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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Februar 2007
8. Jahrgang
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1. § 66a Abs. 2 Satz 1 StGB ist keine bloße Ordnungsvorschrift. Die Einhaltung der Frist stellt vielmehr eine grundsätzlich verbindliche materiellrechtliche Voraussetzung für die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung dar. (BGHSt)
2. Diese Zeitgrenze gilt nur für das erste tatrichterliche Urteil im Nachverfahren, aber nicht für nachfolgende Entscheidungen im Rahmen oder als Folge eines Rechtsmittelverfahrens. (Bearbeiter)
1. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist solchen Fällen vorbehalten, in denen erstmalig nach der Verurteilung und vor Ende des Strafvollzugs "neue Tatsachen" erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten hinweisen. Tatsachen sind nur dann neu, wenn sie das Ausgangsgericht auch bei pflichtgemäßer Wahrnehmung seiner Aufklärungspflicht nicht hätte erkennen können.
2. Eine "neue Tatsache" liegt nicht vor, wenn sich die Gefährlichkeit des Betroffenen ausschließlich als Folge einer zum Zeitpunkt der Verurteilung bereits bekannten, aber ex post betrachtet unbewältigten Suchtproblematik darstellt. In einem solchen Fall muss bereits das über die Anlasstat befindende Gericht, dem die Suchtproblematik bekannt ist, geeignete Maßnahmen zum Schutz der Allgemeinheit ergreifen, etwa neben der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt die Sicherungsverwahrung vorbehalten (§ 66a StGB) oder sogar anordnen (§§ 66, 72 Abs. 2 StGB).
3. Das Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung im Hinblick auf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt setzt ein hohes Maß an prognostischer Sicherheit voraus, dass mit der Unterbringung die vom Angeklagten ausgehende Gefahr beseitigt werden kann. Wird die Erwartung des Gerichts durch in der Suchterkrankung begründete und damit dem Gericht grundsätzlich erkennbare Umstände enttäuscht, so kann das Instrument der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht als Korrektiv der unrichtigen Prognose herangezogen werden.
1. Bei der Prüfung, ob die nachträgliche Sicherungsverwahrung anzuordnen ist, muss für die Frage der Erheblichkeit einer neuen Tatsache im Einzelfall auch berücksichtigt werden, dass das Gewicht einer neuen Tatsache im Laufe der Zeit abnimmt, wenn es sich um ein einmaliges Fehlverhalten während des Vollzugs handelt. Jedenfalls im Rahmen einer elf Jahre nach einem einzelnen Vorfall zu treffenden Entscheidung ist dieser allein regelmäßig nicht mehr als erhebliche neue Tatsache anzusehen.
2. Es ist rechtsfehlerhaft, bereits eine fehlende "positive Prognose" als ausreichende Grundlage für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung anzusehen. Denn es reicht verfassungsrechtlich gerade nicht aus, eine hohe Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten im Sinne des § 66b StGB bereits dann anzunehmen, wenn überwiegende Umstände allein auf eine künftige Delinquenz des Betroffenen hindeuten. Erforderlich ist vielmehr die Feststellung einer gegenwärtigen erheblichen Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit (BVerfG, Beschluss vom 23. August 2006 - 2 BvR 226/06).
1. Die "Unerlässlichkeit" kurzer Freiheitsstrafen im Sinne von § 47 Abs. 1 StGB bezieht sich nicht auf die Abgrenzung zu längeren Freiheitsstrafen, sondern zu Geldstrafen.
2. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist zwingend, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Davon darf auch nicht im Hinblick auf eine mögliche Maßnahme nach §§ 35, 36 BtMG abgesehen werden.
Eine Gefahr für die Allgemeinheit besteht nicht nur, wenn eine unbestimmte Vielzahl noch nicht näher individualisierter Personen betroffen ist. Für eine Gefährlichkeit i. S. des § 66 StGB genügt es, wenn vom Täter erhebliche rechtswidrige Taten nur gegen eine Einzelperson oder einen begrenzten Personenkreis - wie z. B. Familienangehörige - zu erwarten sind.
Es ist bedenklich, wenn Elemente der Lebensführung, die in keinem erkennbaren Zusammenhang zur Tat stehen, in die Sozialprognose nach § 56 StGB einbezogen werden. Jedenfalls ist ihre Heranziehung für eine negative Prognose regelmäßig nicht ausreichend. Ein mangelnder fester Wohnsitz oder mangelnde sichere Arbeitsstelle bilden lediglich keine Grundlage für eine positive Prognose.
Erlangt ist ein Vermögensvorteil dann, wenn der Tatbeteiligte die faktische Verfügungsgewalt über den Gegenstand erworben hat (vgl. BGH NStZ 2003, S. 198 f.). Allein daraus, dass der Angeklagte als Teil einer in ganz Europa tätigen Organisation von Rauschgifthändlern für den Transport der Drogen innerhalb Europas inklusive deren Zwischenlagerung und Verteilung allein zuständig war, folgt nicht, dass der Angeklagte selbst und nicht lediglich ein anderer Teil dieser Organisation die erzielten Erlöse erhalten hat. Eine Zurechnung nach den Grundsätzen der Mittäterschaft gemäß § 25 Abs. 2 StGB mit der Folge einer gesamtschuldnerischen Haftung käme nur dann in Betracht, wenn sich die Beteiligten darüber einig waren, dass dem Angeklagten zumindest Mitverfügungsgewalt über die jeweiligen Erlöse habe zukommen sollen (vgl. BVerfG StV 2004, 409, 411; BGH NStZ 2003, 198 f.) und er diese auch hatte.
Bei einer Verurteilung durch Strafbefehl ist eine Straftat nur dann im Sinne des § 55 Abs. 1 StGB vor der früheren Verurteilung begangen worden, wenn sie in die Zeit vor Unterzeichnung des Strafbefehls durch den Richter fällt (vgl. BGHSt 33, 230, 232).