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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juni 2012
13. Jahrgang
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1. In dem Verfahren nach Art. 316e Abs. 3 Satz 1 EGStGB ist die nach § 66 StGB aF angeordnete Sicherungsverwahrung nur dann für erledigt zu erklären, wenn alle für die Anordnung der Sicherungsverwahrung kausalen Taten aus den Anlass- und den Vorverurteilungen nicht mehr in den Katalog des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB in der am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Fassung fallen. (BGHSt)
2. Art. 316e Abs. 3 Satz 1 EGStGB ist nach dem Wortsinn der Vorschrift sowie nach dem Willen des Gesetzgebers nicht dahingehend zu verstehen, dass mit den „Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung angeordnet“ werden soll, ausschließlich die Anlasstaten gemeint sind. Vielmehr ist auch eine Einbeziehung der Vorverurteilungen zulässig und geboten. (Bearbeiter)
3. Die formellen Voraussetzungen des § 66 StGB markieren den „Türöffner“ für den Eintritt in eine qualifizierte Gefährlichkeitsprüfung (Hang und Allgemeingefährlichkeit). Nach den Wertungen des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung sollen ein Hang zu gewaltlosen Eigentums- oder Vermögensdelikten und eine entsprechende Gefährlichkeit des Täters für die Anordnung der Sicherungsverwahrung grundsätzlich nicht mehr ausreichen. Bei Altfällen, die den seinerzeit gültigen „Türöffner“ bereits passiert haben, scheidet die Annahme der nunmehr enger zu beurteilenden Gefährlichkeit daher aus, wenn sowohl Vor- als auch Anlasstaten ausschließlich aus diesem Bereich stammen. (Bearbeiter)
4. „Mischfälle“, bei denen einzelne Vorverurteilungen, nicht aber die Anlasstaten in den Katalog des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB in der am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Fassung fallen, unterliegen den allgemeinen Prüfungsverfahren nach § 67c Abs. 1, § 67e Abs. 1 StGB. Eine Anordnung des weiteren Vollzugs der Sicherungsverwahrung durch die Strafvollstreckungskammer im Rahmen dieser Prüfung ist in Fällen, in denen die Maßregel nach dem neuen Recht gar nicht mehr angeordnet werden dürfte, nur bei gleichwohl ausnahmsweise bestehender hochgradiger Gefährlichkeit des Verurteilten für im Sinne von § 66 StGB nF spezifische Rechtsgüter gestattet. (Bearbeiter)
5. Die Änderung des § 66 StGB verpflichtet die Strafvollstreckungskammern in „Mischfällen“ zu einer Prüfung der Erledigung oder Aussetzung von Amts wegen. Dabei ist unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten keine Vollzugsfortdauer anzuordnen, wenn sich ein Hang und eine entsprechende Gefährlichkeit des Verurteilten nur noch in Bezug auf Taten ergeben, die nach der Wertung des Gesetzgebers in § 66 StGB nF nicht mehr Anlass für die Anordnung von Sicherungsverwahrung sein können. (Bearbeiter)
6. Eine übergeordnete Norm, die den Gesetzgeber gezwungen hätte, die Erledigung rechtskräftig angeordneter Sicherungsverwahrungen in allen Fällen herbeizuführen, die nach Maßgabe des neuen Rechts bereits die formellen Voraussetzungen des § 66 StGB nicht mehr erfüllt hätten, ist nicht ersichtlich. Verfassungsrechtlich abgesicherte Vertrauensschutzbelange (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, Art. 7 Abs. 1, Art. 5 MRK), die im Bereich der Sicherungsverwahrung gelten (vgl. BVerfGE 128, 326), sind durch die Rechtsänderung nicht berührt. (Bearbeiter)
7. Das Meistbegünstigungsgebot gilt nicht im Bereich der Maßregeln und nur für Fälle der Rechtsänderung „vor der Entscheidung“. (Bearbeiter)
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn die Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dabei sind zu erwartende Gewalt- und Aggressionsdelikte regelmäßig zu den erheblichen Taten zu rechnen.
2. Jedoch sind solche Verhaltensweisen innerhalb einer Einrichtung gegenüber dem Pflegepersonal nicht ohne weiteres denjenigen Handlungen gleichzusetzen, die ein Täter außerhalb einer Betreuungseinrichtung begeht. Dass es sich bei den geschädigten Opfern nicht um im Umgang mit schwierigen und aggressiven Patienten erfahrenes besonders geschultes Personal, sondern um einfache Krankenpflegerinnen handelt, rechtfertigt keine Gleichsetzung der Taten mit solchen außerhalb der Einrichtung.
1. Maßstab für die Kompensationsentscheidung bei rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung ist der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkung all dessen auf den einzelnen Angeklagten.
2. Eine Inhaftierung eines Erstverbüßers während des Verfahrens ohne Vollzugslockerungen verleiht der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung ein zusätzlich erschwerendes Gewicht.
Die Sicherungsverwahrung darf zurzeit nur nach Maßgabe einer besonders strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden, wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder in dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist. Danach sind erhöhte Anforderungen sowohl an die Konkretisierung der Rückfallprognose als auch an den Wert der gefährdeten Rechtsgüter zu stellen. Bei der auf den Einzelfall bezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung kommt es, über die gesetzgeberische Aufnahme in den Katalog tauglicher Vor- und Anlasstaten hinaus, prinzipiell nicht auf die Bezeichnung des Straftatbestands an, dessen Verletzung für die Zukunft droht. Auch kommt es nicht auf den durch gesetzliche Strafrahmen im Voraus gewichteten Schuldumfang, sondern auf die Bedeutung des vor Rückfalltaten des Angeklagten zu schützenden Rechtsgutes an, ferner auf den Grad der Wahrscheinlichkeit der künftigen Rechtsgutsverletzung und gegebenenfalls auf die mögliche Verletzungsintensität.
§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB hindert eine Verfallsentscheidung nur dann, wenn der Täter oder Teilnehmer „aus der Tat“ einen Vermögensvorteil erlangt hat und Gegenansprüche eines Verletzten bestehen; das „für die Tat“ Erlangte unterliegt dem Verfall hingegen ohne Rücksicht auf Ansprüche Verletzter. „Aus der Tat erlangt“ sind alle Vermögenswerte, die dem Täter unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestands selbst in irgendeiner Phase des Tatablaufs zugeflossen sind, insbesondere also die Beute; „für die Tat erlangt“ sind hingegen Vermögenswerte, die dem Täter als Gegenleistung für sein rechtswidriges Handeln gewährt werden, etwa ein Lohn für die Tatbegehung.
Die Eigenschaft des Angeklagten als Lieferant von Betäubungsmitteln ist dem Begriff des Handeltreibens immanent und kann nicht, ebenso wenig wie das Überschreiten der nicht geringen Menge, als Tatbestandsmerkmal bei der Beurteilung, ob es sich um einen minder schweren Fall handelt, zu Lasten des Angeklagten gewertet werden.