hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1393

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 259/23, Urteil v. 08.11.2023, HRRS 2023 Nr. 1393


BGH 5 StR 259/23 (alt: 5 StR 306/21) - Urteil vom 8. November 2023 (LG Hamburg)

Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten zur Bewährung (Verteidigung der Rechtsordnung; Gesamtwürdigung; politische Straftaten; demonstrative Begehung; spezielle Generalprävention; Nachahmungseffekt.

§ 56 Abs. 3 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten zur Bewährung ist nach § 56 Abs. 3 StGB ausgeschlossen, wenn sie für das allgemeine Rechtsempfinden unverständlich erscheinen müsste und dadurch das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert und die Aussetzung von der Allgemeinheit als ungerechtfertigtes Zurückweichen vor der Kriminalität angesehen werden könnte. Ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung gebietet, ist deshalb unter allseitiger Würdigung von Tat und Täter zu entscheiden, wobei generalpräventiven Erwägungen Bedeutung zukommt.

2. Die demonstrative Begehung einer Straftat um ihrer allgemeinen Wahrnehmung willen beinhaltet einen direkten Angriff auf den öffentlichen Frieden und stellt die Geltung der Rechtsordnung gezielt infrage. Will das Tatgericht in solchen Fällen eine verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzen, ist im Rahmen der Prüfung von § 56 Abs. 3 StGB zu erörtern, wie dem somit gesteigerten Bedürfnis einer Verteidigung der Rechtsordnung bei einer Strafaussetzung gerecht zu werden ist.

3. Zu den durch § 56 Abs. 3 StGB abgesicherten Aufgaben der Strafe gehört es auch, künftigen ähnlichen Rechtsverletzungen potentieller Täter vorzubeugen (sog. „spezielle Generalprävention“). Der „Nachahmungseffekt“ für potentielle Täter darf bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände deshalb nicht außer Betracht bleiben.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Generalstaatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 24. Februar 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte im ersten Rechtsgang mit Urteil vom 5. November 2020 wegen „Verabredung zu einer Brandstiftung“ in Tateinheit mit Beihilfe zum vorsätzlichen Besitz und Führen eines waffenrechtlich verbotenen Gegenstands zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Auf die Revision der Angeklagten hat der Senat mit Beschluss vom 11. Mai 2022 (5 StR 306/21) das Urteil auf eine Verfahrensrüge hin mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist.

Nunmehr hat das Landgericht die Vollstreckung der Freiheitsstrafe mit dem angegriffenen Urteil zur Bewährung ausgesetzt. Dagegen wendet sich die Generalstaatsanwaltschaft, deren zuungunsten der Angeklagten eingelegtes Rechtsmittel vom Generalbundesanwalt vertreten wird, mit einer auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

1. Nach den bindenden Feststellungen des Urteils aus dem ersten Rechtsgang gehört die nicht vorbestrafte Angeklagte der linksextremen Szene in H. an und verfolgt eine staatsablehnende und polizeifeindliche Gesinnung. Sie schloss sich mit zwei im gleichen Verfahren Verurteilten sowie mit einem unbekannt gebliebenen Mittäter zusammen, um in den frühen Morgenstunden des 8. Juli 2019 an vier unterschiedlichen Orten im H. er Stadtgebiet zeitgleich Brandanschläge zu begehen. Die Taten sollten sich nach der Intention der vier Beteiligten nach außen hin als einheitliche, öffentlichkeitswirksame Aktion anlässlich des zweiten Jahrestags des am 7. und 8. Juli 2017 in H. durchgeführten G20-Gipfels darstellen. Mit ihr wollten sie sich mit den damals insbesondere von der linksextremistischen Szene ausgegangenen Ausschreitungen solidarisieren und zugleich „Widerstand“ gegen die als feindlich betrachtete H. er Wohnungswirtschaft leisten, deren Vertreter schon in der Vergangenheit wiederholt Opfer linksextremistischer Straftaten geworden waren.

Als Anschlagsziele waren vorgesehen: Ein seinerzeit von jedenfalls elf Parteien bewohntes fünfgeschossiges Mehrfamilienhaus im Stadtteil W., in dem sich die Wohnung der H. er Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen befand, ein im Stadtteil S. abgestelltes Fahrzeug der Firma V. sowie je ein mehrgeschossiges Bürogebäude in den Stadtteilen N. und Wa., wobei sich in einem die Niederlassung eines Maklerunternehmens sowie im anderen die H. er Zentrale der Firma V. befand.

Die Beteiligten hatten verabredet, dass an jedem der vier Anschlagsorte durch jeweils einen von ihnen ein speziell hierfür hergestellter Brandsatz entzündet werden sollte. Dies sollte zeitgleich geschehen, auch um den Einschüchterungseffekt auf die hinter den Anschlagszielen stehenden Personen und Institutionen sowie auf weitere Vertreter der Wohnungswirtschaft zu verstärken.

Die Brandsätze bestanden jeweils aus einer Flasche, die mit 530 ml Otto-Kraftstoff befüllt und mit einer wie ein Zeitzünder wirkenden Anzündvorrichtung versehen war. Diese sollten nicht lediglich isoliert abbrennen. Das ausgewählte Fahrzeug sollte vielmehr ausbrennen. Die Gebäude sollten jeweils entweder selbst beschädigt werden oder es sollten andere nahegelegene Brandlasten vom Feuer erfasst und zerstört oder erheblich beschädigt werden, um die erwünschte Einschüchterung der betreffenden Adressaten sowie eine öffentlichkeitswirksame Signalwirkung des „Widerstands“ gegen die H. er Wohnungswirtschaft zu erreichen. Dass die betroffenen Gebäude nach dem Tatplan der Angeklagten auch selbständig ohne Fortwirkung des Brandbeschleunigers hätten weiterbrennen oder durch die Brandlegung ganz oder teilweise hätten zerstört werden sollen, konnte nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden.

Kurz nach Mitternacht am 8. Juli 2019 traf sich die Angeklagte mit den beiden inzwischen rechtskräftig verurteilten Mitangeklagten in einer Grünanlage, um die für die Begehung der Anschläge benötigten Gegenstände, insbesondere die vier Brandsätze, untereinander aufzuteilen und dann zur Tatausführung zu den jedem von ihnen zugewiesenen Anschlagszielen aufzubrechen. Noch bevor der vierte Tatbeteiligte eingetroffen war, wurden sie - auf einer Parkbank sitzend - von Zivilbeamten der Landesbereitschaftspolizei aufgrund einer gefahrenabwehrrechtlichen Anordnung überprüft, durchsucht und schließlich festgenommen.

Während des Ermittlungsverfahrens sowie der an über 50 Verhandlungstagen geführten Hauptverhandlung kam es bundesweit zu einer Vielzahl ausdrücklich als solche bezeichneter „Soli-Aktionen“, bei denen Mitglieder der linksextremistischen Szene Straftaten begingen. Auch diese Taten richteten sich vor allem gegen Unternehmen der Wohnungswirtschaft. Sodann wurden jeweils Selbstbezichtigungsschreiben veröffentlicht, in denen auf die Angeklagte und die beiden verurteilten Mittäter als die „drei von der Parkbank“ Bezug genommen wurde. Beispielsweise hieß es in einer als „Parkbank-Spezial“ betitelten Ausgabe (Nr. 807 / September 2019) der Zeitschrift „I. “: „Wir senden solidarische Grüße an die 3 von der Parkbank und freuen uns, dass vielerorts Feuer der Solidarität entfacht wurden. Einige Soli-Aktionen haben wir Euch in diesem Heft zusammengestellt - gerne mehr davon!“. Im Folgenden wurden dort allein für den Zeitraum vom 11. bis 17. August 2019 neun in B. begangene Taten aufgelistet, bei denen unter anderem Fensterscheiben von Immobilienbüros zerstört und Kraftfahrzeuge von Wohnungsunternehmen in Brand gesetzt oder deren Reifen zerstochen worden waren. In einer anderen Veröffentlichung auf der Internetseite „de.i. .org“ vom 24. Oktober 2019 hieß es: „Unsere hungrigen Herzen schlagen schneller, weil von G. bis nach M., von Wu. bis nach Z., die Festnahme der drei von der Parkbank Anfang Juli als Angriff auf militante Strukturen in H. und Deutschland begriffen und solidarisch beantwortet wurde. Brennende Herzen ließen einen Feuerregen prasseln auf Fahrzeuge und Gebäude des Knastregimes, von Polizei und Wachschutz, Multis und der Wohnungswirtschaft.“

2. Mit Blick auf die Voraussetzungen des § 56 StGB hat das Landgericht im zweiten Rechtsgang insbesondere folgende Feststellungen getroffen:

Die 1991 geborene Angeklagte hat 2021 einen Studiengang „Gebärdendolmetschen“ abgeschlossen und plant, sich nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss in diesem Beruf selbständig zu machen.

Seit Verkündung des Urteils aus dem ersten Rechtsgang hat die Angeklagte weiter regelmäßigen Kontakt zu den beiden verurteilten Mitangeklagten. Sie ist nach wie vor fest integriert in die lokale und überregionale linksextreme Szene und heißt Gewalt gegen „Staatsfunktionäre“, Staatsbeamte und Staatsbedienstete sowie Personen, die aus ihrer Sicht „Repräsentanten einer neoliberalen Wirtschaftsordnung“ sind, weiterhin gut. Insgesamt sei keine Abkehr, sondern vielmehr eine fortschreitende Verfestigung ihrer Verwurzelung im linksextremen Milieu und ihrer beschriebenen Ideologie zu erkennen.

Am Folgetag der Verkündung des Urteils aus dem ersten Rechtsgang veröffentlichte die Angeklagte gemeinsam mit den beiden verurteilten Mitangeklagten auf der Internetseite „https://p. .org“ einen mit „Zurück auf der Parkbank - Erklärung der drei verurteilten Anarchistinnen“ überschriebenen Artikel, in welchem sie das Verfahren und ihr Prozessverhalten reflektierten. Hierin bekräftigten alle drei ihre Ablehnung des Staates, explizit auch von Gerichten, da staatliche Auftritts- und Handlungsformen als Unterdrückungsinstrument der Herrschenden stets ungerecht, gewaltsam und willkürlich seien. Weiter versicherten sie den Fortbestand ihrer kämpferisch anarchistischen Weltanschauung. Das Verfahren beschrieben sie als „Spektakel“ und „absurdes Schauspiel“, in welchem sie mit „arroganten“ und „zynischen Frechheiten“ konfrontiert worden seien. Trotzdem hätten sie hier vieles gelernt, was ihnen und ihren „Mitstreiterinnen“, mit denen sie sich hierzu auszutauschen gedächten, in ihren „sozialen revolutionären Kämpfen“ helfen werde, sie „stärker und ein Stück bewusster im Konflikt mit der organisierten Unterdrückung und Ausbeutung, mit dem Staat“ mache. Ferner bedankten sie sich für die aus „revolutionäre[r] Solidarität“ begangenen Straftaten gegen unter anderem Polizisten und „Immobilienhaie“, wodurch der gegen die drei Angeklagten gerichtete „Repressionsschlag“ in Form ihrer Festnahme vor Ausführung der von ihnen geplanten Taten ins Leere gelaufen sei. Zum Ende des Textes kündigten die drei Verfasser an, nunmehr „voller Vorfreude auf die Straßen zurückzukehren und wieder [...] Seite an Seite zu kämpfen.“ Straftaten beging die Angeklagte seit der Urteilsverkündung gleichwohl nicht. Ein auf den Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung gerichtetes Ermittlungsverfahren, das sich zunächst auf die beiden verurteilten Mittäter und seit Anfang März 2021 auch auf die Angeklagte erstreckte, wurde Ende Juli 2021 eingestellt. Trotz längerfristiger Observation und Telekommunikationsüberwachung ergaben sich dort keine Hinweise auf Planung oder Begehung von Straftaten, wobei die Angeklagte mit ihrer polizeilichen Überwachung rechnete und es deshalb bewusst vermied, vertrauliche Inhalte über ihr Mobiltelefon oder ihre E-Mail-Adresse zu kommunizieren.

3. Die Strafkammer hat auf dieser Basis die Vollstreckung der gegen die Angeklagte verhängten Freiheitsstrafe gemäß § 56 StGB zur Bewährung ausgesetzt.

a) Es sei im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB zu erwarten, dass sich die Angeklagte schon die Verurteilung zur Warnung dienen lasse und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen werde.

Zwar habe sie bei der verfahrensgegenständlichen Tat professionell, konspirativ und mit hohem Organisationsgrad gehandelt; ihre Motivation rühre zudem her aus einer tief verwurzelten, rechtsfeindlichen Gesinnung und einer verfestigten Abneigung gegen staatliche Einrichtungen und Institutionen sowie gegen „Repräsentanten einer neoliberalen Wirtschaftsordnung“. Von ihrem damaligen, die Tatbegehung begünstigenden Umfeld habe sie sich in keiner Weise distanziert. Sie sehe Gewalt gegen Sachen und Personen, insbesondere Polizeibeamte, als legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer und weltanschaulicher Ziele an. Auch genieße sie die Anerkennung, welche ihr die Tatbegehung in der linksradikalen Szene verschafft hat.

Der Inhalt des von ihr (mit-)verfassten und veröffentlichten Artikels verdeutliche, dass von ihrer Verurteilung keine abschreckende Wirkung im Hinblick auf künftige Straftaten ausgegangen sei. Sie habe sich auch in keiner Weise mit dem von ihr verwirklichten Unrecht auseinandergesetzt oder dieses überhaupt als solches begriffen, sich stattdessen für die „aus Solidarität“ begangenen politischen Straftaten bedankt und ausdrücklich angekündigt, an ihr bis zum Tattag gezeigtes Verhalten anknüpfen zu wollen. Es stehe zu erwarten, dass die Angeklagte ihrer Verurteilung im Falle einer Aussetzung der Vollstreckung noch weniger Bedeutung beimessen werde als ohnehin bereits der Fall, auch wenn dies durch die verhängte Auflage, gemeinnützige Arbeit im Umfang von 60 Stunden ableisten zu müssen, abgeschwächt werde.

Angesichts der Vorstrafenfreiheit und des sich an die Tat anschließenden, über dreijährigen Zeitraums der Straflosigkeit überwögen jedoch innerhalb der gebotenen Gesamtbetrachtung die positiven Prognosefaktoren, was durch den Studienabschluss und die positive berufliche Perspektive zusätzlich gestützt werde.

b) Es lägen ferner besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB vor, welche die Aussetzung der Vollstreckung auch einer das Strafmaß von einem Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe rechtfertigten. Solche seien hier „unter erneuter Berücksichtigung der Tatumstände, der Persönlichkeit der Angeklagten sowie der übrigen für die Kriminalprognose maßgeblichen Aspekte“ gegeben, „insbesondere angesichts der Vorstrafenfreiheit und der seit der Tatbegehung inzwischen vergangenen mehr als drei Jahre, innerhalb derer die Angeklagte keine weiteren Straftaten begangen hat“.

c) Die Vollstreckung sei schließlich auch zur Verteidigung der Rechtsordnung (§ 56 Abs. 3 StGB) nicht geboten. Hierzu wurden laut den Urteilsgründen „sämtliche bereits für die Prognoseentscheidung maßgeblichen Umstände“ berücksichtigt, insbesondere die Tatumstände, die Persönlichkeit der Angeklagten und ihre Unbestraftheit. Daneben sei in den Blick genommen worden, „dass die Angeklagte durch ihre Tatbegehung bewusst ein politisches Zeichen setzen wollte und ihre Tat gerade darauf abzielte, maximale öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen“. Der Aussetzungsentscheidung komme deshalb - der Angeklagten sogar zurechenbar - sowohl in negativgeneralpräventiver Hinsicht, nämlich mit Blick auf ihr politisch gleichgesinnte Personen, als auch in positivgeneralpräventiver Hinsicht, nämlich mit Blick auf die Öffentlichkeit, besondere Bedeutung zu. Durch die festgesetzte vierjährige Bewährungszeit und die erteilte Arbeitsauflage sei jedoch in ausreichender Weise die Unnachgiebigkeit des Staates gegenüber der von der Angeklagten begangenen Straftat und die Ernsthaftigkeit der staatlichen Reaktion hierauf verdeutlicht worden, ohne dass es der Vollstreckung der Freiheitsstrafe bedürfe.

II.

Die Revision der Generalstaatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die Aussetzungsentscheidung des Landgerichts weist - auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2016 - 1 StR 128/16, NStZ 2016, 670) - Rechtsfehler auf, da bei der Beurteilung der Frage, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Strafe gebietet, wesentliche Gesichtspunkte außer Betracht gelassen worden sind. Auf die weiteren Beanstandungen der Revision zur positiven Legalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB sowie zur Bejahung besonderer Umstände gemäß § 56 Abs. 2 StGB (zu den hier geltenden, nicht allein durch prognostische Gesichtspunkte begründbaren Anforderungen vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 2017 - 4 StR 415/16, NJW 2017, 3011) kommt es daher nicht mehr an.

Die Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten zur Bewährung ist nach § 56 Abs. 3 StGB ausgeschlossen, wenn sie für das allgemeine Rechtsempfinden unverständlich erscheinen müsste und dadurch das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert und die Aussetzung von der Allgemeinheit als ungerechtfertigtes Zurückweichen vor der Kriminalität angesehen werden könnte. Ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung gebietet, ist deshalb unter allseitiger Würdigung von Tat und Täter zu entscheiden, wobei generalpräventiven Erwägungen Bedeutung zukommt (BGH, Urteil vom 6. Juli 2017 - 4 StR 415/16, NJW 2017, 3011).

Eine derartige allseitige Würdigung hat das Landgericht nicht vorgenommen. Bei seinen Erwägungen hat es vielmehr wesentliche, für die Erfordernisse der Verteidigung der Rechtsordnung bedeutsame Teile der getroffenen Feststellungen außer Betracht gelassen. Daher bleibt offen, ob die Strafkammer deren Tragweite erkannt hatte, als sie davon ausging, der Verteidigung der Rechtsordnung schon mittels einer um zwei Jahre erhöhten Bewährungszeit und einer Arbeitsauflage gerecht werden zu können.

1. So hat die Strafkammer zwar zu Recht in den Blick genommen, dass „die Angeklagte durch ihre Tatbegehung bewusst ein politisches Zeichen setzen wollte und ihre Tat gerade darauf abzielte, maximale öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen“. Sie hat damit erkannt, dass die demonstrative Begehung einer Straftat um ihrer allgemeinen Wahrnehmung willen einen direkten Angriff auf den öffentlichen Frieden beinhaltet und die Geltung der Rechtsordnung gezielt infrage stellt (vgl. zur Bedeutung der Verteidigung der Rechtsordnung bei der politischen Agitation dienenden Straftaten BGH, Urteil vom 14. November 1984 - 3 StR 449/84, NStZ 1985, 165). Wie dem somit gesteigerten Bedürfnis einer Verteidigung der Rechtsordnung bei einer Strafaussetzung gerecht zu werden ist, wird aus den weiteren Ausführungen des Landgerichts jedoch nicht deutlich.

2. Nicht in die Bewertung anhand § 56 Abs. 3 StGB aufgenommen wurde der Umstand, dass die Angeklagte am Tag nach ihrer Verurteilung das gegen sie geführte Strafverfahren in einer Erklärung als „absurdes Schauspiel“ bezeichnete und ankündigte, nunmehr „voller Vorfreude“ auf die Straßen zurückkehren und „kämpfen“ zu wollen. In ihrer prognostischen Einschätzung hat die Strafkammer hieraus zwar selbst den Schluss gezogen, dass die Angeklagte ihrer Verurteilung im Falle einer Aussetzung der Vollstreckung noch weniger Bedeutung beimessen werde als ohnehin bereits der Fall und diese Folge durch die verhängte Arbeitsauflage lediglich abschwächbar sei. Was es für die Erfordernisse der Verteidigung der Rechtsordnung bedeutet, wenn eine Angeklagte jeglichen Effekt ihrer Verurteilung von vornherein negiert, hat das Landgericht jedoch nicht erörtert. Hierzu hätte umso mehr Anlass bestanden, als die Angeklagte ihre Erklärung im Internet veröffentlicht und die Frage der justiziellen Reaktion damit auch vor der Allgemeinheit aufgeworfen hat.

3. Nicht erkennbar berücksichtigt wurde zudem, dass die Tat der Angeklagten in linksextremistischen Kreisen Vorbildstatus erlangt und Dritte zur Begehung zahlreicher weiterer Straftaten veranlasst hat, mit denen öffentlich „Solidarität“ mit der Angeklagten und den verurteilten Mittätern demonstriert werden sollte. Bei der Entscheidung nach § 56 Abs. 3 StGB sind jedoch auch diese Gesichtspunkte zu berücksichtigen, denn zu den durch diese Norm abgesicherten Aufgaben der Strafe gehört es auch, künftigen ähnlichen Rechtsverletzungen potentieller Täter vorzubeugen (spezielle Generalprävention; vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 1970 - 1 StR 353/70, BGHSt 24, 40, 44). Der „Nachahmungseffekt“ für potentielle Täter darf bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände deshalb nicht außer Betracht bleiben (BGH, Urteil vom 14. November 1984 - 3 StR 449/84, NStZ 1985, 165).

4. Das Landgericht hat schließlich auch nicht in seine Würdigung eingestellt, dass die begangene Tat nicht nur die Allgemeinheit, sondern in gesteigertem Maß auch bestimmte Personen und Institutionen verunsichern sollte, denen durch die Auswahl der Anschlagsziele gezielt weitere Gewalt angedroht werden sollte. Zu diesen sollte neben Vertretern der privaten Wohnungswirtschaft - nebst allen im selben Haus lebenden Wohnungsnachbarn - aufgrund ihres öffentlichen Amtes auch die H. er Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen gehören. Inwiefern der Wirkung solcher auf Private wie auf Repräsentanten des demokratisch verfassten Staates zielender Einschüchterungsmaßnahmen auch noch bei Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung Einhalt geboten werden kann, hat die Strafkammer nicht erörtert.

III.

Die zugehörigen Feststellungen sind schon deswegen aufzuheben, weil sie die Angeklagte teilweise belasten und für sie mangels Beschwer nicht mit einem Rechtsmittel angreifbar waren (vgl. BGH, Urteile vom 21. April 2022 - 3 StR 360/21, NJW 2022, 2349; vom 30. November 2022 - 6 StR 243/22).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1393

Bearbeiter: Christian Becker