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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Oktober 2006
7. Jahrgang
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1. Ein Beschwerdeführer, der bewusst wahrheitswidrig einen Verfahrensverstoß behauptet und sich zum Beweis auf ein als unrichtig erkanntes Protokoll beruft, handelt rechtsmissbräuchlich; seine Rüge ist unzulässig. (BGHSt)
2. Dies gilt auch, wenn er das sichere Wissen von der Unwahrheit erst nachträglich erlangt, die Rüge jedoch gleichwohl weiterverfolgt. (BGHSt)
3. Auch im Strafprozess gilt ein allgemeines Missbrauchsverbot. Ein Missbrauch prozessualer Rechte ist anzunehmen, wenn ein Verfahrensbeteiligter die ihm durch die Strafprozessordnung eingeräumten Möglichkeiten zur Wahrung seiner verfahrensrechtlichen Belange benutzt, um gezielt verfahrensfremde oder verfahrenswidrige Zwecke zu verfolgen. (Bearbeiter)
4. Ein missbräuchliches Verhalten wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Erhebung einer bewusst wahrheitswidrigen Verfahrensrüge sich auf die Beweiskraft eines - als fehlerhaft erkannten - Protokolls stützen kann. Denn durch § 274 StPO wird keine "prozessuale Wahrheit" geschaffen. Die Beweiskraft des Protokolls nach § 274 StPO verändert nicht die Tatsachen, macht aus Unwahrheit keine Wahrheit; die Vorschrift enthält vielmehr eine Beweisregel. (Bearbeiter)
1. Entscheidet der Vorsitzende, dass ein Zeuge entsprechend dem Regelfall des § 59 StPO in der Fassung des 1. Justizmodernisierungsgesetzes nicht vereidigt werden soll, und wird diese Frage weder kontrovers erörtert noch zum Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung nach § 238 Abs. 2 StPO gemacht, so ist, wenn der für die Vernehmung nach § 247 StPO aus dem Sitzungssaal entfernte Angeklagte dabei nicht anwesend ist, dieser Verfahr-
ensvorgang kein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung und der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO nicht gegeben. (BGHSt)
2. Der Senat lässt offen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen dies auch für den Fall gilt, dass der Vorsitzende an sich die Vereidigung für geboten erachtet, hiervon jedoch absieht, weil er eines der Vereidigungsverbote nach § 60 StPO für gegeben hält. (Bearbeiter)
1. Zur Wahrung der Unterbrechungsfrist nach § 229 Abs. 1 StPO durch "Schiebetermine" im Hinblick auf die Verlängerung der Frist von zehn Tagen auf drei Wochen durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz. (BGHR)
2. Eine Hauptverhandlung gilt dann im Sinne des § 229 Abs. 4 StPO als fortgesetzt und muss nicht wegen Überschreitung der Frist des § 229 Abs. 1 StPO ausgesetzt werden, wenn in dem Fortsetzungstermin zur Sache verhandelt und das Verfahren gefördert wird. (Bearbeiter)
3. Es kann offen bleiben, ob die Verlängerung der Unterbrechungsfrist des § 229 Abs. 1 StPO von zehn Tagen auf drei Wochen durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz zu einer Änderung der Rechtsprechung zu "Schiebeterminen" in bestimmten Konstellationen Anlass geben mag. Eine strengere Handhabung kommt jedenfalls für solche Fälle nicht in Betracht, in denen durch eine - wenn auch nur kurze - Verhandlung das Verfahren in der Sache selbst gefördert worden ist, namentlich eine Beweisaufnahme stattgefunden hat. (Bearbeiter)
4. Die Verlesung einer Urkunde, insbesondere auch eines Bundeszentralregisterauszugs, ist Teil der erforderlichen Beweisaufnahme zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten. Sie bringt das Verfahren voran und stellt sich als Sachverhandlung im Sinne einer fristwahrenden Fortsetzungsverhandlung dar, soweit sie nicht willkürlich auf mehrere Sitzungstage verteilt oder lediglich wiederholt wird. (Bearbeiter)
5. Für die Frage, ob zur Sache verhandelt und das Verfahren gefördert worden ist, kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob noch weitere verfahrensfördernde Handlungen möglich gewesen wären und der Fortsetzungstermin auch der Einhaltung der Unterbrechungsfrist diente. (Bearbeiter)
6. Unabhängig von den nach § 229 StPO eröffneten Unterbrechungsmöglichkeiten ist bei der Terminierung einer Hauptverhandlung das in Art. 5 Abs. 3 Satz 2, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK normierte Beschleunigungsgebot zu beachten. Dessen Verletzung kann insbesondere in Haftsachen auch in einer nicht mehr sachgerechten, zu lang gestreckten Terminierung gesehen werden. (Bearbeiter)
1. Allein der Umgang eines erkennenden Richters mit der Presse begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit, selbst dann nicht, wenn das Verhalten des Richters persönlich motiviert oder sogar unüberlegt war.
2. Maßstab für die Besorgnis der Befangenheit ist vielmehr, ob er den Eindruck erweckt, er habe sich in der Schuld- und Straffrage bereits festgelegt (vgl. BGH wistra 2002, 267, 268). Dies ist grundsätzlich vom Standpunkt des Angeklagten aus zu beurteilen. Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters ist dann gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Zunächst berechtigt erscheinendes Misstrauen ist nach umfassender Information über den zugrunde liegenden Vorgang möglicherweise gegenstandslos (vgl. BGHSt 4, 264, 269 f.; BGH NStZ-RR 2004, 208 jeweils m.w.N.).
1. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erfordert die schlüssige tatsächliche Behauptung einer Rechtsverletzung. Eine
entsprechende Vermutung in den Raum zu stellen, genügt nicht (hier: mangelnde Zulassung eines Verteidigers). Es ist Sache der Revision, die tatsächliche Tragfähigkeit ihrer Erwägungen zu überprüfen, wozu zum Beispiel ein Anfragen bei früheren Verteidigern geboten sein kann (vgl. BGH NStZ 2005, 283 f.; hierzu BVerfG StraFo 2005, 512 f.). Gebotener Vortrag kann nicht durch die Anregung ersetzt werden, der Senat möge prüfen, ob die angedeutete Möglichkeit eines Rechtsfehlers in tatsächlicher Hinsicht eine tragfähige Grundlage hat oder nicht.
2. Die Untervollmacht für einen Rechtsanwalt muss nicht notwendig schriftlich nachgewiesen werden.
3. Für die in einer Verteidigervollmacht vorformulierte Befugnis zur Erteilung von Untervollmacht gelten die Regeln über Allgemeine Geschäftsbedingungen in Verträgen. Ob die genannte Befugnis wirksamer Bestandteil der Vollmacht ist, richtet sich insbesondere nach § 305c Abs. 1 BGB. Sie ist allgemein gebräuchlich und daher nicht überraschend im Sinne des § 305c BGB.
4. Die Bevollmächtigung ist auch grundsätzlich nicht dahin eingeschränkt, dass jedenfalls ein Verteidiger, der aufgrund seiner Prozesserfahrung und seines Bekanntheitsgrades besonderes Vertrauen für sich in Anspruch nimmt, von einem ihm eingeräumten Recht, Untervollmacht zu erteilen, keinen Gebrauch machen dürfe.
5. Auch im Übrigen gibt es keinen Rechtsanspruch des Angeklagten, auch dann ausschließlich vom (Haupt-)Verteidiger verteidigt zu werden, wenn er uneingeschränkt die Befugnis zur Erteilung von Untervollmachten erteilt hat.
6. Das Gericht ist regelmäßig nicht verpflichtet, die Tätigkeit eines Verteidigers daraufhin zu überwachen, ob er seine Verteidigertätigkeit ordnungsgemäß erfüllt (vgl. BGH b. Holtz, MDR 1996, 120). Dies gilt nicht nur für die inhaltliche, sondern auch für die formale Gestaltung der Verteidigung. Macht der Verteidiger von einer ihm - wie dem Gericht bekannt ist - vom Angeklagten erteilten Befugnis Gebrauch, so braucht das Gericht dies im Grundsatz nicht zu hinterfragen.
Das Gesetz sieht lediglich die Herbeiführung einer dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters vors (§ 26 Abs. 3 StPO), die zur Gewährung des rechtlichen Gehörs dem Antragsteller mitzuteilen ist (BGHSt 23, 200, 203). Eine förmliche Beweisaufnahme über ein Ablehnungsvorbringen findet hingegen nicht statt. Es ist vielmehr dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts überlassen, mit welchen Mitteln es sich Kenntnis von dem Bestehen oder Nichtbestehen der maßgeblichen Tatsachen verschaffen will (vgl. BGHSt 21, 334, 347). Haben sich die Tatsachen vor dem selben Gericht ereignet, so kann dieses auf Grund eigener Wahrnehmungen ohne Weiteres die Entscheidung treffen.
Zwar entfalten objektive Belastungsindizien in der Regel über den sie betreffenden Einzelfall hinaus eine den Angeklagten belastende Wirkung auch für einen angelasteten Parallelfall (vgl. BGH wistra 2002, 260, 262; 430, 431). Diese Wirkung führt aber auch gemeinsam mit der Aussage einer Belastungszeugin nicht stets dazu, dass eine tragfähige Tatsachengrundlage für eine Verurteilung vorliegt. Einzubeziehen sind die Besonderheiten der jeweiligen Beweislage, wie etwa Qualitätsmängel der belastenden Aussage.
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass es, wenn die Feststellungen zu einer letztlich nicht umgesetzten großen Menge von Rauschgift auf die durch die Aussage eines Zeugen vom Hörensagen eingeführten Angaben einer gesperrten Vertrauensperson der Polizei gestützt sind, einer Bestätigung durch andere wichtige Beweisanzeichen auch hinsichtlich der den Schuldumfang mitprägenden Mengenangaben der Vertrauensperson bedarf (vgl. BGH NStZ 1994, 502; NStZ-RR 2002, 176). Hieraus ist aber nicht zu schließen, dass jedes Detail der Angaben einer gesperrten Vertrauensperson der Bestätigung durch weitere, außerhalb der Aussage selbst liegende Beweisergebnisse bedarf. Die Frage, ob die der Entscheidung des 5. Strafsenats vom 20. Juni 1994 - 5 StR 283/94 (NStZ 1994, 502) zu Grunde gelegten Anforderungen zu weit gehend formuliert sind und einer Einschränkung bedürfen, kann hier offen bleiben.
1. Bei gleichartiger Tateinheit ist in der Urteilsformel zum Ausdruck zu bringen, wie oft der Tatbestand verwirklicht wurde.
2. Arglosigkeit des Tatopfers und damit das Mordmerkmal der Heimtücke ist schon dann nicht gegeben, wenn das Opfer in der konkreten Tatsituation nur mit ernsthaften Angriffen auf seine körperliche Unversehrtheit rechnet; einen Angriff auf sein Leben muss es nicht erwarten.