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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
November 2011
12. Jahrgang
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Von Dr. Jakob Pichon, Mannheim*
Wie einfach war es doch früher: Polizeibeamte, die vermeintlich alkoholisierte Autofahrer aus dem Verkehr winkten, durften ohne Rücksicht auf den schon damals existierenden Richtervorbehalt in § 81a Abs. 2 StPO Blutentnahmen selbst anordnen. In den Worten des LG Hamburg: "Denn beim Verdacht einer Trunkenheitsfahrt[…]würde jedes weitere Zuwarten den Untersuchungserfolg gefährden. Wegen des Abbaus des Blutalkoholgehalts führt jede zeitliche Verzögerung bei der Blutentnahme zu größeren Ungenauigkeiten oder gar zu einer Unmöglichkeit der Rückrechnung und damit zu größeren Ungenauigkeiten bei der Feststellung des Blutalkoholgehalts im Tatzeitpunkt."[1]
Doch als das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2007 zum ersten Mal mit dieser Thematik befasst wurde,[2] änderten sich die Dinge. Der Richtervorbehalt wurde grundlegend gestärkt, der bloße Verweis auf den Abbau des Blutalkohols für die Begründung von Gefahr im Verzug ist seither unzulässig, da jedenfalls zwischen dem ersten Verdacht der Trunkenheits- oder Drogenfahrt und der Ankunft des Arztes eine telefonische[3] richterliche Anordnung regelmäßig problemlos möglich und daher geboten sei.[4]
Nichtsdestoweniger ist das Endergebnis heute häufig das Gleiche wie früher: Denn je unklarer das Ermittlungsbild und je komplexer der Sachverhalt, desto eher darf die Polizei[5] auch weiterhin Gefahr im Verzug annehmen.
Dies ist dann umso eher der Fall, wenn eine Rückrechnung nicht möglich ist (Betäubungsmittel- oder Medikamentenkonsum).[6] Zwar nehmen die Gerichte auf Grund der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts heute durchaus häufiger Beweiserhebungsverbote an,[7] lehnen dann aber in der Regel ein Beweisverwertungsverbot[8] ab, da ein hierfür gefordertes willkürliches Handeln unter bewusster Umgehung des Richtervorbehalts oder ein schwerwiegender Fehler[9] selten angenommen werden.[10]
Weitgehend unumstritten ist und bleibt, dass die Polizei den Beschuldigten bei der Anordnung der Blutentnahme vorübergehend festnehmen darf (Annexkompetenz).[11] Hat der Beamte die Anordnung ohne den Richter einzuschalten einmal rechtmäßig getroffen, so bleibt sie auch dann rechtmäßig, wenn durch eine Änderung der Umstände der Richter nun gefahrlos kontaktiert werden könnte.[12] Die bloße Verweigerung einer freiwilligen Blutentnahme begründet keine Fluchtgefahr.[13] Verfahren zur Verwertbarkeit von Blutentnahmen sind in der obergerichtlichen Rechtsprechung als schwierige Rechtslage und damit als Fall notwendiger Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 S. 1 Var. 2 StPO anerkannt.[14]
Auch unter den 2011 veröffentlichten Gerichtsentscheidungen finden sich viele, die sich zu der Fortsetzungsgeschichte des § 81a StPO im Straßenverkehr äußern. Im Folgenden soll an Hand der betroffenen Themenkreise (Gefahr im Verzug, Dispositionsbefugnis, Nachtrunk, richterlicher Bereitschaftsdienst und Dokumentation) aufgezeigt werden, ob diese Entscheidungen Neues brachten oder eher als Wiederholungsfolgen anzusehen sind.
Ende 2010 äußerten sich die Oberlandesgerichte Frankfurt und Köln zu der Frage, ob und unter welchen Umständen eine drohende Unterschreitung der Grenzwerte der Blutalkoholkonzentration (BAK) – wie insbesondere die Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit von 1,1 Promille – Gefahr im Verzug[15] begründen kann.
So schloss sich das OLG Köln einer bereits vorhandenen Tendenz in der obergerichtlichen Rechtsprechung an, wonach knappe Grenzwertüberschreitungen jedenfalls als Indiz für die Bejahung von Gefahr im Verzug angesehen werden können. Nötig sei aber weiter eine Gesamtschau aller Umstände. Während z.B. das OLG Hamm schon 2009 trotz Grenzwertnähe Gefahr im Verzug unter Verweis auf fehlende weitere Umstände ablehnte,[16] nahm das OLG Köln eine solche Gefahr mit der Begründung an, neben der Grenzwertnähe sei ein Richter mangels nächtlichen Bereitschaftsdienstes mindestens sechs Stunden – und damit über einen erheblichen Zeitraum hinweg – nicht erreichbar gewesen.[17]
Anders zu verstehen ist offenbar das OLG Frankfurt. Obwohl die hier in Rede stehende Blutentnahme nachmittags – und damit zu einem Zeitpunkt, an dem ein Richter mit großer Wahrscheinlichkeit um eine Entscheidung hätte ersucht werden können – vorgenommen wurde, ließ das Gericht die drohende Grenzwertunterschreitung allein ausreichen, um Gefahr im Verzug zu bejahen.[18]
Die Rechtsansicht des OLG Frankfurt dürfte wohl vereinzelt bleiben. Trotz unproblematischer Erreichbarkeit eines Richters Gefahr im Verzug allein wegen drohender Grenzwertunterschreitung anzunehmen, würde den Richtervorbehalt in vielen Fällen weitgehend aushöhlen. Zuzustimmen ist hingegen dem OLG Köln, das eine drohende Grenzwertunterschreitung zwar als Indiz für Gefahr im Verzug annimmt, diese allein aber nicht ausreichen lässt.
Mit der Anordnung einer Blutentnahme greift der Staat in die körperliche Unversehrtheit des Beschuldigten ein. Da es sich hierbei um ein disponibles Rechtsgut handelt,[19] kann der Beschuldigte in die Blutentnahme einwilligen. Darüber hinaus findet auf Blutentnahmen die Wi-
derspruchslösung Anwendung.[20] Auch insoweit unterliegt es der Dispositionsfreiheit des Beschuldigten, bis zu dem in § 257 StPO bestimmten Zeitpunkt Widerspruch gegen die Verwertung einzulegen oder nicht; von Amts wegen wird ein etwaiges Verwertungsverbot nicht überprüft.
Während die Geltung der Widerspruchslösung in Bezug auf Blutentnahmen in insoweit unspektakulären Entscheidungen auch für Berufungsverhandlungen nach erstinstanzlichen Freisprüchen[21] bestätigt wurde,[22] entwickelte das OLG Hamm die Rechtsprechung in Bezug auf Einwilligungen in Blutentnahmen weiter.
In der Rechtsprechung entschieden war bereits zuvor, dass die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe durch den Richter nicht erforderlich ist, wenn die Einwilligung des Beschuldigten in den körperlichen Eingriff vorliegt.[23] Für eine solche Einwilligung – über die der Beschuldigte belehrt werden soll[24] und die jederzeit widerruflich ist[25] – muss der Beschuldigte die Sachlage und sein Weigerungsrecht kennen und die Einwilligung ausdrücklich, eindeutig und aus freiem Entschluss erklären.[26] Darüber hinaus muss er zum Zeitpunkt der Abgabe der Einwilligung in die Blutentnahme genügend verstandesreif sein, um die Tragweite seiner Einwilligungserklärung zu erkennen.[27] Das OLG Hamm äußerte sich nun zwei Mal zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen Alkoholeinfluss zum Ausschluss der Verstandesreife führen kann.
So ließ der Senat für einen solchen Ausschluss zunächst 1,23 Promille Blutalkohol nicht ausreichen, sondern erklärte, dass der Ausschluss der Verstandesreife in der Regel wohl erst ab 2 Promille Blutalkohol ernsthaft in Erwägung gezogen werden könne.[28] Im zweiten Verfahren konkretisierte der Senat seine Rechtsprechung dann dahingehend, dass die Einwilligungsfähigkeit durchaus auch bei über 2 Promille Blutalkohol gegeben sein könne. Hierzu bedürfe es jedoch "einer näheren Darlegung der insoweit relevanten Umstände, etwa des Vorhandenseins von Ausfallerscheinungen, des vorangegangenen Trinkverhaltens, der Trinkgewohnheiten und ggf. weiterer Umstände, die Anhaltspunkte für die Beurteilung einer Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten des Angeklagten aufgrund der gegebenen Alkoholisierung darstellen." Das angefochtene Urteil lasse hinreichende Ausführungen hierzu aber vermissen.[29] Damit hielt, soweit ersichtlich, zum ersten Mal ein deutsches Obergericht die Einwilligungsfähigkeit bei einem solch hohen Promillewert für möglich.
In beiden Entscheidungen ist dem OLG Hamm zuzustimmen. Während eine BAK von knapp über 1 Promille in der Regel kaum ausreichen dürfte, um dem Beschuldigten die für die Einwilligungsfähigkeit erforderliche Verstandesreife abzusprechen, muss sich das entscheidende Gericht bei über 2 Promille ernsthaft mit dieser Frage auseinandersetzen. Einen Automatismus hin zur fehlenden Verstandesreife ab 2 Promille gibt es aber nicht. Entscheidend ist der Einzelfall; dabei gilt: Je höher die BAK, desto überzeugender muss die Darstellung der Begleitumstände sein.
Was zuvor schon gelegentlich in obiter dicta angesprochen worden war,[30] bekräftigte das OLG Bamberg nun, soweit ersichtlich, erstmals in der obergerichtlichen Rechtsprechung[31] auch in den entscheidungstragenden Ausführungen: Bei drohendem Nachtrunk – wenn der Beschuldigte also nach der Fahrt weiter Alkohol zu sich nimmt – darf der ermittelnde Polizeibeamte Gefahr im Verzug annehmen, dies unabhängig davon, ob ein Richter erreichbar ist.[32]
Die Entscheidung des OLG Bamberg verdient uneingeschränkte Zustimmung, was offenbar auch Stimmen aus der Verteidigerschaft so sehen.[33]
Weitaus umstrittener ist hingegen die Frage, ob nächtliche, von Polizeibeamten angeordnete Blutentnahmen erhoben und verwertet werden dürfen, wenn zum Zeitpunkt der Entnahme kein nächtlicher richterlicher Bereitschaftsdienst eingerichtet ist. Ihre Beantwortung differiert abhängig davon, ob auf Grundlage der Fallzahlen[34] des jeweiligen Gerichtsbezirks Bedarf für einen nächtlichen richterlichen Bereitschaftsdienst besteht oder nicht.
Besteht ein solcher Bedarf, so wird zum Teil ein Beweiserhebungsverbot angenommen. Zwar hätte dann "der einzelne Polizeibeamte subjektiv nicht vorwerfbar die Anordnung wegen Gefahr im Verzuge treffen können,
denn eine richterliche Anordnung wäre dann frühestens am nächsten Werktag in den Dienststunden des Gerichts zu erlangen gewesen. Der Verstoß gegen den Richtervorbehalt läge dann allerdings im Bereich der Justizorganisation. Hieraus kann dem Beschuldigten kein Nachteil erwachsen, so dass das Fehlen des gesetzlich gebotenen Eildienstes bzw. der Erreichbarkeit des Eildienstrichters objektiv Gefahr im Verzuge nicht zu begründen vermag".[35] In dem Umstand, dass auf Grund der Fallzahlen ein Bereitschaftsdienst hätte eingerichtet werden müssen, liege zugleich ein schwerwiegender Fehler der Justizorganisation, der zu einem Beweisverwertungsverbot führe. So sei zu berücksichtigen, dass der Polizeibeamte – bzw. die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft generell – sich in Fällen, in denen bekanntermaßen kein richterlicher Bereitschaftsdienst vorliege, keinerlei Gedanken über die Fragen von Gefahr im Verzuge und richterlicher Anordnungskompetenz mache, sondern allein aufgrund entsprechender langjähriger Praxis eine eigene Anordnung treffe.[36]
Die wohl herrschende Ansicht innerhalb der obergerichtlichen Rechtsprechung stellt hingegen nicht auf den Justizapparat, sondern auf den handelnden Polizeibeamten ab.[37] Da ein Richter objektiv nicht erreichbar sei, liege – jedenfalls bei einem erheblichen Zeitraum der Nichterreichbarkeit des Richters – Gefahr im Verzug und daher bereits kein Beweiserhebungsverbot vor.[38] Selbst wenn man diesbezüglich anderer Ansicht sei, folge jedenfalls kein Beweisverwertungsverbot, da der Polizeibeamte bei seiner Anordnung der Blutentnahme jedenfalls nicht willkürlich oder unter bewusster Umgehung des Richtervorbehalts gehandelt habe.[39] Schließlich sei ihm bekannt gewesen, dass ein Richter während der Nachtzeit nicht zu erreichen sei.
Diese obergerichtliche herrschende Meinung erklärte das Bundesverfassungsgericht in Fortschreibung seiner seit 2007 bestehenden Rechtsprechung[40] verfassungsrechtlich für zulässig. Die Ablehnung eines Verwertungsverbots trotz Fehlens eines nächtlichen richterlichen Bereitschaftsdienstes sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, da die Strafgerichte in einem solchen Fall darauf verweisen könnten, dass die handelnden Polizeibeamten den Richtervorbehalt nicht willkürlich oder zielgerichtet umgingen.[41] Bestrebungen, die vom Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf Wohnungsdurchsuchungen festgestellte Pflicht zur Einrichtung eines nächtlichen richterlichen Bereitschaftsdienstes auf Blutentnahmen im Straßenverkehr zu übertragen, erteilte das Bundesverfassungsgericht eine klare Absage, da es sich bei § 81a Abs. 2 StPO – anders als im Rahmen von Wohnungsdurchsuchungen – nicht um einen verfassungsrechtlich abgesicherten Richtervorbehalt handele.[42]
Besteht hingegen auf Grund niedriger Fallzahlen kein Bedarf für einen nächtlichen Bereitschaftsdienst, so liegen die Dinge einfacher: In der Regel dürfte dann bereits kein Beweiserhebungsverbot anzunehmen sein; jedenfalls liegt kein Beweisverwertungsverbot vor, da in diesem Fall weder dem Polizeibeamten bei seiner Anordnung, noch dem Gericht bei der Nichteinrichtung eines Bereitschaftsdienstes Willkür vorzuwerfen ist. Eine solche Fallkonstellation lag der Entscheidung des OLG Naumburg zugrunde, das sich dieser Ansicht anschloss.[43]
Wenngleich das Bundesverfassungsgericht die herrschende Meinung verfassungsrechtlich abgesegnet hat, bleibt einfachgesetzlich die Annahme eines Verwertungsverbots bei Fehlen eines nächtlichen richterlichen Bereitschaftsdienstes weiter möglich. Da § 81a Abs. 2 StPO einen Richtervorbehalt unabhängig von der konkreten Uhrzeit anordnet, sollte man bei der Frage, ob willkürlich gehandelt wurde, jedenfalls nicht auf den handelnden Polizeibeamten abstellen, da so – insbesondere unter Beachtung der Tatsache, dass die meisten Blutentnahmen nachts vorgenommen werden – die gesetzliche Regelung nachts weitgehend leer liefe. Stellt man hingegen – zu Recht – auf den Justizapparat insgesamt ab, so ist auch der Entscheidung des OLG Naumburg zuzustimmen, welches das Erfordernis eines nächtlichen Bereitschaftsdienstes für Sachsen-Anhalt verneinte.
In dem Beschluss zu Blutentnahmen im Straßenverkehr vom Februar 2011[44] äußerte sich das Bundesverfassungsgericht zudem dahingehend, dass es ebenso wenig zu beanstanden sei, dass nach der strafgerichtlichen Rechtsprechung eine fehlende Dokumentation allein nicht zu einem Verwertungsverbot führe, sondern stattdessen lediglich mit in die Gesamtabwägung einfließe. Insoweit enthält der Beschluss keine Neuerungen gegenüber einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus 2008.[45]
Manche Stimmen in der Wissenschaft konstatieren eine zunehmende Tendenz der Gerichte, Beweisverwertungsverbote anzunehmen.[46] Zuzustimmen ist dem insoweit, als angesichts der bloßen Anzahl von sich in der letzten Zeit häufenden veröffentlichten Entscheidungen zum Richtervorbehalt gemäß § 81a Abs. 2 StPO nunmehr
davon ausgegangen werden kann, dass die Thematik auch "in den Kreisen der Staatsanwaltschaft und ihrer Hilfspersonen hinreichend bekannt ist" und somit die Annahme eines nicht willkürliches Verhalten in Zukunft nicht mehr ohne Weiteres aufrechtzuerhalten ist.[47] Auch gab es Gerichte, die unter diesem Gesichtspunkt tatsächlich Beweisverwertungsverbote annahmen.[48] Nichtsdestoweniger wird diese Tendenz durch die jüngste gerichtliche Praxis nicht bestätigt. Hingegen lesen sich Entscheidungen wie die z.B. die des OLG Frankfurt[49] und des OLG Düsseldorf[50] wie Bilderbuchanleitungen in Sachen Abwägung, die – nicht zuletzt unter Hinweis auf den nur einfachgesetzlichen Richtervorbehalt[51] und den lediglich geringfügigen körperlichen Eingriff[52] – letztlich doch zu Gunsten der Verwertbarkeit ausfällt. Zuzugeben ist allerdings, dass sich die Lage in den kommenden Jahren noch ändern kann, da die bisher von Oberlandesgerichten entschiedenen Verfahren in der Regel aus der Zeit bis 2009 stammen, und damit einer Zeit, zu der durchaus auch gerichtlich noch eine ständige Anordnungskompetenz von Polizeibeamten vertreten wurde.[53]
Entscheidende Fortschritte in Sachen Blutentnahmen im Straßenverkehr hat 2011 sicherlich der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts gebracht. So wurde verfassungsgerichtlich abgesegnet, dass bei Fehlen eines nächtlichen richterlichen Bereitschaftsdienstes die Berufung auf ein Beweisverwertungsverbot praktisch unmöglich ist und die fehlende Dokumentation durch den Polizeibeamten allein nicht für die Begründung eines Beweisverwertungsverbots genügt. Aber auch die übrigen obergerichtlichen Entscheidungen haben mehr Licht in die Diskussion gebracht: Während drohender Nachtrunk in der Regel schon für sich genommen für die Begründung von Gefahr im Verzug ausreicht, gilt die drohende Grenzwertunterschreitung lediglich als Indiz hierfür. Eine BAK über 2 Promille schließt die Einwilligungsfähigkeit des Beschuldigten nicht zwangsläufig aus.
Ebenso entscheidend legte das Bundesverfassungsgericht allerdings – eher unbewusst – den Finger in die Wunde des einfachgesetzlichen Richtervorbehalts. Gerade mit der Billigung der obergerichtlichen Rechtsprechung zum nächtlichen richterlichen Bereitschaftsdienst wird der Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO ad absurdum geführt: So ist in der Nacht – also zu einer Zeit, zu der mit Abstand die meisten Fahrten unter Alkohol- und Drogeneinfluss unternommen werden – im Ergebnis die Polizei in aller Regel selbst zur Anordnung der Blutentnahme "befugt", jedenfalls dort, wo keine nächtlichen richterlichen Bereitschaftsdienste existieren. Wenn zudem in der Rechtsprechung gegen die Annahme von Willkür des Polizeibeamten angeführt wird, der Richter hätte die Blutentnahme ohnehin angeordnet, macht der Richter sich selbst überflüssig. Darüber hinaus führen paradoxer Weise komplexe Sachverhalte häufig dazu, dass der Richter sich ohne Aktenkenntnis nicht in der Lage sieht, telefonisch zu entscheiden, so dass der Polizeibeamte zuletzt erneut Gefahr im Verzug annehmen kann.[54] Einfache Sachverhalte hingegen können und werden vom Richter entschieden. Solcherart ergangene Entscheidungen aber hätten ohne Weiteres auch vom Polizeibeamten selbst getroffen werden können.[55] Denn "[w]elchen Wert hat der Richtervorbehalt[…], wenn er ohne eigenes Ansehen ergeht?[56]
Und so sollte man das Bundesverfassungsgericht beim Wort nehmen, wenn es mehr als deutlich herausstellt, dass der Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO verfassungsrechtlich nicht geboten ist.[57] Der Bundesrat hat begrüßenswerter Weise damit begonnen, die Vorlage des Bundesverfassungsgerichts zu verwerten und hat einen Gesetzesvorschlag eingebracht, der den Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO im Straßenverkehr abschaffen will.[58] Die Bundesregierung will den Vorschlag prüfen,[59] ist aber über diese Prüfung bis heute nicht hinausgekommen. Und so bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung neben der Bewältigung der Krise(n) ein wenig Zeit bleibt, um das Gesetzesvorhaben schnellstmöglich mit einem positiven Votum zu versehen. Die unendliche Geschichte soll schließlich bald ein glückliches Ende finden…
* Der Verfasser ist als Richter am Amtsgericht Mannheim tätig. Der Beitrag gibt allein seine persönliche Ansicht wieder.
[1] LG Hamburg 603 Qs 470/07, Beschl. v. 12.11.2007, Rn. 8 (juris).
[2] BVerfG 2 BvR 273/06, Beschl. v. 12.02.2007 = HRRS 2007 Nr. 200.
[3] Dass richterliche Anordnungen per Telefon zulässig sind, wird vom BGH – sogar im Bereich des verfassungsrechtlich abgesicherten Richtervorbehalts bei Wohnungsdurchsuchungen – als selbstverständlich vorausgesetzt, BGH 5 StR 546/06, Urt. v. 18.04.2007, Rn. 28 (juris) = HRRS 2007 Nr. 463; die Zulässigkeit telefonischer Anordnungen verneinend aber LG Hamburg 603 Qs 470/07, Beschl. v. 12.11.2007, Rn. 9 (juris).
[4] Zum Problem des "unwilligen" Richters, der eine mündliche Entscheidung ablehnt, insb. zur Frage, ob der Polizeibeamte in solchen Fällen die Blutentnahme doch noch selbst anordnen darf s.u. Fn. 54 und Kraft JuS 2011, 591, 592 f.
[5] Zur Frage des Verhältnisses der Polizeibeamten zur Staatsanwaltschaft BVerfG 2 BvR 1046/08, Beschl. v. 11.06.2010, Rn. 26 (juris) = HRRS 2010 Nr. 652; Ebert ZIS 2010, 249, 255. Unabhängig hiervon führt die falsche Beantwortung dieser Frage durch den Polizeibeamten jedenfalls aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu einem Beweisverwertungsverbot, BVerfG 2 BvR 1596/10, 2 BvR 2346/10, Beschl. v. 24.02.2011, Rn. 14. (juris) = HRRS 2011 Nr. 478.
[6] Ebert ZIS 2010, 249, 254.
[7] Interessanter Weise geschieht das unter den nördlichen Oberlandesgerichte häufiger als unter den südlichen, Vergho SVR 2011, 201, 202 m.w.N.
[8] Anzumerken sei, dass auch die Annahme eines Beweisverwertungsverbot nicht zwangsläufig zum Freispruch des Angeklagten führen muss, da der Tatnachweis ggf. auch durch andere Beweise – wie Zeugen oder leere Bierflaschen im Unfallfahrzeug – möglich bleibt, vgl. OLG Naumburg 1 Ss 38/10, Urt. v. 07.02.2011, Rn. 30 (juris). Für die Fahrerlaubnisbehörde bei der Beurteilung der Fahreignung gilt das strafrechtliche Beweisverwertungsverbot im Übrigen nicht. Anders als im Strafverfahren kann die Behörde daher die Anordnung auch auf das Ergebnis einer Blutentnahme stützen, die unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt gewonnen worden ist.
[9] BVerfG 2 BvR 784/08, Beschl. v. 28.07.2008, Rn. 9 (juris) = HRRS 2009 Nr. 221.
[10] Siehe hierzu näher unten 6.
[11] Ebert ZIS 2010, 249, 254.
[12] Kraft JuS 2011, 591, 595, mit Hinweisen zur Gegenmeinung; Ebert ZIS 2010, 249, 254.
[13] Kraft JuS 2011, 591, 594.
[14] OLG Brandenburg 1 Ws 7/09, Beschl. v. 26.01.2009, Rn. 3 (juris).
[15] Bei § 81a Abs. 2 StPO heißt es "bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung", was aber dem kürzeren Begriff Gefahr im Verzug entspricht, Ebert ZIS 2010, 249, 251.
[16] OLG Hamm, 2 Ss 117/09, Beschl. v. 28.04.2009, Rn. 25 (juris).
[17] OLG Köln III-1 RVs 220/10, 1 RVs 220/10, Beschl. v. 21.12.2010, Rn. 13 (juris).
[18] OLG Frankfurt 3 Ss 285/10, Urt. v. 08.11.2010, Rn. 11 (juris).
[19] OLG Hamm 2 Ss 117/09, Beschl. v. 28.04.2009, Rn. 14 (juris).
[20] Vgl. Kudlich HRRS 2011, 114 ff., der der Widerspruchslösung allerdings generell kritisch gegenübersteht.
[21] OLG Frankfurt 3 Ss 285/10, Urt. v. 08.11.2010, Leitsatz 2 (juris).
[22] Thüringer OLG 1 Ss Bs 23/11, Beschl. v. 30.05.2011, Rn. 9 (juris).
[23] Vgl. z.B. OLG Hamm 3 RVs 93/10, III-3 RVs 93/10, Beschl. v. 02.11.2010, Rn. 14 m.w.N. (juris).
[24] Kraft JuS 2011, 591. Die fehlende Belehrung wird aber in der Regel nicht zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen, vgl. LG Saarbrücken 2 Qs 53/08, Beschl. v. 13.11.2008, Rn. 10; vgl. ferner Vergho SVR 2011, 201, 203, wonach die Einwilligung jedenfalls dann unwirksam sein soll, wenn die fehlende Belehrung im Zusammenhang mit einer bewussten und gezielten Umgehung des Richtervorbehalts seitens der Strafverfolgungsbehörden steht.
[25] Zu beachten ist jedoch, dass das, was vor dem Widerruf ermittelt worden ist, verwertbar bleibt, Kraft JuS 2011, 591.
[26] Vgl. z.B. OLG Hamm 3 RVs 93/10, III-3 RVs 93/10, Beschl. v. 02.11.2010, Rn. 15 m.w.N. (juris).
[27] Vgl. z.B. OLG Hamm 3 RVs 93/10, III-3 RVs 93/10, Beschl. v. 02.11.2010, Rn. 16 m.w.N. (juris).
[28] OLG Hamm 3 RVs 93/10, III-3 RVs 93/10, Beschl. v. 02.11.2010, Rn. 17 (juris).
[29] OLG Hamm III-3 RVs 104/10, 3 RVs 104/10, Beschl. v. 20.02.2011, Rn. 22 (juris).
[30] OLG Hamm 2 Ss 117/09, Beschl. v. 28.04.2009, Rn. 23; OLG Bamberg 2 Ss 15/09, 2 Ss 15/2009, Beschl. v. 19.03.2009, Rn. 26; HansOLG 2 – 81/07 (REV), 2 – 81/07 (REV) – 1 Ss 226/07, Beschl. v. 04.02.2008, Rn. 21 (juris).
[31] Deutscher StRR 2011, 196, 198.
[32] OLG Bamberg 3 Ss 14/11, Urt. v. 22.03.2011, Leitsatz 1 (juris).
[33] Vergho SVR 2011, 201, 204.
[34] Wie viele Blutentnahmen werden in der Nacht im Durchschnitt vorgenommen?
[35] OLG Hamm 3 Ss 31/09, Beschl. v. 12.03.2009, Rn. 12 (juris).
[36] OLG Hamm 3 Ss 31/09, Beschl. v. 12.03.2009, Rn. 23 (juris).
[37] Peglau jurisPR-StrafR 9/2011 Anm. 1.
[38] OLG Köln 83 Ss 100/09, Beschl. v. 15.01.2010, Rn. 15 (juris).
[39] OLG Köln 83 Ss 100/09, Beschl. v. 15.01.2010, Rn. 16 ff. (juris).
[40] Burhoff StRR 2011, 154.
[41] BVerfG 2 BvR 1596/10, 2 BvR 2346/10, Beschl. v. 24.02.2011, Orientierungssatz 2b (juris) = HRRS 2011 Nr. 478.
[42] BVerfG 2 BvR 1596/10, 2 BvR 2346/10, Beschl. v. 24.02.2011, Orientierungssatz 2b (juris) = HRRS 2011 Nr. 478.
[43] OLG Naumburg 1 Ss 38/10, Urt. v. 07.02.2011, Rn. 17 ff. (juris).
[44] Siehe zu diesem Beschluss bereits oben 4.
[45] BVerfG 2 BvR 784/08, Beschl. v. 28.07.2008, Orientierungssatz 1c (juris) = HRRS 2009 Nr. 221; vgl. auch Burhoff StRR 2011, 154.
[46] Ebert ZIS 2010, 249, 255 f.; Kraft JuS 2011, 591, 593 f.
[47] KG Berlin (3) 1 Ss 204/09 (71/09), Beschl. v. 01.07.2009, Rn. 3 (juris).
[48] Siehe z.B. OLG Dresden 1 Ss 90/09, Urt. v. 11.05.2009, Rn. 7 ff. (juris); OLG Schleswig 1 Ss OWi 92/09 (129/09), Urt. v. 26.10.2009, Rn. 18 ff. (juris). Weitere Entscheidungen finden sich bei Peglau NJW 2010, 2850, Fn. 1.
[49] OLG Frankfurt 2 Ss OWi 887/10, Beschl. v. 29.07.2011 (juris).
[50] OLG Düsseldorf IV-4 RBs 33/11, 4 RBs 33/11, Beschl. v. 28.02.2011 (juris).
[51] OLG Düsseldorf IV-4 RBs 33/11, 4 RBs 33/11, Beschl. v. 28.02.2011, Rn. 21 (juris).
[52] OLG Frankfurt 2 Ss OWi 887/10, Beschl. v. 29.07.2011, Rn. 26 (juris).
[53] OLG Frankfurt 2 Ss OWi 887/10, Beschl. v. 29.07.2011, Rn. 32 (juris).
[54] Die Berufung auf Gefahr im Verzug ist in einer solchen Situation nicht ausgeschlossen, BGH 5 StR 200/05, Beschl. v. 11.08.2005, Rn. 12 = HRRS 2005 Nr. 861; Peglau NJW 2010, 2850, 2851; a.A. LG Berlin 522a-2/09, 522a – 2/09, (522a) 1 Kap Js 1366/09 KLs (2/09), Beschl. v. 30.11.2009, Rn. 5 (juris). Obergerichtlich noch nicht entschieden wurde, ob dies auch dann gilt, wenn der Richter sich unberechtigt einer telefonischen Befassung verweigert.
[55] Ebert ZIS 2010, 249, 254.
[56] So der BGH-Präsident Tolksdorf schon 2010, BGH-Präsident will Blutprobe ohne Richterbeschluss, Spiegel Online, 05.02.2010, abrufbar unter http://www.spiegel.de/auto/aktuell/0,1518,676185,00.html (zuletzt abgerufen 06.10.2011). Auch Tolksdorf setzt sich für die Abschaffung des Richtervorbehalts im Straßenverkehr ein.
[57] BVerfG 2 BvR 1596/10, 2 BvR 2346/10, Beschl. v. 24.02.2011, Orientierungssatz 3b (juris) = HRRS 2011 Nr. 478.
[58] BT-Drs. 17/4232, 1 ff. In § 81a StPO soll folgender Satz eingefügt werden: "Einer richterlichen Anordnung bedarf es nicht in den Fällen der §§ 315a und 315c bis 316 des Strafgesetzbuchs, wenn eine Blutprobenentnahme dem Nachweis von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten im Blut dienen soll. § 98 Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend."
[59] BT-Drs. 17/4232, 7: "Die Bundesregierung wird den Vorschlag des Bundesrates, den Richtervorbehalt für die strafprozessuale Anordnung einer Blutentnahme einzuschränken, im weiteren Verfahren unter Beachtung rechtstaatlicher Anforderungen und der Sicherstellung einer effektiven Strafverfolgung näher prüfen."