HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

April 2014
15. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH


I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

287. BGH 1 StR 654/13 – Beschluss vom 29. Januar 2014 (LG Freiburg)

BGHR; Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion (unmittelbares Ansetzen bei Erlangung der Kartendaten mittels „Skimming“); Verabredung eines Verbrechens (Verhältnis zur Vorbereitung der Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion; Strafzumessung).

§ 22 StGB; § 152a Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 152b Abs. 1, 2, 5 StGB; § 149 Abs. 1 StGB; § 30 Abs. 2 StGB; § 46 StGB

1. Zu der Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion bei Erlangung der Kartendaten mittels „Skimming“ wird durch das Auswerten und Systematisieren der Videoaufzeichnungen der PIN-Eingaben sowie dem Erfassen der ausgelesenen Kartendaten der Kunden auf einem Datenträger noch nicht unmittelbar zu der Tat angesetzt. (BGHR)

2. Gemäß § 22 StGB versucht eine Straftat, wer nach seiner Vorstellung von der Tat unmittelbar zu der Verwirklichung des Tatbestandes ansetzt. Der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals bedarf es dafür nicht. Es genügt vielmehr, dass der Täter solche Handlungen vornimmt, die nach seinem Tatplan der Erfüllung eines Merkmals des gesetzlichen Tatbestands vorgelagert sind und unmittelbar in die straftatbestandliche Handlung einmünden. Der Versuch einer Straftat erstreckt sich damit auch auf Handlungen, die bei ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung führen sollen oder die in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen. Dies ist der Fall, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschreitet, es eines weiteren Willensimpulses nicht mehr bedarf und er objektiv zur tatbestandlichen Ausführungshandlung dergestalt ansetzt, dass sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestands übergeht (vgl. BGHSt 48, 34, 36 mwN). (Bearbeiter)

3. Die vorstehenden abstrakt-generellen Maßstäbe des Versuchsbeginns bedürfen angesichts der Vielzahl denkbarer Sachverhaltsgestaltungen stets einer wertenden Konkretisierung unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls (vgl. BGH NJW 2002, 1057). Auf die strukturellen Besonderheiten des in Frage kommenden Tatbestands ist dabei Bedacht zu nehmen (vgl. BGH NStZ 2008, 409, 410). (Bearbeiter)

4. Bei der Bestimmung des Versuchsbeginns zu der Straftat des Nachmachens (§ 152a Abs. 1 Nr. 1 StGB) einer Zahlungskarte mit Garantiefunktion i.S.v. § 152b Abs. 4 StGB muss – den vorgenannten Grundsätzen entsprechend – das unmittelbare Ansetzen auf die Fälschungshandlung, also das Übertragen der zuvor ausgespähten Kartendaten auf die Kartendublette, bezogen werden (vgl. BGH wistra 2011, 299, 300 Rn. 6). In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist deshalb anerkannt, dass das bloße Anbringen von Skimming-Gerätschaften an einem Geldautomaten noch kein unmittelbares Ansetzen zu der Tat des Nachmachens von Zahlungskarten begründet (vgl. BGH wistra 2011, 299, 300 Rn. 6). Gelingt es dem Täter nicht, die mit Hilfe der Skimming-Geräte aufgezeichneten Datensätze in seinen Besitz zu bringen, fehlt es ebenfalls am Versuchsbeginn des Nachmachens von Zahlungskarten (vgl. BGH NStZ 2011, 89). (Bearbeiter)

5. § 152b Abs. 5 i.V.m. § 149 Abs. 1 Nr. 1 StGB stellt sich nicht als privilegierende Spezialregelung in Bezug auf Vorbereitungshandlungen der Tat gemäß § 152b StGB dar. Vielmehr dient sie gerade dazu, unter den Voraussetzungen von § 149 StGB Vorbereitungshandlungen des Verbrechens der Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion selbst dann bestrafen zu können, wenn die über § 30 StGB bei jedem Verbrechen strafbaren Verhaltensweisen vor Versuchsbeginn nicht gegeben sind. (Bearbeiter)

6. Bei der Strafzumessung wegen Verbrechensverabredung muss vor allem das von der Verabredung ausgehende „Bedrohungspotential“ und das Ausmaß, in dem die Verabredung bereits durch das Verhalten der daran Beteiligten „aktiviert“ worden ist, berücksichtigt werden; zudem ist zu beachten, wie nahe die bereits zur Ausführung gekommenen Akte dem Stadium des Tatbeginns gekommen sind. (Bearbeiter)


Entscheidung

306. BGH 3 StR 301/13 – Beschluss vom 26. November 2013 (LG Rostock)

BGHR; Tateinheit der gefährlichen Körperverletzung und der schweren Körperverletzung.

§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB; § 226 Abs. 1 StGB; § 52 StGB

Die gefährliche Körperverletzung in der Qualifikationsform der gemeinschaftlichen Begehung mit einem anderen Beteiligten steht in Tateinheit mit der durch die Tathandlung verursachten schweren Körperverletzung. (BGHR)


Entscheidung

314. BGH 3 StR 331/13 – Beschluss vom 26. November 2013 (LG Verden)

Notwehr (Erforderlichkeit eines Schlags mit einem Baseballschläger gegen den Kopf; Beurteilungsgrundlage bei der Erforderlichkeitsprüfung; sichere und endgültige Abwehr des Angriffs).

§ 32 StGB

1. Ob eine Verteidigungshandlung in diesem Sinne erforderlich ist, hängt im Wesentlichen von Art und Maß des Angriffs ab. Der Angegriffene darf sich grundsätzlich des Abwehrmittels bedienen, das er zur Hand hat und das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt. Dies schließt auch den Einsatz von Waffen oder gefährlichen Werkzeugen (hier: Baseballschläger) ein. Von mehreren Abwehrmitteln, die dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stehen, hat er das mildeste zu verwenden, wenn dessen Einsatz ebenfalls die sofortige und endgültige Abwehr des Angriffs verspricht.

2. Ob dies der Fall ist, ist aufgrund einer objektiven ex ante-Betrachtung zu entscheiden. Dabei kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung an. Auf weniger gefährliche Abwehrmittel muss der Angegriffene nur dann zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unter den gegebenen Umständen unzweifelhaft ist und genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht (st. Rspr).


II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

293. BGH 2 StR 479/13 – Urteil vom 22. Januar 2014 (LG Erfurt)

BGHSt; Rechtsbeugung (Vorliegen einer Verletzung von Recht und Gesetz; subjektiver Tatbestand: Voraussetzung einer bewussten Abkehr von Recht und Gesetz, persönliche Gerechtigkeitsvorstellungen des Richters).

§ 339 StGB; § 15 StGB

1. Der subjektive Tatbestand der Rechtsbeugung setzt mindestens bedingten Vorsatz hinsichtlich eines Verstoßes gegen geltendes Recht sowie einer Bevorzugung oder Benachteiligung einer Partei voraus. Das darüber hinausgehende subjektive Element einer bewussten Abkehr von Recht und Gesetz bezieht sich auf die Schwere des Rechtsverstoßes. Auf eine persönliche Gerechtigkeitsvorstellung des Richters kommt es nicht an. (BGHSt)

2. Indizien für das Vorliegen des subjektiven Tatbestands der Rechtsbeugung können sich aus der Gesamtheit der konkreten Tatumstände ergeben, insbesondere auch aus dem Zusammentreffen mehrerer gravierender Rechtsfehler. (BGHSt)

3. Tathandlung im Sinne von § 339 StGB ist eine Verletzung von Recht und Gesetz. Dies setzt eine Rechtsanwendung voraus, die im Ergebnis nicht vertretbar ist. (Bearbeiter)

4. Der Tatbestand der Rechtsbeugung bedarf darüber hinaus nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insoweit einer Einschränkung, als eine „Beugung des Rechts“ nicht schon durch jede (bedingt) vorsätzlich begangene Rechtsverletzung verwirklicht wird (vgl. BGHSt 41, 247, 251). Vielmehr wird vorausgesetzt, dass der Richter „sich bewusst in schwer wiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt“ (vgl. BGHSt 38, 381, 383). Diese Differenzierung zwischen Rechtsverstoß und „Beugung des Rechts“ in objektiver Hinsicht, bedingtem Vorsatz und „bewusster Entfernung von Recht und Gesetz“ in subjektiver Hinsicht enthält, entgegen in der Literatur erhobener Kritik, keinen Widerspruch, wenn für die praktische Anwendung des Tatbestands hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzung der Verletzung einer Rechtsnorm bedingter Vorsatz ausreicht und für die Schwerebeurteilung die Bedeutung der verletzten Rechtsvorschrift maßgebend ist. (Bearbeiter)


Entscheidung

307. BGH 3 StR 302/13 – Beschluss vom 11. Dezember 2013 (LG Oldenburg)

Betrug durch Erschwindelung unterschriebener Überweisungsträger (konkrete Vermögensgefährdung; mehraktige Verfügung; Unmittelbarkeit; wirtschaftlich nachvollziehbare Bezifferung des Schadens).

§ 263 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG

Erlangt der Täter durch Täuschung einen vom Getäuschten unterschriebenen Überweisungsträger, liegt ein vollendeter Betrug jedenfalls dann noch nicht im Zeitpunkt der Übergabe des Überweisungsträgers an den Täter vor, wenn nach dessen Tatplan noch ein längerer Zeitraum bis zur Einreichung beim Kreditinstitut des Getäuschten vergehen soll. Denn bis dahin ist die Weisung gegenüber dem Kreditinstitut frei widerruflich und die Annahme einer konkreten schadensbegründenden Vermögensgefährdung – vor dem Hintergrund verfassungsrechtlicher Anforderungen – nicht angezeigt. Der Betrug ist jedoch regelmäßig spätestens mit der Einreichung des Überweisungs-

trägers durch den Täter vollendet, da es sich hierbei um den letzten Teilakt einer mehraktigen Verfügung handelt.


Entscheidung

290. BGH 2 StR 2/13 – Urteil vom 4. Dezember 2013 (LG Frankfurt am Main)

Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion (Herstellen von Karten, die eine Garantiefunktion nur vortäuschen).

§ 152b Abs. 1 StGB

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es darauf, ob die vom Täter nachgemachte oder verwendete Karte einen Einsatz mit Auslösung einer Garantiefunktion tatsächlich ermöglicht oder diese Möglichkeit nur vortäuscht, nicht an (BGHSt 46, 146, 148). Trotz der in der Literatur hiergegen erhobenen Kritik hält der Senat an dieser Rechtsprechung fest, weil § 152b StGB den Zahlungsverkehr schon gegen den Anschein schützen will, der von Falsifikaten garantieauslösender Karten ausgeht.