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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1295

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 90/23, Beschluss v. 20.07.2023, HRRS 2023 Nr. 1295


BGH 4 StR 90/23 - Beschluss vom 20. Juli 2023 (LG Kleve)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung künftiger Taten: Prognose, Nachstellung, Taten gegen bestimmte Personen, Ursprung der Taten in der Beziehung des Täters zu einer Person, Gefährlichkeit für die Allgemeinheit).

§ 63 StGB; § 238 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Kleve ? Auswärtige Strafkammer in Moers ? vom 23. November 2022 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die objektiven Feststellungen zum Tatgeschehen aufrechterhalten.

Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Vollstreckung der Unterbringung hat es zur Bewährung ausgesetzt. Zudem hat es die Einziehung von mehreren Gegenständen (u.a. eines „Tonaufnahmegeräts“ und einer „Minikamera“) angeordnet. Die mit der Sachrüge geführte Revision der Beschuldigten hat im Umfang der Beschlussformel Erfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Dem Urteil liegen folgende Feststellungen und Wertungen zugrunde:

Die Zeugen S. und R. M. kauften und bezogen im Jahr 2010 ein Reihenhaus in Mo. Drei Jahre später zog die zum Urteilszeitpunkt 69-jährige Beschuldigte in die Wohnung im ersten Obergeschoss des Nachbarhauses ein. Das nachbarschaftliche Verhältnis gestaltete sich in den ersten Jahren unauffällig. Im Oktober 2017 wurde der Sohn der Eheleute M., T. M., geboren.

Die Beschuldigte entwickelte ab der Geburt des T. M. ein mit diesem im Zusammenhang stehendes, auch im Tatzeitraum zwischen dem 10. Mai 2019 und dem 11. Oktober 2020 als unverrückbare Überzeugung vorhandenes Wahnphänomen. Nach dieser krankheitsbedingten Vorstellung wurde ihre erwachsene Tochter Sa. von den Eheleuten M. im Keller deren Hauses gegen ihren Willen festgehalten. Während dieser Gefangenschaft gebar sie T. M., bei dem es sich mithin nach der Vorstellung der Beschuldigten um ihren leiblichen Enkelsohn handelte.

Vor dem Hintergrund ihrer wahnbedingten Vorstellungen meldete die Beschuldigte bereits kurz nach der Geburt des T. M. beim Jugendamt den von ihr gehegten Verdacht, dass sich im Haus der Familie M. ein neugeborenes Kind illegal aufhalten würde, woraufhin Jugendamtsmitarbeiter die Familie aufsuchten, um dem Hinweis nachzugehen. In der Folgezeit begann die Beschuldigte, wiederholt und anhaltend gegenüber der Familie M. wie auch gegenüber Dritten die ihr Vorstellungsbild prägenden Wahninhalte zu behaupten. Dabei forderte sie lautstark unter Nutzung eines Megaphons - u.a. auch am späten Abend und während der Nacht - auf der Straße vor dem Haus der Familie oder von dem Balkon der von ihr bewohnten Wohnung aus die Herausgabe ihrer Tochter Sa. und die Befreiung ihres vermeintlichen Enkels T. M. .

Im Rahmen eines von den Eheleuten M. aufgrund dieser Vorfälle betriebenen Gewaltschutzverfahrens kam es Anfang Juni 2018 vor dem Amtsgericht Moers zu einem gerichtlichen Vergleich. Die Beschuldigte verpflichtete sich hierbei unbefristet, sich der Anschrift der Zeugen auf nicht mehr als zehn Meter zu nähern, ihr Grundstück nicht zu betreten, sie nicht zu beleidigen, keinen Kontakt mit ihnen aufzunehmen, auch nicht mittels Megaphons, und gegenüber den Zeugen oder Dritten nicht mehr zu behaupten, dass es sich bei T. M. nicht um das Kind der Eheleute M. handele.

Auch in der Folgezeit setzte die Beschuldigte ihre lautstarken Forderungen nach der Freilassung ihrer nach ihrer unverrückbaren Vorstellung von den M. s gefangen gehaltenen Tochter Sa. und ihres leiblichen Enkels T. M. ungeachtet des geschlossenen Vergleichs fort. Es kam zu mehrfachen Polizeieinsätzen und zur Sicherstellung des Megaphons.

Zwischen dem 10. Mai 2019 und dem 11. Oktober 2020 kam es zu folgendem Tatgeschehen:

Am 10. Mai 2019 steuerte die Beschuldigte mit ihrem Fahrrad in zügigem Tempo auf der Straße in der Nähe des Reihenhauses der Familie M. auf R. und T. M. zu. Auf die Aufforderung der Zeugin M. anzuhalten, reagierte die Beschuldigte nicht und steuerte ihr Fahrrad weiter auf R. und T. M. zu, die schließlich „angsterfüllt zur Seite“ traten.

Am 8. Juni 2019 beobachtete die Beschuldigte vom Steuer eines Mietwagens aus das Reihenhaus der Familie M. Als R. M. mit T. im Kinderwagen das Haus verließ und - den Kinderwagen schiebend - die Straße überquerte, gab die Beschuldigte Gas und steuerte das Fahrzeug auf die sich auf der Fahrbahn befindliche Zeugin M. zu. „Angsterfüllt drückte die Geschädigte den Kinderwagen schnell auf den Fußweg hoch und verließ die Straße, um einen Zusammenstoß zu vermeiden“.

Am 10. September 2019 hielt sich die Beschuldigte über mehrere Stunden vor dem Wohnhaus der Familie M. auf und starrte das Haus an.

Zu der Wohnung der Beschuldigten gehörte ein Balkon, von dem aus die Beschuldigte freien Blick in den Gartenbereich und auf die Terrasse der Eheleute M. hatte. Im Frühjahr 2020 stellte sie dort eine Kamera auf und filmte jedenfalls am 11. und 13. März, am 30. Juni, am 1. Juli und am 3. Juli 2020 das Geschehen auf der Terrasse der Familie M. .

Ab Juli 2020 fertigte die Beschuldigte auf nicht näher festgestellte Weise Tonbandaufnahmen von Gesprächen an, die die Familie M. in ihrer Wohnung führte. Mittels eines Tonbandgeräts dokumentierte sie derartige Gespräche am 18. und 31. Juli sowie am 17. und am 19. August 2020.

Am 21. Juni 2020 schrie die Beschuldigte von ihrem Balkon aus die Familie M., die gerade damit beschäftigt war, auf der Terrasse ihres Hauses eine Mahlzeit einzunehmen, an, dass man „Sa. freilassen“ solle.

Am 3. Juli 2020 rief die Beschuldigte aus einem Fenster ihrer Wohnung Gästen der Familie M. zu, dass die Zeugen M. ihre Tochter gefangen hielten und sie eine Belohnung von einer Million Euro bezahlen würde, wenn ihre Tochter befreit würde. Im weiteren Verlauf erschien am 4. Juli 2020 um 1:45 Uhr die Polizei bei der Familie M., die die Beschuldigte alarmiert hatte.

Am 18. Juli 2020 passierte die Beschuldigte zwischen 22:15 Uhr und 22:45 Uhr insgesamt sechsmal die Haustür der Familie M. Beim letzten Mal blieb sie stehen und forderte lautstark die Freilassung ihres Kindes.

Am 19. Juli 2020 fuhr die Beschuldigte gegen 22:15 Uhr mehrfach mit dem Fahrrad an der Haustür der Familie M. vorbei, betätigte anhaltend die Fahrradklingel und forderte schreiend die Herausgabe ihres Kindes.

Am 5. August 2020 spielte T. M. im Garten des Wohnhauses der Familie M. mit einem Freund. Die Beschuldigte schrie den Kindern zu, dass sie sie gleich befreien werde. Daraufhin rannten beide erschrocken und weinend ins Haus.

Am 21. August 2020 rief die Beschuldigte R. und T. M., die sich im Garten ihres Hauses aufhielten, vom Balkon ihrer Wohnung aus zu, dass es T. gut gehen werde, wenn sie ihn befreien könnte, und er dann nicht mehr weinen müsse. Das Kind erschrak wiederum sehr und rannte weinend ins Haus.

Zwei Tage später forderte die Beschuldigte erneut von ihrem Balkon aus die Zeugin R. M. auf, ihre Tochter freizugeben.

Am 30. August 2020 hielt sich die Beschuldigte über einen längeren Zeitraum vor dem Haus der Zeugen M. auf und schrie mehrfach, ihre als Geisel gehaltene Tochter solle freigelassen werden.

Am 9. September 2020 schrie die Beschuldigte die im Garten aufhältige Zeugin R. M. an, dass diese ihre Tochter gefangen halten und dass sie - die Beschuldigte - noch eine Rechnung mit der Zeugin offen habe und gleich herunterkommen werde.

Am 25. September 2020 schrie die Beschuldigte gegen 21:00 Uhr erneut lautstark vor dem Haus der Zeugen herum, woraufhin R. M. sie unter Hinweis auf den im Gewaltschutzverfahren geschlossenen Vergleich aufforderte, dies zu unterlassen. Daraufhin äußerte die Beschuldigte, R. M. werde schon sehen, was sie davon habe, ihre Tochter gefangen zu halten. Die Beschuldigte werde sie von Spezialeinheiten suchen lassen.

Am 11. Oktober 2020 rief die Beschuldigte der Zeugin R. M., die sich gerade im Bereich ihres Wohnhauses bei den Mülltonnen aufhielt, zu, dass sie sie aus dem Weg räumen werde, um „das Mädchen aus dem Keller zu befreien“.

Am 27. Oktober 2020 wurde die Beschuldigte aufgrund des Unterbringungsbefehls des Amtsgerichts Moers vorläufig untergebracht. Nach Außervollzugsetzung des Unterbringungsbefehls am 6. April 2021 nahm die Beschuldigte weisungsgemäß Wohnsitz bei ihrer Tochter Sa. in deren Haushalt in D. .

Das Verhalten der Beschuldigten beeinträchtigte das Familienleben und die Privatsphäre der Familie M. im eigenen Haus und Garten. „Sowohl R. M. als auch ihr Mann (…) litten aufgrund der lang andauernden Vorfälle (…) unter körperlichen Beeinträchtigungen wie insbesondere Konzentrationsschwierigkeiten, Übermüdung, Gewichtsverlust, sowie ganz erheblichen weiteren psychosomatischen Symptomen, wie Blut im Stuhl“ und zudem - gerade aufgrund der nächtlichen Vorfälle - auch unter Schlafstörungen und Ängsten vor Übergriffen durch die Beschuldigte.

Entgegen ihrer ursprünglichen Lebensplanung nahmen sie aufgrund der Belastungen von dem Plan Abstand, ein zweites Kind zu bekommen. Zudem veräußerten sie aufgrund der Vorfälle mit der Beschuldigten das 2010 von ihnen erworbene Reihenhaus.

Das sachverständig beratene Landgericht hat dem Sachverständigen folgend die von diesem diagnostizierte wahnhafte Störung als krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 StGB eingeordnet. Aufgrund der Wahnvorstellungen sei die Einsichtsfähigkeit der Beschuldigten im Tatzeitraum aufgehoben gewesen.

Die Strafkammer hat im Rahmen ihrer äußerst knappen, von tateinheitlicher Begehungsweise ausgehenden rechtlichen Erwägungen die „Tatbestände der Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 4 StGB aF und der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB“ als verwirklicht angesehen. Zudem hat sie ohne nähere Begründung angenommen, der Tatbestand des § 238 Abs. 2 StGB aF sei erfüllt, da die Beschuldigte „die Opfer durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsbeschädigung brachte“. Die Verwirklichung weiterer Straftatbestände hat sie erkennbar nicht in Betracht gezogen.

Im Hinblick auf die angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat sie zur Gefahrenprognose u.a. ausgeführt, dass von der Beschuldigten „aufgrund der hochgradig emotionalen Aufgeladenheit“ daher „erhebliche rechtswidrige Taten, insbesondere erneute erhebliche Nachstellungstaten, in der Zukunft zu befürchten“ seien.

II.

Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat die für eine Unterbringungsanordnung vorausgesetzte Gefährlichkeitsprognose nicht rechtsfehlerfrei begründet.

1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat(en) aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 26. September 2019 ? 4 StR 24/19, NStZ-RR 2020, 9, 10; Beschluss vom 10. November 2015 ? 3 StR 407/15, NStZ 2016, 144, 145 mwN).

Zwar können mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu erwartende Nachstellungen gemäß § 238 Abs. 1 StGB je nach Lage des Einzelfalls erhebliche rechtswidrige Taten darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. März 2017 - 4 StR 619/16, juris Rn. 12; Beschluss vom 16. Juni 2014 - 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571, 572 f. mwN). Die Ausführungen der Strafkammer lassen jedoch bereits besorgen, dass sie insoweit einen unzutreffenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde gelegt hat. Denn eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nach gefestigter Terminologie nur dann in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung künftiger Taten besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2022 - 5 StR 125/22; Beschluss vom 23. März 2022 - 6 StR 606/21; Beschluss vom 8. September 2021 - 1 StR 275/21; Beschluss vom 19. Januar 2021 - 4 StR 449/20; Urteil vom 8. September 2022 - 3 StR 25/22 und Urteil vom 17. Februar 2021 - 2 StR 294/20; Cirener in Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl., § 63 Rn. 79). Allein, dass derartige Taten „zu befürchten“ sind, genügt nicht.

2. Zudem hat die Strafkammer die ihrer Entscheidung zugrunde gelegte Bewertung, es seien erhebliche rechtswidrige Taten, insbesondere Nachstellungstaten in der Zukunft zu befürchten, nicht mit Tatsachen belegt.

Richten sich die Straftaten, aufgrund derer die Unterbringung angeordnet wird, ausschließlich gegen bestimmte Personen oder haben sie in der Beziehung des Täters zu einer Person ihren Ursprung, so bedarf die Annahme, dass der Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist, genauerer Prüfung und Darlegung aufgrund konkreter tatsächlicher Feststellungen (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2015 - 2 StR 393/14, juris Rn. 16; Beschluss vom 4. Oktober 2006 - 2 StR 349/06, NStZ 2007, 29; Urteil vom 9. November 1989 - 4 StR 342/89, NZV 1990, 77).

Das Landgericht hat insoweit lediglich ausgeführt, dass die Eheleute M. letztlich zufällig zum Opfer der Wahnideen der Beschuldigten geworden seien und daher „zu besorgen“ sei, „dass die Beschuldigte, sollten ihre Wahnideen zukünftig erneut aufblühen, sich wiederum gegen zufällig in der Nähe befindliche Personen wenden“ werde. Diesen Ausführungen ist bereits nicht hinreichend zu entnehmen, dass sich die Strafkammer eine Überzeugung dahingehend gebildet hat, dass das erneute Auftreten entsprechender Wahnideen, aus denen strafrechtlich relevante Handlungsanreize resultieren, bei der zum Urteilszeitpunkt 69-jährigen Beschuldigten zukünftig überhaupt zu erwarten ist. Zudem fehlen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass das festgestellte „hoch emotional besetzte“ Wahngebilde, welches an eine Gefangenschaft der leiblichen Tochter der Beschuldigten im Keller eines bestimmten, zwischenzeitlich nicht mehr von der Familie M. bewohnten Reihenhauses anknüpft, sich zukünftig - wie die Strafkammer ausführt - „gegen zufällig in der Nähe befindliche gänzlich unbeteiligte Personen“ richten wird. Auf welcher Grundlage die Kammer von einer entsprechenden Ausweitung des zum Tatzeitpunkt festgestellten Wahnerlebens der Beschuldigten auf andere Personen in der Zukunft ausgeht, teilen die Urteilsgründe nicht mit. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, als vor der Geburt des T. M. im Oktober 2017 das zu diesem Zeitpunkt bereits seit vier Jahren bestehende nachbarschaftliche Verhältnis der Beschuldigten zu den Eheleuten M. offenbar ohne Auffälligkeiten war.

3. Schließlich fehlt es vorliegend auch an der Erörterung weiterer Umstände im Rahmen der Gefahrenprognose. Die zum Urteilszeitpunkt 69-jährige, körperlich stark eingeschränkte Beschuldigte ist bisher noch nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten. Sie hat „einen Grad der Behinderung von 70“, leidet an Gonarthrose im Knie, Rückenproblemen und Bluthochdruck; zeitweise ist sie auf einen Rollator angewiesen. Vor diesem Hintergrund hätte die Strafkammer auch die körperliche Verfassung und die zu erwartende körperliche Entwicklung der Beschuldigten bei der Frage, ob von ihr in der Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, in ihre Überlegungen einbeziehen müssen.

Der Senat hebt das Urteil insoweit auf. Die objektiven Feststellungen zu den Taten sind von den Rechtsfehlern nicht betroffen und können bestehen bleiben. Sie können durch weitere Feststellungen ergänzt werden, die den bestehenden nicht widersprechen.

III.

Die zur neuen Verhandlung und Entscheidung berufene Strafkammer wird Gelegenheit haben, sich eingehender als bisher mit der rechtlichen Würdigung zu befassen. Der Senat sieht Anlass zu folgenden Hinweisen:

Im Hinblick auf das Geschehen vom 10. Mai und vom 8. Juni 2019 wird die Strafkammer neben den Straftatbeständen der §§ 315b Abs. 1 Nr. 3, 315 Abs. 3 StGB auch die §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 sowie der §§ 240 Abs. 1, Abs. 3, 22, 23 Abs. 1 StGB in den Blick zu nehmen und ggf. auch entsprechende Feststellungen zum Rücktrittshorizont zu treffen haben.

Die zur neuen Entscheidung berufene Strafkammer wird sich zudem im Hinblick auf die Anfertigung von Ton- und Videoaufnahmen mit der Verwirklichung von § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB aF zu befassen haben. Nach den bisherigen Feststellungen ist eine unbefugte physische Annäherung der Beschuldigten an die Zeugen M., die die Tonbandaufnahmen auf nicht näher festgestellte Weise generierte und die Kameraaufzeichnungen vom 11. März, 13. März, 30. Juni, 1. Juli und vom 3. Juli 2020 zu einem nicht festgestellten Zeitpunkt von dem zu ihrer Wohnung gehörenden Balkon aus auslöste, i.S.d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF nicht belegt.

Die von der erkennenden Strafkammer im Rahmen ihrer rechtlichen Würdigung als verwirklicht angesehenen Voraussetzungen des § 238 Abs. 2 StGB aF werden durch die bisherigen Feststellungen nicht belegt. Die Vorschrift setzt voraus, dass das Opfer oder eine andere dem Opfer nahestehende Person durch die Nachstellung in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht wird (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 - 5 StR 256/10, juris Rn. 9 f.; Gericke in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 238 Rn. 54; Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 238 Rn. 37).

Im Hinblick auf die Einziehung von Gegenständen („Tonaufnahmegerät, Minikamera, 5 SD-Karten, USB-Stick Scan Disc und 2 USB-Sticks Intenso“) wird die zur neuen Entscheidung berufene Strafkammer § 74b Abs. 1 Nr. 1 StGB zu beachten haben. Nach ständiger Rechtsprechung müssen einzuziehende Gegenstände zudem so genau bezeichnet werden, dass bei allen Beteiligten und den Vollstreckungsorganen Klarheit über den Umfang der Einziehung besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 29. August 2018 - 4 StR 56/18 Rn. 2 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1295

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede