HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2007
8. Jahrgang
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III. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)


Entscheidung

197. BGH StB 18/06 - Beschluss vom 31. Januar 2007 (Ermittlungsrichter des BGH)

BGHSt; Online-Durchsuchung (Unzulässigkeit mangels Eingriffsermächtigung; kein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis); Durchsuchung beim Beschuldigten (Offenheit; Verbot der heimlichen Durchführung; Hinzuziehungspflichten als wesentliche Förmlichkeit); informationelle Selbstbestimmung (Gesetzesvorbehalt; Anforderungen an eine Eingriffsermächtigung; keine Kombination von Eingriffsermächtigungen zur Schaffung nicht vorgesehener technischer Ermittlungsmaßnahmen; Normenklarheit); Beschwerde.

Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 8 EMRK; § 102 StPO; § 105 Abs. 1 StPO; § 106 Abs. 1 StPO; § 94 StPO; § 98 StPO

1. Die "verdeckte Online-Durchsuchung" ist mangels einer Ermächtigungsgrundlage unzulässig. Sie kann insbesondere nicht auf § 102 StPO gestützt werden. Diese Vorschrift gestattet nicht eine auf heimliche Ausführung angelegte Durchsuchung. (BGHSt)

2. Das Bild der Strafprozessordnung von einer rechtmäßigen Durchsuchung ist dadurch geprägt, dass Ermittlungsbeamte am Ort der Durchsuchung körperlich anwesend sind und die Ermittlungen offen legen. (Bearbeiter)

3. Die Hinzuziehungspflichten des § 106 Abs. 1 S. 2 StPO und § 105 Abs. 2 StPO sind nach ihrem Wortlaut sowie nach ihrem Sinn und Zweck, den von einer Durchsuchung Betroffenen zu schützen, als wesentliche Förmlichkeiten zwingendes Recht und nicht lediglich Vorschriften, die zur beliebigen Disposition der Ermittlungsorgane stehen. Von ihrer Beachtung hängt die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung ab. (Bearbeiter)

4. Den Ermittlungsbehörden ist es unabhängig davon, wonach gesucht wird, verboten, eine richterliche Durchsuchungsanordnung bewusst heimlich durchzuführen, um auf diese Weise dem Tatverdächtigen keine Hinweise auf die gegen ihn geführten Ermittlungen zu geben und den Erfolg weiterer Ermittlungen nicht zu gefährden. Dementsprechend versteht es sich, dass ein Richter keine Durchsuchung anordnen darf, die - wie die verdeckte Online-Durchsuchung - von vornherein darauf abzielt, bei ihrem Vollzug die gesetzlichen Schutzvorschriften des § 105 Abs. 2 und des § 106 Abs. 1 StPO außer Kraft zu setzen. (Bearbeiter)

5. Jede heimliche Durchsuchung ist im Vergleich zu der in §§ 102 ff. StPO geregelten offenen Durchsuchung wegen ihrer erhöhten Eingriffsintensität eine Zwangsmaßnahme mit einem neuen, eigenständigen Charakter. Die Generalklausel des § 161 StPO erlaubt nur Zwangsmaßnahmen, die von einer speziellen Eingriffsermächtigung der Strafprozessordnung nicht erfasst werden und lediglich geringfügig in die Grundrechte des Betroffenen eingreifen. (Bearbeiter)

6. Die Online-Durchsuchung des Computers des Beschuldigten kann mangels Überwachung eines Kommunikationsvorganges mit einem Dritten nicht auf § 100 a StPO gestützt werden (Abgrenzung zum heimlichen Zugriff auf eine passwortgeschützte Mailbox, BGH - Ermittlungsrichter NJW 1997, 1934 ff.). (Bearbeiter)

7. Es ist unzulässig, einzelne Elemente von Eingriffsermächtigungen zu kombinieren, um eine Grundlage für eine neue technisch mögliche Ermittlungsmaßnahme zu schaffen. Dies widerspricht dem Grundsatz des Gesetzesvorbehaltes für Eingriffe in Grundrechte (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie dem Grundsatz der Normenklarheit und Tatbestandsbestimmtheit von strafprozessualen Eingriffsnormen. (Bearbeiter)

8. Unmöglich im Sinne der § 105 Abs. 2 Satz 1 StPO und § 106 Abs. 1 Satz 2 StPO ist die Beiziehung von Zeugen nur dann, wenn die durch Tatsachen begründete naheliegende Möglichkeit besteht, dass durch die Suche nach bereiten Zeugen der Erfolg der Durchsuchung vereitelt wird. Sie darf nicht aus ermittlungstaktischen Erwägungen unterbleiben, um den Tatverdächtigen über die Durchsuchung sowie die gegen ihn geführten Ermittlungen in Unkenntnis zu halten. (Bearbeiter)


Entscheidung

107. BGH 5 StR 305/06 - Beschluss vom 10. Januar 2007 (LG Augsburg)

BGHSt; etwaige Folgen eines Widerrufs der Bewilligung von Rechtshilfe, wenn diese bereits abschließend verwertet wurde (Teilrechtskraft; Bindungswirkung und Selbstbindung; Rechtskraftdurchbrechung; Fall Schreiber); völkerrechtliche Verwertungsverbote oder Verfahrenshindernisse bei der Rechtshilfe (Täuschung; Spezialitätsgrundsatz); Untreue (Strafzumessung bei Nachteilstragung durch einen Dritten); Steuerhinterziehung; Abgabenbetrug nach schweizerischem Recht.

§ 72 IRG; § 206a StPO; § 353 StPO; § 359 Nr. 5 StPO; § 46 StGB; § 266 StGB; § 370 AO; § 358 StPO

1. Zum Widerruf der Bewilligung von Rechtshilfen durch Überstellung von Unterlagen, wenn diese bereits abschließend verwertet wurden. (BGHSt)

2. Betrifft der Widerruf Verwertungen, hinsichtlich derer bereits (Teil-)Rechtskraft eingetreten ist, erwächst aus ihm kein Verfahrenshindernis, das ungeachtet der bereits eingetretenen Rechtskraft der Schuldsprüche zu beachten wäre. Auch eine Gleichbehandlung mit einem Verfahrenshindernis ist nicht geboten. (Bearbeiter)

3. Ein Spezialitätsvorbehalt kann zwar auch eine Einschränkung der Verfolgbarkeit einzelner Taten insgesamt begründen. Dies gilt aber jedenfalls dann nicht, wenn er sich lediglich auf die Verwertung beschlagnahmter Unterlagen bezieht. (Bearbeiter)

4. Das nachträglich ausgesprochene Verwertungsverbot ist eine sogenannte Rechtstatsache (BGHSt 39, 75, 79 f.), die selbst bei einer unterstellten analogen Anwendbarkeit des § 359 Nr. 5 StPO zur Rechtskraftdurchbrechung keine neue Tatsache begründet. (Bearbeiter)

5. Es bleibt offen, ob in Fällen mit internationaler Berührung dann ausnahmsweise eine Durchbrechung der Teilrechtskraft und der aus § 353 Abs. 2 StPO folgenden Bindungswirkung in Betracht kommt, wenn anderweitig die Einhaltung völkerrechtlicher Vereinbarungen nicht gewährleistet ist. (Bearbeiter)

6. Ob ein Anfechtungsgrund nach Art. 48 oder 49 Wiener VRK besteht, haben die Justizorgane des ersuchenden Staates eigenverantwortlich zu prüfen. Wenn das Rechtshilfeverfahren abgeschlossen ist, ergibt sich keine dem Spezialitätsvorbehalt entsprechende Bindung an die Entscheidung des ersuchten Staates. (Bearbeiter)

7. Bei einer Verurteilung wegen Untreue muss in der Strafzumessung berücksichtigt werden, wenn der durch Aufwendungen für Schmiergeldzahlungen entstandene Vermögensnachteil tatsächlich von einem Dritten und nicht von demjenigen getragen wurde, gegenüber der Angeklagte in einem Vermögensbetreuungsverhältnis stand. (Bearbeiter)


Entscheidung

70. BGH 1 StR 268/06 - Beschluss vom 19. Dezember 2006 (LG Offenburg)

BGHSt; Unterrichtung eines vorübergehend entfernten Angeklagten durch Mitverfolgung per Videoübertragung (Vergewisserung über etwaige technische Störungen); Ausschluss der Öffentlichkeit (erforderliche Beschlussbegründung).

§ 247 Satz 4 StPO; Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 lit. d EMRK; § 171b GVG; § 174 Abs. 1 Satz 3 GVG; § 336 Satz 2 StPO

1. Die gemäß § 247 Satz 4 StPO gebotene Unterrichtung eines vorübergehend entfernten Angeklagten kann auch so erfolgen, dass er das Geschehen im Sitzungssaal mittels Videoübertragung mitverfolgen kann. Der Vorsitzende muss sich dann jedoch vergewissern, dass die Videoübertragung nicht durch technische Störungen beeinträchtigt wurde. Wie er sich diese Gewissheit verschafft, bestimmt der Vorsitzende. (BGHSt)

2. Eine Befragung des Angeklagten durch den Vorsitzenden, ob es Störungen gab, wird regelmäßig zweckmäßig sein. Auch ist es zweckmäßig, dass ein Justizangehöriger in Gegenwart des Angeklagten die Videoübertragung verfolgt. Ebenso kann sich empfehlen, insoweit vergleichbar dem Fall des § 247a Satz 4 StPO, den übertragenen Vorgang zugleich aufzuzeichnen. (Bearbeiter)

3. In Fällen, in denen etwa Pläne, Skizzen oder auch Lichtbilder als Vernehmungsbehelfe verwendet werden, wird auf die Wahrung der Rechte des Angeklagten in besonderer Weise Bedacht zu nehmen sein. Es versteht sich nicht von selbst, dass derartige Unterlagen ohne weiteres von der Videoübertragung erfasst werden und sich dementsprechend die hierzu gemachten Aussagen des Zeugen allein durch die Videoübertragung in vollem Umfang erschließen. In derartigen Fällen wird es sich empfehlen, den Angeklagten so zu unterrichten, wie dies ohne Videoübertragung zu geschehen hat. (Bearbeiter)

4. Unanfechtbar und damit revisionsgerichtlicher Überprüfung entzogen sind gemäß § 33 Satz 2 GVG sämtliche im Rahmen von § 171b GVG inhaltlich zu treffenden Entscheidungen. Dies gilt auch für die einer solchen Entscheidung notwendig vorausgehende Prognose, ob eine Erörterung der in § 171b GVG genannten Umstände in dem Verfahrensabschnitt, für den die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden soll, zu erwarten ist. (Bearbeiter)


Entscheidung

94. BGH 4 StR 452/06 - Beschluss vom 30. November 2006 (LG Münster)

BGHR; Revisibilität der Fristenregelung des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO für die Urteilsverkündung (Ordnungsvorschrift).

§ 268 Abs. 3 Satz 2 StPO; § 337 StPO

1. Die besondere Fristenregelung des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO für die Urteilsverkündung ist - unbeschadet der Verlängerung der regulären Unterbrechungsfrist für die Hauptverhandlung (§ 229 Abs. 1 StPO) durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBl I 2198) - zwingendes Recht und ihre Verletzung deshalb revisibel (gegen BGH HRRS 2006 Nr. 986). (BGHR)

2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann nur in Ausnahmefällen ein Beruhen des Urteils auf dem Verstoß gegen § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO ausgeschlossen werden (BGH aaO; BGHR StPO § 268 Abs. 3 Verkündung 1 und 2). (Bearbeiter)


Entscheidung

186. BGH 3 StR 374/06 - Beschluss vom 26. Oktober 2006 (LG Kleve)

Aufklärungspflicht; Zurückweisung eines Beweisantrages auf Vernehmung eines Auslandszeugen (antizipatorische Beweiswürdigung; Bedeutung des Auslandszeugen); fehlerhafte Begründung für die Ablehnung eines Beweisantrags (Heilung in den Urteilsgründen; Beruhen).

§ 244 StPO; § 267 Abs. 3 StPO; § 337 StPO

1. Gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, abgelehnt werden, wenn dessen Anhörung nach pflichtgemäßer Beurteilung des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Maßstab ist hierbei die Aufklärungspflicht des Gerichts (§ 244 Abs. 2 StPO). Bei deren Prüfung hat der Tatrichter namentlich die Bedeutung und den Beweiswert der Aussage des benannten Zeugen vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses zu würdigen; in diesem Rahmen ist er von dem Verbot der Beweisantizipation befreit. 2. Kommt der Tatrichter unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse mit rechtsfehlerfreier Begründung zu dem

Ergebnis, dass der Zeuge die Beweisbehauptung nicht werde bestätigen können oder dass ein Einfluss der Aussage auf seine - des Tatrichters - Überzeugungsbildung auch dann sicher ausgeschlossen sei, wenn der Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigen werde, so ist die Ablehnung des Beweisantrags in aller Regel nicht zu beanstanden.

3. Ob die Aufklärungspflicht gebietet, einem Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen nachzukommen, kann nur im Einzelfall beurteilt werden. Allgemein gilt, dass eher von der Vernehmung des Auslandszeugen abgesehen werden kann, wenn nach der bisherigen Beweisaufnahme von einem gesicherten Beweisergebnis auf breiter Beweisgrundlage auszugehen ist oder wenn die Sachaufklärung nur am Rande betroffen ist. Dagegen wird die Vernehmung um so eher notwendig sein, je ungesicherter das bisherige Beweisergebnis erscheint, insbesondere dann, wenn der Auslandszeuge Vorgänge bekunden soll, die für den Schuldvorwurf von zentraler Bedeutung sind.

4. Lehnt das Gericht einen Beweisantrag mit fehlerhafter Begründung ab, so sind ergänzende Ausführungen in den Urteilsgründen nicht geeignet, diesen Rechtsfehler zu heilen, denn alle Verfahrensbeteiligten müssen sich für ihr weiteres Prozessverhalten grundsätzlich auf die ihnen mitgeteilten Ablehnungsgründe verlassen können. Sie dürfen daher in den Urteilsgründen im Allgemeinen nicht mit einer ergänzten oder völlig neuen Begründung der Ablehnung des Beweisantrages überrascht werden. Nachgeschobene Ausführungen im Urteil können daher allenfalls für die Prüfung des Revisionsgerichts Relevanz gewinnen, ob das Urteil auf der rechtsfehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags beruht.


Entscheidung

140. BGH 2 StR 339/06 - Beschluss vom 25. Oktober 2006 (LG Köln)

Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungszimmer (Unterrichtung bei mehrfacher Befragung eines Zeugen; Fragerecht; konkrete und wirksame Verteidigung).

Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 lit. d EMRK; § 247 StPO

1. Die durch § 247 StPO ermöglichte Verhandlung ohne den Angeklagten und seine dadurch behinderte Verteidigung sind, soweit unvermeidbar, hinzunehmen mit der Maßgabe, dass eine Unterrichtung über das in seiner Abwesenheit Geschehene stattfindet, bevor weitere Verfahrenshandlungen erfolgen. Damit soll er weitgehend so gestellt werden, wie er ohne Zwangsentfernung gestanden hätte.

2. Wird die Vernehmung eines Zeugen nicht endgültig abgeschlossen, sondern lediglich zum Zwecke anderer Beweiserhebungen unterbrochen, so ist der Angeklagte jeweils unmittelbar nach Abschluss einer Vernehmungseinheit zu unterrichten, denn maßgebend ist nicht der Abschluss der Zeugenvernehmung insgesamt, sondern die Wiederzulassung des Angeklagten.


Entscheidung

97. BGH 4 StR 472/06 - Beschluss vom 14. Dezember 2006 (LG Halle)

Überhöhte Gesamtstrafenbildung (Summe der beiden Einzelstrafen); revisionsrichterliche Strafzumessung (angemessene Rechtsfolge; keine Anwendung auf zwingende Vorschriften).

§ 54 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 StGB; § 354 Abs. 1a StPO

Die Frage der Angemessenheit einer Rechtsfolge im Sinne des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO stellt sich grundsätzlich nur dort, wo Rechtsfehler die tatrichterliche Bewertung von Strafzumessungstatsachen berühren. Um einen solchen Fall tatrichterlicher Bewertung handelt es sich indes nicht, wenn die Rechtsfolge gegen zwingendes Recht wie zum Beispiel § 54 Abs. 2 Satz 1 StGB verstößt.


Entscheidung

154. BGH 2 StR 444/06 - Beschluss vom 20. Dezember 2006 (LG Darmstadt)

Aufklärungspflicht; Ablehnung eines Beweisantrags (Begründungsanforderungen; Bedeutungslosigkeit); Beruhen.

§ 244 StPO; § 337 StPO

1. Die Begründung der Ablehnung eines Beweisantrags soll den Antragsteller in die Lage versetzen, sich auf die Prozesssituation einzurichten und gegebenenfalls neue Anträge stellen zu können. Dies erfordert, dass ihm die Ablehnungsgründe in der Hauptverhandlung mitgeteilt werden, so dass er darauf noch reagieren kann.

2. Wird ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsachen abgelehnt, so muss der entsprechende Beschluss die Erwägungen anführen, aus denen der Tatrichter ihnen keine Bedeutung beimisst. Wird die Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Umständen gefolgert, so müssen die Tatsachen angegeben werden, aus denen sich ergibt, warum die unter Beweis gestellte Tatsache, selbst wenn sie erwiesen wäre, die Entscheidung des Gerichts nicht beeinflussen könnte. Die erforderliche Begründung entspricht grundsätzlich derjenigen bei der Würdigung von durch Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen.

3. Ist ein Beweisantrag mit unzulänglicher Begründung wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsachen abgelehnt worden, so kann ein Beruhen des Urteils darauf nur dann ausgeschlossen werden, wenn die Gründe der Bedeutungslosigkeit der Beweisbehauptung auf der Hand lagen, so dass der Antragsteller im Bilde war und in seiner Prozessführung nicht beeinträchtigt wurde.


Entscheidung

134. BGH 2 StR 104/06 - Urteil vom 25. Oktober 2006 (LG Limburg)

Gesetzlicher Richter; Besetzungsrüge (Darlegung; Präklusion); Geschäftsverteilungsplan (Präsidiumsbeschluss; unzulässige Einzelzuweisung).

§ 338 Abs. 1 Nr. 1b StPO; § 222b Abs. 1 Satz 2 StPO; § 21e Abs. 3 GVG

1. Die Anforderungen an die Begründung des Besetzungseinwands gem. § 222b StPO entsprechen weitgehend den Rügevoraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2

StPO. Fehlt die erforderliche umfassende Begründung, insbesondere ein hinreichend substantiierter Tatsachenvortrag, so ist der Besetzungseinwand nicht in der vorgeschriebenen Form geltend gemacht und damit nicht zulässig erhoben worden. Auch müssen alle Beanstandungen gleichzeitig geltend gemacht werden; ein Nachschieben von Gründen ist nicht statthaft.

2. Diese Grundsätze gelten auch bei evidenten Besetzungsmängeln, die allen Verfahrensbeteiligten ohne weiteres erkennbar oder sogar bekannt sind.


Entscheidung

136. BGH 2 StR 198/06 - Urteil vom 30. August 2006 (LG Frankfurt)

Bedingter Tötungsvorsatz (Totschlag; Wissenselement; Wollenselement); Beweiswürdigung (Überzeugungsbildung; überspannte Anforderungen; absolute Gewissheit); Zweifelssatz (in dubio pro reo; Beweisregel; Rechtsfragen); Widerspruchsfreiheit der Urteilsgründe.

§ 211 StGB; § 212 StGB; § 15 StGB; § 261 StPO; § 267 StPO

1. Eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und von niemandem anzweifelbare Gewissheit ist zur Überzeugung von der Schuld des Täters nicht erforderlich. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht zulässt.

2. Das Wissenselement des bedingten Vorsatzes ist nicht erst dann gegeben, wenn der Täter "zwangsläufig" mit dem Eintritt des Erfolges rechnet. Vielmehr handelt er bereits dann mit bedingtem Vorsatz, wenn er den Erfolgseintritt als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt.

3. Bei dem Zweifelssatz "in dubio pro reo" handelt sich nicht um eine Beweisregel, die den Tatrichter dazu zwingen würde, von mehreren möglichen Schlussfolgerungen stets die für den Angeklagten günstigste zu wählen. Erst dann, wenn nach Abschluss der Beweiswürdigung noch Zweifel bestehen, die der Tatrichter nicht zu überwinden vermag, hat er zugunsten des Angeklagten zu entscheiden.

4. Der Zweifelssatz "in dubio pro reo" findet keine Anwendung auf Rechtsfragen, sondern allein auf Zweifel im Tatsächlichen.


Entscheidung

148. BGH 2 StR 404/06 - Beschluss vom 29. November 2006 (LG Darmstadt)

Aufklärungspflicht (Beweisantrag auf die Vernehmung eines Auslandszeugen; Recht auf Ladung von Entlastungszeugen); Einschleusen von Ausländern.

§ 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG; § 96 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG; § 244 Abs. 5 S. 2 StPO; Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK

1. In einer Verfahrenssituation, in der Aussage gegen Aussage steht, drängt die Aufklärungspflicht auch zur Vernehmung eines Auslandszeugen oder doch zumindest zur Klärung der Frage, ob der Zeuge existent ist und ob von ihm ein Beitrag zur Sachverhaltsaufklärung zu erwarten ist, zumal wenn dies ohne größeren Zeit- und Arbeitsaufwand möglich ist, etwa durch Einschaltung deutscher Auslandsvertretungen.

2. Für den kausalen oder finalen Zusammenhang zwischen der Förderung des illegalen Verhaltens eines Ausländers und dem Erhalten oder Sich-Versprechen-Lassen des Vermögensvorteils beim Einschleusen von Ausländern reicht es aus, dass die Einschleusung des Ausländers als Mittel zur Erlangung des Vermögensvorteils dienen soll.


Entscheidung

71. BGH 1 StR 326/06 - Urteil vom 19. Dezember 2006 (LG München)

Aufklärungspflicht (Aufklärungsrüge; Verletzung durch zu weitgehende Zuerkennung eines Auskunftsverweigerungsrechts); Beweiswürdigung (lückenhafte; Zweifelssatz als Entscheidungsregel; überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung).

§ 244 Abs. 2 StPO; § 261 StPO; § 55 StPO; Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; § 152 Abs. 2 StPO

1. Das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO kann grundsätzlich nur in dem Umfang greifen, in welchem die Befragung sich auf Vorgänge richtet, die im Verhältnis zu den abgeurteilten Geschehen andere Taten im verfahrensrechtlichen Sinn des § 264 Abs. 1 StPO darstellen würden. Dabei genügt es, wenn der Zeuge über Vorgänge Auskunft geben müsste, die den Verdacht gegen ihn mittelbar begründen, sei es auch nur als Teilstück in einem mosaikartig zusammengesetzten Beweisgebäude (BGH NJW 1999, 1413, 1414; BGHR StPO § 55 Abs. 1 Verfolgung 1). Besteht die konkrete Gefahr, dass er durch eine wahrheitsgemäße Aussage zugleich potentielle Beweismittel gegen sich selbst wegen noch verfolgbarer eigener Delikte liefern müsste, so ist ihm die Erteilung solcher Auskünfte nicht zumutbar (BVerfG NJW 2002, 1411, 1412).

2. Ein Auskunftsverweigerungsrecht folgt nicht aus pauschalen Bekundungen anderer Zeugen, der betroffene Zeuge "sei groß im Rauschgiftgeschäft tätig gewesen". Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Zeuge als Rauschgiftlieferant aufgrund seiner eigenen Angaben zuvor bereits bekannt ist.


Entscheidung

117. BGH 5 StR 472/06 - Beschluss vom 14. Dezember 2006 (LG Hamburg)

Besorgnis der Befangenheit bei Verletzung des Fragerechts, des Konfrontationsrechts der Verteidigung (Pflicht zur vorbeugenden Verlängerung der Sitzungszeiten bei der Vernehmung von Auslandszeugen; etwaiger Rügeverlust durch spätere Verfahrensabsprache).

§ 24 Abs. 2 StPO; Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 lit. d EMRK; § 337 StPO


Entscheidung

108. BGH 5 StR 315/06 - Beschluss vom 13. Dezember 2006 (LG Mühlhausen)

Berücksichtigung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrens-

verzögerung von Amts wegen (Erörterungsmangel; Kompensation bei der Strafzumessung).

Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; Art. 13 EMRK; § 344 Abs. 2 StPO; § 46 StGB

Zwar muss ein Revisionsführer, der das Vorliegen einer Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verletzenden Verfahrensverzögerung geltend machen will, grundsätzlich eine Verfahrensrüge erheben. Ergeben sich indes bereits aus den Urteilsgründen die Voraussetzungen einer solchen Verzögerung, hat das Revisionsgericht auf die Sachrüge hin einzugreifen. Das Gleiche gilt, wenn sich bei der auf die Sachrüge veranlassten Prüfung, namentlich anhand der Urteilsgründe, ausreichende Anhaltspunkte ergeben, die das Tatgericht zur Prüfung einer solchen Verfahrensverzögerung drängen mussten, so dass ein sachlichrechtlich zu beanstandender Erörterungsmangel vorliegt (BGHSt 49, 342).


Entscheidung

163. BGH 2 StR 520/06 - Beschluss vom 13. Dezember 2006 (LG Frankfurt)

Recht auf Verfahrensbeschleunigung (rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung; Kompensation bei Einzelstrafen und Gesamtstrafe).

Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; § 46 StGB; § 54 StGB

Die Verpflichtung des Tatrichters, im Falle einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung das Maß der gebotenen Kompensation durch Vergleich der an sich verwirkten und der tatsächlich verhängten Strafe ausdrücklich und konkret zu bestimmen, gilt nicht nur für die Gesamtstrafe, sondern daneben auch für alle Einzelstrafen.


Entscheidung

96. BGH 4 StR 468/06 - Beschluss vom 5. Dezember 2006 (LG Hagen)

Verspätete Urteilsabsetzung (irrtümliche Fristberechnung; rechtfertigende Gründe).

§ 275 Abs. 1 StPO; § 338 Nr. 7 StPO

Ein Irrtum bei der Fristberechnung stellt keinen die Fristüberschreitung rechtfertigenden Umstand dar (BGH StV 1984, 143). Auch eine nur kurze Fristüberschreitung führt zwingend zur Urteilsaufhebung (BGH StV 1998, 477; BGH Beschluss vom 12. Oktober 2004 - 5 StR 394/04 [= StraFo 2005, 76]).


Entscheidung

74. BGH 1 StR 534/06 - Beschluss vom 28. Dezember 2006 (LG Nürnberg)

Strafklageverbrauch - europäisches ne bis in idem (Schengener Durchführungsübereinkommen: deutscher Vorbehalt, Freispruch; gebotene Verfahrenseinstellung bei Verfahrenshindernis).

Art. 103 Abs. 3 GG; Art. 54 SDÜ; § 206a StPO

Nach Artikel 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) darf derjenige, der durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht verfolgt werden, vorausgesetzt, dass im Fall der Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann. Auch ein rechtskräftiger Freispruch bewirkt Strafklageverbrauch nach Artikel 54 SDÜ.


Entscheidung

189. BGH 3 StR 427/06 - Urteil vom 21. Dezember 2006 (LG Kleve)

Überzeugungsbildung (Einlassung des Angeklagten; Beweiswürdigung; Zweifelssatz); Beihilfe (keine Kausalität des Gehilfenbeitrags; Strafzumessung).

§ 261 StPO; § 27 StGB; § 46 StGB

1. Die Feststellung von Tatsachen verlangt keine absolute, von niemandem anzweifelbare Gewissheit. Es genügt vielmehr, dass ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit besteht, demgegenüber vernünftiger Zweifel nicht laut werden kann.

2. Der Tatrichter hat sich auch bei entlastenden Angaben eines Angeklagten eine Überzeugung von deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit aufgrund des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme zu bilden. Wenn es für das Gegenteil der Einlassung eine Fülle gewichtiger Beweisanzeichen gibt, ist er nicht gehindert, sich davon zu überzeugen, selbst wenn die Widerlegung der entlastenden Angaben nicht zwingend ist und auch ein anderer Schluss möglich wäre.

3. Als Hilfeleistung im Sinne des § 27 StGB ist jede Handlung anzusehen, welche die Herbeiführung des Taterfolgs objektiv fördert. Ob der Haupttäter die Tat unschwer auch völlig alleine und damit ohne Mitwirkung des mutmaßlichen Gehilfen hätte vornehmen können, kommt es somit für die Annahme einer Beihilfehandlung nicht an.


Entscheidung

86. BGH 4 StR 404/06 - Beschluss vom 28. November 2006 (LG Essen)

Tenorierung bei der Einziehung von Gegenständen.

§ 74 StGB; § 267 StPO

Ist die Einziehung von Gegenständen anzuordnen, sind die einzuziehenden Gegenstände in der Urteilsformel oder, sofern es sich um eine Vielzahl von Gegenständen handelt, jedenfalls in einer Anlage hierzu (vgl. BGHSt 9, 88, 90) so konkret zu bezeichnen, dass für die Beteiligten und die Vollstreckungsbehörde Klarheit über den Umfang der Einziehung geschaffen ist (st. Rspr.).


Entscheidung

69. BGH 1 StR 161/01 - Beschluss vom 18. Dezember 2006 (LG Bayreuth)

Keine zwingende Behandlung von ständig wiederholten Unmutsäußerungen eines Verurteilten als Rechtsmittel (Besonderheit bei Belehrung und Anfrage zu einem bestimmten Rechtsmittel; querulatorische Rechtsmittel; Kostenfolge).

Art. 19 IV GG; Vor § 296 StPO; § 333 StPO

Bei wiederholten und inhaltlich identischen Schreiben eines Verurteilten, die Worte wie "Widerspruch" oder "Einspruch" verwenden, kann es sich um bloße Unmutsäußerungen handeln. Es ist nicht geboten, in arbeits- und kostenaufwändigen förmlichen Verfahren derartige Schreiben eines Verurteilten stets erneut als Rechtsmittel

auszulegen und zu bescheiden, wenn wegen ihrer offensichtlichen Unzulässigkeit bzw. Unstatthaftigkeit von vorneherein zwingend feststeht, dass sie nie zu irgend einem rechtlichen Erfolg des Antragstellers führen können. Besonderheiten gelten dann, zunächst seitens der Justiz ausdrücklich angefragt worden ist, ob der Verurteilte mit einem solchen Schreiben Revision einlegen wollte und er später eine Rechtsmittelbelehrung erhielt.