HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 221
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 406/23, Urteil v. 03.01.2024, HRRS 2024 Nr. 221
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 21. März 2023 wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte im Fall 1 der Anklageschrift freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten im Fall 2 der Anklageschrift wegen versuchten banden- und gewerbsmäßigen Betruges in Tateinheit mit Amtsanmaßung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet er sich mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Vom Vorwurf der Mitwirkung an einem weiteren qualifizierten Betrugsversuch (Fall 1 der Anklageschrift) hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen. Dies beanstandet die mit der Sachrüge geführte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft. Während das Rechtsmittel des Angeklagten zu verwerfen war, hat dasjenige der Staatsanwaltschaft Erfolg.
1. Das Landgericht hat zum Verurteilungsfall (Fall 2 der Anklageschrift) folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte schloss sich zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt spätestens am 29. März 2022 weiteren, zum Teil in der Türkei ansässigen, unbekannten Tätern in der Absicht an, sich gemeinschaftlich mit diesen durch wiederholte Betrugsstraftaten gegenüber älteren Menschen eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen. Die Gruppe agierte nach dem modus operandi „Falsche Polizeibeamte“. Der Angeklagte sollte dabei die Rolle eines sogenannten „Abholers“ übernehmen. Er kannte und billigte das Vorgehen der Tätergruppe. Er wusste, dass ihm ein wesentlicher Tatbeitrag zukam, und versprach sich hierfür nicht nur geringfügigen finanziellen Ausgleich.
Am 30. März 2022 rief ein Mitglied der Gruppierung bei dem zur Tatzeit 85-jährigen Zeugen G. an und gab sich als Kommissar der H. er Polizei aus. Er gab vor, dass ein in der Nähe festgenommener Einbrecher eine Liste bei sich geführt habe, auf der auch der Name des Zeugen aufgetaucht sei. Man müsse deswegen seine Vermögenswerte sichern. Nachdem der Zeuge G. auf Nachfrage angegeben hatte, 120.000 Euro Bargeld und vier Goldbarren in einem Schließfach zu verwahren, forderte der Anrufer ihn auf, sich zur Sparkasse zu begeben und die Wertsachen dort abzuholen. Im weiteren Verlauf wurde dem Zeugen avisiert, dass ein Polizeibeamter namens „R.“ vorbeigeschickt werde. Zugleich wurde der Angeklagte durch einen „Logistiker“ der Tätergruppe telefonisch instruiert, den Zeugen G. aufzusuchen, sich bei ihm als Polizeibeamter „R.“ auszugeben und das Bargeld sowie die Goldbarren abzuholen. Der Angeklagte war hierzu bereit, um sich und die übrigen Mitglieder der Gruppierung zu Unrecht zu bereichern.
Der Zeuge G. hatte den Täuschungsversuch jedoch von Anfang an durchschaut und nahm die Instruktionen nur zum Schein entgegen; parallel kooperierte er mit der Polizei, um die Täter zu überführen. Nachdem sich der Angeklagte tatplangemäß in dessen Wohnung begeben hatte, wurde er dort durch Polizeibeamte festgenommen.
2. Zum Fall 1 der Anklageschrift, in welchem der Angeklagte freigesprochen worden ist, hat das Landgericht folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Am 17. März 2022 um 12:33 Uhr rief ein männlicher Täter bei der 1938 geborenen Zeugin F. an und gab sich als Polizeibeamter vom „Einbruchsdezernat C. N.“ aus. Er teilte der Zeugin unter Hinweis auf die angebliche Festnahme eines Einbrechers und einen bei diesem gefundenen Zettel mit ihrer Kontonummer wahrheitswidrig mit, dass ihre Konten in Gefahr seien und er ihr Geld für 24 Stunden sichern wolle. Er forderte sie auf, ihr Geld aus ihrem Schließfach bei der Sparkasse zu holen. Auf dem Weg dorthin kamen der Zeugin Zweifel; in Kooperation mit der Polizei gab sie gegenüber den weiteren Anrufern fortan nur vor, deren Angaben Glauben zu schenken. Im Verlauf wurde sie durch einen weiteren angeblichen Polizeibeamten telefonisch unter anderem zu ihren Kindern befragt. Als sie zu deren Zahl widersprüchliche Angaben machte, sagte auf Seiten des Anrufers eine Person im Hintergrund: „Leg auf! Bruder, schick ihn weg!” Der Anrufer bat sodann um einen Moment und legte gegen 15:06 Uhr auf. Weitere Anrufe wurden nicht getätigt.
Gegen 15:05 Uhr beobachteten Polizeibeamte einen nicht näher identifizierten Mann, der sich zunächst „vom Tatort“ entfernte, sich nach kurzer Zeit aber in Richtung der Anschrift der Zeugin bewegte. Er wartete dort bis mindestens 15:21 Uhr in einem Hauseingang in der Nähe und telefonierte. Anschließend verließ er die Position zu Fuß und fuhr gegen 15:30 Uhr in einem Pkw davon.
Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der observierte Mann das Geld der Zeugin F. für die Anrufer abholen sollte („Abholer“). Bei ihm habe es sich um einen mutmaßlichen Mittäter im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB gehandelt. In den Täuschungshandlungen am Telefon sei zudem ein unmittelbares Ansetzen zum Betrug zu sehen.
Den Angeklagten hat die Strafkammer aus tatsächlichen Gründen vom Vorwurf einer Beteiligung am Fall 1 der Anklageschrift freigesprochen. Dabei hat sie offen gelassen, ob er der observierte Abholer gewesen ist. Denn unabhängig hiervon stehe es nicht zu ihrer Überzeugung fest, dass die am Tatort observierte Person subjektiv von einem fehlgeschlagenen Versuch ausgegangen sei. Zugunsten des Angeklagten sei daher davon auszugehen, dass die observierte Person freiwillig von der weiteren Tatausführung abgelassen habe. Ein Mittäter könne gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 StGB auch durch Unterlassen zurücktreten, wenn nur er die Vollendung herbeiführen könne und er im Zeitpunkt des Abbruchs (Rücktrittshorizont) wisse, dass ohne seinen Tatbeitrag die Tat nicht vollendet werden kann, oder wenn die Mittäter nach einem unbeendeten Versuch einvernehmlich nicht weiterhandelten, obwohl dies möglich gewesen wäre.
Diese Entscheidung hat das Landgericht näher damit begründet, dass „die Annahme eines fehlgeschlagenen Versuches lediglich gleich wahrscheinlich mit einer freiwilligen Tataufgabe durch die observierte Person“ sei. Zweifel an der Freiwilligkeit eines Rücktritts seien jedoch zugunsten des Täters zu lösen.
Zwar erscheine mit der „Anklagehypothese“ möglich, dass die mutmaßlichen Mittäter aufgrund der widersprüchlichen Angaben der Zeugin F. zur Zahl ihrer Kinder misstrauisch wurden und es nicht mehr für möglich hielten, den Tatplan mit den vorhandenen Mitteln zu Ende zu führen, da sie entdeckt wurden. „Diese Zweifel hätten sie demnach an den vor Ort befindlichen Abholer weitergeleitet und dieser hätte in der Folge die Herbeiführung des Taterfolgs mit den eingesetzten Mitteln nicht mehr für möglich gehalten“.
Eine entsprechende Überzeugung, nämlich dass die Aufgabe der weiteren Tatausführung auf der Annahme der Entdeckung der Anrufer beruhte und die vor Ort befindliche Person „von diesen hierüber informiert und ebenso der Ansicht war, dass die geplante Geldübergabe für sie nicht zu erreichen war“, hat sich die Strafkammer aber nicht zu bilden vermocht. Denn es handele sich hierbei lediglich um einen möglichen, aber keinen zwingenden Rückschluss, für den es mit Ausnahme des Abbruchs und der Inhalte des Telefonates und einem ca. 25 Minuten späteren Verlassens der Tatortnähe seitens des observierten Abholers keine weiteren objektiven Anhaltspunkte gebe. Es bestehe „insoweit kein allgemeiner Erfahrungssatz dahingehend, dass bei gleichgelagerten Taten stets sämtliche Informationen an vor Ort agierende Abholer weitergeleitet“ würden.
Gegen die „Hypothese der Anklage“ spreche auch die in der Regel untergeordnete Rolle der Abholer im Täterkonstrukt. Selbst wenn man der Hypothese eines Informationsaustausches folge, sei eine einvernehmliche freiwillige Tataufgabe der Anrufer und des Abholers aus anderen Gründen ebenso wahrscheinlich, zum Beispiel ein Einsatz des Abholers an anderer Stelle. „Genauso gut möglich“ sei eine Aufgabe wegen einer zu geringen Tatbeute im Vergleich zum weiteren Aufwand oder wegen einer Weigerung des Abholers aus anderen Gründen „wie Scham, Hemmung etc.“.
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zu seinen Lasten ergeben.
Die wirksam auf den Freispruch des Angeklagten im Fall 1 der Anklageschrift beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Sie führt insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, da die zugehörige Beweiswürdigung (§ 261 StPO) sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht standhält.
Das Revisionsgericht muss es zwar grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht Zweifel an dem Vorliegen eines den Angeklagten belastenden Sachverhalts nicht zu überwinden vermag. Denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich deshalb darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt, oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 10. November 2021 - 5 StR 127/21 mwN; vom 24. November 2022 - 5 StR 309/22).
Die dem Freispruch zugrundeliegende Beweiswürdigung weist jedoch in mehrfacher Hinsicht Lücken auf (nachfolgend Ziffer 1 und 2). Zudem hat sich die Strafkammer zugunsten des Angeklagten teilweise rechtsfehlerhaft auf rein theoretische Erwägungen gestützt (nachfolgend Ziffer 3).
1. Das Landgericht ist zugunsten des Angeklagten von einem freiwilligen Rücktritt des Abholers vom versuchten, mittäterschaftlich begangenen Betrug nach § 24 Abs. 2 Satz 1 StGB ausgegangen, weil es sich nicht mit der nötigen Sicherheit von demjenigen Geschehensablauf zu überzeugen vermochte, der nach seiner Auffassung als einzig denkbarer zur Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs und damit zur Verneinung eines Rücktritts geführt hätte. Dabei hat es jedoch - offensichtlich in Verkennung des für die Rücktrittsprüfung anzuwendenden rechtlichen Maßstabs - eine sich angesichts der übrigen Feststellungen aufdrängende Sachverhaltsalternative nicht erkennbar in den Blick genommen, die ebenso einen Fehlschlag begründen könnte (vgl. zur Lückenhaftigkeit einer Beweiswürdigung in Fällen, in denen - obwohl der Sachverhalt dazu drängt - eine naheliegende Möglichkeit des Tathergangs außer Betracht gelassen wird BGH, Beschluss vom 21. Juni 1982 - 4 StR 299/82; Urteil vom 26. Juni 2003 - 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35; LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 337 StPO Rn. 129 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 337 Rn. 29).
a) Nach Ansicht der Strafkammer habe ein fehlgeschlagener Versuch für den Abholer gemäß der „Anklagehypothese“ nur dann in Betracht kommen können, wenn die Anrufer von einer Entdeckung ihrer Tat ausgegangen wären und dies an den Abholer „weitergeleitet“ hätten, so dass dieser „in der Folge die Herbeiführung des Taterfolgs mit den eingesetzten Mitteln nicht mehr für möglich“ gehalten habe. Ein Fehlschlag setze mithin voraus, dass der Abholer nach umfassender Information seitens der Anrufer „ebenso der Ansicht war, dass die geplante Geldübergabe für sie nicht zu erreichen war“. Deutlich wird diese Einschätzung auch anhand der im Urteil angeführten Gegenargumente, wonach „kein allgemeiner Erfahrungssatz dahingehend“ bestehe, dass „bei gleichgelagerten Taten stets sämtliche Informationen an vor Ort agierende Abholer weitergeleitet“ würden, den Abholern zudem in der Regel nur eine untergeordnete Rolle im Täterkonstrukt zukomme und selbst unter der „Hypothese eines Informationsaustausches“ eine einvernehmliche freiwillige Tataufgabe der Anrufer und des Abholers aus anderen Gründen ebenso wahrscheinlich sei wie die Annahme eines Fehlschlags.
b) Mit der Annahme, ein Fehlschlag könne in den Fällen des § 24 Abs. 2 StGB nur kraft einer auf Informationsgleichstand beruhenden gemeinsamen Entscheidung aller Tatbeteiligten eintreten, ist das Landgericht von einem zu engen rechtlichen Maßstab ausgegangen.
Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt, oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Ansetzens bedürfte, liegt ein Fehlschlag vor (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2020 - 4 StR 587/19, NStZ-RR 2020, 102; vom 21. August 2018 - 3 StR 205/18, NStZ 2018, 718).
Da § 24 StGB einen persönlichen Strafaufhebungsgrund normiert (BGH, Urteile vom 20. April 2016 - 2 StR 320/15, BGHSt 61, 188; vom 17. März 2022 - 4 StR 223/21), ist die Frage nach einem fehlgeschlagenen Versuch dabei für jeden Tatbeteiligten gesondert zu prüfen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. September 2006 - 4 StR 347/06, NStZ 2007, 91; vom 24. Januar 2023 - 6 StR 488/22, NStZ 2023, 541). In den Fällen des § 24 Abs. 2 StGB ist für die Beurteilung allein die persönliche Sicht jedes einzelnen Beteiligten entscheidend (LKStGB/Murmann, 13. Aufl., § 24 Rn. 450).
c) Für den Abholer lag ein Fehlschlag folglich dann vor, wenn gerade er subjektiv die Vollendung der Tat nicht mehr für möglich hielt. Entgegen der Einschätzung der Strafkammer musste eine solche Vorstellung nicht auf einem gemeinsamen Informationsstand aller Beteiligten beruhen und von den Anrufern auch nicht geteilt werden. Vielmehr war bei der Würdigung der vorhandenen Indizien die vom Landgericht selbst ins Feld geführte typischerweise untergeordnete Position eines Abholers zu berücksichtigen sowie der Umstand, dass er nach dem modus operandi einschlägiger Betrugsfälle - wie auch im Fall 2 der Anklageschrift ersichtlich - nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Tat beitragen kann, wenn es den Anrufern zuvor gelungen ist, das Tatopfer zur Preisgabe seiner Vermögenswerte zu bewegen. Entsprechend wird aus Sicht eines Abholers mangels eigenem Kontakt zum Tatopfer regelmäßig schon dann alle Erfolgsaussicht schwinden, wenn die Anrufer ihre Bemühungen vorzeitig abbrechen, ganz gleich, ob und gegebenenfalls welche Gründe diese hierfür mitteilen, und unabhängig davon, ob er genannte Gründe für stichhaltig erachtet oder nicht.
Die Situation eines derartig mitgeteilten Abbruchs drängte sich hier nicht nur angesichts des beobachteten Verhaltens des Abholers (Telefonat, anschließend Entfernung vom Wohnort des Opfers) auf, sondern auch aufgrund der mitgeteilten und naheliegend auf den Abholer zielenden Äußerung auf Seiten der Anrufer („schick ihn weg“). Das Landgericht hätte diese Sachverhaltsvariante daher in seine Überlegungen einbeziehen müssen.
2. Das Landgericht hat zugunsten des Angeklagten einen auf gemeinsamer Einschätzung aller Tatbeteiligten beruhenden Fehlschlag verneint, weil es die in den Blick genommenen weiteren Sachverhaltsalternativen als „gleich wahrscheinlich“ bewertet hat. Dies soll gelten für die Möglichkeit einer einvernehmlichen freiwilligen Tataufgabe der Anrufer und des Abholers, zum Beispiel wegen eines Einsatzes des Abholers an anderer Stelle, für eine Aufgabe wegen einer zu geringen Tatbeute im Vergleich zum weiteren Aufwand sowie für eine Aufgabe wegen einer Weigerung des Abholers aus anderen Gründen „wie Scham, Hemmung etc.“. Bei der zugrunde liegenden Würdigung hat die Strafkammer jedoch wesentliche Gesichtspunkte nicht beleuchtet und hat daher auch versäumt, die hierzu erforderlichen Feststellungen zu treffen.
So hat das Landgericht seine Beurteilung der Wahrscheinlichkeitsgrade der Sachverhaltsalternativen vorgenommen, ohne zu klären, ob es sich bei dem observierten Abholer um den Angeklagten gehandelt hat oder nicht. Eine Aussage hierzu wäre jedoch geboten gewesen, da die übrigen Feststellungen zu persönlichen Verhältnissen und Verhalten des Angeklagten möglicherweise Schlüsse auf die Wahrscheinlichkeit der verschiedenen Szenarien erlaubt hätten. Die zahlreichen Vorstrafen des Angeklagten wegen Vermögensdelikten könnten etwa gegen die vom Landgericht in Betracht gezogene Tataufgabe aus Scham sprechen. Gleiches kann für seine Beteiligung am Fall 2 der Anklageschrift gelten, welche der Tat aus Fall 1 der Anklageschrift im Abstand von nur rund zwei Wochen nachfolgte. Der Wert der dort erhofften Beute hätte zudem als Anhaltspunkt für oder gegen die Erwägung dienen können, welche die Strafkammer zum Verhältnis von Aufwand und Ertrag der abgebrochenen Tat angestellt hat.
Es kommt hinzu, dass aus den Urteilsgründen nicht erkennbar wird, aufgrund welcher Verdachtsmomente dem Angeklagten überhaupt zur Last liegt, auch im Fall 1 der Anklageschrift der Abholer gewesen zu sein. Daher bleibt offen, ob sich die Parallelen zwischen den beiden angeklagten Fällen auf die aus den Feststellungen erkennbar werdenden Umstände beschränken (gleicher modus operandi, jeweils ein unter dem Namen „Ro.“ auftretender Anrufer, in H. wohnhafte Opfer), oder ob noch weitere Gesichtspunkte vorhanden sind, die zu Rückschlüssen aus der festgestellten Täterschaft des Angeklagten im Fall 2 der Anklageschrift Anlass geben könnten.
3. Überdies hat das Landgericht seinen „gleich wahrscheinlichen“ Alternativsachverhalten mehrfach rein hypothetische Erwägungen zugrunde gelegt. Jedoch ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 26. April 2023 - 5 StR 457/22 mwN; vom 19. Juli 2023 - 5 StR 36/23).
Das betrifft hier etwa den erwogenen Einsatz des Abholers an anderer Stelle, da keinerlei Anhaltspunkte dafür mitgeteilt werden, dass die Tätergruppe zeitgleich dabei war, weitere Opfer zur Übergabe von Vermögensgegenständen zu bewegen und dabei auf zu wenige Abholer zurückgreifen konnte. Es gilt ebenso für die Überlegung zu einer zu geringen Tatbeute im Vergleich zum weiteren Aufwand. Hierfür fehlt es schon an Feststellungen dazu, von welchem Beuteumfang die Täter im Fall der Zeugin F. ausgingen. Zudem erschließt sich nicht, welche anstehenden Aufwendungen sich die Täter durch einen Abbruch der laufenden Tat noch hätten ersparen können. Auf nicht mehr als einer theoretischen Annahme fußt schließlich auch die für möglich erachtete Weigerung des Abholers aus anderen Gründen wie Scham oder Hemmung.
Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob sich ein unrichtiger Maßstab für die vorgenommene richterliche Überzeugungsbildung zusätzlich darin offenbart, dass die Strafkammer der Möglichkeit eines fehlgeschlagenen Versuchs auch entgegen gehalten hat, dass ihr lediglich ein möglicher, aber „kein zwingender Rückschluss“ zugrunde liege (vgl. hierzu nur BGH, Urteil vom 16. Februar 2022 - 5 StR 320/21, NStZ 2023, 568).
Der freisprechende Teil des Urteils beruht auf den Rechtsfehlern (§ 337 Abs. 1 StPO). Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Die zugehörigen Feststellungen sind schon deswegen aufzuheben, weil sie den Angeklagten potentiell belasten und für ihn mangels Beschwer nicht mit einem Rechtsmittel angreifbar waren (vgl. BGH, Urteile vom 21. April 2022 - 3 StR 360/21, NJW 2022, 2349; vom 8. November 2023 - 5 StR 259/23).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 221
Bearbeiter: Christian Becker