HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 292
Bearbeiter: Fabian Afshar
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 160/22, Beschluss v. 19.12.2023, HRRS 2024 Nr. 292
1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Kammergerichts vom 4. Juni 2021 werden verworfen.
2. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Kammergericht hat den Angeklagten A. wegen „eines Kriegsverbrechens gegen Personen in Tateinheit mit Mord und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland“ zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, den Angeklagten R. wegen „eines Kriegsverbrechens gegen Personen durch in schwerwiegender Weise entwürdigende und erniedrigende Behandlung in Tateinheit mit Beihilfe zu einem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung und Beihilfe zum Mord sowie Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland“ zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten. Die jeweils auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten sind unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I. Das Kammergericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der im irakischen Mossul lebende Angeklagte A. gehörte als Mitglied einer zu Zeiten der Vorherrschaft der Baath-Partei politisch einflussreichen sunnitischen Familie der dortigen gesellschaftlichen Oberschicht an. Nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein verlor er diese Stellung. Angesichts der Verschiebung der Machtverhältnisse in Mossul spätestens nach dem Einmarsch des „Islamischen Staates“ (IS) im Juni 2014 sah er die Möglichkeit, seinen früheren Status wiederzuerlangen. Zwar identifizierte er sich nicht mit der radikalreligiösen Anschauung der Organisation und unterwarf sich zumindest außerhalb der Öffentlichkeit nicht deren Regelwerk. Er empfand die neuen Machthaber jedoch als Befreier von der verhassten schiitischen Regierung und teilte diese opportunistische Sichtweise mit seinem Sohn, dem damals 15-jährigen Angeklagten R. .
Spätestens einige Zeit vor dem nachfolgend geschilderten Hinrichtungsgeschehen schlossen sich beide Angeklagte dem IS an und unterwarfen sich seiner Befehlsgewalt. Ihnen war bekannt, dass diese islamistische Vereinigung einen gewaltsamen Kampf unter anderem gegen die schiitische irakische Regierung und deren Institutionen führte. Sie waren bereit, sich in das Verbandsleben des IS einzugliedern und seine Ziele, dasjenige der Tötung von Menschen eingeschlossen, zu fördern. In einem nicht näher feststellbaren Zeitraum hielt sich der Angeklagte R. in einem der Ausbildungslager der Organisation auf.
In Absprache mit anderen IS-Mitgliedern nahmen die Angeklagten an der am 23. oder 24. Oktober 2014 in Mossul durchgeführten, öffentlich inszenierten Hinrichtung des einige Tage zuvor gefangengenommenen und nach Mossul verbrachten Oberst U. teil, einem Angehörigen der Regierungstruppen.
Angesichts der wichtigen Funktion und des hohen militärischen Ranges des Gefangenen beschlossen die Verantwortlichen des IS, ihn auf einem Platz im Zentrum Mossuls vor den Augen zahlreicher Zuschauer öffentlich zu erschießen und dies zu propagandistischen Zwecken zu filmen. Das detailliert geplante, mit den Mitwirkenden abgesprochene und auf Video aufgezeichnete Exekutionsszenario begann mit einem Marsch zu dem für die Hinrichtung vorgesehenen Platz. Rund ein Dutzend bewaffneter IS-Kämpfer in hellen uniformähnlichen Anzügen, darunter der Angeklagte A., führten, begleitet von einer großen, auch jüngere Kinder einschließenden Menschenmenge, das mit einem langen traditionellen arabischen Gewand und Sandalen bekleidete und kahlgeschorene Opfer durch verschiedene Straßenzüge Mossuls.
Am Exekutionsort angekommen, wurde U. gezwungen, sich auf eine niedrige Mauer zu stellen. Maskierte Kämpfer positionierten sich um ihn herum. Von vorne betrachtet links neben ihn trat sein späterer „Henker“, H., der zu den hochrangigsten IS-Mitgliedern in Mossul gehörte. Der Angeklagte A. stellte sich maskiert aus der Betrachtersicht rechts neben das Opfer. Er hatte Kenntnis, dass der Offizier wenige Augenblicke später hingerichtet werden würde, war hiermit nicht nur einverstanden, sondern legte seine Hand auf dessen Schulter und hielt ihn demonstrativ am Gewandkragen fest.
Wie verabredet, trat nun der unmaskierte und alltäglich gekleidete Angeklagte R. als Einziger aus der Menge der Umstehenden vor und positionierte sich vor U. Er wusste, dass die Tötung des Gefangenen unmittelbar bevorstand und sein eigener „Auftritt“ von IS-Mitgliedern gefilmt werden würde, um die vorgebliche Billigung der Hinrichtung durch die Bevölkerung Mossuls zu suggerieren, die Macht des IS propagandistisch zu demonstrieren und eventuelle Gegner einzuschüchtern. Außerdem war ihm bewusst und recht, dass seine im Vorfeld abgesprochenen Beschimpfungen des Opfers Teil der Gesamtinszenierung waren und somit Einfluss auf den genauen Ablauf der Tötung haben würden, die er mit seiner Mitwirkung unterstützte. Mit erhobenem Zeigefinger gestikulierend beschimpfte er den Oberst. Anschließend bespuckte er ihn, um seine Verachtung zu unterstreichen, und beleidigte ihn weiter. Diese Beschimpfungen endeten erst, nachdem der Angeklagte A. dem Angeklagten R. mit einer Körperbewegung bedeutet hatte, nunmehr zurückzutreten.
Nach dem „Abtreten“ des Angeklagten R. wurde U. veranlasst, sich vor die Mauer zu stellen, auf der noch der Angeklagte A. unmittelbar neben H. stand. Zwei weitere maskierte Personen hielten den Offizier fest. H. griff nunmehr hinter und etwas über dem Opfer stehend nach dessen Hemdkragen und schoss ihm mit einer Pistole insgesamt viermal in rascher Folge in den Hinterkopf, worauf der tödlich Getroffene mit auf dem Rücken gefesselten Händen zu Boden fiel.
Die anlässlich der Hinrichtung gefertigte Videoaufnahme wurde vor ihrer Veröffentlichung am rechten Bildrand mit einer wehenden IS-Flagge versehen, um die Tötung unmissverständlich als Werk der Vereinigung zu kennzeichnen. Zudem wurden Bildunterschriften in arabischer Sprache eingefügt, die unter anderem lauteten: „Ein muslimisches Kind erinnert den ‚Abkehrer‘ an seine Taten!“ In enger zeitlicher Nähe zu der Hinrichtung veröffentlichte der IS eine als Kurzfassung komprimierte 68 Sekunden lange Videosequenz. Sie war auf allgemein zugänglichen Kanälen wie YouTube abrufbar; in Mossul wurde sie auf CDs gebrannt verteilt und auf großen Leinwänden gezeigt. Zudem wurde die Sequenz in ein etwa halbstündiges Video des IS eingefügt, das die Vereinigung aus Anlass des ersten Jahrestages der Machtübernahme in Mossul erstellte und das ausgewählte Schlüsselszenen beinhaltete.
II. Das Kammergericht hat die Tat des Angeklagten A. als Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung in Tateinheit mit Mord und mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 211 Abs. 2 Gruppe 1 Variante 4, § 25 Abs. 2, § 52 StGB gewertet, die des Angeklagten R. als Kriegsverbrechen gegen Personen durch entwürdigende und erniedrigende Behandlung in Tateinheit mit Beihilfe zu einem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung, mit Beihilfe zum Mord und mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 und 9 VStGB, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 211 Abs. 2 Gruppe 1 Variante 4, § 27 Abs. 1, § 52 StGB.
Den Revisionen der Angeklagten bleibt der Erfolg versagt.
I. Die zahlreichen Verfahrensbeanstandungen dringen aus den in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts weitgehend zutreffend dargelegten Gründen nicht durch. Näherer Erörterung bedarf nur das Folgende:
1. Die Rügen, die beide Angeklagte in Bezug auf die gemäß § 244 Abs. 6 Satz 3 StPO gesetzte Frist zur Anbringung von Beweisanträgen erhoben haben, sind zum Teil unzulässig und im Übrigen unbegründet.
a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Die Hauptverhandlung vor dem Kammergericht fand ab dem 22. November 2018 statt. Im Termin am 30. Oktober 2020 teilte der Vorsitzende mit, der Staatsschutzsenat beabsichtige derzeit nicht, die Beweisaufnahme über die fortzusetzende Vernehmung eines Zeugen hinaus von Amts wegen auf weitere Zeugen zu erstrecken. Mit Blick auf das verbleibende Beweisprogramm bat er die Bundesanwaltschaft und die Verteidigung, etwaige Anträge möglichst bis zum 5. November 2020 zu stellen. Anschließend wurden noch weitere Beweise erhoben und von den Verteidigern Anträge gestellt. Nachdem die Sachverständigen ihre Gutachten erstattet hatten und entlassen worden waren, verkündete der Vorsitzende im Termin am 5. März 2021, dem 151. Hauptverhandlungstag, drei Beschlüsse und stellte fest, dass damit alle Anträge erledigt seien. Ferner teilte er mit, dass er beabsichtige, für die Verfahrensbeteiligten eine Frist gemäß § 244 Abs. 6 Satz 3 StPO zur Anbringung von Beweisanträgen bis zum 12. März 2021 zu bestimmen, und gab Gelegenheit zur Stellungnahme. Von dieser Möglichkeit wurde kein Gebrauch gemacht. Sodann gab der Vorsitzende eine Anordnung mit dem vorbezeichneten Inhalt bekannt und begründete sie. Auf einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung bestätigte der Staatsschutzsenat die Fristsetzung durch mit Gründen versehenen Beschluss vom 19. März 2021. Die nach Fristablauf gestellten Beweisanträge sind überwiegend in den Urteilsgründen beschieden.
b) Soweit die Beschwerdeführer einen fehlenden Hinweis auf die aus Sicht des Kammergerichts unzulängliche Glaubhaftmachung gemäß § 244 Abs. 6 Satz 5 StPO als Verstoß gegen diese Vorschrift und § 338 Nr. 8 StPO geltend machen, erweisen sich die Rügen aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen bereits als unzulässig. Im Übrigen sind sie unbegründet; denn die Bestimmung der Frist begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken:
aa) Die Fristsetzung zur Anbringung von Beweisanträgen gemäß § 244 Abs. 6 Satz 3 StPO erfordert nicht die Feststellung oder den konkreten Verdacht einer Absicht der Prozessverschleppung.
Ob eine solche Anordnung über den Wortlaut der Vorschrift hinaus an weitere Merkmale geknüpft ist, insbesondere ob es zumindest hinreichender Verdachtsmomente für eine Verschleppungsabsicht als ungeschriebene Voraussetzung bedarf, ist bislang höchstrichterlich nicht entschieden und wird in der Literatur kontrovers betrachtet (für eine restriktive Auslegung der Vorschrift, wenngleich mit divergierenden Lösungsansätzen, Börner, JZ 2018, 232, 238; Krehl, FS Fischer, S. 705, 709 f.; Kudlich/Nicolai, JA 2020, 881, 886; Singelnstein/Derin, NJW 2017, 2646, 2651; KK-StPO/Krehl, 9. Aufl., § 244 Rn. 87b; LR/ Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 359h; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 244 Rn. 95b; SSW-StPO/Sättele, 5. Aufl., § 244 Rn. 145; demgegenüber Einschränkungen der Norm mit ausführlicher Begründung ablehnend Habetha, NJW 2021, 1288, 1289 f.; Schneider, NStZ 2019, 489, 493 ff.; ebenso Güntge, StraFo 2021, 92, 94 f.; Mosbacher, GA 2022, 481, 488 f. - insoweit abrückend von der in NStZ 2018, 9, 10 f. vertretenen Auffassung; Schlothauer, FS Fischer, S. 819, 823 ff.).
Bei Anwendung der anerkannten Auslegungsmethoden ist § 244 Abs. 6 Satz 3 StPO dahin zu verstehen, dass der Vorsitzende eine Frist zur Anbringung von Beweisanträgen auch dann bestimmen darf, wenn kein tatsachenfundierter Verdacht einer anderenfalls drohenden Prozessverschleppung durch missbräuchlichen Einsatz des Beweisantragsrechts besteht.
(1) Der Wortlaut der Vorschrift spricht gegen ein solches Erfordernis. Die gesetzliche Regelung kennt es gerade nicht, sondern sieht als einzige Voraussetzung für die Bestimmung der Frist den Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme vor.
(2) Die Entstehungsgeschichte der Norm gibt keinen eindeutigen Hinweis auf eine Vorstellung des Gesetzgebers, wonach eine Fristsetzung von (dem Verdacht einer) Verschleppungsabsicht abhängig sein sollte.
Die Regelungen des § 244 Abs. 6 Satz 3 bis 5 StPO wurden mit dem Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 (BGBl. I S. 3202) - damals als Satz 2 bis 4 - geschaffen. Dem zugrundeliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks. 18/11277) lassen sich Ausführungen sowohl für als auch gegen ein einschränkendes Verständnis des § 244 Abs. 6 Satz 3 StPO entnehmen.
(a) Einerseits war erklärtes Ziel der Ergänzung der Vorschrift über die Bescheidung von Beweisanträgen, den Tatgerichten „eine Möglichkeit an die Hand“ zu geben, „dem Stellen von Beweisanträgen zum Zwecke der Verfahrensverzögerung“ zu begegnen (BT-Drucks. 18/11277 S. 14, 34).
Wenngleich der Regierungsentwurf die Verschleppungsabsicht, so wie sie die Rechtsprechung als Ablehnungsgrund definiert hatte (etwa BGH, Beschlüsse vom 9. Mai 2007 - 1 StR 32/07, BGHSt 51, 333 Rn. 15 ff.; vom 8. Juni 2011 - 3 StR 49/11, NStZ 2011, 646), nicht ausdrücklich aufgriff, ging er unter anderem darauf ein, dass die Neuregelung dem Gericht ein Instrument biete, das Verfahren trotz auf dessen Verzögerung zielender, auf nutzlose Beweiserhebungen gerichteter Beweisanträge effektiv zu fördern. Dort heißt es: „Die vorgeschlagene Fristsetzung ermöglicht hingegen dem Gericht eine effiziente Verfahrensführung in den Fällen, in denen sich der Verdacht aufdrängt, dass Beweisanträge zu einem späten Verfahrenszeitpunkt mit dem Ziel der Verfahrensverzögerung gestellt werden und diese Anträge aufgrund der erforderlichen Bescheidung durch begründeten Beschluss das Verfahren lediglich verzögern ohne es weiter zu befördern“ (BT-Drucks. 18/11277 S. 35). Ob der Gesetzgeber die genannten Verdachtsmomente für lediglich die Prozessverschleppung bezweckende Anträge als bloß naheliegenden, jedoch nicht allein erfassten Anlass für eine Fristsetzung verstanden wissen oder eine aus seiner Sicht stets gebotene restriktive Anwendung der Vorschrift zum Ausdruck bringen wollte, die allerdings keinen Eingang in den Gesetzestext fand, bleibt dabei letztlich offen.
(b) Andererseits verfolgte das Reformgesetz generell das Ziel, „eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten“ (BT-Drucks. 18/11277 S. 1, 13) und Regelungen zu schaffen, die „unter Wahrung der Rechte aller Verfahrensbeteiligten der Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung dienen“ (BT-Drucks. 18/11277 S. 1).
Speziell die Schaffung der Befugnis zur Fristsetzung diente dazu, „Verfahrensverzögerungen“ zu vermeiden, „die dadurch entstehen, dass der Angeklagte oder der Verteidiger erst nach Abschluss des gerichtlichen Beweisprogramms oder auch noch nach Schluss der Beweisaufnahme wiederholt neue Beweisanträge“ stellt „und diese dann im Laufe der Hauptverhandlung durch begründeten Beschluss beschieden werden müssen“ (BT-Drucks. 18/11277 S. 34). Dies lässt sich dahin verstehen, dass dem Tatgericht allgemein die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, ein solches Verteidigungsverhalten zu verhindern. Auf einen tatsachenfundierten Verdacht künftiger in Verschleppungsabsicht gestellter Beweisanträge kommt es danach nicht an. Demgemäß genösse, obgleich der Verteidigung generell „unbenommen“ bleibt, „Beweisanträge im Rahmen ihrer Verteidigungsstrategie (einstweilen) zurückzuhalten“ (BT-Drucks. 18/11277 S. 34 f.), das taktisch motivierte sukzessive Anbringen von Beweisersuchen am Ende der Hauptverhandlung keinen rechtlichen Schutz mehr (vgl. Habetha, NJW 2021, 1288 f.; Schneider, NStZ 2019, 489, 490).
Bereits aus den Reihen der Expertenkommission, die vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Vorfeld der Reform eingesetzt worden war, wurde ein entsprechendes Konzept vorgeschlagen, das eine im Grundsatz anlasslose Fristsetzung vorsah. Der Vorschlag war ausdrücklich darauf gerichtet, dem Vorsitzenden „jenseits der Frage eines Missbrauchs von Verfahrensrechten“ die Befugnis zur Bestimmung der Frist einzuräumen; diese „Lösung“ des Problems der missbräuchlichen Inanspruchnahme beweisrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten war bewusst „unabhängig vom Kriterium der Verschleppungsabsicht“ erarbeitet worden (Krauß, in: Bericht der Expertenkommission, Oktober 2015, Anlagenband I - Gutachten S. 578, 582; Sechste Sitzung der Expertenkommission am 11./12. Mai 2015, in: Bericht der Expertenkommission, Oktober 2015, Anlagenband II - Protokolle S. 187, 213). Deutlich mehr als die Hälfte der Kommissionsmitglieder nahmen den Vorschlag an (Sechste Sitzung der Expertenkommission am 11./12. Mai 2015, aaO, S. 219; zum Ganzen Habetha, NJW 2021, 1288 f.).
(c) Aus dem indifferenten Bild, das die Gesetzesmaterialien bieten, lassen sich somit keine sicheren Rückschlüsse auf die gesetzgeberische Haltung ziehen.
(3) Gesetzessystematische Erwägungen sprechen gegen eine an Verschleppungsabsicht anknüpfende Einschränkung der Norm.
Was den systematischen Zusammenhang des § 244 Abs. 6 Satz 3 StPO betrifft, ist die erst mit dem Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2121) und damit zeitlich nachfolgend eingefügte Regelung des § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO in den Blick zu nehmen. Diese der auszulegenden Norm unmittelbar vorangestellte Vorschrift hat explizit den Umgang mit zum Zweck der Prozessverschleppung gestellten Beweisanträgen zum Gegenstand. Im Zuge der Einführung ließ der Gesetzgeber allerdings die Befugnis zur Fristsetzung unberührt, verknüpfte sie insbesondere nicht mit dem Erfordernis einem der Verschleppungsabsicht entsprechenden oder nahekommenden Kriterium. Ein solches für beide Regelungen zumindest ähnliches - teils geschriebenes, teils ungeschriebenes - Merkmal führte indes dazu, dass der Anwendungsbereich des § 244 Abs. 6 Satz 3 StPO in wesentlichen Teilen leerliefe; denn das Tatgericht ist nach § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO bei festgestellter Verschleppungsabsicht ohnehin von der Pflicht zur Bescheidung der betreffenden Anträge gemäß § 244 Abs. 6 Satz 1 StPO befreit (vgl. Güntge, StraFo 2021, 92, 95; ferner Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 244 Rn. 95a).
(4) Schließlich und maßgeblich widerstreiten Sinn und Zweck der Norm einem Verständnis, wonach eine Fristsetzung den konkreten Verdacht einer Verschleppungsabsicht voraussetzt.
Bei der teleologischen Auslegung des § 244 Abs. 6 Satz 3 StPO ist zu berücksichtigen, dass die Fristsetzung dem Tatgericht ermöglichen soll, nach Durchführung der amtswegigen Beweisaufnahme den Abschluss des Verfahrens beschleunigt herbeizuführen und hierdurch eine effiziente Verfahrensgestaltung sicherzustellen. Dieser Zweck wäre konterkariert, wenn es hierzu in jedem Fall zunächst der Feststellung von hinreichenden Verdachtsmomenten für eine Verschleppungsabsicht in Bezug auf die von den Verfahrensbeteiligten gestellten Beweisanträge bedürfte. Dem Gericht wäre danach beispielsweise in Fällen, in denen Beweisanträge bislang nur angekündigt, aber nie oder nur vereinzelt gestellt wurden, die Möglichkeit einer Fristsetzung zur Beschleunigung des Verfahrens regelmäßig genommen. Dies könnte in der spruchrichterlichen Praxis zu dem Ergebnis führen, dass das Gericht nach Abschluss der von Amts wegen durchgeführten Beweisaufnahme erst über eine Vielzahl von Hauptverhandlungstagen die Stellung von Beweisanträgen abwarten müsste, um anschließend - so sich dann ein entsprechender tatsachenfundierter Missbrauchsverdacht feststellen ließe - eine Frist nach § 244 Abs. 6 Satz 3 StPO bestimmen zu können. Die vom Gesetzgeber intendierte Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung wäre in diesen Fällen kaum mehr zu erreichen.
Zudem würde in Fallkonstellationen, in denen von mehreren Verfahrensbeteiligten lediglich einzelne mit der Intention der Prozessverschleppung agieren, eine einheitliche Fristsetzung zu Wertungswidersprüchen führen, da sie gleichermaßen die Verfahrensbeteiligten träfe, welche die Anordnung nicht herbeigeführt haben (vgl. Schneider, NStZ 2019, 489, 494; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 359k; SSW-StPO/Sättele, 5. Aufl., § 244 Rn. 146). Wäre in diesen Fällen eine solche Anordnung hingegen erst zulässig, wenn bei allen davon Betroffenen eine Verschleppungsabsicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt würde oder auch nur ein entsprechender konkreter Verdacht bestünde, liefe dies dem Zweck der Vorschrift im Sinne eines zügigen Verfahrensabschlusses - gerade in Umfangsverfahren mit vielen Verfahrensbeteiligten - ebenfalls erkennbar zuwider.
Insgesamt lässt sich das von dem Gesetzgeber mit der Einführung der Vorschrift verfolgte Ziel nicht mit einer Koppelung der Fristsetzung an ein der Verschleppungsabsicht entsprechendes oder nahekommendes Kriterium erreichen. Den Tatgerichten sollte mit der Einführung der Möglichkeit der Fristsetzung ein effizientes Mittel zur Verfahrensbeschleunigung an die Hand gegeben werden; dieser Zweck ist mit einer derartigen Restriktion unvereinbar. Auch wenn vor dem Hintergrund, dass Beweisanträge im Regelfall vor Abschluss der Beweisaufnahme zu bescheiden sind und § 244 Abs. 6 Satz 3 StPO eine davon abweichende Ausnahmevorschrift darstellt, grundsätzlich Anlass zu einer eher engen Auslegung besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2021 - 3 StR 300/20, BGHSt 66, 96 Rn. 15), bedeutet dies mit Blick auf die vorstehenden Erwägungen nicht, dass eine solche einschränkende Interpretation ohne Anhalt im Gesetzeswortlaut geboten wäre, um dem Ausnahmecharakter der Norm Genüge zu tun. Vielmehr obliegt es den Tatgerichten, durch sachgerechte Ausübung des ihnen bei der Fristsetzung eingeräumten Ermessens die betroffenen Interessen einzelfallbezogen im Lichte der aufgezeigten gesetzgeberischen Anliegen gegeneinander abzuwägen und dies den Verfahrensbeteiligten mitzuteilen. Insoweit ist nicht nur die sachleitende Anordnung des Vorsitzenden, sondern auch die auf eine Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO ergehende Entscheidung des Gesamtspruchkörpers beachtlich.
bb) Mit der Anordnung des Vorsitzenden vom 5. März 2021, mit der er die Frist zur Anbringung von Beweisanträgen bestimmte, und dem bestätigenden Beschluss des Staatsschutzsenats vom 19. März 2021 wurden die hierfür bedeutsamen prozessualen Umstände ausführlich sowie nachvollziehbar dargelegt und damit die fehlerfreie Ausübung des tatrichterlichen Ermessens belegt.
cc) Entgegen der Auffassung der Revisionen waren die von Amts wegen vorgesehenen Beweiserhebungen zum Zeitpunkt der Fristsetzung abgeschlossen.
Die Beweisaufnahme als solche hat keinen von außen festgelegten Umfang; vielmehr folgt ihre Ausgestaltung dem tatrichterlichen Ermessen in den Grenzen der Aufklärungsplicht. Das Tatgericht verschafft sich eigenständig unter Beteiligung der insoweit mitwirkungsberechtigten anderen Verfahrenssubjekte die tatsächlichen Grundlagen seiner Entscheidung über den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch (vgl. LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 3). Es ist insbesondere nicht an die Beweismittelliste der Anklageschrift gebunden (s. LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 200 Rn. 37). Eingedenk dessen macht es für den Abschluss des gerichtlichen Beweisprogramms keinen Unterschied, ob das Gericht von vorneherein ein bestimmtes Beweismittel als für seine Entscheidungsfindung unerheblich erachtet und daher nicht zum Gegenstand der Beweisaufnahme macht oder ob es - wie hier - erkennbar von der Absicht einer solchen Beweiserhebung abrückt und die Beweisaufnahme aufgrund der geänderten Beurteilung nicht auf das Beweismittel erstreckt.
Der Vorsitzende des Staatsschutzsenats hatte bereits am 30. Oktober 2020 mitgeteilt, es sei nicht beabsichtigt, die Beweisaufnahme von Amts wegen auf weitere Zeugen zu erstrecken; dies galt auch für die ursprünglich geplante Vernehmung des Zeugen „S. “. In gleicher Weise hinderte die gerichtlicherseits veranlasste, aber nicht abgewartete Auswertung des bei dem Angeklagten R. im Untersuchungshaftvollzug aufgefundenen Mobiltelefons nebst SIM-Karten nicht den Abschluss der amtswegigen Beweisaufnahme. Spätestens anlässlich der Fristsetzung brachte das Kammergericht zum Ausdruck, etwaige aus dieser Auswertung gewonnene Erkenntnisse nicht zum Gegenstand seiner Entscheidungsfindung machen zu wollen. Der Entschluss, nicht weiter zu warten, lag darin begründet, dass es bei der Auswertung zumindest primär um Umstände ging, welche die Haftgründe berührten. Im Übrigen hatte das Ermittlungsersuchen schon nicht zum Inhalt, ein strengbeweisliches Beweismittel in der Hauptverhandlung zu nutzen.
dd) Gegen die Länge der gesetzten Frist ist eingedenk des beschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. hierzu Krehl, FS Fischer, S. 705, 721; KK-StPO/Krehl, 9. Aufl., § 244 Rn. 87h; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 244 Rn. 108; s. auch Schlothauer, FS Fischer, S. 819, 826) ebenfalls nichts zu erinnern.
Bei der stets von den Gegebenheiten des Einzelfalls abhängigen Beurteilung der Angemessenheit der Fristdauer waren zwar einerseits insbesondere die durch den Auslandsbezug der Tat und der Beweismittel bedingte Komplexität des Umfangsverfahrens sowie die Umstände in den Blick zu nehmen, dass gegen beide Angeklagte Untersuchungshaft vollzogen wurde und sie zur Verständigung mit ihren Verteidigern eines Dolmetschers bedurften. Andererseits musste jedoch Berücksichtigung finden, dass der Staatsschutzsenat bereits mit dem Beschluss vom 9. Oktober 2020 seine zusammenfassende vorläufige Würdigung der erhobenen Beweise einschließlich der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben dreier Hauptbelastungszeugen sowie der einstweiligen Überzeugungsbildung zur - freiwilligen - Mitwirkung der Angeklagten an dem Hinrichtungsgeschehen offengelegt hatte. Das vorläufige Beweisergebnis stand hierbei im Wesentlichen in Einklang mit der der Anklageschrift zugrundeliegenden Beweislage. Die an dem Tag der Fristsetzung verkündeten Beschlüsse enthielten darüber hinausgehende Erkenntnisse insoweit nur im Hinblick auf die Einschätzung des Staatsschutzsenats zur Glaubhaftigkeit der Bekundungen eines weiteren Belastungszeugen.
Spätestens seit dem Beschluss des Kammergerichts vom 9. Oktober 2020 war somit den Verfahrensbeteiligten dessen vorläufige Beweiswürdigung bekannt. Die nachfolgenden Entscheidungen, mit denen es solche die Glaubhaftigkeit der Angaben der Belastungszeugen betreffende Beweisanträge ablehnte, bezogen sich ihrer Begründung nach lediglich vereinzelt auf neue Gesichtspunkte. Zudem sahen sich die Verfahrensbeteiligten bereits seit der Ankündigung des Vorsitzenden am 30. Oktober 2020 mit dem nahenden Ende der von Amts wegen durchzuführenden Beweisaufnahme konfrontiert und hätten die Zeit von mehr als vier Monaten, die zwischen diesem Tag und dem letztlich bestimmten Fristende verstrich, verstärkt für Beweisanträge nutzen können. Auch der Umstand, dass beide Angeklagte jeweils zwei Verteidiger hatten, durfte angesichts der hierdurch möglichen Arbeitsteilung bei der Stellung von Beweisanträgen Berücksichtigung finden.
Nach alledem liegt ein der beschränkten Kontrolle durch das Revisionsgericht zugänglicher Rechtsfehler nicht vor. Vielmehr bewegt sich die Länge der Frist noch im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens.
2. Die Rügen des Angeklagten A., mit denen er die rechtsfehlerhafte Ablehnung des Antrags auf Einholung eines anthropologisch-morphologischen Sachverständigengutachtens und, hiermit zusammenhängend, Aufklärungspflichtverletzungen geltend macht, sind jedenfalls unbegründet.
a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
In der Hauptverhandlung vom 12. November 2020 wurde der von einer Sachverständigen des Landeskriminalamts Berlin gefertigte „Untersuchungsbericht zur Identifizierung von Personen anhand von Bildaufnahmen“ vom 23. Februar 2018 verlesen. Die Gutachterin hatte den Videoausschnitt zum Kern des Hinrichtungsgeschehens ausgewertet und war in ihrem Bericht zu dem Schluss gekommen, dass zwischen der aus der Betrachtersicht rechts neben dem Opfer abgebildeten Untersuchungsperson und dem Angeklagten A. als Vergleichsperson ein Identitätsausschluss nicht begründet werden könne. Sie habe Ähnlichkeiten der Kopf- und Körperumrissformen festgestellt, die allerdings einen sehr geringen Identifizierungswert hätten, so dass eine Wahrscheinlichkeitsaussage zur Identität nicht möglich sei.
Im Termin am 8. April 2021 und damit nach Ablauf der zur Anbringung von Beweisanträgen gesetzten Frist verlas der Verteidiger des Angeklagten A. einen schriftlichen Antrag auf Einholung eines weiteren anthropologisch-morphologischen Sachverständigengutachtens. Zur Begründung ist darin ausgeführt, der in dem Untersuchungsbericht vorgenommene Personenvergleich sei völlig unzureichend, weil die bisherige Sachverständige ausschließlich den Videoausschnitt zum Kernexekutionsgeschehen ausgewertet habe. Tatsächlich sei die dort rechts neben dem Opfer abgebildete Person („Maskierter VIII“) schon zuvor auf dem Video (als „Maskierter IV“) erkennbar gewesen. Sie sei zweifelsfrei anhand des Munitionsgurts, der Brille und eines Rings identifizierbar. Das weitere Videomaterial biete zusätzliche Anknüpfungstatsachen, beispielsweise zu der Größe und einem Augenliddefekt der bereits zuvor auftretenden „Untersuchungsperson“, aufgrund derer eine Identität mit dem Angeklagten auszuschließen sei.
Dieser Antrag ist in den Urteilsgründen unter Heranziehung der Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO abschlägig beschieden. Zur Begründung wird insbesondere angeführt, durch das eingeholte Gutachten sei bereits das Gegenteil des erstrebten Identitätsausschlusses erwiesen. Das Beweisbegehren beruhe demgegenüber auf einem „Denkfehler“. Im Rahmen der die Feststellungen zur Tatbeteiligung des Angeklagten A. tragenden Beweiswürdigung wird dargelegt, dass nach diesem Gutachten ein Identitätsausschluss nicht begründet werden könne, vielmehr eine Reihe von Ähnlichkeiten zwischen dem Angeklagten und dem Maskierten vorlägen, mit dessen Abbildungen die Sachverständige ihre Vergleichsuntersuchung vorgenommen habe.
b) Der Beschwerdeführer rügt die rechtsfehlerhafte Ablehnung des Beweisantrags ohne Erfolg.
aa) Die Ablehnungsbegründung erweist sich allerdings als rechtlich defizitär, soweit das Kammergericht darauf abgestellt hat, dass das Antragsvorbringen deshalb an einem „Denkfehler“ leide, weil, wenn die Annahme einer Personenidentität des „Maskierten IV“ und des „Maskierten VIII“ zuträfe, beide identische morphologische Merkmale aufwiesen und das begehrte weitere Gutachten somit zu demselben Ergebnis wie das eingeholte käme. Diese Überlegung geht fehl; denn der Staatsschutzsenat hat nicht hinreichend bedacht, dass sich der Antrag gerade auf andere, von der Sachverständigen bislang nicht begutachtete Teile des Videos bezog und dieses Bildmaterial dem Antrag zufolge weitergehende Anknüpfungstatsachen für eine Begutachtung hätte bieten können. Unterstellt, der „Maskierte VIII“ und der auf vorausgegangenen Sequenzen ersichtliche „Maskierte IV“ wären personenidentisch, wäre es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass auf dem Video - wie die Verteidigung mit ihrem Antrag behauptete - beim „Maskierten IV“ morphologische Merkmale zu erkennen wären, die beim „Maskierten VIII“ nicht sichtbar sind, namentlich aufgrund jeweils unterschiedlicher Bildausschnitte, Blickwinkel, Lichtverhältnisse und Sichthindernisse. Unter diesen Prämissen hätten weitere Anknüpfungstatsachen für eine sachkundige Begutachtung zur Verfügung stehen können, die eine Wahrscheinlichkeitsaussage zu einer Personenverschiedenheit des „Maskierten VIII“ und des Angeklagten A. erlaubt hätten; das genügt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. März 1997 - 4 StR 45/97, NStZ-RR 1997, 304; vom 24. August 2007 - 2 StR 322/07, NStZ 2008, 116).
bb) Der Senat hätte den Beweisantrag jedoch mit anderen Erwägungen rechtsfehlerfrei gemäß § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO als bedeutungslos ablehnen können. Deshalb beruht das Urteil nicht auf dem aufgezeigten rechtlichen Mangel (s. § 337 Abs. 1 StPO).
(1) Ein Austausch der Ablehnungsgründe durch das Revisionsgericht ist in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden zulässig.
(a) Grundsätzlich ist es dem Revisionsgericht verwehrt, bei rechtsfehlerhafter Ablehnungsbegründung im Rahmen der Beruhensprüfung auf einen anderen Ablehnungsgrund abzustellen, mit dem das Tatgericht den Beweisantrag ohne Rechtsfehler hätte zurückweisen können. Hierdurch werden - von Ausnahmefällen abgesehen - die Verteidigungsrechte des Antragstellers verletzt; denn er muss Gelegenheit erhalten, sein Prozessverhalten bei Kenntnis des alternativ gewählten Ablehnungsgrundes an diese Verfahrenssituation anzupassen (s. BGH, Urteil vom 11. Juni 1963 - 1 StR 501/62, BGHSt 19, 24, 26; Beschlüsse vom 4. Juni 1996 - 4 StR 242/96, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung 31; vom 12. Januar 2010 - 3 StR 519/09, NStZ-RR 2010, 211, 212; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 10. Aufl., Rn. 326; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 379).
Anders liegt es allerdings bei Hilfsbeweisanträgen. Wird ein solcher im Urteil zu bescheidender Antrag mit rechtsfehlerhafter Begründung zurückgewiesen oder übergangen, ist dies unschädlich, wenn er mit rechtsfehlerfreier Begründung hat abgelehnt werden dürfen und die Ablehnungsgründe vom Revisionsgericht aufgrund des Urteilsinhalts nachgebracht oder ergänzt werden können; denn beim Hilfsbeweisantrag verzichtet der Antragsteller auf weiteres rechtliches Gehör und damit einhergehend auf die Möglichkeit der Anpassung seines Verteidigungsverhaltens an die Gründe des Ablehnungsbeschlusses (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 28. August 1996 - 3 StR 180/96, NJW 1997, 265; vom 26. Oktober 1999 - 1 StR 109/99, NJW 2000, 370, 371; vom 11. Juli 2019 - 1 StR 683/18, juris Rn. 57; Beschluss vom 9. Juni 2020 - 5 StR 167/20, NStZ 2020, 623 Rn. 7, jeweils mwN; ferner Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 10. Aufl., Rn. 326; BeckOK StPO/Bachler, 49. Ed., § 244 Rn. 56; KK-StPO/Krehl, 9. Aufl., § 244 Rn. 236a; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 379; MüKoStPO/Trüg/Habetha, 2. Aufl., § 244 Rn. 411).
(b) Die zu Hilfsbeweisanträgen entwickelten Grundsätze sind auf die vorliegende Fallkonstellation der Bescheidung eines nach Fristablauf gestellten Beweisantrags im Urteil zu übertragen.
Gemäß § 244 Abs. 6 Satz 4 Halbsatz 1 StPO müssen die Ablehnungsgründe im Fall einer nach § 244 Abs. 6 Satz 3 StPO gesetzten und verstrichenen Frist grundsätzlich nicht in der Hauptverhandlung bekannt gegeben werden. Vielmehr darf der Antrag erst in den Urteilsgründen beschieden werden. Vor diesem Hintergrund scheidet - identisch zu der Konstellation eines Hilfsbeweisantrages - die Möglichkeit aus, dass die defizitäre Ablehnung das Recht des Antragstellers auf rechtliches Gehör verletzt und seine Möglichkeiten der Verfahrensgestaltung beeinflusst haben könnte. Angesichts der zulässigen Bescheidung des Beweisbegehrens in den Urteilsgründen verbleibt ihm ohnehin keine Möglichkeit der prozessualen Reaktion in der Hauptverhandlung. Deshalb ist, falls das Revisionsgericht den unzutreffenden Ablehnungsgrund auf eine Verfahrensrüge austauscht oder ergänzt, eine Benachteiligung des Beschwerdeführers ausgeschlossen. Der Umstand, dass der Antragsteller im Fall der Fristsetzung - anders als bei einem Hilfsbeweisantrag - nicht freiwillig auf die Bescheidung nach § 244 Abs. 6 Satz 1 StPO verzichtet, sondern ein solches Vorgehen der Anordnungskompetenz des Vorsitzenden unterfällt, vermag hieran nichts zu ändern; denn dem Antragsteller bleibt eine die Bescheidungspflicht in der Hauptverhandlung auslösende fristgerechte Antragstellung unbenommen.
(2) Die dem Beweisantrag zugrundeliegende Tatsachenbehauptung erweist sich als bedeutungslos im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO.
Die von dem Verteidiger des Angeklagten A. verlesene Antragsschrift bedarf der Auslegung (zur Auslegungsbedürftigkeit von Beweisersuchen vgl. BGH, Beschluss vom 6. März 2014 - 3 StR 363/13, NStZ 2014, 419; Urteil vom 9. Juli 2015 - 3 StR 516/14, NStZ 2016, 116; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 96, 117). Der Antrag selbst enthält keine explizite Beweisbehauptung. Die Antragsbegründung besteht aus einem mehrseitigen Text, der sich mit den im Verfahren bisher gewonnenen Erkenntnissen, dem Beweisthema und -ziel, der fachlichen Eignung der vorgeschlagenen weiteren Sachverständigen sowie den Gründen für die nicht fristwahrende Antragstellung befasst. Dabei werden einige tatsächliche Umstände als feststehend erachtet, andere als der Begutachtung bedürftig, ohne dass die konkrete Tatsachenbehauptung ohne Weiteres ersichtlich ist, deren sachverständige Prüfung begehrt wird.
Gleichwohl kann der Antragsschrift noch eine Beweisbehauptung entnommen werden. Denn die gebotene Auslegung ergibt hinreichend deutlich, dass die Personenverschiedenheit des als „Untersuchungsperson“ bezeichneten Maskierten und des Angeklagten unter Beweis gestellt werden sollte. Der Antragsbegründung ist eindeutig zu entnehmen, dass mit der - augenscheinlich begrifflich von der Untersuchungsperson (ohne Anführungsstriche) zu unterscheidenden - „Untersuchungsperson“ das auf dem Bildmaterial als „Maskierter IV“ bezeichnete IS-Mitglied gemeint ist. Allerdings geht aus dem Text nicht hervor, dass die Personengleichheit des „Maskierten IV“ und des während des Hinrichtungsgeschehens aus der Betrachtersicht rechts neben dem Tatopfer stehenden Manns (des „Maskierten VIII“) unter Beweis gestellt wird. Eine solche Identität wird lediglich als weiterer notwendiger Zwischenschritt für das Beweisziel beschrieben und dabei - auf der Grundlage von nicht die körperliche Beschaffenheit betreffenden Objekten (Munitionsgurt, Brille, Ring) - als „zweifelsfrei“ zugrunde gelegt. Diese Antragsauslegung stützend hat der Beschwerdeführer in der Revisionsbegründung formuliert: „Gegenstand der beantragten Begutachtung sollte schließlich nicht der Merkmalsvergleich von Maskiertem IV und Maskiertem VIII sein, die nach dem Antrag ja identisch waren, sondern aufgrund weiteren Untersuchungsmaterials der Nachweis deren Nicht-Identität mit dem Angeklagten A. .“ Die danach allein unter Beweis gestellte Tatsache, wonach der Angeklagte und die in einem anderen Videoausschnitt zu sehende, als „Maskierter IV“ bezeichnete Person nicht identisch sind, stellt sich als für die Entscheidung bedeutungslos dar. Denn ohne die zusätzliche Annahme, dass zwischen der „Untersuchungsperson“ („Maskierter IV“) und der während der Hinrichtung aus der Betrachterperspektive rechts neben dem Tatopfer stehenden Person („Maskierter VIII“) Personengleichheit besteht, ist diese Tatsache für die Schuld- und Straffrage ohne erkennbaren Belang.
c) Den zwei im Zusammenhang mit der Videoauswertung erhobenen Aufklärungsrügen bleibt gleichfalls der Erfolg versagt.
(1) Dadurch, dass das Kammergericht von der Einholung eines weiteren anthropologisch-morphologischen Sachverständigengutachtens absah, verletzte es nicht seine Pflicht zur amtswegigen Aufklärung des Sachverhalts.
Die Ergebnisse der Beweisaufnahme drängten nicht zu einem derartigen Vorgehen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des im Rahmen der Amtsaufklärungspflicht zu beachtenden Vortrags des Beweisantragstellers zu äußeren Übereinstimmungen zwischen den als „Maskierter IV“ und „Maskierter VIII“ bezeichneten Personen. Die aufgezeigten Merkmale betreffen mit dem Tragen eines Munitionsgurts, einer Brille und eines Rings lediglich alltägliche bzw. im damaligen Bürgerkriegsgebiet von IS-Milizionären vielfach verwendete Gegenstände. Für das Kammergericht drängte sich nicht auf, dass anhand dieser Objekte - sofern sie auf dem vorgelegten Bildmaterial überhaupt hinreichend erkennbar sind - eine anthropologisch-morphologische Begutachtung zum Nachweis einer Personengleichheit dieser beiden Maskierten geführt hätte. Soweit sich das Vorbringen des Beweisantragstellers zu der Körpergröße und einem Augenliddefekt verhielt, betraf dies die behauptete Personenverschiedenheit des „Maskierten IV“ und des Angeklagten A. Dass sich aus diesen morphologischen Merkmalen naheliegend valide Schlüsse auf die Identität der beiden auf den verschiedenen Videoausschnitten abgebildeten Maskierten ziehen ließen, war weder behauptet noch sonst ersichtlich (zum insoweit für die Aufklärungspflicht geltenden Maßstab vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 2005 - 1 StR 91/04, NStZ 2005, 458).
(2) Entgegen dem Revisionsvorbringen des Angeklagten A. verstieß das Kammergericht nicht deshalb gegen die Aufklärungspflicht, weil es die persönliche Anhörung der Sachverständigen des Landeskriminalamts Berlin unterließ. Deren Ausführungen im schriftlichen Untersuchungsbericht waren - wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat - weder missverständlich noch unklar oder widersprüchlich. Daher durfte sich der Staatsschutzsenat mit der Verlesung des schriftlichen Gutachtens begnügen (vgl. grundlegend BGH, Urteil vom 4. April 1951 - 1 StR 54/51, BGHSt 1, 94, 96 ff.; s. auch BGH, Urteil vom 16. März 1993 - 1 StR 829/92, BGHR StPO § 256 Abs. 1 Aufklärungspflicht 1; LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 256 Rn. 4, 72 mwN).
3. Die von den Angeklagten erhobenen 18 Rügen der rechtsfehlerhaften Ablehnung von auf die Vernehmung von Auslandszeugen gerichteten Beweisanträgen nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO sind aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen ganz überwiegend unzulässig. Insbesondere haben es die Beschwerdeführer bei einer Vielzahl der Beanstandungen versäumt, die in der jeweiligen Ablehnungsentscheidung zitierte Auskunft des Auswärtigen Amtes vorzulegen, welche die Frage der Erfolgsaussichten von Zeugenladungen im Irak im Wege der Rechtshilfe zum Inhalt hatte. Ohne die Vorlage ist dem Senat jedoch die gebotene uneingeschränkte revisionsrechtliche Überprüfung der jeweiligen Ablehnungsentscheidung nach dem Maßstab der Aufklärungspflicht verwehrt. Allein die Rügen des Angeklagten A., mit denen er die Ablehnung der Anträge auf Vernehmung der Zeugen Al., Ha. und Alh. moniert, erweisen sich als zulässig. Sie sind jedoch unbegründet:
a) Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein auf die Vernehmung eines Auslandszeugen gerichteter Beweisantrag abgelehnt werden, wenn die Beweiserhebung nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Mit dieser Vorschrift sind die Möglichkeiten zur Ablehnung eines solchen Beweisantrags um den schmalen Bereich erweitert, den die Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 Satz 3 StPO nicht zulassen, obwohl die Amtsaufklärungspflicht die Beweiserhebung nicht gebietet. Bei der Prüfung der Aufklärungspflicht hat das Tatgericht namentlich die Bedeutung und den Beweiswert der Aussage des benannten Zeugen vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses zu würdigen. In diesem Rahmen ist es von dem sonst geltenden Verbot der Beweisantizipation befreit. Es darf seine Entscheidung davon abhängig machen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie die zu erwartenden Ergebnisse zu würdigen wären. Kommt es unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse zu dem Ergebnis, dass der Zeuge die Beweisbehauptung nicht bestätigen werde oder ein Einfluss auf seine Überzeugung auch dann sicher ausgeschlossen ist, wenn der benannte Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigt, ist eine Ablehnung des Beweisantrags in aller Regel nicht zu beanstanden.
In der Ablehnungsentscheidung müssen die maßgeblichen Erwägungen so umfassend dargelegt werden, dass das Revisionsgericht überprüfen kann, ob die Ablehnung auf einer rational nachvollziehbaren, die wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls erkennbar berücksichtigenden Argumentation beruht. Ob das Gebot des § 244 Abs. 2 StPO, die Beweisaufnahme zur Erforschung der Wahrheit auf alle entscheidungsrelevanten Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, es gebietet, dem Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen nachzukommen, kann nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls beurteilt werden. Allgemein gilt der Grundsatz, dass bei einem durch die bisherige Beweisaufnahme gesicherten Beweisergebnis auf breiter Beweisgrundlage eher von der Vernehmung des Auslandszeugen abgesehen werden kann, insbesondere, wenn er nur zu Beweisthemen benannt ist, die lediglich indiziell relevant sind oder die Sachaufklärung sonst nur am Rand betreffen. Dagegen wird die Vernehmung des Auslandszeugen umso eher notwendig sein, je ungesicherter das bisherige Beweisergebnis erscheint, je größer die Unwägbarkeiten sind und je mehr Zweifel an dem Wert der bisher erhobenen Beweise überwunden werden müssen; dies gilt vor allem dann, wenn der Auslandszeuge Vorgänge bekunden soll, die für den Schuldvorwurf von zentraler Bedeutung sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 12. Juli 2018 - 3 StR 144/18, StV 2018, 780 Rn. 5 ff. mwN; vom 16. Februar 2022 - 4 StR 392/20, NStZ 2022, 634, 635 f.; vom 24. November 2022 - 4 StR 263/22, juris Rn. 15 ff.; zum Ganzen auch KK-StPO/Krehl, 9. Aufl., § 244 Rn. 212 f.; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 352 ff.).
Nimmt das Tatgericht eine antizipatorische Beurteilung vor, müssen die hierzu angestellten Erwägungen tragfähig und nachvollziehbar sein; zwingend brauchen sie hingegen nicht zu sein (s. BGH, Urteil vom 13. März 2014 - 4 StR 445/13, BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 14 Rn. 14 mwN). Das Revisionsgericht ist darauf beschränkt, die tatrichterliche Ermessensentscheidung auf Rechtsfehler zu überprüfen, und kann daher nicht etwa dessen rechtlich nicht zu beanstandende Ermessensentscheidung durch seine gegebenenfalls abweichende Einschätzung ersetzen (s. BGH, Urteile vom 27. Mai 1998 - 3 StR 31/98, BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 8; vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 12; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 48 [Fn. 328], 359; MüKoStPO/Trüg/Habetha, 2. Aufl., § 244 Rn. 378).
b) Nach den vorstehend dargestellten Maßstäben begegnet die Ablehnung der Anträge auf Einvernahme der drei genannten Zeugen keinen rechtlichen Bedenken. Auch eingedenk des Umstandes, dass vorliegend eine Auslandstat den Verfahrensgegenstand bildet und hierdurch strengere Maßstäbe an die Ablehnung eines solchen Beweisantrages zu stellen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 - 3 StR 274/09, BGHSt 55, 11 Rn. 37 mwN), halten die Entscheidungen rechtlicher Überprüfung stand.
Das Kammergericht hat in den Urteilsgründen (Zeuge Al.) und im Ablehnungsbeschluss vom 9. Oktober 2020 (Zeugen Ha. und Alh.) jeweils eine Gesamtwürdigung der bedeutsamen Umstände des Einzelfalls vorgenommen. Mit tragfähiger Begründung ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Einfluss auf seine Überzeugung sicher auszuschließen sei. Es hat dabei die Bedeutung und den Beweiswert der in Aussicht gestellten Zeugenaussage vor dem Hintergrund des (bisherigen) Beweisergebnisses gewürdigt, das es zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung als gesichert beziehungsweise zum Zeitpunkt der Beschlussfassung im Sinne eines durch die vorangegangene Beweisaufnahme zunehmend verfestigten dringenden Tatverdachts bewertet hat. Bezüglich des Zeugen Al., der dem Antrag zufolge zu einer erzwungenen Mitwirkung des Angeklagten R. an dem Hinrichtungsgeschehen bekunden sollte, hat der Staatsschutzsenat im Rahmen einer Beweisantizipation das auf dem Tatvideo ersichtliche Gebaren dieses Angeklagten sowie die Abweichung der angekündigten Zeugenaussage von dessen eigener Einlassung im Ermittlungsverfahren berücksichtigt. Hinsichtlich der Zeugen Ha. und Alh. hat er einen voraussichtlichen Einfluss auf seine Überzeugungsbildung auch deshalb verneint, weil es sich bei beiden überwiegend um Zeugen vom Hörensagen handelte, die sich namentlich zu Negativtatsachen äußern sollten.
Der jeweiligen prognostischen Beweislage hat der Staatsschutzsenat das zu erwartende langwierige Rechtshilfeverfahren mit zweifelhaften Erfolgsaussichten gegenübergestellt. Dies hat er insbesondere mit der Auskunft des Auswärtigen Amtes belegt. Im Lichte dessen hat er stets den späten Zeitpunkt der Antragstellung gewürdigt (zur Zulässigkeit dieser Erwägung vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2014 - 4 StR 445/13, BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 14 Rn. 16 mwN; Beschluss vom 28. Juli 2009 - 3 StR 80/09, NStZ 2009, 705).
Die auf diese Gesamtwürdigung gegründete Ermessensausübung des Staatsschutzsenats erweist sich als rechtsfehlerfrei. Insbesondere seine jeweilige vorweggenommene Beweiswürdigung, welche die Beurteilung einschließt, inwieweit das bis dahin gewonnene Beweisergebnis gesichert gewesen ist, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Auf eine eigene Einschätzung der Beweislage durch den Senat als Revisionsgericht kommt es insoweit nicht an.
Zu Recht hat das Kammergericht bei seiner Würdigung den offiziellen Rechtshilfeverkehr mit dem Irak in den Blick genommen. Ihm war es nicht gestattet, zur Beschleunigung des Verfahrens die im Verhältnis zu dem ausländischen Staat gebotene Ladung durch eine formlose zu ersetzen (s. Nr. 121 RiVASt; KMR/Neubeck, StPO, 109. EL, § 48 Rn. 11; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 253; SK-StPO/Rogall, 5. Aufl., § 48 Rn. 39); denn mit dem Irak besteht kein völkerrechtliches Übereinkommen (etwa Art. 5 EURhÜbk, Art. 52 SDÜ), das ein solches Vorgehen zulässt (zur Unzulässigkeit von - auch formlosen - Postzustellungen in den Irak s. den auf der Homepage des Bundesamtes für Justiz abrufbaren „Länderabschnitt Irak“, Bearbeitungsstand: 23. Dezember 2015; zum „kleinen Rechtshilfegrenzverkehr“ innerhalb der Europäischen Union vgl. demgegenüber BGH, Beschluss vom 25. April 2002 - 3 StR 506/01, NJW 2002, 2403). Auch eine unmittelbare telefonische Kontaktaufnahme zu den Auslandszeugen wäre auf Bedenken gestoßen, weil nicht ohne Weiteres angenommen werden kann, dass die verantwortlichen irakischen Behörden hiermit einverstanden gewesen wären (vgl. Rose, wistra 1998, 11, 12 f.; Schomburg/Lagodny/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., Vor § 68 IRG Rn. 12a, 59).
II. Die auf die Sachrügen hin veranlasste umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat keinen die Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
1. Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts ergibt sich für die Beteiligung an den Kriegsverbrechen aus § 1 Satz 1 VStGB. Sie folgt für die tateinheitlich verwirklichten Delikte des Mordes und der Beihilfe zum Mord aus einer Annexkompetenz zu dieser Vorschrift (s. hierzu BGH, Beschluss vom 21. September 2020 - StB 28/20, juris Rn. 38 mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 3. Februar 2021 - AK 50/20, StV 2021, 596 Rn. 51). Was die ebenfalls jeweils idealkonkurrierende mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland betrifft, so ist deutsches Strafrecht gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB anzuwenden:
a) Für die Prüfung, ob nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB der Täter „im Inland betroffen ... wird“, ist der Zeitpunkt des Urteils in der letzten Tatsacheninstanz, nicht derjenige der revisionsgerichtlichen Entscheidung maßgebend (s. BGH, vom 27. Juni 2006 - 3 StR 403/05, BGHR StGB § 7 Abs. 2 Nr. 2 Inland 1; LK/Werle/Jeßberger, StGB, 13. Aufl., § 7 Rn. 94; SSW-StGB/Satzger, 5. Aufl., § 7 Rn. 11). Gleiches gilt für die Beurteilung der Nichtausführbarkeit der Auslieferung im Sinne dieser Vorschrift (s. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2001 - 1 StR 171/01, BGHR StGB § 7 Abs. 2 Nr. 2 Auslieferung 3; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 7 Rn. 5; LK/Werle/Jeßberger aaO, Rn. 104 f.; aA MüKoStGB/Ambos, 4. Aufl., § 7 Rn. 30; NK-StGB/Böse, 6. Aufl., § 7 Rn. 20; SSW-StGB/Satzger aaO, Rn. 14; offengelassen von BGH, Beschluss vom 4. April 2018 - 1 StR 105/18, NStZ-RR 2018, 226; [allein] zur eigenständigen amtswegigen Prüfung durch das Revisionsgericht vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1999 - 3 StR 215/98, BGHSt 45, 65, 74). Dass anderenfalls die Funktionsfähigkeit der stellvertretenden Strafrechtspflege gefährdet sein könnte (so BGH, Beschluss vom 12. Juli 2001 - 1 StR 171/01, aaO), zeigt der vorliegende Fall.
Beide Voraussetzungen haben bei Verkündung des angefochtenen Urteils vorgelegen. Zu diesem Zeitpunkt ist gegen die Angeklagten in Deutschland die Untersuchungshaft vollzogen worden. Noch im August 2022 hat das Auswärtige Amt mitgeteilt, es finde kein Auslieferungsverkehr in den Irak statt. Für das Revisionsverfahren ist es somit ohne Belang, dass der Angeklagte R. zwischenzeitlich wegen der von ihm ausgehenden besonderen Gefahr - indiziell gestützt insbesondere auf die vom Kammergericht im vorliegenden Verfahren getroffenen Feststellungen und Wertungen - in sein Heimatland abgeschoben worden ist. Das gilt umso mehr, als die Botschaft der Republik Irak in Berlin mit einer Verbalnote zugesagt hat, der Angeklagte werde „kein weiteres Mal wegen derselben Beschuldigung vor Gericht gestellt“.
b) Der Aufenthalt des Täters im Inland gemäß § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 4 StGB muss ebenso wenig bis zur Entscheidung des Revisionsgerichts fortdauern (vgl. LK/Krauß, StGB, 13. Aufl., § 129b Rn. 33; NK-StGB/Eschelbach, 6. Aufl., § 129b Rn. 31).
2. Die getroffenen Feststellungen beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und tragen die Schuldsprüche. Dies bedarf der näheren Erörterung nur, soweit das Kammergericht festgestellt hat, dass es sich bei dem Angeklagten A. um die während des Hinrichtungsgeschehens aus der Betrachterperspektive rechts neben dem Tatopfer stehende Person handelte:
Neben den Ausführungen der Sachverständigen, die, wie dargelegt (s. B. I. 2. a]), anhand eines Vergleichs der auswertbaren morphologischen Merkmale des Angeklagten A. und der auf dem Video als „Maskierter VIII“ ersichtlichen Person kein einen Identitätsausschluss begründendes Merkmal hat feststellen können, hat sich der Staatsschutzsenat maßgeblich auf die Aussagen von vier Hauptbelastungszeugen gestützt. Er hat die Glaubhaftigkeit dieser Angaben einer sorgfältigen Prüfung unterzogen.
Die betreffenden beweiswürdigenden Darlegungen sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das gilt auch für die Würdigung der Bekundung eines der Zeugen, er habe auf dem das Hinrichtungsgeschehen dokumentierenden Video den Angeklagten A. wie festgestellt identifiziert. Soweit dessen Revision geltend macht, die Urteilsgründe verhielten sich nicht zu der Belastbarkeit dieser Wiedererkennung trotz des Umstandes, dass der Zeuge den Angeklagten ausweislich der Urteilsgründe nicht sofort selbst auf dem Hinrichtungsvideo entdeckte, sondern erst, nachdem ein Bekannter ihn darauf aufmerksam gemacht hatte, zeigt sie hiermit keinen durchgreifenden Erörterungsmangel auf.
a) In Konstellationen, in denen die Wiedererkennung des Angeklagten durch einen Zeugen mängelbehaftet ist, so insbesondere, wenn eine verstärkte Suggestibilität der Identifizierungssituation oder ein wiederholtes Wiedererkennen vorliegt, bestehen grundsätzlich ein geminderter Beweiswert der Wiedererkennungsleistung und eine diesbezügliche Erörterungspflicht des Tatgerichts (grundlegend BGH, Urteil vom 28. Juni 1961 - 2 StR 194/61, BGHSt 16, 204, 205 ff.; Beschluss vom 25. September 2012 - 5 StR 372/12, NStZ-RR 2012, 381, 382 f.; s. auch BGH, Beschlüsse vom 30. März 2016 - 4 StR 102/16, juris Rn. 10; vom 29. November 2016 - 2 StR 472/16, NStZ-RR 2017, 90; vom 8. Februar 2023 - 6 StR 516/22, NStZ 2023, 250 Rn. 5; MüKoStPO/Maier, 2. Aufl., § 58 Rn. 81 f.).
b) So liegt es hier. Der betreffende Zeuge war, bevor er selbst den Angeklagten A. erkannte, von einem Dritten auf dessen Identität mit einem ganz bestimmten der auf dem Video zu sehenden Hinrichtungsteilnehmer hingewiesen worden. Seine Angaben waren somit potentiell suggestionsbehaftet.
Wenngleich die Urteilsgründe eine ausdrückliche Auseinandersetzung mit einem gerade deswegen geminderten Beweiswert vermissen lassen, geht aus ihnen hinreichend deutlich hervor, dass sich der Staatsschutzsenat dieses Validitätsdefizits bewusst war. Denn dort werden die Abläufe der Identifizierung durch den Zeugen explizit beschrieben. Des Weiteren wird dargetan, bei ihm sei eine „besonders sorgfältige Glaubwürdigkeitsprüfung geboten“, weil er zu den Zeugen zähle, die ihr „Wissen aus Berichten anderer“ ableiteten; denn die betreffende Information über den Angeklagten A. habe ihm zunächst ein Bekannter erteilt.
Die eingehende Bewertung der Angaben des Zeugen zu den Details seiner laienhaften Identifizierung des ihm langjährig bekannten Angeklagten insbesondere anhand des für ihn auf dem Video ersichtlichen Bewegungsmusters und von Merkmalen der „Augenpartie“ unterfällt dem tatrichterlichen Beurteilungsspielraum (zu den Unterschieden zwischen einem wissenschaftlichen Einzelvergleich anthropologisch-morphologischer Merkmale und einem laienhaften Wiedererkennen vgl. BGH, Urteile vom 15. Februar 2005 - 1 StR 91/04, BGHR StPO § 244 Abs. 2 Sachverständiger 19 mwN; vom 7. Februar 2022 - 5 StR 542/20 u.a., juris Rn. 89).
Die Identifizierung durch den Zeugen wird zudem gestützt durch seine Angaben zu den Erklärungen des Angeklagten A. ihm gegenüber, wonach dieser selbst nicht in Abrede stellte, auf dem Video erkennbar zu sein, sondern auf eine „Fotomontage“ verwies. Ferner haben die drei anderen Hauptbelastungszeugen den Urteilsgründen zufolge bekundet, der Angeklagte R. habe ihnen gegenüber jeweils unabhängig voneinander geäußert, auf dem das Hinrichtungsgeschehen zeigenden Video sei sein Vater - unmittelbar - rechts neben dem Tatopfer stehend zu sehen. Auch insoweit ist gegen die sorgfältige Prüfung der Glaubhaftigkeit dieser Zeugenaussagen ebenso wie gegen die Gesamtwürdigung der Beweismittel durch das Kammergericht in Anbetracht des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Urteil vom 25. August 2022 - 3 StR 359/21, NJW 2023, 89 Rn. 17 f. mwN) nichts zu erinnern.
3. Die Strafaussprüche halten ebenfalls revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
Zwar lässt sich den Urteilsgründen nicht ausdrücklich entnehmen, ob das Kammergericht angenommen hat, dass auch der Angeklagte R. als die Tötung fördernder Gehilfe das subjektive Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe verwirklichte, was allerdings angesichts der festgestellten politisch geprägten Motivlage naheliegt (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 2. Mai 2018 - 3 StR 355/17, NStZ 2019, 342 Rn. 12 mwN; vom 21. September 2020 - StB 28/20, juris Rn. 37; Urteil vom 25. August 2022 - 3 StR 359/21, NJW 2023, 89 Rn. 82). Selbst für den Fall, dass der Staatsschutzsenat bei ihm nicht von niedrigen Beweggründen ausgegangen sein sollte, führte dies jedoch nicht zu einem den Strafausspruch betreffenden Rechtsfehler.
Der Revision des Angeklagten R. ist im rechtlichen Ansatz dahin zuzustimmen, dass im Jugendstrafrecht die Kriterien zu berücksichtigen sind, die nach allgemeinem Strafrecht Strafrahmenverschiebungen begründen können, wozu insbesondere vertypte Strafmilderungsgründe gehören (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - 1 StR 444/14, juris Rn. 56; Beschluss vom 5. Februar 2019 - 3 StR 549/18, NStZ-RR 2019, 159; Urteil vom 12. August 2021 - 3 StR 415/20, NJW 2022, 254 Rn. 19). Der Angeklagte machte sich indes zugleich wegen Beihilfe zum Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB, § 27 Abs. 1 StGB strafbar. Diesbezüglich findet über § 2 VStGB der vertypte obligatorische Milderungsgrund der Beihilfe nach § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB Anwendung. Für eine weitere Strafrahmenverschiebung nach § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB besteht mangels einer Anknüpfung dieses Kriegsverbrechens an besondere persönliche Merkmale kein Raum. Damit hat das Kammergericht ausgehend von lebenslanger Freiheitsstrafe, die in § 8 Abs. 1 VStGB für eine Straftat nach dessen Nummer 1 ausnahmslos vorgesehen ist, infolge der durch die Gehilfenstellung bewirkten Strafrahmenverschiebung richtigerweise einen nach Erwachsenenstrafrecht in Ansehung des § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB zugrunde zu legenden Strafrahmen von drei bis 15 Jahren Freiheitsstrafe angenommen.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 292
Bearbeiter: Fabian Afshar