HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2014
15. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Verbesserter Schutz für Zeugen und Angeklagte durch veränderte Auslegung des § 252 StPO?

Anmerkung zu BGH HRRS 2014 Nr. 879

Von Wiss. Mit. Christoph Henckel, Bucerius Law School, Hamburg

Regelmäßig kommt es vor, dass sich ein Zeuge, der im Ermittlungsverfahren noch ausgesagt hat, in der Hauptverhandlung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft. Zur Frage, inwieweit § 252 StPO dann den Rückgriff auf die Aussage in der ersten Vernehmung verbietet, stehen sich Rechtsprechung und herrschende Literatur nunmehr seit Jahrzehnten unversöhnlich gegenüber. Mit einem Anfragebeschluss an die anderen Senate hat der 2. Strafsenat des BGH neuerlichen Schwung in diese Diskussion gebracht.

I. Stand der Diskussion

1. § 252 StPO als Beweisverwertungsverbot

Seinem Wortlaut nach verbietet § 252 StPO nur die Verlesung des Protokolls über eine vorherige Vernehmung eines Zeugens, wenn dieser sich in der Hauptverhandlung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft.[1] Ein solches Verlesungsverbot ergibt sich allerdings bereits aus § 250 Satz 2 StPO. Somit wäre § 252 StPO überflüssig.[2] Seit Beginn seiner Rechtsprechung und in Übereinstimmung mit der ganz herrschenden Meinung in der Literatur[3] entnimmt der BGH der Vorschrift jedoch außerdem ein allgemeines Verwertungsverbot bezüglich der außerhalb der Hauptverhandlung gemachten Aussage.[4] Insbesondere darf die Verhörsperson nicht als Zeuge über den Inhalt der Vernehmung befragt werden.

Seine Rechtfertigung findet diese Auslegung im Zweck des Zeugnisverweigerungsrechts. Der Zeuge soll wegen seines besonderen Verhältnisses zum Angeklagten zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens frei darüber entscheiden können, ob er aussagen möchte. Dieser Zweck würde jedoch vereitelt, wenn sein vielleicht voreiliges, in Unkenntnis seines Zeugnisverweigerungsrechts abgegebenes Zeugnis gegen seinen Willen doch noch Einfluss auf die Entscheidung gewinnt.[5] Nur wenn § 252 StPO ein umfangreiches Verwertungsverbot enthält, bleibt ihm diese Belastung erspart.

2. Ausnahme für richterliche Verhörspersonen?

Umstritten ist jedoch die Reichweite dieses Beweisverwertungsverbots. Ebenfalls in ständiger Rechtsprechung macht der BGH eine Ausnahme, wenn der Zeuge außerhalb der Hauptverhandlung von einem Richter vernommen und gemäß § 52 Abs. 3 StPO über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt wurde.[6] Wenn der Zeuge belehrt und freiwillig auf dieses verzichte, bestünden keine schutzwürdigen Interessen seinerseits, die einer späteren Verwertung der Aussage entgegenstünden. In der Güterabwägung zwischen dem Grundsatz der Wahrheitserforschung und dem Schutz des dem Angeklagten besonders nahe stehenden Zeugen überwiege damit ersteres. Dies soll sowohl für Vernehmungen durch den Ermittlungsrichter als auch für Vernehmungen in anderen, nicht den strafprozessualen Regeln unterliegenden Verfahrensarten gelten.[7]

In seinen früheren Entscheidungen hat der BGH diese Ausnahme vom Beweisverwertungsverbot vor allem mit der Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht begründet. Der Zeuge habe dann in Kenntnis der Tragweite seines Verhaltens ausgesagt.[8] Da bis zum StPÄG 1964 eine solche Belehrungspflicht nur für Richter bestand, sollte eine Vernehmung der Verhörsperson nur für rich-

terliche, nicht aber für polizeiliche und staatsanwaltliche Vernehmungen erlaubt sein.

Nach der Einführung einer Belehrungspflicht auch für Polizei und Staatsanwaltschaft (§ 52 Abs. 3 i.V.m. § 161a Abs. 1 Satz 2 bzw. § 163 Abs. 5 StPO) hat der BGH an dieser Unterscheidung festgehalten, sie nunmehr jedoch mit dem besonderen Vertrauen gerechtfertigt, dass das Gesetz der richterlichen Vernehmung entgegenbringe.[9] Zudem seien dem Zeugen die Folgen seiner Aussage bei der für ihn erkennbaren und regelmäßig auch so empfundenen erhöhten Bedeutung der richterlichen Vernehmung für das Strafverfahren eher bewusst.[10]

Schließlich rechtfertigt der BGH die Ausnahme auch mit dem Missbrauchspotential, das sonst für den Zeugen entstehe, der über die Verwertbarkeit seiner einmal gemachten Aussage entscheiden könne. Dieser könne sich zum "Herrn des Verfahrens" aufschwingen.[11]

Diese Ansicht ist in der Literatur überwiegend auf Kritik gestoßen. Es handele sich dabei um eine kriminalpolitische Zweckmäßigkeitsentscheidung, die weder im Wortlaut noch im Regelungszweck des § 252 StPO eine Entsprechung finde.[12] Eine besondere "Qualität" der richterlichen Vernehmung sei weder pauschal im Gesetz angelegt, noch lasse sie sich empirisch belegen.[13] Eine solche Argumentation ginge aber vor allem am Telos der Norm vorbei: § 252 StPO diene nicht dazu, die Qualität der Beweiserhebung zu sichern. Vielmehr schütze er die freie Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts.[14]

Deshalb könne auch das Missbrauchsargument nicht überzeugen. Es sei vielmehr die gesetzliche Wertung der §§ 52 ff. StPO, dass der Zeuge gerade zu jeder Zeit frei über seine Aussage entscheiden könne. Diese ersetze der BGH aber durch seine eigene Wertung der Güterabwägung.[15]

Außerdem wird auf den offensichtlichen – auch von der Rechtsprechung erkannten[16] – Widerspruch verwiesen, dass nach § 255a Abs. 1 StPO auf die Bild-Ton-Aufzeichnung einer richterlichen Vernehmung nicht, wohl aber auf das weniger zuverlässige Beweismittel der Vernehmung des Richters zurückgegriffen werden dürfe.[17]

Schließlich wird kritisiert, dass durch eine Ausnahme vom Verwertungsverbot das Konfrontationsrecht des Angeklagten nach Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK umgangen würde. Durch sein Zeugnisverweigerungsrecht könne sich der Zeuge einer kontradiktorischen Befragung durch die Verteidigung in der Hauptversammlung entziehen. Gleichzeitig könne aber seine Aussage durch die Vernehmung der richterlichen Gehörsperson verwertet werden.[18] Entsprechend hat auch der EGMR entschieden, dass eine solche Vorgehensweise gegen Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK verstößt, wenn die mittelbar eingeführte Zeugenaussage das einzige oder entscheidende Beweismittel für die Verurteilung ist und es an anderen kompensierenden Faktoren fehlt, die insbesondere die Belastbarkeit der Aussage absichern.[19]

II. Der Beschluss des 2. Senats vom 04.06.2014

Von der seit BGHSt 2, 99 nahezu unverändert gebliebenen Rechtsprechung möchte der 2. Strafsenat in einem Anfragebeschluss nunmehr teilweise Abstand nehmen.[20] Konkret geht es um die Frage, worüber der Zeuge bei seiner richterlichen Vernehmung außerhalb der Hauptverhandlung genau belehrt werden muss.

Zunächst legt der Senat die Grundlagen für die von ihm weiterhin vorgenommene Güterabwägung dar. Ziel des Strafprozesses sei die Ermittlung des wahren Sachverhalts. Diese finde jedoch seine Grenzen an den verfassungsmäßigen prozessualen Rechten der Verfahrensbeteiligten, zu denen insbesondere das sich unmittelbar aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, ergebende Zeugnisverweigerungsrecht des verwandten Zeugen gehören soll. Der Zwang zur Belastung eines Angehörigen sei mit dem Zwang zur Selbstbelastung vergleichbar. Allein die Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts nach § 52 StPO in der Hauptverhandlung sei aber nicht geeignet, diese Zwangslage zu beseitigen, wenn bereits eine zuvor getätigte Aussage vorliegt, die über die Verlesung dieser Aussage oder auch über die Vernehmung der Verhörsperson in die Hauptverhandlung eingeführt werden könnte. In seiner Auslegung als Beweisverwertungsverbot würde deshalb § 252 StPO den Konflikt zwischen Aufklärungsgrundsatz und Schutz des verwandten Zeugen grundsätzlich lösen.[21]

Eine weitere, gerechtfertigte Austarierung dieser Interessen schaffe die von der Rechtsprechung gemachte Ausnahme vom Verwertungsverbot für die Vernehmung einer früheren richterlichen Verhörsperson. Zur Begrün-

dung stützt sich der Senat auf die genannten Argumente vorheriger Entscheidungen.[22]

Abweichend von der bisherigen Rechtsprechung[23] will der Senat ein Überwiegen der Strafverfolgungsinteressen jedoch nur annehmen, wenn der Zeuge vom Ermittlungsrichter neben seinem Zeugnisverweigerungsrecht auch darüber belehrt wurde, dass eine jetzt gemachte Aussage in der Hauptverhandlung verwertbar bleibe, wenn er sich später auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen sollte. Die besondere Bedeutung der Belehrung des Zeugens für die Verwertbarkeit der Aussage sei nur gerechtfertigt, wenn dieser nicht nur sein Zeugnisverweigerungsrecht, sondern auch die möglichen Konsequenzen seines Verzichts auf dieses kenne. Erst dies ermögliche eine verantwortungsvolle Entscheidung über die Wahrnehmung seiner Rechte. Für den regelmäßig rechtsunkundigen Zeugen läge es aber fern, sich Gedanken über eine solche spätere Verwertbarkeit zu machen. Vielmehr würde erst durch den richterlichen Hinweis dem Zeugen die bestehende Konfliktsituation bereits im Ermittlungsverfahren deutlich.[24]

Ausführlich setzt der Senat sich mit möglichen Gegenargumenten auseinander.[25] Sollte man davon ausgehen, dem Zeugen sei die spätere Verwertbarkeit seiner Aussage durchaus bewusst, sei dies für die Belehrungspflicht irrelevant, da diese zumindest noch die "Ausnahmefälle" erfassen würde, in denen es an einer solchen Kenntnis fehlt. Dass es, wie vom BGH früher vorgebracht,[26] an einer gesetzlichen Grundlage für die Belehrung fehle, könne ebenfalls nicht überzeugen, da auch die Ausnahme vom Beweisverwertungsverbot des § 252 StPO ungeschrieben sei. Ausdrücklich gibt der Senat eine eigene Entscheidung aus dem Jahre 1983 auf, die eine Belehrungspflicht mit dem Argument verneint hatte, auch in der Hauptverhandlung sei ein Hinweis auf die jederzeitige Widerrufbarkeit des Verzichts auf das Aussageverweigerungsrecht nicht erforderlich.[27] Im Gegensatz zur Hauptverhandlung seien dem Zeugen im Ermittlungsverfahren die möglichen Folgen für den Angehörigen und damit seine besondere Zwangslage nicht so bewusst.

Schließlich sei die Belehrungspflicht keine nennenswerte Belastung für die Effektivität der Strafverfolgung. Vor allem entspreche es aber der gesetzgeberischen Wertung, dem Persönlichkeitsrecht des Zeugen durch eine Einschränkung der Wahrheitsermittlung Rechnung zu tragen. Eine Effektivität der Strafrechtspflege, die sich im Wesentlichen darauf stützt, Personen, deren Recht dem Schutz des Gesetzes anvertraut sind, unzureichend über ihre Rechtsstellung zu belehren, sei eines Rechtsstaats aber nicht würdig.[28]

Bemerkenswert ist noch, dass der Senat die Frage, ob die Ausnahme für richterliche Verhörspersonen auch bei Vernehmungen außerhalb des Ermittlungsverfahrens, etwa in einem familiengerichtlichen Verfahren, anzuwenden ist, zwar als nicht entscheidungserheblich offen lässt. Gleichzeitig verweist er aber auf die "beachtlichen Argumente" der Gegenansicht in der Literatur.[29] Es bleibt abzuwarten, ob der Senat damit andeutet, auch diese Rechtsprechung aufgeben zu wollen.

III. Stellungnahme

Die von der Rechtsprechung vorgenommene Ausnahme für richterliche Verhörspersonen betrifft zwei unterschiedliche Rechtspositionen: Zum einen das Zeugnisverweigerungsrecht des Zeugen, zum anderen das Konfrontationsrecht des Angeklagten. Bezüglich beider könnte die vom 2. Senat angestrebte Rechtsprechungsänderung eine Verbesserung bedeuten.

1. Das Zeugnisverweigerungsrecht, §§ 52 ff. StPO

Grundannahme der herrschenden Meinung ist, dass § 252 StPO zwar systematisch bei den Vorschriften über die Beweisaufnahme angesiedelt ist, jedoch in unmittelbarem Zusammenhang mit den Zeugnisverweigerungsrechten der §§ 52 ff. StPO steht und deren Schutz dient. Eine Ausnahme vom Beweisverwertungsverbot kann der 2. Senat deshalb in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung damit rechtfertigen, dass bei einer belehrten richterlichen Vernehmung der Zeuge derart auf sein Zeugnisverweigerungsrecht verzichtet habe, dass seine Interessen in ihrer Schutzwürdigkeit hinter das Ziel der Wahrheitsermittlung zurücktreten würden.[30]

Bereits diese Annahme einer möglichen Abwägung zwischen Wahrheitserforschung und Schutz des dem Angeklagten nahe stehenden Zeugen begegnet Bedenken. Eine solche Einschränkung der Zeugnisverweigerungsrechte kennt das Gesetz gerade nicht. Vielmehr gewährt es sie absolut. Dem Zeugen soll es bis zur Hauptverhandlung zu jeder Zeit freigestellt bleiben, ob er mit seiner Aussage zum Verfahren beitragen möchte.[31] Wie der Senat selbst sieht, ähnelt die Zwangslage, einen Verwandten belasten zu müssen, sogar dem Zwang zur Selbstbelastung so sehr, dass sich das Zeugnisverweigerungsrecht des Angehörigen nach § 52 StPO in die Nähe des nemo-tenetur-Prinzips rücken lässt.[32] Insofern sprechen auch verfassungsrechtliche Argumente für die Abwägungsfestigkeit der Zeugenrechte.

Der Wortlaut des § 252 StPO statuiert zwar nur ein absolutes Verbot der Protokollverlesung. Wenn man § 252 StPO über diesen Wortlaut hinaus aber einen umfassenden Schutz gegen Umgehungen des Zeugnisverweigerungsrechts entnehmen will, dann muss er wie dieses selbst abwägungsfest sein.[33] Man mag es für rechtspolitisch unbefriedigend halten, dass auf diese Weise Verfah-

ren trotz optimaler Vorbereitung und eines fortgeschrittenen Verfahrensstadium mit einem Freispruch wegen Mangels an Beweisen enden.[34] Dem kann aber nur durch eine Reform der gesetzlichen Regelung begegnet werden.

Wenn man sich jedoch einmal dafür entschieden hat, eine Abwägung zuzulassen, gewinnt die Ansicht des Senats erheblich an Plausibilität. Die Grundlage für ein Überwiegen des Interesses an der Wahrheitserforschung kann letztlich nur darin gesehen werden, dass der Zeuge sich autonom für eine Aussage und damit für einen Verzicht auf sein sich unmittelbar aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ergebendes Zeugnisverweigerungsrecht entschieden hat. Basis einer solchen autonomen Entscheidung gegen die Wahrnehmung von Verfahrensrechten muss aber stets eine volle Kenntnis der Bedeutung des Verzichts und seiner möglichen Konsequenzen sein.[35] Der Zeuge muss erkennen können, dass er durch seine Aussage einen nicht wieder zu beseitigenden Konflikt für seine besondere Nähebeziehung zum Angeklagten schafft.

Die bisherige Rechtsprechung des BGH nimmt an, dass eine solche Kenntnis sich neben der Belehrung aus der besonderen Situation der richterlichen Vernehmung ergibt. Deren besondere Bedeutung mache dem Zeugen deutlicher als eine Befragung durch die Polizei, dass er seine Aussage nicht ohne Weiteres wieder beseitigen könne.[36]

Zwar kommt es, wie der 2. Senat zu Recht feststellt, nicht auf eine besondere "Qualität" oder "Dignität" der richterlichen Vernehmung an.[37] Wichtig ist nicht ein gehobener Beweiswert der richterlichen Zeugenaussage. Entscheidend ist vielmehr, ob dem Zeugen allein durch die Situation der richterlichen Vernehmung die sich aus seinem besonderen Näheverhältnis zum Angeklagten ergebende Zwangslage und die Folgen einer möglichen Aussage deutlich werden. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass sich dem regelmäßig rechtsunkundigen Zeugen diese – einschließlich der richterrechtlich entwickelten Differenzierungen – intuitiv erschließen, nur weil er einem Richter und nicht einen Polizeibeamten oder Staatsanwalt gegenüber sitzt.[38] Die Argumentation der ständigen Rechtsprechung ist deshalb abzulehnen.

Erforderlich ist vielmehr, wie der Senat richtig erkennt, dass der Zeuge auf die Konsequenzen seiner Entscheidung ausdrücklich hingewiesen wird. Dies bedeutet eine qualifizierte Belehrung sowohl über sein Zeugnisverweigerungsrecht als auch über die Folgen eines Verzichts auf dieses. Gerade der rechtsunkundige Zeuge kann so am besten für seine Konfliktlage und die Folgen einer Aussage sensibilisiert werden.[39]

Indem er wieder vermehrt die Belehrung als Voraussetzung einer Verwertbarkeit betont, führt der Senat damit die Begründung für die Ausnahme vom Beweisverwertungsverbot zurück auf die bereits von BGHSt 2, 99 entwickelte Argumentation.[40] Dies führt allerdings dazu, dass sich nicht mehr erklären lässt, wieso nur richterliche Vernehmungspersonen, nicht aber Polizei und Staatsanwaltschaft zu der Zeugenaussage vernommen werden können.[41] Da auch diese inzwischen zur Belehrung des Zeugens verpflichtet sind, wäre es ein Leichtes, ihnen ebenfalls eine solche qualifizierte Belehrung aufzuerlegen.

2. Das Konfrontationsrecht des Angeklagten, Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK

Eine Verwertung der Aussage des Richters über das Verhör könnte außerdem die Rechte des Angeklagten verletzen, genauer gesagt, sein Recht, Fragen an Belastungszeugen zu stellen, das sich aus Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK ergibt. Folgt man der Ansicht des BGH, kann sich der Zeuge durch sein Zeugnisverweigerungsrecht in der Hauptverhandlung einer kontradiktorischen Befragung entziehen, gleichzeitig kommt es aber zu einer (mittelbaren) belastenden Verwertung seiner Aussage.

Zwar sind Einschränkungen des Konfrontationsrechts nach Rechtsprechung des EGMR unter Umständen zulässig.[42] Der Gerichtshof nimmt aber an, dass ein Urteil nicht allein oder entscheidend auf die Aussage eines Zeugen gestützt werden darf, den der Angeklagte nicht befragen konnte.[43]

Für die richterliche Vernehmung des Zeugens im Ermittlungsverfahren gilt allerdings § 168c Abs. 2 StPO. Danach haben der Beschuldigte und sein Verteidiger ein Anwesenheits- und Fragerecht bei der Vernehmung.[44] Sie sind rechtzeitig über den Vernehmungstermin zu informieren, § 168c Abs. 5 Satz 1 StPO. Wenn dieser Hinweis unterbleibt und die Verteidigung den Zeugen deshalb nicht befragen konnte, ergibt sich bereits aus § 168c StPO selbst ein Beweisverwertungsverbot für dieses Verhör. Dies gilt insbesondere für eine Vernehmung des

Ermittlungsrichters.[45] Da Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK dem Angeklagten nur das Recht gewährt, den Zeugen zu irgendeinem Zeitpunkt des Verfahrens zu befragen,[46] ist das Konfrontationsrecht deshalb bei einer späteren Vernehmung des Ermittlungsrichter grundsätzlich durch § 168c StPO geschützt.[47]

Mit den sich aus § 168c StPO ergebenden besonderen Anforderungen an die ermittlungsrichterliche Vernehmung lässt sich die Differenzierung nach richterlichen und sonstigen Verhörspersonen erklären. Sie dient dem Schutz des Konfrontationsrechts des Angeklagten, der mangels Anwesenheitsrecht der Verteidigung bei polizeilichen und staatsanwaltlichen Vernehmungen nicht besteht. [48]

Ob allein die Gewährung des Anwesenheits- und Fragerechts ausreicht, um das Konfrontationsrecht vollumfänglich zu wahren, ist jedoch zweifelhaft. Nach der Rechtsprechung des EGMR ist dem Angeklagten eine angemessene und geeignete Gelegenheit zur Befragung des Zeugens zu gewähren.[49] Geeignet, die Glaubwürdigkeit des Zeugens zu prüfen und seine Aussage zu hinterfragen, ist ein Fragerecht aber nur, wenn der Angeklagte über ausreichende Informationen zum Verfahrensstand und den ihm gemachten Vorwürfen verfügt. Nur so wird der Zeuge in die Lage versetzt, zielführende und treffsichere Fragen zu stellen.[50] Über die Rechte des § 168c Abs. 2 StPO hinaus ist dem Angeklagten und seinem Verteidiger deshalb vor der Vernehmung umfassende Akteneinsicht zu gewähren.[51]

§ 168c StPO gilt schließlich nur für richterliche Verhöre im strafprozessualen Ermittlungsverfahren. Der Senat lässt vorliegend offen, ob die von ihm angenommene Ausnahme vom Beweisverwertungsverbot auch weiterhin für Vernehmungen gelten soll, die von Richtern außerhalb des Strafverfahrens durchgeführt wurden. Sollten diese Anmerkungen so zu verstehen sein, dass er beabsichtigt, in Zukunft nur noch bei richterlichen Vernehmungen, die nach den strafprozessualen Regeln geführt wurden, eine Aussage der Verhörsperson verwerten zu wollen, wäre dies sehr zu begrüßen. Bereits aus der Perspektive des Zeugenschutzes ist es überaus fraglich, ob etwa bei einem zivilprozessrechtlichen Zeugnisverweigerungsrecht nach §§ 383, 384 ZPO die psychologische Situation des Zeugens angesichts der unterschiedlichen Interessenlagen vergleichbar ist.[52] Eine qualifizierte Belehrung auch über die Möglichkeiten einer Verwertung im Strafprozess wird man im Zivilprozess allein aus Praktikabilitätsgründen nicht erwarten können. Die Voraussetzungen, die sich aus Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK ergeben, sind aber noch weit weniger erfüllt. Weder kommen die Befragungsrechte der Partei im Zivilprozess denen des Angeklagten im Strafprozess gleich,[53] noch ist gesagt, dass der Angeklagte im zivilrechtlichen Verfahren überhaupt Partei war. Auch eine vorherige Einsicht in die strafprozessualen Ermittlungsakten wird sich bei einer Vernehmung im Zivilverfahren kaum garantieren lassen.

Zur Wahrung des Konfrontationsrechts darf deshalb allenfalls über richterliche Vernehmungen innerhalb eines Strafverfahrens, in welchem dem Angeklagten die Rechte nach § 168c StPO sowie eine vorherige Akteneinsicht gewährt wurden, durch Befragung der richterlichen Verhörs-person Beweis erhoben werden.

IV. Fazit

Der Beschluss des 2. Senats ist zu begrüßen. Zwar schafft auch er es nicht, alle Bedenken, die gegen die Ausnahme vom Beweisverwertungsverbot für richterliche Verhörspersonen bestehen, auszuräumen. Weshalb das Zeugnisverweigerungsrecht einer richterlichen Abwägung zugänglich sein soll, kann die Rechtsprechung weiterhin nicht überzeugend begründen. Von ihrer Position aus ist die Argumentation des 2. Senats jedoch überzeugend und stellt die höchstrichterliche Auslegung des § 252 StPO auf rechtsstaatlich solidere Füße. Es bleibt zu hoffen, dass die anderen Senate sich dem Anfragebeschluss und seinem Bemühen um eine verbesserte Zeugenbelehrung anschließen werden. Außerdem muss abgewartet werden, ob der Senat die angedeutete Einschränkung auf Vernehmungen durch den Ermittlungsrichter tatsächlich so vollziehen wird. Im Interesse einer fairen Beweisaufnahme, die dem Beschuldigten bereits frühzeitige Partizipations- und Konfrontationsrechte gewährt und gleichzeitig die Entscheidungsfreiheit des Zeugen wahrt, wäre dies wünschenswert.[54]


[1] Nach ganz herrschender Auffassung ist § 252 StPO beim Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO uneingeschränkt, bei §§ 53, 53a StPO dann anwendbar, wenn das Zeugnisverweigerungsrecht bereits bei der ersten Vernehmung bestand. Die Anwendbarkeit auf die §§ 54, 55 StPO ist umstritten. Vgl. zum Ganzen Pauly, in Radtke/Hohmann, StPO, 2011, § 252 Rn. 3 ff.

[2] BGHSt 2, 99; Fezer, Strafprozessrecht, 2. Aufl. (1995), Kap. 15 Rn. 44.

[3] Vgl. nur Sander/Cirener. in L/R-StPO, Bd. VI-1, 26. Aufl. (2011), § 252 Rn. 7; Velten, in SK-StPO, Bd. V, 4. Aufl. (2012), § 252 Rn. 3; Beulke, Strafprozessrecht, 12. Aufl. (2012), § 21 Rn. 419, jeweils mwN.

[4] BGHSt 2, 99, 104 f.; 21, 218; 49, 72, 76 = HRRS 2004 Nr. 275; 57, 254, 256 = HRRS 2012 Nr. 804; anders noch das RG, etwa RGSt 5, 143; 16, 119; 48, 246.

[5] BGHSt 2, 99, 105; 77, 78; Sander/Cirener, in L/R-StPO (Fn. 3), § 252 Rn. 7; Fezer JuS 1977, 669, 670 f.

[6] BGHSt 2, 99, 106; 17, 324, 326; 21, 218; 49, 72, 76 f.

[7] BGHSt 17, 323, 327 f.

[8] BGHSt 2, 99, 106.

[9] BGHSt 21, 218 f.; 36, 384, 385 f.

[10] BGHSt 49, 72, 77.

[11] BGHSt 2, 99, 107 f.

[12] Sander/Cirener , in L/R-StPO (Fn. 5), § 252 Rn. 10; Eisenberg NStZ 1988, 488, 489; Hanack JZ 1972, 236, 238.

[13] Beulke , Strafprozessrecht (Fn. 3), § 21 Rn. 420; Roxin/Schünemann, Strafprozessrecht, 28. Aufl. (2014), § 46 Rn. 29; Eisenberg NStZ 1988, 488.

[14] Fezer , Strafprozessrecht (Fn. 2), Kap. 15 Rn. 47; Roxin/Schünemann, Strafprozessrecht (Fn. 13), § 46 Rn. 29.

[15] Velten , in SK-StPO (Fn. 3), § 252 Rn. 4; Grünwald JZ 1966, 489, 497; vgl. auch Sander/Cirener, in L/R-StPO (Fn. 3), § 252 Rn. 10.

[16] BGHSt 49, 72, 77.

[17] Sander/Cirener, in L/R-StPO (Fn. 3), § 252 Rn. 10, Fn. 42; Roxin/Schünemann, Strafprozessrecht (Fn. 13), § 46 Rn. 32.

[18] Meyer-Goßner/Schmitt , StPO, 57. Aufl. (2014), § 252 Rn. 16b; Roxin/Schünemann, Strafprozessrecht (Fn. 13), § 46 Rn. 32.

[19] EGMR Hümmer v. Deutschland, Urteil v. 19.07.2012, Rn. 42, 45, 47 = HRRS 2014, 716. Vgl. zur "sole or decisive"-Regel auch EGMR Al-Khawaja und Tahery v. Großbritannien, Urteil vom 15.12.2011, Rn. 131 = HRRS 2012 Nr. 1. Diesem folgend BVerfG NJW 2010, 925, 926 = HRRS 2009 Nr. 1114, BGHSt 51, 150, 155 = HRRS 2007 Nr. 39.

[20] BGH NStZ 2014, 596 = HRRS 2014 Nr. 879.

[21] BGH aaO., 597.

[22] BGH aaO., 597 f.

[23] Vgl. BGHSt 32, 25, 31 f.; NStZ 1985, 36.

[24] BGH NStZ 2014, 596, 598.

[25] BGH aaO., 598 f.

[26] BGH NStZ 1985, 36.

[27] BGHSt 32, 25, 31 f.

[28] BGH NStZ 2014, 596, 599.

[29] BGH aaO., 598.

[30] NStZ 2014, 596 f.

[31] Velten in SK-StPO (Fn. 3), § 252 Rn. 4; Fezer, Strafprozessrecht (Fn. 2); Kap. 15 Rn. 47; vgl. auch Hanack JZ 1972, 236, 238.

[32] So etwa BVerfG NStZ-RR 2008, 18, 19; Rogall in SK-StPO, Bd. I, 4. Aufl. (2013), vor §§ 48 ff. Rn. 148.

[33] Henkel , Strafverfahrensrecht, 2. Aufl. (1968), S. 345 Fn. 31; Fezer JuS 1977, 669, 671.

[34] So schon BGHSt 2, 99, 107 f. und zuletzt etwa AE-Beweisaufnahme GA 2014, 1, 59.

[35] BVerfGE 9, 194, 199; BGH NJW 2005, 1440, 1445 f. = HRRS 2005 Nr. 310; di Fabio, in Maunz/Dürig GG, 71. Erg. Lfg. (2014), Art. 2 Rn. 229; Schmidt-Aßmann, in Maunz-Dürig GG (Fn. 35), Art. 19 Abs. 4, Rn. 247; vgl. auch Gaede, Fairness als Teilhabe (2007), S. 746, 764 f.

[36] BGHSt 49, 72, 77; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO (Fn. 16), § 252 Rn. 14; Pauly, in Radtke/Hohmann (Fn. 1), § 252 Rn. 25.

[37] BGH NStZ 2014, 596, 598.

[38] Degener StV 2006, 509, 512; Eisenberg NStZ 1988, 488, 489.

[39] BGH NStZ 2014, 596, 598; AE-Beweisaufnahme GA 2014, 1, 28.

[40] BGHSt 2, 99, 106 f.

[41] So schon Fezer, Strafprozessrecht (Fn. 2), Kap. 15 Rn. 46; ders. JuS 1977, 669, 671 f.

[42] EGMR Monika Haas v. Deutschland, Urteil v. 17. 11. 2005, Rn. 82 = HRRS 2006 Nr. 63; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO (Fn. 16), Art. 6 EMRK Rn. 22c; Paeffgen, in SK-StPO, Bd. X, 4. Aufl. (2011), Art. 6 EMRK Rn. 155 ff.

[43] EGMR Hümmer v. Deutschland, Rn. 42, 45, 47; Al-Khawaja und Tahery v. Großbritannien, Rn. 131; P.S. v. Deutschland, Urteil v. 20. Dezember 2001, Rn. 24 = NJW 2003, 2893; so auch BVerfG NJW 2010, 925, 926; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO (Fn. 16), Art. 6 EMRK Rn. 22 f.

[44] BGHSt 26, 332, 335; Grießbaum, in KK-StPO, 7. Aufl. (2013), § 168c Rn. 15; Wohlers, in SK-StPO, Bd. III, 4. Aufl. (2011), § 168c Rn 38.

[45] BGHSt 26, 332, 335; StV 2011, 336 = HRRS 2011 Nr. 550; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO (Fn. 16); § 168c Rn. 6; Wohlers, in SK-StPO (Fn. 39), § 168c Rn. 42; Fezer, Strafprozessrecht (Fn. 2), Kap. 3 Rn. 49.

[46] EGMR Kostovski v. Niederlande, Urteil v. 20.11.1989, Rn. 41; Raykov v. Bulgarien, Urteil v. 22.10. 2009, Rn. 71; BGHSt 46, 93, 96 f.; 51, 150, 154; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO (Fn. 16), Art. 6 EMRK Rn. 22a.

[47] El-Ghazi/Merold StV 2012, 250, 252. Wegen des Anwesenheitsrecht des Verteidigers ebenfalls unproblematisch ist die kommissarische Vernehmung nach § 223 StPO; vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO (Fn. 16), § 223 Rn. 19.

[48] Vgl. dazu Erb, in L/R-StPO, Bd. V, 26. Aufl. (2008), § 161a Rn. 31 f.; Wohlers, in SK-StPO (Fn. 39), § 161a Rn.  24 f.

[49] Vgl. etwa EGMR Kostovski v. Niederlande, Rn. 41; Windisch v. Österreich, Urteil v. 27.09.1990, Rn. 26; Isgrò v. Italien, Urteil vom 19.02.1991, Rn. 34.

[50] Gaede, Fairness durch Teilhabe (Fn. 35), S. 829 f.; Krausbeck, Konfrontative Befragung (2010), S. 126; Walther JZ 2004, 1107, 1110.

[51] EGMR Bricmont v. Belgien, Urteil v. 07.07.1989, Rn. 79; Krausbeck, Konfrontative Befragung (Fn. 50), S. 126. Vgl. zur entsprechenden Diskussion zu den Mitwirkungsrechten der Verteidigung bei § 255a StPO Velten, in SK-StPO (Fn. 3), § 255a Rn. 24; Eisenberg/Zötsch NJW 2003, 3676, 3677 f.; Schlothauer StV 2003, 652, 653 f.; a.A. BGHSt 48, 268, 271 f.

[52] Sander/Cirener , in L/R-StPO (Fn. 3), § 252 Rn. 30; Eser NJW 1962, 234, 236; Hanack JZ 1972, 236, 238; a.A. BGHSt 17, 337.

[53] Vgl. z.B. nur § 397 Abs. 1 ZPO, wonach die Parteien ihre Fragen grundsätzlich nur über den Richter an den Zeugen stellen können, dazu Damrau, in MüKo-ZPO, Bd. II, 4. Aufl. (2012), § 397 Rn. 2.

[54] Vgl. dazu den AE–Beweisaufnahme GA 2014, 1, 28, nach dem für eine Verwertbarkeit der richterlichen Aussage eine qualifizierte Belehrung und eine Einhaltung des § 168c StPO erforderlich ist.