HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 307
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 302/13, Beschluss v. 11.12.2013, HRRS 2014 Nr. 307
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 16. Mai 2013 wird
das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen B. 2. und B. 26. der Urteilsgründe wegen Betruges verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last,
das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Betruges in 38 Fällen schuldig ist.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels und die der Adhäsionsklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 40 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verurteilt, eine Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Dagegen richtet sich die Revision des Beschwerdeführers, mit der er ein Verfahrenshindernis geltend macht und die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts erhebt.
I. Der Senat hat das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen B. 2. und B. 26. der Urteilsgründe wegen Betruges verurteilt worden ist. Dies hat die Änderung des Schuldspruches und den Wegfall der für diese beiden Taten verhängten Einzelfreiheitsstrafen von jeweils einem Jahr und zwei Monaten zur Folge.
II. Im nach der Einstellung verbleibenden Umfang des Verfahrens erweist sich die Verurteilung des Angeklagten jedenfalls im Ergebnis als rechtsfehlerfrei, das Rechtsmittel des Beschwerdeführers hat demnach insoweit keinen Erfolg.
1. Das Verfahrenshindernis der fehlenden Anklage besteht - wie sowohl in den Gründen des angefochtenen Urteils als auch in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zutreffend ausgeführt ist - nicht.
2. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ordnungsgemäß ausgeführt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) und deshalb unzulässig.
3. Die umfassende Überprüfung des Urteils auf die erhobene Sachrüge hat im Ergebnis keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der näheren Erörterung bedarf insoweit nur Folgendes:
a) Die Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Betruges in 38 Fällen. Hierzu gilt:
aa) Nach den Feststellungen des Landgerichts organisierte der Angeklagte Verkaufsveranstaltungen in Form von sog. Kaffeefahrten, zu denen er überwiegend ältere Personen mit Einladungsschreiben anwarb, in denen Geldgeschenke oder Gewinnausschüttungen in Aussicht gestellt und kostenlose Mahlzeiten oder diverse Unterhaltungsprogramme angekündigt wurden. Nachdem sie sich angemeldet hatten, wurden die Teilnehmer am frühen Morgen des Veranstaltungstages mit dem Bus abgeholt und in Gruppen von bis zu etwa 50 Personen in die von dem Angeklagten als Veranstaltungsort ausgewählten Gasthäuser gebracht. Dort erwartete sie eines der vier Verkaufsteams des Angeklagten, die aus einem Verkaufsleiter und weiteren Mitarbeitern bestanden. Deren Aufgabe war es, in zumeist reißerischer Weise die vom Angeklagten für den Verkauf vorgesehenen Artikel zu bewerben und sie anschließend zu in der Regel überteuerten Preisen an die Anwesenden zu verkaufen.
In den verfahrensgegenständlichen Fällen ließ der Angeklagte "Magnetfeldmatratzenauflagen" zum Preis von 899 € veräußern. Die Kunden mussten beim Erwerb für den Abschluss des Kaufvertrages, die Bestätigung des Erhalts der Ware, die Widerrufsbelehrung und die Einziehungsermächtigung insgesamt vier Unterschriften auf dem Kaufvertragsformular leisten. Der Angeklagte hatte seine Mitarbeiter aber außerdem angewiesen, sich von jedem Kunden zusätzlich einen bereits vorbereiteten Überweisungsträger unterschreiben zu lassen, durch den die Kunden ihr Geldinstitut anwiesen, den Kaufpreis auf ein Konto des Angeklagten zu überweisen. Die Verkaufsteams erklärten den Kunden, die Unterschrift auf dem Überweisungsträger sei zur Abwicklung des geschlossenen Kaufvertrages technisch notwendig; die Kunden glaubten aufgrund der Angaben der Mitarbeiter des Angeklagten, sie berechtigten diesen zum einmaligen Einzug des Kaufpreises. Tatsächlich beabsichtigte der Angeklagte indes von Anfang an, die Überweisungsträger abredewidrig zu einem späteren Zeitpunkt einzusetzen, um sich den Kaufpreis ein weiteres Mal bezahlen zu lassen und sich so eine nicht nur vorübergehende, nicht ganz unerhebliche Einnahmequelle zu verschaffen.
Die Kaffeefahrten fanden von montags bis donnerstags statt, an den Freitagen bestellte der Angeklagte seine Verkaufsteams ein und rechnete mit ihnen ab; bei dieser Gelegenheit übergaben diese die Vertragsunterlagen und die unterschriebenen Überweisungsträger. Wenige Tage später ließ der Angeklagte mittels der Einziehungsermächtigungen die jeweiligen Kaufpreise von den Konten der Kunden abbuchen und vereinnahmte sie. In den nach der Teileinstellung noch verfahrensgegenständlichen 38 Fällen wurden die Kaufverträge zwischen Februar 2010 und Februar 2011 geschlossen und die Kaufpreise in der beschriebenen Art zeitnah dazu vereinnahmt. In der Zeit von April bis Juli 2012 sandte der Angeklagte alsdann wie von vornherein geplant die ausgefüllten Überweisungsträger an die Geldinstitute der Kunden, die die Überweisungen ausführten und damit die jeweiligen Kaufpreise ein weiteres Mal an den Angeklagten überwiesen.
bb) Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht den Tatbestand des Betruges in 38 Fällen als erfüllt angesehen. Die Geschädigten wurden durch die Mitarbeiter des Angeklagten über die Notwendigkeit der Unterschrift auf den Überweisungsträgern getäuscht und erlagen einem entsprechenden Irrtum.
(1) Nicht frei von Rechtsfehlern ist allerdings die Annahme der Strafkammer, der Betrug sei bereits durch das von dem Angeklagten veranlasste Unterschreibenlassen der Überweisungsträger vollendet gewesen, weil dadurch eine konkrete, einer Schädigung des Vermögens der Kunden gleichzusetzende, Vermögensgefährdung eingetreten sei, ohne dass es noch der Vornahme weiterer Handlungen des Angeklagten bedurft hätte. Dabei hat das Landgericht - im Ausgangspunkt zutreffend - wesentlich darauf abgestellt, dass die Weisung des Bankkunden an seine Bank, den einer Überweisung zugrundeliegenden Zahlungsauftrag auszuführen (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 73. Aufl., § 675f Rn. 17, 29), grundsätzlich unwiderruflich ist. Der Angeklagte habe deshalb ein weiteres urkundliches Mittel in der Hand gehabt, das es ihm ermöglicht habe, die Zahlung ein weiteres Mal zu veranlassen, ohne dass die Geschädigten darauf noch hätten Einfluss nehmen können. Diese rechtliche Beurteilung begegnet durchgreifenden Bedenken, weil die Strafkammer dabei die - verfassungsrechtlich gebotene - Bezifferung und Darlegung eines Mindestschadens (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 - 2 BvR 2500/09, 1857/10, BVerfGE 130, 1, 48 f.) nicht vorgenommen hat. Dies war auch mit Blick auf die Unwiderruflichkeit der Weisung nicht etwa deshalb entbehrlich, weil die Bezifferung des Schadens keiner näheren Darlegung bedurft hätte (vgl. zu sog. Evidenzfällen BVerfG aaO): Bei der Weisung handelt es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung des Kontoinhabers an sein Geldinstitut (vgl. Palandt/Sprau, aaO, § 675f Rn. 17, § 665 Rn. 2). Wird diese - wie hier - in Abwesenheit des Erklärungsempfängers abgegeben, wird sie erst mit dem Zugang bei ihm wirksam (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB) und ist bis dahin frei widerruflich (vgl. § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB). Hatten damit aber die Geschädigten nach dem Unterschreiben der Überweisungsträger mehr als ein Jahr - teilweise auch mehr als zwei Jahre - Zeit und die Gelegenheit, ihre Weisung gegenüber ihrem jeweiligen Geldinstitut zu widerrufen, bevor die darin liegende Willenserklärung durch den vom Angeklagten bewirkten Zugang der Überweisungsträger wirksam wurde, erscheint es nicht gerechtfertigt, einen Vermögensgefährdungsschaden etwa in Höhe der später durch den Angeklagten vereinnahmten Beträge bereits in dem Zeitpunkt anzunehmen, in dem die Geschädigten die Überweisungsträger unterschrieben. Denn der Schaden sollte nach dem Tatplan des Angeklagten durch das Einreichen der Überweisungsträger erst wesentlich später verwirklicht werden und war wegen der Widerruflichkeit der Weisung durch die Geschädigten jederzeit abwendbar.
(2) Dieser Rechtsfehler gefährdet den Bestand des Urteils in den 38 noch verfahrensgegenständlichen Fällen nicht, weil sich aus den Feststellungen des Landgerichts der Eintritt eines unmittelbar auf einer Vermögensverfügung der Geschädigten beruhenden Vermögensschadens und damit ein vollendeter Betrug jedenfalls aus Folgendem ergibt:
Durch das Unterschreiben und die Übergabe der Überweisungsträger händigten die Geschädigten dem Angeklagten jeweils eine Weisung an ihr Geldinstitut aus, welche grundsätzlich eine Vermögensverfügung zu seinen Gunsten darstellte. Zu ihrer zivilrechtlichen Wirksamkeit bedurfte die Weisung - wie dargelegt - indes noch des Zugangs bei den Geldinstituten, den der Angeklagte nach Belieben herbeiführen konnte, nach seinem Tatplan aber erst etliche Zeit nach der Erlangung der Überweisungsträger herbeiführen wollte. Der effektive Verlust des von der Verfügung der Geschädigten betroffenen Vermögenswertes trat damit erst durch die von dem Angeklagten durchgeführte Übermittlung der Überweisungsträger an die Geldinstitute und die anschließende Ausführung des Zahlungsauftrags ein. Es handelte sich mithin um eine mehraktige Verfügung, an der mehrere Personen dergestalt beteiligt waren, dass erst die letzte Teilverfügung zur endgültigen Schädigung führte (vgl. zum Begriff LK/Tiedemann, StGB, 12. Aufl., § 263 Rn. 111, der insoweit auch von "gestreckten Verfügungen" spricht; S/S/Cramer/Perron, StGB, 28. Aufl., § 263 Rn. 62). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der herrschenden Auffassung im Schrifttum können solche mehraktigen Verfügungen zur Verwirklichung des Betrugstatbestandes ausreichen; insbesondere steht dem nicht notwendig entgegen, dass die Vermögensverfügung den Vermögensschaden unmittelbar herbeiführen muss (BGH, Urteil vom 20. Februar 1991 - 2 StR 421/90, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 29; S/SCramer/Perron aaO; NK-StGB/Kindhäuser, 4. Aufl., § 263 Rn. 202; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 263 Rn. 25; Matt/Renzikowski/Saliger, StGB, § 263 Rn. 123; s. auch OLG Köln, Urteil vom 3. April 1962 - Ss 62/62, JMBl. NW 1962, 176; kritisch LK/Tiedemann aaO). Dies wird insbesondere angenommen, wenn die Kette der Verfügungen zwingende oder wirtschaftliche Folge des durch Täuschung hervorgerufenen Irrtums und der Teilakt, der zum Vermögensverlust führt, dem Getäuschten zuzurechnen ist (BGH aaO; NK-StGB/Kindhäuser aaO; Lackner/Kühl aaO). So verhält es sich hier:
Die bei den Geldinstituten eingehenden Überweisungsträger waren Weisungen der Geschädigten und damit deren Vermögensverfügungen zu Gunsten des Angeklagten, nicht aber Verfügungen des Angeklagten, der - ohne nach außen in Erscheinung zu treten - lediglich den Zugang dieser Erklärungen bewirkte. Die Auszahlung der Überweisungsbeträge durch die Geldinstitute war auch die vom Angeklagten von vornherein bezweckte wirtschaftliche Folge des durch die Täuschung der Geschädigten hervorgerufenen Irrtums, die ausgefüllten und über seine Mitarbeiter dem Angeklagten überlassenen Überweisungsträger würden zur technischen Abwicklung der Kaufverträge benötigt.
Soweit vertreten wird, in Fällen der erschwindelten Herausgabe einer Bankanweisung liege bereits in deren Übergabe die maßgebliche Vermögensverfügung (LK/Tiedemann aaO; S/S/Cramer/Perron aaO; Matt/Renzikowski/Saliger aaO; vgl. auch OLG Köln aaO), steht dies dem gefundenen Ergebnis hier nicht entgegen: Insoweit wird argumentiert, eine Vermögensgefahr und damit letztlich auch eine Vermögensverfügung seien so lange zu verneinen, wie die Ausführung der Anweisung in der Einfluss- oder Herrschaftssphäre des Opfers stattfinde, weil der Getäuschte dann die Vermögensminderung unproblematisch verhindern könne; gebe der Getäuschte das Geschehen aber aus der Hand, so dass er die Ausführung der Anweisung nicht mehr oder nur noch unter günstigen Umstände verhindern könne, liege bereits eine konkrete Vermögensgefährdung vor, so dass bereits der erste Teilakt der Verfügung unmittelbar zu einer Vermögensminderung führe (LK/Tiedemann aaO; S/SCramer/Perron aaO; Matt/Renzikowski/Saliger aaO). Dies mag in Fällen zutreffen, in denen der Täter die erschwindelte Anweisung zeitnah verwendet oder verwenden will, um die Auszahlung zu erreichen. Dies war hier indes mit Blick auf den - dem Tatplan des Angeklagten entsprechenden - langen zeitlichen Abstand zwischen Übergabe der Überweisungsträger und deren Zugang bei den Geldinstituten nicht der Fall. Aufgrund der aufgezeigten freien Widerruflichkeit der Weisungen und der damit über einen langen Zeitraum bestehenden jederzeitigen Möglichkeit der Geschädigten, die endgültige Vermögensminderung durch einfache Erklärung gegenüber ihrem Geldinstitut abzuwenden, ist die Annahme einer konkreten, der Vermögensminderung gleichzusetzenden Vermögensgefahr hier bei wertender Betrachtung (noch) nicht gerechtfertigt.
Lag die endgültig zur Vermögensminderung führende Verfügung hier demgemäß erst mit dem Zugang der Überweisungsträger bei den Geldinstituten vor, besteht der Schaden in der Auszahlung der angewiesenen Beträge. Angesichts des Umstandes, dass der Angeklagte in jedem Fall persönlich für den Zugang der Überweisungsträger sorgte, begegnet die konkurrenzrechtliche Beurteilung der Strafkammer, ungeachtet der einheitlichen Anweisung des Angeklagten an seine Mitarbeiter, wie sie die Geschädigten auf den Verkaufsveranstaltungen täuschen sollten, jeweils von tatmehrheitlich begangenen Betrugstaten auszugehen, keinen Bedenken.
b) Die Erwägungen, mit denen das Landgericht in den verbliebenen 38 Fällen die Einzelstrafen gegen den Angeklagten festgesetzt hat, sind rechtsfehlerfrei. Der durch die Einstellung der Fälle B. 2. und B. 26. der Urteilsgründe bedingte Wegfall der insoweit verhängten Einzelstrafen (jeweils Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten) lässt den Gesamtstrafenausspruch unberührt. Angesichts der Einsatzstrafe von zwei Jahren und vier Monaten und den weiteren verbliebenen Einzelfreiheitsstrafen (34 mal zwei Jahre und drei mal ein Jahr und fünf Monate) schließt der Senat aus, dass die Strafkammer ohne diese beiden Einzelstrafen auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte.
HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 307
Externe Fundstellen: StV 2014, 678
Bearbeiter: Christian Becker