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HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 209

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 438/08, Urteil v. 04.12.2008, HRRS 2009 Nr. 209


BGH 4 StR 438/08 - Urteil vom 4. Dezember 2008 (LG Magdeburg)

Vollendeter und versuchter Totschlag; Körperverletzung mit Todesfolge (Konkurrenzverhältnis; Zäsur bei Übergang vom Körperverletzungsvorsatz zum Tötungsvorsatz); Tatbestandsirrtum (Irrtum über den Kausalverlauf; in dubio pro reo).

§ 16 StGB; § 212 StGB; § 227 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

1. Kann bei Tätern, die während ihrer Handlungen vom Körperverletzungs- zum Tötungsvorsatz übergehen, nicht ausgeschlossen werden oder steht fest, dass die zum Tod führenden Handlungen "lediglich" mit Körperverletzungsvorsatz ausgeführt wurden, scheidet eine Verurteilung wegen vollendeten Totschlags aus; vielmehr ist dann regelmäßig wegen Körperverletzung mit Todesfolge und versuchtem Totschlag zu verurteilen (BGH NJW 1989, 596, 597; BGH NStZ 1992, 277, 278).

2. Anders als in den Fällen, in denen die Täter ohne Zäsur im Tatgeschehen vom Körperverletzungs- zum Tötungsvorsatz übergehen, stellt sich ein zweiaktiges Geschehen (hier Zäsur durch Unterbrechung zur Untersuchung des Tatopfers) nicht als natürliche Handlungseinheit dar, vielmehr stehen die Körperverletzung mit Todesfolge und der versuchte Totschlag zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 101).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 13. Mai 2008 im Schuldspruch dahin abgeändert, dass die Angeklagten der Körperverletzung mit Todesfolge und des versuchten Totschlags schuldig sind.

2. Die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.

3. Von der Auferlegung von Kosten und Auslagen wird abgesehen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Totschlags verurteilt und gegen den Angeklagten B. unter Einbeziehung eines weiteren Urteils eine Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren sowie gegen den Angeklagten S. eine Jugendstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verhängt. Hiergegen richten sich die Revisionen der Angeklagten, die die Verletzung formellen und materiellen Rechts (Angeklagter B.) bzw. materiellen Rechts (Angeklagter S.) beanstanden. Die Rechtsmittel führen auf die Sachrüge hin zu einer Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen - auch hinsichtlich der vom Angeklagten B. erhobenen Verfahrensrügen - haben sie keinen Erfolg.

I.

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen entschlossen sich die Angeklagten, Burkhard G., den Nachbarn der Mutter des Angeklagten S., "heftig körperlich zu züchtigen", da dieser - so nahmen die Angeklagten an - der Mutter des Angeklagten S. Geld entwendet und den Angeklagten B. sowie dessen Eltern beleidigt hatte.

Als Burkhard G. den Diebstahl des Geldes abstritt, schlug der Angeklagte S. mit Händen und Fäusten immer heftiger auf dessen Kopf, Oberkörper und Rücken ein. Anschließend bestätigte Burkhard G. auf Frage des Angeklagten B. die beleidigenden Äußerungen über diesen und dessen Eltern. Darüber geriet der Angeklagte B. in Wut, schlug mit den Fäusten auf den Oberkörper des Burkhard G. ein, trat mehrmals in dessen Rücken und schließlich mit so großer Wucht gegen die Nieren, dass dieser nach vorn sackte, zu röcheln begann und vom Bett rutschte. Anschließend stellte der Angeklagte B. sich auf das am Boden liegende Opfer und sprang mindestens sechs Mal auf dessen Rücken. "Danach" erkannten beide Angeklagte, dass das Leben ihres Opfers konkret gefährdet sein könnte. Gleichwohl warf der Angeklagte B. eine hölzerne Wäschetruhe auf Burkhard G., die diesen zwischen Rücken und Kopf traf. Hierbei - aber auch bei den vorangegangenen Verletzungshandlungen - sahen beide Angeklagte voraus, dass dies zum Tod des Burkhard G. führen konnte. Anschließend versuchte der Angeklagte B., den Puls des regungslos auf dem Boden liegenden Burkhard G. zu fühlen. Nachdem ihm dies nicht gelungen war, wollten der Angeklagte S., der Springerstiefel mit festen Sohlen und Stahlkappen trug, und der Angeklagte B., der Turnschuhe anhatte, durch jeweils mehrere Fußtritte an den Kopf, "den Geschädigten wieder wachmachen" und Sicherheit über dessen Tod oder Leben 3 gewinnen. Hierbei nahmen sie für den Fall, dass dieser noch nicht eingetreten war, den Tod des Burkhard G. billigend in Kauf.

Burkhard G. verstarb an Verbluten nach innen infolge eines durch die Schläge und Fußtritte gegen den Oberkörper verursachten Abrisses der Milzblutader. Nicht todesursächlich waren die durch Sprünge auf den Rücken verursachten Verletzungen der Rippen und der Wirbelsäule. Der genaue Todeszeitpunkt konnte "wissenschaftlich exakt" nicht bestimmt werden. Ob die Tritte gegen den Kopf den Todeseintritt zumindest beschleunigt haben oder ob das Opfer zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben war, vermochte das Landgericht ebenfalls nicht festzustellen.

II.

Diese Feststellungen tragen die Verurteilung wegen vollendeten Totschlags nicht; sie belegen indes, dass die Angeklagten der Körperverletzung mit Todesfolge und des versuchten Totschlags schuldig sind.

Kann bei Tätern, die während ihrer Handlungen vom Körperverletzungs- zum Tötungsvorsatz übergehen, nicht ausgeschlossen werden oder steht fest, dass die zum Tod führenden Handlungen "lediglich" mit Körperverletzungsvorsatz ausgeführt wurden, scheidet eine Verurteilung wegen vollendeten Totschlags aus; vielmehr ist dann regelmäßig wegen Körperverletzung mit Todesfolge und versuchtem Totschlag zu verurteilen (BGH NJW 1989, 596, 597; BGH NStZ 1992, 277, 278; BGH bei Holtz MDR 1977, 282). Auf dieser Grundlage schied hier eine Verurteilung wegen vollendeten Totschlags aus, weil der durch die Schläge und Fußtritte der Angeklagten gegen den Oberkörper ihres Opfers verursachte Abriss der Milzblutader nach den von der Jugendkammer getroffenen Feststellungen dem vom Körperverletzungsvorsatz getragenen ersten Tatteil zuzuordnen ist. Jedoch waren diese Misshandlungen mit der Gefahr des Todes des Burkhard G. verbunden, der objektiv und auch für die Angeklagten vorhersehbar war, so dass die Angeklagten den Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge verwirklicht haben.

Ferner belegen die Feststellungen, dass beide Angeklagte im zweiten Tatteil mit Tötungsvorsatz gehandelt, also einen versuchten Totschlag begangen haben. Hierbei ist ohne Bedeutung, ob Burkhard G. schon vor diesen Misshandlungen verstorben war (vgl. BGH NStZ 1992, 277, 278 m.w.N.). Anders als in den Fällen, in denen die Täter ohne Zäsur im Tatgeschehen vom Körperverletzungs- zum Tötungsvorsatz übergehen, stellt sich jedoch das zweiaktige Geschehen wegen der Unterbrechung zur Untersuchung des Tatopfers nicht als natürliche Handlungseinheit dar, vielmehr stehen die Körperverletzung mit Todesfolge und der versuchte Totschlag zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 101).

III.

Der Senat kann den Schuldspruch selbst entsprechend abändern, da der Jugendkammer bei vollständigen Feststellungen lediglich ein Subsumtionsfehler unterlaufen und auszuschließen ist, dass sich die Angeklagten gegen diesen Vorwurf anders als geschehen hätten verteidigen können.

Die Änderung des Schuldspruchs erfordert nicht die Aufhebung der Strafaussprüche. Denn weder die vom Landgericht bei der Bemessung der Jugendstrafen in den Vordergrund gestellte Dauer der erforderlichen erzieherischen Einwirkung noch die Belange eines gerechten Schuldausgleichs werden von der Schuldspruchänderung berührt.

HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 209

Externe Fundstellen: NStZ 2009, 266; StV 2009, 472

Bearbeiter: Karsten Gaede