HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1307
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 24/19, Beschluss v. 26.09.2019, HRRS 2019 Nr. 1307
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 2. Oktober 2018 aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zu den äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln, der Nötigung in zwei Fällen, der Beleidigung, der Sachbeschädigung und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte und mit versuchter gefährlicher Körperverletzung freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen widersetzte sich der Angeklagte am 2. Juni 2017 Polizeibeamten, die ihn, nachdem er in verwirrtem Zustand durch fremde Gärten gelaufen war, zur Feststellung seiner Personalien zu einer Polizeiwache verbringen wollten (Tat II.1). Am 18. Oktober 2017 widersetzte er sich erneut Polizeibeamten, die von Mitarbeitern seines Wohnheims wegen seines aggressiven Verhaltens zu Hilfe gerufen wurden, und stieß im Verlauf eines Handgemenges einen der Beamten mehrfach schmerzhaft gegen einen Handlauf (Tat II.2). Am 9. Januar 2018 bewahrte der Angeklagte 0,43 Gramm Marihuana und 0,1 Gramm Amphetamin zum Eigenkonsum in seinem Wohnheimzimmer auf (Tat II.3). Am 4. Februar 2018 veranlasste er einen Mitarbeiter seines Wohnheims durch die Drohung, ihn anderenfalls „kaputtzuschlagen“, ihm entgegen der Hausordnung ein nächtliches Kochen in der Wohnheimküche zu ermöglichen; anschließend beleidigte er den Mitarbeiter (Tat II.4). Am 14. Februar 2018 legte sich der Angeklagte auf die in ihrem Wohnheimzimmer auf ihrem Bett liegende Zeugin K., in deren Gesicht er an diesem Tag den „Beelzebub“ erblickte, presste ihr mit den Worten, der Teufel komme gleich heraus, einen Finger auf die Stirn und hielt sie gegen ihren Willen auf dem Bett fest, um sie hierdurch zur Duldung des von ihm beabsichtigten Exorzismus zu veranlassen (Tat II.5). Am 21. Mai 2018 trat der Angeklagte gegen ein Fahrzeug, wodurch an diesem ein Sachschaden entstand, und widersetzte sich anschließend den herbeigerufenen Polizeibeamten, wobei er aus einer Entfernung von zwei bis drei Metern eine gefüllte Getränkedose auf die Polizeibeamten warf, sie jedoch verfehlte (Tat II.6).
Sachverständig beraten ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie leidet. Aufgrund dieser Erkrankung sei seine Steuerungsfähigkeit bei sämtlichen Taten aufgehoben und der Angeklagte daher jeweils im Sinne des § 20 StGB schuldunfähig gewesen.
2. Die Unterbringungsentscheidung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat(en) auf Grund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Angeklagten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Februar 2017 - 3 StR 535/16, StV 2017, 575, 576; vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75; vom 15. Januar 2015 - 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395).
b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht hat nicht rechtsfehlerfrei begründet, dass von dem Angeklagten in Zukunft mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
aa) Das Landgericht hat im Anschluss an den gehörten Sachverständigen zur Begründung seiner Gefährlichkeitsprognose ausgeführt, es sei damit zu rechnen, dass der Angeklagte infolge seiner paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie weitere erhebliche Taten begehen werde. Nicht nur seien Körperverletzungen ähnlich den Anlasstaten vom 18. Oktober 2017 und vom 21. Mai 2018 zu erwarten, vielmehr sei es sehr wahrscheinlich, dass es auch wieder zu so schweren Taten wie der vom Angeklagten am 30. November 2013 begangenen Brandstiftung kommen werde.
bb) Diese Begründung für die Annahme der Gefährlichkeit des Angeklagten hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Denn wenn das Tatgericht seine Gefährlichkeitsprognose auch auf frühere Taten stützt, müssen die im Urteil dazu getroffenen Feststellungen belegen, dass auch diese Taten auf der Erkrankung des Täters beruhten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Mai 2016 - 4 StR 185/16, StV 2016, 719, 720; vom 8. August 2007 - 2 StR 296/07, StraFo 2007, 468). Dies ist mit Blick auf die Brandstiftung vom 30. November 2013 nicht der Fall.
Zwar teilt das angefochtene Urteil bei der Darstellung der strafrechtlichen Vorbelastungen des Angeklagten mit, dass er am 6. Juni 2014 durch eine Jugendkammer des Landgerichts Bochum wegen schwerer Brandstiftung zu einer Jugendstrafe verurteilt und gemäß § 64 StGB seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet wurde; auch werden die im damaligen Urteil getroffenen Feststellungen wiedergegeben.
Gleichwohl wird hierdurch nicht belegt, dass diese Tat auf der Erkrankung des Täters beruhte. Denn aus den wiedergegebenen Feststellungen des Urteils vom 6. Juni 2014 ergibt sich, dass sich die Jugendkammer - trotz der Einlassung des Angeklagten, eine Stimme habe ihm die Tat befohlen - gerade nicht in der Lage sah, ein Motiv des Angeklagten für diese Tat festzustellen. Da die im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen auch im Übrigen nicht belegen, dass die Brandstiftung vom 30. November 2013 auf der Erkrankung des Täters beruhte, durfte das Landgericht seine Gefährlichkeitsprognose nicht auf diese Tat stützen.
3. Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann daher nicht bestehen bleiben. Die Sache bedarf neuer Verhandlung und Entscheidung.
Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO hebt der Senat auch den Freispruch des Angeklagten auf. Es ist nicht auszuschließen, dass die neue tatgerichtliche Verhandlung und die zur Erstellung einer aktuellen Gefährlichkeitsprognose erforderliche erneute Begutachtung des Angeklagten eine abweichende Beurteilung seiner Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstaten ergeben könnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Mai 2018 - 2 StR 132/18, juris Rn. 10; vom 11. April 2018 - 5 StR 54/18, juris Rn. 7). Das neue Tatgericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung der isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13, NStZ-RR 2014, 89 [Ls]; vom 14. September 2010 - 5 StR 229/10, StraFo 2011, 55).
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1307
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 9
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner