HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 476
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 355/17, Beschluss v. 02.05.2018, HRRS 2018 Nr. 476
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 3. August 2016 werden verworfen. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Oberlandesgericht hat die Angeklagten wegen Mordes zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Die jeweils auf Verfahrensbeanstandungen und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen haben aus den Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts keinen Erfolg. Ergänzend zu den dortigen Ausführungen bedarf es folgender Erörterungen:
1. Die von beiden Beschwerdeführern wortgleich erhobene Rüge der Verletzung von § 244 Abs. 2, 3 und 5 StPO durch die Ablehnung der Vernehmung der Zeugen S. und St. ist zulässig, aber unbegründet:
a) Die vom Generalbundesanwalt als fehlend bemängelten, im Beweisantrag und in dem Ablehnungsbeschluss in Bezug genommenen Dokumente und Sachaktenbestandteile waren zur Entscheidung über die Verfahrensbeanstandung nicht erforderlich; ihre fehlende Vorlage stellt mithin keine Missachtung der sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Formerfordernisse dar. Das Recht zur Geltendmachung von Verfahrensfehlern mit Blick auf eine Verletzung des Beweisantragsrechts haben die Beschwerdeführer auch nicht verwirkt, weil sie ein Missverständnis des Tatgerichts nicht ausgeräumt hätten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Antragsteller eines Beweisantrags zwar gehalten sein, die unzutreffende Auslegung seines Antrags durch einen entsprechenden Hinweis oder einen neuen Beweisantrag noch in der Hauptverhandlung aufzuklären, wenn das gerichtliche Missverständnis jedenfalls auch auf der ungenauen Formulierung des Beweisantrags beruht. Dies ist etwa der Fall, wenn das Gericht ein Beweisbegehren nicht als Beweisantrag behandelt, weil der Antragsteller einen Zeugen nicht zum Beleg für dessen Wahrnehmungen benennt, sondern allein für Schlussfolgerungen (das Beweisziel), die dieser auf nicht mitgeteilter Erkenntnisgrundlage gezogen haben soll; dann ist der Antragsteller gehalten, die Tatsachen zu konkretisieren, die Gegenstand der unmittelbaren eigenen Wahrnehmung des Zeugen gewesen sein sollen (BGH, Urteil vom 14. August 2008 - 3 StR 181/08, NStZ 2009, 171, 173). So verhält es sich hier indes nicht: Aus der Antragsbegründung ging unmissverständlich hervor, dass die Zeugen die in ihr Wissen gestellten Tatsachen dadurch erlangt haben sollten, dass sie jeweils auf der Seite eines Teilnehmers ein Telefongespräch mitgehört hatten.
b) Angesichts dessen hätte das Oberlandesgericht den Antrag nicht deshalb als Beweisermittlungsantrag behandeln dürfen, weil die Zeugen nur hätten bekunden können, was sie gehört hatten, nicht aber, ob das auch tatsächlich zutraf.
Auf diesem Fehler beruht das Urteil indes nicht. Denn hätte der Strafsenat den Antrag richtigerweise als Beweisantrag behandelt, wäre dieser nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO zu bescheiden gewesen, denn er war auf die Vernehmung von Auslandszeugen gerichtet. Nach dieser Vorschrift kann der Antrag auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, abgelehnt werden, wenn die Vernehmung nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist; Maßstab für diese Prüfung ist die Aufklärungspflicht im Sinne von § 244 Abs. 2 StPO (LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 355 ff. i.V.m. Rn. 342 mwN) und damit der gleiche Maßstab, der für die Entscheidung über Beweisermittlungsanträge gilt (vgl. LR/Becker aaO, Rn. 163 mwN). Gemessen an diesem Maßstab hat das Oberlandesgericht - wie auch der Generalbundesanwalt im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat - mit revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Begründung ausgeführt, warum es auch für den Fall, dass die Zeugen die in ihr Wissen gestellten Tatsachen bekundet hätten, nicht zu der Überzeugung gelangt wäre, dass die mitgehörten Gesprächsinhalte tatsächlich der Wahrheit entsprachen.
2. Auf etwaigen Fehlern bei der Bescheidung des Antrags auf die Erhebung von Beweisen zu der daktyloskopischen Untersuchung des Autos des Tatopfers (jeweils Rüge II. 4. der Revisionsbegründungen von Rechtsanwalt Sch. für den Angeklagten M. bzw. den Rechtsanwälten Dr. B., W. und Z. für den Angeklagten P.) würde das Urteil nicht beruhen. Die durch die genannten Beweismittel zu belegende Beweistatsache bestand allein darin, dass das Auto des Mordopfers nach daktyloskopischen Spuren abgesucht worden sei und dabei lediglich ein Daumenabdruck des Opfers am Kofferraumdeckel gesichert werden konnte. Aus dieser Einzeltatsache ergeben sich schon für das unmittelbare Beweisziel der Verteidigung, „dass die Täter das Fahrzeug während und/oder nach der Tat mit dem Zweitschlüssel benutzt“ und anschließend „sämtliche Spuren beseitigt“ hätten, keine über bloße Spekulation hinausreichenden Indizien; erst recht gilt dies mit Blick auf das mittelbare Beweisziel, aus der Nutzung und anschließenden Reinigung des Fahrzeugs ergebe sich ein Hinweis darauf, dass das Mordopfer im Auftrag des jugoslawischen Geheimdienstes SFB SSUP in seinem eigenen Auto hätte entführt werden sollen und diese Entführung eskaliert sei.
Angesichts dessen war die Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache so evident, dass die Beschwerdeführer auch bei einer anderslautenden Ablehnungsbegründung keine weiteren sachdienlichen Anträge hätten stellen können. Es gefährdet den Bestand des Urteils deshalb nicht, dass der Strafsenat bei der Ablehnung des Antrags seinerseits Spekulationen dazu angestellt hat, wie die Täter in den Besitz eines Fahrzeugschlüssels des Opfers gelangt sein könnten.
3. Die Rüge, die Verteidigung sei durch die Nichtgewährung vollständiger Akteneinsicht behindert worden, ist von der Verteidigung des Angeklagten M. schon deshalb nicht zulässig erhoben, weil sich aus ihrem Vorbringen nicht ergibt, wie sie durch den Umgang mit Akteneinsichtsgesuchen der Verteidigung des Angeklagten P. in ihren Rechten bzw. denen des Angeklagten M. beeinträchtigt worden sein könnte.
Soweit diese Rüge von der Verteidigung des Angeklagten P. erhoben worden ist, gilt Folgendes: Das Oberlandesgericht hat der Verteidigung Einsicht in alle Aktenbestandteile gewährt, die es selbst zur Verfügung hatte. Entscheidungen anderer Gerichte, die betreffend weitergehender Anträge auf Akteneinsicht gegenüber dem bayerischen Landeskriminalamt (Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 22. Februar 2017) und gegenüber dem Generalbundesanwalt (Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 13. Mai 2016) ergangen sind, unterliegen in diesem Revisionsverfahren nicht der Prüfung durch den Senat. Nach alledem ist nicht ersichtlich, dass die Verteidigung des Angeklagten P. durch eine Entscheidung des erkennenden Gerichts in einem wesentlichen Punkt beeinträchtigt worden sein könnte. Aus dem gleichen Grund ist eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nicht ersichtlich.
4. Der Senat kann offen lassen, ob in der vorliegenden Fallkonstellation - wie von den Revisionen mit der Sachrüge beanstandet - die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der mittelbaren Täterschaft bei uneingeschränkt verantwortlichem Tatmittler (zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Mitgliedern des Nationalen Verteidigungsrats der DDR bzw. des Politbüros der SED, vgl. BGH, Urteile vom 26. Juli 1994 - 5 StR 98/94, BGHSt 40, 218; vom 8. November 1999 - 5 StR 632/98. BGHSt 45, 270) anwendbar sind. Dagegen könnte sprechen, dass nicht die Schaffung einer für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen einschlägigen Beschlusslage in Rede steht, sondern ein gezielter Liquidierungsauftrag.
Dies gefährdet den Bestand des Urteils indes nicht: Der Angeklagte P. leistete nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts durch die Beschaffung des Schlüssels für die Garage und der letztlichen Festlegung von Tatort und -zeit so wesentliche Tatbeiträge, dass er auch nach allgemeinen Grundsätzen als Mittäter des Mordes anzusehen ist, zumal der Strafsenat insoweit rechtsfehlerfrei begründet hat, dass er die Tat als eigene wollte. Der Angeklagte M. schuf durch seine Mitwirkung an der Liquidierungsentscheidung die nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts nicht wegzudenkende Voraussetzung für die Ausführung des Mordes. Es bedarf insoweit letztlich keiner Entscheidung, ob darin - mit Blick darauf, dass auch dieser Angeklagte die Tat als eigene wollte - bereits ein mittäterschaftlich zu bewertender Tatbei10 11 trag oder in der Weitergabe des Mordauftrags an den Angeklagten P. (nur) eine Anstiftung zum Mord zu sehen ist, die gemäß §§ 211, 26 StGB dazu führen würde, dass der Angeklagte gleich einem Mörder zu bestrafen wäre.
5. Die Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe begegnet entgegen dem Revisionsvorbringen keinen Bedenken. Dabei kommt es auf Einzelheiten der Motivlage nicht entscheidend an: Ohne Rechtsfehler ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass der Ermordung ein politisches Motiv zugrunde lag. Jenseits des Widerstandsrechts aus Art. 20 Abs. 4 GG sind indes keine politischen Beweggründe zur Tötung eines Menschen denkbar, die sich nicht als niedrige Beweggründe im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB erweisen (vgl. MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 94).
HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 476
Externe Fundstellen: NStZ 2019, 342 ; NStZ-RR 2018, 245
Bearbeiter: Christian Becker