheidet die Annahme eines Schadens aus. Auf den Wert irgendeiner Gefahr kommt es insoweit überhaupt nicht an. Ist hingegen der Getäuschte vorleistungspflichtig, so hat der Täuschende einen unbedingten und einredefreien Anspruch auf Leistung. Beabsichtigt er, diesen Anspruch durchzusetzen, die Gegenleistung aber nicht zu erbringen, so liegt bereits auf der schuldrechtlichen Ebene ein vollendeter Betrug zum Nominalwert der Leistung des Getäuschten vor: Dieser versprach seine Leistung nur, weil er auf den Erhalt der als wertgleich angenommenen Gegenleistung vertraute. Ist der Täuschende von Anfang an leistungsunfähig, so ist unmittelbar einsichtig, dass der Getäuschte nicht etwa erst und nur einer Vermögensgefährdung ausgesetzt ist, sondern bereits eine wirkliche Einbuße in seinem Vermögen erlitten hat: Seiner unbedingten Leistungspflicht kann er nicht entgehen (Ausnahme: § 321 Abs. 1 BGB, die aber Kenntnis der tatsächlichen Lage voraussetzt und bei Leistungsunwilligkeit nicht greift), während sein Gegenanspruch nichts wert ist. Eine aktuelle Vermögensminderung in Höhe des Nominalwerts der Verbindlichkeit lässt sich demgemäß bei fehlender Durchsetzbarkeit der Gegenleistung nicht leugnen, so dass für eine darunterliegende Bemessung des Schadens aufgrund einer bloßen Gefährdung insoweit keine Rede sein kann. Verallgemeinernd lässt sich formulieren: Kann das der Vermögensverfügung nachfolgende Geschehen die Einbuße nicht mehr beeinflussen, so handelt es sich um einen Realschaden.

Der Leistungsunfähigkeit steht die Leistungsunwilligkeit gleich. Das versteht sich allerdings nicht von selbst, da ein rechtlich wirksamer Anspruch gegen einen zwar unwilligen, aber leistungsfähigen Schuldner zwangsweise durchgesetzt werden kann. Bei wirtschaftlicher Betrachtung ist der Gegenanspruch des Getäuschten demnach nicht etwa nichts wert. Es ist eine normative Erwägung, ihm aufgrund der Vertragsbrüchigkeit des Täuschenden und der aufwendigen Umstände der Rechtsverfolgung trotzdem keine Kompensationswirkung zuzumessen. Spätere freiwillige oder erzwungene (Teil-)Zahlung(en) sind demnach lediglich als Wiedergutmachung anzusehen, zu berücksichtigen nicht auf Tatbestands-, sondern auf der Ebene der Strafzumessung. Auch insoweit handelt es sich nicht um Fragen der Vermögensgefährdung.

(3) Für die Prüfung einer Gefahr als (mit der Vermögensverfügung) eingetretener Minderung des Vermögens des Getäuschten, also als bereits damit angerichtetem Schaden, ist nur dort Platz, wo bei grundsätzlich vorhandener Leistungswilligkeit die Leistungsfähigkeit von in der Zukunft liegenden tatsächlichen Entwicklungen abhängt. Jeder erst später zu erbringenden Leistung wohnt ein gewisses Risiko inne, das dem Anspruch auf die vollwertige Gegenleistung anhaftet und dessen Wert herabsetzt. Die eigene Leistung wird im Vertrauen auf den Erhalt der Gegenleistung erst versprochen und dann erbracht. Obwohl es sich dabei um ein ausgewogenes und damit strafrechtlich irrelevantes Geschehen handelt, beweist sich die tatsächliche Ausgeglichenheit von Leistung und Gegenleistung frühestens im Zeitpunkt beiderseitiger vollständiger Erfüllung. Jedes einem derartigen oder dem konkreten Vertrag zwangsläufig immanente Risiko ist legal und in ökonomischer Hinsicht in den festgelegten Wert der Gegenleistung eingepreist. Aufgrund dieser Ausgeglichenheit darf bilanzrechtlich die Forderung zum Nominalwert und die letztlich erhaltene Gegenleistung nicht mit einem über dem Preis liegenden Wert aktiviert werden.

Eine Wertberichtigung ist erst aufgrund späterer Entwicklungen zulässig, z.B., wenn sich bei der Gegenüberstellung von Leistungsanspruch und Gegenleistung ein Ungleichgewicht zeigt. Die Höhe der Korrektur hängt von den konkreten Umständen ab. Versprechen und gebrochenes Versprechen können sich zwar um den vollen Nominalwert unterscheiden, müssen es aber nicht. Die Bewertung ändert sich etwa dann, wenn der Gegenleistung über die vertragstypischen hinausgehende weitere Risiken anhaften. Werden sie offengelegt, so mindern sie den dafür erzielbaren Preis. Wird über ihr Vorhandensein getäuscht und deshalb die Gegenleistung in der Höhe vereinbart, die der Getäuschte nur beim Bestehen allein vertragstypischer Risiken akzeptiert hätte, so besteht sein mit Vertragsschluss eingetretener Schaden in der Risikodifferenz. Da bereits der Wert der versprochenen Gegenleistung gemindert ist, tritt der Betrugsschaden damit und nicht erst bei ihrem (vollständigen oder teilweisen) endgültigen Ausbleiben ein. Da der Schaden der Quantifizierung bedarf, ist das zusätzliche Risiko zu bewerten. Ist im Zeitpunkt der Vermögensverfügung noch offen, ob die Gegenleistung ganz oder partiell ausfallen wird, so  ist derim täuschungsbedingt über das vertragsimmanente hinausgehenden Risiko bestehende Schaden erforderlichenfalls zu schätzen.  Es handelt sich dabei zwar nicht unter dem Gesichtspunkt der eigenen Verpflichtung, wohl aber im Blick auf die Minderwertigkeit der Gegenleistung um einen bereits gegenwärtigen und deswegen betrugsrelevanten Gefährdungsschaden.

cc) Wird neben der Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit auch noch wie von Anfang an geplant die Vertragsgemäßheit der Erfüllungsleistung vorgetäuscht, so handelt es sich um einen sog. unechten Erfüllungsbetrug, z.B. wenn der Kauf eines Goldrings durch Leistung eines lediglich vergoldeten Rings erfüllt werden soll. Unstreitig ist insoweit noch, dass das Geschehen auch hier bereits auf schuldrechtlicher Ebene strafrechtlich relevant ist. Keine Einigkeit besteht jedoch über die genaue strafrechtliche Einordnung des Geschehens. Unproblematisch liegt allerdings bei Übergabe des als golden ausgesuchten und verkauften, in Wahrheit aber nur vergoldeten Rings ein einheitlicher Betrug mit einem Schaden in Höhe der Wertdifferenz vor. Die Meinungsverschiedenheiten bestehen jedoch sowohl in Bezug auf Sachverhalte, in denen die Erfüllung der schuldrechtlichen Vereinbarung zeitlich erst nachfolgen soll, als auch über die Bestimmung des Wertes.

(1) Entwertet bereits die vollständige Leistungsunwillig- oder -unfähigkeit (dazu auch unten 5 a.E. und 6) den Wert des Gegenanspruchs des Getäuschten (dazu oben  II 6

e bb <2>), so ist es nur konsequent, diese Systematik auf die Fälle des unechten Erfüllungsbetrugs zu übertragen: Demnach tritt bereits auf der schuldrechtlichen Ebene der Schaden ein. Dessen Höhe wird davon beeinflusst, ob eine etwa vorgesehene Gegenleistung für den Getäuschten einen Wert hat. Er darf ein aliud zurückweisen. Jedoch wird der Täter damit nicht rechnen, so dass sich sein Vorsatz regelmäßig nur auf die Wertdifferenz bezieht und deswegen nur diese einer Verurteilung tatbestandlich zugrunde gelegt werden darf. Das gilt auch, wenn der Getäuschte die Gegenleistung zurückweist oder sie nur als Wiedergutmachung eines Teils des angerichteten Schadens entgegennimmt.

(2) Der Hauptstreitpunkt betrifft die Frage, wie der Wert der Forderung des Getäuschten an den Täuschenden zu bestimmen ist.

(a) Die Antwort fällt leicht, wenn der Marktpreis vereinbart wurde. Das aber ist nicht immer der Fall. Bei Unikaten (Kunsthandel!) fehlt es daran von vorn herein. Angesichts marktwirtschaftlich freier Preisbestimmung dürfen zudem Verträge abgeschlossen werden, die sich für eine der Parteien als Schnäppchen erweisen. Ihnen liegen vom Marktwert abweichende Preise zugrunde, seien es höhere oder handele es sich um günstigere. Ist aber deswegen das Synallagma gestört? Davon kann bei offengelegtem und bewusstem Handeln keine Rede sein. Was aber gilt im Fall der Täuschung? Derartige Sachverhalte sind davon gekennzeichnet, dass es sich in Wahrheit nur um Scheinschnäppchen handelt. In aller Regel hätte der Getäuschte den Vertrag gar nicht geschlossen, wenn er um den wahren Sachverhalt gewusst hätte.

(b) Betrügt derjenige, der im Restaurant oben im Eiffelturm für den für 7 € bestellten Kaffee unter Hinweis darauf, dass er im Café am Fuße der Sehenswürdigkeit für die gleiche Leistung nur 3,50 € zu entrichten hätte, plangemäß nur die Hälfte bezahlt? Oder darf er das aufgrund des "objektiv" nicht höheren Werts? Versucht der Wirt im Eiffelturm etwa seinerseits zu betrügen? Hier mag man einwenden, dass der Transport, die Atmosphäre und die Aussicht zusätzliche preissteigernde Faktoren darstellen. Was aber gilt bei den beiden Kiosken am Boden, deren einer die Flasche Bier für 1,50 € verkauft, während deren anderer für die gleiche Leistung 2 € verlangt? Marktpreis 1,75 €? Darf sich der 2-€-Käufer mit der Zahlung von 0,25 € weniger begnügen? Und umgekehrt: braucht der 1,50-€-Verkäufer nur 0,425 Liter Bier auszuschenken? Lächerlich? Lebensfremd? Auch im Fall mangelnder Erfüllung einer für 1 € ersteigerten Rolex-Uhr im fünfstelligen Marktwert? Schaden: der eine gezahlte €? Kein Schaden bei vereinbarten 100 €, wenn das tatsächlich gelieferte Imitat mindestens diese 100 € wert ist?

(c) Die h.M. gelangt für die Fälle des unechten Erfüllungsbetrugs tatsächlich zu solchen Ergebnissen. Der ihr zugrundeliegenden Einheitstheorie, die Eingehungs- und Erfüllungsstadium zusammen betrachtet, schließt sich Gaede an (Rn. 106). Da der § 263 StGB nur vor einer Vermögenseinbuße schützt, nicht aber eine Vermögenssteigerung absichert, hat die Einheitstheorie zur Folge, dass ein Schaden nur dann vorliegt, wenn die Gegenleistung objektiv hinter dem Wert der Leistung des Getäuschten zurückbleibt. Das ist gleich in mancher Hinsicht schief.

(d) Diese h.M. hält zwar für die Berechnung des Schadens den Geschädigten an dessen schuldrechtlicher Verpflichtung fest, misst aber dessen schuldrechtlichem Anspruch nur eine sehr eingeschränkte Bedeutung bei, indem sie dem Täuschenden quasi "gestattet", seine von ihm akzeptierte schuldrechtliche Leistungspflicht abweichend, d.h. vertragswidrig zu erfüllen. Eine Erklärung für diese Ungleichbehandlung zu Lasten des Getäuschten und für die damit verbundene andersartige Betrachtung als in den Fällen des Eingehungsbetruges bietet sie jedoch nicht.

(e) (aa) Zivilrechtlich gilt jedoch, dass sich die individuellen Parteien mangels staatlicher Festlegung nicht nur gegenseitige Leistungen zu einem von ihnen bestimmten Preis versprechen, sondern damit zugleich deren Wert innerhalb ihrer beider Verhältnis festlegen: wer eine Uhr unter Marktwert (nochmal: i.e. die Summe aller vergleichbaren tatsächlichen oder erwarteten Geschäfte) verkauft, verschafft dem Käufer einen wirksamen Anspruch auf Übereignung zum vereinbarten Preis. Dieser Anspruch ist trotz des geringen Preises der Gegenleistung adäquat, d.h. gleichwertig. In Marktpreisen ausgedrückt – und nichts anderes findet bei Schnäppchen statt – repräsentiert damit die Verpflichtung zur Zahlung von nominell 100 € einen fünfstelligen Wert (zum Thema BGH, ZWH 2012, 459 ff. <plagiierte Pirelli-Felgen> einerseits, 2. Strafsenat, dazu Bittmann, ZWH 2012, 446, 449 ff.; und BGHSt 58, 205 ff. <Grundstückswert> andererseits, 5. Strafsenat; dazu Bittmann, wistra 2013, 449, 453 ff.;  zweifelnd nunmehr BGH, Beschl. v. 2.9.2015 – 5 StR 186/15, Rn. 6 f. = NStZ-RR 2015, 374 f.).

(bb) Das Vermögen des Schnäppchenkäufers besteht demnach mit Abschluss des schuldrechtlichen Vertrags aus der Summe aus bisherigem Bestand zuzüglich Forderung gegen den Verkäufer abzüglich ihm gegenüber bestehender Verbindlichkeit. Dass er damit günstiger als zuvor steht, ist nichts anderes als Ausdruck der freien Marktwirtschaft. Der wirksame Anspruch ist mit seinem Entstehen genauso Eigentum i.S. des Art 14 GG wie z.B. eine Unterhalts- oder Schadenersatzforderung. Dass letztere auf Gesetz, der vereinbarte Anspruch hingegen auf Vertrag beruht, macht keinen Unterschied. Für eine gegensätzliche strafrechtliche Behandlung fehlt es demnach an einem rechtfertigenden Grund: Der Vertragspartner darf die seinem Gegenüber schuldrechtlich gewährte vermögenswerte Position nicht etwa deshalb auf Erfüllungsebene wieder straflos entziehen, weil er an der Entstehung dieses günstigen Vermögenswerts seines Kontrahenten selbst mitgewirkt hatte.

(3) Sinn (ZJS 2013, 625 ff., 628) wendet demgegenüber ein, vor dem Vertragsschluss (d.h. doch aber: anders danach) könne es nur einen Wert und keinen Preis gegeben haben, so dass der Preis nicht den Wert bestimmen oder mit ihm gleichgesetzt werden könne. Weil dieses Bedenken dem Nominalwert der Forderung keine betrugsrelevante Bedeutung beimisst, beruht es unausgesprochen auf dem Boden der Einheitstheorie, kann damit aber weder diese bestätigen noch die Trennungstheorie

widerlegen. Es greift aber auch aus anderen Gründen nicht durch.

(a) Wie Sinn zutreffend und an einem Beispiel exemplifizierend darlegt, besteht vor dem Vertragsschluss nur der zum Handel bestimmte Gegenstand. Der Verbindung von Gegenstand und Wert widmet sich Sinn allerdings nur mit der eher behauptenden Aussage, der Gegenstand habe einen bestimmbaren Wert. Ergänzend verweist er auf Ausführungen des BGH (NJW 2004, 2603, 2604), denen zufolge der Verkaufspreis der betreffenden Umsatzstufe am Markt maßgeblich sei. Dabei erstaunt zunächst die Erklärung des Werts mit dem Preis. Kein Wert ohne Markt? Was überhaupt ist der Markt? Ein abstraktes Denkgebilde? Ein statistischer Wert? Eine Zukunftshoffnung? Irgend so etwas Allgemeines, nicht Fassbares? Warum nichts Konkretes wie der Vertragsschluss, obwohl nur dies sinnlich begreifbar ist?

Auch wenn man auf einen angeblich objektiven Wert rekurriert, bedarf es der Erklärung, auf welche Weise er sich bestimmen lassen und wer dafür zuständig sein soll, warum zwar die jeweiligen Umstände des in Rede stehenden Geschäfts juristisch bedeutsam sein sollen, ihre Bewertung aber nicht den Beteiligten überlassen werden dürfe (wem sonst? Dem Markt? Wer ist der Markt, s.o.?), und aus welchen Gründen sich nur allzu oft der ach so objektive Wert nicht erzielen lässt, schaue man nur auf eine Art Lebenslüge der Kreditwirtschaft, die ebenso tagtäglich wie ihre Praxis fortsetzend erfährt, dass nominell ausreichende (Real-)Sicherheiten bei der Zwangsversteigerung keineswegs den Ausfall der Zahlung zu kompensieren vermögen?

(b) Mit Sinn lässt sich also konstatieren, dass es vor dem Vertragsschluss nur den Gegenstand gibt. Mit Sinn kann man auch durchaus behaupten, dass dieser Gegenstand einen objektiven Wert repräsentiert. Entgegen Sinn gibt es aber keine Möglichkeit, diesen objektiven Wert 1:1 in Geld auszudrücken. Der Gegenstand birgt objektives Potential. Es lassen sich auch Aussagen über dessen Größenordnung treffen. Das alles ändert aber nichts daran, dass alle Tausch-Werte vor dem Vertragsschluss, zugegeben: zugespitzt formuliert, nichts als Hoffnungen darstellen. Anders gewendet: Im konkreten Vertragsschluss realisiert sich kein zuvor vorhandener Wert, sondern allein das dem Gegenstand mit der Möglichkeit zum Austausch innewohnende Wertpotential. Demzufolge ist es der abgeschlossene Vertrag, der den (Tausch-)Wert erst kreiert! Nur mit dem Vertrag wächst dem Gegenstand ein für die Rechtsordnung in Geld ausdrucksfähiger Wert zu. Ein Wert war zwar bereits zuvor vorhanden, mit Marktnachfrage oder ohne, nur ließ sich sein Geldwert zuvor lediglich schätzen. Mit dem Vertragsschluss geschieht die für den Moment maßgebliche und zivilrechtlich die Vertragsparteien bindende Quantifizierung. Verlässlicher als per Abstellen auf den Vertragsschluss lässt sich der Wert auch für das Strafrecht nicht feststellen. Zudem wäre es merkwürdig und bedürfte einer wirklich guten und überzeugenden Begründung, weshalb das Strafrecht vom Zivilrecht abweichen wollte – noch dazu in, wie gezeigt (oben II 6 e cc <2> <d>) einseitiger Weise.

(c) Sinn hebt hervor, Preiserwartungen vor Vertragsabschluss seien kein Vermögensbestandteil. Müsste dann nicht aber Gleiches für die Erwartung gelten, das im Gegenstand repräsentierte Potential an Tauschwert ganz oder zum Teil ausschöpfen zu können? Was anderes als erst der Vertragsschluss führte dann aber den Wandel von der Hoffnung zum Vermögensgegenstand und damit zu einem in Geld bemessenen Wert herbei? Wer dem Wertpotential keinerlei Vermögenswert beimisst und es als schlichte Hoffnung ansieht, macht dem Eingehungsbetrug in toto den Garaus: Vor dem Vertrag kein Markt und ohne Markt kein Wert. Diese Konsequenz ziehen in der Tat diejenigen, die im Abschwindeln nicht handelbarer Unikate keinen Betrug sehen – merkwürdig, wird doch die Strafbarkeit der Eigentumsentziehung mittels Unterschlagung oder Diebstahls nicht in Frage gestellt, so dass es sich hier bei der Abgrenzung zwischen Trickdiebstahl und Betrug um einen der höchst seltenen Fälle der Scheidung zwischen Strafbarkeit und Straflosigkeit handeln würde.

(4) (a) Den Eingehungsbetrug als solchen stellen allerdings weder Gaede noch Sinn in Frage. Sie bemessen den angeblich objektiven, d.h. vom konkreten Vertrag und dem darin festgeschriebenen Preis unabhängigen Wert im Wege einer Vermutung: wenn ähnliche Gegenstände zu bestimmten Preisen gehandelt werden, so ist es am wahrscheinlichsten, dass auch der in Rede stehende Gegenstand einen Wert in Höhe des allgemeinen Marktniveaus repräsentiert. Damit anerkennen auch sie die ausschlaggebende Rolle des Preises, allerdings nicht des konkret erzielten, sondern desjenigen, der im Allgemeinen erzielt zu werden pflegt. Das funktioniert bereits bei Massenware nicht bruchlos. Produzieren zwei Brauereien im wesentlichen gleiches Bier, so verlangen und erzielen sie gleichwohl unterschiedliche Preise. Ändert das etwas an der Gleichheit ihres Werts? Und worin unterscheidet sich der Wert (nicht: der Preis) eines Stückchens Leder, das in einer Fabrik mit der Lizenz eines angesagten Herstellers zu einer teuren Marken-Handtasche (z.B. Gucci) verarbeitet wurde, vom billigen, weil rechtswidrig erschaffenen Imitat? Je seltener eine Art gehandelt wird, desto mehr hängt der Marktpreis von Einzelverkäufen ab – unabhängig von deren typischer Natur oder individuellen Besonderheiten. Überhaupt: Aus wievielen Handelsgeschäften soll denn ein Marktpreis bestehen müssen? Wenn 3 genügen, warum dann nicht eines? Worin liegt der materielle Unterschied, aus dem geschlussfolgert wird, dass viele, zumindest einige gleichartige Geschäfte Einfluss auf den Wert haben, ein einzelnes aber nicht? Ist Privatautonomie nur innerhalb des Mainstreams strafrechtlich anzuerkennen?

(b) Es mag einen statistischen Mittelwert geben. Es lässt sich eine Preisspanne feststellen. Empirisch. Was haben sie mit dem (Tausch-)Wert zu tun? Jedenfalls nicht so viel, dass sie es erlauben würden, auf einen objektiven Wert zu schließen. Feststellen lässt sich immer nur ein mehr oder weniger üblicher Preis. Die Bestimmung des Werts ist hingegen abhängig von normativen Wertungen in dem Sinne, dass das Recht festlegt, auf welche tatsächlichen Umstände es wie ankommen soll. In einer Marktwirtschaft ist der Wert aber weder vorgegeben noch nor-

mativ vorbestimmt. Der Wert folgt aus dem frei vereinbaren Preis. Das sehen auch die Vertreter eines objektiven Wertbegriffs der Sache nach nicht anders. Warum sie aber auf schwer greifbare Kriterien zurückgreifen, die vielfach von kaum objektivierbaren Umständen abhängen, anstatt auf die konkrete, in der Parteiabrede festgelegt beiderseitige Wahrheit, ist nicht erklärlich.

(5) (a) Demgegenüber ist festzuhalten: Es gibt keinen objektiven Tauschwert. Erst in der konkreten Parteivereinbarung realisiert sich das Wertpotential. Allein sie stellt die Verbindung zwischen einem Gegenstand und seinem Preis her und beziffert auf diese Weise dessen tatsächlichen Tauschwert. Zivilrechtlich wird dieser fraglos anerkannt.

Im Gegensatz zur Kritik von Sinn erfolgt auch bei der subjektiven Wertbestimmung keine Gleichsetzung von Wert (oder Wertpotential) und Preis. Vielmehr legen die Parteien den Preis gestalterisch frei fest. Sie orientieren sich dabei an ihren Wertvorstellungen. Die Einigung darüber ist logisch dem Vertragsschluss vorgelagert: Im wechselseitigem Abstimmen der gegenseitigen Wertvorstellungen wird (im Erfolgsfall) zuerst die Einigung über die konkrete beiderseitige Wertvorstellung erzielt. Erst im Anschluss daran erlangt die erzielte Einigung über den Wert im Vertragsschluss Verbindlichkeit. Gebunden sind daran nur die Vertragsparteien. Dass andere Beteiligte mit anderen Vorstellungen und Interessen zu anderen Preisen gelangt wären, ist zwar (jenseits von Massengeschäften) sehr wahrscheinlich, aber rechtlich für den jeweilig inter partes maßgeblichen Wert ohne Bedeutung. Ein mit drei Millionen € taxiertes Grundstück kann für denjenigen, der damit nichts anfangen kann, aber die Verkehrssicherungspflicht erfüllen muss, einen negativen Wert repräsentieren, während es für jemanden mit einer vermarktungsfähigen Idee das Doppelte oder noch mehr wert sein kann. Nochmals: Mangels Nürnberger Trichters oder sonstigen Zugangs zur einzig wahren Wahrheit gibt es niemanden, der den Wert besser bestimmen könnte als die Parteien selbst. Es gibt keinen Grund, deren freier Vereinbarung strafrechtlich die Anerkennung zu verweigern.

Erst und nur dort, wo sich der Preis nicht auf freie, von sachwidrigen Einflüssen und Manipulationen unbeeinflusste Weise gebildet hat, kommt das Strafrecht nicht umhin, hilfsweise auf andere, aber: wohlgemerkt: weniger verlässliche Erkenntnisquellen zurückzugreifen. Sie sind marktferner oder gar, z.B. bei nicht handelbaren Unikaten, unabhängig vom Markt, also nicht nach empirischen wirtschaftlichen Kriterien, sondern nach normativen Maßstäben zu bestimmen, die sich allerdings weitestmöglich an Marktbedingungen (z.B. den Herstellungskosten, auch wenn sie sich nicht amortisieren lassen und daher nicht allein ausschlaggebend sein können) annähern sollten.

(b) Bestimmen die Parteien den Wert, so findet er seinen ersten Niederschlag in der schuldrechtlichen Abrede. Gaede hingegen versagt der schuldrechtlichen Forderung, d.h. ihrem Nominalwert, den uneingeschränkten Schutz des Betrugstatbestands. Zur Begründung verweist er, abstrakt zutreffend, darauf, dass § 263 StGB nur gegen Vermögensminderung schütze, nicht aber gegen ausbleibende Vermögensmehrung. Letzteres findet im Beispiel jedoch gerade nicht statt: der Anspruch selbst ist wirksam kraft Privatautonomie entstanden. Er ist auch nicht etwa dadurch rechtlich minderwertig oder sonst irgendwie kontaminiert, dass die Gegenseite niemals erfüllungsbereit war. Dabei handelt es sich um einen "geheimen Vorbehalt" i.S. von § 116 S. 1 BGB, der rechtlich irrelevant ist.

Mit Vertragsschluss hat der Getäuschte folglich den Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Gegenleistung wirksam erlangt. Der Täuschende kann sich vom Vertrag lösen, wenn der Getäuschte den Preis (100 €) nicht zahlt. Die Erfüllung mit einem Imitat anstatt mit der Originaluhr ist jedoch vertragswidrig, so dass der Käufer das Imitat zurückweisen darf. Seinen Erfüllungsanspruch verliert er auch dann nicht. Liefert der Verkäufer ein vom Käufer nicht erkanntes Imitat, so irrt Letzterer, weist es nicht zurück und macht weder seinen Erfüllungsanspruch noch seinen (aufgrund vertragswidriger Erfüllung in gleicher Höhe eingetretenen) Schaden geltend. Die Minderung im Vermögen tritt hier erst in der Erfüllungsphase ein. Einen Betrugsschaden im Marktwert der Original-Uhr stellt sie allerdings nur dann dar, wenn der Täuschende entweder zur Lieferung der Original-Rolex in der Lage war oder sein Vermögen ihn zur Beschaffung in die Lage versetzte. Andernfalls repräsentierte die Gegenforderung des Getäuschten wirtschaftlich nie den Nominalwert. Im Hinblick auf  ein für ihn wertloses Imitat beträgt der Schaden des Eingehungsbetrugs im Fall völliger Leistungsunfähigkeit des Täuschenden nur 100 €. Ging im Fall des bei Werthaltigkeit begangenen unechten Erfüllungsbetrugs ein z.B. auf Leistungsunwilligkeit fußender Eingehungsbetrug voraus, so richtet sich das Konkurrenzverhältnis zwischen beiden nach den konkreten Umständen. Ist der Schaden bereits vollständig mit Vertragsschluss eingetreten, so richtet die Erfüllungsebene keinen zusätzlichen Schaden an. Aber auch dann, wenn sich der gesamte tatbestandliche Schaden erst aus einer Addition der Vermögensminderungen auf schuld- und sachenrechtlicher Ebene zusammensetzt, liegt im Wege natürlichen Handlungseinheit nur eine Betrugstat vor.

(6) Die gegen die selbständige Berücksichtigung der Eingehungsebene gerichteten Einwendungen Gaedes greifen nicht durch. Zu Recht betont er allerdings, dass § 263 StGB nicht bereits bei ausgebliebener Vermögensmehrung eingreift. Der Bezugspunkt dieses Aspekts ist jedoch allein die Phase der Eingehung der Verabredung, weil erfüllt nur das werden kann, worauf ein Anspruch besteht. Bleibt eine erhoffte Übererfüllung aus, so kann darin schon deshalb kein (Betrugs-)Schaden liegen, weil diese Hoffnung keinen rechtlich geschützten Vermögenswert ausmachte. Die Trennungstheorie widerspricht aber auch in der Erfüllungsphase der Begrenzung des § 263 StGB auf bereits vorhandene Vermögenswerte nicht: Der Schaden beim Eingehungsbetrug beschränkt sich im Fall von Mondversprechungen, wie im Beispiel gerade gezeigt, auf den Wert der Leistung des Getäuschten. Erbrachte dieser sie ebenfalls nicht, so  verhindert das mangels Schadens die Haftung des Täuschenden für eine vollendete Tat. Leistete der Täuschende nur den ihm mangels besserer Wirtschaftskraft allein möglichen Minderwert, so richtet er auf Erfüllungsebene keinen Scha-

den an. Der Erfüllungssituation vorgelagert ist jedoch ein rechtlich anerkannter Anspruch. Steht seiner Durchsetzbarkeit nicht die Leistungsunfähigkeit des Verpflichteten entgegen, so handelt es sich um einen Vermögenswert des Getäuschten in Höhe des Nominalbetrags. Der Pflicht, diese Verbindlichkeit zu erfüllen, entzieht sich der Täter beim Erfüllungsbetrug mittels Täuschung über die Vertragsmäßigkeit seiner Leistung. In der Differenz zwischen dem Wert auf die vertragsgemäße und der tatsächlich erbrachten Leistung liegt der Erfüllungsschaden. Der Preis der vertragsgemäßen Leistung ist subjektiv zwischen den Partnern konsentiert und deswegen als Wert zugrunde zu legen. Mangels Abrede über den Wert der vertragswidrig erbrachten Gegenleistung kann diese allerdings nur objektiv bestimmt werden.

Beim echten Erfüllungsbetrug stehen sich auf schuldrechtlicher Ebene die (kraft Parteivereinbarung entstandenen) Ansprüche gleichwertig gegenüber (selbst wenn zwei Betrüger jeweils nichts zu leisten vorhaben: 0:0). Beide sind demnach leistungsfähig. Der im Rahmen der Erfüllung eintretende Schaden beruht demnach auf Leistungsunwilligkeit. Letzteres ist beim unechten Erfüllungsbetrug nichts anders. Allerdings kann zuvor bereits auf schuldrechtlicher Ebene (ebenso wie beim nur Eingehungsbetrug) ein auf Leistungsunfähigkeit beruhender Schaden eingetreten sein.

(7) (a) Mit einem weitere Erkenntnisse zu Bewertungsfragen eröffnenden, sich allerdings hauptsächlich auf schuldrechtlicher Ebene bewegenden Sachverhalt hatte sich jüngst der 3. Strafsenat des BGH (Beschl. v. 23.7.2015 – 3 StR 518/14 = ZWH 2015, 388 ff. <Solarmodule>; dazu Bittmann, ZWH 2015, 373 ff.) zu befassen: Bei Anzahlungspflicht des Käufers hatte der Verkäufer auch dessen nicht vorleistungspflichtige Restzahlung erlangt, allerdings aufgrund einer weiteren, jedoch von Anfang an geplanten Täuschung, während seine Gegenleistung, wie ebenfalls schon ursprünglich vorgesehen, vollständig ausbliebt: "Das Vermögen der Geschädigten war bereits durch den … Vertragsschluss geschädigt worden. Mit der Erbringung der versprochenen Leistung in … zwei Raten (Erfüllungsschaden) materialisierte sich der zunächst durch die rein rechnerische Gegenüberstellung der wirtschaftlichen Werte der gegenseitigen vertraglichen Ansprüche zu bestimmende Schaden und bemaß sich … nach deren vollen wirtschaftlichen Wert" (BGH, aaO, Rn. 5). I.E. zutreffend nahm der Senat trotz getrennter Betrachtung von Eingehungs- und Erfüllungsphase nur eine einzige Tat des Betrugs an. Den mit Vertragsschluss eingetretenen Schaden bezifferte der BGH vorliegend auf den Nominalbetrag, nahm also einen Eingehungsbetrug an.

(b) Auch bei vorgesehener Minderwertigkeit dessen, was der Täuschende dem Getäuschten zuwenden will (Eingehungsbetrug) und ggf. auch zugewandt hat, im Fall des 3. Strafsenats: auf beiden Ebenen gar nichts, bemisst sich der Betrugsschaden wie allgemein in der Differenz von Leistung und Gegenleistung, berechnet allerdings nicht wie beim (zumindest: echten) Erfüllungsbetrug (allein) in der Höhe der Abweichung des Werts der tatsächlich erbrachten Leistungen, sondern bereits zuvor in der unterschiedlichen Werthaltigkeit der wechselseitigen Ansprüche (das gilt entgegen Gaede, Rn. 136 a.E. auch bei verringerten Gewinnchancen und beim <auf täuschungsbedingte Mehrleistung zielenden> Quotenschaden, Rn. 140). Gelangt der Vertrag in die Phase der Durchführung, erbringt aber nur der Getäuschte seine Leistung, so ändert der Schaden zwar seinen "Aggregatszustand", nicht aber seinen betragsmäßigen Umfang. Diese Folgen lassen sich strafrechtlich nicht beim Tatbestand, wohl aber erschwerend bei der Strafzumessung als verschuldete Auswirkungen der Tat, § 46 Abs. 2, Gruppe 4 StGB, berücksichtigen.

(c) Zu Recht stellte daher der 3. Strafsenat auf den "Wert" auch der Forderung an den Getäuschten ab. Allerdings thematisierte er diesen in der Folge nicht mehr. Das war in concreto aufgrund der völlig ausgebliebenen Gegenleistung für das Ergebnis zwar auch gar nicht nötig. Die Schadenshöhe beschränkte sich jedoch mit Eingehen des Vertrags, also zunächst, auf die Vorleistungspflicht des Getäuschten. In Bezug auf die Restzahlung war der Käufer nur verpflichtet, Zug-um-Zug zu leisten. Diese schuldrechtliche Position gab er erst aufgrund einer weiteren Täuschung auf und erlitt dadurch einen, daher also: weiteren Schaden. Er bestand in der (täuschungsbedingten) Aufgabe der Sicherheit, obwohl der Anspruch an den Verkäufer in Wahrheit nach wie vor keinen Gegenwert repräsentierte, und belief sich deshalb auf den Nominalwert der Restzahlung. Aufgrund der Anknüpfung an den Vertrag und weil auch die ursprüngliche Täuschung fortwirkte, trifft die Verurteilung wegen nur einer Tat durchaus zu, wenngleich wohl eher i.S. von natürlicher Handlungseinheit.

(d) Der 3. Strafsenat  verglich demnach für den Betrugsschaden schon die Werte von Forderung einerseits und Verbindlichkeit andererseits – und dies (ungeachtet der Besonderheit aufgrund der 2. Täuschung) völlig zu Recht! Jede andere Beurteilung verwehrte der zivilrechtlich wirksamen Forderung die Anerkennung als Vermögenswert zum Nominalbetrag. Niemand könnte mehr sicher sein, in welcher Größenordnung die Rechtsordnung ihr zivilrechtliches Versprechen zu halten bereit ist, die Forderung nicht nur verbal als Wert anzuerkennen, sondern sie auch tatsächlich so zu behandeln. Das Recht würde damit nichts anderes als Rechtswidrigkeit prämieren: der ursprünglich oder gar nicht Täuschende, der also vorhatte, rechtmäßig zu handeln, sähe sich in der Erfüllungssituation einer vom Betrugstatbestand geschützten Verbindlichkeit zum Nominalbetrag ausgesetzt (so auch zu Recht Gaede, Rn. 105, bei Fn. 631), während derjenige, der bereits bei Eingehung vorhatte, nicht oder nur höchst unzureichend zu erfüllen, mit einem strafrechtlichen Vorwurf bestenfalls in Höhe eines Bruchteils seines gebrochenen Versprechens konfrontiert wäre (Gaede, Rn. 106). Der Trickser könnte sich gegen den Betrugsvorwurf weitgehend erfolgreich mit dem Hinweis verteidigen, er habe nie vorgehabt, sein Versprechen einzuhalten, also: er habe täuschen wollen! § 263 StGB wäre auf den Kopf gestellt!

(8) Übertragen auf die Bilanzierungsvorschriften (dazu trefflich Gaede, Rn. 109: keine Bilanzrechtsakzessorietät, wohl aber Rückgriff auf bilanzielle Bewertungsmethoden) hieße das, dass jeder Kaufmann seine Forderungen nach dem Vorsichtsprinzip nur mit einem Teilwert aktivieren dürfte, müsste er doch immer damit rechnen, dass sein Vertragspartner unter Verweis auf einen objektiv

niedrigeren Wert straflos einwenden würde, er müsse den vollen Preis ja gar nicht bezahlen. Für den Pleitier wäre ein phantastisches Sanierungsinstrument erfunden: Weil er seine Verbindlichkeiten nur teilweise erfüllen will, braucht er sie nicht in voller Höhe zu passivieren! Und schon hat er seine Überschuldung überwunden! Obwohl das Beispiel deshalb hinkt, weil die Trennungslösung beim unechten Erfüllungsbetrug eine wirksame zivilrechtliche Forderung zum Nominalbetrag oder -wert voraussetzt, zeigt es die mangelnde Plausibilität der Ergebnisse der Einheitslösung.

(9) Die Trennungslösung vermeidet zudem die von Gaede erkannte Privilegierung des von Anfang an Täuschenden gegenüber demjenigen, der ursprünglich erfüllen wollte, und sich erst später zur Mindererfüllung entschloss. Damit nimmt die Einheitstheorie dem echten Erfüllungsbetrüger den Strafmilderungsgrund, erst aufgrund wirtschaftlich beengter Lage weniger als zugesagt geleistet zu haben. Im Gegenteil, er müsste sich ggf. sogar mit dem Hinweis verteidigen, ja von Anfang an zu viel versprochen zu haben, was er so nie habe halten wollen. Forensisch müsste in dubio der aufgrund zweier Täuschungen kriminologisch schwerwiegendere unechte Erfüllungsbetrug angenommen werden, um dem Täter den tatbestandlich und damit auch strafzumessungsrechtlich schwerwiegenderen höheren Schaden des echten Erfüllungsbetrugs zu ersparen! 

Das Trennungsmodell, das für die Erfüllungsphase auf den Wert der zivilrechtlichen Forderung abstellt, soweit sie werthaltig ist, führt nun jedoch keineswegs zwangsläufig zu eklatant höherer Bestrafung. Im Rahmen der Strafzumessung ist nämlich zu berücksichtigen, dass der Glaube an die Ernsthaftigkeit eines außergewöhnlichen Schnäppchen-Angebots zwar rechtlich geschützt ist, aber doch nicht in dem Maße wie bei einer trotz aller Sorgfalt kaum erkennbaren Täuschung, und dass die Aussicht auf eine Leistung, die nach Marktpreisen deutlich über der versprochenen eigenen liegt, erst durch die eingehungsbetrügerische Vereinbarung und damit zu einem erheblichen Teil nicht aufgrund eigener Tüchtigkeit geschaffen wurde.

dd) Hinsichtlich der Schätzung des Schadens mahnt Gaede (Rn. 114) zur Vorsicht und besteht zurecht darauf, dass nur die Höhe des Schadens, nicht aber die Frage, ob ein solcher überhaupt entstanden ist, der Schätzung zugänglich ist. Die Kausalität ist für ihn kein Problem, da sie im Erfordernis der Vermögensverfügung enthalten sei (hier wäre eine Vertiefung interessant!). Daher verweist er (Rn. 115, ohne allerdings an dieser Stelle näher darauf einzugehen) nur auf die Frage, ob mit der h.M. hypothetische Ersatzursachen (wie beim ärztlichen Abrechnungsbetrug, dazu Rn. 143) wirklich nicht kompensationsgeeignet sind.

f) Maßgeblicher Zeitpunkt

aa) Relativ unproblematisch stellt sich das Unmittelbarkeitserfordernis in den Fällen dar, in denen der tatrelevante Sachverhalt mit der Vermögensverfügung zum Stillstand kommt (Rn. 84 – 86), weil der Schaden in seiner Endform sofort eingetreten ist und sich anschließend nicht mehr wandelt (Rn. 99).

bb) (1) Differenzierter ist die Sachlage bei der Gefährdung als Schaden. Allerdings nimmt Gaede die Diskussion darüber nicht auf (zur Untreue Esser, § 266 StGB, Rn. 215 ff.). Den Gefährdungsschaden definiert er als Zukunftsprognose hinsichtlich eines existenten Gefahrenmoments (Rn. 116). Diese Formulierung ist allerdings geeignet, missverstanden zu werden. Maßgeblicher Zeitpunkt ist derjenige der Vermögensverfügung (Rn. 117). Angesichts dessen kann es nicht um einen künftigen Schaden gehen, sondern kommt es auf die Gegenwart an (Gaede, Rn. 123: echter Schaden). Allerdings kann alles der Vermögensverfügung Nachfolgende zum Zeitpunkt ihres Geschehens nur als Prognose erfasst werden (zutreffend Rn. 121 bei Fn. 759; 123), schließlich ist die Zukunft immer mit einem gewissen Unsicherheitsfaktor behaftet. Ist jedoch über das allgemeine Vertragsrisiko hinausgehend zu befürchten, dass die Gegenleistung nicht vollständig erbracht wird, so ist die Forderung auf die Leistung des Täuschenden wertzuberichtigen, d.h. abzuwerten. Damit ist sie nicht mehr als vollständige Kompensation der Leistung des Getäuschten anzusehen. In Höhe der Differenz, des Abwertungsbetrags, ist ein Betrugsschaden entstanden (zur Untreue wie hier Esser, § 266 StGB, Rn. 174a; eher distanziert Rn. 183).

(2) Soweit die Rechtsprechung einen Gefährdungsschaden bejahte (Beispiele: Rn. 117), bedarf es der Prüfung, ob einem vor dem 23.6.2010, dem Tag der grundlegenden Untreue-Entscheidung des BVerfG (BVerfGE 126, 170 ff.), ergangenen Judikat die heute maßgeblichen Kriterien bereits zugrunde liegen oder ob es überholt ist. Letzteres gilt für den früher entscheidungserheblichen Streit, ob es auf die konkrete Gefahr eines naheliegenden Schadenseintritts der auf die naheliegende Gefahr eines irgendwann zu verzeichnenden (konkreten) Schadens ankomme. Beides ist nicht vereinbar mit sowohl dem Abstellen auf den Zeitpunkt der Verfügung als auch dem Gebot, den Schaden zu diesem Zeitpunkt zu quantifizieren. Heute ist vielmehr maßgeblich, welche Risiken über die vertragsgemäßen hinausgehen und unter welchen Umständen ein derartiges weitergehendes Risiko den Wert des Rechts auf die Gegenleistung bereits aktuell geringer als den Nominalwert ausfallen lässt – und in welchem Maße.

g) Schaden gleich Verlust?

Noch nicht genauer untersuchte, geschweige denn konsentierte Auswirkungen hat das vom BVerfG betonte Quantifizierungsgebot auch auf den besonders schweren Fall des § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StGB. Herkömmlich wurde unter Hinweis auf die unterschiedliche Terminologie (Schaden – Verlust) der Gefährdungsschaden als von vorn herein ungeeignet zur Erfüllung dieser Variante betrachtet (Gaede, Rn. 183; zur Parallele bei der Strafzumessung, Rn. 193). Ist betrugsrelevant jedoch nicht die Gefährdung als solche, sondern allein und erst die durch sie herbeigeführte Vermögensminderung, so unterscheiden sich die Inhalte der Begriffe Schaden und Verlust nicht (umgekehrt verlangt die Untreue laut Esser, § 266

StGB, Rn. 229a, die Beibehaltung der Differenzierung – dem kann nur Rechnung getragen werden, wenn es gelingt, für beide Begriffe inhaltliche Unterschiede zu beschreiben). Es bedarf allerdings sehr wohl der Prüfung, ob trotzdem weiterhin als Verlust nur zur Ruhe gekommene Sachverhalte und damit nicht allein echte, sondern zugleich auch endgültige Schäden erfasst sind. Dafür spricht die historische Auslegung, da auch zur Zeit der Verabschiedung des 6. Strafrechtsreformgesetzes 1998 noch nicht so eindeutig wie seit der verfassungsrechtlichen Klarstellung im Jahr 2010 (zur Untreue) darauf bestanden wurde, dass mehr als eine bloße (konkrete) Gefährdung vorliegen müsse, um das Tatbestandsmerkmal Schaden bei § 263 StGB bzw. Nachteil bei § 266 StGB zu erfüllen. Allerdings gibt es keinen rechtsgutsbezogenen Grund, auch solche Fälle aufgrund von Gefährdung entstandener Schäden nicht als Verlust großen Ausmaßes zu betrachten, die nach menschlichem Ermessen nicht mehr ausgeglichen werden können, also faktisch endgültig sind, auch wenn sie rechtlich (z.B. aufgrund herausgeschobener Fälligkeit) als Gefährdungen zu qualifizieren sind, als solche aber den Wert bereits gegenwärtig in einer den Schwellenwert zumindest erreichenden Höhe mindern.

h) Kein Schaden bei verbliebener Macht des Getäuschten, die Vermögensminderung zu vermeiden

Zutreffend verneint Gaede (Rn. 119) das Vorliegen eines Schadens, solange der Getäuschte es selbst in der Hand hat, dessen Eintritt zu vermeiden. Dazu muss er sein Recht kennen. Allerdings gilt dies allgemein, also unabhängig vom Vorliegen eines Sachverhalts, in welchem ein Schaden aufgrund Gefährdung in Rede steht (allerdings scheint Gaede, Rn. 127, einen Gefährdungsschaden immer dann zu bejahen, wenn die Gegenleistung nicht kompensationsgeeignet ist; falls aber der Sachverhalt bereits zur Ruhe gekommen ist, liegt nicht mehr nur eine Gefährdung als, sondern ein <in Bestand und Aggregatszustand> endgültiger Schaden vor). Demnach dürfte entgegen Gaede nicht der Gesichtspunkt mangelnder Konkretheit für die fehlende Tatbestandsmäßigkeit ausschaggebend sein, sondern die Tatsache, dass in solchem Fall das Schuldverhältnis insgesamt wirtschaftlich ausgewogen ist, ebenso wie dies Gaede zutreffend beim Vorhandensein werthaltiger Sicherheiten bejaht (Rn. 120).    

i) Relevanz nicht vertragsgemäßer Risiken

aa) Das Kernproblem der Gefährdung als Schaden verdeutlicht Gaede messerscharf (Rn. 123, auch bereits Rn. 121 bei Fn. 758): der Prognose wohnt im Hinblick auf den juristisch-ökonomischen Schadensbegriff keine innere Grenze der Berücksichtigungsfähigkeit von Risiken inne. Demgemäß verlangt er eine normative Begrenzung. Das ist richtig, aber nicht allein in dem von Gaede befürworteten Maß: wenn es denn sachgerecht ist, normative Aspekte tatbestandsbegrenzend zu berücksichtigen (so bereits Rn. 112 zum straflosen Beweismittelbetrug), so ist es zumindest erklärungsbedürftig, warum Gaede derartige Erwägungen schnell als verfassungswidrig ansieht, wenn sie zu Lasten eines Täters wirken (so zum Submissionsbetrug, Rn. 141 f.; und <noch dazu fälschlich> zum subjektiven Schadensbegriff, vgl. dazu oben II 6 d aa). Gleichwohl bleibt die Suche nach Begrenzungskriterien auf der Tagesordnung. Zu denken ist zunächst an die schlichte Quantifizierbarkeit, denn jede Größenordnung bezieht sich auf einen Schaden, setzt dessen Eintritt also voraus. Die Höhe ließe sich danach bemessen, welche Bedeutung der Markt einem solchen (wohlgemerkt: nicht vertragsimmanenten) Risiko beimisst. Gaede sieht die Lösung hingegen in drei Kriterien: wirtschaftliche Herleitung (unter Rückgriff auf Methoden des Bilanzrechts; zur Amtserschleichung s. Rn. 130 a.E.), die Konkretheit der Gefährdung und die Durchbrechung alleiniger dogmatischer Abstellung auf den Zeitpunkt der Vermögensverfügung (Rn. 123 – 125).

bb) Beim ersten Aspekt gilt es jedoch zu präzisieren, wie er bereits für das "Ob" eines Schadens fruchtbar gemacht werden kann, während der letzte Berührungspunkte zur tätigen Reue aufweist. Wegen des Fehlens einer entsprechenden Regelung befürwortet Gaede (Rn. 125) eine Vorverlagerung der Berücksichtigung der dafür maßgeblichen Aspekte. Das ist methodisch fragwürdig. Stimmiger erscheint in dieser Hinsicht das Befürworten einer Gesamtanalogie. Damit ließe sich zudem eine Begrenzung dieses Aspekts begründen, der nicht nur Zufällen wie einem Hauptgewinn im Lotto die strafbefreiende Wirkung nähme, sondern auch verfahrensrechtlichen Zeitabläufen tatbestandliche Wirkung abspräche. Der einem Hallodri blanko gewährte, nach 10 Jahren fällige Kredit ist nicht erst betrugsrelevant, wenn zu diesem Zeitpunkt die Leistung ausbleibt, sondern z.B. bereits im Fall seiner Insolvenz (so wohl auch Gaede, Rn. 125). Wird der Täter 5 Jahre nach Kreditgewährung verurteilt, so ist es aus tatsächlichen Gründen unmöglich, eine nachfolgende, z.B. aufgrund einer Erfolgssträhne im neuen Beruf, 7 Jahre nach der Tat eintretende und bis zum Fälligkeitszeitpunkt anhaltende Solvenz zu berücksichtigen. Fände der Prozeß hingegen erst 7 oder 12 Jahre nach Kreditgewährung statt, so müßte er nach Gaede mit einem Freispruch erster Klasse enden. Das Ergebnis überzeugt nicht. Das Geschehen ist schlüssiger als Wiedergutmachung allein mit Relevanz auf der Ebene der Strafzumessung zu erfassen.

Begnügt man sich nicht mit der bloßen Quantifizierbarkeit, so müssen für die Berücksichtigungsfähigkeit von Risiken materiell begrenzende Kriterien gefunden werden. Das Abstellen auf die Konkretheit weist in diese Richtung, erfordert aber zumindest seinerseits weitere Konkretisierung (z.B. dass das Risiko tatsächlich bestehen muss und die bloße Befürchtung nicht genügt). Der von Gaede (Rn. 124) erwähnte Umstand der Spürbarkeit könnte eine, allerdings noch näher zu betrachtende Rolle spielen. Ohne abschließend Kriterien oder gar eine dogmatisch überzeugende Gesamtlösung anbieten zu können, dürfte betreffs die Notwendigkeit eines materiell begrenzenden Kriteriums eine Gesamtbetrachtung der in concreto feststellbaren Umstände und ihrer normativen Bewertung geboten sein.

cc) Die Rechtsprechung des BGH zum Kapitalanlagebetrug kritisiert Gaede (Rn. 139) unter dem Gesichtspunkt des von ihm weitgehend abgelehnten individuellen Schadenseinschlags. Ihm ist insoweit zu folgen, als der Ausschluss jeglicher Kompensation mit den allgemeinen Grundsätzen der Schadensbestimmung nicht in Einklang

steht (Gleiches trifft auf den Abrechnungsbetrug auf medizinischem Sektor, Rn. 143, aber auch bei schwarzen Kassen, zu). Allerdings gilt es zu beachten, dass der Getäuschte zivilrechtlich nicht verpflichtet ist, ein aliud als Erfüllung zu akzeptieren. Zumindest bei aufgedrängter und bei täuschungsbedingter, vom Vertragsgegenstand abweichender Leistung erleidet der Getäuschte einen Schaden. Ist die Leistung für ihn völlig unbrauchbar, so beläuft er sich auf den Nominalbetrag, andernfalls ist zu saldieren. Den Spenden- und Bettelbetrug beschränkt Gaede rechtsgutsbezogen auf vermögensbezogene Täuschungen (Rn. 24 und 144 f.) 

7. Untreue

a) Auch die Untreue, § 266 StGB, ist aktuell und anregend kommentiert, wie in der ersten Auflage von Esser, nunmehr jedoch (zuweilen etwas gehetzt wirkend) noch deutlich ausgeweitet (und dabei trotzdem nutzerfreundlich die Randnummernfolge weitgehend unverändert lassend: herzlichen Dank!). Rn. 58b nimmt den gravierenden Fall (OLG Rostock, ZWH 2013, 70 ff.; zum Bürgermeister Rn. 271a, b; zum Landrat Rn. 275a) einer pflichtvergessenen obersten Finanzbehörde auf. Den scharfen Worten des Senats läßt Esser die ebenso trockene wie treffende Bemerkung folgen, offensichtlich rechtswidrige Bescheide auch anderer Behörden seien zu beanstanden! Erfreulich unaufgeregt geht Esser (Rn. 156a) mit dem Verschleifungsverbot um: Es verbiete, daß ein Tatbestandsmerkmal in einem anderen aufgehe, stehe jedoch der Indizwirkung eines eingetretenen Schadens für die vorausgegangene Pflichtwidrigkeit nicht entgegen. Wohlabgewogen fällt die Stellungnahme zur Nebenklagefähigkeit aus (Rn. 238a). Das MoMiG führt zur Notwendigkeit, auf die eintretende Inhabilität (z.B. § 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 lit. e GmbHG) bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr hinzuweisen (Rn. 259e). Neu aufgenommen sind Ausführungen zur Strafbarkeit von Leitern kommunaler Eigengesellschaften (Rn. 279a) und von in deren Gremien entsandten Kommunalbeamten (Rn. 279b). Entweder in diesem Zusammenhang oder beim Thema fehlender Vermögensbetreuungspflicht des Vorstands in Angelegenheiten eigener Vergütung hätte man sich allerdings auch ein Eingehen auf die differenzierten Ausführungen des 3. Strafsenats des BGH im Fall eines früheren Bundeslandwirtschaftsministers (BGH, NZWiSt 2014, 135 ff.) gewünscht.  Die (für rein tatsächliches Handeln noch nicht geklärten) Folgen der Aufgabe der Interessentheorie finden ihren Niederschlag in Rn. 284 – 284d. Neu aufgenommen sind (knappe) Ausführungen zur Untreue im Verein (Rn. 314a, b) und eine ausführliche Darstellung der "Untreue im Gesundheitswesen" (Rn. 315 – 342). Dabei verneint Esser eine Vermögensbetreuungspflicht sowohl des Vertragsarztes (Rn. 322) als auch des Apothekers (Rn. 328) gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen. Erst recht sei der privat liquidierende Arzt nicht an das Wirtschaftlichkeitsgebot gebunden (Rn. 326).

b) Die Pflichtwidrigkeit interpretiert Esser als normatives Tatbestandsmerkmal (Rn. 140, 142). Konsequent ist es deshalb, dass er für den Inhalt der Treupflicht auf die Treuabrede abstellt (Rn. 142). Dabei bleibt er jedoch nicht stehen, sondern nimmt Anleihen beim akzessorietätsorientierten Verständnis auf. Beide Ansätze finden sich auch in der Rechtsprechung des BGH (Siemens/AUB, BGHSt 55, 208 ff., versus Kölner Parteispenden, BGHSt 56, 203 ff.). Sie führen nicht durchweg zu unterschiedlichen Ergebnissen, in wichtigen Randbereichen indes sehr wohl. Vor allem bestimmen sie die Herangehensweise an die Prüfung. Übereinstimmung besteht noch dahingehend, dass es zunächst gilt, den Inhalt der Pflicht zu beschreiben, bevor es möglich ist, sich deren Verletzung zu widmen. Während aber der akzessorische Ansatz nach Verletzung einer außerstrafrechtlichen Norm sucht, sich also schwertut, die Grundnorm im Straftatbestand, in dessen Merkmal Pflichtwidrigkeit selbst zu erkennen, beruht das normative Verständnis gerade darauf, dass es sich auf die Suche nach dem Inhalt dieser tatbestandlichen Anforderung selbst begibt.

Danach ist die Frage nach dem vermögensschützenden Charakter einer verletzten außerstrafrechtlichen Norm (z.B. Bestimmungen des BetrVG, Rn. 19b) jedenfalls nicht primär. Vorrang hat stattdessen, im konkreten Fall das Treuverhältnis mit seinen jeweiligen Einzelpflichten aus den spezifisch zu beachtenden Regeln zu destillieren. Diese können bei normativer Auslegung sowohl außer- als auch strafrechtlicher Natur sein. Ersterenfalls müssen sie gerade nicht selbst strafrechtlichen Bestimmtheitserfordernisse genügen und auch keiner Rechtsquelle oberhalb des Gewohnheitsrechts angehören (zu beidem a.A. Rn. 19). Vielmehr genügt selbst die privatautonome Festlegung (ebenso Rn. 142). Die Rolle außerstrafrechtlicher Bestimmungen gesetzlichen wie untergesetzlichen Rechts beschränkt sich nach diesem Verständnis darauf, das konkrete Treuverhältnis und damit dessen zu wahrende Pflichten (mit-) zu bestimmen.

c) aa) Eine Aufgabe stellt sich jedoch beiden Ansätzen gemeinsam: die Abgrenzung zwischen allgemeinen und solchen Treu-Pflichten, deren Verletzung allein strafbar nach § 266 StGB sein kann. Ein für alle Fälle allein ausschlaggebendes Kriterium gibt es nicht, ist jedenfalls nicht in Sicht. Die Herangehensweise, die Esser eher verschämt andeutet, erscheint jedenfalls als richtig und entwicklungsfähig: die wie auch immer, nicht nur von einer Norm (so aber Rn. 19a) begründete Pflicht muss nicht nur, aber zumindest auch vermögensschützenden Charakter tragen (a.a.O). Der nächste Schritt ist ebenso richtig, aber in der Konkretisierung ungleich schwieriger: nicht jeder Verstoß gegen eine vermögensbezogene Pflicht ist per se untreuerelevant  (Rn. 19). Die eigentliche, noch ungelöste Aufgabe besteht darin, die materiellen Abgrenzungskriterien herauszuarbeiten. Ein Konsens darüber ist nicht in Sicht, auch nicht kurzfristig zu erwarten und vermutlich nur schrittweise zu erreichen.

Zugespitzt stellt sich das Problem bei Ermessensentscheidungen, z.B. der Geschäftsführung bzw. des Vorstands. Bereits zivilrechtlich liegt hier Rechtswidrigkeit nur jenseits der äußersten Grenzen unternehmerischer Entscheidungsfreiheit vor (Rn. 297, auch Rn. 72 ff.). Normenhierarchisch wird es dem ultima-ratio-Charakter des Strafrechts gewiss gerecht, nicht jede Überschreitung des zivilrechtlich Zulässigen sogleich als strafbar zu betrachten (dafür Rn. 73 und 297a). Allerdings ist in diesen Fällen die Höhenmarke des Sachrechts bereits so hoch,

dass es nur schwer vorstellbar ist, wie oberhalb der Unvertretbarkeit einer Entscheidung noch eine schmale Schutzzone vor Bestrafung bewahren können soll.

bb) Wie schwierig es ist, hier mit allgemeinen und damit notwendigerweise konkretisierungsbedürftigen Begriffen justitiable Abgrenzungen beschreiben zu wollen, zeigt sich in den Formulierungen Essers, mit denen er auf die Passagen aus dem Grundsatzurteil des BVerfG zum Kriterium einer gravierenden Pflichtverletzung rekurrriert (Rn. 75 unter Bezugnahme auf BVerfGE 126, 170, Rn. 112). Ausgangspunkt des BVerfG ist die (natürlich völlig zutreffende) Überlegung, in den einschlägigen Konstellationen könne nur eine evidente Pflichtverletzung zur Strafbarkeit führen. Der Senat konstatiert, die Rechtsprechung des BGH komme diesem Gebot nach. Er führt dazu einige Restriktionskriterien beispielhaft auf und referiert neben anderem die Entscheidungen, in denen sich Strafsenate des BGH mit dem bejahten oder verneinten Erfordernis befassten, eine Pflichtverletzung müsse gravierend sein. Schon dies steht einer Interpretation entgegen, das BVerfG habe dieses Kriterium als Verfassungsgebot geadelt (a.A. Rn. 75, 88 – 90a). Abgesehen davon sieht der Senat die Gravidität als Unterbegriff der (nahezu unbestrittenen) Beschränkung der Strafbarkeit auf Evidenzfälle an, während Esser (Rn. 75 a.E.; wie hier aber wohl Rn. 89) gerade umgekehrt die Gravidität als Oberbegriff ansieht, der durch Evidenz erfüllt werden könne.

(1) Mangels operationaler Abgrenzungsmerkmale führt dieser Weg m.E. nicht weiter. Stattdessen erscheint es der Rechtssicherheit dienlicher zu prüfen, ob es möglich ist, im Wege der Differenzierung eine materielle Unterscheidung herauszuarbeiten, die verhindert, aus einer Lässlichkeit eine Straftat werden zu lassen – wenn man so will, den Blick von der gravierenden Verletzung einer Pflicht ab und ihn stattdessen auf die Verletzung einer gravierenden Sorgfalts- oder sonstigen den Entscheidungsprozess begleitenden Pflicht zu lenken. Danach wäre für die Beurteilung der Unvertretbarkeit nicht allein das Ergebnissmaßgeblich. Vielmehr müsste man sich auf die Suche nach den Ursachen begeben, also fragen, wie es zustande kam, d.h. welche genauen Umstände zu ihm geführt haben. Zeigt sich dann, dass der Versuch sachgerechter Entscheidung nicht aus Böswillig- oder Gleichgültigkeit scheiterte, sondern weil einem notwendigen Teilschritt nicht ausreichend Beachtung geschenkt wurde, so fokussiert sich die strafrechtliche Beurteilung auf dessen Verletzung. Maßgeblich ist hier nicht allein die Evidenz der Pflichtverletzung, sondern auch, ob sie schon für sich Vermögensbezug aufweist und ihr zudem bei isolierter Betrachtung auch noch eine solche Bedeutung im Gesamtablauf zukommt, dass von einer Vermögensbetreuungspflicht gesprochen werden kann.

(2) Diese Überlegung könnte auch ein im Zuge der Compliance-Diskussion (dazu ausgeweitet Rn. 313 – 314) bewusst gewordenes Problem entschärfen: Je detaillierter die Compliance-Regeln ausfallen, desto größer ist die Gefahr, dass eine davon verletzt wird. Die undifferenzierte Gleichsetzung einer Compliance- mit einer Vermögensbetreuungspflicht führte dazu, dass das Strafbarkeitsrisiko gerade in den Unternehmen besonders hoch wäre, die sich um Regelkonformität bemühen – eine absurde Folge. Sie ließe sich allerdings vermeiden, zumindest theoretisch: Nicht nur bedarf es der eigentlich selbstverständlichen Betonung, dass sich die Strafbarkeit nach dem Gesetz, § 266 StGB, richtet und nicht nach den Compliance-Vorschriften. Vielmehr müssen auch insoweit allgemeine von solch bedeutsamen Vorschriften abgegrenzt werden, die allein den Anforderungen an eine Vermögensbetreuungspflicht gerecht werden.      

8. § 266a StGB

a) Seine bereits in erster Auflage bemerkenswerten Ausführungen zum Arbeitgeberbegriff des § 266a StGB (Rn. 14 ff.) hat Esser weiterentwickelt und noch deutlich ausgeweitet. Sehr anschaulich legt er die sozialrechtliche Differenzierung zwischen Beschäftigungs- und Arbeitsverhältnis dar (Rn. 14a). Demgemäß stehe der Wortlaut der strafrechtlichen Bestimmungen des § 266a StGB einem rein sozialrechtlichen Verständnis des Begriffs Arbeitgeber entgegen (Rn. 14a, b). Das ist im Ergebnis zutreffend, ohne dass allerdings eine Abweichung vom sozialrechtlichen Verständnis nötig wäre: Indem das Sozialrecht den Beschäftigenden als Oberbegriff verwendet, wird zwar der Arbeitgeber zur Teilmenge, aber nicht verweisungsunfähig.

Das Strafrecht und damit § 266a StGB könnte ohne Verletzung von Art. 103 GG an diesen sozialrechtlichen Arbeitgeberbegriff anknüpfen. Demgegenüber präferiert Esser die Anknüpfung an den arbeitsrechtlichen Begriff des Arbeitgebers (Rn. 14c). Das wirkte sich im Ergebnis nicht aus, wären der sozial- und der arbeitsrechtliche Begriff deckungsgleich oder würde das Arbeitsrecht jedenfalls nicht über das Sozialrecht hinausgehen. Das aber soll nun gerade nicht der Fall sein. Es gäbe Konstellationen, in denen jemand nach Arbeitsrecht Arbeitgeber sei, ohne dass das Sozialrecht daran anknüpfe. Esser löst diese Fälle aus dem Tatbestand des § 266a StGB in der Weise heraus, dass er im Fall der sozialrechtlichen Abgabefreiheit eine Sperrwirkung des Sozialrechts annimmt (Rn. 14b). Dieses zutreffende Ergebnis soll verhindern, dass jemand wegen § 266a StGB bestraft wird, der arbeitsrechtlich zwar Arbeitgeber eines seinerseits aber trotzdem nicht sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmers ist. Dafür bedarf es dieses Umwegs jedoch nicht, weil § 266a StGB sowieso nur Pflichtbeiträge erfaßt, also die hier in Rede stehenden Arbeitgeber schon deshalb nicht mit Strafe bedroht. Zudem läßt sich das Ergebnis viel einfacher begründen, indem man sogleich auf den sozialrechtlichen Begriff des Arbeitgebers (als Teilmenge der Beschäftigenden) abstellt, der als solcher, anders als die Beschäftigenden, eine Teilmenge der Arbeitgeber nach Arbeitsrecht bildet. Im konkreten Fall muss dann zur Vermeidung unzutreffender Bestrafung nur noch geprüft werden, ob die zur Sozialversicherungspflicht führende Vorschrift allein für solche Beschäftigenden gilt, die nicht Arbeitgeber sind. Das wird nicht oft der Fall sein.

b) Angesichts der nicht immer ganz leichten Feststellung eines Beschäftigungs- und Arbeitsverhältnisses weist Esser zu Recht auf die Klärungsmöglichkeit im sozialrechtlichen Anfrageverfahren gemäß § 7a SGB IV bei der Deutschen Rentenversicherung Bund hin (Rn. 21a). Den daraus gezogenen Schlussfolgerungen muss jedoch zum

Teil widersprochen werden. Nimmt man mit Esser (Rn. 21a) an, dass die Statusentscheidung für das Strafrecht nicht bindend ist, so führt dies zunächst einmal zu Zweifeln an der Vorgreiflichkeit. Bei Bejahung der Notwendigkeit eines Anfrageverfahrens entfällt der subjektive Tatbestand nicht nur möglicherweise. Dies wird vielmehr regelmäßig der Fall sein. Ausnahmen sich auch nur vorzustellen, ist schwierig, weil man vom Arbeitgeber verlangen würde, besser bescheid zu wissen als die streitentscheidende Fachinstitution. Mit viel Konstruktionsphantasie mag es denkbar sein, dass ein Arbeitgeber in einem Parallelfall unter Billigung des BGH bestraft wurde, die Deutsche Rentenversicherung Bund davon aber mangels Kenntnis der BGH-Entscheidung (z.B. aufgrund o.-u.- Verwerfung gemäß § 349 Abs. 2 StPO) im neuen Fall abwich – keine Konstellation, die in der Praxis eine Rolle spielt.

Demgemäß führt der Ratschlag einer Aussetzung gemäß § 154d StPO (oder § 262 Abs. 2 StPO), Rn. 21b, nicht weiter: Im konkreten Fall bleibt es beim Freispruch, sei es weil der Angeklagte kein sozialrechtlicher Arbeitgeber war oder diese Eigenschaft nicht kannte, § 16 StGB. Ob dies entschuldbar ist oder nicht spielt beim Tatbestandsirrtum keine Rolle. Fasst man hingegen den Irrtum über die Arbeitgebereigenschaft als Verbotsirrtum auf (darauf baut Rn. 21a mit Fn. 50 auf; skeptisch Rn. 87a), dann kann man für dessen Vermeidbarkeit das Unterlassen des Anfrageverfahrens anführen. Zur Vermeidbarkeit führte dies aber selbst bestenfalls (die Statusentscheidung soll die Strafgerichte nicht binden, Rn. 21a) nur dann, wenn der Angeklagte von dieser Möglichkeit wusste, zumutbares Fragen ihm diese Kenntnis verschafft hätte und die Prüfung mit der Bejahung seiner Arbeitgebereigenschaft geendet hätte – und zudem der Angeklagte auch subjektiv Anlass hatte am Fehlen seiner Arbeitgeberstellung zu zweifeln: War er sich in seiner Verneinung sicher, so bedürfte eine Verurteilung des Nachweises, dass diese Sicherheit ihrerseits auf einer Pflichtwidrigkeit beruhte.

c) Essers Zweifel am Fehlen des subjektiven Tatbestands bei (objektiver) Unklarheit über die Arbeitgeberstellung führt ihn zu der Frage, ob die Angaben des Arbeitgebers im Feststellungsverfahren strafprozessual verwertbar seien (Rn. 21c). Seiner an § 97 Abs. 3 S. 1 InsO orientierten ablehnenden Antwort ist die Gefolgschaft zu verweigern: Zum einen besteht bereits ein Unterschied darin, dass es keine Pflicht gibt, das Anfrageverfahren einzuleiten. Insoweit besteht die Parallele nicht zum Insolvenzverfahren, sondern zum Zivilprozess: dort der Wahrheitspflicht geschuldete Angaben unterliegen gleichwohl keinem strafprozessualen Verwertungsverbot. Allerdings liegt in den Fällen keine Parallele zum Zivilverfahren vor, in denen der Angeklagte (als potentieller Arbeitgeber) nicht selbst das Statusverfahren einleitete. Soweit seine Angaben erzwingbar sind, bleibt ihm keine legale Ausweichmöglichkeit. Ebenso wie bei Angaben im Verwaltungs-, insbesondere im Asylverfahren und anders als im Insolvenzverfahren kommt den Aussagen des (potentiellen) Arbeitgebers aber nicht nur Bedeutung für einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt zu, sondern auch für die gegenwärtige Lage. Sich dafür Vorteile zu verschaffen, steht weder unter dem Schutz der Rechtsordnung noch führt dies zu einem strafprozessualen Beweisverwertungsverbot. Macht er hingegen richtige Angaben, die auf Rechtsunkenntnis beruhen, so entlastet ihn dies strafprozessual. Es bleibt nur eine weitere Konstellation übrig: Der Angeklagte kannte seine Arbeitgeberstellung, richtete sich aber nicht danach – und gestand dies im Statusverfahren. Aber auch dies führt nicht zur Unverwertbarkeit, da erzwingbar zwar Tatsachenangaben sind, nicht aber das Geständnis seiner bewußt rechtswidrigen Handhabung!

d) Im zwar nicht mehr lodernden, wohl aber (im Hinblick auf die Fortgeltung der vor dem Schwenk des II. Zivilsenats des BGH im Jahr 2007 hin zur Verneinung der zivilrechtlichen Haftung des Geschäftsführers wegen Masseschmälerung aufgrund abgeführter Arbeitnehmeranteile vom 5. Strafsenat entwickelten Rechtsprechung zur Suspendierung der Beitragsabführungspflicht im Zeitraum von drei Wochen nach Eintritt <oder Bekanntwerden?> der Insolvenzreife) noch schwelenden Streit um das Verhältnis zwischen § 64 S. 1 GmbHG und § 266a Abs. 1 StGB bezieht Esser (Rn. 69a) klar Stellung: Konsequent, systematisch stimmig und praktisch handhabbar beruft er sich völlig zu Recht auf das Gesetz: Sein Ergebnis konnte der II. Zivilsenat des BGH nur erzielen, indem er das Abführen der Arbeitnehmeranteile (im Gegensatz zu den Arbeitgeberanteilen, Rn. 68 a.E. und 115b unter zutreffender Berufung auf BGH, wistra 2010, 186, Rn. 6) als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns auch nach Eintritt der Insolvenzreife vereinbar ansah. Ist das aber der Fall, so gibt es keinen Grund, unter diesem Aspekt eine Einschränkung der Strafbarkeit der Beitragsvorenthaltung zu erwägen. Dieses Ergebnis trifft uneingeschränkt für fällig werdende Arbeitnehmeranteile zu, weil in diesem Fällen die Straffälligkeit in toto vermieden wird. In den Nachzahlungsfällen ist sie jedoch bereits eingetreten. Im Hinblick auf die wesentlichen Folgen der Wiedergutmachung für die Rechtsfolgenseite bejahte der II. Zivilsenat auch insoweit die Sorgfaltsgemäßheit der Zahlung. Dies sieht Esser mit zur Ablehnung neigender Skepsis (Rn. 115a).

9. Insolvenzdelikte

Zum Insolvenzstrafrecht, §§ 283 – 283d StGB, hätte Püschel es sich leicht machen können, entwickelte sich dieses Rechtsgebiet in den letzten Jahren doch nicht so dynamisch wie die allgemeinen Vermögensdelikte. Zudem hatte er bereits in seinen Ausführungen in der 1. Auflage das Ende der Interessentheorie vorweggenommen. Gleichwohl hat er seine Darstellung an etlichen Stellen überarbeitet (zur Firmenbestattung vgl. § 283 StGB, Rn 28 a.E.). Im Hinblick auf die nunmehr maßgebliche Abgrenzung eines Handelns als Geschäftsführer i.S. von § 14 Abs. 1 StGB positioniert sich Püschel (vor § 283 StGB, Rn. 10 a.E.) gegen die streng zivilistische Auffassung, die beim tatsächlichen Handeln eine (zivilrechtlich) wirksame Zustimmung verlangt. Ob dem (was wünschenswert wäre) die Rechtsprechung folgen wird, bleibt abzuwarten. Andernfalls kehrte für diese Fälle die Interessentheorie quasi zurück.

a) Den Zweifeln Püschels an der Legitimität des Insolvenzstrafrechts insgesamt (vor § 283 StGB, Rn. 2) näher nachzugehen, lohnt sich auch im Blick auf die in den

letzten Jahren teilweise eingeschränkte Bilanzierungspflicht (BilMoG; MicroBilG; EU-Überlegungen zu weiteren Erleichterungen auch für Kapitalgesellschaften). Jedoch erscheint die Aussage, dinglich gesicherte Gläubiger seien über das allgemeine Strafrecht ausreichend gesichert, reichlich kühn. Einer kompletten Aufhebung des Insolvenzstrafrechts kann daher kaum ernsthaft das Wort geredet werden.

aa) Allerdings zeichnen sich Tendenzen zur zeitlichen Beschränkung des Geltungsbereichs der §§ 283 – 283d StGB ab. Um die Jahrtausendwende hatte das mittlerweile aufgelöste BayObLG eine faktische Zäsur mit Eintritt einer der objektiven Bedingungen der Strafbarkeit bejaht. Diese Auffassung fand keinen Widerhall in der übrigen Rechtsprechung. Nunmehr kehrt dieser Gedanke in anderem Gewande in der Literatur wieder. C. Brand (Bittmann, Insolvenzstrafrecht, 2. Aufl., § 13, Rn. 9, im Erscheinen) versteht zumindest die §§ 283 – 283c StGB (ähnlich wie § 266 StGB) als Schutznormen gegen Gefahren, die den Schuldnern vom Vermögensinhaber selbst, also in diesem Sinne von innen drohen. Spätestens mit Bestellung des (auch: vorläufigen?) Insolvenzverwalters seien diese Gefahren derart gebannt, daß es eines zusätzlichen Schutzes mittels der speziellen Insolvenzdelikte nicht mehr bedürfe. Sie seien insoweit nicht anwendbar. Die Praxis zeigt allerdings, dass das Aktivwerden des Insolvenzgerichts keineswegs zwingend dem unredlichen Streben der Inhaber des betroffenen Vermögens oder von dessen Vertretungsberechtigten Einhalt gebietet. Die dabei aufgewandte kriminelle Energie übersteigt zuweilen das vorherige Gebaren, so dass es keinen Grund gibt, solche Aktivitäten straffrei zu belassen. Aus dem Anwendungsbereich des Insolvenzstrafrechts könnten sie daher sachgerechterweise nur herausgelöst werden, wenn sie anderweit angemessen geahndet werden könnten. Ein derartiger Nachweis wäre natürlich äußerst interessant.

bb) Püschel reiht sich in die Reduktionstendenzen auf andere Weise als C. Brand, ein und setzt wie seinerzeit das BayObLG an der Strafbarkeitsbedingung (vor § 283 StGB, Rn. 30) und damit noch etwas früher an. Der von ihm ausnahmslos für erforderlich gehaltene Zusammenhang zwischen Tathandlung und objektiver Bedingung der Strafbarkeit fehle, wenn die Tathandlung nicht mehr krisenverschärfend wirken könne. Nach Eintritt einer der Strafbarkeitsbedingungen (also auch: Zahlungseinstellung!) sei deshalb die ausbleibende Bilanzierung nicht mehr strafbar (für die Buchführung müsste dann wohl Gleiches gelten). Auch eine Ahndung nach § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB scheide dann aus. Zudem solle auch noch der Zweifelssatz Anwendung finden. Spezifische Gründe, die nicht auch bereits gegen die Legitimität des Insolvenzstrafrechts insgesamt geltend gemacht werden könnten, führt Püschel jedoch nicht an. In einem Punkt gerät seine Ansicht in unmittelbaren Konflikt mit dem Gesetzeswortlaut: § 283 Abs. 1 Nr. 7b und § 283b Abs. 1 Nr. 3b StGB pönalisieren die Nichterstellung der Bilanz in der vorgeschriebenen Zeit und erfassen damit folglich nicht allein das Ausbleiben der Bilanzierung, sondern auch deren verspätete, aber immerhin erfolgte Erstellung. Deshalb ist es ausgeschlossen, das schlichte Nachholen der Bilanzerstellung als Grund für das Fehlen des als erforderlich angesehen Zusammenhangs zwischen Tathandlung und objektiver Strafbarkeitsbedingung anzusehen.

b) Wenig überzeugend ist auch sein Festhalten an der "Lotto-Theorie": Überschuldung liege nur vor, wenn das Überleben des Unternehmens sicher ausgeschlossen sei (Püschel, vor § 283, Rn. 15). Das wird weder dem § 19 Abs. 2 InsO gerecht, noch verlangen strafprozessuale Grundsätze eine derartige Restriktion, denn der Zweifelssatz gilt nicht für die Auslegung materiellen Rechts, sondern stellt ausschließlich eine Entscheidungsregel für die Fälle dar, in denen sich das Gericht keine Gewissheit über das Vorliegen einer oder mehrerer Tatsache(n) zu verschaffen vermag. Überdies liegt es in der Konsequenz dieses jegliches Risiko als Strafbarkeitshindernis deklarierenden Ansatzes, dass selbst das Vorliegen einer negativen Fortführungsprognose zur Einstellung bzw. zum Freispruch führen müsste, wohnt doch jeder Prognose ein Faktor der Ungewissheit inne: Ein Lottogewinn ist zwar unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich! Zu Ende gedacht führt dies dazu, dass in keinem Fall wegen Bankrotts oder Insolvenzverschleppung aufgrund von Überschuldung verurteilt werden könnte – ein angesichts des sinnlich nicht fassbaren Begriffs de lege ferenda durchaus diskutables Ergebnis, welches aber de lege lata nur methodenwidrig begründet zu werden vermag.

c) Zu Recht fordert Püschel (vor § 283, Rn. 20) von der Strafrechtspflege ein, die Restriktionen anzuerkennen, welchen die Rechtsprechung des II. und des IX. Zivilsenats des BGH die insolvenzrechtlichen Begriffe unterworfen hat. Das gilt v.a. für die Zahlungsunfähigkeit: sie bezieht sich entgegen dem Gesetzeswortlaut nicht auf sämtliche i.S. von § 271 BGB fälligen Verbindlichkeiten, sondern nur auf solche, die zudem auch ernsthaft eingefordert wurden. Angesichts der Normenhierarchie i.V.m. dem strafrechtlichen ultima-ratio-Grundsatz dürfen in der Tat dieselben Begriffe strafrechtlich nicht schärfer verstanden werden als zivilrechtlich: was zivilrechtlich ausdrücklich erlaubt ist, darf nicht bestraft werden. Allerdings sind die Ergebnisse in nahezu allen Fällen deckungsgleich. Das folgt zum einen daraus, dass in der Strafjustiz praktisch nur Evidenzfälle zur (geforderten) Ahndung führen. Zum anderen genügt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung als ernsthaftes Einfordern das schlichte Ausstellen einer Rechnung dann bereits aus, wenn es keinen actus contrarius gibt, z.B. eine ggf. konkludente Stundung:  Eine solche beseitigt jedoch auch die Fälligkeit i.S. von § 271 BGB.

d) Widerspruch ist unvermeidlich im Hinblick auf das Verständnis der Zahlungseinstellung. Unter der Konkursordnung war darunter in der Tat die stärkste Form der Zahlungsunfähigkeit zu verstehen (Püschel, vor § 283 StGB, Rn. 28). § 17 Abs. 2 InsO verlangt allerdings ein modifiziertes Begriffsverständnis. Das folgt aus der Vermutungsregel, derzufolge die Zahlungseinstellung auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lässt. Damit liegt es nahe, der Zahlungseinstellung Wirkung im Vorfeld der Zahlungsunfähigkeit beizumessen. Da dem Gesetz dazu nichts zu entnehmen ist, nimmt es nicht wunder, dass das Ringen um ein sachgerechtes Begriffsverständnis Rechtsprechung und Schrifttum beschäftigt. Einigkeit besteht dahingehend, dass die Vermutungswirkung straf-

rechtlich irrelevant ist. Weitgehende Übereinstimmung ist auch dahingehend feststellbar, dass Zahlungseinstellung auch auf Zahlungsunwilligkeit beruhen kann. Das bestreitet Püschel in sich durchaus schlüssig: andernfalls läge ein Widerspruch zu seiner Auffassung vor, es handele sich bei der Zahlungseinstellung um die stärkste Form der Zahlungsunfähigkeit. Der Schlüssel zur Widerspruchsfreiheit und einer sachgerechten Lösung liegt jedoch in der Aufgabe dieses Begriffsverständnisses.

Die Rechtsprechung des BGH in Zivilsachen bejaht die Zahlungseinstellung, aufgefasst als rein tatsächlicher Vorgang, schon dann, wenn für einschlägige Geschäftskreise ersichtlich ist, dass fällige Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllt werden. Dabei kann es sich schon um eine einzige, allerdings im Verhältnis zur Wirtschaftskraft des Unternehmens bedeutsame Verbindlichkeit handeln (a.A. Püschel: 75 % der fälligen Geldschulden). Da es im Strafrecht auf die Zahlungseinstellung nur als eine der Strafbarkeitsbedingungen des § 283 Abs. 6 StGB ankommt, die Vermutungswirkung nicht einschlägig ist, und auch die übrigen beiden Bedingungen rein zivilrechtlich aufgefasst werden, spricht alles für ein akzessorisches Verständnis des Begriffs der Zahlungseinstellung auch im Strafrecht.

III. Fazit 

Der AnwaltKommentar StGB macht seinem Namen alle Ehre – und nicht nur das: Die das Wirtschaftsstrafrecht betreffenden Passagen stellen auch für denjenigen einen unbedingten Gewinn dar, der anderer Auffassung ist. Zuweilen mag er sich gar überzeugen lassen, im übrigen führen die Darstellungen jedenfalls zu vertiefter Diskussion und Erkenntnis: das lässt sich nicht von jedem Erläuterungsbuch sagen! Wenn denn Wünsche für die 3. Auflage erlaubt sind, dann seien hier zwei genannt: Es wäre für den Leser viel angenehmer, fände er das Layout der ersten Auflage wieder. Inhaltlich gewönne das Werk an praktischem Nutzen, wenn die der Verteidigung nicht genehmen Argumente einen größeren Platz eingeräumt bekämen: Dies bewahrte gerade den Verteidiger vor manch unliebsamer Überraschung.