HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

April 2014
15. Jahrgang
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IV. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)


Entscheidung

294. BGH 2 BGs 147/13 (2 BJs 125/11-1) – Beschluss vom 16. Mai 2013

Rechtmäßigkeit der Telekommunikationsüberwachung (keine Erforderlichkeit einer Echtzeitüberwachung; Überwachung zeugnisverweigerungsberechtigter Personen: Rechtsanwalt, Umfang des Löschungsgebots; gerichtliche Überprüfbarkeit: Antragsbefugnis; nachträglicher Rechtsschutz).

Art. 19 Abs. 4 GG; § 100a StPO; § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO; 160a Abs. 1 StPO; § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO

1. § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO dient als spezielle, bei beendeten Maßnahmen die allgemeinen Rechtsbehelfe verdrängende Sonderregelung (vgl. BGHSt 53, 1, 2 f.) der Gewährung von nachträglichem Rechtsschutz gegen die Anordnung und die Art und Weise des Vollzugs von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen u.a. gemäß § 100a StPO. Der Begriff des Vollzugs in § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO umfasst die Durchführung der Ermittlungsmaßnahme in ihrer Gesamtheit bis zum vollständigen Abschluss, so dass die Durchführung der Telekommunikationsüberwachung mittels automatisierter Ausleitung und Aufzeichnung der Gesprächsdaten sowie die Einhaltung eines sich gegebenenfalls aus § 160a Abs. 1 Satz 3 und 5 StPO ergebenden Löschungsgebots zur gerichtlichen Überprüfung gestellt werden kann.

2. Aus dem Vorschriften des § 100a StPO und § 160a Abs. 1 Satz 5 StPO folgt keine Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden, eine Telekommunikationsüberwachung durch Mithören in Echtzeit umzusetzen.

3. Werden bei einer Telekommunikationsüberwachung, die sich nicht gegen einen Berufsgeheimnisträger nach § 160a Abs. 1 Satz 1 StPO richtet, von dieser Person Erkenntnisse erlangt, hinsichtlich derer sie zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt wäre, dürfen diese Erkenntnisse nach § 160a Abs. 1 Satz 5 StPO in entsprechender Anwendung des Verwendungsverbots des § 160a Abs. 1 Satz 2 StPO nicht verwendet werden. Aufzeichnungen hierüber sind gemäß § 160a Abs. 1 Satz 3 und 5 StPO unverzüglich zu löschen.

4. Der Schutzbereich des Verwendungsverbots beurteilt sich in gegenständlicher Hinsicht ausschließlich nach der Reichweite des dem betroffenen Berufsgeheimnisträger zustehenden Zeugnisverweigerungsrechts aus § 53 Abs. 1 StPO. Das Zeugnisverweigerungsrecht eines Rechtsanwalts nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO bezieht sich auf alle Tatsachen, die dem Rechtsanwalt bei der Ausübung seines Berufs anvertraut oder bekannt geworden sind. Dies ist weit auszulegen (vgl. BGHSt 50, 64, 71).

5. Bei einem im Kontext der Berufsausübung als Rechtsanwalt geführten Telefongespräch sind die Identität des Gesprächspartners und der Inhalt von dessen Gesprächsäußerungen in Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO bekannt geworden und unterliegen damit dem Zeugnisverweigerungsrecht des Rechtsanwalts. Da die bei einem Gespräch inhaltlich aufeinander bezogenen Gesprächsbeiträge der Beteiligten für die Frage der Zuerkennung des Zeugnisverweigerungsrechts wegen möglicher Rückschlüsse auf die Äußerungen des jeweiligen Anderen und der Gefahr von Fehldeutungen nicht isoliert betrachtet werden können, erstreckt sich das Zeugnisverweigerungsrecht auch auf den Inhalt der Äußerungen des weigerungsberechtigten Rechtsanwalts und erfasst den Inhalt des Gesprächs im Ganzen.

6. Auf den Inhalt des berufsbezogenen Telefonats kommt es nicht an. Insbesondere hängt das Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts des Rechtsanwalts nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO nicht davon ab, dass das in Ausübung des Berufs als Rechtsanwalt geführte Gespräch „inhaltlich-funktionalen Beratungscharakter“ besitzt, eine „mandatsbezogene Beratung“ zum Gegenstand hat oder dem Austausch von Informationen dient, „die eines besonderen Vertraulichkeitsschutzes bedürfen“.


Entscheidung

359. BGH StB 8/13 – Beschluss vom 18. Februar 2014

Verwendungsverbot für Erkenntnisse aus Verteidigerkommunikation (Erstreckung auf die Anbahnungsphase und auf Gespräche mit Personen außerhalb des Mandatsverhältnisses; Pflicht zur sofortigen Löschung; sofortige Beschwerde auch gegen Entscheidungen über die Art und Weise des Vollzugs der Maßnahme).

§ 160a StPO; § 101 StPO; § 53 StPO

1. Nach Auffassung des Senats entspricht es dem Willen des Gesetzgebers, die sofortige Beschwerde nach § 101 Abs. 7 Satz 3 StPO auch gegen Entscheidungen des Ermittlungsrichters über die Art und Weise des Vollzugs einer Maßnahme nach § 101 Abs. 1 StPO zuzulassen.

2. Das Zeugnisverweigerungsrecht des Verteidigers hängt nicht von seiner Beziehung zum Beschuldigten, sondern allein vom Vernehmungsgegenstand ab. Deshalb kann die Verwendung von Erkenntnissen aus Telefongesprächen des Verteidigers auch dann gem. § 160a Abs. 1 StPO verboten sein, wenn der Gesprächspartner zu keinem Zeitpunkt ein Mandatsverhältnis mit dem Verteidiger begründet hat und auch nicht begründen wollte.

3. Das berufsbezogene Vertrauensverhältnis, das zu schützen § 53 StPO beabsichtigt, beginnt nicht erst mit Abschluss des zivilrechtlichen Geschäftsbesorgungsvertrages, sondern umfasst auch das entsprechende Anbahnungsverhältnis. Bereits zu diesem Zeitpunkt liegt somit eine Sonderverbindung vor, die nach teilweise vertretener Auffassung neben einem funktionalen Zusammenhang Voraussetzung des Verweigerungsrechts ist.

4. Der Gesetzgeber hat das bestehende Spannungsverhältnis zwischen der Gewährung eines Zeugnisverweigerungsrechts und der verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zur bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit als unerlässliche Voraussetzung der Verwirklichung des Schuldprinzips gesehen. Dennoch hat er – im Bewusstsein der zu § 53 StPO ergangenen Rechtsprechung – dem Vertrauensverhältnis zunächst nur zum Verteidiger, später auch zu dem nicht verteidigenden Rechtsanwalt uneingeschränkten Vorrang eingeräumt und in § 160a Abs. 1 StPO ein absolutes Erhebungs- und Verwendungsverbot statuiert.

5. Darauf, ob die einzelnen Äußerungen aus objektiver Sicht vertrauens- und damit schutzwürdig erscheinen, kann es nicht ankommen. Derjenige, der Vertrauen sucht, muss, um dieses Vertrauen aufbauen zu können, im Vorfeld sicher sein, dass sämtliche vom Berufsausübenden in seiner Funktion gewonnenen Erkenntnisse unabhängig von der Bewertung durch Dritte dem Zeugnisverweigerungsrecht unterfallen. Allerdings findet der Schutz bei solchen Informationen eine Grenze, die gerade mit dem Ziel erteilt werden, sie an Dritte weiterzugeben.

6. Das absolute Löschungsgebot des § 160a Abs. 1 Satz 5 i.V.m. Satz 3 StPO ist gegenüber § 101 Abs. 8 StPO die vorrangige Norm. Eine bloße Sperrung der Daten i.S.v. § 101 Abs. 8 Satz 3 Halbs. 2 StPO genügt daher nicht, um dieser Vorschrift Rechnung zu tragen.


Entscheidung

282. BGH 1 StR 355/13 – Beschluss vom 11. Februar 2014 (LG Augsburg)

Umfang des Rechts auf Akteneinsicht (unzureichende Zeit: Erforderlichkeit eines Bemühens um hinreichende Akteneinsicht durch die Verteidigung; Akteneinsichtsrecht des Angeklagten; kein Anspruch auf Erstellung weiterer Aktenteile); unzulässige Beschränkung der Verteidigung durch Ablehnung einer Verfahrensaussetzung zur Gewährung vollständiger Akteneinsicht (erforderliche Rügebegründung); Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (Tateinheit bei mehreren Vorteilsannahmen); Erstreckung der Revisionsentscheidung auf Nichtrevidenten (Erstreckung bei Verfolgungsverjährung); Verfall (keine Anwendung des § 111i Abs. 2 auf Altfälle).

Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 lit. b) EMRK; § 147 StPO; § 265 Abs. 4 StPO; § 338 Nr. 8 StPO; § 344 Abs. 2 StPO; § 299 Abs. 1 StGB; § 52 StGB; § 357, Satz 2 StPO; § 78 Abs. 1 StGB; § 78c StGB; § 111i Abs. 2 StPO

1. Für die Annahme, die Verteidigung sei in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt beschränkt worden, reicht es nicht aus, dass diese Beschränkung nur generell (abstrakt) geeignet ist, die gerichtliche Entscheidung zu beeinflussen. Vielmehr ist der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 8 StPO nur dann gegeben, wenn die Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem Verfahrensverstoß und dem Urteil konkret besteht.

2. Bei der Rüge der Beschränkung der Verteidigung durch rechtsfehlerhafte Ablehnung eines Antrags auf Aussetzung des Verfahrens zur Gewährung vollständiger Akteneinsicht in zumutbarer Art und Weise (§ 265 Abs. 4, § 147 Abs. 1 StPO) ist daher ein substantiierter Vortrag erforderlich, welche Tatsachen sich aus welchen genau bezeichneten Stellen der Akten ergeben hätten und welche Konsequenzen für die Verteidigung daraus folgten (vgl. BGH NStZ 2010, 530).

3. Das Recht auf Besichtigung von Beweisstücken erfasst diese lediglich in ihrem gegenwärtigen Zustand. Ein Anspruch auf Erstellung weiterer Aktenteile, etwa durch Auflistung der aufgezeichneten Telekommunikationsvorgänge, besteht nicht (vgl. zur Übersetzung von in fremder Sprache geführten Telefongesprächen BGH NStZ 2008, 230).

4. Bei der Gewährung des Akteneinsichtsrechts und des Rechts auf Besichtigung amtlich verwahrter Beweisstücke sind die in Art. 6 Abs. 1 und Abs. 3 Buchst. b EMRK enthaltenen Gewährleistungen zu berücksichtigen. Dabei muss der Verteidigung eine auch in zeitlicher Hinsicht ausreichende Gelegenheit gegeben werden, in die Akten und die Beweismittel Einblick zu nehmen (vgl. EGMR, Urteil vom 12. März 2003 – 46221/99 „Öcalan ./. Turkey“ Abs. 166-169).

5. Insoweit treffen den Angeklagten und seine Verteidigung prozessuale Obliegenheiten, sich um die Erlangung der benötigten Informationen innerhalb einer angemessenen Frist zu bemühen (vgl. EGMR, Urteil vom 21. September 1993 – 12350/86 „Kremzow ./. Austria“ Abs. 48 und 50). Die Annahme einer unzureichenden Gewährung des Rechts auf Akteneinsicht bzw. auf Besichtigung von Beweisstücken erfordert, dass die Verteidigung durchgehend im Rahmen der Zumutbarkeit von den ihr eröffneten Möglichkeiten zur Akteneinsicht bzw. zur Besichtigung von Beweismitteln Gebrauch macht.

6. Das Recht auf Akteneinsicht gemäß § 147 Abs. 1 StPO steht grundsätzlich ausschließlich dem Verteidiger zu. Da sachgerechte Verteidigung voraussetzt, dass der Angeklagte weiß, worauf sich der gegen ihn gerichtete Vorwurf stützt, ist der Verteidiger in der Regel berechtigt und unter Umständen sogar verpflichtet, dem Angeklagten zu Verteidigungszwecken mitzuteilen, was er aus den Akten erfahren hat (vgl. BGHSt 29, 99, 102 f.). Lediglich der unverteidigte Angeklagte hat gemäß § 147 Abs. 7 StPO Anspruch auf Erteilung von Auskünften und Abschriften aus den Akten, soweit dies zu einer angemessenen Verteidigung erforderlich ist, der Untersuchungszweck nicht gefährdet wird und nicht überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter entgegenstehen.

7. Der Senat kann offen lassen, ob in Fällen, in denen die bloße Besichtigung zu Informationszwecken nicht ausreichend ist, im Einzelfall zur Gewährleistung einer angemessenen Verteidigung und eines fairen Verfahrens ein Anspruch auf Anfertigung und Überlassung einer Kopie besteht.

8. In diesem Zusammenhang braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob die Verteidigung auf die Anschaffung einer speziellen Auswertungssoftware zur Lesbarmachung entsprechender Dateien auf eigene Kosten verwiesen werden kann. Daran könnten Zweifel zumindest dann bestehen, wenn das fragliche Datenmaterial bei dem Zugriff der Ermittlungsbehörden darauf in einer mit Standardprogrammen lesbaren Form vorlagen und die Lesbarkeit allein mit einer speziellen Software erst durch Verschlüsselungsmaßnahmen der Polizei hervorgerufen worden ist.

9. Mehrere Vorteilsannahmen stehen untereinander grundsätzlich im Verhältnis der Tatmehrheit. Von einer tatbestandlichen Handlungseinheit hinsichtlich aller aus einer Unrechtsvereinbarung erlangten Vorteile ist nur auszugehen, wenn die Annahme auf eine Unrechtsvereinbarung zurückgeht, die den zu leistenden Vorteil genau festlegt, mag er auch in bestimmten Teilleistungen zu erbringen sein (vgl. BGHSt 41, 292, 302).

10. Eine Erstreckung gemäß § 357 Satz 1 StPO hat auch in Fällen fehlender Verfahrensvoraussetzungen und bestehender Verfahrenshindernisse zu erfolgen, soweit diese auch für den Nichtrevidenten Bedeutung haben (vgl. BGH wistra 2011, 308, 309). Der Eintritt der Verfolgungsverjährung ist regelmäßig vom konkreten Verfahrensgang hinsichtlich des jeweiligen Angeklagten abhängig, wobei sich in Bezug auf dieselbe Tat auch bei Mittätern unterschiedliche Verjährungszeitpunkte – z.B. aufgrund unterschiedlicher Unterbrechungshandlungen i.S.v. § 78c StGB – ergeben können.


Entscheidung

304. BGH 3 StR 243/13 – Beschluss vom 4. Februar 2014 (BGH)

Selbstanzeige eines Richters am BGH wegen Besorgnis der Befangenheit.

§ 24 Abs. 2 StPO

Die Äußerung von Rechtsansichten durch einen Richter – etwa in einem Fachkommentar, einem wissenschaftlichen Vortrag oder einer gutachterlichen Äußerung – vermag regelmäßig die Besorgnis der Befangenheit nicht zu begründen; denn von einem Richter wird nach st. Rspr. erwartet, dass er auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantritt, wenn er sich schon früher über eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage ein Urteil gebildet hat. Anderes gilt aber u.a. dann, wenn die Äußerung des Richters bei verständiger Würdigung – hier: Hinweis auf u.a. „persönliche Gründe“ für eine Rechtsauffassung – die Annahme nahe legt, der Richter sei in dieser Frage bereits endgültig festgelegt, ohne dass es darauf ankommt, ob die Rechtsansicht des Richters sich im Ergebnis zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten auswirkt.


Entscheidung

284. BGH 1 StR 423/13 – Urteil vom 13. Februar 2014 (LG Frankfurt (Oder))

Dokumentation von Verständigungsgesprächen (Vorliegen eines solchen Gespräches; Umfang der Dokumentationspflicht; Beruhen des Urteils auf einer fehlenden Dokumentation).

§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO; § 202a StPO; § 212 StPO; § 257c StPO; § 337 Abs. 1 StPO

1. Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO hat der Vorsitzende zu Beginn der Hauptverhandlung nach Verlesung des Anklagesatzes und vor der Belehrung und Vernehmung des Angeklagten mitzuteilen, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Die Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO greift bei sämtlichen Vorgesprächen ein, die auf eine Verständigung abzielen. Dies ist anzunehmen, so-

bald bei Gesprächen vor der Hauptverhandlung ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit einer Verständigung im Raum steht, was zumindest dann der Fall ist, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in einen Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung naheliegt (vgl. BVerfG NJW 2013, 1058, 1065).

2. Die Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO betrifft sämtliche, auf eine Verständigung abzielenden Erörterungen vor Eröffnung des Hauptverfahrens (vgl. § 202a StPO). Eine Einschränkung der Mitteilungspflicht für den (gesetzlich ohnehin nicht vorgesehenen) Fall einer Rückgabe einer Anklageschrift zur „Nachbesserung“ enthält das Gesetz nicht. Durch die Einreichung einer geänderten und ergänzten Anklageschrift wird auch nicht etwa ein völlig neues Verfahren in Gang gesetzt, das die Mitteilung vorheriger Gespräche entbehrlich machen würde. Schließlich kann die Änderung der Anklage gerade Ergebnis vorheriger, auf eine Verständigung abzielender Gespräche der Verfahrensbeteiligten sein. Auch der Sinn und Zweck der Norm gebietet insoweit keine Einschränkung der gesetzlichen Mitteilungspflicht, denn der Angeklagte, die Schöffen und die Öffentlichkeit haben auch in diesen Fällen ein berechtigtes Interesse an der Kenntnis solcher Vorgespräche.

3. Bei Verstößen gegen die Mitteilungspflichten aus § 243 Abs. 4 StPO ist regelmäßig davon auszugehen, dass das Urteil auf diesem Verstoß beruht; lediglich in Ausnahmefällen ist Abweichendes vertretbar (vgl. BGH StV 2014, 67 f.). Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 19. März 2013 im Einzelnen dargelegt hat, hält der Gesetzgeber eine Verständigung nur bei Wahrung der umfassenden Transparenz- und Dokumentationspflichten für zulässig, weshalb das gesetzliche Regelungskonzept eine untrennbare Einheit aus Zulassung und Beschränkung von Verständigungen bei gleichzeitiger Einhegung durch die Mitteilungs-, Belehrungs- und Dokumentationspflichten darstellt (vgl. BVerfG NJW 2013, 1058, 1066 f.).


Entscheidung

292. BGH 2 StR 410/13 – Beschluss vom 3. Dezember 2013 (LG Köln)

Dokumentation von Verständigungsgesprächen (Umfang der Dokumentationspflicht; Beruhen des Urteils auf einer fehlenden Dokumentation).

§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO; § 202a StPO; § 212 StPO; § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO; § 337 Abs. 1 StPO

1. Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO teilt der Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist, und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt (vgl. BGH NStZ 2013, 610). Diese Mitteilungspflicht ist gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO weiter zu beachten, wenn Erörterungen erst nach Beginn der Hauptverhandlung stattgefunden haben (vgl. BT-Drucks. 16/12310, S. 12).

2. Das Gesetz will erreichen, dass derartige Erörterungen stets in der öffentlichen Hauptverhandlung zur Sprache kommen und dies auch inhaltlich dokumentiert wird. Alle Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit sollen nicht nur darüber informiert werden, dass solche Erörterungen stattgefunden haben, sondern auch darüber, welche Standpunkte gegebenenfalls von den Teilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. BVerfG, NJW 2013, 1058). Zur Gewährleistung einer effektiven Kontrolle ist die Mitteilung des Vorsitzenden hierüber – sofern sie nach § 243 Abs. 4 StPO vorgeschrieben ist – gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO in das Protokoll der Hauptverhandlung aufzunehmen.

3. Ein Mangel an Transparenz und Dokumentation der Gespräche, die mit dem Ziel der Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung geführt wurden, führt regelmäßig dazu, dass ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht ausgeschlossen werden kann. Schon durch das Fehlen einer umfassenden Dokumentation kann – auch im Falle einer im Ergebnis nicht zustande gekommenen Verständigung – das Prozessverhalten eines Angeklagten beeinflusst worden sein.


Entscheidung

268. BGH 2 ARs 207/13 (2 AR 151/13) – Beschluss vom 19. Februar 2014 (BGH)

Unbegründeter Antrag auf Nachholung rechtlichen Gehörs; keine Akteneinsicht in das Senatsheft.

§ 33a StPO; Art. 6 EMRK; Art. 103 Abs. 1 GG; § 147 StPO

Das Senatsheft (des BGH) stellt eine rein interne Arbeitsgrundlage dar. Abgesehen von Notizen, Bearbeitungshinweisen u.ä. von Senatsmitgliedern, auf die sich das Akteneinsichtsrecht ohnehin nicht beziehen kann, befinden sich im Senatsheft ausschließlich Vorgänge, die im Original oder in Ablichtung auch in den Sachakten enthalten sind oder die zu den Sachakten gelangen, so dass insoweit ein Bedürfnis für ein gesondertes Akteneinsichtsrecht nicht erkennbar ist.


Entscheidung

350. BGH 5 StR 626/13 – Urteil vom 19. Februar 2014 (LG Berlin)

Strafzumessung beim versuchten Mord (keine Strafrahmenverschiebung trotz Versuchs; Doppelverwertungsverbot); keine Schuldminderung wegen narzisstischer Akzentuierung der Persönlichkeit; schwere Körperverletzung; Beweiswürdigung (Sachverständigengutachten; Erörterungspflicht des Gerichts bei Abweichungen des vorbereitenden vom in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten); Verfahrensrüge.

§ 211 StGB; § 23 StGB; § 49 StGB; § 46 StGB; § 226 StGB; § 261 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO

1. Wird die Verfahrensrüge unter Berufung darauf erhoben, das Tatgericht habe bei der Schuldfähigkeitsprüfung Untersuchungen des Sachverständigen zugrunde gelegt, die in Wahrheit nicht durchgeführt worden seien, ist bestimmt vorzutragen, dass der Sachverständige im Rahmen der insoweit allein entscheidenden Erstattung des Gutachtens in der Hauptverhandlung etwa durchgeführte Untersuchungen solcher Art nicht dargelegt und im Einzelnen erörtert hat. Soweit dagegen lediglich vorgetragen wird, das Tatgericht hätte sich, was nicht ge-

schehen sei, bei gegenüber dem vorläufigen schriftlichen Gutachten nachträglicher Durchführung einer Untersuchung mit dieser Abweichung in den Urteilsgründen zwingend auseinandersetzen müssen, handelt es sich lediglich um eine Schlussfolgerung.

2. Eine solche Erörterungspflicht käme grundsätzlich dann in Betracht, wenn die Ergebnisse einer nachgelagerten Untersuchung bislang getroffenen zentralen Befunden widersprächen, nicht aber dann, wenn sie diese, etwa auch nur in einem untergeordneten Punkt, bestätigen würden.

3. Die bei der Strafzumessung im engeren Sinne verwendete Formulierung, die Rettung des Opfers sei nicht „auf irgendein Verhalten“ des Versuchstäters zurückzuführen, ist unter dem Blickwinkel des Doppelverwertungsverbots problematisch. Sie kann aber im Einzelfall nach dem Zusammenhang der Ausführungen dahin zu verstehen sein, dass das Tatgericht im Zuge der Ermessensausübung nach § 23 Abs. 2 StGB zum Ausdruck bringt, dass dem Täter – jenseits fehlenden Rücktritts – keine versuchsspezifischen Umstände – wie etwa geringere Tatintensität, auf welche die Nichtvollendung zurückzuführen wäre – gutgebracht werden können.

4. Der Senat ist nicht der Auffassung, dass von der Milderungsmöglichkeit des § 23 Abs. 2 StGB allgemein zu häufig Gebrauch gemacht wird.


Entscheidung

291. BGH 2 StR 314/13 – Urteil vom 22. Januar 2014 (LG Aachen)

Beweiswürdigung des Tatrichters (revisionsrechtliche Überprüfung; Anforderungen an die Darstellung im Urteil in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen).

§ 261 StPO; § 267 Abs. 1 StPO

1. Die Beweiswürdigung ist allein Sache des Tatrichters (§ 261 StPO), dessen Aufgabe es ist, sich eine Überzeugung von der Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten zu verschaffen. Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Insbesondere ist es ihm verwehrt, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch seine eigene zu ersetzen (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ 2012, 110 mwN).

2. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich somit darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr). Insbesondere ist die Beweiswürdigung auch dann rechtsfehlerhaft, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden oder sich den Urteilsgründen nicht entnehmen lässt, dass die einzelnen Beweisergebnisse in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden.

3. Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen – wie hier – Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH NStZ 2012, 110, 111).


Entscheidung

283. BGH 1 StR 40/14 – Beschluss vom 25. Februar 2014 (LG Nürnberg-Fürth)

Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts (Unwirksamkeitsgründe)

§ 302 Abs. 1 StPO

1. Dass es sich bei der Erklärung des Angeklagten um eine wütende Spontanäußerung handelt, stellt die Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts nicht in Frage; auch der in emotionaler Aufgewühltheit erklärte Rechtsmittelverzicht ist wirksam.

2. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass durch das Gericht dem Angeklagten vor Erklärung eines Rechtsmittelverzichts Gelegenheit gegeben werden muss, sich mit seinem Verteidiger zu besprechen, oder dass der Verteidiger Gelegenheit erhalten muss, seinen Mandanten zu beraten (vgl. BGHSt 45, 51, 57 mwN). Ein bindender Rechtsmittelverzicht wird deshalb nicht angenommen, solange der Angeklagte oder sein Verteidiger zu erkennen geben, dass sie die Frage des Verzichts noch miteinander oder mit Dritten erörtern wollen (vgl. BGHSt 18, 257, 260).

3. Die Sprachunkundigkeit eines Angeklagten ist für die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts regelmäßig unerheblich, wenn ein Dolmetscher anwesend ist und dieser die Rechtsmittelbelehrung des Vorsitzenden übersetzt, so dass der Angeklagte weiß, dass er über die Frage einer Anfechtung des Urteils entscheidet (vgl. BGH NStZ 2000, 441, 442 mwN).


Entscheidung

281. BGH 1 StR 200/13 – Beschluss vom 27. Februar 2014 (BGH)

Anhörungsrüge (Umfang einer richterlichen Hinweispflicht).

Art. 103 Abs. 1 GG; § 356a StPO; § 265 StPO

Art. 103 Abs. 1 GG verbietet zwar Überraschungsentscheidungen, jedoch verpflichtet er das Revisionsgericht vor seiner Entscheidung grundsätzlich weder zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung, noch begründet er eine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht.


Entscheidung

302. BGH 4 StR 556/13 – Beschluss vom 12. Februar 2014 (LG Münster)

Revisionsbegründungsfrist (Beginn mit Zustellung: Zustellung an den Angeklagten im Widerspruch zu den RiStBV); Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand (Antragsbegründung: Angabe des Zeitpunkts des Wegfalls des Hindernis).

§ 345 Abs. 1 StPO; § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO; § 45 Abs. 2 StPO; Nr. 154 Abs. 1 RiStBV

1. Entscheidend für den Beginn der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO

ist der Zeitpunkt der Kenntnisnahme von der Fristversäumung durch den Angeklagten. Jedenfalls in den Fällen, in denen die Wahrung der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag nicht offensichtlich ist, gehört deshalb zur formgerechten Anbringung des Wiedereinsetzungsantrags auch, dass der Antragsteller mitteilt, wann das Hindernis entfallen ist. Dies gilt selbst dann, wenn der Verteidiger ein eigenes Verschulden geltend macht, das dem Angeklagten nicht zuzurechnen wäre.

2. Dass eine Zustellung im Widerspruch zu Nr. 154 Abs. 1 RiStBV an den Angeklagten selbst bewirkt wurde, steht ihrer Wirksamkeit nicht entgegen.


Entscheidung

295. BGH 4 StR 437/13 – Beschluss vom 11. Februar 2014 (LG Gera)

Zeugnisverweigerungsrecht der Verlobten (Beurteilungsspielraum des Richters hinsichtlich des Verlöbnisses; Einführung der Aussage durch Vernehmung der Verhörsperson); unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Verhältnis zu während einer Transportfahrt begangenen anderen Taten: Tateinheit); Urkundenfälschung (Urkundeneigenschaft von Kfz-Kennzeichen).

§ 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO; § 252 StPO; § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG; § 52 StGB; § 267 Abs. 1 StGB

1. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Zeugin die Verlobte des Angeklagten war und/oder ist und sie sich deshalb auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen kann, steht dem Vorsitzenden ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. BGHSt 55, 65, 69 Rn. 14 mwN). Dies gilt auch dann, wenn die Revision einen Verstoß gegen § 252 StPO geltend macht und sich darauf beruft, die Angaben der Zeugin gegenüber einer Polizeibeamtin hätten nicht durch Vernehmung dieser Verhörperson in die Hauptverhandlung eingeführt und im Urteil verwertet werden dürfen.

2. Zwar vermögen ein einheitliches Motiv, eine Gleichzeitigkeit von Geschehensabläufen oder eine Mittel-Zweck-Verknüpfung eine Tateinheit nicht zu begründen. Mehrere strafbare Gesetzesverstöße stehen aber zueinander in Tateinheit, wenn die jeweiligen Ausführungshandlungen in einem für sämtliche Tatbestandsverwirklichungen notwendigen Teil zumindest teilweise identisch sind. Begeht ein Täter, der Rauschgift zu Handelszwecken in einem Pkw befördert (Einfuhrfahrt, Transportfahrt vom Lieferanten zum Depot, Fahrt zu Abnehmern etc.) durch das Führen des Transportfahrzeuges weitere Gesetzesverstöße, stehen diese daher regelmäßig zu dem in der Beförderung liegenden Betäubungsmittelhandel im Verhältnis der Tateinheit. Denn ihr Tatbestand wird durch dieselbe Ausführungshandlung verwirklicht (zum Ganzen vgl. BGH NStZ-RR 2013, 320).

3. Rote Kennzeichen bilden – anders als die mit dem Stempel der Zulassungsstelle versehenen amtlichen Kennzeichen – zusammen mit dem Fahrzeug, an dem sie angebracht sind, keine Urkunde im Sinne von § 267 StGB (vgl. BGHSt 34, 375).


Entscheidung

286. BGH 1 StR 631/13 – Beschluss vom 13. Februar 2014 (LG München II)

Verfahrenseinstellung bei Tod des Angeklagten (Tragung der Revisionskosten und Auslagen des Angeklagten).

§ 206a StPO; § 467 Abs. 1, 3 StPO

Die Kostenentscheidung hat im Fall des Todes des Angeklagten nach denjenigen Grundsätzen zu erfolgen, die bei der Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses allgemein anzuwenden sind.


Entscheidung

277. BGH 4 StR 73/10 – Beschluss vom 11. Februar 2014

Unbegründeter Antrag auf Bewilligung einer Pauschvergütung für die Revisionshauptverhandlung (Ausnahmestellung; Dauer der Hauptverhandlung).

§ 51 RVG

1. Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 und 3 RVG ist Voraussetzung der Bewilligung einer Pauschgebühr, die über die gesetzlichen Gebühren hinausgeht, dass diese wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache bzw. des betroffenen Verfahrensabschnitts nicht zumutbar ist. Die Bewilligung einer Pauschgebühr stellt dabei die Ausnahme dar; die anwaltliche Mühewaltung muss sich von sonstigen – auch überdurchschnittlichen Sachen – in exorbitanter Weise abheben.

2. Die Dauer des Hauptverhandlungstermins kann ungeachtet der im Einzelnen streitigen Frage, ob und in welchem Umfang Unterbrechungen bei der Bestimmung der Länge der Hauptverhandlung zu berücksichtigen sind, wegen der Einführung des Längenzuschlags nach Nr. 4134 VV bei der Frage des Umfangs im Sinne von § 51 Abs. 1 RVG nicht mehr berücksichtigt werden.


Entscheidung

289. BGH 1 StR 700/13 – Beschluss vom 6. Februar 2014 (LG Landshut)

Beweiswürdigung des Tatrichters (Bewertung widersprüchlicher Aussagen: Gesamtbetrachtung bzgl. Glaubwürdigung der Aussage).

§ 261 StPO

1. Wenn Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung im Wesentlichen davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Das gilt besonders, wenn sich sogar die Unwahrheit eines Aussageteils des Belastungszeugen herausstellt (vgl. BGH NStZ 2001, 161, 162).

2. Bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Tatopfers sowie der Glaubhaftigkeit seiner Angaben darf sich der Tatrichter indes nicht darauf beschränken, Umstände, die gegen die Zuverlässigkeit der Aussage sprechen können, gesondert und einzeln zu erörtern sowie getrennt voneinander zu prüfen, um festzustellen, dass sie jeweils nicht geeignet seien, die Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen. Selbst wenn nämlich jedes einzelne Glaubwürdigkeit oder Glaubhaftigkeit möglicherweise in Frage stellende Indiz noch keine Bedenken gegen die den Angeklagten belastende Aussage aufkommen ließe, so kann doch eine Häufung von – jeweils für sich erklärbaren – Fragwürdig-

keiten bei einer Gesamtschau zu durchgreifenden Zweifeln an der Richtigkeit eines Tatvorwurfs führen.


Entscheidung

296. BGH 4 StR 468/13 – Urteil vom 13. Februar 2014 (LG Essen)

Verbindung zusammenhängender Strafsachen bei unterschiedlicher sachlicher Zuständigkeit (Entscheidung durch gemeinschaftliches oberes Gericht).

§ 4 StPO

Die Verbindung von Strafsachen, die nicht nur die örtliche, sondern auch die sachliche Zuständigkeit betrifft, kann nicht durch eine Vereinbarung der beteiligten Gerichte nach § 13 Abs. 2 Satz 1 StPO geschehen. Eine solche Verbindung kann vielmehr in den Fällen, in denen die verschiedenen Gerichte nicht alle zu dem Bezirk des ranghöheren gehören, nur durch Entscheidung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts herbeigeführt werden (§ 4 Abs. 2 Satz 2 StPO).