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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
November 2011
12. Jahrgang
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1. Hat die Vollzugsbehörde eine gerichtliche Entscheidung, in der sie zur Neubescheidung unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben des Gerichts verurteilt wurde, nicht oder unter willkürlicher Missachtung der Bindungswirkung umgesetzt, so darf das Gericht statt der Vollzugsbehörde in der Sache entscheiden.
2. Hat die Vollzugsanstalt nach Aufhebung und Zurückverweisung einer vollzuglichen Entscheidung eine neue Entscheidung zu treffen, so muss sie die weitere Entwicklung der Persönlichkeit des Gefangenen berücksichtigen und darf nicht auf dem zwangsläufig mehrere Monate alten Stand der aufgehobenen Entscheidung verharren. Die Vollzugsplanung hat sich jeweils an den zur Verfügung stehenden aktuellen Erkenntnissen zu orientieren (§ 7 Abs. 3 StVollzG). Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Beurteilung, ob ein Gefangener für Vollzugslockerungen oder den offenen Vollzug geeignet ist, aber auch für die Entscheidung über sonstige Behandlungsmaßnahmen. Bei der Ausübung des insoweit eröffneten Ermessens und der Ausfüllung der vorhandenen Beurteilungsspielräume hat die Vollzugsbehörde von zutreffenden und vollständigen tatsächlichen Grundlagen auszugehen.
3. Gleiches gilt, wenn die Entscheidung über die Verlegung und die Erstellung eines neuen Vollzugsplans vom Gericht gemäß § 115 Abs. 4 Satz 2 StVollzG als Maßnahme der Folgenbeseitigung angeordnet worden ist.
4. Die gerichtliche Entscheidung hat auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Vollzugsbehörde ihre letzte Entscheidung getroffen hat, wenn der Behörde ein Beurteilungsspielraum und ein Ermessen zusteht.
5. Zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist eine Rechtsbeschwerde in Strafvollzugssachen zulässig, wenn vermieden werden soll, dass schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen, wobei es auch darauf ankommt, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung im Ganzen hat.
6. Der der Vollzugsbehörde bei der Entscheidung über Flucht- oder Missbrauchsgefahr eingeräumte Beurteilungsspielraum und ihr Ermessen sind eingeschränkt, wenn zuvor eine gerichtliche Entscheidung ergangen ist. Diese ist zwar nicht vollstreckbar; die Behörde muss sie aber umsetzen. Dies kann der Gefangene zu gegebener Zeit auch mittels eines Vornahmeantrags nach § 113 StVollzG durchsetzen.
7. In einem neuen Bescheid nach Aufhebung und Zurückverweisung muss die Vollzugsbehörde die gerichtliche Entscheidung nach deren Wortlaut und Sinn beachten, weil sie ihr gegenüber eine Bindungswirkung entfaltet. Die Beachtung dieser Bindung erfordert es, dass sich die gerichtlichen Überlegungen in der neuen Entscheidung wiederfinden und dass die Vollzugsbehörde nicht den Eindruck erweckt, gegen die Bindungswirkung zu opponieren.
8. Die Pflicht der Vollzugsbehörde, gerichtliche Anordnungen zu befolgen, setzt nicht die Rechtskraft voraus. Sie tritt gemäß § 116 Abs. 3 Satz 1 StVollzG ausdrücklich und ohne Einschränkung bereits mit deren Bekanntmachung gegenüber der Vollzugsbehörde ein, sofern das Rechtsmittelgericht keine einstweilige Anordnung gemäß § 116 Abs. 3, 114 Abs. 2 StVollzG erlässt. Sogar ein Antrag auf Aussetzung des Vollzuges hemmt diese Verpflichtung nur dann, wenn der Anstaltsleiter ihn unverzüglich gestellt hat.
9. Personale Defizite eines Strafgefangenen, die während einer früheren Strafaussetzung zur Bewährung zutage getreten sind, betreffen vor allem die Kriminalprognose für ein Verhalten in der Freiheit. Sie vermögen aber nicht ohne weiteres zu erklären, warum dem Gefangenen die für die Eignung für den offenen Vollzug spezifischen Fähigkeiten fehlen sollen, nämlich korrekte Führung unter geringerer Aufsicht, loyale Bereitschaft zu eigenem Bemühen und Einordnungsbereitschaft.
10. Der Behandlungsbedarf eines Gefangenen ist kein gesetzliches Merkmal des § 10 Abs. 1 StVollzG, das der Eignung für den offenen Vollzug entgegenstünde oder eine Missbrauchsgefahr begründen könnte.
1. Das Tatbestandsmerkmal der wiederholten Zuwiderhandlung nach § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erfordert weder eine Ahndung des Erstverstoßes noch eine sonstige behördliche Reaktion, die geeignet ist, dem Ausländer sein Fehlverhalten vor Augen zu führen. (BGHSt)
2. Eine wiederholte Zuwiderhandlung setzt einen vorsätzlich begangenen Erstverstoß voraus. (Bearbeiter)
3. Dem Übermaßverbot kommt wegen des in Androhung, Verhängung und Vollziehung von Strafe zum Ausdruck kommenden sozialethischen Unwerturteils als Maßstab für die verfassungsrechtliche Legitimierung einer Strafnorm besondere Bedeutung zu (BVerfGE 90, 145, 185; 92, 277, 326). Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es aber grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns verbindlich festzulegen. Demgemäß obliegt es diesem u.a., die Grenzlinie zwischen kriminellem Unrecht und Ordnungsunrecht im Einzelnen zu ziehen; ihm ist mit Blick auf die in diesem Grenzbereich unter Umständen nur graduellen Unterschiede ein nicht unerheblicher Spielraum eigenverantwortlicher Bewertung einzuräumen (BVerfGE 80, 182, 186; 96, 10, 26).
4. Diesen weiten Gestaltungsspielraum überschreitet die Regelung in § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG nicht dadurch, dass sie zur Erfüllung des Vergehenstatbestands eine staatliche Reaktion auf den Erstverstoß nicht verlangt. (Bearbeiter)
5. Ein beharrliches Handeln des Täters setzt voraus, dass das entsprechende Verbot aus Missachtung oder Gleichgültigkeit immer wieder übertreten wird. Erforderlich ist demnach in objektiver Hinsicht stets zumindest ein vorangegangener Verstoß. Hinzukommen muss allerdings als subjektives Element eine besondere Gesinnung. Zu deren Beurteilung ist eine Gesamtwürdigung der verschiedenen Handlungen erforderlich. Dabei stehen die einzelnen in Betracht kommenden Elemente nicht isoliert nebeneinander; vielmehr bestehen Wechselwirkungen, die jeweils Rückschlüsse auf das Vorliegen der anderen Kriterien erlauben (vgl. im Einzelnen BGHSt 54, 189, 196, 198). (Bearbeiter)
1. Unter die strafbewehrte Erlaubnispflicht nach § 1 Abs. 1 HeilprG fallen nur solche Behandlungen, die gesundheitliche Schäden verursachen können. Bei dem Straftatbestand des § 5 HeilprG handelt es sich um ein potentielles Gefährdungsdelikt, bei dem nur eine generelle Gefährlichkeit der konkreten Tat, nicht aber der Eintritt einer konkreten Gefahr zum Tatbestand gehört. (BGHR)
2. Ausübung der Heilkunde ist jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen (§ 1 Abs. 2 HeilprG). Wegen der mit dem Erlaubniszwang verbundenen Beschränkung des Grundrechts der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine verfassungskonforme einschränkende Auslegung dieses Begriffs geboten; danach fallen nur solche Behandlungen unter die Erlaubnispflicht, die gesundheitliche Schäden verursachen können,
wobei nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein nur geringfügiges Gefahrenmoment nicht ausreicht. Mit dieser Auslegung, nach der allein das Gefährdungspotential der in Rede stehenden Tätigkeit geeignet ist, die strafbewehrte Erlaubnispflicht nach dem Heilpraktikergesetz auszulösen, soll deren Gesetzeszweck Rechnung getragen werden, der Bevölkerung einen ausreichenden Schutz gegenüber Gesundheitsgefährdungen durch Unberufene zu geben. (Bearbeiter)
3. Einzelfall der bejahenden Anwendung auf die Psychotherapie in Form der Synergetik. (Bearbeiter)
1. Zwar beginnt die Verjährung der Bestechlichkeit nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs spätestens mit dem Ausscheiden des Täters als Beamter, was auch dann gilt, wenn er noch später Vorteile für seine frühere Bestechlichkeit erhält und annimmt (BGHSt 11, 345). Der Senat lässt offen, ob er an seiner bisherigen Rechtsprechung zur Bestechlichkeit festhält. Sie ist jedenfalls nicht auf den Tatbestand der Bestechung zu übertragen.
2. Sind sich der Amtsträger und der Bestechende über die pflichtwidrige Diensthandlung sowie die hierfür zu erbringende Gegenleistung einig und wird die Unrechtsvereinbarung auch tatsächlich vollständig umgesetzt, so kommt es für die Tatbeendigung auf die jeweils letzte Handlung zur Erfüllung der Unrechtsvereinbarung an. Wird die pflichtwidrige Diensthandlung hingegen erst nach der Zuwendung des Vorteils vorgenommen, so führt erst dies zur Beendigung der Tat. Zwar ist die Vornahme der pflichtwidrigen Diensthandlung nicht objektives tatbestandliches Element des § 332 Abs. 1 Satz 1 StGB; die Bestechlichkeit ist vielmehr bereits dann vollendet, wenn der Amtsträger für eine ausgeübte oder künftige pflichtwidrige Diensthandlung einen Vorteil fordert, sich versprechen lässt oder annimmt. Die pflichtwidrige Diensthandlung ist aber dennoch zentraler Bezugspunkt all dieser Tatbestandsvarianten. Wird die pflichtwidrige Diensthandlung erst nach der Zuwendung des Vorteils vorgenommen, so findet der Angriff auf das Schutzgut des § 331 StGB erst darin seinen Abschluss.
3. Bei der Anwendung der Rückfallklausel des DBA Kanada muss zunächst die Vorfrage beantwortet werden, welcher Staat der Ansässigkeitsstaat war. Ein Beweisantrag, der auf den Beleg der Ansässigkeit in Kanada gerichtet ist, ist deshalb nicht bedeutungslos.
4. Erweist sich die Revision hinsichtlich der gesamten Verurteilung als begründet, so sind mit dem Urteil an sich auch die ihm zugrunde liegenden, gemäß § 267 Abs. 1 und Abs. 5 StPO in die Urteilsgründe aufgenommenen Feststellungen insgesamt aufzuheben, um dem Tatrichter, an den die Sache zurückverwiesen wird, Gelegenheit zu einer umfassenden neuen Sachverhaltsfeststellung zu geben. Das gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Das Revisionsgericht hat insbesondere zu prüfen, ob und inwiefern sich der angenommene Rechtsverstoß überhaupt auf die Sachverhaltsfeststellung ausgewirkt hat. Sodann ist zu untersuchen, in welchem Umfang die betroffenen Feststellungen aus dem Gesamtzusammenhang des festgestellten Sachverhalts herausgelöst werden können, ohne dass damit die anderen Feststellungen, und sei es auch nur durch Wegfall eines Beweisanzeichens, in Zweifel gezogen werden.
5. In den Urteilsgründen eines Einstellungsurteils wegen Verjährung muss grundsätzlich, von der zugelassenen Anklage ausgehend, in revisionsrechtlich nachprüfbarer Weise dargelegt werden, aus welchen Gründen die Durchführung des Strafverfahrens unzulässig ist, d.h. die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen des Verfahrenshindernisses sind festzustellen und anzugeben. Der Umfang der Darlegung richtet sich nach den besonderen Gegebenheiten des Einzelfalles, insbesondere nach der Eigenart des Verfahrenshindernisses (BGHSt 56, 6 mwN). Gerade bei der Prüfung der Voraussetzungen der Verjährung sind die tatsächlichen Voraussetzungen des behaupteten Verfahrenshindernisses, das zur Einstellung des Verfahrens nach § 260 Abs. 3 StPO führen müsste, hinreichend festzustellen. Hier benötigt ein Einstellungsurteil eine vom Tatrichter festzustellende Sachverhaltsgrundlage. Erst auf dieser Grundlage lässt sich die Verjährungsfrage beurteilen. Daher sind in solchen Fällen eine umfassende Beweisaufnahme und detaillierte Feststellungen zum Tatgeschehen erforderlich, bevor die Verjährungsfrage beurteilt werden kann.
6. Zu schätzen sind nicht die verkürzten Steuern, sondern die je nach Gewinnermittlungsmethode maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen. Die Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich als Grundform hat nur Bedeutung für die Frage, nach welcher Methode der Gewinn zu ermitteln ist, wenn der Steuerpflichtige keine (wirksame) Wahl für die eine oder andere Gewinnermittlungsart getroffen hat. In einem solchen Fall bleibt es bei der Grundform des § 4 Abs. 1 EStG, also bei der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich (BFHE 224, 513). Formal wird das Wahlrecht dabei allein durch die Bestandskraft der Steuerfestsetzung bzw. Feststellung begrenzt. In materiell-rechtlicher Hinsicht wird das Wahlrecht auch durch die in § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG genannten Voraussetzungen beschränkt.
7. Eine Schätzung muss sich nicht auf nicht geltend gemachte steuermindernde Tatsachen erstrecken, wenn
diese vom Kompensationsverbot (§ 370 Abs. 4 Satz 3 AO) betroffen sind. Nicht vom Kompensationsverbot erfasst werden im Ergebnis aber auch solche Umstände, die als Faktoren im Rahmen der Schätzung selbst berücksichtigt werden müssen. In die Schätzung einbezogen werden müssen jedenfalls solche steuermindernde Faktoren, für die das Kompensationsverbot ohnehin nicht gilt, weil sie mit den verschwiegenen steuererhöhenden Umständen in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, so dass die Steuerermäßigung nicht „aus anderen Gründen“ zu erfolgen hat. Die vom Kompensationsverbot erfassten steuermindernden Umstände sind dann aber bei der Strafzumessung zu berücksichtigen; ihr Umfang ist erforderlichenfalls ebenfalls durch Schätzung zu bestimmen. Wiegen die steuermindernden Tatsachen – einschließlich derjenigen, die dem Kompensationsverbot unterfallen – und die verschwiegenen steuererhöhenden Faktoren sich gegenseitig auf, kann dies ein Umstand sein, der für die Frage des Hinterziehungsvorsatzes von Bedeutung sein kann (vgl. BGH NStZ 1991, 89).
1. Ob ein Tatumstandsirrtum auch dann vorliegt, wenn der Irrtum über das Bestehen eines Steueranspruchs allein auf einer Fehlvorstellung über die Reichweite steuerlicher Normen beruht, oder ob dann vielmehr ein Verbotsirrtum (§ 17 StGB) gegeben ist, lässt der Senat offen. Diese Frage stellt sich erst dann, wenn ein rechtserheblicher Irrtum über das Bestehen eines Steueranspruchs festgestellt ist. Ein solcher Irrtum liegt aber dann nicht vor, wenn der Erklärungspflichtige hinsichtlich der Verkürzung eines Steueranspruchs mit Eventualvorsatz handelt.
2. Bei der Klärung der Frage, ob ein solcher Irrtum bestanden hat, ist Folgendes zu beachten:
a) Die bloße Berufung eines Angeklagten auf einen derartigen Irrtum nötigt das Tatgericht nicht, einen solchen Irrtum als gegeben anzunehmen. Es bedarf vielmehr einer Gesamtwürdigung aller Umstände, die für das Vorstellungsbild des Angeklagten von Bedeutung waren. Auch hier ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten eines Angeklagten Umstände oder Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen – außer der bloßen Behauptung des Angeklagten – keine Anhaltspunkte bestehen.
b) Ein Tatumstandsirrtum scheidet bei Steuerhinterziehung durch Unterlassen im Übrigen dann aus, wenn der Täter es für möglich hält, dass er die Finanzbehörde über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dass durch sein Verhalten Steuern verkürzt werden oder dass er oder ein anderer nicht gerechtfertigte Vorteile erlangt. Weitergehende Einschränkungen der Annahme eines Eventualvorsatzes ergeben sich auch nicht aus der voluntativen Seite des Vorsatzes. Ob der Täter will, dass ein Steueranspruch besteht, ist für den Hinterziehungsvorsatz bedeutungslos. Hält er die Existenz eines Steueranspruchs für möglich und lässt er die Finanzbehörden über die Besteuerungsgrundlagen gleichwohl in Unkenntnis, findet er sich also mit der Möglichkeit der Steuerverkürzung ab, handelt er mit bedingtem Tatvorsatz.
c) Ob ein Angeklagter das Bestehen eines Steueranspruchs für möglich gehalten hat, muss vom Tatgericht im Rahmen der Beweiswürdigung geklärt werden. Dabei hat das Gericht bei Kaufleuten deren Umgang mit den in ihrem Gewerbe bestehenden Erkundigungspflichten in die Würdigung einzubeziehen. Informiert sich ein Kaufmann über die in seinem Gewerbe bestehenden steuerrechtlichen Pflichten nicht, kann dies auf seine Gleichgültigkeit hinsichtlich der Erfüllung dieser Pflichten hindeuten. Dasselbe gilt, wenn es ein Steuerpflichtiger unterlässt, in Zweifelsfällen Rechtsrat einzuholen. Auch in Fällen, in denen ein nicht steuerlich sachkundiger Steuerpflichtiger eine von ihm für möglich gehaltene Steuerpflicht dadurch vermeiden will, dass er von der üblichen Geschäftsabwicklung abweichende Vertragskonstruktionen oder Geschäftsabläufe wählt, kann es für die Inkaufnahme einer Steuerverkürzung sprechen, wenn er keinen zuverlässigen Rechtsrat einholt, sondern allein von seinem laienhaften Rechtsverständnis ausgeht. Dies gilt nicht nur bei rechtlich schwierigen oder ungewöhnlichen Inlandsgeschäften, sondern gerade auch bei grenzüberschreitenden Lieferungen oder Leistungen.
3. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört zum Vorsatz der Steuerhinterziehung, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will. Für eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung bedarf es aber keiner Absicht oder eines direkten Hinterziehungsvorsatzes; es genügt, dass der Täter die Verwirklichung der Merkmale des gesetzlichen Tatbestands für möglich hält und billigend in Kauf nimmt (Eventualvorsatz). Der Hinterziehungsvorsatz setzt deshalb weder dem Grunde noch der Höhe nach eine sichere Kenntnis des Steueranspruchs voraus (vgl. BGH HFR 2010, 866).
4. War das Gesamtsystem eines Geschäftsbetriebes schon vor der erstmaligen Konfrontation mit dem Vorwurf der Steuerhinterziehung auf Täuschung angelegt, dann kann auch die darin einbegriffene Ausstellung von Rechnungen mit gegenüber dem deutschen Steuersatz zum Teil deutlich niedrigeren ausländischen Umsatzsteuersätzen in der Beweiswürdigung kein Indiz für eine beabsichtigte Steuerehrlichkeit des Angeklagten sein.
5. Zwar können und müssen die Gründe auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt vielmehr von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalls ab; dieser kann so beschaffen sein, dass sich die Erörterung bestimmter einzelner Beweisumstände erübrigt. Insbesondere dann, wenn das Tatgericht auf Freispruch erkennt, obwohl gegen den Angeklagten ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muss es jedoch in seine
Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich möglicherweise gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten.
6. Ein Teilfreispruch vom Vorwurf der Steuerhinterziehung scheidet aus, wenn eine nahe liegende Ordnungswidrigkeit nach § 378 AO nicht geprüft wird.
7. Leichtfertig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Einzelfalls und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, obwohl sich ihm aufdrängen musste, dass dadurch eine Steuerverkürzung eintreten wird. Jeder Steuerpflichtige muss sich über diejenigen steuerlichen Pflichten unterrichten, die ihn im Rahmen seines Lebenskreises treffen. Dies gilt in besonderem Maße in Bezug auf solche steuerrechtlichen Pflichten, die aus der Ausübung eines Gewerbes oder einer freiberuflichen Tätigkeit erwachsen. Bei einem Kaufmann sind deshalb jedenfalls bei Rechtsgeschäften, die zu seiner kaufmännischen Tätigkeit gehören, höhere Anforderungen an die Erkundigungspflichten zu stellen als bei anderen Steuerpflichtigen. In Zweifelsfällen hat er von sachkundiger Seite Rat einzuholen. Dies gilt insbesondere dann, wenn er die erkannte Steuerpflichtigkeit eines Geschäfts durch eine modifizierte Gestaltung des Geschäfts zu vermeiden sucht. Zudem ist es Steuerpflichtigen regelmäßig möglich und zumutbar, offene Rechtsfragen nach Aufdeckung des vollständigen und wahren Sachverhalts im Besteuerungsverfahren zu klären.
1. Für die Beurteilung, ob ein sozialversicherungs- und lohnsteuerpflichtiges Arbeitsverhältnis vorliegt, sind allein die tatsächlichen Gegebenheiten maßgeblich, nicht eine zur Verschleierung gewählte Rechtsform. Dementsprechend können die Vertragsparteien die sich aus einem Arbeitsverhältnis ergebenden Beitragspflichten nicht durch eine abweichende vertragliche Gestaltung beseitigen.
2. Dieser Rechtsprechung stehen auch keine Rechtsakte der Europäischen Union (Art. 288 AEUV) entgegen, insbesondere ist die in Art. 49 AEUV garantierte Niederlassungsfreiheit nicht berührt, wenn Arbeitsverhältnisse vorliegen.
3. Die hierfür vorzunehmende Abgrenzung erfolgt insoweit (auch) nach der Rechtsprechung des EuGH anhand objektiver Kriterien, die das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kennzeichnen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält.
4. Ein Vorabentscheidungsverfahren nach Maßgabe des Art. 267 AEUV ist an den EuGH nur zu richten, wenn über die Auslegung der Verträge der Europäischen Union oder der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union zu entscheiden ist, wobei grundsätzlich sämtliche Rechtssätze des Unionsrechts Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens sein können. Sind demgegenüber die im konkreten Fall maßgeblichen Rechtssätze des Unionsrechts durch den EuGH eindeutig und zweifelsfrei ausgelegt und beschränkt sich die Anwendung des ausgelegten Rechts auf den konkret zur Entscheidung stehenden Einzelfall, ist diese Rechtsanwendung ebenso wie die Feststellung und tatsächliche Bewertung der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Tatsachen allein Aufgabe der innerstaatlichen Gerichte.
1. Für die Abgrenzung von Tun und Unterlassen kommt es auch bei der Untreue auf den Schwerpunkt des Täterverhaltens an, über das in wertender Würdigung zu entscheiden ist (BGHSt 6, 46, 59; NStZ 1999, 607). Insoweit kann sich die Erstellung falscher Abrechnungen bei wertender Betrachtung als bloße Vorbereitung gegenüber der den eigentlichen Schaden herbeiführenden und maßgeblichen Nichtabführung zu zahlender Prämien darstellen.
2. Ein Nachteil i.S.v. § 266 StGB liegt vor, wenn die treuwidrige Handlung unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts des Vermögens des Treugebers führt (Prinzip der Gesamtsaldierung, BGHSt 15, 342, 343 f.; 47, 295, 301 f.; BGH NStZ 2004, 205, 206; 2010, 330, 331). Maßgeblich ist der Zeitpunkt der pflichtwidrigen Tathandlung, also der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach dieser Handlung.
3. Behält der Vermögensbetreuungspflichtige Prämien pflichtwidrig zurück, ohne die zurückgehaltenen Summen für angemeldete Ansprüche gegen den Treugeber tatsächlich verwenden zu wollen, liegt zu den vorgeschriebenen Abrechnungszeitpunkten bereits ein endgültiger Schaden vor. Die spätere Zahlung der zunächst nur vorgeschobenen Ansprüche ändert hieran nichts. Das Erlangen von durch spätere Geschäfte erzielten „Vermögensvorteilen“ (hier: Befreiung von einer Verbindlichkeit gegenüber den Versicherten) durch die Treugeberin kann den bereits eingetretenen Schaden nicht mehr beseitigen, sondern nur eine bloße Schadenswiedergutmachung darstellen (vgl. BGHSt 55, 266, 284).
4. Der hypothetische Umstand, dass jedenfalls ein Teil der zum Schein angemeldeten und noch nicht regulierten Ansprüche gegen den Treugeber tatsächlich hätte angemeldet und einbehalten werden dürfen, bleibt bei der Berechnung des Nachteils unberücksichtigt. Eine Kompensation durch Zugrundelegung hypothetischer Sachverhalte findet bei der Schadensberechnung nicht statt (für den Bereich des Sozialversicherungsrechts BGH NStZ 1995, 85, 86; NStZ 2003, 313, 315).
5. Eine Urteilszustellung ist unwirksam, wenn das Hauptverhandlungsprotokoll von dem Protokollführer nicht unterschrieben und das Protokoll daher nicht fertig gestellt war (BGHSt 27, 80, 81). Fertig gestellt i.S.v. § 271 Abs. 1 Satz 2 StPO ist das Protokoll erst mit der letzten Unterschrift der Urkundsperson (BGHSt 23, 115, 117).
6. Über die angemessene Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung, die nach der Urteilsverkündung eingetreten ist, kann das Revisionsgericht in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1a Satz 2 StPO selbst entscheiden (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 208, 209).
1. Da die Pflichtwidrigkeit des Handelns Merkmal des Untreuetatbestands ist, schließt das Einverständnis des Inhabers des zu betreuenden Vermögens die Tatbestandsmäßigkeit aus (BGHSt 50, 331, 342; 54, 52, 57; 55, 266, 278). Bei juristischen Personen tritt an die Stelle des Vermögensinhabers dessen oberstes Willensorgan für die Regelung der inneren Angelegenheiten, bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung die Gesamtheit ihrer Gesellschafter.
2. Aus dem Einverständnis der Gesellschafter folgt indessen nicht in jedem Fall der Ausschluss der Tatbestandsmäßigkeit. Zwar können der Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Zustimmung ihrer Gesellschafter grundsätzlich Vermögenswerte entzogen werden, weil sie gegenüber ihren Gesellschaftern keinen Anspruch auf ihren ungeschmälerten Bestand hat. Ein Einverständnis der Gesellschafter ist allerdings unwirksam und die Vermögensverfügung des Geschäftsführers deshalb missbräuchlich, wenn unter Verstoß gegen Gesellschaftsrecht die wirtschaftliche Existenz der Gesellschaft gefährdet wird, etwa durch Beeinträchtigung des Stammkapitals entgegen § 30 GmbHG, durch Herbeiführung oder Vertiefung einer Überschuldung oder durch Gefährdung der Liquidität (BGHSt 49, 147, 157 ff.; BGH NJW 2009, 2225, 2227; BGHSt 54, 52, 57 ff.).