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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
November 2011
12. Jahrgang
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1. Auch im Verfahren über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung ist eine Verwerfung des Antrags durch Prozessurteil möglich, denn die Zulässigkeit der Durchführung des Verfahrens ist davon abhängig, dass seine Verfahrensvoraussetzungen vorliegen.
2. Angesichts des Verzichts des Gesetzes auf ein Zwischenverfahren entsprechend §§ 199 ff. StPO hat das Gericht die Verfahrensvoraussetzungen im Sicherungsverfahren zu Beginn der Hauptverhandlung zu prüfen.
3. Die Antragsschrift der Staatsanwaltschaft nach § 275a StPO muss jedenfalls eine Begründung enthalten. Diese darf sich nicht in der pauschalen Behauptung erschöpfen, die formellen Voraussetzungen der nachträglichen Sicherungsverwahrung lägen vor. Vielmehr muss sie die Entschließung der Staatsanwaltschaft nachvollziehbar machen und die formellen Voraussetzungen der für gegeben erachteten Anordnungsnorm im Einzelnen darlegen. Ferner muss sie die Behauptung enthalten, dass nach vorläufiger Einschätzung der Staatsanwaltschaft die materiellen Voraussetzungen der nachträglichen Sicherungsverwahrung im weiteren Verfahren festgestellt werden können.
4. Darüber hinaus kann die Staatsanwaltschaft die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nur dann beantragen, wenn nach Schlüssigkeitsprüfung und vorläufiger Bewertung die begründete Erwartung besteht, dass die Maßregel verhängt werden kann. Diese Vorbewertung unterliegt gleichfalls der tatgerichtlichen Überprüfung.
5. Unter den Aspekten der Rückwirkung und des rechtsstaatlich gebotenen Vertrauensschutzes ist die Vorschrift des § 7 Abs. 2 JGG gegenüber § 66b StGB eher noch in stärkerem Maße bedenklich. Die Sicherungsverwahrung kann danach nachträglich nur noch dann angeordnet werden, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualverbrechen aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Verurteilten abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG leidet.
1. Nach § 246a Satz 2 StPO ist ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und seine Behandlungsaussichten zu vernehmen, wenn das Gericht eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt erwägt. Diese Vorschrift ist § 454 Abs. 2 Satz 1 StPO nachgebildet und trägt nach dem Willen des Gesetzgebers in erster Linie der zugleich vorgenommenen Umwandlung von § 64 StGB in eine Soll-Vorschrift Rechnung. Danach ist der Tatrichter auch weiterhin grundsätzlich verpflichtet, einen Sachverständigen anzuhören, wenn nach den Umständen des Einzelfalls eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt in Betracht kommt und deshalb eine Anordnung dieser Maßregel konkret zu erwägen ist.
2. Von dieser Verpflichtung ist er allerdings dann befreit, wenn er die Maßregelanordnung nach § 64 StGB allein in Ausübung seines Ermessens nicht treffen will und diese Entscheidung von sachverständigen Feststellungen unabhängig ist. Ob darüber hinaus von einer Begutachtung auch dann abgesehen werden darf, wenn eine grundsätzlich in Betracht kommende Maßregelanordnung nach
§ 64 StGB nicht in Erwägung gezogen wird, weil nach den Umständen des Einzelfalls das Fehlen einer hinreichenden Erfolgsaussicht auf der Hand liegt, braucht der Senat nicht zu entscheiden.
3. Kann über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine im Raum stehende Maßregelanordnung nach § 64 StGB keine Klarheit gewonnen werden, weil die Erkenntnismöglichkeiten des Tatrichters zur Beurteilung des Zustands des Angeklagten nicht ausreichen, ist die Beiziehung eines Sachverständigen nach § 246a Satz 2 StPO geboten. Dabei gehört es auch zu den Aufgaben des Sachverständigen, durch eine entsprechende Befragung des Angeklagten im Rahmen der Exploration und die Auswertung – gegebenenfalls noch herbeizuschaffenden – Aktenmaterials Defizite des Gerichts bei der Tatsachenfeststellung auszugleichen.
1. Den Anforderungen des § 213 Alternative 1 StGB genügen nur solche Provokationen, die bei objektiver Betrachtung, also nicht nur aus der Sicht des Täters, geeignet sind, den Täter die erlittene Kränkung als schwere Beeinträchtigung seiner Persönlichkeit empfinden zu lassen, und ihn deswegen in eine heftige Gemütsbewegung versetzen.
2. Insofern ist auf Grundlage aller dafür maßgebenden Umstände, namentlich unter Berücksichtigung der gesamten Beziehung der Streitenden, zu beurteilen, ob die Kränkung als schwere Beleidigung zu bewerten ist. Dabei ist auch deren Lebenskreis in den Blick zu nehmen, um so den Stellenwert der Provokation für die Motivationsgenese des Täters objektiv beurteilen zu können.
3. Auch eine für sich gesehen nicht als gravierend einzustufende Kränkung kann als schwer zu beurteilen sein, wenn sie nach einer Reihe von Kränkungen oder ehrverletzenden Situationen der „Tropfen“ war, der „das Fass zum Überlaufen gebracht“ hat.
4. Die Provokation des Täters durch das Tatopfers muss von diesem bewusst ausgehen.
Für die Beurteilung eines Totschlags als minder schwer Fall im Sinne des § 213 StGB ist nicht maßgebend, ob sich die Tat als Spontantat darstellt. Es kommt vielmehr darauf an, ob die in den Schlägen des Geschädigten liegende Kränkung einen noch anhaltenden Zorn des Angeklagten hervorgerufen und diese ihn zu seiner Tat hingerissen hat.
Schon die – vorbehaltslose – Erwähnung der früheren Verurteilung in der Hauptverhandlung und in den Urteilsgründen stellt einen unzulässigen Vorhalt und daher einen Verstoß gegen § 51 Abs. 1 BZRG dar. Er kann den Bestand des Rechtsfolgenausspruchs allerdings dann nicht gefährden, wenn auszuschließen wäre, dass sich der Rechtsfehler bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat.
1. Ein die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigender Zustand im Sinne des § 63 StGB kann auch vorliegen, wenn der Täter an einer länger dauernden krankhaften geistig-seelischen Störung leidet, bei der bereits geringer Alkoholkonsum oder andere alltägliche Ereignisse eine akute erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies auch bereits getan haben.
2. Für einen Hang im Sinne des § 64 StGB reicht es aus, wenn der Angeklagte eine ihn treibende oder beherrschende Neigung hat, Alkohol in einem Umfang zu konsumieren, durch welchen Gesundheit, Arbeits- oder Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt werden.
1. Voraussetzung der Einziehung nach § 33 Abs. 2 Satz 1 BtMG ist, dass die Betäubungsmittel Gegenstand der von der Anklage umschriebenen und vom Gericht festgestellten Tat sind.
2. Für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) ist nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstat ist. Vielmehr ist ein hinreichender Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat und dies bei unverändertem Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist.
3. Weist der Angeklagte – neben einem Hang im Sinne des § 64 StGB – für die Begehung von Straftaten mitur-
sächliche Persönlichkeitsmängel auf, so steht dies der Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB nur dann entgegen, wenn die Unterbringung ausschließlich der Besserung des Angeklagten dient, also sich nicht gleichzeitig günstig auf die Interessen der öffentlichen Sicherheit im Sinne einer Verminderung der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit auswirkt, und wenn bei erfolgreichem Verlauf der Behandlung das Ausmaß seiner Gefährlichkeit nach Frequenz und krimineller Intensität der von ihm zu befürchtenden Straftaten nicht deutlich herabgesetzt wird.
Gemäß § 72 Abs. 2 StGB ist die kumulative Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und der Sicherungsverwahrung möglich, weil erstere gegenüber letzterer „kein geringeres, sondern ein anderes Übel“ ist. Die Gefahrenabwehr ist der gemeinsame Zweck beider Maßregeln. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zielt auf Heilung des psychischen Zustandes ab, um diesen Zweck zu erreichen. Ihr kann gegenüber der Sicherungsverwahrung der Vorrang eingeräumt werden, wenn der Hang zu erheblichen Straftaten auf einen psychischen Defekt zurückzuführen ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Sicherungsverwahrung ultima-ratio-Charakter zukommt.