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HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 132

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 190/08, Beschluss v. 08.07.2008, HRRS 2009 Nr. 132


BGH 3 StR 190/08 - Beschluss vom 8. Juli 2008 (LG Hildesheim)

Körperverletzung mit Todesfolge (schweres ärztliches Versagen; selbstschädigendes Verhalten; Zurechnungszusammenhang; Vorhersehbarkeit); gefährliche Körperverletzung (das Leben gefährdende Behandlung; Feststellung des Vorsatzes).

§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB; § 227 StGB; § 18 StGB; § 15 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Der subjektive Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung in der Alternative einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) setzt voraus, dass der Täter mit Verletzungsvorsatz handelt und dabei die Umstände erkennt, aus denen sich in der konkreten Situation die Lebensgefährlichkeit ergibt, also die Handlung nach seiner Vorstellung auf Lebensgefährdung "angelegt" ist.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 6. Februar 2008 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zur Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.

I. Nach den Feststellungen kam es am frühen Morgen des 23. April 2006 zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau nach einem verbalen Streit zu einer tätlichen Auseinandersetzung. In deren Verlauf setzte sich der 128 kg schwere Angeklagte mit Schwung auf den Brustkorb seiner mit dem Rücken am Boden liegenden Frau. Dadurch brachen die Rippen der Geschädigten insgesamt 18 Mal. Der Angeklagte blieb mindestens zwei Minuten so auf seiner Frau sitzen, dass ihr Brustkorb stark komprimiert wurde und sie kaum Luft bekam. Zum Tatzeitpunkt war der Angeklagte wegen eines Affektdurchbruchs in der spezifischen Konfliktsituation in Verbindung mit seiner Alkoholisierung (BAK höchstens 1,15 ‰) nicht ausschließbar in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt.

Vom 25. bis 28. April 2006 wurde das Tatopfer im Krankenhaus behandelt. Bei zwei Röntgenuntersuchungen diagnostizierten die Ärzte lediglich Frakturen von drei Rippen. Am 2. Mai 2006 konsultierte die Geschädigte wegen ihrer Verletzungen einen Hausarzt, der ihr Schmerztabletten verschrieb und häusliche Ruhe verordnete. Sie suchte ihn am 9. Mai 2006 nochmals wegen Beinbeschwerden auf. In der Folgezeit verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand immer mehr. Sie verstarb in der Nacht auf den 24. Mai 2006. Todesursächlich war ein toxisch-resorptives Herz-/Kreislaufversagen infolge Sepsis bei insgesamt 18 Rippenserienfrakturen, oft mit Durchspießungen nach außen und innen, mit Vereiterung der rechten Brusthöhle als Folge der Rippenverletzungen.

Die Strafkammer ist davon ausgegangen, dass der Zurechnungszusammenhang zwischen der Körperverletzung und dem Tod weder durch einen schweren Behandlungsfehler der Krankenhausärzte noch ein selbst schädigendes Verhalten des Tatopfers unterbrochen wurde. Zum subjektiven Tatbestand hat sie ausgeführt, der Körperverletzungsvorsatz folge aus dem objektiven Geschehen; insbesondere sei der Angeklagte aufgrund seines beträchtlichen Gewichts davon ausgegangen und habe billigend in Kauf genommen, dass er seine nur halb so schwere Ehefrau durch längeres Sitzen auf deren Thorax erheblich verletzen werde.

II. Gegen den Schuldspruch bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.

1. Die Strafkammer hat nicht ausdrücklich festgestellt, dass der Angeklagte bei der vorsätzlich begangenen Körperverletzung den Tod seiner Ehefrau - wie es § 18 StGB i. V. m. § 227 StGB verlangt - wenigstens fahrlässig verursacht hat, also die Todesfolge voraussehen konnte (vgl. Fischer, StGB 55. Aufl. § 227 Rdn. 7). Dies liegt wegen der Besonderheiten des Tatgeschehens nicht von vornherein so auf der Hand, dass Ausführungen dazu entbehrlich gewesen wären.

2. Der Fahrlässigkeitsvorwurf ergibt sich insbesondere nicht zweifelsfrei aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe. Zwar hat das Landgericht eine gefährliche Körperverletzung mit der Qualifikation einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB angenommen, was häufig die Voraussehbarkeit einer dadurch verursachten Todesfolge einschließt. Jedoch enthält die Begründung, mit der es diese Alternative bejaht hat, durchgreifende Rechtsfehler.

a) Die Begründung bezieht sich schon nicht auf die Tathandlung, durch die die Verletzungen, die in der Folgezeit letztlich zum Tode der Geschädigten führten, verursacht wurden. Nach den Feststellungen brachen die Rippen nämlich bereits durch das schwungvolle Setzen auf den Brustkorb der Frau. Den bedingten Körperverletzungsvorsatz in der Qualifikation einer das Leben gefährdenden Behandlung hat das Landgericht jedoch aus dem Umstand hergeleitet, dass der Angeklagte mindestens zwei Minuten lang auf dem Thorax des Tatopfers sitzen blieb.

b) Abgesehen davon genügen die Ausführungen des Landgerichts nicht den Anforderungen, die an subjektiven Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung in der Alternative einer das Leben gefährdenden Behandlung zu stellen sind. Dieser setzt voraus, dass der Täter mit Verletzungsvorsatz handelt und dabei die Umstände erkennt, aus denen sich in der konkreten Situation die Lebensgefährlichkeit ergibt, also die Handlung nach seiner Vorstellung auf Lebensgefährdung "angelegt" ist (vgl. BGHR StGB Lebensgefährdung 5 und 6; Fischer aaO § 224 Rdn. 13). Ob der Angeklagte beim schwungvollen Setzen auf den Brustkorb diese Kenntnis besaß, hat das Landgericht nicht erkennbar geprüft.

Der subjektive Tatbestand ergibt sich bei dem hier gegebenen außergewöhnlichen Sachverhalt nicht von selbst aus der Schilderung des äußeren Tatgeschehens. Das Landgericht hätte deshalb eine Gesamtwürdigung vornehmen und die Umstände, die gegen die Vorstellung des Angeklagten sprechen könnten, seine Handlung sei auf mehr als Körperverletzung, nämlich auf Lebensgefährdung, angelegt gewesen, in seine Überlegungen einbeziehen müssen. Insbesondere hätte es würdigen müssen, dass handgreifliche Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten nicht unüblich waren, die festgestellte Verletzungshandlung spontan im Rahmen einer schnell eskalierenden Auseinandersetzung erfolgte, an der sich die Geschädigte selbst mit Beschimpfungen und Tätlichkeiten aktiv beteiligte, und die Rippenfrakturen nach einer sehr kurzen Gewalteinwirkung entstanden. Es hätte auch bedenken müssen, dass der alkoholisierte und affektiv aufgeladene Angeklagte in seiner Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar erheblich eingeschränkt war.

III. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Der Zurechnungszusammenhang zwischen der Körperverletzung und der Todesfolge (vgl. Fischer, StGB 55. Aufl. § 226 Rdn. 2 ff.) bedarf sorgfältiger Prüfung.

Soweit ein Behandlungsfehler der Krankenhausärzte in Betracht kommt, ist zunächst mit Blick auf dessen Schweregrad festzustellen, wie viele Rippenbrüche ein radiologisch ausgebildeter Arzt auf den gefertigten Röntgenbildern bei sorgfältiger Auswertung tatsächlich erkennen konnte oder ob etwa ein unklarer medizinischer Befund Anlass für weitergehende Untersuchungen gab. Von Bedeutung für den Schweregrad eines eventuellen Behandlungsfehlers und eine mögliche Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs dürfte auch sein, welche Behandlung aufgrund des Ergebnisses einer sorgfältigen Diagnose nach den Regeln der ärztlichen Kunst geboten war.

Es ist weiterhin zu bedenken, ob ein den Zurechnungszusammenhang unterbrechendes selbst schädigendes Verhalten des Tatopfers möglicherweise darin zu sehen ist, dass es nach dem 2. Mai 2006 wegen der Rippenfrakturen keine ärztliche Hilfe mehr in Anspruch nahm, obwohl sich der Gesundheitszustand ständig verschlechterte. Dabei wird von Bedeutung sein, welche Schmerzen und körperliche Symptome auftraten und inwieweit diese die Verletzte zur Inanspruchnahme weiterer ärztlicher Hilfe drängten. Die Argumentation im aufgehobenen Urteil, der Angeklagte habe voraussehen können, dass sich seine Ehefrau aus Scham nicht weiterbehandeln lassen würde, um den wahren Grund der Verletzungen zu vertuschen, überzeugt schon deshalb nicht, weil den behandelnden Ärzten die mit einem Treppensturz erklärten Verletzungen bereits bekannt waren.

Auch wird in den Blick zu nehmen sein, ob das Zusammenwirken eines ärztlichen Behandlungsfehlers und eines selbst schädigenden Verhaltens zu einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs geführt hat.

HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 132

Externe Fundstellen: NStZ 2009, 92; StV 2009, 187

Bearbeiter: Ulf Buermeyer