HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Januar 2011
12. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Vertrauensschutz bei unzulässigen Absprachen

Zugleich Besprechung zu BGH HRRS 2010 Nr. 847

Von Dr. Frank Meyer, LL.M. (Yale), Bonn*

A. Einleitung

Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutzgrundsatz behält bei Absprachen im Strafverfahren auch nach der gesetzlichen Einführung eines Verständigungsverfahrens in § 257c StPO seine Bedeutung. Wurde er im Kontext der richterrechtlichen Regeln zur Absprache im Strafverfahren noch als Grundlage der Bindungswirkung herangezogen,[1] konzentriert sich sein Anwendungsfeld bei Absprachen, nachdem die Bindungsfunktion durch die einfach-gesetzliche Regelung der Verständigung obsolet geworden ist, künftig auf den Schutz vor unklarem und irreführendem Verhalten der staatlichen Strafverfolgungsorgane. Wenig geklärt sind demgegenüber die Voraussetzungen für die Entstehung eines Vertrauenstatbestandes sowie die Rechtsfolgen, die sich aus einem solchen ergeben. Ihre tiefere Ursache hat diese Ungewissheit in der bislang nur recht oberflächlichen Auseinandersetzung mit dem (verfassungsrechtlichen) Vertrauensschutzgrundsatz in Rechtsprechung und Literatur.[2] Eine aktuelle Entscheidung des BGH (BGH 2 StR 205/10 = HRRS 2010 Nr. 847) veranschaulicht, welche negativen Konsequenzen dieses Defizit für einen Angeklagten haben kann.

B. BGH 2 StR 205/10, Beschluss v. 4. August 2010 (HRRS 2010 Nr. 847)

Gegenstand dieses Beschlusses vom 4. August 2010 war eine Revision, mit der per Verfahrensrüge geltend gemacht wurde, dass die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Strafaussetzung durch das LG Frankfurt am Main entgegen einer Zusage des Gerichts erfolgt war. Tatsächlich war es im Zwischenverfahren zu informellen Gesprächen zwischen der Vorsitzenden der Strafkammer, der Sachbearbeiterin der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger gekommen, bei der durch die Vorsitzende eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und Strafaussetzung zur Bewährung für den Fall eines glaubhaften umfassenden Geständnisses in Aussicht gestellt worden war. Die Vorsitzende erkrankte jedoch, und ihr Stellvertreter distanzierte sich (telefonisch) noch vor Beginn der Hauptverhandlung von dieser Abrede. Er ließ den Vorgang einschließlich des Negativattests einer Verständigung i. S. d. § 257c StPO in der Hauptverhandlung protokollieren. Zu Protokoll gab die Kammer auch, dass man dem Angeklagten keinen Verständigungsvorschlag auf dieser Basis unterbreiten wollte.

Gleichwohl wurden nur zwei Hauptverhandlungstage angesetzt und auch von der Ladung zahlreicher Zeugen abgesehen, was ursprünglich von der erkrankten Vorsitzenden nur im Hinblick auf die Vereinbarung vorgesehen war. Überdies nahm der Vorsitzende in der Hauptverhandlung – zumindest indirekt – auf diese informelle Absprache Bezug. Als der Angeklagte sich am ersten Verhandlungstag teilweise bestreitend einließ, wies der Vorsitzende ihn auf die "erwünschte Bewährungsstrafe" hin, weshalb er sich seine Einlassung noch einmal überlegen möge.[3] Daraufhin legte der Angeklagte am nächsten Verhandlungstag ein umfassendes Geständnis ab. Doch während die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft, die von der Sachbearbeiterin ins Bild gesetzt worden war, die Verhängung einer entsprechenden Strafe beantragte, ließ das Gericht zuvor nochmals ein Negativattest protokollieren und verurteilte den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten.

Die Revision erhob danach den Vorwurf, dass der Vorsitzende sich während der gesamten Verhandlung so verhalten hatte, als fühlte er sich an die ursprüngliche informelle Absprache gebunden. Er hätte damit gegen § 257c StPO bzw. hilfsweise gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen, da der Angeklagte auf das Verhalten des Vorsitzenden vertrauen durfte. Der BGH ist dem nicht gefolgt. Er hat die Verfahrensrüge als unbegründet verworfen: Die Rüge eines Verstoßes gegen § 257c StPO scheitere schon daran, dass dieser eine formelle Verständigung nach dieser Vorschrift voraussetzt, und ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahren scheide mangels unklarem oder irreführendem Verhalten des Gerichts aus. Ein solcher hätte aus Sicht des BGH den Nachweis erfordert, dass das Gericht sich stets so verhalten hat, als fühle es sich an eine mit der erkrankten Kammervorsitzenden geschlossene informelle Vereinbarung gebunden und als könne auch der Angeklagte darauf vertrauen. Einen derartigen Vertrauenstatbestand habe das Landgericht aber gerade nicht geschaffen. Der BGH bescheinigt dem Kammervorsitzenden vielmehr, dass ihm keine anderen als die gewählten Möglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten, um den Verfahrensbeteiligten gegenüber zum Ausdruck zu bringen, sich nicht an die frühere Absprache gebunden sehen zu wollen.

C. Das Vorgehen des BGH unter dem Blickwinkel des Vertrauensschutzes

Die Verneinung einer Bindungswirkung ist von der Warte des Vertrauensschutzgrundsatzes nicht zu kritisieren. Der BGH führt seine frühere Rechtsprechung zur Behandlung von Verstößen gegen die richterrechtlichen Abspracheregeln in dieser Hinsicht konsequent fort.[4] Informelle bzw. unzulässige Absprachen begründen weder nach alter noch nach neuer Rechtslage eine Bindung des Gerichts an die Inhalte der Absprache.[5] In der Tat vermag es der Vertrauensschutzgrundsatz schon aus Gründen der Gewaltenteilung nicht, entgegen der aktuellen Rechtslage und außerhalb parlamentarischer Verfahren neue positive Rechtsinhalte zu schaffen oder zu legitimieren.[6] Der Vertrauensschutzgrundsatz gestattet keine gesetzesderogatorische Rechtsschöpfung.

Die Frage der Bindungswirkung einer Absprache darf allerdings nicht mit der Frage des Vertrauensschutzes bei strafprozessualen Absprachen gleichgesetzt werden.[7] Die Unzulässigkeit bzw. Formunwirksamkeit einer Absprache oder Zusage lassen den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz nicht entfallen,[8] auch wenn dieser keine Bindungswirkung herbeiführen kann. Insbesondere sind sie für die Einhaltung des fair trial-Grundsatzes im weiteren Verfahrensverlauf und die revisionsrechtliche Kontrolle nicht unbeachtlich.[9]

Das Vertrauen des Angeklagten kann auch bei unzulässigen Absprachen grundsätzlich schutzwürdig sein. Der Grundsatz gebietet ggf. als Rechtsfolge die Entschädigung des enttäuschten Vertrauens und Beseitigung der Folgen einer Verletzung eines Vertrauenstatbestandes, die den staatlichen Organen der Strafrechtspflege zuzurechnen ist.[10] Als primär verfügbare Mechanismen des Strafverfahrensrechts zur Erfüllung des Folgenbeseitigungsanspruchs drängen sich ein Beweisverwertungsverbot auf bzw. die Aufhebung eines Urteils, das auf schutzwürdigen Vertrauensdispositionen des Angeklagten beruht.[11] Es können aber im Einzelfall auch klarstellende Maßnahmen des erkennenden Gerichts genügen, soweit noch keine schutzwürdigen Vertrauensdispositionen getätigt wurden. Wer als Angeklagter im schutzwürdigen Vertrauen auf Auskünfte, Zusagen oder sonstiges Prozessverhalten insbesondere des Gerichts Prozesshandlungen vornimmt, muss diese wirksam revozieren bzw. rückabwickeln können, wenn sein Vertrauen enttäuscht wird. Im konkreten Fall hätte die Revision mit der Verfahrensrüge wegen Verstoßes gegen den Vertrauensschutzgrundsatz also von vornherein nicht die Bindung an eine informelle Absprache durchsetzen können, wohl aber die Verwertung des Geständnisses angreifen und hierüber eine Aufhebung des landgerichtlichen Urteils erreichen können.

Die vom BGH getroffene Abstufung entspricht nach dem zuvor Ausgeführten also grundsätzlich der Struktur des

Vertrauensschutzprinzips. Zum Widerspruch geben indessen die Ausführungen des Gerichtshofs zum konkreten Vorliegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens Anlass. Bei der Prüfung des Vertrauensschutzes liegt der BGH gleich doppelt daneben. Einerseits kommt es nicht allein auf die Zerstörung einer vertrauensbegründenden Fortwirkung der informellen Absprache durch die protokollierte Abstandnahme von einer Verständigung an, sondern auf das konkrete Verhalten des Gerichts in der Hauptverhandlung, vor allem bei der Befragung des Angeklagten. Andererseits bestanden diesbezüglich sehr wohl andere Möglichkeiten einer Klarstellung des Erwartungs- und Entscheidungshorizonts des Gerichts, z. B. ein richterlicher Hinweis auf das Ausmaß der Neigung des Gerichts, zu einer bewährungsfähigen Strafe zu kommen bzw. eine aufrichtige Belehrung darüber, dass die Anspielung auf das "erwünschte" Ergebnis keine erhöhte Wahrscheinlichkeit impliziert, das dieses sich auch tatsächlich erzielen lassen wird. Der einzige objektive Anhaltspunkt, welchen Milderungswert das Geständnis haben kann, liefert damit der Bezug zur Absprache im Zwischenverfahren, den das Gericht selbst herstellt und der die Willensbildung des Angeklagten offensichtlich entscheidend beeinflusst hat. Es erstaunt daher, dass der BGH das Geschehen zwischen der Eingangsprotokollierung und der Endprotokollierung des Nichtvorliegens einer Absprache völlig ausblendet. Anstatt sich auf die vertrauensschaffende Wirkung der Verhandlungsführung und deren Einflussnahme auf den Angeklagten zu konzentrieren, welche auch die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft ausweislich ihrer dienstlichen Erklärung als Grund dafür angab, warum sie sich an die Einhaltung des im Zwischenverfahren besprochenen Strafmaßes gebunden wähnte, verlegt sich der BGH auf eine künstliche Diskussion der Frage, ob eine im Zwischenverfahren getroffene Absprache eine endgültige, im Hauptverfahren nicht mehr revisible Bindungswirkung entfalten kann. Eine derartige Auffassung wird jedoch, soweit ersichtlich, weder im strafprozessualen noch im verfassungsrechtlichen Schrifttum vertreten.

Zu würdigen wäre hingegen das ganz und gar nicht unverfängliche Verhalten der Kammer in seiner Gesamtheit gewesen; insbesondere, ob die Verhandlungsführung einen Vertrauenstatbestand begründet hat. Erst aus dessen Eigenart hätte sich dann auch ergeben, ob die zweite Protokollierung am Ende der Hauptverhandlung, dass keine Verständigung gem. § 257c StPO erfolgt ist, überhaupt irgendeine vertrauenszerstörende Relevanz haben konnte oder ob es dafür nach Ablegung des Geständnisses nicht ohnehin schon zu spät war und Folgenbeseitigung angezeigt gewesen wäre. Dazu wäre allerdings eine klare Ausarbeitung der Voraussetzungen des Vertrauensschutzes im Strafverfahren vonnöten gewesen, deren Anwendung im konkreten Fall ans Licht gebracht hätte, ob dem Gericht eine rechtlich relevante Einflussnahme auf die Willensbildungs- und -entschließungsfreiheit des Angeklagten anzulasten war. In diesem Zusammenhang wirkt sich die chronische Schwäche der strafrechtlichen Rechtsprechung im Umgang mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes gravierend zum Nachteil des Angeklagten aus.[12] Ohne vertiefte dogmatische Auseinandersetzung legt der BGH eine äußerst hohe Messlatte an, indem er fordert, dass das Gericht sich stets so verhalten haben müsse, als fühle es sich an eine mit der erkrankten Kammervorsitzenden geschlossene informelle Vereinbarung gebunden und als könne auch der Angeklagte darauf vertrauen. Im Folgenden muss daher die Würdigung des Verhaltens des Landgerichts unter dem Blickwinkel des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzgrundsatzes nachgeholt werden, um erfassen zu können, ob nicht doch ein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist.

D. Vertrauenstatbestand und prozessuale Verantwortungsverteilung

Der Vertrauensschutzgrundsatz ist Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips und der Grundrechte.[13] Er konkretisiert

mit dieser objektiven und subjektiven Komponente den inhaltlich unbestimmten fair trial-Grundsatz, indem er spezifisch das Vertrauen der Bürger auf den Bestand und die Verlässlichkeit staatlichen Handelns schützt, an das seine Erwartungen und Dispositionen im Strafverfahren anknüpfen.[14] Sein Schutzbereich ist eröffnet, wenn von staatlicher Seite eine Vertrauensgrundlage geschaffen wird, es im Vertrauen des Bürgers zu einer Vertrauensdisposition kommt und die darin liegende Erwartung von staatlicher Seite durch Abweichung von dieser Vertrauensgrundlage enttäuscht wird.[15] Diese relativ abstrakten Maßstäbe müssen in Bezug auf die vermeintliche Beeinflussungssituation konkretisiert werden. Die vom BGH aufgezeigte Fallgruppe ist dabei keineswegs exklusiv. Der Vertrauensschutzgrundsatz erfasst jedwede objektiv irreführende Verhandlungsführung und Einflussnahme durch die staatlichen Strafverfolgungsorgane auch unterhalb der Schwelle von § 136a StPO. Um schutzwürdige Erwartungen auszulösen, muss das staatliche Verhalten allerdings hinreichend verdichtet und nicht widersprüchlich sein[16] und die Verursachung des Vertrauenstatbestandes auch in den Verantwortungsbereich des Gerichts fallen.[17]

Diesbezüglich ist nun der Chronologie der Geschehnisse zu folgen. Die erste informelle Absprache enthält bereits eine erste Vereinbarung der Prozessbeteiligten, in der wechselseitige fixe Zusagen bezüglich des jeweiligen Prozessverhaltens enthalten sind. Eine Sichtweise, wonach es hier an einer hinreichenden Verdichtung fehlen könnte, weil die Absprache mangels Bindungskraft keinen materiell abschließenden Charakter hat und aufgrund der Entscheidungsoffenheit des Verfahrens keine rechtssichere Vertrauensgrundlage eintreten kann,[18] überzeugt nur bedingt, denn einerseits ist bei einer zulässigen Absprache die Entscheidungsoffenheit doch erheblich eingeschränkt und andererseits ist die Existenz einer Vertrauensgrundlage nicht von ihrer Übereinstimmung mit der materiellen Rechtslage abhängig. Das Wissen um die rechtliche Unverlässlichkeit der Zusage, das die Schutzwürdigkeit ggf. entfallen ließe, kann dem Angeklagten zudem weder unterstellt noch über seinen Verteidiger zugerechnet werden.[19] Die in der Zusage verbriefte Erwartungslage wird jedoch durch den umgehenden Widerspruch des neuen Vorsitzenden mit dem ersten Telefonat und der Protokollierung eingangs der Hauptverhandlung noch vor einer Vertrauensdisposition zerstört.[20]

Das Verhalten des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung könnte jedoch einen neuen Vertrauenstatbestand geschaffen haben. Die Kammer beließ es bei der Terminierung zweier Hauptverhandlungstage und verzichtete offensichtlich auch auf die Ladung von zahlreichen Zeugen, so wie es die ursprüngliche Absprache vorgesehen hatte. Überdies wirkte der Vorsitzende aktiv auf den Angeklagten bei dessen Aussage ein und nahm dabei Bezug auf das intendierte do ut des der informellen Absprache. Die Wirkung dieses Verhaltens schildert die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft, die von der Sachbearbeiterin über die Vorgespräche informiert worden war, in ihrer dienstlichen Erklärung ohne Umschweife. Der Vorsitzende habe in der Hauptverhandlung aus ihrer Sicht nicht hinreichend deutlich gemacht, dass eine bewährungsfähige Strafe auch für den Fall eines Geständnisses nicht in Betracht kommt. Die Verhandlungsführung habe für sie den Eindruck erweckt, dass die Kammer das im Zwischenverfahren in Aussicht gestellte Strafmaß für sachgerecht hält.[21] Um ein Fortwirken der informellen Absprache, ihr Wiederaufleben oder die Erweckung eines solchen Anscheins, auf die sich der BGH konzentriert, ging es in dem Fall also gerade nicht. Es geht auch nicht um die Herleitung einer Bindungswirkung aus dieser, sondern um die irreführende Verhandlungsführung des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung als eigenständigen Verstoß gegen den Grundsatz des

fairen Verfahrens. Die Einflussnahme auf die Willensbildungs- und -entschließungsfreiheit des Angeklagten bei der Entscheidung über sein Aussageverhalten erfolgt vorliegend nicht durch eine ausdrückliche Strafmaßprognose, sondern durch deren Suggestion, die nur möglich ist, weil im Zwischenverfahren eine Abrede stattgefunden hat und dabei bestimmte Parameter festgelegt worden sind. Die Existenz dieser informellen Absprache erleichtert die Einwirkung auf die Willensbildungs- und -entschließungsfreiheit insoweit entscheidend, da der Vorsitzende sich sonst wesentlich expliziter zur Milderungswirkung des Geständnisses hätte äußern müssen, um eine hinreichende Einwirkungskraft zu generieren, die den Angeklagten zum Einlenken bewegt. Dass der Vorsitzende vorbringt, man habe im Vorfeld deutlich gemacht, dass sich die Kammer nicht an die informelle Absprache gebunden fühle und daher auch das Absehen von einer Verständigung protokolliert, ist insoweit zutreffend, blendet aber das zentrale Problem aus. Trotz des ostentativen Beharrens des Gerichts auf der Unverbindlichkeit der Absprache macht sich das Gericht diese nämlich gleichwohl bewusst zunutze, um den Angeklagten geschickt zur gewünschten Entscheidung zu manövrieren und das Verfahren in einer effizienten Weise zu erledigen, die die Vorsitzende offenbar nur auf der Grundlage einer Verständigung mit erheblichen Zugeständnissen für den Angeklagten für möglich gehalten hatte.

Die Aussage- und Entscheidungsfreiheit des Angeklagten über die Nutzung der verfügbaren prozessualen Verteidigungsinstrumente wird durch das skizzierte Verhalten des Gerichts mithin beeinträchtigt, wenn auch nicht mangels überwältigender Zwangswirkung vollständig aufgehoben. Sie bleibt in geschmälerter Form erhalten. Die alles entscheidende Frage ist nun, ob diese verbleibende Freiheit dazu führt, dass der Angeklagte für die Folgen seines Sinneswandels, namentlich die Ablegung eines umfassenden Geständnisses, eigenverantwortlich einzustehen hat. Anders als in der behandelten Revisionsentscheidung muss die Bedeutung des Grundrechtseingriffs in die Aussagefreiheit des Angeklagten, die mit der Einwirkung auf den Entscheidungshorizont verbunden ist, hierzu aufgearbeitet und gewürdigt werden.[22] Das Risiko, dass ein Geständnis auch Grundlage einer Verurteilung zu einer höheren Strafe sein kann, ist dabei situationsimmanent und grundsätzlich vom Angeklagten zu tragen. Mit einer nachteiligen Bewertung muss bei jeder Geständnisablegung gerechnet werden. Der Angeklagte behält auch trotz der möglichen Tragweite seiner Entscheidung auch grundsätzlich die Fähigkeit zur Abwägung der widerstreitenden Interessen. Das Gericht schafft im Kalkül des Angeklagten jedoch subtil einen neuen Abwägungsfaktor[23] und lenkt den Angeklagten dadurch zur Eingehung dieses Risikos. Für dessen bewusste Eingehung fehlte es dem Angeklagten vorliegend indessen an einem klarstellenden Hinweis des Gerichts über die Wahrscheinlichkeit einer Milderung bzw. die Ernsthaftigkeit hinter der versteckten Offerte. Für diese Verzerrung und ihre Folgen trägt das Gericht die Verantwortung. Die frühere und spätere Protokollierung sind insofern irrelevant, da sie das gesetzte Fehlkalkulationsrisiko nicht korrigieren. Mit einer "normalen" Geständnissituation ist die Verfahrenssituation im vorliegenden Fall also nicht vergleichbar. Aus der Sicht des Angeklagten und objektiver Betrachter lag mehr vor als die bloße subjektiv begründete Vorstellung, mit dem Geständnis eine niedrigere Strafe erreichen zu können. Dem Angeklagten wird die Nichterlangung eines erwünschten Vorteils für den Fall des fortgesetzten Bestreitens in Aussicht gestellt, und sei es auch in sehr subtiler Form. Dies war auch für die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft als wohl objektivste Stimme im vorliegenden Fall völlig klar. Der Angeklagte vermochte aus dem Verhalten des Gerichts weder eine fehlende Ernsthaftigkeit hinter der Anspielung des Gerichts zu erkennen, noch wurde ihm vor Augen geführt, dass es trotz der Bezugnahme auf die frühere Abrede aus Sicht des Gerichts auch weiterhin ohne weiteres denkbar blieb, eine höhere Strafe zu verhängen, und zwar allein aufgrund der Bewertung des Geständnisses, ohne dass ein Bekanntwerden neuer Umstände und eine abweichende Bewertung kraft der neuen Einsichten erforderlich gewesen wäre.

Als Vertrauensbetätigung löst die Ablegung des Geständnisses deshalb einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand aus, der im Wege der Revision geltend zu machen war und – auf eine zulässig begründete Verfahrensrüge hin – in Erfüllung des Folgenbeseitigungsanspruchs zur Aufhebung des Urteils hätte führen müssen, weil das Geständnis wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens unverwertbar war. Die Rechtsfolgenseite des Vertrauensschutzgrundsatzes lässt diesbezüglich keine Wahl und mithin auch keine Alternativen zum Beweisverwertungsverbot zu.

E. Schlussbetrachtung

Das Gericht hat buchstäblich unfair kommuniziert. Es zeigt sich hier der autoritäre Stil des Abspracheverfahrens, den Fezer erst kürzlich bemängelt hat.[24] Das Gericht entscheidet mit der neuen Verfahrensoption des § 257c StPO im Rücken nicht bloß nach eigenem ungebundenem Ermessen darüber, welchen Angeklagten in welchen Fällen die Gunst einer Verständigung zugute kommen soll. Es nutzt die nunmehr scheinbar klare Demarkationslinie zwischen Rechtmäßigkeit und Unrechtmäßigkeit auch dazu aus, den Angeklagten durch Kommunikation unterhalb der Schwelle des § 257 c StPO gezielt zum gewünschten Ergebnis zu dirigieren, ohne sich an den Erwartungen, die man geweckt hat, festhalten lassen zu müssen, weil ja eben keine Verständigung im strengen Sinn erfolgt ist. Formloses und unzulässiges Kommunizieren soll scheinbar immer zu Lasten des Angeklagten gehen, weil ja offensichtlich keine Verbindlichkeit geschaffen werden sollte bzw. den Anforderungen des gesetzlichen Verständigungsverfahrens nicht genügt wurde.[25] Der BGH will den Gerichten wohl freie Hand lassen,

wenn diese lieber ungebunden bleiben und das freie Flottieren zwischen subtilen Andeutungen und der rechtsstaatlichen scheinbar makellosen Klarheit der Protokollierung instrumentalisieren, um sich die Arbeit zu erleichtern. Mit seiner bei weitem zu strengen Handhabung des Vertrauensschutzgrundsatzes spricht der Gerichtshof eine Einladung an die Instanzgerichte aus, sich revisionsrechtlich unbehelligt im Nebulösen und Doppeldeutigen zu halten und die sachlich insuffizienten, aber formal klaren Regeln des Verständigungsverfahrens zu instrumentalisieren, um sich auch im Rahmen von Absprachen leichtfüßig und weitgehend folgenlos einer Bindung entziehen zu können. Dem ist durch eine stärkere dogmatische Fundierung des Vertrauensschutzgrundsatzes und ihre strafprozessuale Implementierung entschieden zu begegnen.[26]


* Wissenschaftlicher Assistent an der Universität Bonn und Rechtsanwalt der Sozietät Redeker Sellner Dahs in Bonn.

[1] BGHSt 43, 195, 206, 210; NStZ 2001, 555, 556.

[2] Für erste Substantiierungsversuche und eine Konkretisierung im Kontext der Absprachenpraxis vgl. F. Meyer, Willensmängel des Angeklagten beim Rechtsmittelverzicht im Strafverfahren (2003), S. 104 ff.; Graumann, Vertrauensschutz und strafprozessuale Absprachen (2006), S. 184 ff.

[3] Die Revision hat vorgetragen, dass von einer "beabsichtigten Bewährungsstrafe" die Rede war, während die dienstlichen Erklärungen der Berufsrichter von einer "erwünschten Bewährungsstrafe" sprechen.

[4] Vgl. BGHSt 43, 195, 205 f., 210 f.; NStZ 2001, 555, 556; NStZ-RR 2009, 1 [= HRRS 2006 Nr. 963]– nur prozessual zulässige, und insofern notwendig zu protokollierende, Absprachen seien verbindlich.

[5] Graumann (Fn. 2), S. 456 ff.; F. Meyer (Fn. 2), S. 125; im Ergebnis auch Murmann ZIS 2009, 526, 538 Fn. 144; a. A. wohl Saliger JuS 2006, 8, 10 sowie Bömeke, Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen im deutschen und englischen Strafverfahren (2001), S. 118 f.

[6] Obwohl das Ziel des Vertrauensschutzes grundsätzlich in der Erhaltung der bestehenden Vertrauensgrundlage besteht, greifen überwiegende allgemeine Interessen gegen diese Rechtsfolge durch, wenn das erwartete staatliche Verhalten rechtswidrig wäre, Bleckmann, Staatsrecht II – Die Grundrechte, 4. Aufl. (1997), Rn. 631 f.; Maunz-Dürig-Dürig/Scholz, GG, 58. Ergänzungslieferung (2010), Art. 3 Rn. 437, 470 f. Eine Selbstbindung staatlicher Organe kann dann nicht eintreten, wenn diese rechtswidrig wäre. Es gibt keine Gleichheit im Unrecht. Andernfalls würden Gerichte sich zu de facto-Gesetzgebern erheben.

[7] So aber BGH NJW 2005, 445, 446[= HRRS 2005 Nr. 113]; NStZ 2004, 338, 339[= HRRS 2004 Nr. 306].

[8] F. Meyer (Fn. 2), S. 295 f.

[9] Unzutreffend daher BGH NStZ-RR 2009, 1[= HRRS 2006 Nr. 963]; zu undifferenziert auch Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl. (2010), § 257c Rn. 4; anders Schlothauer/Weider StV 2009, 600, 601, 603.

[10] F. Meyer (Fn. 2), S. 116, 128; Graumann (Fn. 2), S. 451 ff., 462 f., 467 – grundrechtlicher Vertrauensschutz hat Folgenbeseitigungsanspruch zur Folge; allgemein zu Vertrauensschutz und Verwaltungshandeln Maurer, in: HStR IV, 3. Aufl. (2006), § 79, Rn. 113 ff.; Maunz-Dürig-Grzeszick, GG, 58. Ergänzungslieferung (2010), Art. 20 Rn. 95 ff.; Weber-Dürler, Vertrauensschutz im öffentlichen Recht (1983), S. 79 ff.

[11] Vgl. in diese Richtung bei gescheiterten unzulässigen Absprachen auch Meyer-Goßner (Fn. 9), § 257c Rn. 31 – dem Geständnis sei jede Wirksamkeit zu versagen; Schlothauer/Weider StV 2009, 600, 605; Beulke/Swoboda JZ 2005, 67, 73; weit weniger strikt BGHSt 38, 102, 104 f. – Hinweis auf Abweichen von der in Aussicht gestellten Entscheidung soll genügen; 48, 161, 167 – es gelte der Grundsatz freier richterlicher Beweiswürdigung; erforderlich sei vor allem, dass sich das Gericht von der Richtigkeit des Geständnisses überzeugt.

[12] Zu dieser notorischen Leichthändigkeit im Umgang mit dem Vertrauensschutz- und dem fair trial-Gedanken, vgl. F. Meyer (Fn. 2), S. 297 ff.; Steiner, Das Fairneßprinzip im Strafprozeß (1995), S. 65 ff.

[13] Blanke , Vertrauensschutz im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht (2000), S. 13 ff.; Maurer, in: HStR IV, § 79 Rn. 3, 11 ff.; F. Meyer (Fn. 2), S. 107; Graumann (Fn. 2), S. 95 f., 107 ff., mobilisiert den Abwehrgehalt der Grundrechte als subjektiv-rechtliche Basis des Vertrauensschutzes, da diese für ihn konkretere Grundsätze enthalten als das insofern subsidiäre Prinzip des fair trial. Notwendige Voraussetzung für Vertrauensschutz sei ein subjektives Recht, das auf die prozessuale Subjektstellung des Angeklagten ausgerichtet ist, S. 116 ff. Wenig ergiebig ist indessen Art. 6 EMRK. Der EGMR hat sich bislang kaum mit der Problematik des Vertrauensschutzes, zumal bei Absprachen, befasst, Gaede, Fairness als Teilhabe (2007), S. 405; Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht (2002), S. 620 ff. In der Rechtssache Colak hat der Gerichtshof unter dem Blickwinkel der Bindungswirkung einer Absprache einen sehr strengen Maßstab angelegt, vgl. EGMR, Colak v. D, Serie A Nr. 147, Rz. 31. Danach könne das Gericht formell weder ein einzelner Richter verpflichten noch materiell der Hinweis auf eine wahrscheinliche Bestrafung nach einem milderen Delikt, solange die spätere Verurteilung sich auf ein (schwereres) Delikt stützt, das zumindest (weiterhin) angeklagt war, EGMR, Colak v. D, Serie A Nr. 147, Rz. 31. Ein Abweichen von der Auskunft verletze dann unter Vertrauensgesichtspunkten nicht den Grundsatz des fairen Verfahrens. Der EGMR vermengt allerdings die Schutzwürdigkeit des Vertrauens mit dem Schutz vor überraschenden Verurteilungen, Esser, S. 621 f. Die Unterrichtungspflicht gem. Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK soll bei Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts eine effektive Verteidigung ermöglichen. Sie schließt aber nicht aus, dass das Gericht schutzwürdige Vertrauenstatbestände schafft, da der Hinweis andernfalls rechtsschutzbeschränkende Wirkung hätte, denn im Rahmen der möglichen Urteilsvarianten könnten dann alle Verurteilungen ohne Verletzung des Vertrauensschutzes ergehen, S. 622. Für andere Zusagen ist der Ansatz des EGMR zudem von vornherein unergiebig. Nachgedacht werden muss über den Vertrauensschutz stattdessen unter dem Blickwinkel des Schutzes des Selbstbelastungsprivilegs vor unzulässiger Einflussnahme, Esser, S. 622. Ein Verzicht auf die Verhandlung über eine Anklage muss frei von einem unangemessenen Zwang sein, S. 622; vgl. zu den Voraussetzungen eines Verzichts auf die Ausübung prozessualer Recht nach der EMRK auch Gaede, S. 752 ff., insb. 759 ff. Unzulässige Verkürzungen der Teilhaberechte würden (auch bei Verfahrensabsprachen) entsprechende Ausgleichspflichten auslösen, vgl. S. 607, 629 Fn. 84 mit Verweis auf EGMR, Marpa Zeeland BV u.a. vs. NL, HRRS 2005 Nr. 72. Dort war ein Rechtsmittelführer durch irreführendes in Aussicht stellen einer Reduzierung des Strafmaßes durch die staatliche Anklagebehörde zur Rücknahme eines Rechtsmittels bewegt worden.

[14] Maurer (Fn. 13), § 79 Rn. 15; F. Meyer (Fn. 2), S. 96 ff., 103 f.; Steiner (Fn. 12), S. 172 ff.; anders Graumann (Fn. 2), der fragt, ob die Entscheidungsfreiheit über die Aussagefreiheit verkürzt wurde oder neben der staatlichen Maßnahme eine freie Entscheidung möglich bleibt, S. 181, 477 ff.

[15] Weber-Dürler (Fn. 10), S. 79 ff.; Blanke (Fn. 13), S. 88 f.; zur Übertragung auf den Strafprozess ausführlich Graumann (Fn. 2), S. 184 ff. sowie F. Meyer (Fn. 2), S. 119 ff.

[16] Bleckmann (Fn. 6), Rn. 642.

[17] F. Meyer (Fn. 2), S. 291 ff.

[18] So Graumann (Fn. 2), S. 181.

[19] Ein Vertrauenstatbestand, den staatliche Organe setzen, entfällt nicht schon bei Kenntnis des Verteidigers von der Unzulässigkeit des staatlichen Handels. Dies folgt aus der Wertung des § 44 StPO, F. Meyer (Fn. 2), S. 120; BGHSt 14, 306, 308; 330, 332. Allerdings gibt das Verhalten des Verteidigers im konkreten Fall berechtigten Anlass zur kritischen Nachbetrachtung. Er hätte entweder auf den formwirksamen Abschluss einer Verständigung drängen oder das Gericht zur Klarstellung seiner Anspielungen bewegen müssen. Dass er sich gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft auf das informelle Procedere eingelassen hat, wirft ein schlechtes Licht auf die Strafverteidigung und offenbart im konkreten Fall, dass Verteidiger durch ihr Verhalten erhebliche Gefahren für ihre Mandanten heraufbeschwören, die sie nicht beherrschen können und sich dem Gericht ausliefern; zur Verantwortung des Verteidigers beim deal auch Kempf StV 2009, 269, 274 ff.

[20] Es kann daher an dieser Stelle unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes offen bleiben, ob etwaige Vertrauensbetätigungen, die vor diesem Zeitpunkt liegen, rückholbar sein müssten, wofür nach den obigen Ausführungen sehr viel spricht. Die Verteidigung gerät ungeachtet der Vertrauensschutzproblematik in jedem Fall in eine schwierige Lage, wenn sie sich auf eine informelle Absprache mit dem Gericht zunächst einlässt und sodann von diesem im Regen stehen gelassen wird. Von dem einmal in Aussicht Gestellten wird die Verteidigung – insbesondere aus Sicht des Gerichts – nur schwer wegkommen kommen.

[21] Warum und auf welcher rechtlichen Grundlage sich die Sitzungsvertreterin bei dieser Sachlage gebunden fühlte, bleibt trotz ihrer (aus Verteidigersicht vielleicht überraschenden und das Landgericht durchaus kompromittierenden) Offenheit indessen unklar. Man muss kritisch nachfragen, was die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft bewogen haben mag, entgegen der klaren Rechtslage auf der Grundlage einer informellen Abrede zu prozessieren und sich an diese auch gebunden zu fühlen. Vielleicht hatte sie aber auch im Vergleich zum BGH und zum Landgericht einfach ein anderes rechtsethisches Verständnis davon, was echte Verfahrensfairness bei der konkreten Sachlage in der Tatsacheninstanz bedeuten musste.

[22] Vgl. Graumann (Fn. 2), S. 435 ff., dessen subjektiv-rechtlich orientierter Ansatz hier einen entscheidenden Fortschritt bei der Konkretisierung des Vertrauensschutzgrundsatzes und der Trennung zulässiger und unzulässiger Einflussnahmen mit sich bringt.

[23] Allgemein zu dieser Konstellation Graumann (Fn. 2), S. 439.

[24] Fezer NStZ 2010, 177, 181, 183.

[25] Der BGH hat es im vorliegenden Fall mangels Entscheidungsrelevanz ausdrücklich dahinstehen lassen, ob ein Verfahrensbeteiligter, der wissentlich an einer gesetzwidrigen informellen Absprache teilgenommen hat, das Urteil ohne weiteres dennoch mit der Verfahrensrüge eines Verstoßes anfechten kann. Der Gerichtshof deutet damit für die Zukunft bereits eine Präklusionswirkung an, soweit doch einmal auf die Absprache vertraut werden durfte. Kollusives Zusammenwirken mit dem Gericht soll also wohl stets auf eigene Gefahr erfolgen, womit freilich das Urteil zugleich gegen die Auswirkungen des korrespondierenden rechtswidrigen Prozessverhaltens der Strafverfolgungsbehörden immunisiert würde.

[26] Schon der dogmatische Konstruktionsfehler und die Unwahrhaftigkeit des Verständigungsverfahrens, das theoretisch Unvereinbares lediglich rhetorisch miteinander zu vereinen sucht, so Fezer NStZ 2010, 177, 179, 180 f., 183; Wohlers NJW 2010, 2470, 2474, erzeugen ein besonderes Bedürfnis für effektiven verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz, der die Prozesssubjektsstellung des Angeklagten ernst nimmt. Die Möglichkeit der Flucht in den Amtsermittlungsgrundsatz verleiht den Gerichten ein durchlaufendes Reurecht, vgl. dazu Jahn/Müller NJW 2009, 2625, 2629; kritisch Meyer-Goßner (Fn. 9), § 257c Rn. 26; Murmann ZIS 2009, 526, 536 f., 538 – "letztlich erlaubt jede Schludrigkeit des Gerichts bei der Aktenlektüre ein Abweichen". Diese den Angeklagten benachteiligende Lasten- und Risikoverteilung hat der Gesetzgeber nur für zulässige Verständigungen durch ein Verwertungsverbot in § 257c Abs. 4 S. 3 StPO ausgeglichen. Jedoch wurden zahlreiche verfahrensspezifische Probleme, die Absprachen in der Vergangenheit Vorschub leisteten, nicht gelöst, sondern die mit ihnen vielfach unverträglichen richterrechtlichen Regeln einfach-gesetzlich festgeschrieben, so dass eine Fortführung der bisherigen devianten Praxis befürchtet werden muss. Weßlau, FS Müller, S. 779, 792, vermutet, dass es bei der bisherigen Praxis bleiben wird, da lebensfremde, nunmehr gesetzliche Vorgaben wie die Einhaltung des Amtsermittlungsgrundsatzes weiterhin ignoriert werden. Die Konsequenzen der Mut- und Konzeptlosigkeit des Gesetzgebers sollen aber, wie es scheint, grundsätzlich nicht die Gerichte zu tragen haben.