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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
April 2008
9. Jahrgang
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1. § 111i Abs. 2 StPO ist gemäß § 2 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 StGB nicht auf bereits zuvor beendigte Taten anzuwenden. Der Auffangrechtserwerb nach § 111i Abs. 5 StPO n.F. hat trotz der systematischen Verortung in der Strafprozessordnung materiell-rechtlichen Charakter; die Feststellungsentscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO n.F. stellt die Grundentscheidung für den Auffangrechtserwerb dar und kommt somit einer aufschiebend bedingten Verfallsanordnung gleich.
2. Ob der Tatrichter gehalten ist, mit der Hauptverhandlung neu zu beginnen, wenn er bei fehlender Zustimmung zur Einbeziehung einer Nachtragsanklage die zusätzlichen Vorwürfe durch Eröffnung der „herkömmlichen“ Anklage mit inhaltsgleichem Anklagesatz und durch Verfahrensverbindung zum Gegenstand dieser Hauptverhandlung macht (so BGH [5. Strafsenat] NStZ-RR 1999, 303 [nichttragend]), braucht der Senat nicht zu entscheiden.
1. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden: Der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b Abs. 3 StGB steht nicht entgegen, dass der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67 d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist (Anfragebeschluss entgegen BGH NJW 2008, 240).
2. Bleibt bereits der in den Materialien niedergelegte gesetzgeberische Wille unklar, so kann er nicht Grundlage für die Korrektur einer für sich gesehen eindeutigen Gesetzesnorm sein.
1. Die Beschränkung der Revision auf die Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs ist grundsätzlich möglich.
2. Diese Beschränkung ist jedoch – wie auch sonst – dann ausnahmsweise unzulässig, wenn der Beschwerdepunkt nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von dessen nicht angefochtenem Teil rechtlich und tatsächlich nicht unabhängig beurteilt werden kann, sodass die Überprüfung des Beschwerdepunkts eine Überprüfung des Urteils im Übrigen erforderlich macht.
Der Tötung der eigenen Mutter muss nichts stets eine unrechtssteigernde Bedeutung zukommen, wenn mit Straftaten einhergehenden Erziehungsmethoden für die Konflikttat mitursächlich geworden sind.
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf nur angeordnet werden, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind (BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1). Es muss wahrscheinlich sein, dass der Rechtsfrieden durch neue Taten schwer gestört wird (BGHSt 27, 246, 248; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 25). Die Unterbringung darf nicht angeordnet werden, wenn – im Blick auf § 62 StGB – die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr
belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde. Darüber hinaus kommt die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur dann in Betracht, wenn weniger einschneidende Maßnahmen keinen ausreichenden zuverlässigen Schutz vor der Gefährlichkeit des Täters bieten. Dies ergibt sich aus dem – im gesamten Maßregelrecht geltenden und aus dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt des Übermaßverbots abgeleiteten – Subsidiaritätsprinzip (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 300, 301 m.w.N.).
2. Bei einer fahrlässigen Anlasstat bedarf diese Prognoseprüfung besonderer Sorgfalt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist, wenn bei einer Gesamtstrafenbildung ein Urteil einzubeziehen ist, das unter anderem auf Entziehung der Fahrerlaubnis und Anordnung einer Sperrfrist erkannt hat, zu prüfen, ob sich die Sperrfrist infolge Zeitablaufs erledigt hat (BGH NStZ 1996, 433; BGH, Beschluss vom 25. Juli 2007 - 2 StR 279/07). Sollte sich die Sperrfrist infolge des Zeitablaufs erledigt haben, so ist lediglich die Entziehung der Fahrerlaubnis, nicht aber die Sperrfrist aufrecht zu erhalten (BGH NJW 2002, 1813, 1814; StV 1983, 14).
1. Vor der Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 1 StGB) hat der Tatrichter vorrangig zu prüfen, ob der Gefährlichkeit des Angeklagten nicht allein durch eine andere Maßregel begegnet werden kann (vgl. § 72 Abs. 1 StGB), und deren Anordnung ggf. mit rechtlich tragfähiger Begründung abzulehnen.
2. Gerade in den Fällen, in denen zugleich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in Frage steht, dürfen keine überspannten Anforderungen an die Erfolgsaussicht der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) gestellt werden.
3. Erweist sich die Entscheidung des Tatrichters, gegen den Angeklagten eine mildere Maßregel nicht zu verhängen, als fehlerhaft, so ist damit zugleich der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung die Grundlage entzogen.
1. Die Schuld erhöhende Umstände können zur Versagung der fakultativen Strafrahmenmilderung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB führen, wenn durch diese Umstände die durch eine Herabsetzung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit verminderte Tatschuld aufgewogen wird.
2. Die Versagung der Strafrahmenverschiebung setzt im Falle einer alkoholbedingten Verminderung der Schuldfähigkeit regelmäßig voraus, dass diese auf eine selbst zu verantwortende, verschuldete Trunkenheit zurückgeht und diese dem Täter uneingeschränkt vorwerfbar ist.
3. Seine Trunkenheit ist dem Täter jedenfalls dann nicht uneingeschränkt vorwerfbar, wenn er alkoholkrank oder alkoholüberempfindlich ist. Eine Alkoholerkrankung, bei der schon die Alkoholaufnahme nicht als Schuld erhöhender Umstand zu werten ist, kann vorliegen, wenn der Täter den Alkohol aufgrund eines unwiderstehlichen oder ihn weitgehend beherrschenden Hanges trinkt, der seine Fähigkeit, der Versuchung zum übermäßigen Alkoholkonsum zu widerstehen, auch nur einschränkt. Eine Alkoholabhängigkeit allein reicht hingegen - ebenso wie ein Hang im Sinne des § 64 StGB - grundsätzlich nicht aus, um den Alkoholkonsum als unverschuldet einzustufen.
4. Der Tatrichter hat sich eine Überzeugung von der Richtigkeit der Einlassung eines Angeklagten zu seinem Alkoholgenuss vor der Tat aufgrund des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme zu bilden. Er darf Angaben, für die keine zureichenden Anhaltspunkte bestehen und deren Wahrheitsgehalt fraglich ist, nicht ohne weiteres als unwiderlegt hinnehmen und seiner Entscheidung zugrunde legen, nur weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt, und muss sie auch nicht nach dem Zweifelssatz zu Gunsten des Angeklagten unterstellen. Dem Tatrichter ist es vielmehr unbenommen, Trinkmengenangaben des Angeklagten als unglaubhaft einzustufen, wenn er dafür durch die Beweisaufnahme gewonnene Gründe hat, die seine Auffassung tragen, namentlich ein besonderes Leistungsverhalten des Angeklagten.
1. Ein Täter-Opfer-Ausgleich setzt einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden friedensstiftenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen angelegt sein muss. Wenngleich ein „Wiedergutmachungserfolg“ nicht zwingende Voraussetzung ist, so muss sich doch das
Opfer auf freiwilliger Grundlage zu einem Ausgleich bereit finden und sich auf ihn einlassen.
2. Bei einem schwerwiegenden Sexualdelikt wird eine zumindest annähernd gelungene Konfliktlösung in der Regel aus tatsächlichen Gründen nur schwer erreichbar sein, sodass sie besonderer Darlegung in den Urteilsgründen anhand darauf bezogener Feststellungen bedarf.
3. Die vollständige Erfüllung von Ersatzansprüchen ist nicht zwingende Voraussetzung des Täter-Opfer-Ausgleichs, denn strafrechtliche Wiedergutmachung darf dem zivilrechtlichen Anspruch nicht gleichgesetzt werden. In Ausnahmefällen kann sogar schon das ernsthafte Bemühen um umfassenden Ausgleich ausreichen.