HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 94
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 452/06, Beschluss v. 30.11.2006, HRRS 2007 Nr. 94
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 31. Mai 2006 - soweit es den Angeklagten betrifft - mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Wirtschaftsstrafkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gemeinschaftlich begangenen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
Zu Recht beanstandet der Beschwerdeführer die Verletzung der Urteilsverkündungsfrist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift vom 2. November 2006 ausgeführt:
"Die Beweisaufnahme in der vorliegenden Sache wurde am 18. Mai 2006, dem 8. Hauptverhandlungstag, geschlossen (Prot. Bd. Bl. 24). An diesem Tag erging am Ende der Sitzung folgende Anordnung des Vorsitzenden: 'Die heutige Hauptverhandlung wird unterbrochen und fortgesetzt, wie bereits bestimmt, am Mittwoch 31. Mai 2006, 12.00 Uhr' (Prot. Bd. Bl. 27). An diesem Tag wurde die Hauptverhandlung nach der Feststellung der Anwesenheit mit der Urteilsverkündung fortgesetzt (Prot. Bd. Bl. 28). Damit hat das Landgericht gegen § 268 Abs. 3 StPO verstoßen. Danach muss, sofern das Urteil nicht am Schluss der Verhandlung verkündet wird, die Verkündung des Urteils spätestens am 11. Tage danach erfolgen, andernfalls mit der Hauptverhandlung von neuem zu beginnen ist. Die Elftagefrist begann am 18. Mai 2006 und endete am Montag, den 29. Mai 2006. Eine Verlängerung der Frist, wie im Fall des § 229 Abs. 2 StPO, gibt es bei der Unterbrechung der Hauptverhandlung unmittelbar vor der Urteilsverkündung nicht. § 268 Abs. 3 Satz 3 StPO verweist hierzu ausdrücklich nur auf § 229 Abs. 3 StPO, nicht aber auf § 229 Abs. 2 StPO (BGH NStZ 2004, 52).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann nur in Ausnahmefällen ein Beruhen des Urteils auf dem Verstoß ausgeschlossen werden (BGH aaO; BGHR StPO § 268 Abs. 3 Verkündung 1 und 2). Besondere Umstände, die einen solchen Ausnahmefall begründen könnten, sind hier jedoch nicht ersichtlich. Der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden der Strafkammer vom 17. Oktober 2006 kann lediglich entnommen werden, dass bis zum 18. Mai 2006 vorläufige Beratungen der Kammer, gegebenenfalls auch nur zu Teilfragen, stattgefunden haben, die endgültige Urteilsberatung sowie die schriftliche Fassung der Urteilsformel jedoch erst am 31. Mai 2006 unmittelbar vor der Urteilsverkündung erfolgt ist (Bd. LVI Bl. 11395 d.A.). Dies lässt die verzögerte Verkündung rechtfertigende Umstände nicht erkennen. Danach ist das Urteil aufzuheben."
Dem stimmt der Senat zu. Es hält an der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wie sie in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zitiert worden ist, fest (so auch noch der 5. Strafsenat im Beschluss vom 13. Oktober 2005 - 5 StR 432/05, StV 2006, 516). Demgegenüber neigt der 5. Strafsenat neuerdings in einem Beschluss vom 9. November 2006 - 5 StR 349/06 - mit einer die Entscheidung nicht tragenden Erwägung zu der Auffassung, die besondere Fristenregelung des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO sei "als Ordnungsvorschrift zu werten, auf deren Verletzung allein ein Urteil niemals im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO beruhen" könne. Dem vermag der erkennende Senat nicht folgen. Schon der klare Wortlaut der Vorschrift ("muss", "ist") lässt es ausgeschlossen erscheinen, der Vorschrift lediglich den Charakter einer bloßen - nicht revisiblen - Ordnungsvorschrift zu geben. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des 5. Strafsenats auch nicht aus der Neuregelung über die Höchstgrenze der regelmäßigen Unterbrechungsfrist für die Hauptverhandlung in § 229 Abs. 1 StPO durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBl. I 2198). Dieses Gesetz hat die Fristenregelung in § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO unberührt gelassen. Auch die Gesetzesmaterialien (BTDrucks. 15/999 S. 24/25 und 15/1508 S. 25) geben keinerlei Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber aus den der Änderung des § 229 Abs. 1 StPO zugrunde liegenden Erwägungen der unverändert gebliebenen, nach ihrem klaren Wortlaut als zwingendes Recht ausgestalteten Fristenregelung des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO nunmehr den Charakter einer bloßen Sollvorschrift beimessen wollte. Etwas anderes wäre allenfalls zu erwägen, wenn die Neuregelung des § 229 Abs. 1 StPO ihrerseits als disponibel ausgestaltet worden wäre. Das ist aber gerade nicht der Fall: Sinn und Zweck der Änderung des § 229 Abs. 1 StPO war es in erster Linie, dem Gericht eine größere Flexibilität bei der Terminsbestimmung einzuräumen, um dadurch rein formale Fortsetzungstermine ("Schiebetermine") weitgehend zu vermeiden; an dem zwingenden Charakter dieser Vorschrift als solchem hat der Gesetzgeber indes ungeachtet der Verlängerung der Unterbrechungsfrist ausdrücklich festgehalten (" ... muß die Verhandlung spätestens ... fortgesetzt werden."; BT-Drucks. aaO).
Für eine planwidrige Regelungslücke, nämlich eine durch den Gesetzgeber nur versehentlich unterbliebenen "Anpassung" der Fristenregelung des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO an die veränderte Unterbrechungsfrist des § 229 Abs. 1 StPO, sieht der Senat keinen Anhalt. Es stellt keinen unauflöslichen Wertungswiderspruch zu einer Ausweitung der Unterbrechungsfrist während der Hauptverhandlung dar, wenn dem Beschleunigungsgebot im Strafverfahren nach Schluss der Beweisaufnahme in besonderer Weise durch eine unverändert kurze Unterbrechungsfrist von höchstens 11 Tagen bis zur Urteilsverkündung Rechnung getragen wird. Zudem wäre es nicht Aufgabe der Rechtsprechung, eine etwaige planwidrige Regelungslücke entgegen dem eindeutigen Gesetzeswortlaut zu schließen; vielmehr obläge es dem Gesetzgeber, seinen Vorstellungen durch Schaffung einer entsprechenden Verweisungsnorm für die Zukunft Geltung zu verschaffen.
Die Sache ist deshalb, soweit sie den Beschwerdeführer betrifft, insgesamt neu zu verhandeln.
HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 94
Externe Fundstellen: NJW 2007, 448; NStZ 2007, 235; StV 2007, 229; StV 2007, 340
Bearbeiter: Karsten Gaede