hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1441

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 164/24, Beschluss v. 16.07.2024, HRRS 2024 Nr. 1441


BGH 5 StR 164/24 - Beschluss vom 16. Juli 2024 (LG Berlin)

Verhältnis von Regelbeispiel und Qualifikation bei Verurteilung wegen Vergewaltigung (Strafrahmenbegrenzung).

§ 177 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Für die Entscheidung, ob die Indizwirkung des Regelbeispiels für den besonders schweren Fall ausnahmsweise wegen gewichtiger Milderungsgründe entfällt, ist - ähnlich wie bei der Prüfung der Voraussetzungen eines minder schweren Falles - auf das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit abzustellen. Sie kann durch besondere strafmildernde Umstände entkräftet werden, wenn diese für sich allein oder in ihrer Gesamtheit so schwer wiegen, dass sie das Tatunrecht oder die Schuld deutlich vom Regelfall abheben und daher die Anwendung des Strafrahmens für besonders schwere Fälle unangemessen erscheint.

2. Entgegen früherer Rechtsprechung zur alten Gesetzesfassung (vgl. BGH HRRS 2011 Nr. 317) stellt sich nach heutiger Gesetzeslage die Frage einer Strafrahmenbegrenzung gemäß § 177 Abs. 9 Halbsatz 2 StGB bei Annahme eines minder schweren Falles der Qualifikation gemäß § 177 Abs. 5 StGB durch den Strafrahmen des besonders schweren Falls gemäß § 177 Abs. 6 Satz 1 StGB zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nicht. Denn die vom Bundesgerichtshof zur alten Rechtslage entwickelten Grundsätze betrafen nur solche Fälle, in denen die erfüllten Qualifikationstatbestände (§ 177 Abs. 3 und 4 StGB a.F.) mit höherer Strafe als das Regelbeispiel bedroht waren (§ 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB a.F.). Dies ist nach der aktuellen Gesetzeslage nur im Verhältnis von § 177 Abs. 6 Satz 1 StGB und den Qualifikationstatbeständen des § 177 Abs. 7 und 8 StGB der Fall.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. Dezember 2023

im Schuldspruch in den Fällen II.2a und II.2b der Urteilsgründe (Taten 1 und 2) dahin geändert, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung im Fall II.2a (Tat 1) und wegen gefährlicher Körperverletzung im Fall II.2b (Tat 2) entfällt;

im Strafausspruch in den Fällen II.2a, II.2b und II.2d der Urteilsgründe (Taten 1, 2 und 4) und im Gesamtstrafausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Tat 3), wegen Vergewaltigung in drei Fällen (Taten 1, 2 und 4), davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Tat 2) und einem weiteren Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (Tat 1) unter Einbeziehung von Strafen aus einem früheren rechtskräftigen Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg und erweist sich im Übrigen als unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Der Schuldspruch hinsichtlich der Taten 1 und 2 bedarf der Änderung. Die Verurteilung wegen tateinheitlich begangener vorsätzlicher Körperverletzung bei Tat 1 und wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung bei Tat 2 hat zu entfallen, da insoweit Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist.

Der Lauf der nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB fünfjährigen Verjährungsfrist der vorsätzlichen Körperverletzung (Tat 1) und der nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB zehnjährigen Verjährungsfrist der gefährlichen Körperverletzung (Tat 2) begann mit Beendigung der Taten spätestens am 5. Januar 2006 (Tat 1) und am 6. Oktober 2008 (Tat 2) und endete im ersten Fall am 5. Januar 2011 und im zweiten Fall am 6. Oktober 2018. Das Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten wegen dieser Taten wurde erst am 22. Oktober 2021, nach Ablauf der Verjährungsfristen, aufgrund von Zeugenangaben der Schwester der Nebenklägerin in einem anderen Strafverfahren gegen den Angeklagten eingeleitet. Verjährungsunterbrechende Handlungen, wie zum Beispiel die Bekanntgabe des gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens an den Angeklagten (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB), gab es vor Verjährungseintritt nicht.

2. Der Strafausspruch in den Fällen der Taten 1, 2 und 4 hat keinen Bestand.

a) Die Strafrahmenwahl erweist sich zulasten des Angeklagten als rechtsfehlerhaft.

aa) Das Landgericht hat die Taten 1, 2 und 4 rechtlich als Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB (Fassung vom 13. November 1998) in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (Tat 1) und mit gefährlicher Körperverletzung (Tat 2) sowie hinsichtlich Tat 4 gemäß § 177 Abs. 5 Nr. 1 und Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB (Fassung vom 4. November 2016) gewertet und die Strafen jeweils dem Strafrahmen des besonders schweren Falles, in den ersten beiden Fällen gemäß § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB aF und bei Tat 4 gemäß § 177 Abs. 6 Satz 1 StGB, entnommen. Ein Absehen von der Regelwirkung hat es abgelehnt, weil die Nichtanwendung des Regelstrafrahmens nur ausnahmsweise, „bei ganz außergewöhnlichen Milderungsgründen“ in Betracht komme, die hier nicht gegeben seien. Diese Erwägung offenbart einen rechtsfehlerhaften Maßstab.

bb) Für die Entscheidung, ob die Indizwirkung des Regelbeispiels für den besonders schweren Fall ausnahmsweise wegen gewichtiger Milderungsgründe entfällt, ist - ähnlich wie bei der Prüfung der Voraussetzungen eines minder schweren Falles - auf das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit abzustellen. Sie kann durch besondere strafmildernde Umstände entkräftet werden, wenn diese für sich allein oder in ihrer Gesamtheit so schwer wiegen, dass sie das Tatunrecht oder die Schuld deutlich vom Regelfall abheben und daher die Anwendung des Strafrahmens für besonders schwere Fälle unangemessen erscheint (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2024 - 2 StR 477/23, NStZ-RR 2024, 140 f.; vom 1. August 2017 - 2 StR 185/17; Urteil vom 20. April 2016 - 5 StR 37/16, NStZ-RR 2016, 203; MüKoStGB/Maier, 4. Aufl., § 46 Rn. 126). Die vom Landgericht angenommenen höheren Anforderungen, wonach ein Entfallen der Regelwirkung nur bei Vorliegen von „ganz außergewöhnlichen Milderungsgründen“ möglich sei, bestanden hier nicht.

(1) Allerdings hat der Bundesgerichtshof für bestimmte Konstellationen schon unter Geltung des § 177 StGB aF angenommen, dass an ein Absehen von der Regelwirkung des § 177 Abs. 2 StGB aF gesteigerte Anforderungen zu stellen seien (vgl. BGH, Urteile vom 18. Oktober 2018 - 3 StR 292/18; vom 12. Januar 2011 - 5 StR 403/10, NStZ-RR 2011, 141 f.; vom 5. Juni 2003 - 3 StR 60/03 jeweils mwN). Dies betraf Fälle des Zusammentreffens eines Regelbeispiels nach § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB aF mit den eine höhere Strafe androhenden Qualifikationen des § 177 Abs. 3 Nr. 1 oder Abs. 4 Nr. 1 StGB aF. Insoweit hat das Tatgericht bei Annahme eines minder schweren Falles der Qualifikation (§ 177 Abs. 5 StGB aF) die (höhere) Strafuntergrenze des besonders schweren Falls (§ 177 Abs. 2 Satz 1 StGB aF) zu beachten, sofern dieser Strafrahmen auch ohne das Vorliegen der Qualifikation anzuwenden wäre. Denn es führe zu einem Wertungswiderspruch, wenn derjenige Täter, der zugleich ein Regelbeispiel und einen (mit höherer Strafe bedrohten) Qualifikationstatbestand erfülle, günstiger gestellt wäre, als der Täter, der kein Qualifikationsmerkmal verwirklicht hat (vgl. BGH, Urteile vom 16. August 2000 - 2 StR 159/00, BGHR StGB § 177 Abs. 5 Strafrahmenwahl 3; vom 7. März 2000 - 5 StR 30/00, BGHR StGB § 177 Abs. 5 Strafrahmenwahl 2), weshalb ein Absehen von der Regelwirkung des § 177 Abs. 2 StGB aF und ein Unterschreiten der Untergrenze dieses Strafrahmens nur bei Vorliegen ganz außergewöhnlich mildernder Umstände in Betracht komme (vgl. BGH, Urteile vom 18. Oktober 2018 - 3 StR 292/18; vom 12. Januar 2011 - 5 StR 403/10, NStZ-RR 2011, 141 f.; vom 5. Juni 2003 - 3 StR 60/03 ). Vielmehr habe sich das Tatgericht mit dem systematischen Zusammenhang zwischen dem Qualifikationstatbestand (§ 177 Abs. 3 und 4 StGB aF), der nur eine sexuelle Nötigung im Sinne des § 177 Abs. 1 StGB aF, nicht aber eine Vergewaltigung im Sinne des § 177 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 1 StGB aF voraussetzt, und dem Regelbeispiel auseinanderzusetzen (vgl. BGH aaO). Insbesondere genügte die bloße Bezugnahme auf die Erwägungen, die zur Annahme eines minder schweren Falls nach § 177 Abs. 5 Halbsatz 2 StGB geführt haben, nicht zur Begründung des Absehens auch vom Regelstrafrahmen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2011 - 5 StR 403/10 Rn. 9).

(2) Solche Konstellationen, die erhöhte Anforderungen an das Entfallen der Regelwirkung stellen, liegen in den zu beurteilenden Fällen nicht vor.

(a) Bei den Taten 1 und 2 hat der Angeklagte neben dem Grundtatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF, der in der früheren Fassung Gewalt als Nötigungsmittel umfasste, lediglich das Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB aF verwirklicht, mithin keine Qualifikation. Das Entfallen der Regelwirkung war daher nicht am strengeren Maßstab zu prüfen.

(b) Für Tat 4, hinsichtlich der die Vorschrift des § 177 StGB in der aktuellen Fassung anzuwenden ist, gilt hier nichts Anderes.

Dem steht nicht entgegen, dass mit Neufassung der Vorschrift durch das 50. StrÄndG vom 4. November 2016 (BGBl. I S. 2460) die Anwendung von Gewalt (nicht nur zu Nötigungszwecken) nunmehr die Voraussetzungen des Qualifikationstatbestands des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB erfüllt. Bisher - mangels Einsatzes eines Nötigungsmittels - straflose sexualbezogene Handlungen, die dem Willen des Opfers entgegenstehen, werden jetzt vom Grundtatbestand des § 177 Abs. 1 StGB als Vergehen erfasst („Nein heißt Nein“-Lösung; BT-Drucks. 18/9097, S. 21). Die Anwendung von Gewalt oder Drohung sowie das Ausnutzen einer schutzlosen Lage erfüllen den Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 5 StGB, dessen Strafrahmen dem des § 177 Abs. 1 StGB aF entspricht.

Die Frage einer Strafrahmenbegrenzung gemäß § 177 Abs. 9 Halbsatz 2 StGB bei Annahme eines minder schweren Falles der Qualifikation gemäß § 177 Abs. 5 StGB durch den Strafrahmen des besonders schweren Falls gemäß § 177 Abs. 6 Satz 1 StGB zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen stellt sich hier nicht, da der systematische Anknüpfungspunkt ein anderer ist. Der Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 5 StGB droht bei gleicher Strafobergrenze eine geringere Mindeststrafe als der des besonders schweren Falls gemäß § 177 Abs. 6 Satz 1 StGB an. Die vom Bundesgerichtshof zur alten Rechtslage entwickelten Grundsätze betrafen dagegen nur solche Fälle, in denen die erfüllten Qualifikationstatbestände (§ 177 Abs. 3 und 4 StGB aF) mit höherer Strafe als das Regelbeispiel bedroht waren (§ 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB aF). Dies ist nach der aktuellen Gesetzeslage nur im Verhältnis von § 177 Abs. 6 Satz 1 StGB und den Qualifikationstatbeständen des § 177 Abs. 7 und 8 StGB der Fall (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2024 - 6 StR 502/23, der auch eine Sperrwirkung hinsichtlich der Strafrahmenobergrenze annimmt, weil davon ausgegangen wird, dass § 177 Abs. 5 StGB und damit auch die Strafzumessungsregel des § 177 Abs. 6 StGB im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurücktrete). Dies ergibt sich aus Folgendem:

Der Strafrahmen des besonders schweren Falls des § 177 Abs. 6 Satz 1 und 2 Nr. 1 StGB (Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren) weist im Verhältnis zu dem der Qualifikation des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB (Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr) von vornherein eine höhere Strafandrohung auf, die dem Verhältnis zwischen Grundtatbestand und Regelbeispiel nach altem Recht entsprach (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB aF). Die gesetzliche Neukonzeption durch Schaffung von mit geringerer Strafe bedrohten Grundtatbeständen sexueller Handlungen (§ 177 Abs. 1 und 2 StGB) und einer Qualifikation (§ 177 Abs. 5 StGB), die ähnliche Verhaltensweisen umfasst, wie der frühere Grundtatbestand, hat nicht zur Folge, dass nunmehr höhere Anforderungen an das Entfallen der Regelwirkung zu stellen wären, sofern neben § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB nur die Qualifikation des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB erfüllt ist. Denn insoweit fehlt es an dem systematischen Anknüpfungspunkt für den von der Rechtsprechung herausgearbeiteten strengeren Maßstab. Die Frage einer Sperrwirkung des höheren Strafrahmens der Strafzumessungsregel, die sich erst bei Annahme eines minder schweren Falls der Qualifikation ergibt, stellt sich hier nicht (so wohl auch Matt/Renzikowski/Eschelbach, StGB, 2. Aufl., § 177 Rn. 159). Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Konstellation nicht grundsätzlich von Fällen des Zusammentreffens von Regelbeispiel und Grundtatbestand. Wird die Indizwirkung des Regelbeispiels verneint, bleibt es beim Strafrahmen der Qualifikation nach § 177 Abs. 5 StGB, auch wenn die Voraussetzungen eines minder schweren Falls nach § 177 Abs. 9 Halbsatz 2 StGB bejaht werden. Soweit in der Literatur andere Auffassungen vertreten werden (SSWStGB/Wolters, 6. Aufl., § 177 Rn. 118; MüKoStGB/Maier, 4. Aufl., § 46 Rn. 117; BeckOK StGB/Ziegler, 61. Ed. § 177 Rn. 82 und 145; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 177 Rn. 175), geschieht dies ausschließlich unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung zu § 177 StGB aF, was die hier aufgezeigte Besonderheit außer Acht lässt.

cc) Die Strafrahmenwahl weist einen weiteren Fehler zulasten des Angeklagten auf.

Das Landgericht hat dem Angeklagten straferschwerend zur Last gelegt, „keinerlei Reue“ gezeigt zu haben. Dies ist rechtsfehlerhaft. Einem Täter, der - wie hier - die Tat bestreitet, kann der Vorwurf fehlender Unrechtseinsicht oder Reue nicht gemacht werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2021 - 6 StR 7/21 mwN; vom 21. November 2018 - 1 StR 401/18, NStZ 2020, 601; vom 10. Januar 2017 - 4 StR 521/16, NStZ-RR 2017, 71; und vom 19. Januar 2016 - 4 StR 521/15; BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg, 61. Ed., § 46 Rn. 130), weil ihm anderenfalls ein die Grenzen des Zulässigen nicht überschreitendes Verteidigungsverhalten angelastet werden würde.

b) Auch auf die Strafzumessung im engeren Sinne wirkt sich der aufgezeigte Rechtsfehler der strafschärfenden Berücksichtigung fehlender Reue aus, weil er durch Bezugnahme erneut in die Abwägung eingeflossen ist.

Sollte darüber hinaus die Formulierung im Urteil betreffend die Tat 4, wonach der Angeklagte sich nicht durch das versuchte Eingreifen seiner Tochter und den Umstand, dass diese die Tat mitbekam, von der Ausführung hat abhalten lassen, so zu verstehen sein, dass ihm die Tatbegehung überhaupt vorgeworfen worden ist, begründete dies einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB und einen weiteren Rechtsfehler zu seinen Lasten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. November 2020 - 6 StR 328/20, NStZ-RR 2021, 104; vom 8. Januar 2015 - 2 StR 233/14; vom 3. Dezember 2009 - 4 StR 507/09, NStZ-RR 2010, 76).

c) Der Strafausspruch in den genannten Fällen beruht auf den aufgezeigten Rechtsfehlern. Dem steht nicht entgegen, dass in die Strafzumessung auch rechtsfehlerhafte Erwägungen zugunsten des Angeklagten eingeflossen sind. Eine eigene Strafzumessung des Revisionsgerichts mittels Saldierung von zugunsten und zulasten wirkender Rechtsfehler kommt nicht in Betracht.

Die für die Taten 1, 2 und 4 verhängten Einzelstrafen können deshalb keinen Bestand haben. Damit wird auch dem Gesamtstrafausspruch die Grundlage entzogen. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, da es sich lediglich um Wertungsfehler handelt.

d) Der Senat sieht Anlass zu folgenden ergänzenden Hinweisen:

Das neue Tatgericht wird unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbots (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) bei der Frage des Entfallens der Regelwirkung des § 177 Abs. 6 StGB im Fall der Tat 4 die Anwendung von Gewalt im Sinne von § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB als das Tatbild wesentlich prägenden Umstand zu berücksichtigen haben (vgl. BGH, Urteil vom 4. Januar 2024 - 5 StR 540/23 Rn. 16).

Zudem wird es die vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift aufgezeigten, zugunsten des Angeklagten wirkenden fehlerhaften Strafzumessungsgesichtspunkte in den Blick zu nehmen haben.

Dass der Angeklagte die Taten „innerhalb der Ehe beging und jedenfalls bis zur Geburt des ersten Kindes zwischen den Eheleuten Geschlechtsverkehr ohne Gewalt vollzogen wurde“, mindert weder die generelle Schutzwürdigkeit der sexuellen Selbstbestimmung des Tatopfers noch das Ausmaß der Verletzung dieses Rechts. Ob und wie sich vorhergehende einverständliche sexuelle Handlungen, etwa in einer bestehenden Intimbeziehung, auf das subjektive Erleben der Tat durch das Opfer ausgewirkt haben, kann nicht schematisch beantwortet werden, sondern ist anhand des vom individuellen Tatopfer empfundenen Leids in jedem Einzelfall zu bestimmen. Eine Entscheidung darf nicht auf Vermutungen zum typischen Verhalten in derartigen Situationen gegründet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Januar 2023 - 5 StR 386/22 Rn. 25, 27).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1441

Bearbeiter: Christian Becker