hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 872

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 516/14, Urteil v. 09.07.2015, HRRS 2015 Nr. 872


BGH 3 StR 516/14 - Urteil vom 9. Juli 2015 (LG Hildesheim)

Zulässigkeit der Verfahrensrüge (Behauptung eines bestimmten Verfahrensmangels; Unschädlichkeit der Angabe einer unzutreffenden Rechtsnorm); Anforderungen an die Ablehnung eines Beweisantrages wegen völliger Ungeeignetheit (Auslegung der Begehr als Beweisantrag; Abgrenzung zur bloßen Benennung eines Beweisziels; kriminaltechnisches Sachverständigengutachten zum Kampfhergang; möglicher Einfluss der unter Beweis gestellten Behauptung auf die Überzeugungsbildung; Klärung im Wege des Freibeweises).

§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine zulässige Verfahrensrüge setzt unter anderem voraus, dass der Beschwerdeführer einen bestimmten Verfahrensmangel behauptet. Entscheidend ist dabei, dass der Begründung zweifelsfrei entnommen werden kann, welcher Verfahrensmangel gemeint ist. Kommen nach den durch den Beschwerdeführer vorgetragenen Tatsachen mehrere Verfahrensmängel in Betracht, muss er innerhalb der Revisionsbegründungsfrist die Angriffsrichtung seiner Rüge deutlich machen und dartun, welcher Verfahrensmangel geltend gemacht wird. Dabei ist es regelmäßig unschädlich, wenn - bei sonst ordnungsgemäßer Darlegung und Erkennbarkeit der Angriffsrichtung - (auch) eine unzutreffende Rechtsnorm als verletzt angegeben wird.

2. Ein Beweisantrag im Sinne von § 244 Abs. 3 und 4 StPO erfordert inhaltlich die Behauptung einer bestimmten Beweistatsache. Dies setzt voraus, dass der tatsächliche Vorgang oder der Zustand bezeichnet wird, der mit dem benannten Beweismittel unmittelbar belegt werden kann. Nicht genügend ist allein die Benennung des Beweisziels, also der Folgerung, die das Gericht nach Auffassung des Antragstellers aus von ihm gerade nicht näher umschriebenen tatsächlichen Vorgängen oder Zuständen ziehen soll. Ob der Antragsteller eine Beweisbehauptung in der gebotenen Konkretisierung aufstellt, ist ggf. durch Auslegung des Antrags nach dessen Sinn und Zweck zu ermitteln.

3. Ein Beweismittel ist völlig ungeeignet im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO, wenn ungeachtet des bisher gewonnenen Beweisergebnisses nach sicherer Lebenserfahrung feststeht, dass sich mit ihm das im Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nicht erreichen lässt und die Erhebung des Beweises sich deshalb in einer reinen Förmlichkeit erschöpfen müsste.

4. Wird eine Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt, kommt dies in Betracht, wenn es nicht möglich ist, dem Sachverständigen die tatsächlichen Grundlagen zu verschaffen, deren er für sein Gutachten bedarf. Umgekehrt ist ein Sachverständiger nicht aber schon dann ein völlig ungeeignetes Beweismittel, wenn er absehbar aus den Anknüpfungstatsachen keine sicheren und eindeutigen Schlüsse zu ziehen vermag. Als Beweismittel eignet er sich vielmehr schon dann, wenn seine Folgerungen die unter Beweis gestellte Behauptung als mehr oder weniger wahrscheinlich erscheinen lassen und hierdurch unter Berücksichtigung des sonstigen Beweisergebnisses Einfluss auf die Überzeugungsbildung des Gerichts erlangen können.

5. Ob eine sachverständige Begutachtung auf der verfügbaren tatsächlichen Grundlage zur Klärung der Beweisbehauptung nach diesen Maßstäben geeignet ist, kann und muss der Tatrichter in Zweifelsfällen im Wege des Freibeweises - etwa durch eine Befragung des Sachverständigen zu den von ihm für eine Begutachtung benötigten Anknüpfungstatsachen - klären.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 10. Juni 2014 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und im Übrigen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die sich gegen den Teilfreispruch richtende Revision des Nebenklägers erstrebt die Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes und rügt die Verletzung formellen sowie materiellen Rechts.

Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift hatte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten - neben dem abgeurteilten Betäubungsmitteldelikt - zur Last gelegt, den K. von hinten mit einem Messerstich in den Rücken heimtückisch getötet zu haben.

1. Der Angeklagte hat sich im Wesentlichen dahin eingelassen, dass ihn K. nach einem verbal geführten Streit in seiner Wohnung mit einem - dem Angeklagten gehörenden - Messer bedroht und zur Herausgabe von Marihuana aufgefordert habe. Er habe sich entschlossen, sich zu wehren. Im Verlauf des sich anschließenden Kampfgeschehens sei es ihm schließlich gelungen, K. das Messer aus der Hand zu reißen. Er habe das Messer mit seiner linken Hand genommen und es mit dem angewinkelten Arm in Richtung des ihm den Rücken zuwendenden K. gehalten. Dieser habe seinen Oberkörper unvermittelt nach hinten geschleudert und ihm mit dem Hinterkopf eine „Kopfnuss“ verpasst. Diese Bewegung habe dazu geführt, dass das Messer in K. s Rücken eingedrungen sei. Seine Hand sei immer noch am Griff des Messers gewesen, als er - ein erfahrener Kampfsportler - „Sekundenbruchteile“ später mit seinem rechten Fuß in K. s Kniekehle getreten habe, um ihn zu Boden zu bringen. Dieser habe das Gleichgewicht verloren und beide seien gemeinsam gegen die Haustür gestürzt. Er habe gespürt, dass das Messer dadurch noch tiefer in den Körper eingedrungen sei. Sie seien beide zu Boden gegangen. Er habe das Messer sofort herausgezogen, nachdem ihn K. dazu aufgefordert habe. Er habe sich verteidigen und den Kampf beenden, K. aber nicht töten wollen.

2. Das Landgericht hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass diese Angaben des Angeklagten zum Tathergang unrichtig sind und er den Tod des K. vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt hat. Außerdem sei nicht auszuschließen, dass sich der Angeklagte in einer Notwehrsituation befunden habe. Die Strafkammer hat den Angeklagten deshalb unter Zugrundelegung des Zweifelsatzes insoweit freigesprochen.

II.

Vor diesem Hintergrund rügt der Nebenkläger zutreffend, dass das Landgericht einen Beweisantrag unter Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO rechtsfehlerhaft abgelehnt hat.

1. Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Der Nebenkläger hat in der Hauptverhandlung den - näher begründeten - Antrag gestellt, „ein kriminaltechnisches Sachverständigengutachten zur Rekonstruktion von Geschehensabläufen und Tatgeschehen einzuholen“. Das Sachverständigengutachten werde ergeben, dass das vom Angeklagten „im Rahmen einer sog. geschlossenen Verteidigererklärung geschilderte Tatgeschehen, welches zum Tode des K. geführt haben soll, nicht in der geschilderten Art und Weise stattgefunden haben kann“.

Das Landgericht hat den Antrag gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, die begehrte Einholung eines kriminaltechnischen Sachverständigengutachten sei für den Beweis der behaupteten Tatsache völlig ungeeignet; die objektiv feststehenden Parameter, wie etwa insbesondere Körpergröße und Körpergewicht des Angeklagten sowie des Opfers, Maße und Beschaffenheit des Tatmessers, die im Rahmen der Obduktion des Leichnams erhobenen Befunde zur Stichverletzung, zum Verlauf und zur Tiefe des Stichkanals sowie zur Beschaffenheit der Eintrittswunde, weiterhin die in Augenschein genommenen Lichtbilder aus der Wohnung des Angeklagten, insbesondere des Wohnungsflurs sowie einer Planskizze des Flurs, aus denen sich dessen Größe, die Lage der Türen und der vorgefundenen Blutspuren ergeben, stellten keine ausreichende Grundlage für eine Rekonstruktion des Tathergangs dar und ließen keinen „sicheren Rückschluss“ zu.

2. Die Verfahrensrüge ist zulässig und begründet.

a) Die Verfahrensrüge ist zulässig erhoben, insbesondere ergibt sich aus der Revisionsrechtfertigung die Angriffsrichtung der Rüge hinreichend deutlich und es ist ausreichend dargetan, welcher Verfahrensmangel geltend gemacht wird (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

Eine zulässige Verfahrensrüge setzt unter anderem voraus, dass der Beschwerdeführer einen bestimmten Verfahrensmangel behauptet. Entscheidend ist dabei, dass der Begründung zweifelsfrei entnommen werden kann, welcher Verfahrensmangel gemeint ist. Kommen nach den durch den Beschwerdeführer vorgetragenen Tatsachen mehrere Verfahrensmängel in Betracht, muss er innerhalb der Revisionsbegründungsfrist die Angriffsrichtung seiner Rüge deutlich machen und dartun, welcher Verfahrensmangel geltend gemacht wird. Die Angriffsrichtung bestimmt den Prüfungsumfang seitens des Revisionsgerichts (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 9. Dezember 2014 - 3 StR 308/14, juris; vom 29. August 2006 - 1 StR 371/06, NStZ 2007, 161, 162 sowie Urteil vom 26. August 1998 - 3 StR 256/98, NStZ 1999, 94; KK/Gericke, StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 34 mwN).

An diesen Maßstäben gemessen erweist sich die vom Beschwerdeführer erhobene Verfahrensrüge auch unter diesem Gesichtspunkt als zulässig. In der Revisionsrechtfertigung hat der Beschwerdeführer zunächst den Verfahrensgang dargelegt und dann vorgetragen, dass er im Hauptverhandlungstermin vom 10. Juni 2014 das beschriebene Beweisbegehren erhoben hat. Den Antrag und seine Begründung hat er vollständig mitgeteilt. Weiterhin ergibt sich aus der Revisionsrechtfertigung, dass das Landgericht diesen Antrag als Beweisantrag angesehen und gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO abgelehnt hat, da die begehrte Einholung eines kriminaltechnischen Sachverständigengutachtens für den Beweis der behaupteten Tatsache völlig ungeeignet sei. Auch die Amtsaufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO gebiete die Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens nicht. Den Ablehnungsbeschluss des Landgerichts und seine Begründung hat der Beschwerdeführer ebenfalls vollständig dargelegt. Er macht im Rahmen seiner rechtlichen Bewertung dieser Ablehnungsentscheidung auch geltend, dass das Landgericht diesen Antrag nicht wegen völliger Ungeeignetheit des bezeichneten Beweismittels hätte ablehnen dürfen. Der Umstand, dass er in diesem Zusammenhang auch eine Verletzung der Aufklärungspflicht des Gerichts rügt und § 244 Abs. 2 StPO sowie § 244 Abs. 4 StPO anführt, steht der Zulässigkeit der Verfahrensbeanstandung nicht entgegen. Zum einen hat das Landgericht in seinem Ablehnungsbeschluss den Antrag auch unter dem Aspekt der Aufklärungspflicht abgelehnt und kann der Antragsteller die Zurückweisung seines Beweisantrages sowohl als Verstoß gegen § 244 Abs. 3 bis 5 StPO als auch als Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO rügen (vgl. LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 380 mwN). Zum anderen schadet es im Allgemeinen nicht, dass - bei sonst ordnungsgemäßer Darlegung und Erkennbarkeit der Angriffsrichtung - (auch) eine unzutreffende Rechtsnorm als verletzt angegeben wird (vgl. KK/Gericke aaO). Danach ist hier in Ansehung des gesamten Rügevorbringens nicht zweifelhaft, dass der Beschwerdeführer die Ablehnung seines Antrags durch das Landgericht jedenfalls auch wegen der Annahme völliger Ungeeignetheit des Beweismittels beanstandet.

b) Diese Rüge ist auch begründet. Der vom Beschwerdeführer gestellte Antrag ist ein Beweisantrag im Sinne von § 244 Abs. 3 StPO. Die Ablehnung dieses Beweisantrags durch das Landgericht ist mit § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO nicht vereinbar.

aa) Ein Beweisantrag im Sinne von § 244 Abs. 3 und 4 StPO erfordert inhaltlich die Behauptung einer bestimmten Beweistatsache. Dies setzt voraus, dass der tatsächliche Vorgang oder der Zustand bezeichnet wird, der mit dem benannten Beweismittel unmittelbar belegt werden kann. Nicht genügend ist allein die Benennung des Beweisziels, also der Folgerung, die das Gericht nach Auffassung des Antragstellers aus von ihm gerade nicht näher umschriebenen tatsächlichen Vorgängen oder Zuständen ziehen soll. Ob der Antragsteller eine Beweisbehauptung in der gebotenen Konkretisierung aufstellt, ist ggf. durch Auslegung des Antrags nach dessen Sinn und Zweck zu ermitteln. Bei dieser Auslegung hat das Gericht die Beweisbehauptung unter Würdigung aller in der Hauptverhandlung zutage getretenen Umstände, des sonstigen Vorbringens des Antragstellers sowie ggf. des Akteninhalts zu beurteilen. Dabei dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Dies gilt insbesondere beim Antrag auf Sachverständigenbeweis; denn dort ist der Antragsteller vielfach nicht in der Lage, die seinem Beweisziel zugrundeliegenden Vorgänge oder Zustände exakt zu bezeichnen (vgl. LR/Becker aaO, § 244 Rn. 96).

Daran gemessen stellt das Beweisbegehren des Beschwerdeführers einen Beweisantrag dar: Zwar erweckt die Antragsformel für sich genommen den Anschein, der Nebenkläger behaupte lediglich ein - von ihm noch dazu negativ formuliertes - Beweisziel. Aus der folgenden Begründung ergibt sich jedoch mit ausreichender Deutlichkeit, was er durch das Sachverständigengutachten tatsächlich zu belegen trachtet, nämlich dass nach wissenschaftlichen Erfahrungssätzen der auf der Grundlage der vorhandenen Beweise und Spuren festzustellende Tathergang nicht mit den Angaben des Angeklagten zum Ablauf der Tat zu vereinbaren ist. Hierzu ist zum einen die (schriftlich vorbereitete) „geschlossene Verteidigererklärung“ mit der Einlassung des Angeklagten in die Antragsbegründung eingestellt, zum anderen werden aber auch beispielhaft die - den Akten entnehmbaren - Parameter (Rauminhalt, Quadratmeterzahl, Blutanhaftungen, Stichkanal etc.) aufgelistet, anhand derer nach kriminaltechnischem Erfahrungswissen der Beleg zu führen sei, dass die Beschaffenheit des Tatortes, das Spuren- und Verletzungsbild sowie die weiteren objektivierbaren Tatumstände die Tatschilderung des Angeklagten widerlegen; es werden damit umfangreich Anknüpfungstatsachen benannt, auf die das Gutachten aufbauen soll. Damit wird gleichzeitig deutlich, dass es sich bei dem Beweisbegehren weder um einen bloßen Aufklärungsantrag handelt, der darauf gerichtet ist, durch Versuche oder Rekonstruktion der Tat hypothetisch mögliche andere Tatabläufe zu ermitteln (vgl. dazu LR/Becker aaO, § 244 Rn. 171 ff. mwN), noch dass der Nebenkläger die allein dem Gericht obliegende abschließende Würdigung des Beweisergebnisses durch die Bewertung des Sachverständigen ersetzt wissen will. Deshalb unterscheidet sich das Beweisthema im vorliegenden Fall entscheidend von dem eines Antrags, der begehrt, lediglich die Ergebnisse eines operativen Fallanalysegutachtens in die Hauptverhandlung einzuführen (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 2006 - 3 StR 77/06, NStZ 2006, 712). Somit ist der Anwendungsbereich des § 244 Abs. 3 bis 6 StPO eröffnet.

bb) Die Ablehnung des Beweisantrags durch das Landgericht hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Ein Beweismittel ist völlig ungeeignet im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO, wenn ungeachtet des bisher gewonnenen Beweisergebnisses nach sicherer Lebenserfahrung feststeht, dass sich mit ihm das im Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nicht erreichen lässt und die Erhebung des Beweises sich deshalb in einer reinen Förmlichkeit erschöpfen müsste. Wird eine Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt, kommt dies in Betracht, wenn es nicht möglich ist, dem Sachverständigen die tatsächlichen Grundlagen zu verschaffen, deren er für sein Gutachten bedarf. Umgekehrt ist ein Sachverständiger nicht aber schon dann ein völlig ungeeignetes Beweismittel, wenn er absehbar aus den Anknüpfungstatsachen keine sicheren und eindeutigen Schlüsse zu ziehen vermag. Als Beweismittel eignet er sich vielmehr schon dann, wenn seine Folgerungen die unter Beweis gestellte Behauptung als mehr oder weniger wahrscheinlich erscheinen lassen und hierdurch unter Berücksichtigung des sonstigen Beweisergebnisses Einfluss auf die Überzeugungsbildung des Gerichts erlangen können. Ob eine sachverständige Begutachtung auf der verfügbaren tatsächlichen Grundlage zur Klärung der Beweisbehauptung nach diesen Maßstäben geeignet ist, kann und muss der Tatrichter in Zweifelsfällen im Wege des Freibeweises - etwa durch eine Befragung des Sachverständigen zu den von ihm für eine Begutachtung benötigten Anknüpfungstatsachen - klären (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 3 StR 284/11, NStZ 2012, 345 mwN).

Danach vermag die vom Landgericht gegebene Begründung die Ablehnung des Beweisantrags nicht zu rechtfertigen. Sie stützt sich maßgeblich darauf, die vorhandenen Anknüpfungstatsachen seien für eine genaue Tatrekonstruktion nicht ausreichend und es fehle an zwingend erforderlichen weiteren Anknüpfungstatsachen, die „einen sicheren Rückschluss dahin zulassen, ob der von dem Angeklagten geschilderte Tathergang … sich keineswegs so zugetragen haben kann“. Damit werden zum einen schon die rechtlichen Maßstäbe für die Einstufung des Sachverständigenbeweises als völlig ungeeignetes Beweismittel verkannt. Zum anderen ist aber auch nicht belegt, dass ein Sachverständiger nicht in der Lage wäre, aus den zahlreich vorhandenen Beweisergebnissen und Spuren nicht zumindest Wahrscheinlichkeitsaussagen zu deren Übereinstimmung mit der vom Angeklagten abgegebenen Tatschilderung zu machen. Eine Klärung dieser Fragen im Freibeweis durch Anhörung eines kompetenten Sachverständigen hat das Landgericht nicht vorgenommen.

3. Auf der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags beruht das Urteil, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Landgericht nach Einholung des kriminaltechnischen Sachverständigengutachtens zu einer anderen Beurteilung des Tathergangs und der Einlassung des Angeklagten hierzu gekommen wäre. Die Voraussetzungen, unter denen in Fällen der fehlerhaft begründeten Ablehnung eines Beweisantrags ausnahmsweise ein Beruhen ausgeschlossen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 - 3 StR 519/09, NStZ-RR 2010, 211, 212 f.), liegen nicht vor.

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 872

Externe Fundstellen: NStZ 2016, 116; StV 2016, 337

Bearbeiter: Christian Becker