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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Oktober 2006
7. Jahrgang
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1. Einzelfall einer aus Sicht des Revisionsgerichts überhöhten Reduzierung der Einzelstrafen um jeweils mindestens ein Drittel bis zur Hälfte verglichen mit der bei verzögerungsloser Aburteilung für angemessen erachteten Höhe nach rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung, mit der die Zweijahresgrenze des § 56 StGB gewahrt wurde.
2. Eine erhebliche strafmildernde Wirkung des Zeitfaktors als Folge justizieller Mängel widerstreitet generell den Zielen effektiver Verteidigung der Rechtsordnung; dies gilt namentlich im Bereich schwerer, zudem sozialschädlicher Wirtschaftskriminalität (vgl. BGHSt 50, 299, 308 f.).
1. Die Änderung der Rechtslage durch In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung, wonach gemäß § 66b Abs. 2 StGB (nachträgliche) Sicherungsverwahrung gegen Täter angeordnet werden kann, bei denen die Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB nicht erfüllt waren, ist keine neue Tatsache im Sinne des Gesetzes. Bei der Anlassverurteilung bereits bekannte oder erkennbare Tatsachen können "neuen Tatsachen" nicht deshalb gleichgesetzt werden, weil jene erst jetzt für die (nachträgliche) Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung eine Grundlage bilden können.
2. Neue Tatsachen der in § 66b StGB genannten Art sind nur solche, die nach der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz und vor Ende des Vollzugs der verhängten Freiheitsstrafe bekannt oder erkennbar geworden sind. Ob diese Tatsachen bereits im Ausgangs- oder in einem anderen Verfahren Grundlage - von der jetzigen Sicht abweichender - sachverständiger Bewertung waren, ist ohne Belang. Maßgeblich ist nicht die neue oder sogar erstmalige Bewertung von Tatsachen. Entscheidend ist vielmehr allein, ob die dieser Einschätzung zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen im Zeitpunkt der Aburteilung bereits vorlagen oder erkennbar waren (vgl. BGHSt 50, 180 [187]; BGHSt 50, 275 [278]; BGH NJW 2006, 1442 [1444]; BGH NStZ 2006, 155 [156, 12 Rdn. 3]).
3. Therapieunwilligkeit, die Verweigerung oder der Abbruch einer Therapie kann zwar grundsätzlich zu den in § 66b Abs. 1, 2 StGB genannten "neuen Tatsachen" gehören (vgl. BGHSt 50, 121 [126]; 275 [280 f.]). Dies kann allerdings nur dann als berücksichtigungsfähige "neue Tatsache" angesehen werden, wenn zum Zeitpunkt der Verurteilung anzunehmen war, der Verurteilte werde sich im Vollzug einer Therapie unterziehen.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann auch ein früheres Strafverfahren eine bei der Strafzumessung berücksichtigungstaugliche Warnfunktion auch dann entfalten, wenn es mit einer Einstellung nach § 170 Abs. 2, §§ 153 ff. oder § 260 Abs. 3 StPO oder gar mit einem Freispruch geendet hat (vgl. BGHSt 25, 64 m.w.N.). Dies erscheint im Hinblick auf die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK bedenklich.
2. Es ist bei § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB rechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Tatsache der Verwendung einer echten, wenn auch ungeladenen Schusswaffe, die schon optisch auf Grund ihrer Maße einen besonders bedrohlichen Eindruck macht, und die dadurch verursachten Folgen für das Opfer strafschärfend berücksichtigt wird (vgl. BGHSt 44, 103, 106; BGH NJW 1998, 3130, 3131).
1. Wer bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges (§ 69 Abs. 1 StGB) ein "typisches Verkehrsdelikt" begeht, verstößt regelmäßig dadurch gegen die Pflichten eines Kraftfahrers (vgl. Großer Senat für Strafsachen BGHSt 50, 93, 97, 103); dabei sind Verkehrsstraftaten nicht allein solche, die im Katalog des § 69 Abs. 2 StGB aufgeführt sind (aaO 103). Eine in diesem Sinne typische Verkehrsstraftat ist auch das Fahren ohne Fahrerlaubnis. Wem die Erlaubnis fehlt, mit dem Pkw am öffentlichen Straßenverkehr teilzunehmen, der verletzt, wenn er es trotzdem tut, eine typische Pflicht im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs - Teilnahme am öffentlichen Verkehr nur mit Erlaubnis - in besonders augenfälliger Weise. Freilich kann im Einzelfall eine andere Beurteilung in Betracht kommen.
2. Die Zurechnungsnorm des § 25 Abs. 2 StGB zwingt nicht dazu, dem Mittäter die von einem anderen Täter eigenhändig tatmehrheitlich begangenen Taten zur Last zu legen. Vielmehr ist jeder der Mittäter hinsichtlich der Frage des Vorliegens einer oder mehrerer Handlungen i.S.d. §§ 52, 53 StGB nur nach seinem individuellen Tatbeitrag zu beurteilen (vgl. BGH NStZ 1997, 121; BGHR StGB § 52 Abs. 1 Handlung dieselbe 29, jew. m.w.N.).
Ist dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch gegen den Täter oder Teilnehmer erwachsen, dessen Erfüllung diesem den Wert des aus der Tat Erlangten entziehen würde, so ist die Anordnung des Verfalls und des Wertersatzverfalls gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB grundsätzlich allein schon durch die Existenz dieser Forderung ausgeschlossen, ohne dass es darauf ankommt, ob der Verletzte bekannt ist, er den Täter oder den Teilnehmer tatsächlich in Anspruch nimmt oder hiermit zumindest noch zu rechnen ist (vgl. BGH NStZ 1984, 409 f.; NStZ-RR 2004, 242, 244; 2006, 138).
1. Ein so schwerwiegender Eingriff, wie ihn die Anordnung der zeitlich nicht befristeten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darstellt, verlangt vom Tatrichter eine Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten und dessen Entwicklung.
2. Für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus kann die Diagnose einer "Persönlichkeitsstörung" stets nur unter engen Voraussetzungen und nur dann genügen, wenn feststeht, dass der Täter auf Grund dieser Störung aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat. Für eine solche Annahme bedarf es einer Gesamtschau, ob die Störungen beim Täter in ihrer Gesamtheit sein Leben vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen.
3. Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung und der Erheblichkeit der darauf beruhenden Verminderung der Schuldfähigkeit ist maßgebend, ob es auch im Alltag außerhalb der Straftaten zu Einschränkungen des beruflichen oder sozialen Handlungsvermögens gekommen ist. Erst wenn das Muster des Denkens, Fühlens und Verhaltens sich im Zeitverlauf als stabil erwiesen hat, können die psychiatrischen Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB angesehen werden.