HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2014
15. Jahrgang
PDF-Download

Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH


I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

1065. BGH 4 ARs 12/14 – Beschluss vom 11. September 2014 (BGH)

Verfassungsmäßigkeit der ungleichartigen Wahlfeststellung (Gesetzlichkeitsprinzip; Unschuldsvermutung); Hehlerei; Unterschlagung; Diebstahl.

Art. 6 EMRK; Art. 7 EMRK; Art. 103 Abs. 2 GG; § 1 StGB; § 261 StPO; § 242 StGB; § 259 StGB; § 246 StGB

1. Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung zur ungleichartigen Wahlfeststellung fest. Danach ist eine wahldeutige Verurteilung wegen (gewerbsmäßigen) Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei zulässig.

2. Die richterrechtlich entwickelte Rechtsfigur der ungleichartigen Wahlfeststellung verstößt nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG.

3. Der Zulässigkeit der Wahlfeststellung steht im zugrundeliegenden Fall schließlich auch nicht entgegen, dass eine Verurteilung wegen eines dritten Tatbestandes möglich gewesen wäre, nämlich wegen des formell subsidiären Auffangtatbestands der Unterschlagung gemäß § 246 StGB.


Entscheidung

1106. BGH 3 StR 105/14 – Beschluss vom 7. August 2014 (LG Trier)

Schwerer Bandendiebstahl (Fehlen einer die Annahme der Bandenabrede tragenden Beweiswürdigung; Tat als Ausfluss der Bandenabrede; Versuchsbeginn erst durch unmittelbares Ansetzen zum Grunddelikt: Teilverwirklichungsregel); Beweiswürdigung (keine Umdeutung von Beweisbehauptungen des Verteidigers in eine Einlassung des Angeklagten; keine Wertung des Schweigens zum

Nachteil des Angeklagten; zulässiges Verteidigungsverhalten; rechtsfehlerhafte Berücksichtigung von Teilen einer als Schutzbehauptung gewerteten Einlassung).

§ 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 244a StGB; § 22 StGB; § 261 StPO

1. Das unmittelbare Ansetzen zum Versuch eines (schweren) Bandendiebstahls erfordert regelmäßig das Ansetzen zur Wegnahmehandlung. Ein Versuchsbeginn scheidet daher aus, sofern diese einen weiteren, eigenständigen Willensentschluss des Täters erfordert. Das gilt auch dann, wenn bereits die im Rahmen von § 244a Abs. 1 StGB zum Tatbestandsmerkmal erhobene Voraussetzung des Einbrechens in einen Geschäftsraum erfüllt ist.

2. An einem unmittelbaren Ansetzen kann es allgemein ausnahmsweise dann trotz der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals fehlen, wenn der Täter damit noch nicht zu der die Strafbarkeit begründenden eigentlichen Rechtsverletzung ansetzt. Ob dies der Fall ist oder ob er sich noch im Stadium der Vorbereitung befindet, hängt von seiner Vorstellung über das „unmittelbare Einmünden“ seiner Handlungen in die Erfolgsverwirklichung ab. Gegen das Überschreiten der Schwelle zum Versuch spricht deshalb im Allgemeinen, dass es zur Herbeiführung des vom Gesetz vorausgesetzten Erfolges noch eines weiteren – neuen – Willensimpulses bedarf (BGHSt 31, 178, 182).


Entscheidung

1101. BGH 4 StR 367/14 – Beschluss vom 9. September 2014 (LG Frankfurt (Oder))

Rücktritt vom Versuch (Fehlschlag des Versuchs: subjektive Sicht des Täters, mehraktiges Geschehen, Gesamtbetrachtung, Korrektur des Rücktrittshorizonts, Flugsuizidfall).

§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB

1. Ein fehlgeschlagener Versuch liegt vor, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt, oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält, wobei es auf die Tätersicht nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung ankommt. Erkennt der Täter zu diesem Zeitpunkt oder hat er eine entsprechende subjektive Vorstellung dahin, dass es zur Herbeiführung des Erfolges eines erneuten Ansetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs, liegt ein Fehlschlag vor (st. Rspr).

2. Nimmt der Täter im Rahmen eines mehraktigen Geschehens verschiedene Handlungen vor, steht der Fehlschlag eines oder mehrerer der anfänglichen Einzelakte nicht notwendig und von vornherein einem Rücktritt vom Versuch entgegen. Sind diese Einzelakte untereinander sowie mit der letzten Tathandlung Teile eines durch die subjektive Zielsetzung des Täters verbundenen, örtlich und zeitlich einheitlichen Geschehens, so beurteilen sich die Fragen, ob der Versuch fehlgeschlagen ist oder ob der strafbefreiende Rücktritt andernfalls allein schon durch das Unterlassen weiterer Tathandlungen (unbeendeter Versuch) oder durch Verhinderung der Tatvollendung (beendeter Versuch) erreicht werden kann, ebenfalls allein nach der subjektiven Sicht des Täters nach Abschluss seiner letzten Ausführungshandlung (vgl. BGH NStZ 2007, 399, Rn. 3).

3. Hält der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des angestrebten Erfolgs zwar zunächst für möglich, erkennt er aber unmittelbar darauf, dass er sich geirrt hat, so erlangt die an der wahrgenommenen Wirklichkeit korrigierte Vorstellung für den „Rücktrittshorizont“ maßgebliche Bedeutung mit der Folge, dass der Täter, dessen Handlungsmöglichkeiten unverändert fortbestehen, durch Abstandnahme von weiteren Ausführungshandlungen mit strafbefreiender Wirkung zurücktreten kann (sog. Korrektur des Rücktrittshorizonts, vgl. BGHSt 36, 224). Entscheidend ist danach nicht, ob der Angeklagte seinen ursprünglichen Tatplan nicht verwirklichen konnte, sondern ob ihm infolge einer Veränderung der Handlungssituation oder aufkommender innerer Hemmungen das Erreichen seines Zieles ohne zeitliche Zäsur nicht mehr möglich erschien. War der Angeklagte aber noch Herr seiner Entschlüsse, hielt er die Ausführung der Tat – wenn auch mit anderen Mitteln – noch für möglich, dann ist der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten (vgl. BGH NStZ 2007, 91).


II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

1116. BGH 5 StR 380/14 – Urteil vom 22. Oktober 2014 (LG Bremen)

BGHSt; Mord (niedrige Beweggründe; außergewöhnlich brutales und menschenverachtendes Tatbild; Missachtung des personellen Eigenwerts des Opfers); Schuldfähigkeitsprüfung bei besonders brutalem Tatbild; Unterbringung in psychiatrischem Krankenhaus; sexuelle Handlung (objektive Sexualbezogenheit).

§ 211 Abs. 2 StGB; § 21 StGB; § 63 StGB; § 184g Nr. 1 StGB

1. Niedrige Beweggründe bei außergewöhnlich brutalem, eklatant menschenverachtendem Tatbild. (BGHSt)

2. Prüfung verminderter Steuerungsfähigkeit und Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus in Fällen dieser Art. (BGHSt)

3. Neben ungehemmter Eigensucht und krasser Rücksichtslosigkeit ist ein weiteres Leitprinzip für das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe die in der Tötung motivational zu Tage tretende Missachtung des personellen Eigenwerts des Opfers. Eine solchermaßen antisoziale Einstellung kann darin erblickt werden, dass der Täter das Opfer in menschenverachtender Weise tötet. (Bearbeiter)

4. In die Kategorie der Missachtung des personellen Eigenwerts des Opfers fallen Sachverhalte, in denen der Täter das Opfer vor oder während der Tat in besonders herabsetzender Weise quält und damit eine gesellschaftlichen Grundwerten kategorial zuwider laufende Einstellung dergestalt manifestiert, dass der Adressat des Angriffs nicht einmal mehr ansatzweise als Person, sondern nur noch wie ein beliebiges Objekt, mit dem man nach hemmungslosem Gutdünken verfahren kann, behandelt wird. (Bearbeiter)

5. Eine außerordentlich brutale und menschenverachtende Begehungsweise ist bei der forensischen Begutachtung des Täters im Rahmen der Diagnose sowie bei der Erörterung der Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB stets umfassend zu würdigen. (Bearbeiter)


Entscheidung

1090. BGH 1 StR 79/14 – Beschluss vom 21. Oktober 2014 (LG Stuttgart)

BGHSt; sexueller Missbrauch von Kindern (Vornahme von sexuellen Handlungen vor einem Kind: akustische Wahrnehmung ausreichend; zeitgleiche Wahrnehmung).

§ 176 Abs. 4 StGB; § 184g Nr. 2 StGB

1. Es ist zur Erfüllung des objektiven Tatbestandes des § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB ausreichend, dass die sexuelle Handlung von dem Kind zeitgleich akustisch wahrgenommen wird. (BGHSt)

2. Die Strafbarkeit von sexuellen Handlungen „vor“ einem anderen ist gemäß § 184g Nr. 2 StGB auf solche Handlungen beschränkt, die vor einem anderen vorgenommen werden, der den Vorgang wahrnimmt. Dies bedeutet aber nicht, dass sich Täter und Opfer bei der Tatbegehung zwangsläufig in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander befinden müssen. Für die Verwirklichung des Straftatbestandes ist nicht die räumliche Gegenwart des Opfers bei Vornahme der sexuellen Handlungen ausschlaggebend, sondern dessen Wahrnehmung von dem äußeren Vorgang der sexuellen Handlung, die angesichts moderner Übermittlungsformen von der bloßen Gegenwart des Betrachters nicht abhängig ist. Allein dieses soll durch das Erfordernis des Handelns „vor“ einem anderen zum Ausdruck gebracht werden. (Bearbeiter)

3. Gesetzeswortlaut, Materialien und Sinn und Zweck des § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB lassen deutlich werden, dass in Abgrenzung zu den Begehungsvarianten des § 176 Abs. 4 Nr. 3 und 4 StGB nur eine zeitgleiche Wahrnehmung genügen kann (vgl. BGHSt 53, 283). Das Abspielen von Aufzeichnungen fällt danach nicht unter § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB. (Bearbeiter)


Entscheidung

1087. BGH 1 StR 387/14 – Beschluss vom 17. September 2014 (LG Mannheim)

BGHSt; Entziehung Minderjähriger (Taterfolg: räumliche Trennung von Minderjährigem und Erziehungsberechtigtem; Täterschaft des anderen Elternteils; Verhältnis zur Nötigung: Tateinheit)

§ 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 25 Abs. 1 Var. 1 StGB; § 240 Abs. 1 StGB; § 52 Abs. 1 StGB

1. Entziehung Minderjähriger liegt auch dann vor, wenn ein sorgeberechtigter Elternteil zwangsweise für eine gewisse Dauer von seinem unter achtzehn-jährigen Kind entfernt wird. (BGHSt)

2. Entziehung Minderjähriger und Nötigung können in Tateinheit stehen. (BGHSt)

3. Den Eltern „entzogen“ ist der Minderjährige schon dann, wenn das Recht zur Erziehung, Beaufsichtigung und Aufenthaltsbestimmung durch räumliche Trennung für eine gewisse, nicht nur ganz vorübergehende Dauer so beeinträchtigt wird, dass es nicht ausgeübt werden kann (vgl. BGH NStZ 1996, 333, 334 mwN). (Bearbeiter)

4. Eine Entziehung im Sinne des § 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB liegt nicht nur vor, wenn der Minderjährige unter den Voraussetzungen dieser Vorschrift vom Elternteil entfernt wird, sondern auch, wenn der Elternteil unter diesen Voraussetzungen vom Minderjährigen entfernt und ferngehalten wird. (Bearbeiter)

5. Grundsätzlich kann eine Kindesentziehung auch von einem Elternteil gegenüber dem anderen begangen werden, sofern jedem Elternteil das Personensorgerecht zumindest teilweise zusteht (vgl. u.a. BGHSt 44, 355, 358). (Bearbeiter)

6. Jedenfalls wenn der angestrebte Nötigungserfolg über die Tatbestandserfüllung der Kindesentziehung hinausreicht, ist von Tateinheit zwischen § 240 StGB und § 235 StGB auszugehen Erschöpft sich der Nötigungserfolg in der Kindesentziehung, so tritt allerdings § 240 StGB hinter § 235 StGB zurück. (Bearbeiter)


Entscheidung

1113. BGH 3 StR 88/14 – Beschluss vom 19. August 2014 (LG Coburg)

Tatort beim Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (Abrufbarkeit von aus dem Ausland hochgeladenen Internet-Inhalten in Deutschland; abstraktes Gefährdungsdelikt; Handlungsort; Erfolgsort; Begriff des Erfolgs); Öffentliches Verwenden von Kennzeichen durch Einstellen in Facebook-Profil; Ähnlichkeit eines Kennzeichens

§ 86a StGB; § 3 StGB; § 9 StGB

1. Lädt jemand Kennzeichen, deren öffentliche Verwendung nach § 86a StGB strafbar ist, von einem im Ausland befindlichen Server in das Internet hoch, ist ein die Anwendung deutschen Strafrechts begründender Tatort nicht dadurch gegeben, dass die Inhalte von Deutschland aus abrufbar sind (im Ergebnis abw. zu § 130 StGB BGHSt 46, 212, 221).

2. Das abstrakte Gefährdungsdelikt des § 86a StGB umschreibt keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg, so dass eine Inlandstat über § 9 Abs. 1 Var. 3 oder 4 StGB nicht begründet werden kann. Selbst wenn man der An-

sicht zustimmen wollte, dass die Frage nach dem Erfolgsort im Sinne des § 9 Abs. 1 StGB normspezifisch am Schutzzweck der jeweiligen Strafvorschrift ausgerichtet werden muss, die Regelung mithin nicht nur auf Erfolgsdelikte im Sinne der allgemeinen Deliktslehre abstellt, ist jedenfalls an dem Ort, an dem die hervorgerufene abstrakte Gefahr in eine konkrete umgeschlagen ist oder gar nur umschlagen kann, kein zum Tatbestand gehörender Erfolg eingetreten. Erforderlich ist vielmehr eine von der tatbestandsmäßigen Handlung räumlich und/oder zeitlich abtrennbare Außenweltsveränderung.

3. Der Handlungsort wird bei aktivem Tun durch den Aufenthaltsort des Täters bestimmt. Dagegen ist ein Handlungsort nicht bereits dort gegeben, wo die durch mediale Übertragung transportierte Handlung ihre Wirkung entfaltet (gegen KG NJW 1999, 3500, 3502). Aus denselben Erwägungen kommt es auch nicht in Betracht, den Standort des vom Täter angewählten Servers für ausschlaggebend zu erachten.

4. Ebenfalls eine Frage der Wirkung der tatbestandlichen Handlung wäre es, wenn man in dem Abruf der vom Angeklagten bereitgestellten Inhalte von Deutschland aus den Abschluss des Verwendens durch Verbreiten von Schriften sehen würde. Denn anders als bei der Beförderung durch andere Personen fehlt es bei der rein technischen Übertragung im Internet an der Möglichkeit, Handeln Dritter und damit deren Handlungsort selbst dem Täter gemäß § 25 Abs. 1 Alt. 2 bzw. § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen.

5. Der Senat verkennt nicht, dass seine Auffassung dazu führen kann, dass Personen gezielt die Grenze überqueren werden, um Kennzeichen in das Internet einzustellen, deren Verwendung im Inland mit Strafe bedroht wäre. Es ist jedoch Aufgabe des Gesetzgebers, diese Strafbarkeitslücke zu schließen, falls er dies für erforderlich erachtet.

6. Eine Verwendung ist „öffentlich“, wenn das Kennzeichen durch die Art seiner Verwendung für einen größeren, nicht durch persönliche Beziehungen zusammenhängenden Personenkreis wahrnehmbar ist. Zwar besteht zwischen den als „Freunden“ gespeicherten Nutzern und dem Inhaber eines Facebook-Profils jeweils eine Beziehung derart, dass die entsprechende Anfrage des einen zur Aufnahme in den Kreis der „Freunde“ durch den anderen bestätigt werden muss, die Verlinkung mithin auf einer kongruenten Willensbildung beruht. Damit ist über die persönliche Ebene dieser Beziehung jedoch noch nichts Hinreichendes ausgesagt. Jedenfalls bei einer Vielzahl von sogenannten Freunden (hier 844) ist regelmäßig ausschließen, dass zu mehr als einem Bruchteil von diesen eine Verbindung bestand, die über eine zufällige, mitunter sogar nur virtuelle Bekanntschaft hinausging.


Entscheidung

1099. BGH 4 StR 208/14 – Urteil vom 9. Oktober 2014 (LG Essen)

Räuberische Erpressung (Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben: Begriff der gegenwärtigen Gefahr); Aufklärungsgrundsatz (Anforderungen an die gerichtliche Aufklärungspflicht: Absicherung der gewonnenen Überzeugung des Gerichts, Sich aufdrängen der Beweiserhebung).

§ 253 Abs. 1 StGB; § 255 StGB; § 244 Abs. 2 StPO

1. Mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben droht, wer eine Schädigung an Leib oder Leben in Aussicht stellt, die bei ungestörter (natürlicher) Weiterentwicklung der Dinge als sicher oder höchst wahrscheinlich zu erwarten ist, falls nicht alsbald eine Abwehrmaßnahme ergriffen wird. Erforderlich ist dabei nicht, dass das schädigende Ereignis mit Sicherheit unmittelbar bevorsteht. Es genügt eine Gefahr, die als „Dauergefahr“ über einen längeren Zeitraum in dem Sinne gegenwärtig ist, dass sie jederzeit – zu einem ungewissen Zeitpunkt, alsbald oder auch später – in einen Schaden umschlagen kann. Dabei erfordert es der wirksame Schutz von Erpressungsopfern, den Begriff der Gegenwärtigkeit angedrohter Gefahren nicht zu eng zu verstehen (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 266, 267).

2. § 244 Abs. 2 StPO gebietet es, von Amts wegen Beweis zu erheben, wenn aus den Akten oder aus dem Stoff der Verhandlung noch Umstände und Möglichkeiten bekannt oder erkennbar sind, die bei verständiger Würdigung der Sachlage begründete Zweifel an der Richtigkeit der – auf Grund der bisherigen Beweisaufnahme erlangten – Überzeugung wecken müssen (vgl. BGH NStZ 2009, 468 f.). Ob die vom Gericht auf Grund der verwendeten Beweismittel gewonnene Überzeugung ausreicht oder ob zu ihrer Absicherung oder Überprüfung weitere Beweismittel heranzuziehen sind, ist auf der Grundlage von Verfahrensablauf und Beweislage des Einzelfalls zu beurteilen. Je weniger gesichert ein Beweisergebnis erscheint, je gewichtiger die Unsicherheitsfaktoren sind, je mehr Widersprüche bei der Beweiserhebung zu Tage getreten sind, desto größer ist der Anlass für das Gericht, trotz der erlangten Überzeugung weitere erkennbare Beweismöglichkeiten zu benutzen (vgl. BGH StV 1996, 249).


Entscheidung

1093. BGH 2 StR 160/14 – Urteil vom 24. September 2014 (LG Fulda)

Heimtückemord (Voraussetzungen: bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit).

§ 211 StGB

1. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt; wesentlich ist, dass der Mörder sein keinen Angriff erwartendes, mithin argloses Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren, wobei für die Beurteilung die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs maßgebend ist. Bei einem offen feindseligen Angriff ist erforderlich, dass dem Opfer wegen der kurzen Zeitspanne zwischen Erkennen der Gefahr und unmittelbarem Angriff keine Möglichkeit der Abwehr verblieben ist (vgl. etwa BGH NStZ 2012, 35). 2. Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist weiter, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt. Dafür genügt es, wenn er die die Heimtücke be-

gründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. BGH NStZ 2013, 232, 233).


Entscheidung

1080. BGH 4 StR 363/14 – Beschluss vom 21. Oktober 2014 (LG Paderborn)

Abgrenzung von Raub und Diebstahl (finale Verknüpfung).

§ 249 StGB; § 242 StGB

1. Nach ständiger Rechtsprechung muss zwischen der Drohung oder dem Einsatz von Gewalt und der Wegnahme beim Raub eine finale Verknüpfung bestehen; Gewalt oder Drohung müssen das Mittel zur Ermöglichung der Wegnahme sein. An einer solchen Verknüpfung fehlt es, wenn eine Nötigungshandlung nicht zum Zwecke der Wegnahme vorgenommen wird, sondern der Täter den Entschluss zur Wegnahme erst nach Abschluss dieser Handlung fasst.

2. Den Feststellungen muss sich dafür entnehmen lassen, dass der Angeklagte den Entschluss zur Wegnahme schon vor der Gewaltanwendung gefasst hat. Allein der Umstand, dass die Wirkungen eines ohne Wegnahmeabsicht eingesetzten Nötigungsmittels noch andauern und der Täter dies ausnutzt, genügt für die Annahme eines Raubes nicht.


Entscheidung

1117. BGH 5 StR 395/14 – Urteil vom 8. Oktober 2014 (LG Chemnitz)

Beendigung beim Diebstahl; Tatfrische beim räuberischen Diebstahl.

§ 242 StGB; § 252 StGB

Die Beendigung des Diebstahls setzt voraus, dass der Täter den Gewahrsam an den entwendeten Gegenständen bereits gefestigt und gesichert hat. Dies ist anhand der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Verlässt der Täter den unmittelbaren Herrschaftsbereich des Opfers (hier: einen Supermarkt), befindet er sich aber noch in Sichtweite des ihn sofort verfolgenden Berechtigten und bleibt damit einem erhöhten Risiko ausgesetzt, die Beute infolge der Nacheile wieder herausgeben zu müssen, scheidet eine Beendigung selbst dann aus, wenn bis zur Konfrontation durch den Berechtigten mehrere Minuten vergehen.


Entscheidung

1088. BGH 1 StR 389/14 – Beschluss vom 4. September 2014 (LG Bayreuth)

Räuberischer Diebstahl (Besitzerhaltungsabsicht: Voraussetzungen, Anforderungen an die tatrichterliche Beweiswürdigung).

§ 252 StGB; § 261 StPO

Der Täter eines räuberischen Diebstahls muss in Besitzerhaltungsabsicht handeln; dies bedeutet, dass die Gewaltanwendung oder Drohung zum Ziel haben muss, sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten. Diese Absicht muss nicht der einzige Beweggrund des Täters für die Gewaltanwendung oder den Einsatz des Nötigungsmittels sein (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 340 mwN). Eine bloße Fluchtabsicht genügt jedoch nicht.