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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Februar 2009
10. Jahrgang
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1. Jede Form des Schießens mit einer scharfen Waffe in Richtung auf einen Menschen legt wegen ihrer außergewöhnlich großen Lebensgefährlichkeit den Schluss auf einen Tötungsvorsatz nahe (BGHSt 42, 65, 69).
2. Zwar können auch bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen Umstände vorliegen, die belegen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut haben könnte, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus dem Wissen um einen möglichen Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das – selbständig neben dem Wissenselement stehende – voluntative Vorsatzelement gegeben ist.
3. Die Ablehnung des – nahe liegenden – bedingten Tötungsvorsatzes bei äußerst gefährlichen Tathandlungen bedarf einer Gesamtwürdigung, die alle für den Vorsatz erheblichen Beweisanzeichen umfasst.
Ein unbeendeter Versuch kommt auch dann in Betracht, wenn der Täter nach seinem Handeln den Erfolgseintritt zwar – zunächst – für möglich hält, sodass von einem beendeten Versuch auszugehen wäre, unmittelbar darauf aber zu der Annahme gelangt, sein bisheriges Tun könne den Erfolg doch nicht herbeiführen, und er nunmehr von weiteren fortbestehenden Handlungsmöglichkeiten zur Herbeiführung des Erfolges absieht („Korrektur des Rücktrittshorizonts“).
Das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB erfasst auch und gerade solche Veränderungen der Persönlichkeit, die nicht pathologisch bedingt sind, und kann deshalb auch dann vorliegen, wenn die Persönlichkeitsstörung des Täters nicht als krankhaft zu bezeichnen ist.
1. Eine Beförderungsleistung wird bereits dann im Sinne des § 265 a Abs. 1 StGB erschlichen, wenn der Täter ein Verkehrsmittel unberechtigt benutzt und sich dabei allgemein mit dem Anschein umgibt, er erfülle die nach den Geschäftsbedingungen des Betreibers erforderlichen Voraussetzungen. (BGHSt)
2. Der Wortlaut der Norm setzt weder das Umgehen noch das Ausschalten vorhandener Sicherungsvorkehrungen oder regelmäßiger Kontrollen voraus. Er enthält allenfalls ein „täuschungsähnliches“ Moment dergestalt, dass die erstrebte Leistung durch unauffälliges Vorgehen erlangt wird. (Bearbeiter)
3. Die unberechtigte Inanspruchnahme von Automatenleistungen oder von Leistungen eines öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationssystems erfordert in der Regel eine aktive Manipulation oder Umgehung von Sicherungsmaßnahmen. (Bearbeiter)
1. Die Zulassungsbescheinigung Teil I (früher: Fahrzeugschein) ist auch hinsichtlich der Identität des zum Straßenverkehr zugelassenen Fahrzeugs eine öffentliche Urkunde im Sinne des § 271 StGB. (BGHSt)
2. Nicht jede in einer öffentlichen Urkunde enthaltene Angabe, die ein Außenstehender durch Täuschung des gutgläubigen Amtsträgers bewirkt, kann Gegenstand einer Straftat nach § 271 StGB sein. Strafbewehrt beurkundet im Sinne des § 271 StGB sind vielmehr nur diejenigen Erklärungen, Verhandlungen oder Tatsachen, auf die sich der öffentliche Glaube, d. h. die „volle Beweiswirkung für und gegen jedermann“, erstreckt. Welche Angaben dies im Einzelnen sind, ist, wenn es an einer ausdrücklichen Vorschrift fehlt, den gesetzlichen Bestimmungen zu entnehmen, die für die Errichtung und den Zweck der Urkunde maßgeblich sind. Wesentliche Kriterien zur Bestimmung der Reichweite des öffentlichen Glaubens sind dabei - neben dem Beurkundungsinhalt als solchem - das Verfahren und die Umstände des Beurkundungsvorgangs sowie die Möglichkeit des die Bescheinigung ausstellenden Amtsträgers, die Richtigkeit des zu Beurkundenden zu überprüfen (BGHSt - GS - 22, 201, 203 f.; BGHSt 42, 131 f.; BGH NJW 1996, 470). (Bearbeiter)
3. Die den öffentlichen Glauben legitimierende erhöhte Beweiswirkung kann auf den eigenen Wahrnehmungsmöglichkeiten des die Urkunde ausstellenden Amtsträgers beruhen (BGH NJW 1996, 470), sie kann sich für den Urkundenaussteller aber auch aus den im Verfahren vorzulegenden Bescheinigungen anderer öffentlicher Stellen mit erhöhter Richtigkeitsgewähr ergeben. (Bearbeiter)
4. Die Beihilfe zur Urkundenfälschung (in der Alternative des Gebrauchens) geht in der Anstiftung zur Urkundenfälschung (in der Alternative des Herstellens) auf, da beide Teilnahmehandlungen eine deliktische Einheit darstellen, in der die schwerwiegendere Anstiftung der Beihilfe vorgeht. Diese für die täterschaftlich begangenen Alternativen des Herstellens und Gebrauchens einer unechten Urkunde anerkannte tatbestandliche Handlungseinheit gilt auch für die Teilnahme an den verschiedenen Tatvarianten der Urkundenfälschung, und zwar selbst dann, wenn sich Anstiftung und Beihilfe jeweils auf Taten unterschiedlicher Haupttäter beziehen. Auch hier verbindet der Gesamtvorsatz des doppelten Teilnehmers, zur Fälschung der Urkunde gerade deshalb anzustiften, um einem anderen deren Gebrauch zu ermöglichen, dessen Teilnahmehandlungen zu einer einheitlichen Tat. (Bearbeiter)
5. Tatbeiträge, die bereits erbracht werden, bevor das Hehlgut durch eine rechtswidrige Vortat erlangt ist, sich aber erst bei der Verwertung desselben auswirken, können allenfalls als Teilnahme an der Vortat oder als Beihilfe an einer etwaigen Hehlerei eines Dritten angesehen werden (vgl. BGHSt 13, 403, 405; BGH NStZ 1994, 486). (Bearbeiter)
Die gefährliche Körperverletzung in der Qualifikationsform der lebensgefährdenden Behandlung steht in Tateinheit mit der durch die Tathandlung verursachten schweren Körperverletzung. (BGHSt)
1. Ist das Opfer einer Vergewaltigung Prostituierte, die sich zur Vornahme sexueller Handlungen gegen Entgelt zunächst bereit erklärt hat, ist dies nicht grundsätzlich und regelmäßig als strafmildernder Gesichtspunkt zu berücksichtigen. Soweit sich aus der konkreten Vorgeschichte oder dem Ablauf des Tatgeschehens einer sexuellen Nötigung Milderungsgründe ergeben können, können diese nicht ohne Weiteres schon aus der Eigenschaft des Tatopfers als Prostituierte abgeleitet werden.
2. Das Motiv der geschädigten Person, in die vom Täter gewünschten sexuellen Handlungen nicht einzuwilligen, ist für § 177 Abs. 1 StGB regelmäßig unerheblich. Aus dem hypothetischen Umstand allein, dass eine Person unter anderen Umständen, für ein Entgelt oder auch gegen ein höheres Entgelt in die Vornahme der vom Täter erzwungenen sexuellen Handlungen eingewilligt hätte, kann nicht schon ein bestimmender Milderungsgrund für das Erzwingen von sexuellen Handlungen abgeleitet werden, in welche das Tatopfer gerade nicht eingewilligt hat.
3. Zwar mag es Fälle geben, in denen aufgrund außergewöhnlicher Umstände der durch die Furcht des Tatopfers vor Gewaltanwendung in schutzloser Lage geschaffenen Zwangswirkung (vgl. BGHSt 50, 359, 368) ein neben dem durch ausdrückliche Drohung mit Gewalt begründeten Zwang bestehender Unrechtsgehalt zukommen kann. In der Regel erweist sich eine Lage, in welcher das Tatopfer durch ausdrückliche Drohung erfolgreich genötigt wird, aber gerade hierdurch als „schutzlos“. Eine allein objektiv ohnehin kaum bestimmbare (vgl. BGHSt 50, 356, 362) Lage äußerer Schutzlosigkeit kann die Zwangswirkung einer vom Täter ausdrücklich oder konkludent ausgesprochenen Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben verstärken. Sie wirkt dann als Teil dieser Drohung, hat aber keinen eigenen, selbständigen Unrechtsgehalt, der über die Verwirklichung des Tatbestands des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB hinausginge. Es erscheint daher bedenklich, bei Verwirklichung der Drohungsvariante des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB in einer Situation, in welcher die äußeren Voraussetzungen von Schutzlosigkeit im Sinne von § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB gegeben sind, die Verwirklichung auch dieser Tatbestandsvariante ohne Weiteres als unrechts- und straferhöhenden Umstand anzusehen.
1. Die zur Vollendung des Diebstahls führende Wegnahme ist vollzogen, wenn fremder Gewahrsam gebrochen und neuer Gewahrsam begründet ist.
2. Für die Frage des Wechsels der tatsächlichen Sachherrschaft ist entscheidend, dass der Täter die Herrschaft über die Sache derart erlangt, dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben kann und dieser über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters zu brechen. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den Anschauungen des täglichen Lebens (BGHSt 23, 254, 255).
3. Einen bereits gesicherten Gewahrsam setzt die Tatvollendung nicht voraus. Bei handlichen und leicht beweglichen Sachen genügt regelmäßig schon ein Ergreifen und Festhalten bzw. das offene Wegtragen des Gegenstands als Wegnahmehandlung.
4. In Fällen, in denen der Täter einen leicht zu transportierenden Gegenstand an sich gebracht hat, kommt ihm jedenfalls dann die ausschließliche Sachherrschaft zu, wenn er den umschlossenen Herrschaftsbereich des Gewahrsamsinhabers verlassen hat. Daran ändert auch grundsätzlich die Beobachtung des auf frischer Tat betroffenen Täters nichts, da der Diebstahl keine heimliche Tat ist.
1. § 306a Abs. 2 StGB setzt als konkretes Gefährdungsdelikt voraus, dass die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation für das geschützte Rechtsgut - die Gesundheit eines Menschen - führt. In dieser Lage muss die Sicherheit einer bestimmten Person so stark beeinträchtigt sein, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob ihre Gesundheit verletzt wird oder nicht.
2. Zur Annahme einer konkreten Gesundheitsgefährdung in diesem Sinne reicht es noch nicht aus, dass sich Menschen in enger räumlicher Nähe zur Gefahrenquelle befinden.
3. Die Konkretisierung der Gefahrenlage ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung aufgrund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen.
4. Der Inhalt der Anklage ist vom Revisionsgericht von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmen; er muss deshalb
nicht vom Revisionsführer im Einzelnen dargelegt werden. Allerdings empfiehlt sich die Mitteilung der für die Rüge bedeutsamen Umstände, um den Revisionsvortrag aus sich heraus verständlich zu machen (vgl. BGH StV 2002, 588, 589).
Der qualifizierte Tatbestand der gewerbsmäßigen Hehlerei (§ 260 StGB) ist auf den Gehilfen nur anwendbar, wenn dieser selbst gewerbsmäßig gehandelt hat, da es sich bei der Gewerbsmäßigkeit um ein die Strafe schärfendes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 2 StGB handelt.
Soll die Sorge eines Entführten um sein Wohl zu einer Erpressung im Sinne des § 253 StGB ausgenutzt werden, handelt es sich um eine auf die Erfüllung eines Straftatbestandes gerichtete (abgepresste) Leistung, der grundsätzlich kein Vermögenswert i.S.d. § 253 StGB zukommt (BGH NStZ 2001, 534).
1. § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt voraus, dass das Tatopfer unter dem Eindruck seines schutzlosen Ausgeliefertseins aus Furcht vor möglichen Einwirkungen des Täters auf einen ihm grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet. Der subjektive Tatbestand setzt zumindest bedingten Vorsatz dahingehend voraus, dass das Tatopfer in die sexuellen Handlungen nicht einwilligt und dass es gerade im Hinblick auf seine Schutzlosigkeit auf möglichen Widerstand verzichtet (BGHSt 50, 359).
2. Der hierzu erforderliche Zwangszusammenhang ergibt sich nicht schon allein daraus, dass das betroffene Kind dem erwachsenen Täter körperlich unterlegen ist oder dass eine Missbrauchstat, wie in den weitaus meisten Fällen der §§ 176, 176 a StGB, in einer Tatsituation begangen wird, in welcher das Opfer objektiv schutzlos ist. Feststellungen dazu, dass der Angeklagte eine konkretisierte Furcht der Geschädigten vor körperlicher Gewalteinwirkung nötigend ausgenutzt hatte, hat das Landgericht nicht getroffen (vgl. hierzu auch BGH aaO S. 368).
1. Kann bei Tätern, die während ihrer Handlungen vom Körperverletzungs- zum Tötungsvorsatz übergehen, nicht ausgeschlossen werden oder steht fest, dass die zum Tod führenden Handlungen „lediglich“ mit Körperverletzungsvorsatz ausgeführt wurden, scheidet eine Verurteilung wegen vollendeten Totschlags aus; vielmehr ist dann regelmäßig wegen Körperverletzung mit Todesfolge und versuchtem Totschlag zu verurteilen (BGH NJW 1989, 596, 597; BGH NStZ 1992, 277, 278).
2. Anders als in den Fällen, in denen die Täter ohne Zäsur im Tatgeschehen vom Körperverletzungs- zum Tötungsvorsatz übergehen, stellt sich ein zweiaktiges Geschehen (hier Zäsur durch Unterbrechung zur Untersuchung des Tatopfers) nicht als natürliche Handlungseinheit dar, vielmehr stehen die Körperverletzung mit Todesfolge und der versuchte Totschlag zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 101).
Der subjektive Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung in der Alternative einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) setzt voraus, dass der Täter mit Verletzungsvorsatz handelt und dabei die Umstände erkennt, aus denen sich in der konkreten Situation die Lebensgefährlichkeit ergibt, also die Handlung nach seiner Vorstellung auf Lebensgefährdung „angelegt“ ist.
Bleibt unaufklärlich, ob er sich der Angeklagte in strafbarer Weise an der einen Unglücksfall bildenden Brandstiftung beteiligt hat, kann er nach § 323 c StGB bestraft werden, wenn er die erforderliche, ihm mögliche und zumutbare Hilfe nicht geleistet hat (vgl. BGHSt 39, 164). Voraussetzung ist jedoch, dass der Lebensvorgang, der der Anklage wegen der Begehungstat zu Grunde liegt, und das als unterlassene Hilfeleistung zu wertende Geschehen bei natürlicher Betrachtungsweise als einheit-
licher geschichtlicher Vorgang und damit als eine Tat im prozessualen Sinne (§ 264 Abs. 1 StPO) anzusehen sind. Das ist ohne Weiteres dann der Fall, wenn die Begehungstat, wäre sie als erwiesen anzusehen, den dann zugleich verwirklichten Straftatbestand des § 323 c StGB als subsidiäres Delikt verdrängen würde (vgl. BGH aaO S. 166).