HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2007
8. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht

1. Schwerpunkt Allgemeiner Teil des StGB


Entscheidung

187. BGH 3 StR 392/06 - Beschluss vom 24. Oktober 2006 (LG Lüneburg)

"Unechtes Unternehmensdelikt" (Vorverlagerung der Vollendung; Erfolgsvorsatz des Teilnehmers; agent provocateur); unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln.

§ 15 StGB; § 26 StGB; § 27 StGB; § 29 BtMG

1. Der Vorsatz des Anstifters oder Gehilfen muss sich in jedem Fall auf eine vollendete Haupttat erstrecken. Wenn die Haupttat objektiv nicht über das Versuchsstadium hinausgelangt, genügt für die Annahme einer strafbaren Beteiligung an dieser versuchten Tat dementsprechend nicht, dass der Teilnehmer lediglich den Vorsatz hatte, dass es durch seine Anstiftungs- oder Unterstützungshandlung zu dem tatsächlich begangen Versuch kommen wird. Vielmehr kommt eine strafbare Teilnahme erst in Betracht, wenn er eine vollendete Tat angestrebt hat oder - zumindest mit bedingtem Vorsatz - von einer Vollendung ausgegangen ist.

2. Die Natur des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln als eines unechten Unterlassungsdelikts bedingt, dass als vollendetes Handeltreiben auch solche Handlungen bestraft werden, bei denen es sich qualitativ um einen Versuch des Delikts handelt. Diese nicht zuletzt kriminalpolitisch bedingte Vorverlagerung der Vollendungsstrafbarkeit kann aber nicht zum Maßstab der inneren Tatseite des Teilnehmers gemacht werden. Vielmehr kann derjenige, der sich durch Anstiftungs- oder Gehilfenhandlungen vorsätzlich an Handlungen eines anderen beteiligt, die sich für den Täter formell als vollendetes Handeltreiben darstellen, ihrer Qualität nach aber Versuchshandlungen sind, nur dann wegen Teilnahme bestraft werden, wenn er sich - jedenfalls mit bedingtem Vorsatz - vorstellt, dass es zu einem Betäubungsmittelumsatz auch tatsächlich kommt.


Entscheidung

141. BGH 2 StR 340/06 - Urteil vom 18. Oktober 2006 (LG Aachen)

Bedingter Tötungsvorsatz (Darlegung; Urteilsgründe; Beweiswürdigung; Hemmschwelle; gefährliche Gewalthandlung; Erkennen; Vertrauen; affektive Einzelhandlung); Rücktritt vom Versuch.

§ 15 StGB; § 212 StGB; § 267 Abs. 3 StPO; § 24 Abs. 1 StGB

1. Bei gefährlichen Gewalthandlungen liegt es zwar nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne zu Tode kommen, rechnet und einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt, wenn er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt. Deshalb ist grundsätzlich ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters - der äußeren Tatseite - auf den bedingten Tötungsvorsatz - also die innere Tatseite - möglich.

2. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist aber immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Insbesondere bei einer spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Einzelhandlung kann aus dem Wissen von einem möglichen Erfolgseintritt nicht allein ohne Berücksichtigung der sich aus der Persönlichkeit des Täters und der Tat ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das selbständig neben dem Wissenselement stehende Willenselement des Vorsatzes gegeben ist. Danach ist es im Einzelfall denkbar, dass der Täter zwar alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, dass er sich aber - etwa infolge einer psychischen Beeinträchtigung - gleichwohl nicht bewusst ist, dass sein Tun zum Tod des Opfers führen kann oder dass er ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der Tod werde nicht eintreten.

3. In der Regel wird das Vertrauen auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges dann zu verneinen sein, wenn der vorgestellte Ablauf eines Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe ist, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann. Wird das Opfer in einer Weise verletzt, die offensichtlich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit - etwa einem Stich in das Herz vergleichbar - zum Tode führt, so liegt (zumindest) bedingter Tötungsvorsatz auf der Hand, ohne dass es dafür besonderer Anforderungen an die Darlegung der inneren Tatseite in den Urteilsgründen bedarf.


Entscheidung

193. BGH 3 StR 436/06 - Urteil vom 21. Dezember 2006 (LG Hildesheim)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (nicht pathologische Persönlichkeitsstörung; andere schwere seelische Abartigkeit); verminderte Schuldfähigkeit (Rechtsfrage; normative Gesichtspunkte; Anforderungen der Rechtsordnung; Schwere des Delikts).

§ 63 StGB; § 21 StGB

1. Persönlichkeitsstörungen, die bei Straftätern häufig vorliegen, können sich noch innerhalb der Bandbreite menschlichen Verhaltens bewegen und Ursache für strafbares Tun sein, ohne dass das Eingangsmerkmal einer

schweren anderen seelischen Abartigkeit für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB erfüllt ist.

2. Bei einer nicht pathologisch bedingten Persönlichkeitsstörung liegt eine andere schwere seelische Abartigkeit nur dann vor, wenn sie in ihrem Gewicht einer krankhaften seelischen Störung gleichkommt und Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Täters vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen. Zur Feststellung dessen bedarf es einer Gesamtschau auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten und deren Entwicklung, der Tatvorgeschichte, dem unmittelbaren Anlass und der Ausführung der Tat sowie des Verhaltens nach der Tat.

3. Ob die Steuerungsfähigkeit eines Angeklagten im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war, ist eine Rechtsfrage, die der Tatrichter ohne Bindung an die Meinung des Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beantworten hat. Bei der Prüfung fließen normative Gesichtspunkte mit ein, wobei entscheidend die Anforderungen sind, die die Rechtsordnung an jedermann stellt. Diese sind umso höher, je schwerwiegender das in Rede stehende Delikt ist. Daher ist die Prüfung nicht generell, sondern in Bezug auf jede einzelne Tat vorzunehmen.


Entscheidung

137. BGH 2 StR 301/06 - Urteil vom 29. November 2006 (LG Köln)

Beihilfe zur Untreue (Feststellung der Haupttat; Gehilfenvorsatz); Geldwäsche; Begünstigung.

§ 27 StGB; § 266 StGB; § 257 StGB; § 261 StGB

Der Gehilfenvorsatz muss sich zwar nicht auf die Ausführung einer in allen Einzelheiten, wohl aber in ihren wesentlichen Merkmalen und Grundzügen konkretisierten Tat richten (vgl. BGHSt 42, 135, 137 ff.; BGH NJW 1982, 2453, 2454).


Entscheidung

103. BGH 4 StR 537/06 - Beschluss vom 19. Dezember 2006 (LG Hagen)

Freiwilligkeit des Rücktritts (Aufgeben der Tat; Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch nach der maßgeblichen Vorstellung des Angeklagten: sog. Rücktrittshorizont; fehlgeschlagener Versuch; mangelnde Feststellungen und Zweifelsgrundsatz).

§ 24 Abs. 1 StGB

Für das freiwillige Aufgeben der Tat gilt der Zweifelsgrundsatz (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 199; BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 26). Allerdings kann die Aufgabe der Tat unfreiwillig sein, wenn sich der Täter nach Tatbeginn mit einer ihm, verglichen mit der Tatplanung, derart ungünstigen Risikoerhöhung konfrontiert sieht, so dass er das mit der Tat verbundene Wagnis nunmehr als unvertretbar hoch einschätzt (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 16).


Entscheidung

79. BGH 1 StR 583/06 - Urteil vom 19. Dezember 2006 (LG Landshut)

Keine Verletzung der Öffentlichkeit durch teilweise Aufrechterhaltung der Öffentlichkeit (Recht auf Nichtöffentlichkeit); verminderte Schuldfähigkeit bei Sexualdelikten im hohen Alter; redaktioneller Hinweis.

§ 338 Nr. 6 StPO; Art. 6 Abs. 1 EMRK; § 176 StGB; § 21 StGB; § 336 Satz 2 StPO

1. Eine nähere Erörterung der Schuldfähigkeit ist zwar nicht bei jedem Täter geboten, der jenseits einer bestimmten Altersgrenze erstmals Sexualstraftaten begeht. Sie kann aber dann angezeigt sein, wenn weitere Besonderheiten bestehen, die auf eine für die Beurteilung der Schuldfähigkeit relevante Möglichkeit altersbedingter Enthemmtheit hinweisen. Solche Besonderheiten ergeben sich nicht allein aus einer festgestellten Impotenz.

2. § 338 Nr. 6 StPO ist nur einschlägig, wenn die Öffentlichkeit in ungesetzlicher Weise beschränkt worden ist, also nicht, wenn unter Nichtanwendung oder Verletzung der Vorschriften über den möglichen Ausschluss der Öffentlichkeit öffentlich verhandelt worden ist (st. Rspr., vgl. schon BGHSt 10, 202, 206 f.).


Entscheidung

91. BGH 4 StR 421/06 - Urteil vom 14. Dezember 2006 (LG Essen)

Bandenmitgliedschaft (Feststellungen) und Täterschaft und Teilnahme bei Bandendelikten (tatbezogene Prüfung); Strafzumessung (Revisibilität).

§ 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 46 StGB

1. Die Frage, ob die Beteiligung an einer Bandentat Mittäterschaft oder Beihilfe ist, beurteilt sich auch beim bandenmäßigen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nach den allgemeinen Grundsätzen über die Abgrenzung zwischen diesen Beteiligungsformen (BGH NStZ 2002, 375, 377). Wesentliche Anhaltspunkte für die Beurteilung, ob ein Tatbeteiligter beim unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln Mittäter oder nur Gehilfe ist, sind insbesondere der Grad des eigenen Interesses am Erfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Tatbeteiligten abhängen (st. Rspr., vgl. nur BGH NStZ 1999, 451, 452; 2000, 482).

2. Betäubungsmittel vertreibt i.S.d § 6 Nr. 5 StGB, wer allein oder durch seine Mitwirkung ihren in der Regel entgeltlichen Absatz an andere fördert. Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts aus § 6 Nr. 5 StGB gilt auch für im Ausland begangene Beihilfehandlungen zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, sofern sich diese auf den unbefugten Vertrieb von Betäubungsmitteln beziehen. "Tat" im Sinne der §§ 3 ff. StGB ist auch die Teilnahme.

2. Schwerpunkt Besonderer Teil des StGB


Entscheidung

174. BGH 3 StR 246/06 - Urteil vom 31. August 2006 (LG Oldenburg)

Erpresserischer Menschenraub (Versuch; Vollendung; Zwei-Personen-Verhältnis; stabilisierte Bemächtigungssituation; Nötigungsmittel; Bemächtigungsmittel).

§ 239a StGB

1. Der Tatbestand des § 239a Abs. 1 StGB ist im Zwei-Personen-Verhältnis, insbesondere für Fälle des Sichbemächtigens, einschränkend auszulegen. Der Täter muss durch die Anwendung von Gewalt oder durch Drohungen gegen das Opfer eine stabile Bemächtigungslage schaffen und beabsichtigen, diese Lage für sein weiteres Vorgehen auszunutzen. Dabei muss dieser Lage mit Blick auf die erstrebte Erpressung eine eigenständige Bedeutung zukommen.

2. Mit der eigenständigen Bedeutung der Bemächtigungslage ist - insbesondere in Abgrenzung zu den Raubdelikten - lediglich gemeint, dass sich über die in jeder mit Gewalt verbundenen Nötigungshandlung liegende Beherrschungssituation hinaus eine weitergehende Drucksituation auf das Opfer gerade auch aus der stabilen Bemächtigungslage ergeben muss. Der erforderliche funktionale Zusammenhang liegt daher nicht vor, wenn sich der Täter des Opfers durch Nötigungsmittel bemächtigt, die zugleich unmittelbar der beabsichtigten Erpressung dienen, wenn also Bemächtigungs- und Nötigungsmittel zusammenfallen.

3. Der Vollendung des erpresserischen Menschenraubes steht nicht entgegen, dass die Erpressung im Versuchsstadium steckengeblieben ist. Anders als bei der 1. Alt. des § 239a Abs. 1 StGB genügt für § 239a Abs. 1 2. Alt. zwar nicht die bloße Erpressungsabsicht. Erforderlich, aber auch ausreichend ist jedoch, dass der Täter tatsächlich in erpresserischer Richtung tätig wird und zumindest in das Versuchsstadium der Erpressung eintritt.


Entscheidung

185. BGH 3 StR 366/06 - Urteil vom 23. November 2006 (LG Itzehoe)

Erpresserischer Menschenraub (Bemächtigungslage; Unausweichlichkeit).

§ 239a StGB

Eine stabilisierte Bemächtigungslage im Sinne von § 239a StGB setzt keine so umfassende Sicherung voraus, dass eine Schutz- oder Fluchtmöglichkeit ausgeschlossen ist. Auch in der Begleitung eines Opfers durch einen physisch überlegenen Bewacher, der entschlossen ist, etwaige Fluchtversuche zu unterbinden, kann daher eine solche Bemächtigung liegen.


Entscheidung

89. BGH 4 StR 419/06 - Urteil vom 14. Dezember 2006 (LG Saarbrücken)

Totschlag (Schütteln eines Kleinkindes; Vorsatz); Mord (Prüfung niedriger Beweggründe bei Teilmotiv, Ruhe vor einem schreienden Kleinkind zu haben: Aggressionsdurchbruch bei nervlicher Überforderung; Handeln zur Verdeckung einer Straftat).

§ 211 StGB; § 212 StGB; § 15 StGB

1. War der Täter in der Tatsituation nervlich überfordert und kam es deshalb und nicht aus einer auf tiefster Stufe stehenden, verwerflichen Gesinnung heraus zu einem Aggressionsdurchbruch und zu einer tödlichen Gewaltanwendung gegen ein schreiendes Kleinkind, kann der Tatrichter niedrige Beweggründe verneinen (vgl. hierzu BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 1, 31).

2. Hat der Täter das Tatopfer mit (bedingtem) Tötungsvorsatz misshandelt und unterlässt er es anschließend, zur Verdeckung dieses Geschehens Maßnahmen zur Rettung des zunächst überlebenden Opfers einzuleiten, so ist eine Strafbarkeit wegen Verdeckungsmordes durch Unterlassen schon deshalb nicht gegeben, weil es an einer für das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht "anderen" Straftat fehlt. Dies gilt selbst dann, wenn zwischen dem Handlungs- und Unterlassensteil eine zeitliche Zäsur liegt.


Entscheidung

150. BGH 2 StR 434/06 - Beschluss vom 1. Dezember 2006 (LG Erfurt)

Sexueller Missbrauch eines Kindes (Vornahme einer nicht mit Manipulationen am Körper verbundenen sexuellen Handlung); Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger (Dritter).

§ 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB; § 180 Abs. 3 StGB

1. Das Bestimmen eines Kindes zur Vornahme einer nicht mit Manipulationen an seinem Körper verbundenen sexuellen Handlung wird vom Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern gem. § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB in der Fassung des 6. Strafrechtsreformgesetzes nicht erfasst.

2. Erfasst werden nach dem Wortlaut des sexuellen Missbrauchs von Kindern gem. § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB in der Fassung des 6. Strafrechtsreformgesetzes nur sexuelle Handlungen, die ein Kind an - also nicht lediglich mit - seinem Körper vornimmt. Nur wer mit Berührungen verbundene Manipulationen am eigenen Körper vornimmt, nimmt eine Handlung an sich selbst vor.

3. Der Täter ist nicht "Dritter" im Sinne des Tatbestands der Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger gem. § 180 Abs. 3 StGB in der Fassung des 6. Strafrechtsreformgesetzes.


Entscheidung

111. BGH 5 StR 401/06 - Beschluss vom 10. Januar 2007 (LG Berlin)

Vollendung bei der schweren Brandstiftung (ein zur Wohnung von Menschen dienendes Gebäude: Kellerraum; Inbrandsetzen; durch die Brandlegung ganz oder teilweise zerstört; Versuch: Eignung, das Feuer mitzuteilen).

§ 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 21 StGB; § 22 StGB

1. Ein Kellerraum in einem Wohnhaus ist in der Tatbestandsalternative "in Brand setzen" mögliches Tatobjekt des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn das Feuer wesentliche Gebäudeteile erfasst hat oder es sich auf Gebäudeteile ausweiten kann, die für den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Gebäudes, also das Wohnen, wesentlich sind (BGHSt 48, 14, 21; vgl. auch BGH NJW 1999, 299 zu § 306 Nr. 2 StGB a. F.). Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn die in dem Kellerraum befindlichen Gegenstände ausbrennen.

2. Bei in einem Keller verlaufenden Versorgungsleitungen handelt es sich nicht um für den bestimmungsgemäßen Gebrauch wesentliche Gebäudeteile.

3. Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass die Tatbestandsalternative "ein Gebäude durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstören" sich an dem primären Schutzzweck des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB - Wohnen als "Mittelpunkt menschlichen Lebens" - ausrichtet und daher bei einer Brandlegung in einem Mehrfamilienhaus erst erfüllt ist, wenn eine zum Wohnen bestimmte "Untereinheit" dadurch für Wohnzwecke unbrauchbar geworden ist. Dies setzt voraus, dass wegen der Brandlegungsfolgen die Wohnung für eine beträchtliche Zeit - und nicht für 11 Stunden oder einen Tag - nicht mehr benutzbar ist (BGHSt 48, 14, 20).


Entscheidung

144. BGH 2 StR 382/06 - Beschluss vom 22. November 2006 (LG Bonn)

Beleidigung durch sexuelle Handlung (Kundgabe der Missachtung); Körperverletzung durch nicht einverständlichen Geschlechtsverkehr (üble, unangemessene Behandlung; erhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens); Vergewaltigung (Feststellungen für eine Gewaltanwendung).

§ 185 StGB; § 223 StGB; § 177 Abs. 2 StGB

1. Die Vornahme einer sexuellen Handlung erfüllt den Tatbestand der Beleidigung nur dann, wenn der Täter durch sein Verhalten zum Ausdruck bringt, der Betroffene weise einen seine Ehre mindernden Mangel auf. Eine solche Kundgabe ist in der sexuellen Handlung allein regelmäßig nicht zu sehen und erfüllt deshalb auch nicht den Tatbestand des § 185 StGB.

2. Auch ein Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung erfüllt nur dann den Tatbestand der Beleidigung, wenn nach den gesamten Umständen in dem Verhalten des Täters zugleich eine - von ihm gewollte - herabsetzende Bewertung des Opfers zu sehen ist.

3. Ein nicht einverständlicher Geschlechtsverkehr kann zwar eine üble, unangemessene Behandlung des Opfers im Sinne der Misshandlungsalternative der Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB darstellen. Die setzt jedoch eine mehr als nur unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens voraus.


Entscheidung

159. BGH 2 StR 470/06 - Beschluss vom 7. Dezember 2006 (LG Köln)

Urteilsgründe (Weitschweifigkeit; Revisionsfestigkeit); Misshandlung von Schutzbefohlenen (rohe, gefühllose, das Leiden des Tatopfers missachtende Gesinnung); gefährliche Körperverletzung.

§ 223 StGB; § 224 StGB; § 225 StGB; § 267 Abs. 3 StPO

1. Bei einer konkret gefährlichen Verwendung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch der "beschuhte Fuß" - genauer: der Schuh am Fuß des Täters ("befußter Schuh") - ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB.

2. Es ist Aufgabe des Richters, in den schriftlichen Urteilsgründen Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden und die Begründungen seiner Entscheidungen so zu fassen, dass der Leser die wesentlichen, die Entscheidung tragenden tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen ohne aufwändige eigene Bemühungen erkennen kann. Die Urteilsgründe dienen weder der Darstellung eines bis in verästelte Einzelheiten aufzuarbeitenden Gesamtgeschehens noch der Nacherzählung des Ablaufs der Ermittlungen oder des Gangs der Hauptverhandlung; sie sollen weder allgemeine Stimmungsbilder zeichnen noch das Revisionsgericht im Detail darüber unterrichten, welche Ergebnisse sämtliche im Hauptverhandlungsprotokoll verzeichneten Beweiserhebungen gehabt haben.

3. Die sogenannte "Revisionssicherheit" von Strafurteilen ist kein Selbstzweck, sondern ergibt sich aus ihrer Freiheit von Rechtsfehlern. Eine unnötige breite Darlegung von Nebensächlichkeiten, gedanklichen Zwischenschritten und Randgeschehen ist gerade nicht geeignet, Fehler zu vermeiden, welche den Bestand des Urteils gefährden; sie kann vielmehr den Blick für das Wesentliche verstellen und damit Rechtsfehler befördern.


Entscheidung

146. BGH 2 StR 388/06 - Beschluss vom 17. November 2006 (LG Wiesbaden)

Betrug (Vermögensverlust großen Ausmaßes; besonders schwerer Fall); Strafzumessung (Doppelverwertungsverbot).

§ 263 StGB; § 46 Abs. 3 StGB

1. Das Regelbeispiel des "Vermögensverlustes großen Ausmaßes" beim Betrug in einem besonders schweren Fall ist nach objektiven Gesichtspunkten zu bestimmen. Ein Vermögensverlust ist danach jedenfalls dann nicht von "großem Ausmaß", wenn er den Wert von 50.000 Euro nicht erreicht.

2. Ein Vermögensverlust großen Ausmaßes liegt bei einer bloßen Vermögensgefährdung nicht vor. Ist es nicht zu einem endgültigen Schaden gekommen, so kann lediglich im Hinblick auf die übrigen Umstände der Tat die Annahme eines unbenannten besonders schweren Falles in Betracht kommen.


Entscheidung

155. BGH 2 StR 447/06 - Beschluss vom 15. November 2006 (LG Bad Kreuznach)

Sexuelle Nötigung; Freiheitsberaubung; Konkurrenzen.

§ 177 StGB; § 239 StGB

Bildet die Freiheitsberaubung nur das tatbestandsmäßige Mittel zur Begehung eines anderen Delikts und geht die Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit nicht über das hinaus, was zur bloßen Tatbestandsverwirklichung notwendig ist, so kommt § 239 StGB als das allgemeine Delikt nicht zur Anwendung.


Entscheidung

84. BGH 4 StR 341/06 - Beschluss vom 17. Oktober 2006 (LG Landau)

Sexueller Missbrauch von Jugendlichen (Anwendbarkeit bei Kindern).

§ 176 StGB; § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB

1. § 182 StGB ist auch anwendbar, wenn das Tatopfer noch nicht 14 Jahre alt ist (vgl. BGHSt 42, 27, 29; 42, 51, 55; BGH NStZ 2000, 644). Daher kann ein Täter, der sich über das Alter des kindlichen Tatopfers irrt, nach § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB, der andernfalls im Wege der Gesetzeskonkurrenz von § 176 StGB verdrängt wird (vgl. BGHSt 42, 27), bestraft werden, sofern die Voraussetzungen dieser Vorschrift vorliegen (vgl. BGHSt 42, 27, 29 und 51, 55).

2. Das Gesetz geht nur bei § 176 StGB davon aus, dass ein Kind objektiv zur hinreichenden Selbstbestimmung nie in der Lage ist. Bei § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB bedarf es jedoch bei der Anwendbarkeit auf Kinder der konkreten Feststellung der mangelnden Fähigkeit zur Selbstbestimmung. Allein auf das kindliche Alter des Opfers darf insbesondere dann nicht abgestellt werden, wenn der Täter bezüglich des Alters unvorsätzlich handelt.


Entscheidung

145. BGH 2 StR 384/06 - Urteil vom 8. November 2006 (LG Frankfurt)

Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse (Blanko-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen); Betrug; Feststellung des Schuldumfanges bei Serientaten (Schätzung).

§ 278 StGB; § 263 StGB

Nach § 278 StGB macht sich ein Arzt strafbar, der ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen zum Gebrauch bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft wider besseren Wissens ausstellt. Hierunter fällt auch die Ausstellung eines solchen Zeugnisses ohne Untersuchung. Denn die Vorschrift soll die Beweiskraft ärztlicher Zeugnisse für Behörden und Versicherungsgesellschaften sichern; ein Zeugnis, das ein Arzt ohne Untersuchung ausstellt, ist als Beweismittel ebenso wertlos wie ein Zeugnis, das nach Untersuchung den hierbei festgestellten Gesundheitszustand unrichtig darstellt.