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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juni 2012
13. Jahrgang
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1. Überprüfung des Verdachts einer wahrheitswidrigen Beweisbehauptung im Revisionsverfahren durch freibeweisliche Einholung des in der Tatsacheninstanz beantragten DNA-Identifizierungsgutachtens. (BGH)
2. Trotz einer gegen § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO verstoßenden Ablehnung eines Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens liegt keine Verletzung des Beweisantragsrechts vor, wenn es sich um einen nicht zum Zwecke der Wahrheitsermittlung, sondern allein aus sachwidriger Prozesstaktik gestellten missbräuchlichen Scheinbeweisantrag handelt. (Bearbeiter)
3. Zum Zwecke der Feststellung, ob eine bewusst wahrheitswidrige Beweisbehauptung vorliegt, kann ein in der Tatsacheninstanz beantragtes Sachverständigengutachten im Revisionsverfahren freibeweislich eingeholt werden. (Bearbeiter)
4. Es kann offen bleiben, ob das Revisionsgericht ausnahmsweise nach einem Aufklärungsmangel oder einem vom Tatgericht rechtsfehlerhaft beschiedenen Beweisantrag, einen Sachverständigenbeweis betreffend, zur Nachholung einer versäumten tatgerichtlichen Beweiserhebung befugt ist, bei der ein eindeutiges, von keiner weiteren gerichtlichen Bewertung abhängiges Beweisergebnis zu erwarten ist. (Bearbeiter)
1. Die Vorgänge um die Neubesetzung und ordnungsgemäße Besetzung des Vorsitzes im 2. Strafsenat des BGH führen nicht zur Besorgnis der Befangenheit hinsichtlich der Richter Berger, Eschelbach, Fischer und Krehl.
2. Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters ist gerechtfertigt, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Ob nach § 24 Abs. 2 StPO die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit stattfindet, beurteilt sich stets im Hinblick auf das konkrete Verfahren; ist ein Bezug zum konkreten Verfahrensgegenstand gegeben, kann nicht von einer verfahrensübergreifenden Generalablehnung die Rede sein, die gesetzlich nicht vorgesehen ist.
3. Der von einem der abgelehnten Richter in seiner dienstlichen Erklärung aus seiner subjektiven Wahrnehmung geschilderte Ablauf seiner Anhörung am 18. Januar 2012 vor dem Präsidium ist für Beurteilung unerheblich. Es kann dahinstehen, ob ansonsten durch das Präsidium – wie ein anderer abgelehnter Richter, der am 18. Januar 2012 nicht angehört wurde, dienstlich erklärt hat – nach seinem subjektiven Eindruck und Empfinden ein hoher Druck aufgebaut wurde, die Rechtsprechung der Spruchgruppe 2 des Senates zu ihrer Besetzung aufzugeben. Weiterer Aufklärung, etwa durch Anhörung der Mitglieder des Präsidiums, bedarf es nicht. Selbst wenn die Behauptung, das Präsidium habe wie auch immer gearteten Druck auf die abgelehnten Richter ausgeübt, zutreffen sollte, bezog sich dieser Druck auch nach den dienstlichen Erklärungen der abgelehnten Richter nicht etwa inhaltlich auf die Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten, sondern ausschließlich darauf, dass den bei der Spruchgruppe 2 des 2. Strafsenates anhängigen Verfahren Fortgang gegeben wird.
1. Maßgeblich für die Besorgnis der Befangenheit ist der nach außen deutlich gewordenen Eindruck von der in-
neren Haltung des Richters, ohne dass es maßgeblich darauf ankommt, inwieweit dieser Eindruck tatsächlich der inneren Haltung des Richters entspricht.
2. Beharrliche und intensive Versuche eines Vorsitzenden, den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft zu einem Verzicht auf die Vernehmung des überwiegenden Teils der Zeugen zu drängen, obwohl der Angeklagte das Gewicht seiner Tatbeiträge nicht in vollem Umfang einräumt hatte und insbesondere für eine schuldangemessene Sanktion wesentliche Umstände noch klärungsbedürftig sind, und die auf eine Weigerung des Sitzungsvertreters folgende Bezeichnung als „unanständig“, kann die Besorgnis begründen, der Vorsitzende ziehe eine schnelle Prozesserledigung ohne Beachtung der prozessualen Beteiligtenrechte der Staatsanwaltschaft einer sachgemäßen Aufklärung der Anklagevorwürfe vor.
1. Wird ein Angeklagter aufgrund eines Europäischen Haftbefehls festgenommen und ausgeliefert, dürfen die Taten, die nicht Gegenstand der Auslieferungsbewilligung sind, nicht zu Lasten des Angeklagten verwertet werden.
2. Ihre Verwertung zum Nachteil des Angeklagten bei der Strafzumessung verletzt den Grundsatz der Spezialität nach Art. 27 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (2002/584/JI) in Verbindung mit § 83h Abs. 1 Nr. 1 IRG, die nicht nur die Festsetzung selbständiger Strafen für andere Taten als die Auslieferungstat ausgeschlossen verbieten, sondern auch deren Mitbestrafung im Wege der Erhöhung der für die Auslieferungstat verwirkten Strafe.
1. Entscheidet das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung im Beschlusswege (hier gemäß § 349 Abs. 2 StPO), so kann ein Ablehnungsgesuch in entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO nur so lange statthaft vorgebracht werden, bis die Entscheidung ergangen ist. Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn die Ablehnung mit einem Antrag nach § 356a StPO verbunden wird, der sich deswegen als unbegründet erweist, weil die gerügte Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG nicht vorliegt, so dass insoweit nicht mehr in eine erneute Sachprüfung einzutreten ist.
2. § 24 Abs. 3 Satz 2 StPO findet keine Anwendung, wenn das Ablehnungsgesuch ohne Ausscheiden der abgelehnten Richter (§ 26a Abs. 2 Satz 1 StPO) als unzulässig zu verwerfen ist.
1. Nach Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen durch das Revisionsgericht ist der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter gehalten, eigene Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten zu treffen und diese im Urteil mitzuteilen. Hat der Angeklagte in dem neuen Verfahren dieselben Angaben gemacht, wie sie in dem früheren, jedoch insoweit aufgehobenen Urteil enthalten sind, kann zwar auf die aufgehobenen Feststellungen aus dem früheren Urteil nicht Bezug genommen werden; sie können jedoch – auch im Wortlaut – in das neue Urteil übernommen werden, sofern kein Zweifel daran verbleibt, dass es sich um neue, eigenständig getroffene Feststellungen handelt.
2. Die Wirkungen eines erstmals erlebten längeren Strafvollzugs und von in diesem Rahmen (möglicherweise) wahrgenommenen Therapieangeboten können zwar im Einzelfall wesentliche gegen die Anordnung der Maßregel sprechende Gesichtspunkte darstellen. Ein Absehen von der Anordnung trotz bestehender hangbedingter Gefährlichkeit kommt in Ausübung des in § 66 Abs. 2 StGB eingeräumten Ermessens aber nur dann in Betracht, wenn bereits zum Zeitpunkt des Urteilserlasses die Erwartung begründet ist, der Täter werde hierdurch eine Haltungsänderung erfahren, sodass für das Ende des Strafvollzugs eine günstige Prognose gestellt werden kann. Zum Zeitpunkt des Urteilserlasses noch ungewisse positive Veränderungen und lediglich mögliche Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug können auch nach dem Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung vom 22. Dezember 2010 nicht genügen. Vielmehr bedarf es zumindest konkreter Anhaltspunkte für einen Behandlungserfolg.
Die Beurteilung der Strafkammer, den minderjährigen Kindern der Angeklagten fehle eine genügende Vorstellung von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts i.S.v. § 52 Abs. 2 Satz 1 StPO, ist als tatrichterliche Ermessensentscheidung revisionsrechtlicher Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich. Schon Zweifel darüber, ob Kinder über die erforderliche geistige Reife verfügen, eine mögliche Konfliktlage zwischen der Pflicht zu wahrheitsgemäßer Aussage und den familiären Rücksichten verstandesmäßig genügend erfassen zu können, muss die Strafkammer veranlassen, von fehlender Verstandesreife auszugehen.
In Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht, muss sich das Tatgericht bewusst sein, dass die Aussage des einzigen Belastungszeugen einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen ist, zumal der Angeklagte in solchen Fällen wenig Verteidigungsmöglichkeiten durch eigene Äußerungen besitzt. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, die seine Entscheidung beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Die Aussage des Belastungszeugen im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung ist insbesondere zur Beurteilung der Aussageentwicklung und Aussagekonstanz wiederzugeben und zu erörtern.
1. Die richterliche Überzeugungsbildung hat auf vollständiger Ausschöpfung des Beweismaterials zu beruhen. Dies gilt auch dann, wenn sich der Angeklagte – unter Umständen im Rahmen einer Verfahrensabsprache – geständig zeigt. Das Tatgericht muss von der Richtigkeit eines Geständnisses überzeugt sein. Es ist deshalb stets zu untersuchen, ob das abgelegte Geständnis mit dem Ermittlungsergebnis zu vereinbaren ist, ob es in sich stimmig ist und ob es die getroffenen Feststellungen trägt.
2. Die Beschränkung der Beweiswürdigung im Wesentlichen auf den bloßen Hinweis, der Angeklagte sei geständig gewesen, genügt insbesondere dann nicht, wenn aufgrund der Komplexität und der zahlreichen Details des festgestellten Sachverhalts Zweifel bestehen können, dass der Angeklagte an das Tatgeschehen eine auch in den Einzelheiten genügende Erinnerung hat.
3. Allein der Zusammenschluss zu einer kriminellen Vereinigung hat nicht zur Folge, dass jede von einem Vereinigungsmitglied begangene Straftat jedem sonstigen Mitglied im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden kann. Vielmehr ist für jede einzelne Tat nach den allgemeinen Kriterien festzustellen, ob sich die anderen Mitglieder hieran als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt oder ob sie gegebenenfalls überhaupt keinen strafbaren Tatbeitrag geleistet haben.
1. Das Ergebnis eines DNA-Vergleichsgutachtens ist lediglich – jedoch als bedeutsames – Indiz anzusehen, das der Würdigung im Zusammenhang mit anderen für die Täterschaft sprechenden Beweisanzeichen bedarf; denn ein solches Gutachten enthält lediglich eine abstrakte, biostatistisch begründete Aussage über die Häufigkeit der festgestellten Merkmale bzw. Merkmalskombinationen innerhalb einer bestimmten Population.
2. Wird bei einem DNA-Vergleichsgutachten ein Seltenheitswert im Millionenbereich festgestellt, kann die tatrichterliche Überzeugungsbildung dahin ausreichen, die Tatortspur stamme vom Angeklagten Dem ist umgekehrt jedoch nicht zu entnehmen, ein solcher Schluss sei ab einer bestimmten Wahrscheinlichkeit in jedem Falle als zwingend anzusehen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Beschluss, mit dem ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsache abgelehnt wird, die Erwägungen anführen, aus denen der Tatrichter ihr aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keine Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch beimisst. Geht es um die Glaubwürdigkeit einer Zeugin, bedarf es der Begründung, warum die zu beweisende Tatsache das Gericht auch im Falle ihres Nachweises unbeeinflusst ließe. Die Anforderungen an die Begründung entsprechen grundsätzlich den Darlegungserfordernissen bei der Würdigung von durch die Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen.
In der Ausnahme von der Strafverfolgung und der Änderung des Schuldspruchs liegt nicht automatisch ein solcher Erfolg des Rechtsmittels, der es unbillig erscheinen ließe, den Angeklagten mit den gesamten Gebühren und Auslagen des Verfahrens zu belasten.
Die Möglichkeit des Gerichts, sich mit den Verfahrensbeteiligten über das Ergebnis des Verfahrens zu verständigen (§ 257c Abs. 1 Satz 1 StPO), berührt die gerichtliche Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Ermittlung der Wahrheit nicht (§ 257c Abs. 1 Satz 2 StPO). Die Bereitschaft eines Angeklagten, wegen eines bestimmten Sachverhalts eine Strafe hinzunehmen, die das gerichtlich zugesagte Höchstmaß nicht überschreitet, entbindet nicht von dieser Pflicht.