HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 186
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 374/06, Beschluss v. 26.10.2006, HRRS 2007 Nr. 186
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kleve vom 26. Juli 2006 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und sichergestellte Drogen eingezogen. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer verfahrensrechtlichen Beanstandung Erfolg. Zu Recht macht der Beschwerdeführer geltend, dass das Landgericht einen Beweisantrag auf Vernehmung zweier im Ausland zu ladender Zeugen unter Verstoß gegen § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO zurückgewiesen hat.
1. Das Landgericht hat sich davon überzeugt, dass der Angeklagte auf einer Busfahrt von Paris nach Kopenhagen im Auftrag unbekannter Hintermänner gegen Entlohnung einen Rollenkoffer (Trolley) mit größeren, zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmten Mengen Amphetamin, Ecstasy-Tabletten und Haschisch mit sich führte, die er einem Empfänger in Kopenhagen oder einem anderen nordeuropäischen Übergabeort aushändigen sollte. Die Betäubungsmittel wurden nach der Einreise des Busses über die niederländischdeutsche Grenze bei einer Kontrolle in der Bundesrepublik entdeckt und sichergestellt. Zu den näheren Umständen des Rauschgifttransportes hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte, der im Jahre 2003 unerlaubt in die Bundesrepublik eingereist war, hier zweimal wegen ausländerrechtlicher Verstöße vorbestraft und von drei verschiedenen Staatsanwaltschaften im Bundeszentralregister mit Suchvermerk ausgeschrieben ist, hielt sich zuletzt in Frankreich auf. Er hatte den Entschluss gefasst, sich zu seiner Lebensgefährtin nach Helsinki zu begeben, bei der er künftig leben wollte. Zu diesem Zweck erwarb er im Januar 2006 auf den Falschnamen S. eine Fahrkarte für eine Busreise von Paris nach Kopenhagen. Hierbei meldete er nur die Mitnahme von Handgepäck an. Daher wurde ihm eine Fahrkarte mit dem Aufdruck "Nul au transport" ausgestellt. Die Fahrer der Buslinie sind angewiesen, jeden Reisenden, der eine solche Fahrkarte erworben hat, darauf zu kontrollieren, dass er tatsächlich nur Handgepäck mit sich führt und kein weiteres Gepäck in den Stauraum des Busses verlädt. Unterlassen sie dies, kann das für sie zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen. Obwohl der Angeklagte vor der Abfahrt in Telefonaten mit seiner Lebensgefährtin und einem Bekannten angekündigt hatte, er werde - da er in Paris aus seiner Wohnung geflogen sei - die Reise ohne Kleider und Koffer nur mit dem, was er auf dem Leib habe, antreten, erschien er zur Abfahrt des Busses nicht nur mit zwei Plastiktüten mit Lebensmitteln als Handgepäck, sondern auch mit dem Trolley, der mit einem Vorhängeschloss verschlossen war, für das der Angeklagte keinen Schlüssel besaß. Obwohl er nur die Fahrkarte mit dem genannten Aufdruck erworben hatte und an dem Trolley auch kein Beförderungsetikett der Buslinie angebracht war, gelang es ihm - möglicherweise aufgrund unzureichender Kontrolle durch die beiden Busfahrer -, den Koffer in den Stauraum des Busses zu verladen oder verladen zu lassen.
Nachdem der Bus am 19. Januar 2006 gegen 1.30 Uhr nachts in die Bundesrepublik eingereist war, wurden die Fahrgäste einer Kontrolle unterzogen. Hierbei stellten die Beamten fest, dass der Angeklagte, der sich als Iraker S. ohne festen Wohnsitz in der Bundesrepublik ausgab, keine Personalpapiere mit sich führte und kein Visum besaß. Er wurde daher wegen Verdachts der unerlaubten Einreise - ebenso wie ein weiterer Mitreisender - in Gewahrsam genommen. Auf Nachfrage der Beamten erklärte er, er habe außer den beiden Plastiktüten kein weiteres Gepäck dabei. Nachdem der Angeklagte erkennungsdienstlich behandelt und ein Datenabgleich vorgenommen worden war, bei dem sich herausstellte, dass er bereits unter anderem Namen in der Bundesrepublik registriert war, wurde er am Morgen des 19. Januar 2006 wegen der ihm angelasteten ausländerrechtlichen Verstöße vernommen. Entweder bereits auf dem Weg zum Vernehmungszimmer oder - nach Belehrung - bei der Vernehmung, äußerte der Angeklagte spontan gegenüber dem türkischstämmigen Vernehmungsbeamten, dass er einen Koffer vermisse. Diese Äußerung wurde nicht in das Vernehmungsprotokoll aufgenommen.
Der Reisebus war zwischenzeitlich weiter gefahren. Vor der Ausreise nach Dänemark wurde er erneut kontrolliert. Hierbei wurde der Trolley gefunden, der keinem der verbliebenen Reisenden zugeordnet werden konnte. Nachdem ein Betäubungsmittel-Spürhund angeschlagen hatte, wurde der Koffer aufgeschnitten und das Rauschgift gefunden. Weder an dem Koffer noch an seinem Inhalt fanden sich Fingerabdrücke oder DNA-Spuren des Angeklagten.
2. Der Angeklagte hat in Abrede gestellt, die Betäubungsmittel transportiert zu haben. Er habe auch nicht anlässlich der Vernehmung am Morgen des 19. Januar 2006 geäußert, dass er einen Koffer vermisse. Der Vernehmungsbeamte habe ihn entweder falsch verstanden oder belaste ihn wahrheitswidrig, weil er - der Angeklagte - Kurde sei. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten entscheidend auf dessen Spontanäußerung am Morgen des 19. Januar 2006 gestützt, die es aufgrund der eidlichen Aussage des Vernehmungsbeamten für erwiesen hielt.
Vor dem Hintergrund dieser Beweislage hat der Angeklagte unter anderem beantragt, die beiden Busfahrer, die Zeugen N. und Sö., zum Beweis dafür zu vernehmen, dass sie bei jeder Busfahrt die Passagiere und die Fahrscheine darauf kontrollieren, ob die Reisenden nur Handgepäck bei sich führen, und jeden Passagier, der eine Fahrkarte mit dem Aufdruck "Nul au transport" besitzt, nur dann in den Bus lassen, wenn er auch tatsächlich kein weiteres Gepäck bei sich hat, sowie schließlich dafür, dass dieses Vorgehen auch beim Antritt der Fahrt von Paris nach Kopenhagen am 18. Januar 2006 eingehalten wurde. Das Landgericht hat diesen Antrag gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO zurückgewiesen, weil die Vernehmung der Zeugen zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sei. Aufgrund des Umstandes, dass sich auf der Fahrt von Paris nach Kopenhagen am 18./19. Januar 2006 ein nicht mit Etikett und Namen eines Passagiers versehener Koffer in dem Bus befunden habe, sei davon auszugehen, dass die Zeugen jedenfalls auf dieser Fahrt ihre Kontrollpflicht nicht vollständig erfüllt hätten. Ob die Zeugen ansonsten bei jeder Fahrt ihrer Kontrollpflicht in vollem Umfang nachkämen, sei für die Entscheidung ohne Belang (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO).
In den Urteilsgründen befasst sich das Landgericht nochmals mit diesem Antrag und führt aus: Einer Vernehmung der beiden Busfahrer, die im Ausland hätten geladen werden müssen, habe es nicht bedurft. Der Zeuge H. - ein Beamter, der bei der Ausreisekontrolle des Busses nach Dänemark mitwirkte - habe bekundet, die beiden Fahrer hätten bei einer informatorischen Befragung zu dem Koffer und dessen Herkunft widersprüchliche und wechselnde Angaben gemacht und diese alsbald wieder zurückgezogen. Sie seien sich nicht sicher gewesen, überhaupt gesehen zu haben, wer den Koffer in den Bus verladen habe. Der Busfahrer Sö. habe seine anfängliche Aussage, eine junge Frau habe den Koffer in den Bus gestellt, auf Nachfrage sofort wieder zurückgezogen. Warum sich - so das Landgericht - nunmehr beide Zeugen nach sechs Monaten genau an den Vorgang und daran erinnern können sollen, wer den Koffer in den Bus gestellt hat, ein für sie nicht erheblicher und alltäglicher Vorgang, sei in keiner Weise ersichtlich.
3. Zutreffend beanstandet der Beschwerdeführer, dass das Landgericht den Beweisantrag rechtsfehlerhaft zurückgewiesen hat, soweit er auf den Nachweis gerichtet war, dass die beiden als Zeugen benannten Busfahrer vor der Abfahrt des Busses von Paris am 18. Januar 2006 die Gepäckkontrolle ordnungsgemäß durchgeführt hatten.
Gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, abgelehnt werden, wenn dessen Anhörung nach pflichtgemäßer Beurteilung des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Ob die Ladung und Vernehmung eines Auslandszeugen geboten ist, richtet sich somit nach der Aufklärungspflicht des Gerichts im Sinne des § 244 Abs. 2 StPO. Bei deren Prüfung hat der Tatrichter namentlich die Bedeutung und den Beweiswert der Aussage des benannten Zeugen vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses zu würdigen. In diesem Rahmen ist er von dem sonst geltenden Verbot der Beweisantizipation befreit. Daher darf er prognostisch berücksichtigen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu würdigen wären. Kommt er dabei unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse mit rechtsfehlerfreier Begründung zu dem Ergebnis, dass der Zeuge die Beweisbehauptung nicht werde bestätigen können oder dass ein Einfluss der Aussage auf seine - des Tatrichters - Überzeugungsbildung auch dann sicher ausgeschlossen sei, wenn der Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigen werde, ist die Ablehnung des Beweisantrags in aller Regel nicht zu beanstanden (st. Rspr.; s. nur BGH NJW 2005, 2322, 2323 m. zahlr. w. Nachw.).
Ob das Gebot des § 244 Abs. 2 StPO, die Beweisaufnahme zur Erforschung der Wahrheit auf alle entscheidungsrelevanten Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, es gebietet, dem Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen nachzukommen, kann nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles beurteilt werden. Allgemein gilt lediglich der Grundsatz, dass bei einem durch die bisherige Beweisaufnahme gesicherten Beweisergebnis auf breiter Beweisgrundlage eher von der Vernehmung des Auslandszeugen abgesehen werden kann, insbesondere wenn er nur zu Beweisthemen benannt ist, die lediglich indiziell relevant sind oder die Sachaufklärung sonst nur am Rande betreffen. Dagegen wird die Vernehmung des Auslandszeugen um so eher notwendig sein, je ungesicherter das bisherige Beweisergebnis erscheint, je größer die Unwägbarkeiten sind und je mehr Zweifel hinsichtlich des Werts der bisher erhobenen Beweise überwunden werden müssen; dies gilt insbesondere dann, wenn der Auslandszeuge Vorgänge bekunden soll, die für den Schuldvorwurf von zentraler Bedeutung sind (s. allg. etwa BGH StV 1992, 148; 1996, 249; NStZ-RR 1996, 299; 2003, 205; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 244 Rdn. 68; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 244 Rdn. 12).
Nach diesen Maßstäben hat das Landgericht hier die Grenzen zulässiger antizipatorischer Beurteilung überschritten; seine Behandlung des Beweisantrags erweist sich daher als rechtsfehlerhaft. Die Vernehmung der beiden Busfahrer zu der in ihr Wissen gestellten Beweisbehauptung war geboten. Ihren Aussagen kam im Rahmen des Gesamtergebnisses der Beweisaufnahme und deren Würdigung erhebliches Gewicht zu. Einziges bedeutsames Indiz für die Täterschaft des Angeklagten war seine spontane Äußerung anlässlich der Vernehmung am Morgen des 19. Januar 2006, er vermisse einen Koffer. Wie das Landgericht selbst nicht verkannt hat, ist der Beweiswert dieses Indizes indessen durchaus zweifelhaft; denn es mutet eher ungewöhnlich an, dass ein aus anderen Gründen verhafteter Betäubungsmittelkurier die Ermittlungsbehörden auf das noch nicht gefundene und ihm auch nicht ohne weiteres zuordenbare Behältnis mit dem transportierten Rauschgift aufmerksam macht. Soweit das Landgericht diese Äußerung zu erklären sucht ("einige Erklärungen denkbar"; UA S. 10), beschränkt es sich auf den Hinweis, es erscheine wegen des hohen Werts der noch nicht entdeckten Drogen und des Fehlens jeglichen Verdachts in diese Richtung "nahe liegend", der Angeklagte sei davon ausgegangen, er könne unter Vermittlung der Polizei dafür Sorge tragen, dass eine andere Person in seinem Auftrag den Koffer bei dem Busunternehmen in Kopenhagen abholen und so die Betäubungsmittel sichern könne. Selbst wenn diese Überlegung nicht als reine Vermutung ohne hinreichende Tatsachenbasis, sondern als möglicher Ausfluss freier richterlicher Beweiswürdigung (§ 261 StPO) hingenommen werden müsste, ist sie jedenfalls nicht geeignet, der Überzeugungsbildung des Landgerichts von der Täterschaft des Angeklagten ein solideres Fundament zu verschaffen. Andererseits sind einige Indizien vorhanden, die eher gegen den Tatvorwurf sprechen. So liegt es etwa insbesondere nicht nahe, dass ein Betäubungsmittelkurier, der Drogen in einem Koffer auf einer Busfahrt transportieren will, einen Fahrschein erwirbt, der ihm lediglich die Mitnahme von Handgepäck erlaubt, so dass er schon zu Beginn der Kurierfahrt mit Komplikationen rechnen muss. Ungewöhnlich erscheint auch, dass ein Kurier erhebliche Mengen Drogen durch halb Europa transportiert, ohne im Besitz irgendwelcher Personalpapiere zu sein, und sich so dem Risiko aussetzt, bei einer Kontrolle sofort entdeckt zu werden. Hinzu kommt das Fehlen jeglicher Spuren des Angeklagten an dem Transportkoffer und seinem Inhalt (wobei das Fehlen von DNA-Spuren letztlich auf einer Unterstellung beruht, weil das von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebene Gutachten im Urteilszeitpunkt noch nicht vorlag).
Bei dieser Beweislage war es für die Beurteilung des Tatvorwurfs von zentraler Bedeutung, ob die beiden Fahrer bei der Beladung des Busses der ihnen von ihrem Arbeitgeber erteilten Weisung nachgekommen waren, das Gepäck kontrolliert und Passagieren, die lediglich einen Fahrschein für die Mitnahme von Handgepäck erworben hatten, die Verladung weiterer Gepäckstücke im Stauraum des Busses verwehrt hatten; denn in diesem Falle hätte der Trolley mit den Betäubungsmitteln nicht auf dem vom Landgericht angenommenen Weg in den Bus gelangen können.
Dies hat auch das Landgericht im Ansatz nicht übersehen; die Begründung seines Ablehnungsbeschlusses bedeutet demgemäß der Sache nach, dass durch die bisherige Beweisaufnahme das Gegenteil der Beweisbehauptung bereits erwiesen sei: Da sich der Trolley in dem Bus befand, müssten die Fahrer ihre Kontrollpflichten nicht erfüllt haben. Diese Schlussfolgerung ist rechtsfehlerhaft. Die Überzeugung des Landgerichts, die beiden Busfahrer hätten ihren Kontrollpflichten nicht genügt, beruht allein auf der Tatsache, dass der Koffer mit den Betäubungsmitteln in den Stauraum des Busses gelangt sei, obwohl er nicht mit dem erforderlichen Beförderungsetikett der Buslinie versehen war. Dieser Schluss wäre indessen nur dann gerechtfertigt, wenn der Koffer notwendig von einem der Mitreisenden stammen musste und nur aufgrund mangelhafter Kontrolle der Busfahrer verladen werden konnte. Das war jedoch nicht der Fall. Er konnte vielmehr von den Fahrern selbst oder von einem anderen Mitarbeiter des Busunternehmens in dem Gepäckraum des Busses verstaut worden sein. Dies hat das Landgericht bei der Ablehnung des Beweisantrages nicht bedacht. Seine antizipatorische Beweiswürdigung ist daher lücken- und somit rechtsfehlerhaft.
Allerdings hat sich das Landgericht in den Urteilsgründen mit der Möglichkeit auseinandergesetzt, dass es sich bei den Busfahrern um die Betäubungsmittelkuriere handelte, und weitere Gründe für die Ablehnung des Beweisantrags auf deren Vernehmung genannt. Dies ist jedoch unbeachtlich. Lehnt das Gericht einen Beweisantrag mit fehlerhafter Begründung ab, so sind ergänzende Ausführungen in den Urteilsgründen nicht geeignet, diesen Rechtsfehler zu heilen; denn der Antragsteller, aber auch die anderen Verfahrensbeteiligten, müssen sich für ihr weiteres Prozessverhalten grundsätzlich auf die ihnen mitgeteilten Ablehnungsgründe verlassen können; sie dürfen daher in den Urteilsgründen im Allgemeinen nicht mit einer ergänzten oder völlig neuen Begründung der Ablehnung des Beweisantrages überrascht werden. Die nachgeschobenen Ausführungen im Urteil können daher allenfalls für die Prüfung des Revisionsgerichts Relevanz gewinnen, ob das Urteil auf der rechtsfehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags beruht (Gollwitzer aaO Rdn. 150 m. zahlr. w. Nachw.).
Hier kommt hinzu, dass die in den Urteilsgründen nachgeschobenen Erwägungen die Ablehnung des Beweisantrags ebenfalls nicht zu rechtfertigen vermögen und darüber hinaus auf eine völlig neue Grundlage zu stellen suchen. Dass nach Überzeugung des Landgerichts nicht die Busfahrer den Koffer in den Bus verladen haben, lässt die Möglichkeit offen, dass dies durch andere Mitarbeiter des Busunternehmens geschehen ist und der Koffer daher anlässlich der Kontrolle beim Verladen des Gepäcks der Passagiere am Busbahnhof in Paris nicht auffallen musste. Die weiteren Überlegungen des Landgerichts zur Ablehnung des Beweisantrags verfälschen das Beweisthema und wechseln darauf aufbauend den Ablehnungsgrund der Sache nach in denjenigen völliger Ungeeignetheit der Beweismittel (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO) aus. Die beiden Zeugen waren jedoch nicht zum Beweis dafür benannt, eine bestimmte - mit dem Angeklagten nicht identische - Person habe den Koffer verladen, sondern dafür, dass sie die ihnen obliegende Gepäckkontrolle vor der Abfahrt am 18. Januar 2006 ordnungsgemäß durchgeführt hatten.
Nach alledem beruht das Urteil auf dem dargestellten Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht zu einer abweichenden Beweiswürdigung gelangt wäre, wenn es die beiden Busfahrer vernommen und diese die Beweisbehauptung bestätigt hätten.
HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 186
Externe Fundstellen: NStZ 2007, 349; StV 2007, 174
Bearbeiter: Ulf Buermeyer