HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

April 2008
9. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Absprachenpraxis versus Wiederaufnahme des Verfahrens

Informelle Verfahrensgestaltung im Konflikt mit dem gesetzlichen Verfahrensrecht

Von RiOLG Dr. Ralf Eschelbach, Koblenz/Heidesheim

Eine Leitmaxime in Rechtsprechung und Gesetzgebung ist die Erhaltung der Effektivität der Strafrechtspflege.[1] Jedoch stellt sich die Frage, ob Effektivität mit der reibungslosen Erfüllung von Bestrafungs- und Straferwartungsprognosen in kurzen Prozessen gleichgesetzt werden kann, wenn dabei das Fehlurteilsrisiko[2] potenziert wird und Mittel der Ergebniskontrolle zu ineffektiven rechtsstaatlichen Feigenblättern degenerieren. Dem Ziel der Effektivität der Strafverfolgung muss das Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes[3] bei dem hoheitlichen Eingriff in das Freiheitsrecht des Angeklagten (Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 GG) durch einen Schuld- und Straf- oder Maßregelausspruch entgegengehalten werden. Die Absprachenpraxis, wie sie bei vielen Tatgerichten selbst unter Vernachlässigung[4] des seinerseits unzureichend begründeten[5] Richterrechts des Bundesgerichtshofs[6] zur Begrenzung von Urteilsabsprachen angewendet wird, markiert derzeit das unterste Leistungsniveau der Strafgerichtsbarkeit, welche auch sonst vor allem die für eine Richtigkeitsgewähr wichtigen Wissenschaften der Kriminologie[7] und der Aussagepsychologie[8] im Zentrum ihrer ureigensten Aufgabe[9] der Beweiswürdigung kaum beachtet oder gar selbst beherrscht. Ausreichende richterliche Sachkunde in diesen Bereichen wird vorausgesetzt, ist aber in einer zunehmenden Zahl von Fällen offensichtlich nicht vorhanden, wird durch intuitive Beweiswürdigung sowie sich steigernde Perseveranz- und Schulterschlusseffekte ersetzt, die wiederum eine kämpferische Strafverteidigung als Abwehrreaktion hervorrufen.[10] "Konfliktverteidigung" ist dann nicht selten die Wirkung einer richterlichen "Beratungsresistenz",[11] nicht jedoch die zentrale Ursache der aktuellen Krise des deutschen Strafprozesses. Insgesamt ist im Strafverfahren die Erfüllung der Justizgewährungspflicht[12] ernsthaft in Frage gestellt.

Den diametralen Kontrapunkt zu den heute sehr weit verbreiteten Urteilsabsprachen setzt ein auf den Widerruf des Geständnisses gestütztes Wiederaufnahmebegehren nach § 359 Nr. 5 StPO,[13] das anschließend auch auf

den in der Hauptverhandlung des Erstgerichts unüberprüft gebliebenen Aktenstoff als Tatsachengrundlage für eine Neubewertung des Falles verweist. Dem begegnen Wiederaufnahmegerichte mit dem Vorwurf des Rechtsmissbrauchs oder ähnlichen Ablehnungsgründen, welche auf den Konsens im Erstverfahren rekurrieren.[14] Jedoch stellt sich die Frage: "Wer missbraucht den Strafprozess?"[15] Mit der These, Wahrheit und Gerechtigkeit seien im Strafverfahren ohnehin nicht absolut zu realisieren, wird schon das Streben danach drastisch reduziert; die Wirkung dieser Haltung ist jedenfalls verheerend[16] und dies gebietet die Suche nach Auswegen aus der eskalierenden Krise des deutschen Strafprozesses.

I. Veränderung zentraler Anknüpfungspunkte einer strafprozessualen Richtigkeitsgewähr für das Urteil

1. Wandel der Absprachenpraxis

Die Bewertung strafprozessualer Instrumente hängt stets davon ab, wie damit umgegangen wird. Die Idee der Verfahrensabsprachen war anfangs noch vom Gedanken der Notwendigkeit ihrer Einpassung in das System des gesetzlichen Strafverfahrensrechts getragen. So konnte ein gemäßigtes Absprachenmodell für die in der Praxis häufigen und scheinbar unnötig[17] aufwändigen "Punktesachen" überzeugen.[18] Es sah vor, dass das Gericht in der Hauptverhandlung einen repräsentativen Teil der Einzelfälle sogar unter Ablehnung der Entgegennahme eines Geständnisses streng nach den Regeln der Strafprozessordnung aufklärte und nach Verifizierung der Richtigkeit der diesbezüglichen Anklagevorwürfe eine Zwischenbilanz zog, um die Verfahrensbeteiligten anschließend zu fragen, ob der Rest der Fälle in abgekürzter Weise erörtert werden könne. Wurde hierauf ein Geständnis abgelegt und maßvoll honoriert, dann wurde allen Prozessmaximen im Kern Rechnung getragen. Eine aussagekräftige Überprüfung des Geständnisses auf seine Richtigkeit war anhand der begrenzten gerichtlichen Beweiserhebung im Strengbeweisverfahren möglich. Die Richter und Verfahrensbeteiligten hatten in dem schulmäßig durchgeführten Teil der Hauptverhandlung ihr Wissen um die Einzelheiten des Falles, ihr fachliches Können sowie die gehörige Vorbereitung der Verhandlung unter Beweis gestellt. Kein Richter musste eine Revision ernsthaft befürchten und deshalb einen Rechtsmittelverzicht zur Geschäftsgrundlage der Absprache machen. Das Prozessergebnis war auch nicht mehr wiederaufnahmeanfällig als in einem Verfahren, das insgesamt streng förmlich durchgeführt wurde. Das Fehlurteilsrisiko war auf dasselbe Niveau abgesenkt, das nach den gesetzlichen Verfahrensregeln auch sonst besteht. Durchgreifende Bedenken gegen die Vereinbarkeit dieser Marscherleichterungen für die Justiz infolge einer auf Quantitäten beschränkten Absprache über das weitere Prozedere waren auch anhand der Prozessmaximen der Mündlichkeit und Öffentlichkeit der Hauptverhandlung sowie der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme dagegen nicht zu erheben. Die generelle Vereinbarkeit einer solchen Absprachenpraxis mit dem geschriebenen Verfahrensrecht konnte anhand der auf Stoffmengenbegrenzungen geregelten Bestimmungen der §§ 154, 154a StPO erklärt werden.[19] Gegen eine solche Absprachenpraxis war kaum etwas einzuwenden,[20] denn sie ging nur wenig über ein offenes Rechtsgespräch hinaus, das zur Überwindung des vorher anzutreffenden autoritären Verfahrensstils als wohltuend empfunden wurde. Eine solche Praxis schien ein angemessenes Mittel zur Bewältigung der chronischen Überlastung der Strafjustiz, namentlich in Großverfahren, zu sein. So oder auch nur annähernd ähnlich sehen Absprachen heute aber längst nicht mehr aus.[21]

Früher wurden in der Regel allenfalls vorsichtige Prognosen über den Stand und die Aussichten des Verfahrens in den Raum gestellt. Heute wird meist unter evidenter Verletzung von § 261 StPO[22] das gesamte Prozessergebnis lange vor dem Ende der Hauptverhandlung und außerhalb derselben durch die Zentralfiguren des Prozessgeschehens in Abwesenheit anderer punktgenau festgelegt.[23] Früher waren meist zumindest der Schuldspruch, das Maßregel- und das Jugendstrafrecht sowie vollstreckungsrechtliche Fragen, die ohnehin nicht in die Kompetenz der Gerichte des Erkenntnisverfahrens fallen,[24] tabu. Heute wird über alles gedealt.[25] Die Praxis, die daneben auch das "Allheilmittel"[26] des § 153a StPO exzessiv nutzt, um u.a. die Revisionsinstanz zu umgehen,[27] hat sich in kürzester Zeit sehr stark gewandelt, ohne dass

die Dimension der Änderung der tatrichterlichen Einstellung in der Diskussion bis hin zu gesetzgeberischen Entwürfen[28] für eine Absprachenregelung überall bekannt wäre und beachtet würde. "Das Bedürfnis nach Informalität, ist es einmal als Rechtsprinzip anerkannt, bahnt sich seinen Weg auch unter noch so niedrigen `Mindest-Anforderungen´ hindurch".[29] Daher ist es eine Illusion zu glauben, ein Richterrecht des Bundesgerichtshofs oder eine gesetzliche Regelung könnten der ausufernden tatrichterlichen Praxis Herr werden, wenn gleichzeitig die Kontrolle in Rechtsmittel- oder Rechtsbehelfsverfahren überaus eng begrenzt bleibt. Die Änderung der Praxis gebietet vielmehr ihre grundlegend neue Bewertung[30] und die Schaffung oder Aktivierung effektiver Maßnahmen zur Kontrolle der Prozessergebnisse, denn sonst herrscht Willkür. Dass ein durch kurzen Kampf der Verteidigung erzürnte Richter durch eine Unterwerfungsgeste[31] zu übermäßiger Milde gestimmt werden kann, ist praktische Realität,[32] aber in beide Richtungen das falsche Vorbild. Denn der Richter soll auch angesichts einer kämpferischen Verteidigung "sine ira et studio" über das Rechtsschicksal des Angeklagten entscheiden und er darf auch nicht durch eine Unterwerfungsgeste zu einer Milde veranlasst werden, die sonst nicht zu erreichen wäre. Vor diesem Hintergrund ist bei der aktuellen Bewertung der Absprachenpraxis zu beachten, dass schon die Grundannahmen des konventionellen Verfahrens sich in vielen Teilaspekten so geändert haben, dass verschiedene Prämissen des Richterrechts und der Gesetzentwürfe für Absprachen schlicht falsch sind. Die Praxis lässt sich den "Vergleich" im Strafverfahren zwar nicht ohne Weiteres verbieten,[33] aber es ist zumindest zu überlegen, ob Gegenmaßnahmen angezeigt sind. Dazu kann neben der Strafdrohung[34] gegen Grenzüberschreitungen[35] und der zivilrechtlichen Anwaltshaftung[36] für die Folgen eines "schlechten Vergleichs" zwar nicht das für eine Tatsachenkontrolle letztlich ineffektive Revisionsrecht, wohl aber das Wiederaufnahmerecht dienen. Es absorbiert nebenbei die illegitime Arbeitsersparnis des Erstverfahrens und wirkt dadurch der weiteren Personaleinsparung durch die Justizverwaltungen[37] entgegen, welche bisher dazu führt, dass "dealende" Richter die überkommene Strafjustiz wegrationalisieren.

2. Veränderte Bedeutung des Grundsatzes der Aktenwahrheit und Aktenvollständigkeit

Das "wesentliche Ergebnis der Ermittlungen" nach den Akten ist die Grundlage der justiziellen Betrachtung des Falles und er wird im Absprachenverfahren zum alleinigen Fundament eines durch überhöhte Rechtskraftbewertung verewigten Prozessergebnisses. Allenfalls anhand der aktenkundigen vorläufigen Bewertungen wird im Absprachenverfahren ‑ wenn überhaupt ‑ das Geständnis des Angeklagten, also seine hauptsächliche "Leistung" beim strafprozessualen Vergleich, überprüft.[38] Ob noch Aufklärungsbedarf nach Geständnisablegung bestehen oder das Geständnis glaubhaft sein soll, wird praktisch allein danach beurteilt, ob es mit dem Anklagevorwurf kompatibel ist oder nicht. Voraussetzung für die Tragfähigkeit dieser Prämisse aber wäre zumindest, dass der überkommene Satz von der "Aktenwahrheit und Aktenvollständigkeit" immer noch zutrifft. Er gründet sich darauf, dass die Ermittlungsbeamten im Vorverfahren von Rechts wegen alle für (§ 160 Abs. 2 StPO) und gegen den Beschuldigten sprechenden Aspekte aufgeklärt (§ 160 Abs. 1 StPO) und die Ergebnisse des Freibeweisverfahrens zuverlässig in den Akten festgehalten haben, die wiederum bei Anklageerhebung gemäß § 199 Abs. 2 StPO vollständig dem Gericht präsentiert werden. Von dieser Prämisse gibt es aber längst - meist contra legem ‑ Ausnahmen, die zumindest ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit der Regeln entstehen lassen.

So haben sich in der Praxis "Vorermittlungsverfahren" entwickelt,[39] die eigene Aktenbestände ergeben,[40] welche zumindest nicht in jedem Falle dem Aktenbestand eines späteren Ermittlungsverfahrens zugeführt werden. Mit höchstrichterlicher Billigung[41] werden in der Ermittlungspraxis auch nicht selten "Spurenakten" vom eigentlichen Aktenbestand separiert und damit partiell dem Akteneinsichtsrecht der Verteidigung vorenthalten,[42] weil schon ihre Existenz unbekannt bleibt. Angeblich handelt es sich dabei um unergiebig gebliebene Ermittlungswege; jedoch beruht die Unerheblichkeitsannahme der Beamten, die das Material aussondern, darauf, dass

dieser Beweisstoff nicht in den Erwartungshorizont ihrer Verdachtsannahme passt. Ob dies der einzig richtige Gedanke ist, wäre vom Gericht zu entscheiden, dem jedoch mangels Kenntnis vom Inhalt der Spurenakten der Gedanke eines alternativen Ermittlungsweges verborgen bleibt.

Werden V-Leute eingesetzt und dies geheim gehalten, dann bleibt auch das Material, das auf den V-Mann-Einsatz als solchen hinweist, in der Praxis aus dem Bestand der Gerichtsakten entfernt, was ebenfalls gegen den Grundsatz der Aktenwahrheit und Aktenvollständigkeit verstößt.[43] Ob der Ermittlungsansatz ab initio in die richtige Richtung gewiesen hatte, lässt sich dann nicht verifizieren, weil die Hintergrunderkenntnisse als Verschlusssachen abgelegt werden.

Werden Verfahrensteile abgetrennt und nach §§ 154, 154a StPO eingestellt,[44] dann kann es vorkommen, dass auch der diesbezügliche Beweisstoff in das weiter geführte Verfahren nicht mehr einfließt und bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände keine Beachtung mehr findet. Das kann Folgen haben. So werden bestimmte Vorwürfe nicht nur dann nach §§ 154, 154a StPO von der weiteren Strafverfolgung ausgenommen, wenn sie quantitativ unerheblich erscheinen, sondern insbesondere auch dann, wenn sich in den abgesonderten Verfahrensteilen Beweisprobleme ergeben. Damit aber können zum Beispiel liquide Glaubhaftigkeitsbedenken gegen einen Belastungsbeweis aus dem weiter betriebenen Verfahren exzerpiert werden. Hat ein Belastungszeuge in einem wichtigen Aussageteil nachweislich die Unwahrheit gesagt, dann kann nach der Rechtsprechung der Aussagenrest nur dann rechtsfehlerfrei für wahr gehalten werden, wenn er durch externe Zusatzindizien abgesichert werden kann.[45] Wird aber ein Zweifelsfall nach §§ 154, 154a StPO eliminiert und nicht weiter überprüft, dann entfällt diese Option der Erschütterung der Glaubhaftigkeit der Aussage eines Belastungszeugen.

Diese bloßen Beispiele sollen zeigen, dass die Prämisse der "Aktenvollständigkeit" bei der richterrechtlichen Annahme, eine Überprüfung von absprachenkonformen Geständnissen anhand der Akten sei ausreichend, angreifbar erscheint. Aber auch die Prämisse der "Aktenwahrheit" ist eine Fiktion. § 160 Abs. 2 StPO befiehlt zwar, dass Ermittlungsbeamte auch Entlastungsbeweise zu erheben haben. Die Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens hat darüber zu wachen und sie rühmt sich selbst, sie sei die "objektivste Behörde der Welt".[46] Die praktische Realität lässt indes immer wieder Zweifel daran aufkommen, ob das zutrifft.[47] Die Herrschaft der Staatsanwaltschaft über das Vorverfahren ist eine rechtlich-abstrakte Größe, aber nicht mehr tatsächlich-konkrete Realität. Kein Zweig der Justiz ist mehr überlastet als die Staatsanwaltschaft. Deren Aufgaben werden in immer größerem Umfang von den Ermittlungspersonen der Polizeibehörden erfüllt. Dass diese stets auch alle im Einzelfall in Betracht kommenden Entlastungsbeweise mit derselben Intensität erheben, dokumentieren, berücksichtigen und weiterverfolgen wie die Belastungsbeweise ist geradezu auszuschließen.[48] Für "einseitige Ermittlungen", die von Verteidigern immer wieder erfolglos gerügt werden, ist dabei freilich nicht stets ein "böser Wille" bestimmend. Maßgeblich ist vielmehr das Vorstellungsbild aufgrund der Verdachtshypothese, das die Fragerichtung, den Wahrnehmungshorizont und Erinnerungsgehalt der Ermittler so prägt, dass belastende Umstände überschätzt sowie überzeichnet werden, während entlastende Umstände systematisch unterschätzt oder ignoriert werden und in den Akten gar nicht oder nur am Rande auftauchen. Von einer "Aktenwahrheit" zu sprechen ist daher bereits begrifflich irreführend. Die Verdachtsannahme der Strafverfolgungsbehörde muss natürlich nicht notwendigerweise ganz oder teilweise falsch sein, aber sie kann jedenfalls gerade in scheinbar eindeutigen Fällen ein Fehlerrisiko in sich bergen. Deshalb gibt es letztlich keine "glasklaren" Fälle, die jedoch gerade die heute verbreiteten Urteilsabsprachen in besonderer Weise rechtfertigen sollen.[49] Nichts ist fataler als ein fehlerhaftes Vorurteil, das sich durch die Akten zieht und im Urteil mündet. Dass auch ein "taktisches" Geständnis des Beschuldigten zu Unrecht abgelegt worden sein kann, ist nach den Erfahrungen im Wiederaufnahmerecht durch die Leitentscheidungen des Bundesgerichtshofs[50] vor diesem Hintergrund längst nicht ausreichend in Betracht gezogen worden.[51] Die im Verlauf des Strafverfahrenserfahrens sukzessive verdichtete Verdachtshypothese, die im Absprachenverfahren später zur Gegenkontrolle des Geständnisses herangezogen wird, ist nicht nur der diametrale Gegensatz zur Unschuldsvermutung, sondern zugleich das Gegenteil der "Nullhypothese" (Unwahrhypothese), deren Beachtung von Aussagepsychologen bei der Glaubhaftigkeitsprüfung belastender Zeugenaussagen von Schritt zu Schritt verlangt wird.[52] Im Ermittlungsverfahren legen die Beamten jedoch die umgekehrte Wertungsperspektive zu Grunde. Die Übernahme der psychologischen Aussageanalyse in die Einzelschritte der Beweiswürdigung[53] wäre dagegen erforderlich, weil sie nichts anderes ist als die Unschuldsvermutung.[54] Eine fehlende Hinterfragung der Verdachtshypothese im Vor-

verfahren ist der systematische Fehlerquell für bisweilen falsche Aufklärungsrichtungen, unrichtige Vorstellungsbilder und fehlerhafte Gerichtsentscheidungen, die sich mangels "wirklicher" Verteidigung im Vor- und Zwischenverfahren aus den ab initio darauf zustrebenden Verdachtsannahmen entwickeln.[55] und mangels effektiver Tatsachenkontrolle in den Instanzenzügen oft auch nachträglich unerkannt bleiben. Eine erstmals in der Hauptverhandlung einsetzende Verteidigung kann diesen Kurs wegen der täglich zu beobachtenden Perseveranz- und Schulterschlusseffekte[56] kaum noch ändern. Stützt sich die Strafgerichtsbarkeit bei der Ergebniskontrolle im Absprachenverfahren, wenn diese denn überhaupt noch stattfindet, allein auf das Nachvollziehen der oft einseitig gefärbten und unvollständigen Informationen aus den Akten, dann wird jedes Gerichtsurteil zur bloßen Selbsterfüllung der vorangegangenen Verurteilungsprognose des Eröffnungsbeschlusses; auch darin liegt freilich ein tatrichterliches Motiv für Urteilsabsprachen.

3. Obsoletes Zwischenverfahren

Eine neutrale richterliche Vorprüfung im Zwischenverfahren gilt im überkommenen Strafprozessrecht auch als eine Sicherung gegen fehlerhafte Tendenzen des Vorverfahrens.[57] Darauf stützt sich das höchstrichterliche Postulat: "Das Gericht darf nicht vorschnell auf eine Urteilsabsprache ausweichen, ohne zuvor pflichtgemäß die Anklage tatsächlich anhand der Akten und insbesondere auch rechtlich überprüft zu haben".[58] Ein unabhängiges Gericht soll nach Anklageerhebung vor der Hauptverhandlung im Freibeweisverfahren den bisherigen Beweisstoff prüfen, diesen notfalls ergänzen und die Verdachtsannahme der Ermittlungsbehörden verifizieren oder falsifizieren. Das Zwischenverfahren ist nach dem Gesetz ein Schutz des Angeschuldigten vor einer unnötigen Hauptverhandlung.[59] Dort kann die Verteidigung Beweisanträge stellen (§ 201 StPO) und das Gericht kann von Amts wegen aufgrund seiner auch im Freibeweisverfahren[60] geltenden Aufklärungspflicht (§ 155 Abs. 2 StPO) ergänzende Beweiserhebungen durchführen (§ 202 StPO). Sodann hat das Gericht in der Besetzung mit allen Berufsrichtern umfassend den gesamten Stoff, der sich aus den notfalls ergänzten Akten ergibt, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu prüfen und ohne Bindung an die Wertungen der Anklageschrift autonom über das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts zu entscheiden, der es rechtfertigen soll, den Angeschuldigten einer öffentlichen Hauptverhandlung auszusetzen - so lautet die Theorie. Die Praxis sieht in aller Regel grundlegend anders aus.[61] Gerade in umfangreichen Sachen, die bei Großverfahren hunderte oder sogar einige tausend Aktenbände umfassen, ist von schulmäßiger Vorbereitung des Eröffnungsbeschlusses oft nichts zu bemerken. Vielfach berichten Strafverteidiger auch sonst davon, dass Strafkammervorsitzende vor dem Eröffnungsbeschluss anrufen, um Termine für die Hauptverhandlung abzusprechen. Das kommt selbst dann vor, wenn die Verteidigung eine Schutzschrift angekündigt oder schon eingereicht hat und über ihre Anträge noch nicht beraten wurde. Dies alles deutet darauf hin, dass der Eröffnungsbeschluss praktisch feststeht, bevor er beraten wurde. Bei der minimalen Quote von Nichteröffnungsbeschlüssen, die zumindest auch mit einem Schulterschlusseffekt[62] erklärbar ist, verwundert das nicht.

Eröffnungsbeschlüsse werden in der Praxis bei den Strafkammern oft im Umlaufverfahren erlassen. In umfangreichen Verfahren bedeutet das regelmäßig, dann der dritte Berufsrichter ‑ der in Fällen des § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG an der Hauptverhandlung nicht mehr beteiligt ist ‑ den Formularbeschluss[63] mehr oder weniger "blind" unterschreibt, nachdem er allenfalls kursorisch die Anklageschrift gesichtet hat. Von einer umfassenden Prüfung der Aktenlage und einer schulmäßigen Beratung und Abstimmung des Kollegiums[64] ist der Eröffnungsbeschluss dann weit entfernt.[65] Beweisanträge der Verteidigung im Zwischenverfahren, die ihrerseits eher die Ausnahme als die Regel sind, weil viele Strafverteidiger angesichts der statistischen Unvermeidlichkeit der Hauptverhandlung nach Anklageerhebung "Munition sparen", werden von den Gerichten regelmäßig mit der entgegen § 34 StPO für genügend erachteten[66] Floskel, dass es darauf für die Eröffnungsentscheidung nicht ankomme, abgelehnt. Irgendeine Gewähr dafür, dass die Eröffnungsentscheidung auf einer substanziellen Prüfung der Sach- und Rechtslage anhand der gesamten Akten beruht, gibt es nicht. Sie weist keine Begründung auf, welche immerhin eine Selbstkorrekturfunktion erfüllen könnte und eine Legitimationswirkung[67] hätte, und sie ist nicht mit Rechtsmitteln anfechtbar. Daher steht der Satz des Bundesgerichtshofs, der Richter dürfe sich auch auf eine Absprache erst einlassen, wenn er die Anklage anhand der Akten überprüft habe, auf tönernen Füßen. Ein bescheidener Ansatz, Ordnung in das Chaos der Praxis[68] zu bringen, könnte in dem unliebsamen Postulat bestehen, einen Begründungszwang für Eröffnungsentscheidungen (wieder) aufzustellen, der mit der Anhö-

rungsrüge (§ 33a StPO) und einer darauf bezogenen Beschwerde abgesichert werden könnte.[69]

Der Grund für den lieblosen Umgang der heutigen Praxis mit der Eröffnungsentscheidung liegt auf der Hand. Strafrichterliche Tätigkeit wird bei der Pensenbewertung an Hauptverhandlungstagen gemessen. Was außerhalb der Hauptverhandlung geschieht, wird nicht gewichtet, zumal sich die Arbeit an den Akten kaum nachprüfen lässt, solange nur ein Formulareröffnungsbeschluss "herauskommt". Niemand sieht dem Richter zu, wenn er die Akten bearbeitet; niemand (außerhalb des durch das Beratungsgeheimnis zum Schweigen verpflichteten Kollegialgerichts) kann beweisen und bewerten, ob und wie er es getan hat. Die Überprüfung des Anklagevorwurfes anhand der Akten wird vom Bundesgerichtshof vorausgesetzt und es wird daran geglaubt, dass dies geschieht, obwohl die tatgerichtliche Praxis, deren Berufsethos durch chronische Überlastung sukzessive zerstört wird, im Aussparen dieses ‑ in Großverfahren enormen, aber überhaupt nicht honorierten ‑ Arbeitsaufwandes ein wesentliches Ventil gegen ihre Überlastung sieht. Alle verfügbaren Indizien sprechen zumindest dafür, dass eine umfassende richterliche Verdachtskontrolle im Zwischenverfahren anhand eines vollständigen und wahrheitsgemäßen Aktenbestandes jedenfalls in umfangreichen Verfahren eher die Ausnahme als die Regel ist. Diese Verletzung der Justizgewährungspflicht ist auch aus den "Drei-Stufen-Tarifen" einer symptomatischen Variante der Absprachenpraxis abzulesen,[70] die auf der erste Stufe als "Kurzstreckentarif" vorsehen, dass der größte Strafrabatt für Angeklagte im Rahmen einer Urteilsabsprache dann vergeben wird, wenn sie dem Richter durch ein besonders frühes Geständnis sogar die aufwändige Aktenlektüre erspart.[71] Der Angeklagte wird dann nach einer frühen Urteilsansprache zum günstigsten "Tarif" aufgrund eines mangels Aktenkenntnis notwendigerweise vom Gericht nicht mehr in nennenswerter Weise überprüften Geständnisses besonders milde bestraft, wobei allein der konkrete Anklagesatz die ihm entsprechenden Urteilsfeststellungen ergibt; denn mehr weiß der Richter in dieser Konstellation nicht von diesem Fall.

Wären dagegen in Großverfahren im Augenblick der Eröffnungsentscheidung alle Akten nach dem Vorstellungsbild des Bundesgerichtshofs sorgfältig gesichtet, die Bilanz aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Tatsachen und Beweise im Freibeweisverfahren gezogen und die rechtliche Bewertung vom Kollegialgericht nach schulmäßiger Beratung autonom geprüft, dann gäbe es keinen plausiblen Grund dafür, dass die einzelnen Schritte dieses Vorgangs im Eröffnungsbeschluss, dessen Begründung aus dem Votum für die Eröffnungsentscheidung[72] unschwer zusammengestellt werden könnte, nicht schriftlich dargelegt und den Verfahrensbeteiligten mitgeteilt werden. Durch diese formalisierte Form des richterlichen Vorgehens könnte der Verteidigung die Möglichkeit zur sachgemäßen Überlegung gegeben werden, ob eine mehr oder weniger geständige Einlassung anstelle einer Verteidigung durch Schweigen zur Sache und "Kampf" um die einzelnen Beweismittel im Strengbeweisverfahren der "bessere" Weg ist. Wäre schon die Eröffnungsentscheidung aufgrund einer umfassenden Prüfung eines vollständigen und wahrheitsgemäßen Aktenbefundes durchgeführt worden, dann müssten Gerichte selbst in Großverfahren weder die danach auch genau geplante[73] Hauptverhandlung noch allfällige Verfahrensanträge der Verteidigung so fürchten, dass der rasche Deal unter Verzicht auf erhebliche Teile des staatlichen Strafanspruches als einzig rettender Ausweg aus einem Dilemma beschritten werden müsste. Dass dies nicht geschieht, beruht auf der faktischen Einsparung des Zwischenverfahrens. Weder sind die Akten stets vollständig noch ihre Befunde objektiv in allen Aspekten richtig und schließlich hat im Zwischenverfahren keine neutrale gerichtliche Prüfung im Freibeweisverfahren, welche bisweilen aber einfach unterstellt wird,[74] tatsächlich stattgefunden. Anklageschrift und Eröffnungsbeschluss sind dann schlicht geglaubte Sätze. Die einzige rechtsstaatliche Legitimation des Strafurteils, das daraus hervorgeht, könnte hiernach in einer kontradiktorischen Hauptverhandlung eines neutralen Gerichts, das alle Beweis originär erhebt und autonom würdigt, liegen. Wird aber auch diese Hauptverhandlung von der Absprachenpraxis der Sache nach vollkommen eingespart, weil das genaue Prozessergebnis außerhalb der Hauptverhandlung ausgehandelt wird, dann fehlt dem Richterspruch jede Legitimation im Sinne des überkommenen Rechts.

Engagierte Richter behaupten noch die Machtposition,[75] die sich aus rechtzeitig erlangter und umfassender Sachkenntnis sowie genauer rechtlicher Durchdringung des Falles zumindest anhand der Akten für die Hauptverhandlung ergibt. Chronisch überlastete Richter, die vor der latenten Überforderung kapituliert haben, oder solche, die dem modernen Strafverteidigertyp unterlegen sind,[76] wählen dagegen den Weg des geringsten Widerstands, also den Weg zum möglichst raschen Deal unter Überspringen eines substanzreichen Zwischenverfahrens. Weil qualitativ gute und deshalb aufwändige richterliche

Arbeit bei der Pensenbewertung nicht belohnt, sondern eher bestraft wird, breitet sich eine Praxis, die größte Pensen durch schlichte Umgehung des Arbeitsaufwands "erledigt", rasend schnell aus. Strafjustizjuristen, die schulmäßig vorgehen, sind dagegen nicht mehr konkurrenzfähig. Sie verschwinden aus dem Verdrängungswettbewerb mit den "Dealern". Deren Zwischenverfahren ist aber nur noch eine theoretische Größe, denn wer einen raschen "Vergleich" erhofft, prüft nicht mehr den riesigen Aktenbestand eines Großverfahrens genau nach.

4. Annullierung der kontradiktorischen Hauptverhandlung durch Ergebnis-absprachen in "Vorgesprächen"

Nach dem konventionellen Strafverfahrensrecht bildet die kontradiktorisch ausgestaltete Hauptverhandlung den zentralen Kontrapunkt gegen die Verdachtsannahmen des Vor- und Zwischenverfahrens, der mit verschiedenen Mechanismen eine besondere Richtigkeitsgewähr für die abschließende Entscheidung über den strafrechtlichen Vorwurf gegen den Angeklagten liefern soll.[77] Die Hauptverhandlung ist prinzipiell öffentlich,[78] so dass eine Kontrolle des Gerichtsverfahrens durch Publizität stattfindet. Alle für die Urteilsfindung zuständigen Richter und alle notwendigen Prozessbeteiligten sind in der Hauptverhandlung ununterbrochen anwesend (§§ 145, 226, 338 Nr. 5 StPO) und zur Mitwirkung am Beweisgang durch Äußerungs-, Frage- und Antragsrechte berechtigt. Die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung gilt als originärer Beweiserhebungsakt und nur die in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise dürfen zur Grundlage des Urteils werden (§ 261 StPO). An der Urteilsfindung wirken auch Laienrichter mit, die grundsätzlich keine Aktenkenntnis haben[79] und daher auch nicht durch aktenkundige Verdachtsannahmen voreingenommen sind. Das Urteil wird zum Schuld- und Strafausspruch im Verurteilungsfall von einer qualifizierten Mehrheit aller Berufs- und Laienrichter getragen (§ 269 StPO), welche persönlich unabhängig (Art. 97 Abs. 1 GG) und in der Sache neutral (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) nach Abschluss der Beweisaufnahme und nach umfassender Gewährung rechtlichen Gehörs an alle Verfahrensbeteiligten (§§ 257, 258 StPO) für ein bestimmtes Prozessergebnis stimmen. So lautet die Theorie, die zuerst schon von der Einseitigkeit des Vor- und Zwischenverfahrens[80], dann aber auch noch zusätzlich von der Absprachenpraxis konterkariert wird.[81] Dort wird das Prozessergebnis in "Vorgesprächen" punktgenau[82] ausgehandelt, die nicht öffentlich stattfinden.[83] An den "Vorgesprächen" nehmen typischerweise die Angeklagten[84] und auch Nebenkläger nicht teil, weil deren Anwesenheit unerwünscht ist.[85] Auch Schöffen sind oft nicht beteiligt; deren Rolle bei der Ergebnisfestlegung außerhalb der Hauptverhandlung ist zumindest unklar.[86] Das im "Vorgespräch" gefundene Ergebnis wird für den Fall der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen, zu denen typischerweise die Ablegung eines "glaubhaften" Geständnisses gehört, genau bestimmt. Seine nachträgliche Offenlegung in der öffentlichen Hauptverhandlung[87] erfolgt erst, wenn das Resultat praktisch perfekt ist.[88] Die Offenlegung kann daher keine effektive Kontrollfunktion mehr erfüllen; denn der "point of no return" ist nicht erst mit der Ablegung des Geständnisses, sondern schon mit dem Einlassen der Verteidigung auf Absprachen überschritten. Schon darin sehen die Justizjuristen nämlich ein Indiz für die Schuld des Angeklagten,[89] das in Verbindung mit den Perseveranzeffekten des Eröffnungsbeschlusses eine anschließende Verteidigung gegen den Vorwurf der Schuld dem Grunde nach vor demselben Gericht endgültig illusorisch werden lässt. Die protokollierte Version des wesentlichen Ergebnisses der Vorgespräche wird auch nicht selten nachträglich "pro forma" den Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung angepasst, ohne aber notwendigerweise detailgetreu mit dem übereinzustimmen, was außerhalb der Hauptverhandlung gesprochen wurde. "Glaubhaft" ist ein absprachenkonformes Geständnis, das als Bedingung für den Vergleich vorausgesetzt wird, aus der Sicht der Strafjustizorgane nur dann, wenn es mit ihrem Vorstellungsbild nach der Aktenlage übereinstimmt. Das an die Bedingung angepasste Geständnis orientiert sich damit an einem Wunschbild, nicht an der Erinnerung einer Auskunftsperson an das reale Geschehen; die Absprachenpraxis nimmt damit auch aktiv Einfluss auf den Aussagegehalt eines Beweismittels; diese "forensische Wahrheit" unterscheidet sich dadurch systematisch von der "materiellen Wahrheit". Die Frage, ob nach Geständnisablegung noch weiterer Aufklärungsbedarf besteht, wird – allenfalls ‑ durch Abgleich des Geständnisses mit dem Akteninhalt festgestellt.[90] Außerhalb des Wahrnehmungshorizonts des Angeklagten liegende Umstände, wie der Irrtum von Betrugsopfern, werden interpoliert, um den Opfern zu deren angeblichem Schutz die Vernehmung in der Hauptverhandlung zu ersparen.[91] Eine in wesentlichen Punkten von den Verdachtsannahmen des Vor- und Zwischenverfahrens abweichende Einlassung

führt hingegen dazu, dass eine zentrale Bedingung für das Zustandekommen der Bindungswirkung richterlicher Zusagen unerfüllt bleibt. Der Deal droht dann zu platzen, was zumindest keiner der professionellen Akteure riskieren will. Daher wird das Geständnis "passend" formuliert, tunlichst vom Verteidiger, nicht vom Angeklagten, der "falsche" Akzente aus seiner für die Dealer unmaßgeblichen Erinnerung hineinbringen könnte. An einem freien Bericht des Angeklagten, der für eine beweisrechtlich "richtige" Glaubhaftigkeitsbeurteilung von besonderer Bedeutung wäre, haben die professionellen Akteure gerade kein Interesse mehr.[92] Aus beweisrechtlicher und aussagepsychologischer Sicht hat das Absprachenverfahren mit einer ernsthaften Wahrheitserforschung überhaupt nichts mehr zu tun.[93] Es geht der Sache nach nur um ein möglichst kunstvoll in Szene gesetztes "guilty plea",[94] das zugleich zu einer für die Strafjustizjuristen höchst befriedigend wirkenden Selbsterfüllung ihrer Verurteilungsprognose führt. Auf prozessuale Rechte des Angeklagten, insbesondere auf das Beweisantragsrecht und das Recht zur Rechtsmitteleinlegung, wird von der Verteidigung typischerweise verzichtet, weil die Urteilsabsprache auf alsbaldige Prozessbeendigung mit Rechtskraftwirkung abzielt; nur die Rechtskraft und nicht die materielle Wahrheit ist das eigentliche Prozessziel. Urteilsgrundlage wird faktisch meist eine "geständnisgleiche Erklärung", die vom Verteidiger anhand der von der Justiz geäußerten Vorgaben im Vorgespräch anhand des justiziellen Erwartungshorizonts aufgrund der Aktenlage formuliert und vom Angeklagten in der öffentlichen Hauptverhandlung "abgenickt" wird,[95] worauf sie "ohne weiteres"[96] als dessen Wissenserklärung gilt.

Eine Überprüfung des so abgelegten "Geständnisses" findet danach allenfalls noch daraufhin statt, ob es mit dem Beweisbild nach der Aktenlage, also praktisch mit dem "wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen", wie es in der Anklageschrift zusammengefasst ist, übereinstimmt. Ist das so, dann entfällt jede weitere Prüfung; ist es nicht der Fall, dann "platzt der Deal". Für den Angeklagten wäre eine fehlgeschlagene Urteilsabsprache allerdings fatal.[97] Er hat dann bereits den "point of no return" überschritten,[98] weil die Perseveranz- und Schulterschlusseffekte, die ohnehin bestehen,[99] durch die vom Angeklagten über seinen Verteidiger angedeutete Geständnisbereitschaft derart anwachsen, dass eine Verteidigung gegen einen Schuldspruch danach praktisch aussichtslos ist. Wenn der Angeklagten dann aber immer noch seine Unschuld beteuert und um einen Freispruch kämpft, dann wird er – unausgesprochen – wegen dieser Impertinenz besonders hart bestraft. Das Ausweichen der Verteidigung gegen solche Urteile auf Verfahrensbeanstandungen ist ein Umweg, der jedoch von den Revisionsgerichten im Vertrauen auf die sachlich-inhaltliche Richtigkeit des Urteils durch Überhöhung formaler Hürden blockiert wird.[100]

Das formal bestehende Recht zur Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit ist kein effektives Verteidigungsmittel gegen die nach Überschreitung des "point of no return" potenzierten Perseveranz- und Schulterschlusseffekte, weil diese Effekte sich vor dem Urteil nicht in einer Weise äußern, dass sie mit einem Ablehnungsgesuch mit Erfolg aufgezeigt werden könnten. Sie lassen sich vor dem Urteil nicht belegen und danach ist es nach § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO zu spät.[101] Eine Richterablehnung nach fehlgeschlagener Urteilsabsprache verschlechtert nur die Position der Verteidigung.

Auf eine effektive Rechtskontrolle durch die Revisionsinstanz aufgrund der Sachrüge zu hoffen, ist eine schwache Illusion; denn erfahrene Tatrichter können ein Urteil "revisionssicher" gestalten,[102] ohne dass dies irgendetwas über die sachlich-inhaltliche Richtigkeit aussagt. Selbst Urteile, die bei Kenntnis aller Umstände evident falsch sind, haben im Revisionsverfahren Bestand.[103] So ist eine Darstellungslücke, die allein aus dem Urteilstext heraus nicht auffällt, auch dann nicht erfolgreich zu rügen, wenn jeder Prozessbeobachter nach seinem Eindruck von der Hauptverhandlung klar erkennen könnte, dass eindeutige Entlastungsbeweise, die tatsächlich Gegenstand der Hauptverhandlung waren, im Urteil verschwiegen werden.[104] Die Rüge, das Urteil stelle Zeugenaussagen oder Gutachteninhalte anders dar, als sie in den Akten oder in

der Hauptverhandlung wahrzunehmen waren, hat selbst dann, wenn für Prozessbeobachter eindeutig eine "Wahrheitsverdrehung" stattgefunden hat[105] oder das Urteil "frisiert" wurde,[106] generell keine Aussicht auf Erfolg, weil die Revisionsgerichte sich auf das "Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung" zurückziehen.[107] Allenfalls Berufsanfänger oder sehr überlastete Richter machen insoweit noch revisible Darstellungsfehler beim Absetzen des Urteils.[108] Die Inhalte von Einlassungen der Angeklagten oder Mitangeklagten, von Zeugenaussagen oder Sachverständigenbekundungen werden schließlich nach § 273 Abs. 1 StPO auch nicht festgehalten und entziehen sich dadurch ‑ in verfassungswidriger Weise ‑ der Rekonstruktion durch das Revisionsgericht.[109] Daher sind Urteile, die namentlich bei Verteidigern den Eindruck erwecken, sie hätten "den falschen Film" gesehen,[110] unangreifbar, auch wenn sie sachlich-inhaltlich evident falsch sind. Die dagegen gerichtete Behauptung,[111] es sei "absurd" anzunehmen, ein Tatrichter könne bestimmte Entlastungsbeweise im Urteil weglassen, um die Revision leer laufen zu lassen, ist ein Glaubensbekenntnis, das jedoch mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Das war schon in den Anfangstagen der Reichsstrafprozessordnung so[112] und es ist in jüngerer Zeit vor dem Hintergrund der tatrichterlichen Abwehr der "erweiterten Revision" zunehmend zu beobachten. Wer außerdem neuerdings nahezu bedingungslos "dealt", um die Rechtskraft herbeizuführen, der lässt auch die Revision leer laufen wo er nur kann, wenn er im Einzelfall keinen Rechtsmittelverzicht der Verteidigung herbeizuführen vermag. Die bekannten Perseveranz- und Schulterschlusseffekte kommen hinzu.[113]

Für all dies findet sich eindrucksvoller Beispielsstoff. Sabine Rückert beschreibt einen skandalösen, aber die Justiz dennoch nicht zu Einsicht bewegenden Fall: Einem Angeklagten war vorgeworfen worden, er habe ein Opfer auf dem Beifahrersitz eines Pkw vergewaltigt, indem er im Fußraum vor dem Opfer gekniet habe. In der Hauptverhandlung wurde ein Rekonstruktionsversuch unternommen, der augenfällig ergab, dass das korpulente "Opfer" und der "Täter" in das Originalfahrzeug so gar nicht hineinpassen.[114] Statt nun den Vorwurf im Ganzen in Frage zu stellen, schritt das Gericht nicht etwa zu weiterer Sachaufklärung oder zum Freispruch, sondern es bot der Verteidigung einen Deal an, wonach der Angeklagte irgendetwas weniger Gravierendes einräumen sollte und dafür mit einer milden Bewährungsstrafe davonkommen könne. Der Verteidiger riet dem Mandanten trotz der Ungeheuerlichkeit des richterlichen Verhaltens zu diesem Deal, was dieser empört mit der Aufkündigung des Mandats quittierte. Die Hauptverhandlung wurde ausgesetzt. In der neuen Hauptverhandlung wurde der Rekonstruktionsversuch geflissentlich verschwiegen. Der erkennbar unschuldige Angeklagte wurde verurteilt. Die Revision gegen dieses Fehlurteil wurde als offensichtlich unbegründet verworfen. Der Angeklagte verbüßte die mehrjährige Haftstrafe vollständig, bevor er nach einer Wiederaufnahme des Verfahrens rehabilitiert wurde. Eine Lehre daraus ist, dass die Revision in jenem Fall also als Mittel der Kontrolle vollkommen untauglich war; ihr Misserfolg stärkte sogar im Wiederaufnahmeverfahren die dann immer noch über lange Zeit aufrecht erhaltene Fehlmeinung der Justiz, dass die Verurteilung doch zu Recht erfolgt sei. Die Prämisse der Revisionsgerichte, dass Tatrichter die wesentlichen be- und entlastenden Umstände vollständig im Urteil erörtern, war in jenem Falle falsch und sie trifft in ungezählten anderen Fällen auch nicht zu. Das einzige wirksame Mittel zur Korrektur des evidenten Fehlurteils war im Beispielsfall ein Wiederaufnahmeantrag, der aber erst aufwändig vorbereitet und besonders mühevoll durchgesetzt werden musste, weil die generell wiederaufnahmefeindliche[115] Justiz nach Eintritt der Rechtskraft "kratzt und beißt", wenn ihr ‑ zu Recht ‑ grobe Fehler vorgeworfen werden.[116] Der zwischenzeitliche Versuch des Tatgerichts nach einer Rekonstruktion, welche die Unmöglichkeit einer angeklagten Tat sichtbar gemacht hatte, dennoch eine Absprache über ein mildes Urteil herbeizuführen, zeigt schlaglichtartig auf, wozu die Absprachenpraxis fähig ist. Sie trachtet im Extremfall rücksichtslos danach, fehlerhafte Ermittlungsansätze zu kaschieren.[117] Die Hauptverhandlung mit ihren Förmlichkeiten entfaltet dagegen nur eine rudimentäre Schutzwirkung, solange kein Inhaltsprotokoll existiert und anschließend keine wirklich effektive Rechtskontrolle stattfindet. Eine Absprachenpraxis, die auf die schützenden Formen der Hauptverhandlung substanziell verzichtet, nimmt dem strafrichterlichen Urteilsausspruch jede "Legitimation durch Verfahren".[118]

Die "Konsensmaxime" bezieht nur eine partielle Legitimation[119] aus ihrer These der freiwilligen Mitwirkung aller Verfahrensbeteiligten. Wirkliche Willensfreiheit besitzt der Angeklagte, der regelmäßig von der Ergebnisfestlegung im Vorgespräch ausgeschlossen wird und dann nur ein "Objekt des Verfahrens" ist, tatsächlich

nicht.[120] Seiner bestreitenden Einlassung wird auch sonst generell nicht geglaubt.[121] Die Festlegung von Staatsanwaltschaft und Gericht auf ein mit Anklageschrift und Eröffnungsbeschluss konformes Prozessergebnis ist kaum zu erschüttern. Auch die Verteidiger trachten in aller Regel alsbald nach einem raschen Ende der Hauptverhandlung, zumal die finanziellen Mittel der Mandantschaft meist bald erschöpft sind, so dass eine lange Hauptverhandlung durch zeitliche Bindung und defizitären Ertrag für sie völlig unattraktiv ist. Die Durchsetzung des Kampfes um das behauptete Recht auf Freispruch "durch alle Instanzen" wird auch in den Rechtskontrollinstanzen durch völlig übertriebene Anforderungen an die Zulässigkeit von Revision[122] und Urteilsverfassungsbeschwerde[123] zu einem aufwändigen und wenig aussichtsreichen Unterfangen. Der Angeklagte wird vor diesem Hintergrund bei der Entscheidung, ob er den "point of no return" überschreitet, auch noch unter Zeitdruck gesetzt, denn nur der rasche Deal ist das Ziel der Akteure. Die Lock- und Drohwirkungen von milder Strafe bei Unterwerfung und höherer Sanktion bei kämpferischer Verteidigung kommen hinzu. Ist auch eine aktuelle Freiheitsentziehung durch Untersuchungshaft[124] im Fall einer konsensualen Verteidigung zumindest vorübergehend zu beenden, dann ist in der Summe der Aspekte der anwaltliche Rat zur Verständigung mit der Justiz so gewichtig, dass oft auch ein Unschuldiger nachgibt. Die Verifizierung einer Willensfreiheit der Hauptperson, deren Zustimmung das abgesprochene Strafurteil legitimieren könnte, gelingt bei dieser Lage nicht. Ein Vergleich des abgesprochenen Urteils mit einem Strafbefehl ist verfahrenspsychologisch verfehlt und rechtlich nicht haltbar, denn sonst könnte der Gesetzgeber schließlich einfach das Strafbefehlsverfahren weiter ausdehnen und dadurch die Absprachenverfahrensordnung ersetzen; dass dies nicht erwogen wird, zeigt den Unterschied zwischen Strafbefehlsverfahren und Urteilsabsprachenverfahren deutlich an. Auch die Mitwirkung eines Verteidigers an der Urteilsabsprache erzeugt keine ausreichende Legitimationswirkung, weil der Angeklagte sich selbst autonom verteidigen darf (Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK) und der Verteidiger nicht sein Stellvertreter ist. Die Verteidigererklärung ist per se keine Sacheinlassung des Angeklagten[125] und keine eigene Wissenserklärung, sondern allenfalls eine ‑ noch dazu durch das Aktenwissen des Verteidigers und die Absprachenbedingung der Glaubhaftigkeitsannahme durch Aktenkonformität beeinflusste ‑ Erklärung vom Hörensagen. Die Absprachenpraxis ist daher nicht inhaltlich legitimiert, weil sie nicht mehr genügend auf die Feststellung des wahren Sachverhalts ausgerichtet ist. Die Perpetuierung ihrer Ergebnisse wird nur möglich, wenn die Rechtskraftwirkung des formell rechtskräftigen Urteils auch rechtlich gegen jeden nachträglichen Angriff verteidigt wird. Der Verzicht auf Rechtsmittel ist die Geschäftsgrundlage der Urteilsabsprachen; die richterrechtlich dazu geforderte "qualifizierte Rechtsmittelbelehrung" bleibt ohne praktisch wirkungsvolle Bedeutung. [126] Eine Wiederaufnahme des Verfahrens ist hiernach das dem Prozessziel der Absprachenpraxis entgegen gesetzte Ziel. Daher stellt sich die Frage, ob sie von der Praxis in ähnlicher Weise wie die Revision entwertet werden kann, weil anstelle der Wahrheitserforschung die Rechtskraft zum Prozessziel gemacht wird.

II. Erforderlichkeit einer Tatsachenkontrolle versus Verabsolutierung der Rechtskraft

Das Strafrecht ist immer noch die ultima ratio des Staates im Vorgehen gegen seine Bürger. Es soll nur den wirklich Schuldigen treffen. Die Feststellung der strafrechtlichen Schuld auf der Tatsachenebene ist daher ein Erfordernis des Schuldprinzips. Das Schuldprinzip[127] stellt zugleich besondere Anforderungen an das Verfahren zur Durchsetzung des materiellen Rechts.[128] Außerdem muss die Schuldfeststellung, die insbesondere während der Strafvollstreckung, aber auch noch darüber hinaus den Verurteilten bemakelt und dadurch eine andauernde Eingriffswirkung entfaltet, dauernd legitimiert sein. Die Rechtskraft[129] des Schuld- und Strafausspruches ist dafür nur ausreichend, solange nicht aufgrund von Tatsachen oder Beweismitteln, die das Erstgericht nicht erwogen hat, auf Antrag des Verurteilten in einem justizförmigen Verfahren mit einiger Wahrscheinlichkeit ein zumindest zum Schuldspruch günstigeres Resultat erreichbar ist. Das rechtskräftige Strafurteil entfaltet nämlich keine Gestaltungswirkung, wie etwa ein zivilgerichtliches Urteil, sondern es bedarf der im Kern fortwirkenden Annahme seiner Gründung auf die Feststellung eines wahren Geschehensablaufs. Es gibt demnach im Strafprozess nur eine durch die tatsächliche Richtigkeit des Urteils bedingte Rechtskraft.[130] Stellt sich nachträglich die Unrichtigkeit der Urteilsfeststellungen heraus, dann muss unter Umständen auch lange nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils dessen Aufhebung effektiv möglich sein. § 359 Nr. 5 StGB gestattet dies bei Auftauchen neuer Tatsachen oder Beweise, die geeignet sind, u.a. einen Freispruch herbeizuführen, während etwa die §§ 579, 580 ZPO für den Zivilprozess nichts Vergleichbares vorsehen.[131] Die Möglichkeit zur nachträglichen Urteilsaufhebung im Strafverfahrensrecht wegen neuer freispruchsrelevanter Erkenntnisse folgt dagegen aus

dem Schuldgrundsatz und sie ist deshalb unverzichtbar. Die Wiederaufnahme des Verfahrens steht in Strafsachen zudem eher den Rechtsmitteln gleich, wie § 365 StPO bezeugt; sie ist insoweit gar keine derart extraordinäre Ausnahme, wie es oft behauptet wird, sondern ein integraler Bestandteil des strafprozessualen Kontrollsystems. Schon bei der Schaffung der Reichsstrafprozessordnung stand zudem fest, dass die Wiederaufnahmemöglichkeit jedenfalls dort gänzlich unverzichtbar ist, wo es keine Berufungsinstanz gibt.[132]

Die Hauptverhandlung vor dem Tatgericht gilt nach herkömmlicher Auffassung als das Kernstück oder der Höhepunkt des Strafverfahrens.[133] Sie ist nach wie vor auf bestmögliche Wahrheitserforschung ausgerichtet.[134] Ob das Ziel aber stets erreicht wird, erscheint generell zweifelhaft, wenn wahrgenommen wird, dass die Freispruchsquote in Deutschland bei ungefähr 3 %, diejenige in den USA unbeschadet des andersartigen Systems, dem sich der deutschen Strafprozess aber anzunähern trachtet, immerhin bei rund 30 % liegt. Beide Zahlen verbürgen natürlich nicht das "richtige" Resultat, weil jeweils eine Validierung fehlt. Jedoch wird die Zuverlässigkeit der erheblich geringeren Freispruchsquote vor deutschen Gerichten zumindest ernsthaft dadurch in Frage gestellt, dass die Aktenkenntnis deutscher Berufsrichter, ihr "Vorurteil" aus dem eigenen Eröffnungsbeschluss, der die Anklage bereits im Freibeweisverfahren bestätigt hatte,[135] und die nur intuitive richterliche Beweiswürdigung unter systematischer Vernachlässigung von "Nullhypothesen" eine tendenziell einseitige Betrachtungsweise zur Folge hat. Während Revisionsrechtler die Richtigkeit einer niedrigen einziffrigen Prozentzahl von Freisprüchen hinzunehmen bereit sind,[136] gehen Wiederaufnahmerechtler nach ihren Erfahrungen mit Urteilsfehlern davon aus, dass die Fehlurteilsquote im zweiziffrigen Prozentbereich liegt.

Wie unverzichtbar eine Möglichkeit zur effektiven Urteilskorrektur im Rechtsstaat ist, zeigen die Folgen ‑ erkennbarer, aber hartnäckig ignorierter ‑ Fehlverurteilungen bei der Strafvollstreckung gegenüber Tatverleugnern. Ist ein Unschuldiger zu einer zu Freiheitsstrafe ohne Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden, dann wird er in der Strafvollstreckung, wenn er dort immer noch an der Leugnung festhält, besonders hart bestraft. Er ist für Sozialtherapien nicht geeignet, verliert deshalb die Möglichkeit von Haftlockerungen, weil er wegen der Tatverleugnung als gefährlich gilt und er hat kaum realistische Chancen auf eine bedingte Entlassung. Das alles gilt vom Standpunkt der bisher herrschenden Rechtsprechung aus auch dann, wenn Sachverständige mit einer Gefährlichkeitsprognose beauftragt werden und Hinweise auf die tatsächliche Unschuld finden, aber durch die Vollstreckungsgerichte darauf verpflichtet werden, an die Richtigkeit der Urteilsfeststellungen zu glauben.[137] Die Rechtskraft wird damit faktisch zu einer die materielle Wahrheit umgestaltenden Kraft. Vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus ist das unhaltbar.[138] Vom Standpunkt des überkommenen Strafprozessrechts aus ist es auch rechtlich fehlerhaft. Aber die Praxis, für welche die Erreichung und Aufrechterhaltung der Rechtskraft und ihres Glaubens an die Richtigkeit des Resultats ein verfahrenspsychologischer Selbstschutz ist, weigert sich dies anzuerkennen. Die Unschuldsvermutung wirkt nach Eintritt der Rechtskraft nicht mehr für den Verurteilten. Wenn er therapiert werden will, um Haftlockerungen und eine Strafrestaussetzung zur Bewährung zu erlangen, muss er den gegebenenfalls falschen Vorwurf "aufarbeiten". Das kollidiert jedoch immerhin noch mit dem Grundsatz "nemo tenetur se ipsum accusare".[139]

Die Rechtskraft der Verurteilung ist für die Strafjustiz in Zeiten von Urteilsabsprachen mehr denn je eine "heilige Kuh",[140] die aus seiner Sicht nicht geopfert werden darf. Dabei hat sie von einem an der Zielrichtung der Erforschung materieller Wahrheit orientierten Blickwinkel aus gesehen eigentlich gerade dann, wenn das Urteil auf einer Ergebnisabsprache beruht, keine erhebliche Daseinsberechtigung;[141] denn die Beweisgrundlagen eines abgesprochenen Urteils, das nach einem "schlanken" oder vom Verteidiger absprachenkonform vorformulierten Geständnis gefällt wird, sind vom Standpunkt der Beweislehre und der Aussagepsychologie sowie der Kriminologie aus gesehen sogar extrem schwach. Sie geben dem Urteil keine angemessene "Legitimation durch Verfahren" und können deshalb nach dem überkommenen Wiederaufnahmerecht fast problemlos durch einen plausiblen Geständniswiderruf[142] umgestoßen werden. Das passt naturgemäß nicht ins Konzept der Absprachenjudikatur, die bisher freilich nur wenige Gedanken auf das Wiederaufnahmerecht aufgewendet hat. Die Revisionsgerichte haben sich durch die lediglich auf Ermöglichung des absprachentypischen Rechtsmittelverzichts[143] ausgerichtete, aber praktisch ineffektive[144] richterrechtliche Erfindung der "qualifizierten Rechtsmittelbelehrung" selbst entmachtet. Danach ist das Wiederaufnahmerecht der letzte liquide Gegenpol gegen Urteile, die allein auf einer Ergebnisabsprache und einem absprachenkonformen Geständnis beruhen. Das gilt auch deshalb, weil die

am Deal beteiligten professionellen Akteure kein Rechtsmittel einzulegen pflegen, da sie andernfalls künftig von der Justiz nicht mehr als Verhandlungspartner akzeptiert werden.[145] Die Revision ist schließlich schon im Normalfall des Verfahrens nach der Strafprozessordnung kein effektives Mittel zur Kontrolle der sachlichen Richtigkeit des tatrichterlichen Urteils. Dafür ist sie weder vom Gesetzgeber vorgesehen noch wegen der Prüfungsgrenzen durch das "Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung" auch nach den Maßstäben der "erweiterten Revision" praktisch geeignet. Im Fall der Urteilsabsprachen und der geständigen Einlassung des Angeklagten ist die Revision mit der Sachrüge oder einer verfahrensrechtlichen Aufklärungs- oder Darstellungsrüge erst recht nicht geeignet, eine nennenswerte Richtigkeitsgewähr zu bieten. Der Angeklagte, der an den "Vorgesprächen", in denen das Prozessergebnis außerhalb der Hauptverhandlung zwar ohne rechtliche Verbindlichkeit, aber doch praktisch endgültig festgelegt wird, nicht beteiligt wird, ist ein bloßes "Objekt des Verfahrens"; er soll alleine das Geständnis liefern, das seine zentrale Handelsware ist.[146] Diese Rolle ist jedoch mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG unvereinbar und bedarf zumindest nachträglich der Korrektur, notfalls eben im Wiederaufnahmeverfahren.[147] Der Rechtsschutz des Angeklagten im Absprachenverfahren ist im Übrigen ineffektiv; das kollidiert mit Art. 19 Abs. 4 GG. Die Tatsachenfeststellungen des Strafgerichts aufgrund des akten- und absprachenkonformen Geständnisses haben mit einer Erforschung des wahren historischen Geschehens nichts zu tun; das ist mit dem Schuldgrundsatz unvereinbar. Werden das Zwischenverfahren und die Hauptverhandlung faktisch annulliert, dann bleibt auch der Anspruch auf Justizgewährung unerfüllt. Die dem Schuldprinzip entsprechende Gewährleistung der kontradiktorisch ausgestalteten Beweisprüfung in einer öffentlichen Hauptverhandlung durch ein neutrales Gericht wird von der Absprachenpraxis missachtet.[148] Ebenso, wie im US-amerikanischen Recht eine Verfassungsgarantie für ein "jury-trial" besteht,[149] dessen Vorzug zur Vermeidung von durchgreifenden Perseveranz- und Schulterschlusseffekten[150] in der fehlenden Aktenkundigkeit der Jury besteht, welche auch an Verfahrensabsprachen nicht beteiligt sein darf, muss im deutschen Recht aufgrund verfassungsrechtlicher Verbürgungen eine Möglichkeit eröffnet werden, eine wenigstens einmalige vollständige Beweisprüfung in einem kontradiktorischen Verfahren durch ein unvoreingenommenes Gericht in einer öffentlichen Hauptverhandlung herbeizuführen. Der Verzicht darauf durch Mitwirkung an der verfahrensbeendenden Urteilsabsprache ist unerheblich, sofern er nicht auf einem völlig unbeeinflussten Willensentschluss des Angeklagten beruht. Das ist in Fällen der objektiv fehlerhaften Beratung[151] des Angeklagten durch seine Verteidiger,[152] die selbst von dem Deal profitieren[153] und in der courtroom-workgroup[154] mit den Justizjuristen einen "Superschulterschluss" eingehen,[155] nicht der Fall.[156] Es ist nicht der Fall, wenn seitens der Justiz eine "Sanktionenschere" in den Raum gestellt wurde, vor welcher der Angeklagte kapituliert. Auch eine freiwillige Unterwerfung des Angeklagten unter ein "Vergleichsangebot" mit der Folge, dass allein aufgrund eines ungeprüften schlanken Geständnisses der Anklagesatz in Urteilsfeststellungen umgewandelt wird, ist Anlass genug, den Angeklagten an diesem Urteil, dem beweisrechtlich jede "Legitimation durch Verfahren" fehlt, nicht festzuhalten, sobald er durch einen zulässigen Rechtsbehelf dagegen vorgeht.

Die Wiederaufnahme des Verfahrens ist ein Korrekturmittel, das gegenüber Maßnahmen zur anfänglichen Vermeidung eines Fehlurteils nachrangig ist. Wird die gesetzliche Verfahrensstruktur zur Vermeidung von Fehlurteilen durch eine nach Belieben agierende Absprachenpraxis umgangen, dann erlangt das Wiederaufnahmerecht eine neue Bedeutung. Im alten Inquisitionsprozess war die Wiederaufnahme des Verfahrens schon beim schlichten Vortrag neuer Umstände zulässig.[157] Nähert sich die Absprachenpraxis dem alten Inquisitionsprozess wieder an, dann muss auch die Wiederaufnahme des Verfahrens großzügiger als bisher eröffnet werden. Andernfalls ist die moderne Inquisition schlimmer als diejenige, die von der Reichsstrafprozessordnung überwunden worden war. Der Antrag auf Wideraufnahme des Verfahrens unter Widerruf des absprachenbedingten "schlanken" Geständnisses ist hier das Mittel zur Eröffnung einer neuen Tatsacheninstanz, die erstmals den Bedingungen des Strengbeweisverfahrens entspricht.[158] Dem wird zwar entgegen gehalten, dass die Verfahrenswideraufnahme als Sonderrechtsbehelf eine Ausnahmeerscheinung sein müsse und nicht an die Stelle der ordentlichen Rechtsmittel treten dürfe. Die Prämissen dieses Einwands sind aber ihrerseits angreifbar. Erstens ist der Ausnahmecharakter der Verfahrenswiederaufnahme propter nova nicht im Gesetzestext selbst verankert und die Ausnahmethese geht über die im Vergleich mit anderen Prozessordnungen nur begrenzte Bedeutung der Rechtskraft im Strafprozess hinweg.[159] Die Wiederaufnahme des Verfahrens erfüllt vielmehr nach dem Willen des Gesetzgebers in den Verfahren mit nur einer

Tatsacheninstanz sogar eine Berufungsersatzfunktion.[160] Zweitens ist das mit dem Wiederaufnahmeantrag bekämpfte Phänomen seinerseits eine illegitime Ausnahme[161] von der sonst vorgesehenen Art und Weise der strafprozessualen Justizgewährung.[162] Die Anmaßung einer Notstandsgesetzgebungskompetenz durch den "rechtspolitischen Coup"[163] des Bundesgerichtshofs[164] ändert nichts daran. Drittens muss es von Verfassungs wegen einen wirksamen Rechtsbehelf gegen Rechtsverletzungen geben, die eine fortdauernde Beschwer begründen, also insbesondere auch gegen ein strafgerichtliches Fehlurteil.[165] Ob dazu ein Sonderrechtsbehelf zum iudex a quo oder einen Richter auf derselben Prüfungsstufe[166] ist oder aber ein Rechtsmittel mit Devolutiveffekt zur Verfügung gestellt wird, gilt vor der Verfassung gleich.[167]

Fehlt etwa ein anderer effektiver Rechtsbehelf gegen grobe Darstellungslücken im Urteil, die wegen des Verbots der Rekonstruktion der Hauptverhandlung nicht mit Erfolg im Revisionsverfahren geltend gemacht werden können, dann bleibt auch insoweit die Wiederaufnahme des Verfahrens als gesetzlich vorgesehener Rechtsbehelf übrig. Für das Wiederaufnahmeverfahren als Tatsacheninstanz gilt kein Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung, zumal schon die Neuheit und Geeignetheit der vorgebrachten Tatsachen und Beweise am Gegenstand der Hauptverhandlung gemessen werden muss. Nur die neue Tatsacheninstanz kann auch eine umfassende Gesamtwürdigung aller Tatsachen und Beweise ermöglichen, welche dem Revisionsgericht selbst bei "erweiterter Revision" nicht eröffnet ist.

Ein Rückzug auf die These, dass es von Verfassungs wegen keinen Anspruch auf einen "Rechtsschutz gegen den Richter" gebe,[168] ist gegenüber der hier vertretenen Bedeutung des Wiederaufnahmerechts nicht möglich. Erstens ist das Wiederaufnahmerecht gesetzlich verankert und nimmt damit an dem verfassungsrechtlichen Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG teil. Zweitens ist die These vom fehlenden Anspruch auf Rechtsschutz gegen den Richter seit der jüngsten Plenarentscheidung des Bundesverfassungsgerichts überholt.[169] Sie ist auch unhaltbar, soweit Strafrichter im Verurteilungsfall Eingriffe in Grundrechtspositionen vornehmen. Strafrichter sind nicht neutrale Schiedsrichter, die zwischen zwei Parteien stehen, sondern sie sind in einem Verfahren mit Inquisitionsmaxime, das auf einen Schuld- und Strafausspruch ausgerichtet ist, Eingriffsorgane. Ihre Eingriffsakte müssen daher nach Art. 19 Abs. 4 GG einer effektiven Kontrolle unterworfen sein. Die systematische Ausschaltung der ohnehin begrenzten Kontrolle durch die Revisionsgerichte mit dem Rechtsmittelverzicht, der eine "Geschäftsgrundlage" der Absprachenpraxis bildet, führt dazu, dass außer im Wiederaufnahmerecht keine andere fachgerichtliche Möglichkeit des Rechtsschutzes für den Angeklagten gegen eine in tatsächlicher Hinsicht fehlerhafte Verurteilung besteht. Deshalb sind auch und gerade nach Absprachenverfahren Wiederaufnahmemöglichkeiten nach dem rechtsstaatlichen Prinzip der Kontrolle erforderlich. Das Wiederaufnahmerecht als Rechtsschutzmittel muss außerdem effektiv[170] ausgestaltet sein und angewendet werden.

III. Verzicht oder Verwirkung als Abwehrargumente der Absprachenpraxis

Es liegt auf der Hand, dass eine Möglichkeit zur Wiederaufnahme des Verfahrens nach einer Urteilsabsprache der Praxis der Tatgerichte nicht willkommen ist. Die Gerichte sind ohnehin wiederaufnahmefeindlich eingestellt und wehren sich "mit Zähnen und Klauen" nahezu gegen jeden Wiederaufnahmeantrag.[171] Erst recht gilt dies ‑ unbeschadet des Richterwechsels, der nach § 23 Abs. 2 StPO und § 140a GVG zwingend ist ‑ dann, wenn dem Erstgericht ein ungenügendes Verfahren "vorgeworfen" wird und der Wiederaufnahmeantrag auf eine Annullierung des absprachenkonformen Geständnisses durch dessen substanziierten Widerruf sowie auf eine neue Bewertung der sich im Wesentlichen aus den Akten ergebenden Befunde[172] gestützt wird. Dann soll praktisch die Arbeit, die ein anderer Richter sich durch das Absprachenverfahren erspart hat, durch einen Kollegen geleistet werden.[173] Es verwundert nicht, dass sich die Wiederaufnahmegerichte gegen derartige Anträge zur Wehr setzen. Die Frage ist, ob es dazu ein liquides Abwehrmittel gibt.

1. Wiederaufnahmeverzicht oder Geständnisbekräftigung durch Rechtsmittelverzicht im Absprachenverfahren

Zunächst wird erwogen, aus einer absprachenkonformen Rechtsmittelbeschränkung,[174] einer Rechtsmittelrück-

nahme[175] oder einem Rechtsmittelverzicht eine Art Verzichtswirkung abzuleiten. Es bestehe ein Gebot des Gleichlaufs der Rechtsbehelfe, wonach einem revisionsrechtlich relevanten Verzicht auf Rechtsmittel auch ein Wiederaufnahmeverzicht jedenfalls im Ergebnis gleichzusetzen[176] oder aber der Prozesserklärung eine zusätzliche geständnisgleiche Wirkung beizumessen sei.[177] Das sind im Kern folgerichtige Ableitungen aus der Konsensmaxime, die aber erkennbar mit dem überkommenen Beweisrecht und mit dem geltenden Wiederaufnahmerecht unvereinbar sind. Beweisrechtlich ist eine Prozesserklärung keine Einlassung zur Sache; zudem besitzt sie vom Standpunkt der Beweislehre und der Aussagepsychologie inhaltlich keine Aussagekraft für ein historisches Ereignis. Wiederaufnahmerechtlich ist ein Verzicht auf den Sonderrechtsbehelf zudem ausgeschlossen.[178] § 302 StPO ist auf den Wiederaufnahmeantrag auch über die Verweisungsvorschrift des § 365 StPO nicht anwendbar, weil er nur auf befristete Rechtsmittel zugeschnitten ist. Einen "Gleichlauf" des Wiederaufnahmerechts mit dem Rechtsmittelrecht gibt es insoweit vor allem deshalb nicht, weil der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nicht fristgebunden und inhaltlich auf die nachträgliche ‑ bessere ‑ Wahrheitserforschung ausgerichtet ist. Einen Verzicht auf die Feststellung der Wahrheit kann es in einem rechtsstaatlichen Strafverfahren zudem nicht geben, weil nur die Verurteilung aufgrund des wahren Sachverhalts dem Schuldprinzip entspricht. Verzichtsansätze zur Abwehr unliebsamer Wiederaufnahmeanträge sind daher nicht tragfähig.

2. Rechtsmissbrauch und Verwirkung des Wiederaufnahmeantragsrechts

Weiter wird erwogen, auch in einem aufwändig begründeten Wiederaufnahmeantrag zumindest dann einen Rechtsmissbrauch zu sehen, wenn im Erstverfahren das absprachenkonforme Geständnis mit dem Hintergedanken abgelegt wurde, dass es später widerrufen und der Widerruf zum Gegenstand eines Wiederaufnahmeantrags gemacht werden soll.[179] Auch das erscheint vom Boden der Konsensmaxime aus auf erste Sicht folgerichtig, weil das Geständnis im Erstverfahren und der Geständniswiderruf im Wiederaufnahmeverfahren ein widersprüchliches Prozessverhalten darstellen[180] und der Wiederaufnahmeantrag nach einem "Vergleich" im Erstverfahren aus justizieller Sicht wie ein "Vertragsbruch" wirkt. Als Abwehrmittel gegen derartige illoyal erscheinende Wiederaufnahmeanträge wird argumentativ die ungeschriebene Missbrauchsgeneralklausel eingesetzt, welche die höchstrichterliche Rechtsprechung bisher gegen Anträge oder Rügen eingesetzt hat.[181] Auf Rechtsmittel oder Rechtsbehelfe im Ganzen ist sie dort aber noch nicht angewendet worden. Eine Verwirkung der Rechtsmittelbefugnis im Ganzen gibt es auch nicht, zumal die Verteidigung aus ihrer Sicht gegen die fortgesetzte Perseveranz der Strafjustiz und ihre Schulterschlusseffekte unter Umständen zur List greifen muss, wenn sie mit Aussicht auf Erfolg deren Resultate bekämpfen will.[182] Indes gilt schon zuvor auch hier der Satz: "Qui suo iure utitur, neminem laedit". Der Wiederaufnahmeantrag ist daher legitim[183] und keineswegs dysfunktional. Selbst im US-amerikanischen Recht kann ein "guilty plea" nach der Strafzumessungsentscheidung im Rahmen eines Rechtsbehelfs zurückgenommen werden, wenn damit zugleich ein unfaires Verfahren gerügt wird.[184] Warum das im deutschen Recht im Rahmen eines gesetzlich vorgesehenen Rechtsbehelfs nicht zulässig sein soll, erschließt sich nicht. Außerdem besteht kein schutzwürdiges Vertrauen der Justiz darauf, dass der Angeklagte sein Wiederaufnahmeantragsrecht nach Eintritt der Rechtskraft der Verurteilung nicht nutzen werde; andernfalls wäre schließlich auch die "qualifizierte Rechtsmittelbelehrung" eine Lüge.

Die Erklärung des Verzichts auf das Rechtsmittel der Revision mit dem geheimen Vorbehalt, später einen Wiederaufnahmeantrag zu stellen, lässt zudem beide Prozesserklärungen unberührt. Auf den Rechtsmittelverzicht bezieht sich die Mentalreservation[185] nicht. Auf den späteren Wiederaufnahmeantrag ist die frühere Verzichtserklärung weder ausdrücklich noch konkludent ausgerichtet. Besteht entgegen der Vorstellungswelt der Absprachenpraxis[186] schon kein legitimes Interesse der Allgemeinheit an einem Rechtsmittelverzicht,[187] dann ist erst recht der unverzichtbare Wiederaufnahmeantrag auch dann nicht wegen eines tendenziellen Widerspruchs zum Rechtsmittelverzicht verwirkt, wenn er zur Zeit der Urteilsabsprache bereits beabsichtigt war.

Im Wiederaufnahmerecht liefe die Anwendung der Missbrauchsgeneralklausel auf eine Verwirkung der Geltendmachung der Wahrheit hinaus.[188] Dieses Resultat ist offensichtlich mit dem Rechtsstaatsprinzip und mit dem Schuldgrundsatz unvereinbar. Es zeigt, wie verfehlt die Konsensmaxime einerseits und auch die richterrechtliche Annahme einer allgemeinen Missbrauchsgeneralklausel ohne hinreichend eingegrenzte Konturen[189] und ohne

Definitionsmacht der Rechtsprechung[190] andererseits sind. Das Abblocken von Wiederaufnahmevorbringen mit dem Missbrauchsargument ist dann nur noch ein fehlerhafter Versuch der Verewigung der Resultate des Konsenses ohne erneute Befassung mit der Sache selbst. Der gegen eine allgemeine Missbrauchsgeneralklausel gerichtete Einwand des justiziellen Missbrauchs mit dem Missbrauchsargument[191] erweist sich dadurch zugleich als berechtigt.[192] Danach liegt bei der Nutzung des Wiederaufnahmeantragsrechts auch im Fall einer insgeheim schon zur Zeit der Urteilsabsprache beabsichtigten Geständniswiderrufs kein Missbrauch des Antragsrechts vor, weil dem die Nichterfüllung der Justizgewährungspflicht des Staats in einem seinerseits unzulässigen Absprachenverfahren vorangegangen war. Schließlich zeigt das Prinzip vom Vorrang und vom Vorbehalt des Gesetzes,[193] dass ein nicht gesetzlich geregeltes Urteilsabsprachenverfahren mitsamt seiner Flankendeckung durch eine nicht gesetzlich geregelte Missbrauchsgeneralklausel[194] im Konkurrenzkampf mit dem gesetzlich geregelten Wiederaufnahmerecht unterliegen muss. Die wirksame Strafverfolgung ist zwar ein legitimer Zweck zur Einschränkung der Rechte beschuldigter Bürger auf Freiheit. Die Sicherung des Rechtsfriedens durch Strafrecht ist seit jeher eine wichtige Aufgabe staatlicher Gewalt. Die Aufklärung von Straftaten, die Ermittlung des Täters, die Feststellung seiner Schuld und seine Bestrafung wie auch der Freispruch des Unschuldigen sind die wesentlichen Aufgaben der Strafrechtspflege, ebenso aber eben auch der Freispruch des Unschuldigen.[195] Letzterer Aspekt wird bei der einseitigen Überbetonung der "Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege" durch die Absprachenpraxis übergangen. Es muss daher gerade nach einer Urteilsabsprache dabei bleiben, dass das Wiederaufnahmerecht keinem Verzicht und keiner Verwirkung unterliegt.[196] Mit dem Missbrauchsargument darf eine klare gesetzliche Regelung nicht überspielt werden,[197] die nun einmal bezüglich der generellen Zulässigkeit von Wiederaufnahmeanträgen anders lautet als es die Praxis wünscht. Daher kann der Antragsteller selbst dann, wenn er im Erstverfahren das Gericht mit einem Geständnis oder einer sonstigen Sacheinlassung in eine falsche Richtung gelenkt oder entlastende Beweise, die ihm bekannt waren, zurückgehalten hatte,[198] mit einem Wiederaufnahmeantrag nachträglich das Gegenteil behaupten. Das ist nicht unzulässig,[199] selbst wenn eine anfängliche Absicht zum Zurückhalten von Verteidigungsvorbringen vorgelegen hatte.[200] Es stellt sich nicht die Verwirkungsfrage, sondern allein die Frage der Geeignetheit der neuen Tatsachen und Beweismittel zur Herbeiführung eines Freispruchs.

IV. Substantiierungspostulate, verkürzte Beweisantizipation und ein unklarer Wahrscheinlichkeitsmaßstab als Abwehrinstrumente

Die Praxis neigt generell zum Abblocken von Wiederaufnahmevorbringen auf der Zulässigkeitsebene der Antragsprüfung.[201] Die Mittel dafür sind dogmatisch nicht vertiefte und ihrerseits nicht alle Aspekte berücksichtigende Behauptungen zur "erweiterten Darlegungslast" und zur mangelnden Geeignetheit der vorgebrachten Beweismittel im Rahmen einer selektiv betriebenen Beweisantizipation.

1. Künstlich erweiterte Darlegungslasten

Widersprüchliches Prozessverhalten, wie ein Geständniswiderruf[202] oder eine sonstige Einlassungsänderung,[203] verlangt natürlich nach einer Erklärung, die in Fällen von Urteilsabsprachen aber nur allzu leicht zu geben ist. Deshalb wird auf der Ebene der Schlüssigkeitsuntersuchung bisweilen von Wiederaufnahmegerichten zusätzlich gefordert, dass der Antragsteller in seinem Wiederaufnahmeantrag zu allen Belastungsbeweisen des Erstverfahrens, wie sie sich aus den Akten ergeben, Stellung nimmt und auch deren Widerlegung Punkt für Punkt erläutert. Setzt er sich nicht mit allen Punkten auseinander, dann soll sein Antrag schon deshalb unzulässig sein.[204] Eine solche umfassende und kaum erfüllbare Substantiierungspflicht besteht jedoch nach §§ 359 Nr. 5, 368 Abs. 1 StPO nicht und sie ist mit dem Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar. Selbst die weit reichenden Substantiier-

ungspflichten nach der revisionsgerichtlichen Rechtsprechung für Verfahrensrügen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO betreffen nur ein singuläres Prozessgeschehen und nicht die Gesamtheit aller auf den Tatvorwurf bezogenen Indiztatsachen und Beweismittel. Die übersteigerte Form des wiederaufnahmegerichtlichen Postulats der erweiterten Darstellungslast ist nach dem Zweck des Wiederaufnahmeverfahrens zudem ohne praktischen Nutzen, denn eine Beweisantizipation im Aditionsverfahren ist, wenn und soweit sie überhaupt gefordert werden kann, von Amts wegen auf alle Umstände aus dem gesamten Aktenstoff und dem Antragsvorbringen zu erstrecken, die für und gegen die Täterschaft und die Schuld des Verurteilten sprechen. Die Übersteigerung des Postulats einer "erweiterten Darlegungslast" führt zudem nicht etwa zu einem "Verbrauch" des Antragsvorbringens, so dass es in ergänzter Weise erneut präsentiert werden kann.[205] Damit ist also für die Justiz im Ergebnis gar nichts gewonnen. Schließlich müsste aus Gründen der prozessualen Fürsorge und zur Gewährung rechtlichen Gehörs verlangt werden, dass das Wiederaufnahmegericht auf Lücken im Antragsvorbringen hinweist, bevor es den Antrag ohne Rücksicht auf seinen Gehalt wegen angeblicher Substantiierungsmängel als unzulässig verwirft.[206] "Es kommt im Ergebnis aber der Verhinderung eines Vortrags gleich, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte."[207] Das kollidiert also mit Art. 103 Abs. 1 GG. Soweit die These von der erweiterten Darlegungslast, hinter der freilich auch wiederum ein Missbrauchsgedanke steht,[208] über den Beweisstoff der Hauptverhandlung hinausgeht und auch eine Auseinandersetzung des Antragstellers mit allen Belastungsaspekten des Akteninhalts verlangt, geht sie zudem daran vorbei, dass nur das Urteil des Erstgerichts der Angriffsgegenstand des Wiederaufnahmeantrags ist und nur dessen Beweisgrundlagen erschüttert werden müssen, welches im Absprachenverfahren gerade nicht den gesamten Aktenstoff umfasst, weil dieser nicht zur Beachtung von § 261 StPO in prozessordnungsgemäßer Weise in die Hauptverhandlung eingeführt worden war. Das Wiederaufnahmegericht kann aber nicht ein eigenes Urteil nach Aktenlage an die Stelle des Urteils des Erstgerichts in der Hauptverhandlung setzen und dieses anstelle des defizitären Urteils des Erstgerichts dem Wiederaufnahmevorbringen gegenüberstellen. Der Unterschied zum Strafbefehlsverfahren, in dem der Akteninhalt zur Entscheidungsgrundlage wurde und deshalb auch den Maßstab für die Geeignetheitsprüfung nach §§ 359 Nr. 5, 368 Abs. 1 StPO liefert,[209] liegt eben darin, dass im Urteilsabsprachenverfahren ein anders ‑ auch mit Schöffen ‑ besetzter Spruchkörper eine andere Form der Entscheidung getroffen hatte, die nur aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung, nicht etwa aus dem Inbegriff des Akteninhalts geschöpft werden darf.

2. Die Beweisantizipation im Aditions-verfahren und ihre engen Grenzen

Nach der Rechtsprechung soll schon im Aditionsverfahren eine Beweisantizipation[210] erfolgen dürfen, welche zur konkreten Prüfung der Geeignetheit der neuen Beweise, einschließlich einer Glaubwürdigkeitsprüfung, notwendig sei.[211] Die Beweisantizipation wird von den Wiederaufnahmegerichten dann so vorgenommen, dass einem Geständnis auch dann, wenn es auf einer Urteilsabsprache beruht, ein hoher Beweiswert zugemessen und das Wiederaufnahmevorbringen demgegenüber als geringwertig eingeschätzt wird.[212] Diese Argumentation eröffnet beliebige Möglichkeiten zum Abblocken des Wiederaufnahmevorbringens. Sie beruht aber auf einer Reihe falscher Prämissen, zu denen zunächst die Überhöhung des Beweiswerts des absprachenkonformen Geständnisses gehört. Es hat als "schlankes" oder anwaltlich vorformuliertes oder aufgrund der gerichtlichen Absprachenbedingung der Glaubhaftigkeit nur bei Aktenkonformität in die Passform der Übereinstimmung mit dem Anklagesatz gebrachtes Geständnis vom Standpunkt der Beweislehren und der Aussagepsychologie aus gesehen tatsächlich so gut wie gar keinen Beweiswert.

Auch die rechtliche Annahme der Zulässigkeit einer Beweisantizipation im Aditionsverfahren begegnet durchgreifenden Bedenken. Sie wird freilich verfassungsrechtlich im Ansatz nicht beanstandet.[213] Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts[214] findet die Möglichkeit der Beweisantizipation eine Grenze erst dort, wo es um Beweise geht, deren Erhebung nach der gesetzlichen Struktur des Strafverfahrens der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben muss. Das soll solche Umstände betreffen, die zur Umgrenzung der Tat im prozessualen Sinn und damit zugleich für die Verteidigung von besonderer Bedeutung sind, wie die Tatzeitannahme[215] oder Umstände zum "Kernverlauf des Tatgeschehens".[216] Diese Sicht der Dinge führt aber in eine Sackgasse. Alle Beweiserhebungen, die für die Frage der Täterschaft und der Schuld von Bedeutung sein können, sind nach der Struktur des Strafprozesses der Hauptverhandlung vorbehalten (§§ 244 Abs. 2, 261 StPO). Faktoren der Umgrenzung des Verfahrensgegenstands sind längst nicht alleine für die Verteidigung von zentraler Bedeutung. Das zeigen der von Sabine Rückert beschriebene[217] und der oben erwähnte weitere Fall,[218] in denen jeweils eine Borderlinepersönlichkeitsstörung der Hauptbelastungszeu-

gin zur Pseudologie und diese zur falschen Verdächtigung des Beschuldigten geführt hatten. Die Wurzel des Übels war vor allem in der von den Gerichten bei der Sachaufklärung und der Beweiswürdigung grob vernachlässigten Vita und der Persönlichkeit der jeweiligen angeblichen Opferzeugin zu finden, nicht in den Umständen des ­‑ erfundenen ‑[219] "Tatgeschehens".[220] Dies zeigt, dass etwa auch die Bewertung der persönlichen Glaubwürdigkeit einer Auskunftsperson wie auch die "Glaubhaftigkeitsbeurteilung als psychodiagnostischer Prozess"[221] anhand von Umständen, die oft weit außerhalb des eigentlichen "Tatgeschehens" liegen, aus beweistechnischen und aussagepsychologischen Gründen dem Strengbeweisverfahren vorbehalten bleiben muss.

Die Beweisantizipation im Aditionsverfahren (§ 368 Abs. 1 StPO) ist aber auch sonst verfehlt.[222] Mit ihr wird letztlich eine Beweiswürdigung vor der Beweiserhebung (§ 369 StPO) verlangt. Das ist ein rechtlich falsches und praktisch untaugliches Mittel zur prognostischen Feststellung des Ergebnisses einer künftigen neuen Hauptverhandlung.[223] Zudem wird bei der in der Praxis üblichen selektiven Beweisüberprüfung im Aditionsverfahren ungeachtet formelhafter Beteuerungen des Gegenteils regelmäßig über das Prinzip der Gesamtwürdigung aller Tatsachen und Beweise hinweggegangen,[224] welches alleine die Tatsache zur Geltung bringen kann, dass alle Einzelindizien ihr wahres Beweisgewicht nur dann offenbaren, wenn sie im Kontext mit den übrigen Beweisanzeichen bewertet werden.[225] Schließlich vernachlässigt die Beweisantizipation der wiederaufnahmegerichtlichen Praxis im Aditionsverfahren die auch im Freibeweisverfahren geltende Instruktionsmaxime (§ 155 Abs. 2 StPO); denn über eine Sichtung des Aktenmaterials hinaus wird im Aditionsverfahren tatsächlich so gut wie nie ein anderer Beweis erhoben, auch wenn sich die Erforderlichkeit einer Vertiefung einer bestimmten Frage aufdrängt. Eine Beweiserhebung im Freibeweisverfahren würde schließlich gerade die Unvereinbarkeit dieses Vorgehens mit § 369 StPO verdeutlichen. Letztlich erfolgt also tatsächlich nur ein ‑ überdies aufgrund der nach Rechtskraft potenzierten Perseveranz- und Schulterschlusseffekte ‑ extrem einseitig gefärbter Abgleich der Behauptungen im Wiederaufnahmeantrag mit dem sonstigen Akteninhalt. Dem liegt im Ergebnis auch derselbe systematische Fehler zugrunde, der zu der Annahme im Richterrecht zur Absprachenpraxis geführt hat, eine Geständnisüberprüfung anhand der Aktenlage sei zur Wahrheitserforschung ausreichend. Das ist sie bei der Suche nach der "materiellen Wahrheit" von einem beweisrechtlichen und aussagepsychologischen Standpunkt aus gesehen sicher nicht, weil dabei wiederum die systematische Verzerrung des Beweisbildes durch einseitige Ermittlungen und Sachdarstellungen im Vorverfahren generell unbeachtet bleibt. War die nach der Struktur des gesetzlichen Strafverfahrensrechts erforderliche richterliche Kontrollarbeit im Erstverfahren in einer kontradiktorischen Hauptverhandlung substanziell nicht geleistet worden, weil sich das Gericht dort vorschnell auf eine Ergebnisabsprache zurückgezogen, das Geständnis des Angeklagten durch die Absprachenbedingung der Glaubhaftigkeit sogar selbst mitursächlich in die Passform des Beweisbildes von Anklageschrift und Eröffnungsbeschluss gebracht und die Sache nicht abschließend nach den Regeln des Strengbeweisverfahrens aufgeklärt hatte, dann ist aus dem Akteninhalt alleine kein Beweisergebnis zu entnehmen, welches dem Wiederaufnahmevorbringen isoliert mit Anspruch auf Reliabilität und Validität entgegen gehalten werden könnte.

Das Wiederaufnahmeverfahren zielt in den Fällen des Angriffs auf ein abgesprochenes Urteil in letzter Konsequenz darauf, erstmals ein Strengbeweisverfahren mit voller Überprüfung aller Tatsachen und Beweise in einer der Struktur des geschriebenen Strafprozessrechts entsprechenden Weise herbeizuführen, nachdem das Erstgericht diese Leistung, die aufgrund der Justizgewährungspflicht vom Staat geschuldet ist, nicht erbracht hatte. Das Absprachenverfahren heutiger Prägung liefert nur noch eine Simulation der Justizgewährleistung. Auf die Justizgewährung durch eine wenigstens einmalige Beweisprüfung in einer kontradiktorisch ausgestalteten öffentlichen Hauptverhandlung durch ein unvoreingenommenes Gericht hat der Angeklagte aber nach Art. 3 Abs. 1, 19 Abs. 4, 20 Abs. 3, 101 Abs. 1 Satz 2, 104 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK einen Anspruch. Ist dieser Anspruch im Erstverfahren unerfüllt geblieben, dann kann er eben durch einen Wiederaufnahmeantrag nachträglich eingefordert werden. Das kann nicht als rechtsmissbräuchlich gelten. Das Wiederaufnahmerecht stellt dadurch zwar die Absprachenpraxis in Frage,[226] aber seine Aufgabe ist ebenso legitim, wie die beschriebene Absprachenpraxis illegitim ist; denn jedenfalls hier gilt der Satz: "das Geständnis ist kein Ersatz für eine saubere Beweisführung".[227]

Das gesetzlich vorgesehene Rechtsschutzmittel des Wiederaufnahmeantrags darf nicht durch übertriebene Anforderungen an die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeantrags vereitelt werden, weil ein solches Abblocken von Wiederaufnahmevorbringen eine Verletzung des An-

spruchs auf effektiven Rechtsschutz darstellt.[228] Daher reicht es ‑ wie auch sonst ‑[229] für einen Wiederaufnahmeantrag gegen ein abgesprochenes und nur auf einem "schlanken Geständnis" ohne substanziellen Beweiswert[230] oder mit einer geständnisgleichen anwaltlichen Erklärung beruhendes Urteil im Ergebnis aus, wenn der Geständniswiderruf als Wiederaufnahmegrund plausibel erklärt wird.[231] Ergänzende Hinweise darauf, dass auch bei Ausschöpfung der sonstigen Beweise die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass ein Gericht in der neuen Hauptverhandlung zumindest im Zweifel zugunsten des Angeklagten auf Freispruch erkennen wird, sind nur erforderlich, wenn das Urteil des Erstgerichts auf ein Mehr an Belastungsbeweisen als nur auf das wenig aussagekräftige Geständnis oder Geständnissurrogat gestützt ist. Das ist in der defizitären Absprachenpraxis regelmäßig aber ungeachtet der höchstrichterlichen Postulate nicht der Fall.

3. Wahrscheinlichkeitsmaßstab contra Möglichkeitsmaßstab

Überwiegend wird für eine stattgebende Entscheidung im Aditionsverfahren nach § 368 Abs. 1 StPO verlangt, dass die neuen Tatsachen oder Beweismittel die Erreichung des Wiederaufnahmeziels wahrscheinlich macht;[232] begrifflich wird eine hinreichende,[233] genügende,[234] überwiegende,[235] ernsthafte[236] oder gar hohe Wahrscheinlichkeit verlangt. Die Gegenmeinung[237] begnügt sich im Aditionsverfahren mit geringeren Anforderungen als bei § 370 StPO und gelangt hier mit einem Möglichkeitsmaßstab zu einem Ergebnis, das ähnlich wirkt, wie der revisionsrechtliche Beruhensmaßstab nach § 337 StPO. Dabei entspricht die hier verlangte ‑ ernsthafte ‑ Möglichkeit der Sache nach durchaus doch auch einer andernorts für erforderlich und ausreichend gehaltenen ‑ einfachen ‑ Wahrscheinlichkeit,[238] zumindest wenn auch die prospektive künftige Anwendung des Zweifelssatzes durch das neu erkennende Gericht berücksichtigt wird.[239] Auch bei dieser Begriffsauswahl ist die Art der Rechtsanwendung letztlich wichtiger als das Auffinden einer möglich trefflichen Vokabel für das Gemeinte. Die von den Wiederaufnahmegerichten gebrauchten Wahrscheinlichkeitsthesen mit ihren verschiedenen Attributen ermöglichen nahezu beliebige Ergebnisse[240] und ihre inhaltlich oft maßlos überzogene Anwendung im Einzelfall dient ‑ bewusst oder unbewusst ‑ letztlich doch nur zum Abblocken des ungeliebten Wiederaufnahmevorbringens. Das Resultat entspricht jedenfalls bei Weitem nicht mehr dem Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes. Schließlich ist der Wahrscheinlichkeitsmaßstab, soweit er über eine Beruhensprüfung hinausreicht, inzwischen durch die Gesetzgebung überholt. Der Wiederaufnahmeantrag konkurriert in Fällen, in denen die letzte Instanz nach einem Wahlrechtsmittel (§ 55 Abs. 2 JGG) eine Tatsacheninstanz war, mit der Anhörungsrüge (§ 33a StPO) in der Neufassung des Anhörungsrügengesetzes aufgrund des jüngsten Plenarbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts.[241] Das häufig bemängelte und mit der Revision nicht angreifbare Weglassen wichtiger entlastender Indizien in den Urteilsgründen kann in diesem Fall dann, wenn es auf der tatrichterlichen Neigung beruht, "störende" Aspekte im Urteilstext einfach wegzulassen, die das Urteilsergebnis in Frage stellen könnten, eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehörs sein[242] und deshalb mit der Anhörungsrüge angegriffen werden. Es kann aber auch darauf hindeuten, dass der Aspekt bei der Urteilsberatung nicht präsent war, deshalb im Sinne von § 359 Nr. 5 StPO neu ist und zum Gegenstand eines Wiederaufnahmeantrags gemacht werden kann. Die Anfechtungsmöglichkeit mit der Anhörungsrüge oder mit einem Wiederaufnahmeantrag darf prinzipiell keinen verschiedenen Anforderungen unterliegen. Der nach Art. 3 Abs. 1 GG gebotene Gleichlauf der Sonderrechtsbehelfe muss dazu führen, dass in beiden Fällen ein Beruhensmaßstab anzulegen ist; denn dies ist der gemeinsame Nenner. Auch die Unterscheidung von "absoluten" Wiederaufnahmegründen[243] in § 359 Nr. 1 – 3 StPO und dem "relativen" Wiederaufnahmegrund nach § 359 Nr. 5 StPO spricht dafür, bei letzterem ähnlich wie bei §§ 337, 338 StPO ein Beruhen des Urteils auf der Unkenntnis der Richter des Erstgerichts von den neuen Tatsachen und Beweismitteln für erforderlich und ausreichend zu erachten. Im Anhörungsrügenverfahren ist die Beruhensprüfung zudem ein Teil der Begründetheitsprüfung, während im Wiederaufnahmeverfahren schon die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs davon abhängen soll. Auch dies spricht dafür, das Wiederaufnahmerecht nicht durch eine weitere Erhöhung der Wahrscheinlichkeitsanforderungen hinter den Rechtsschutzstandard des Anhörungsrügenverfahrens zurückfallen zu lassen. In der Zulässigkeitsstation gilt nämlich der Satz, dass es gegen den Anspruch des Antragstellers auf effektiven Rechtsschutz verstößt, wenn die Gerichte unnötig überhöhte und vom Gesetz nicht notwendigerweise verlangte Anforderungen an die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs stellen und diesen leer laufen lassen.[244] Geht es zudem nach dem Totalausfall

des Strengbeweisverfahrens[245] durch die Urteilsabsprache im Erstverfahren bei der Wiederaufnahme des Verfahrens aufgrund eines Geständniswiderrufs und eventueller neuer Tatsachen oder Beweismittel praktisch um den ersten Zugang zu einem Gerichtsverfahren, das in effektiver Weise den Anforderungen gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK genügt, dann reicht auch dafür der Möglichkeitsmaßstab aus. Die Möglichkeit eines Freispruchs kann aber nicht generell verneint werden, wenn das Urteil des Erstgerichts allein auf einem "schlanken Geständnis" beruht, welches durch einen substantiierten Geständniswiderruf annulliert wird. Eine Aussageninhaltsanalyse[246] kann dann nur ein dem Verurteilten im Sinne des Möglichkeitsmaßstabs ausreichend günstiges Resultat ergeben. Die gegenteilige Annahme liefe darauf hinaus, dass mit der Eröffnung des Hauptverfahrens generell schon die Verurteilung feststeht. Das ist zwar der Traum der Absprachenpraxis, der jedoch mit einem rechtsstaatlichen Strafverfahren nicht zu vereinbaren ist.


[1] BVerfGE 33, 367, 383 ; 38, 105, 115 f.; 38, 312, 321 ; 39, 156, 163 ; 41, 246, 250 ; 46, 214, 222 ; 74, 257, 222; 86, 288, 347; 113, 29, 54.

[2] Fehlurteile kommen nicht sehr selten vor, worüber amtliche Erhebungen aber vermieden werden, weil sonst eine Beunruhigung der Bevölkerung und Richterschaft drohen würde; vgl. Theobald, Barrieren im strafrechtlichen Wiederaufnahmeverfahren. Die Wiederaufnahme wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel zugunsten des Verurteilten, 1998, S. 10 m.w.N. Auch falsche Geständnisse sind häufiger, als es die Rechtsprechung zugibt; vgl. Beneke, Das falsche Geständnis als Fehlerquelle im Strafverfahren unter kriminologischen, speziell kriminalpsychologischen Aspekten, 1990, S. 26; Hauer, Geständnis und Absprache, 2007, S. 189 ff.; Stern StV 1990, 563.

[3] BVerfGE 112, 185, 207 ff.

[4] Gössel FS Böttcher, 2007, S. 79, 86 f.

[5] Hauer (Fn. 2) S. 344 ff.; zum Richterrecht als Legitimationsproblem Classen JZ 2003, 693, 699; Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2005, S. 183 ff.

[6] BGHSt 43, 195, 204 ff.; 50, 40, 48 ff.

[7] Zur angewandten Kriminologie Bock in: Göppinger, Kriminologie, 6. Aufl., §§ 15 ff.

[8] Die Empfehlung von Höcherl FG Peters, 1984, S. 17, 22, die Aussagepsychologie in den Ausbildungskanon der Juristen aufzunehmen, ist verhallt, dabei ist deren Integration in die Beweiswürdigung dringend angezeigt; Bötticher NJW-Sonderheft für G. Schäfer, 2002, 8 ff.; Deckers FS Hamm, 2008, S. 53, 54 ff.

[9] BGHSt 8, 130 f.; BGH NStZ 1997, 355 f.; NStZ-RR 2007, 195 f.; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 5. Aufl., Rn. 1860.

[10] Bauer StV 2008, 104 ff.

[11] Vier Sachverständigengutachten, die annehmen, dass eine "Opferzeugin" als Borderlinekranke eine Pseudologie aufweist und krankhaften Hass gegen den Verurteilten entwickelt hatte, ihre Zeugenaussagen nicht die Mindestanforderungen an Realkennzeichen erfüllen, die Täterschaft des Verurteilten kriminologisch widersinnig erscheint und die Missbrauchsberichte einem Fernsehfilm nachempfunden sein dürften, konnten Wiederaufnahmegerichte nicht davon überzeugen, dass ein Fehlurteil des nicht sachverständig beratenen Erstgerichts in einem Fall, in dem "Aussage gegen Aussage" stand, wahrscheinlich ist; LG Augsburg Beschl. vom 6.11.2006 – Jug LKs 200 Js 129915/06 – und vom 2.7.2007 – Jug KLs 200 Js 116172/07; LG München I Beschl. vom 31.10.2007 – 11 KLs 455 Js 314720/07; OLG München Beschl. vom 29.3.2007 – 3 Ws 33/07.

[12] K. Peters FS Dünnebier, 1982, S. 53, 61.

[13] Zur Möglichkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens nach einer Absprache BGH NStZ-RR 1997, 173, 174; OLG Köln StV 1989, 98; KG StraFo 2006, 169 f. mit Anm. König; OLG Stuttgart NJW 1999, 375 f.; Hellebrand NStZ 2004, 413 ff.; Küpper/Bode Jura 1999, 393, 397 f.; Marxen/Tiemann , Die Wiederaufnahme in Strafsachen, 2. Aufl., Rn. 243; Satzger in: Bockemühl (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 3. Aufl., Teil H Kap. 3 Rn. 60 f.; Schünemann NJW 1989, 1895, 1900 ; Wasserburg in: Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle (Hrsg.), Strafverteidigung in der Praxis, 4. Aufl., § 16 Rn. 36.

[14] LG Bochum Beschl. vom 21.1.2008 – 12 AR 38/07; LG Karlsruhe NStZ 2003, 108 f. mit Anm. Murmann NStZ 2003, 618 f. ; LG Passau Beschl. vom 15.10.2003 - 1 Qs 133/03.

[15] Mit anderer Blickrichtung hatte Kühne diese Frage in StV 1996, 684 ff. gestellt.

[16] Vgl. das Beispiel bei Sabine Rückert, Unrecht im Namen des Volkes, 2007, S. 135 ff.

[17] Das Szenario einer bei Wiederholungen unnütz erscheinenden Beweisaufnahme lieferte für Widmaier StV 1986, 357 f. den Grund dafür, den "Vergleich" als Wohltat zu empfinden.

[18] G. Schäfer, Absprachen im Strafverfahren? Referat zum 58. DJT 1990, Bd.  II, L48 ff.

[19] BGHSt 50, 40, 50 verweist auf diese "nicht unnötig restriktiv zu handhabenden Möglichkeiten".

[20] Befürwortend daher damals noch Eschelbach JA 1999, 694 ff.

[21] Fischer NStZ 2007, 433; Harms FS Nehm, 2006, S. 289, 292 ff.

[22] Moldenhauer, Eine Verfahrensordnung für Absprachen im Strafverfahren durch den Bundesgerichtshof? 2004, S. 136; KMR/Stuckenberg, StPO § 261 Rn. 9.

[23] Vgl. BGHSt 50, 40, 46; Hauer (Fn. 2) S. 57 f.

[24] F. Meyer, Willensmängel beim Rechtsmittelverzicht des Angeklagten im Strafverfahren. Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Absprachenproblematik, 2003, S. 289.

[25] Widmaier NJW 2005, 1985 ff.

[26] Dahs NJW 1996, 1192 f.

[27] Vgl. zum Kohl-Verfahren Hamm NJW 2001, 1694 ff.; zum Mannesmann-Prozess Saliger/Sinner ZIS 2007, 476, 480 f.; zum gezielten Offenlassen von Rechtsfragen in diesen Fällen Ransiek ZIS 2008, 116, 120.

[28] Gieg GA 2007, 469 ff.; Huttenlocher, Dealen wird Gesetz – die Urteilsabsprache im Strafprozess und ihre Kodifizierung, 2007, S. 163 ff.

[29] Fischer NStZ 2007, 433, 434.

[30] Auch frühere Befürworter wechseln daher jetzt das Lager, vgl. etwa Bernsmann in: Goldbach (Hrsg.), Der Deal mit dem Recht. Absprachen im Strafprozess, 2004, S. 21.

[31] Dass diese Geste kein nennenswertes Erkenntnismittel darstellt, hält Rieß FS Richter II, 2006, S. 433, 436 zutreffend fest.

[32] Widmaier StV 1986, 357, 358.

[33] Widmaier StV 1986, 357.

[34] Satzger in: Bockemühl (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 3. Aufl., Teil H Kap. 3 Rn. 65 ff.; Schünemann, Absprachen im Strafverfahren? Grundlagen, Gegenstände und Grenzen, Gutachten B für den 58. Deutschen Juristentag, 1990, B 131 ff.

[35] Bei einer Befragung gab etwa die Hälfte der Verteidiger an, Unterwerfungen von Angeklagten erlebt (und nicht verhindert) zu haben, an deren Schuld sie gezweifelt hatten; nicht viel weniger Richter und Staatsanwälte erklärten, bereits Strafzumessungsentscheidungen zugestimmt zu haben, die sie für zu milde gehalten hatten; Altenhain/Hagemeier/Haimerl NStZ 2007, 71, 77. Beides ist bedenklich.

[36] OLG Nürnberg StV 1997, 481 ff. mit Anm. Barton StV 1998, 606 f. und Zwiehoff StV 1999, 555 ff.; s.a. Satzger (Fn. 34) Teil H Kap. 3 Rn. 75. Zur bisher fehlenden Staatshaftung Schneider FS Richter II, 2006, S. 465, 467 ff.

[37] Dass die öffentlichen Haushaltgeber eine Verfahrenserleichterung durch Urteilsabsprachen prompt "vereinnahmen", statt der Ursache des informellen Vorgehens in Form chronischer Überlastung der Justiz zum Schutze des Rechtsstaats durch Stellenvermehrung entgegenzuwirken, ist bekannt; Harms FS Nehm, 2006. S. 289, 291.

[38] BGHSt 50, 40, 49.

[39] Senge FS Hamm, 2008, S. 701 ff.

[40] Beckemper, Durchsetzbarkeit des Verteidigerkonsultationsrechts und die Eigenverantwortlichkeit des Beschuldigten, 2002, S. 88 ff.; a.A. Lange, Vorermittlungen, 1999, S. 34 ff.

[41] BVerfGE 63, 45, 59 ff. mit abl. Anm. Amelung StV 1983, 181 ff und K. Peters NStZ 1983, 275 f.; BGHSt 30, 131, 140 ff.; dagegen KMR/Eschelbach, StPO Vor § 213 Rn. 34; LR/Rieß, StPO, 25. Aufl., § 199 Rn. 19; SK/Wohlers, StPO § 147 Rn. 38.

[42] Eisenberg NStZ 1991, 1257, 1259.

[43] LG Berlin StV 1986, 96, 97; Ellbogen, Die verdeckte Ermittlungstätigkeit der Strafverfolgungsbehörden durch die Zusammenarbeit mit V-Personen und Informanten, 2004, S. 134 f.

[44] Krit. zur Einstellungspraxis Gössel FS Böttcher, 2007, S. 79, 89.

[45] BGHSt 44, 153, 159.

[46] Zur Rolle der Staatsanwaltschaft Kelker ZStW 118 (2006), 389 ff.

[47] Zur bekannten Reduktion der Ermittlungserkenntnisse in den polizeilichen Vernehmungsprotokollen und Aktenvermerken Kruse FS Richter II, 2006, S. 331, 336.

[48] Zur Überforderung der Polizei bei dem Versuch, Entlastungsgesichtspunkte zur Geltung zu bringen, Schünemann Kriminalistik 1999, 74, 148 f. Beispiele zur Vorwegnahme der Richterrolle bei der Festlegung eines besonders belastenden Sachverhalts durch die Polizei bei Rasch/Hinz Kriminalistik 1980, 377 ff. Zur selektiven Vorlage von Aktenstücken bei Anträgen an den Ermittlungsrichter BGH NJW 2003, 3693 ff. Zur Fehlerhaftigkeit polizeilicher Vernehmungen Stern StV 1990, 563, 565 ff. m.w.N.

[49] Ransiek ZIS 2008, 116, 120.

[50] BGHSt 43, 195 ff.; 50, 40 ff.

[51] Pfister in: Goldbach (Hrsg.), Der Deal mit dem Recht. Absprachen im Strafprozess, 2004, S. 5 ff.

[52] BGHSt 45, 164, 168.

[53] Bötticher NJW-Sonderheft für G. Schäfer, 2002, 8, 12; Tsambikakis Kunert-Symposium, 2006, S. 87, 93.

[54] Steller NJW-Sonderheft für G. Schäfer, 2002, 69, 72; Tsambikakis (vorige Note).

[55] Hauer (Fn. 2) S. 227.

[56] Schünemann StV 2000, 159 ff.

[57] Eschelbach FS Richter II, 2006, S. 113, 116 ff.

[58] BGH NJW 2005, 1440, 1442, in BGHSt 50, 40, 49 mit der Folge nicht abgedruckt, dass das ein Gesetz vertretende Richterrecht insoweit nicht offiziös verlautbart wurde.

[59] BGHSt 29, 224, 229; OLG Hamm VRS 98 (2000), 199, 200; Eschelbach in: Bockemühl (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 3. Aufl., Teil H Kap. 4 Rn. 36; Loritz, Kritische Betrachtungen zum Wert des strafprozessualen Zwischenverfahrens, 1996, S. 45.

[60] BVerfGE 70, 297, 309.

[61] Bandisch in: Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle (Hrsg.), Strafverteidigung in der Praxis, 4. Aufl., § 8 Rn. 30; Eschelbach (Fn. 59) Teil H Kap. 4 Rn. 37; Hamm StV 1989, 147.

[62] Der Richter verlässt sich auf die Zuverlässigkeit der staatsanwaltschaftlichen Arbeit; Schünemann StV 2000, 159, 162. Weil schon der Staatsanwalt sich auf die Resultate der polizeilichen Ermittlungen und deren Abschlussbericht verlässt und diese rasch in das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen seiner Anklageschrift übernimmt, sind letztlich die polizeilichen Annahmen für die Gerichtsentscheidung bestimmend.

[63] Kriti. dazu Eschelbach FS Richter II, 2006, S. 113, 119 ff.

[64] Zur "Beratung" in Umlaufverfahren OLG Koblenz OLG-Report Koblenz 2008, 68, 70 ff.

[65] Zu diesem "Skandal" Nehm StV 2007, 549.

[66] Meyer-Goßner, StPO § 201 Rn. 8.

[67] Tschentscher (Fn. 5) S. 227.

[68] HansOLG Bremen StV 1989, 145, 146 mit Anm. Hamm.

[69] Näher Eschelbach FS Richter II, 2006, S. 113, 124 ff.

[70] Schünemann, Wetterzeichen vom Untergang der deutschen Rechtskultur. Die Urteilsabsprachen im Strafprozess als Abgesang auf die Gesetzesbindung der Justiz und den Beruf unserer Zeit zur Gesetzgebung, 2005, S. 20; Weider StraFo 2003, 406, 408.

[71] Der "Mittelstreckentarif" wird dann für ein Geständnis nach der aktenmäßigen Vorbereitung der Hauptverhandlung vergeben, während mit dem "Langstreckentarif" die "streitige" Hauptverhandlung sanktioniert wird. Diese Tarifvorgaben zeigen auch, dass ein Freispruch nicht mehr als reale Möglichkeit in Betracht gezogen wird.

[72] Ein Großverfahren ohne schriftliche Ausarbeitung eines Konzepts durch den Berichterstatter ernsthaft beraten zu wollen, ist illusorisch. Je umfangreicher der Fall ist, desto unverzichtbarer ist ein schriftliches Votum. Die generelle Verweigerung der Begründung der Eröffnungsentscheidung beruht meist darauf, dass ein hierfür verwendbares Votum nicht existiert.

[73] Zum Vorzug des planvollen Verhandelns gegenüber einer bei Gericht tatsächlich bisweilen anzutreffenden "planlosen" Vorgehensweise anhand der Beweismittelliste der Anklageschrift Leu FS Richter II, 2006, S. 363, 369 f.

[74] Rieß FS Richter II, 2006, S. 433, 440.

[75] KMR/Eschelbach, StPO Vor § 213 Rn. 3.

[76] Leu FS Richter II, 2006, S. 363, 371 f.; Bauer StV 2008, 104, 106 beklagt neben quantitativen Kapazitätsgrenzen auch "in intellektueller Hinsicht begrenzte `Ressourcen der Justiz´."

[77] Ransiek ZIS 2008, 116, 121.

[78] BGHSt 43, 195, 205.

[79] Zu Regel und Ausnahmen BGHSt 43, 36, 38 ff.; 43, 360, 363 ff.

[80] F. Meyer ZStW 119 (2007), 633, 653.

[81] Schünemann ZStW 119 (2007), 945, 950 ff.

[82] Zu dieser mit dem Richterrecht des BGH nicht kompatiblen Praxis Rieß FS Richter II, 2006, S. 433, 440. Auch die zur formalen Einhaltung der höchstrichterlichen Vorgaben im Protokoll als "Strafobergrenze" benannte Strafmaßzusage ist meist ein Etikettenschwindel, weil die verhängte Strafe in der Praxis genau dieser Obergrenze entspricht; Siolek FS Rieß, 2002, S. 563, 569. Das Wissen um die punktgenaue Strafe für den Fall des Geständnisses ist ein Verteidigungsziel; Gössel FS Böttcher, 2007, S. 79, 88; B. Schmitt, GA 2001, 411, 422 f.

[83] Altenhain/Haimerl DRiZ 2005, 56 ff.

[84] Siolek FS Rieß, 2002, S. 563, 577.

[85] Hauer (Fn. 2) S. 65. Zum unattraktiven "Feilschen" um die Strafe im "Vorgespräch" beispielhaft BGH StV 2001, 554.

[86] Altenhain/Hagemeier/Haimerl NStZ 2007, 71, 74 f.; Siolek FS Rieß, 2002, S. 563, 577 f.; Stüber, Die Entwicklung des Prinzips der Unmittelbarkeit im deutschen Strafverfahren, 2005, S. 123 f.

[87] BGHSt 43, 195, 206.

[88] Hauer (Fn. 2) S. 181.

[89] Schünemann NJW 1989, 1895, 1899 f.

[90] Altenhain/Hagemeier/Haimerl NStZ 2007, 71, 76.

[91] Zu nicht geständnisfähigen Tatsachen Hauer (Fn. 2) S. 178 f.

[92] Schlothauer StV 2007, 623 f.

[93] Hauer (Fn. 2) S. 66 f.

[94] Ähnlich Rieß FS Richter II, 2006, S. 433, 440. Zwar könnten Annäherungen an die Wahrheit, die nach einer Konsensmaxime getroffen werden, vielleicht de lege ferenda noch hingenommen werden, wenn der Strafprozess keine weiteren Folgen hätte. Jedoch entfällt der Nutzeffekt der Arbeitseinsparung durch Reduktion der strafgerichtlichen Erkenntnis auf eine solche "forensische Wahrheit" spätestens dann, wenn für Prognoseentscheidungen im Strafvollstreckungsverfahren, für die Bewertung der Indizbedeutung der Verurteilung in späteren Strafverfahren, für einen Zivilprozess (OLG Koblenz StraFo 2007, 295 ff.) oder für ein berufs- oder disziplinarrechtliches Verfahren doch die "materielle Wahrheit" von Bedeutung ist.

[95] Die tatrichterliche Praxis neigt dazu, es als ausreichend anzusehen, wenn der Angeklagte der Verteidigererklärung "in keiner Weise widersprochen" hat und zwar selbst dann, wenn der Angeklagte bekundet, er trete der Anklage nur "aus pragmatischen Gründen" nicht entgegen und "auf konkrete Nachfrage" hinzufügt, er werde kein Schuldeingeständnis abgeben; BGH NStZ 2006, 408; ferner BGH NStZ 2005, 703.

[96] BGH StV 1998, 59 mit Anm. Park; abl. Geppert FS Rudolphi, 2004, S. 643, 658; Hauer (Fn. 2) S. 177.

[97] Heller, Die gescheiterte Urteilsabsprache, 2004, S. 33.

[98] Schünemann (Fn. 34), B 42 und ZStW 119 (2007), 945, 951 f.

[99] Gössel FS Meyer-Goßner, 2001, S. 189; Hauer (Fn. 2) S. 100 f.; Schünemann StV 2000, 159, 161 ff.

[100] Vgl. BGH StV 2008, 123, 124 mit Anm. Ventzke; Bauer StV 2008, 104, 105 weist nicht ohne Grund darauf hin, dass der Tatrichter keine Verfahrensrüge mehr zu befürchten braucht, wenn es ihm gelingt, dem Revisionsgericht zu suggerieren, dass sein Urteil sachlich zutreffend sei.

[101] Das aus der Neutralitätsgarantie folgende Verfassungsgebot der Zulassung einer nachträglichen Richterablehnung oder Befangenheitsbeanstandung hat sich noch nicht durchgesetzt, vgl. G. Vollkommer, Der ablehnbare Richter. Die Durchsetzung des verfassungsrechtlichen Gebots richterlicher Unabhängigkeit im Prozess, 2001, S. 266 ff.

[102] Wilhelm ZStW 117 (2006), 142, 143.

[103] Vgl. den skandalösen Fall bei Rückert (Fn. 16) S. 156. Zur folgenlosen revisionsrichterlichen Drohung gegen Wahrheitsverdrehungen mit dem Rechtsbeugungstatbestand BGHSt 43, 212, 216.

[104] Zur Praxis allgemein Schlothauer StV 1992, 134 ff.; zum grob fahrlässigen Umgang mit der Wahrheit im Beispielsfall (Fn. 16) Erb FS Küper, 2007, S. 29, 35.

[105] Rückert (Fn. 16) S. 152.

[106] Alsberg, Justizirrtum und Wiederaufnahme, 1913, S. 39.

[107] Nack FS Rieß, 2002, S. 361, 368; G. Schäfer FS Rieß, 2002, S. 477 (479); Wahl NJW-Sonderheft für G. Schäfer, 2002, 73, 74; a.M. Wilhelm ZStW 117 (2006), 142, 154 ff.

[108] Paeffgen FG Peters, 1984, S. 61, 79.

[109] Meyer-Mews NJW 2004, 716 ff.; s.a. Tsambikakis Kunert-Symposium, 2006, S. 87, 94.

[110] Nack FS Rieß, 2002, S. 361, 368; Wahl NJW-Sonderheft für G. Schäfer, 2002, 73, 74; Widmaier in: Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 2006, § 9 Rn. 104.

[111] OLG Oldenburg Beschl. vom 10.7.2006 – 1 Ws 355/06 – in dem von Sabine Rückert (Fn. 16) beschriebenen Fall, in dem aber offensichtlich das Gegenteil zutraf und später auch die Wiederaufnahme zugelassen wurde; LG Osnabrück Beschl. vom 26.7.2007 – 3 AR 103 Js 3479/04 – 4/07; OLG Oldenburg Beschl. vom 21.8.2007 – 1 Ws 463/07.

[112] Alsberg (Fn. 106) S. 37.

[113] Hauer (Fn. 2) S. 227; s.a. Nestler Schünemann-Symposium, 2006, S. 15, 20.

[114] Rückert (Fn. 16) S. 135 ff. mit Fotos.

[115] Dippel in: Jescheck/Meyer (Hrsg.), Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens, S. 90; KMR/Eschel­bach, StPO Vor § 359 Rn. 28; K. Peters, Fehlerquellen im Strafprozess. Eine Untersuchung der Wiederaufnahmeverfahren in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, 1974, S. 15; Stern NStZ 1993, 409, 412 ff.; Strate StV 1999, 228, 229 f.; Theobald (Fn. 2) S. 1; Waßmer Jura 2002, 454, 460.

[116] Rückert (Fn. 16) S. 191 ff.

[117] Zur Bedenklichkeit Erb FS Küper, 2007, S. 29, 35.

[118] Allgemein zum Erfordernis der "Legitimation durch Verfahren" Gaede, Fairness als Teilhabe. Das Recht auf konkrete und wirkliche Teilhabe durch Verteidigung gemäß Art. 6 EMRK, 2007, S. 363 ff.

[119] Hassemer FS Hamm, 2008, S. 171, 186 ff.

[120] Eidam, Die strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit am Beginn des 21. Jahrhunderts, 2004, S. 244 ff.

[121] Geipel AnwBl. 2006, 784 ff; Meyer-Mews NJW 2000, 916.

[122] Dass § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO "erbarmungslos ausgelegt" wird, räumt Basdorf StV 1997, 488, 489 ein.

[123] Eschelbach/Gieg/Schulz NStZ 2000, 565 ff.

[124] Zur Förderung von falsch Geständnissen durch Untersuchungshaft Stern StV 1990, 563.

[125] Olk, Die Abgabe von Sacherklärungen des Angeklagten durch den Verteidiger, 2006, S. 115 ff.

[126] Altenhain/Hagemeier/Haimerl NStZ 2007, 71, 77.

[127] BVerfGE 80, 244, 255; 110, 1, 13.

[128] BVerfGE 57, 250, 275; 74, 358, 370; 84, 82, 87; 118, 212, 231.

[129] Allgemein dazu BVerfGE 103, 111, 139. Zur gesetzgeberischen Regelungsbefugnis hinsichtlich der Rechtskraft BVerfGE 15, 313, 319. Aufgabe der Rechtskraft ist es, dem Rechtsfrieden zu dienen. Dieser Sinn wird verfehlt, wenn die Entscheidung die Rechtslage substanziell nicht klärt; BVerfGE 47, 146, 161.

[130] Gerland, Der deutsche Strafprozess. Eine systematische Darstellung, 1927, S. 346; H. Mayer Der Gerichtssaal 99 (1930), 299, 304; K. Peters (Fn. 115) S. 2 f.; zur rechtsstaatlichen Bedeutung der Richtigkeit des Urteils Gräns, Das Risiko materiell fehlerhafter Urteile, 2002, S. 55 ff.

[131] OLG Koblenz Urt. vom 26.11.2007 – 12 U 1452/06 .

[132] Hahn, Die gesammten Materialen zur Strafprozessordnung, 1880, S. 263.

[133] BVerfGE 64, 135, 148; 74, 358, 372; 86, 288, 318; BGHSt 3, 13, 16; 46, 349, 352 f.

[134] BVerfGE 57, 250, 275; 63, 45, 61; 86, 288, 318; BGHSt 2, 99, 105; 9, 280, 281; 10, 186, 191 f; 13, 252, 254; 19, 367, 368 ff; 21, 334, 360; 22, 154, 155; 25, 176, 177 f; 32, 115, 127; 45, 342, 347 f; 47, 62, 65; 49, 112, 120.

[135] Schünemann StV 2000, 159, 161.

[136] Meyer-Goßner ZStW 119 (2007), 938, 943, der in der Freispruchsquote von unter 4 % einen Beleg für die Richtigkeit des Eröffnungsbeschlusses sieht, was im Hinblick auf Perseveranz- und Schulterschlusseffekte aber fast wie ein Zirkelschluss wirkt. Die Freispruchsquote ist jedenfalls zu niedrig (vgl. Fn. 2), auch weil sie nicht selten auf einem ignoranten Festhalten am Eröffnungsbeschluss beruht. Sabine Rückert (Fn. 16) beweist das exemplarisch.

[137] Abl. Bock/Schneider NStZ 2003, 337 ff. m.w.N.

[138] Brettel, Tatverleugnung und Strafrestaussetzung. Ein Beitrag zur Praxis der Kriminalprognose, 2007, S. 197.

[139] Eidam (Fn. 120) S. 350 ff.

[140] K. Peters (Fn. 115) S. 17; s.a. Strate in: Bockemühl (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 3. Aufl., Teil E Kap. 8 Rn. 10: "Sabbat aller Prinzipien".

[141] Strate in: Widmaier (Hrsg.) Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 2006, § 24 Rn. 2 mit Fn. 4.

[142] Allgemein zum Geständniswiderruf Stern StV 1990, 563 ff.

[143] Abl. Gössel JR 2008, 83 ff.

[144] Duttge FS Böttcher, 2007, S. 53, 70 f.; F. Meyer HRRS 2005, 235, 241 ff.

[145] Harms FS Nehm, 2006, S. 289, 293.

[146] Weigend in: Goldbach (Hrsg.), Der Deal mit dem Recht. Absprachen im Strafprozess, 2004, S. 37, 41.

[147] Wasserburg/Eschelbach GA 2003, 335, 341.

[148] Duttge FS Böttcher, 2007, S. 53, 64; Schünemann FS Rieß, 2002, S. 525, 535; Weßlau ZStW 116 (2004), 150, 167.

[149] 6. Zusatzartikel zur US-Verfassung: "In all criminal prosecutions, the accused shall enjoy the right to a speedy and public trial, by an impartial jury of the State and district wherein the crime shall have been committed, which district shall have been previously ascertained by law, and to be informed of the nature and cause of the accusation; to be confronted with the witnesses against him; to have compulsory process for obtaining witnesses in his favor, and to have the Assistance of Counsel for his defence."

[150] Schünemann StV 2000, 159, 161 ff.

[151] F. Meyer (Fn. 24) S. 148 ff.

[152] Gaede (Fn. 118) S. 764.

[153] Hauer (Fn. 2) S. 52; Nestler Schünemann-Symposium, 2006, S. 15, 21.

[154] Gaede HRRS 2007, 402, 412.

[155] Schünemann NJW 1989, 1895, 1901.

[156] Gaede (Fn. 118) S. 766; F. Meyer StV 2004, 41, 45; zur Konfliktlage der Verteidiger Gatzweiler FS Jung, 2007, S. 215 ff.; zum Beinahe-Parteiverrat durch anwaltliches Unterlassen einer Belehrung über eine Wiederaufnahmemöglichkeit Schünemann NJW 1989, 1895, 1900.

[157] Hanack JZ 1973, 393, 394.

[158] Schünemann (vorige Note); a.M. Gössel FS Böttcher, 2007, S. 79, 87, freilich ohne eine nähere Begründung.

[159] K. Peters (Fn. 115) S. 3 f.

[160] Alsberg (Fn. 106) S. 47; Dippel in: Jescheck/Meyer (Hrsg.), Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens, S. 13, 39 f.; KMR/Eschelbach, StPO Vor § 359 Rn. 18; LR/Gössel, StPO Vor § 359 Rn. 29 und § 359 Rn. 160 f.; J. Meyer, Wiederaufnahmereform, 1977, S. 44 f.

[161] Fischer NStZ 2007, 433, 436.

[162] Gegen das Absprachenverfahren deshalb auch Ransiek ZIS 2008, 116, 122; Trüg/Kerner FS Böttcher, 2007, S. 191, 211 f.

[163] Fischer NStZ 2007, 433, 434.

[164] Gössel FS Böttcher, 2007, S. 79, 92.

[165] Hößlein, Judikatives Unrecht. Subjektives Recht, Beseitigungsanspruch und Rechtsschutz gegen den Richter, 2007, S. 126 ff., 180 ff.

[166] Für das Wiederaufnahmerecht gilt § 369 StPO i.V.m. § 140a GVG.

[167] BVerfGE 107, 395, 412.

[168] Hößlein (Fn. 165) S. 181 ff.

[169] Meyer-Mews NJW 2004, 716 f.

[170] Wasserburg/Eschelbach GA 2003, 335, 338.

[171] Strate (Fn. 141) § 24 Rn. 5; zur Bestätigung der ständigen anwaltlichen Klage bereits Hanack JZ 1973, 393, 395 f. .

[172] Was nicht allen am Quorum beteiligten Richtern bei der Urteilsberatung zur Verfügung stand, ist neu im Sinne von § 359 Nr. 5 StPO, also auch Aktenstoff, soweit er nicht gemäß § 261 StPO in die Hauptverhandlung eingeführt wurde. Das folgt auch daraus, dass die Schöffen keine Aktenkenntnis haben und ihr Urteilsvotum nicht "aus dem Inbegriff des Akteninhalts" schöpfen sollen.

[173] Strate (Fn. 141) § 24 Rn. 84.

[174] So hat das LG Passau Beschl. vom 15.10.2003 ‑ 1 Qs 133/03 ‑ eine absprachenbedingte Berufungsbeschränkung auf den Strafausspruch als geständnisgleiche Handlung gewertet, die einem Wiederaufnahmeantrag aufgrund von Entlastungszeugen zur Schuldfrage entgegen stehen soll.

[175] LG Karlsruhe NStZ 2003, 108 f. zur abgesprochenen Rücknahme des Einspruchs gegen einen Strafbefehl angesichts eines "drohenden" Sachverständigengutachtens als Hindernis für den Wiederaufnahmeantrag aufgrund des später eingeholten Gutachtens mit unerwartet günstigem Resultat.

[176] LG Karlsruhe NStZ 2003, 108, 109.

[177] LG Passau Beschl. vom 15.10.2003 - 1 Qs 133/03.

[178] KMR/Eschelbach, StPO § 365 Rn. 41; SK/Frister/Deiters, StPO § 365 Rn. 11; LR/Gössel, StPO § 365 Rn. 10; Wasserburg/Eschelbach GA 2003, 335, 341.

[179] LG Bochum Beschl. vom 21.1.2008 – 12 AR 38/07.

[180] BayVerfGH BayVBl 2003, 369 f.

[181] BGHSt 38, 111, 112 f.; 51, 88, 92; BGH StV 2001, 100 f. und 2001, 101.

[182] Bauer StV 2008, 104, 105.

[183] Schünemann NJW 1989, 1895, 1900.

[184] Dreher, Kontrollierbarkeit konsensualer Verfahrensweisen am Beispiel des US-amerikanischen Strafprozessrechts, 2003, S. 129.

[185] Vgl. F. Meyer (Fn. 24) S. 64 f.

[186] Vgl. Meyer-Goßner NStZ 2007, 425, 426.

[187] BGHSt 50, 40, 56; Erb GA 2000, 511, 516; Rieß FS Meyer-Goßner, 2001, S. 645, 651.

[188] So aber ausdrücklich LG Bochum Beschl. vom 21.1.2008 – 12 AR 38/07.

[189] Kempf StV 1996, 507, 510; Niemöller StV 1996, 501, 502.

[190] Kühne, Strafprozessrecht, 7. Aufl., Rn. 293; Naucke FS H. Mayer, 1966, S. 565, 571.

[191] Fezer FS Weber, 2004, S. 475 ff.

[192] Zum Missbrauch des Deals zum Nachteil des Angeklagten Fahl, Rechtsmissbrauch im Strafprozess, 2004, S. 237 ff.

[193] Dallmeyer, Beweisführung im Strengbeweisverfahren, 2002, S. 44 ff.

[194] Der Gesetzgeber hatte sich gegen die Einführung einer Missbrauchsgeneralklausel entschieden; Kühne StV 1996, S. 684, 686. Die richterrechtliche Einführung einer solchen Klausel erfolgt danach contra legem. Dies überschreitet die Befugnis der Rechtsprechung zur Rechtsfortbildung. Ihr sind aufgrund des Gewaltenteilungsprinzips Grenzen gesetzt; BVerfGE 65, 182, 191; 74, 129, 152; 82, 6, 12; 87, 273, 280; 96, 375, 394, und zwar namentlich dort, wo das Gesetz abschließende Regeln enthält; BVerfGE 69, 188, 204; 69, 315, 369.

[195] BVerfGE 107, 104, 118; 115, 166, 192.

[196] Allgemein dazu KMR/Eschelbach, StPO § 365 Rn. 41; SK/Frister/Deiters, StPO § 365 Rn. 11; LR/Gössel, StPO, § 365 Rn. 10; AK/Loos, StPO § 365 Rn. 10; Meyer-Goßner, StPO § 365 Rn. 6; K. Peters (Fn. 115) S. 127; KK/Schmidt, StPO § 365 Rn. 9; Theobald (Fn. 2) S. 19; Wasserburg/Eschelbach GA 2003, 335, 341.

[197] Kudlich HRRS 2005, 10, 12.

[198] OLG Frankfurt JR 1984, 40 mit Anm. K. Peters.

[199] K. Meyer FG Peters, 1984, S. 387, 388.

[200] Eisenberg JR 2007, 360, 363.

[201] K. Peters FS Dünnebier, 1982, S. 53, 72.

[202] Satzger in: Bockemühl (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 3. Aufl., Teil H Kap. 3 Rn. 61.

[203] KG JR 1975, 166 mit Anm. K. Peters.

[204] OLG Nürnberg Beschl. vom 4.10.2007 – 2 Ws 343/07, freilich zu dem Sonderfall eines Geständnisses im Vor- und Hauptverfahren und des jeweiligen Widerrufs bei Vorliegen eines drittbelastenden Geständnisses eines informellen Kronzeugen. S.a. BayVerfGH NStZ 2004, 447, 448 f., der Darlegungen aber nur in dem Umfang erwartet, dass "vernünftige Zweifel an der Wahrscheinlichkeit des die Urteilsfeststellungen mit tragenden Geständnisses" aufkommen. BVerfG NStZ 1994, 510 billigte das Postulat, der Antragsteller müsse die Umstände anführen, die ein für ihn sprechendes Beweisergebnis "mindestens als möglich" erscheinen ließen; so auch BGH JR 1977, 217, 218.

[205] K. Peters JR 1976, 77, 78; 1977, 218.

[206] K. Peters JR 1977, 218.

[207] BVerfG StV 2003, 223, 224.

[208] Theobald (Fn. 2) S. 163 ff.

[209] BVerfG StV 2003, 225, 226. Auch für das Strafbefehlsverfahren aber gilt: "Im Blick auf dieses summarische Verfahren ist es rechtsstaatlich geboten, sich aus den Akten aufdrängende, klar auf der Hand liegende Fehler bei der Tatsachenfeststellung zu beachten;" BVerfG NJW 1993, 2735, 2736.

[210] BGHSt 17, 303, 304; 39, 75, 85. Zur tendenziellen Unvereinbarkeit der Beweisantizipation mit dem Ziel der Wahrheitserforschung Eggerts, Das Verbot der Beweisantizipation im deutschen Strafprozess, 2004, S. 159.

[211] Vgl. bereits krit. Günther MDR 1974, 93 ff. m.w.N.

[212] OLG Düsseldorf NStZ 2004, 454, 455 mit abl. Anm. Hellebrand NStZ 2004, 413, 418.

[213] BVerfG Beschl. vom 27.9.1995 - 2 BvR 2575/94; BayVerfGH BayVBl 2003, 369 f.

[214] BVerfG NJW 1995, 2024, 2025; EuGRZ 2007, 586, 588.

[215] BVerfG NJW 1995, 2024, 2025.

[216] BVerfG EuGRZ 2007, 586, 588 ff.

[217] Fn. 16.

[218] Fn. 11.

[219] Erfundene Missbrauchsvorwürfe sind bei Personen mit Borderlinestörungen ‑ schon im Kindesalter ‑ typischerweise anzutreffen; Mason/Kreger, Schluss mit dem Eiertanz, 6. Aufl., S. 267 ff. Das vermag die höchstrichterliche Rechtsprechung anhand eines lückenhaften tatrichterlichen Urteils nicht zu erkennen, die dem Erstgericht selbst da noch eine besonders sorgfältige Beweiswürdigung attestiert, wo ein aussagepsychologisches Gutachten nachträglich feststellt, dass die Aussagen der Belastungszeugin nicht einmal die Mindestvoraussetzungen an Realkennzeichen erfüllen; BVerfG Beschl. vom 1.8.2006 - 2 BvR 1362/06 zu dem in Fn. 11 erwähnten Fall.

[220] Fehlerhaft ist die Prämisse, der Verurteilte kenne den Sachverhalt am genauesten und könne daher selbst am besten beurteilen, ob und warum die von ihm erstrebte Beweisaufnahme Erfolg verspreche; BGH JR 1977, 217, 218 a.E. Im Fall der falschen Verdächtigung trifft das nicht zu.

[221] Köhnken in: Widmaier (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 2006, § 62 Rn. 20 f.

[222] Zu Recht für eine reine Schlüssigkeitsprüfung Strate (Fn. 141) § 24 Rn. 66 f., 72; Schöneborn MDR 1975, 441 ff.; früher schon von Hentig, Wiederaufnahmerecht. Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens dogmatisch und rechtsvergleichend dargestellt, 1930, S. 183, 223, 225; zust. Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO, § 368 Anm. 1.

[223] K. Peters JR 1975, 166, 167.

[224] K. Peters (Fn. 115) S. 15 und JR 1984, 393, 394.

[225] Wasserburg/Eschelbach GA 2003, 335, 348.

[226] Wasserburg (Fn. 13) § 16 Rn. 36.

[227] Stern StV 1990, 563, 564.

[228] Auch auf den Wiederaufnahmeantrag als gesetzlich vorgesehenes Rechtsschutzmittel muss das Effektivitätsgebot aus Art. 19 Abs. 4 GG angewendet werden; Wasserburg/Rübenstahl GA 2002, 29, 41 f.; Wasserburg/Eschelbach GA 2003, 335, 338.

[229] Zum Wiederaufnahmeantrag aufgrund eines Geständniswiderrufs ohne vorherige Absprache OLG Celle GA 1967, 284 f.

[230] Strate (Fn. 141) § 24 Rn. 42.

[231] KG NStZ 2006, 468, 469 f.; OLG Stuttgart NJW 1999, 375 f.; Hellebrand NStZ 2004, 413, 416 ff.; Marxen/Tiemann (Fn. 13) Rn. 24; Schünemann NJW 1989, 1895, 1900; Strate (Fn. 141) § 24 Rn. 79 f.

[232] BGHSt 39, 75, 85; LR/Gössel, StPO § 359 Rn. 153; Meyer-Goßner, StPO § 368 Rn. 10.

[233] OLG Köln NJW 1968, 2119 .

[234] OLG Düsseldorf OLGSt § 359 Nr. 4.

[235] HK/Krehl, StPO § 368 Rn. 7.

[236] Pfeiffer, StPO § 368 Rn. 3.

[237] BT-Drucks. 13/3594 S. 3; Dippel in: Jescheck/Meyer (Hrsg.), Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens, 1974, S. 99; KMR/Eschelbach, StPO § 359 Rn. 211; J. Meyer, Wiederaufnahmereform, 1977, S. 111; Schünemann ZStW 84 (1972), 898; Theobald (Fn. 2) S. 76 ff; Wasserburg/Eschelbach GA 2003, 335, 349.

[238] K. Peters (Fn. 115) S. 85.

[239] K. Peters (Fn. 115) S. 87.

[240] KMR/Eschelbach, StPO § 359 Rn. 208; Hellebrand NStZ 2004, 413, 416.

[241] BVerfGE 107, 395 ff.

[242] G. Schäfer FS Rieß, 2002, S. 477, 479.

[243] KMR/Eschelbach, StPO § 359 Rn. 21.

[244] BVerfGE 112, 185, 208 ff.

[245] Tsambikakis Kunert-Symposium, 2006, S. 87, 92.

[246] Zur Notwendigkeit der Inhaltsanalyse Köhnken (Fn. 221) § 62 Rn. 19.