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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2011
12. Jahrgang
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1. Während des laufenden Vorlageverfahrens gem. § 132 GVG zu den Auswirkungen der Rechtsprechung des EGMR auf das Recht der Sicherungsverwahrung haben alle Oberlandesgerichte unabhängig vom Ausgang des
genannten Verfahrens zu überprüfen, ob die Freiheitsentziehung gegen einen Verurteilten zu beenden oder die Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen ist.
2. Die Prüfung der Oberlandesgerichte hat wegen der ausschließlichen Zuständigkeit des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (§ 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG) einstweilen den Maßstäben zu folgen, die dieser Senat seinem Vorlagebeschluss zugrunde gelegt hat.
3. Bereits während eines laufenden Divergenzvorlageverfahrens gem. § 121 GVG ist eine neue Sachentscheidung nach § 67e Abs. 1 Satz 1 StGB aus Anlass des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geboten. Dieser Entscheidung ist ein aktuelles Sachverständigengutachten zugrunde zu legen (§ 463 Abs. 3 Satz 4 StPO), das sich an den Kriterien des 5. Strafsenats zur Verhältnismäßigkeit und zum Gefahrenbegriff zu orientieren hat.
4. Auf etwa während eines Divergenzvorlageverfahrens gem. § 121 GVG - einschließlich des Verfahrens nach § 132 GVG - auftretende neue Entwicklungen, die für die Beurteilung der Gefährlichkeit des Verurteilten bedeutsam sein können, muss unverzüglich mit einer neuen Sachprüfung der Unerlässlichkeit weiterer Freiheitsentziehung reagiert werden.
5. Es ist denkbar, dass die Prüfung im Verfahren nach § 132 GVG entgegen dem Votum des 5. Strafsenats zum Ergebnis genereller Unzulässigkeit weiterer Maßregelvollstreckung gelangt, was die sofortige Entlassung aller betroffenen Untergebrachten nach sich zöge. Daher ist eine vorsorgliche Vorbereitung sofort umsetzbarer, im Entlassungsfall angezeigter – insbesondere fürsorglicher – Maßnahmen zwingend geboten, die einer sozialen Gefährdung entlassener Verurteilter und einer damit einhergehenden Gefährdung der Allgemeinheit entgegenzuwirken vermögen.
Zwar ist durch die Präklusionsregelung nach § 46b Abs. 3 StGB, § 31 Satz 2 BtMG i.V.m. Art. 316d EGStGB eine zeitliche Grenze der Berücksichtigungsfähigkeit einer Aufklärungshilfe eingeführt worden. Diese Regelung ist aber nicht generell auf alle Verfahren anzuwenden, in denen die Eröffnung des Hauptverfahrens nach dem 1. September 2009 beschlossen worden ist. Vielmehr gelten für die Frage des auf diese Verfahren anwendbaren Rechts die allgemeinen Regeln, nach denen grundsätzlich das zur Tatzeit geltende materielle Recht Anwendung findet (§§ 1, 2 Abs. 1 StGB), sofern das neue Recht in seiner Gesamtheit keine für den Angeklagten günstigere Regelung darstellt (§ 2 Abs. 3 StGB; vgl. BGH NStZ 2010, 523, 524). Dies kann zur Anwendung der zur Tatzeit geltenden Regelung der Rechtsfolgen einer Aufklärungshilfe nach § 31 BtMG führen.
Maßgeblich für die Präklusion offenbarten Wissens im Sinne von § 46b Abs. 3 StGB ist der Zeitpunkt, zu dem der Eröffnungsbeschluss erlassen wird, nicht derjenige, zu dem der Angeklagte Kenntnis von der Eröffnung des Hauptverfahrens erlangt. Mit der Regelung des § 46b StGB soll dem Gericht ermöglicht werden, ermittlungsrelevante Angaben noch vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens überprüfen zu lassen und die Akten gegebenenfalls zum Zwecke weiterer Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft zurückzusenden. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens und der damit regelmäßig einhergehenden Terminierung der Hauptverhandlung und Ladung der Zeugen sowie der übrigen Prozessbeteiligten besteht für das Gericht nicht selten eine nur noch eingeschränkte Möglichkeit, vom Angeklagten erhobene Behauptungen auf deren Wahrheitsgehalt ohne wesentliche Verzögerung des Hauptverfahrens zu überprüfen.
1. Es begegnet bereits im Hinblick auf § 46 Abs. 3 StGB rechtlichen Bedenken, wenn eine Strafkammer den Verlust des Vaters für die gemeinsamen Kinder als bestimmenden Strafschärfungsgrund bei einer Tat gemäß § 212 StGB bewertet. Jedenfalls in dieser Allgemeinheit erscheint die Erwägung rechtsfehlerhaft. Es gehört zu den regelmäßigen Tatfolgen eines vollendeten Tötungsverbrechens, dass der Täter den Angehörigen des Opfers Leid zufügt.
2. Auch die Erwägung, dass der durch Beleidigungen motivierte Totschlag eine „völlig unangemessene Reaktion“ gewesen sei, kann keinen Bestand haben. Diese Erwägung steht im Widerspruch dazu, dass der Provokationsaffekt im Sinne von § 213 (1. Alternative) StGB als die Tat auslösendes Moment, unbeschadet der Tatsache, dass die Tötung eines Menschen als Reaktion auf Kränkungen stets unangemessen ist, strafmildernd wirkt.
1. Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB liegt – soweit die formellen Vorausset-
zungen gegeben sind - im pflichtgemäßen Ermessen des Tatgerichts. Daher müssen die Urteilsgründe nachvollziehbar erkennen lassen, dass und aus welchen Gründen das Tatgericht von seiner Ermessensbefugnis Gebrauch gemacht hat. Dabei sind die nach dem Zweck des § 66 Abs. 2 StGB erheblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen.
2. Wesentliche gegen die Anordnung der Sicherungsverwahrung sprechende Umstände sind vom Tatrichter zwingend zu erörtern. Ein solcher Umstand ist etwa anzunehmen, wenn ein Angeklagter, der wegen einer auf seiner pädophilen Neigung beruhenden Straftat erstmals zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt wird, bislang praktisch nicht therapiert wurde, eine Therapie nun aber während des erstmaligen längeren Aufenthalts im Strafvollzug zu erwarten ist. Ebenso liegt es, wenn ein Angeklagter sexuelle Handlungen an Kindern stets nur „einvernehmlich“ vornahm und keinerlei Gewalt anwendete.
1. § 31 BtMG greift bereits dann ein, wenn der Täter durch konkrete Angaben die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dass gegen die belasteten Personen ein Strafverfahren voraussichtlich mit Erfolg durchgeführt werden kann.
2. Selbst in Fällen, in denen die Ermittlungsbehörden bereits von anderer Seite Erkenntnisse über die weiteren Beteiligten des Betäubungsmittelgeschäfts gewonnen hatten, steht dies einem durch einen Angeklagten herbeigeführten Aufklärungserfolg nicht zwingend entgegen. Denn auch der Täter, der Angaben zu Hintermännern macht, die sich mit Erkenntnissen der Strafverfolgungsbehörden decken, kann dadurch eine sicherere Grundlage für den Nachweis der betreffenden Taten und der Möglichkeit ihrer strafrechtlichen Verfolgung schaffen kann. Dies genügt für die Anwendung des § 31 BtMG.
1. Voraussetzung für die Anwendung des § 111i Abs. 2 StPO, dass das Gericht nur deshalb nicht auf Verfall, Verfall von Wertersatz oder erweiterten Verfall erkannt hat, weil Ansprüche eines Verletzten im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegenstehen. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB hindert eine Verfallsentscheidung aber nur dann, wenn der Täter oder Teilnehmer „aus der Tat“ einen Vermögensvorteil erlangt hat und Gegenansprüche eines Verletzten bestehen; das „für die Tat“ Erlangte unterliegt dem Verfall hingegen ohne Rücksicht auf Ansprüche Verletzter.
2. „Aus der Tat“ sind diejenigen Vermögenswerte erlangt, die dem Täter oder Teilnehmer unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes selbst in irgendeiner Phase des Tatablaufs zugeflossen sind, insbesondere also die Beute. Um Vorteile „für die Tat“ handelt es sich demgegenüber, wenn die Vermögenswerte als Gegenleistung für sein rechtswidriges Tun gewährt werden, etwa wenn ein Lohn für die Tatbegehung gezahlt wird (BGHR StGB § 73 Erlangtes 4).
1. Punktewerte aus einem Persönlichkeitstest (MMPE-2) sind isoliert nur sehr begrenzt aussagekräftig. Auch die Diagnose einer Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung ist für sich genommen ebenfalls nicht aussagekräftig.
2. Persönlichkeitsstörungen sind dauerhafte, auffällige, häufig schon im Kindes- oder Jugendalter auftretende Verhaltensmuster, die zumeist mit deutlichen Einschränkungen der beruflichen und sozialen Leistungsfähigkeit verbunden sind.
Wird eine Maßregel nach §§ 69, 69a StGB an Zusammenhangstaten angeknüpft, muss sich aus den Urteilsgründen die Überzeugung des Tatrichters ergeben, dass die festgestellten Umstände den konkreten Anhalt begründen, der Täter stelle eine Gefahr für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs dar (BGHSt 50, 93, 105).