HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 165
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 401/18, Beschluss v. 21.11.2018, HRRS 2019 Nr. 165
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 24. Januar 2018 im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen in Tateinheit mit Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht in sechs Fällen und Körperverletzung durch Unterlassen in Tateinheit mit Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und sie im Übrigen freigesprochen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Das Landgericht hat in den Fällen II. 5., 7. und 8. der Urteilsgründe die Einzelstrafen dem nach § 13 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 225 Abs. 1 StGB entnommen und in den Fällen II. 3., 4. und 6. der Urteilsgründe jeweils minder schwere Fälle angenommen und den gemäß § 13 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 225 Abs. 4 StGB angewendet. Im Fall II. 9.b der Urteilsgründe hat die Jugendkammer der Strafzumessung den Strafrahmen des § 223 Abs. 1 StGB zugrunde gelegt.
Im Rahmen der konkreten Strafzumessung hat das Landgericht bei der Bemessung sämtlicher Einzelstrafen unter anderem „insbesondere zu Ungunsten der Angeklagten“ gewertet, dass sie das Ausmaß des eigenen Fehlverhaltens grundlegend falsch bewerte und nicht fähig sei, ihren eigenen Verursachungsanteil zu erkennen und hierfür Verantwortung zu übernehmen. Sie sehe sich als Teil ihrer Familie und damit weiterhin als Opfer ihres früheren Lebensgefährten, des nicht revidierenden Mitangeklagten M. ; ihre „zentrale und zu verantwortende Rolle als ‚Ermöglicherin‘ von dessen Misshandlungen“ sei sie nicht in der Lage einzusehen (UA S. 60). Mit dieser Erwägung inhaltlich im Zusammenhang stehend hat das Landgericht überdies das Nachtatverhalten der Angeklagten strafschärfend berücksichtigt, da diese während eines betreuten Umgangs beiden Kindern suggeriert habe, sie könnten schon bald wieder zu ihr zurückkehren. Dies zeige illusionistische und unrealistische Vorstellungen sowie, dass bei der Angeklagten „schlichtweg“ kein Verständnis für ihr eigenes Fehlverhalten bestehe und keine Verantwortungsübernahme gegeben sei (UA S. 61). Die Jugendkammer hat zudem zu Lasten der Angeklagten gewertet, dass ihr das Gewaltproblem ihres früheren Lebensgefährten bewusst gewesen sei.
2. Die Zumessungserwägungen des Landgerichts sind durchgreifend rechtsfehlerhaft.
a) Die strafschärfende Berücksichtigung der fehlenden Einsicht in ihren Verursachungsanteil an den Taten und einer fehlenden Verantwortungsübernahme begegnet rechtlichen Bedenken. Die Ausführungen legen nahe, dass die Jugendkammer insoweit auf eine fehlende Unrechtseinsicht der Angeklagten abgestellt hat. Ist ein Täter - wie vorliegend - geständig, kann ihm zwar grundsätzlich der Vorwurf mangelnder Unrechtseinsicht und Reue gemacht werden (Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 674; Theune in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 46 Rn. 209). Uneinsichtigkeit des Täters darf allerdings nur dann straferhöhend wirken, wenn sein Verhalten auf Rechtsfeindschaft, seine Gefährlichkeit und die Gefahr künftiger Rechtsbrüche schließen lässt (vgl. BGH, Urteile vom 8. Juni 1955 - 3 StR 86/55, NJW 1955, 1158 und vom 23. November 1983 - 3 StR 256/83, BGHSt 32, 165, 182 f.; Beschluss vom 9. Juni 1983 - 4 StR 257/83, NStZ 1983, 453; Schäfer/Sander/van Gemmeren, aaO).
Hier ist jedoch bereits nicht dargelegt, dass bei der Angeklagten überhaupt eine fehlende Unrechtseinsicht gegeben ist. Denn nach den Feststellungen hat sich die Angeklagte „zumindest ein Versagen als Mutter und damit ein eigenes Fehlverhalten attestiert“ und sich vor diesem Hintergrund in psychologische Behandlung begeben (UA S. 56). Damit liegt aber eine Unrechtseinsicht der Angeklagten vor. Für eine Unrechtseinsicht ist nicht erforderlich, dass der Täter sich der psychologischen Ursachen für die Tatbegehung bewusst ist und diese analysierend reflektiert. Genau darauf stellt die Jugendkammer aber maßgeblich ab, wenn sie zu Lasten der Angeklagten berücksichtigt, dass diese die Entstehungsbedingungen für die Straftat nicht nachvollziehen kann und das Ausmaß ihres eigenen Fehlverhaltens falsch bewertet.
Auf dieser Grundlage kann daher von vornherein auch nicht angenommen werden, dass das Verhalten der Angeklagten auf Rechtsfeindschaft, ihre Gefährlichkeit und die Gefahr künftiger Rechtsbrüche schließen lässt. Entsprechende Feststellungen hat die Jugendkammer auch nicht getroffen.
b) Zudem liegt in dem Abstellen darauf, dass der Angeklagten das Gewaltproblem des Mitangeklagten bewusst gewesen sei, eine unzulässige Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen gemäß § 46 Abs. 3 StGB, hier des erforderlichen Tatvorsatzes. Denn für eine Strafbarkeit gemäß §§ 225, 171 StGB wegen Unterlassens ist erforderlich, dass die Angeklagte wusste, dass ihre Kinder durch den Mitangeklagten geschlagen und verletzt werden, was die Jugendkammer für den Zeitraum spätestens ab Mitte Dezember 2016 auch festgestellt hat.
c) Schließlich geben die Formulierungen des Landgerichts im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne (UA S. 59 - 61) und die Erörterungen zur nicht gewährten Strafaussetzung zur Bewährung (UA S. 64 - 69), hier insbesondere zu § 56 Abs. 3 StGB, dem Senat Anlass darauf hinzuweisen, dass moralisierende Strafzumessungserwägungen im Urteil zu unterbleiben haben, da sie die Annahme nahe legen können, das Tatgericht habe sich bei der Bemessung der Strafe von sachfernen Gründen leiten lassen (BGH, Beschlüsse vom 26. September 2001 - 1 StR 394/01, juris Rn. 6; vom 14. August 2002 - 1 StR 272/02, NStZ 2002, 646 und vom 6. Februar 2018 - 2 StR 173/17, juris).
3. Der Senat hebt den Strafausspruch insgesamt auf. Er vermag nicht auszuschließen, dass sich die beanstandeten Strafzumessungserwägungen bei der Bemessung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe zum Nachteil der Angeklagten ausgewirkt haben. Die zugrunde liegenden Feststellungen sind von dem aufgezeigten Wertungsfehler nicht betroffen und werden daher von der Aufhebung nicht umfasst. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 165
Externe Fundstellen: NStZ 2020, 601; StV 2019, 442
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede