HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 596
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, AK 4/24, Beschluss v. 21.02.2024, HRRS 2024 Nr. 596
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.
Der Beschuldigte ist am 2. August 2023 aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 26. Juli 2023 (4 BGs 52/23) festgenommen worden und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft. Der ursprüngliche Haftbefehl ist durch einen neuen, um weitere Tatvorwürfe ergänzten Haftbefehl vom 25. Januar 2024 (4 BGs 6/24) ersetzt worden.
1. Gegenstand des aktuellen Haftbefehls sind die Tatvorwürfe, der Beschuldigte habe zwischen Dezember 2012 und November 2015 in Damaskus (Arabische Republik Syrien) durch 16 selbständige Handlungen a) durch dieselbe Handlung (Fall II. 1. des Haftbefehls vom 25. Januar 2024; hier nachfolgend III. 1. a) aa)) - im Rahmen eines ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung einen Menschen, der sich in seinem Gewahrsam oder in sonstiger Weise unter seiner Kontrolle befand, gefoltert, indem er ihm erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügte, die nicht lediglich Folge völkerrechtlich zulässiger Sanktionen waren, sowie einen Menschen unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt, - im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person grausam und unmenschlich behandelt, indem er ihr erhebliche körperliche oder seelische Schäden zufügte, insbesondere sie folterte oder verstümmelte, - einen Menschen entführt und sich seiner bemächtigt, um die Sorge des Opfers um sein Wohl dazu auszunutzen, einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt zu einer Unterlassung zu nötigen und dadurch dem Vermögen des Genötigten Nachteil zuzufügen, um einen Dritten zu Unrecht zu bereichern, - einen Menschen unter Verwendung eines anderen gefährlichen Werkzeugs und unter schwerer körperlicher Misshandlung bei der Tat rechtswidrig mit Gewalt gegen eine Person zu einer Unterlassung genötigt und dadurch dem Vermögen des Genötigten Nachteil zugefügt, b) durch eine weitere Handlung (Fall II. 2. des Haftbefehls vom 25. Januar 2024; hier nachfolgend III. 1. a) bb)) - im Rahmen eines ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung einen Menschen, der sich in seinem Gewahrsam oder in sonstiger Weise unter seiner Kontrolle befand, gefoltert, indem er ihm erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügte, die nicht lediglich Folge völkerrechtlich zulässiger Sanktionen waren, - im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person grausam und unmenschlich behandelt, indem er ihr erhebliche körperliche oder seelische Schäden zufügte, insbesondere sie folterte oder verstümmelte, - eine andere Person mittels eines gefährlichen Werkzeugs und einer das Leben gefährdenden Behandlung sowie mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt, c) durch eine weitere Handlung (Fall II. 3. a) des Haftbefehls vom 25. Januar 2024; hier nachfolgend III. 1. a) cc)) - im Rahmen eines ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung 26 Menschen versklavt und sich dabei ein Eigentumsrecht an ihnen angemaßt, einen Menschen, der sich in seinem Gewahrsam oder in sonstiger Weise unter seiner Kontrolle befand, gefoltert, indem er ihm erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügte, die nicht lediglich Folge völkerrechtlich zulässiger Sanktionen waren, sowie 26 Menschen unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt, - im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person grausam und unmenschlich behandelt, indem er ihr erhebliche körperliche oder seelische Schäden zufügte, insbesondere sie folterte oder verstümmelte, d) durch eine weitere Handlung (Fall II. 3. b) des Haftbefehls vom 25. Januar 2024; hier nachfolgend III. 1. a) dd)) im Rahmen eines ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung 26 Menschen versklavt und sich dabei ein Eigentumsrecht an ihnen angemaßt sowie 26 Menschen unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt, e) durch zwei weitere Handlungen (Fall II. 4. a) des Haftbefehls vom 25. Januar 2024) jeweils im Rahmen eines ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung mindestens einen Menschen versklavt und sich dabei ein Eigentumsrecht an ihm angemaßt sowie mindestens einen Menschen unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt, f) durch zwei weitere Handlungen (Fall II. 4. b) des Haftbefehls vom 25. Januar 2024) jeweils - im Rahmen eines ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung einen Menschen versklavt und sich dabei ein Eigentumsrecht an ihm angemaßt sowie einen Menschen unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt, - unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht weggenommen, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, und dabei eine Waffe bei sich geführt, g) durch acht weitere Handlungen (Fälle II. 5. und II. 6. des Haftbefehls vom 25. Januar 2024) jeweils - im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt geplündert, - unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht weggenommen, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, und in einem Fall dabei eine Waffe bei sich geführt (Fall II. 6. des Haftbefehls vom 25. Januar 2024) und in den anderen sieben Fällen dabei eine Waffe verwendet (Fall II. 5. des Haftbefehls vom 25. Januar 2024).
2. Der Haftbefehl vom 25. Januar 2024 geht insofern von einer mutmaßlichen Strafbarkeit des Beschuldigten gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3, 5 und 9, § 8 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 6 Nr. 2, § 9 Abs. 1 Alternative 1 VStGB, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5, § 239a Abs. 1, § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 2 Nr. 1 und 3 Buchst. a, § 253 Abs. 1, §§ 255, 25 Abs. 1 und 2, §§ 52, 53 StGB aus.
3. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus anzuordnen, sofern dies angesichts des neu gefassten Haftbefehls vom 25. Januar 2024 veranlasst sei. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat daraufhin die Akten dem Senat zur Entscheidung über die Haftfortdauer nach § 121 Abs. 2 und 4 StPO vorgelegt.
Eine Entscheidung im besonderen Haftprüfungsverfahren ist zum jetzigen Zeitpunkt veranlasst. Der Beschuldigte befindet sich seit mittlerweile mehr als sechs Monaten in Untersuchungshaft. Zwar erstreckt sich der neue Haftbefehl vom 25. Januar 2024 auf weitere dem Beschuldigten zur Last gelegte Taten (Fälle II. 4. bis II. 6. dieses Haftbefehls). Zudem handelt es sich bei diesen um andere Taten im Sinne des erweiterten Tatbegriffs des § 121 Abs. 1 StPO (vgl. zu diesem BGH, Beschlüsse vom 20. September 2023 - AK 54/23, NStZ-RR 2023, 349, 350; vom 3. Februar 2021 - AK 50/20, NStZ-RR 2021, 155; vom 25. Juli 2019 - AK 34/19, NStZ 2019, 626 Rn. 7; MüKoStPO/Böhm, 2. Aufl., § 121 Rn. 26 ff.; BeckOK StPO/Krauß, 50. Ed., § 121 Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 121 Rn. 11). Denn die konkreten Geschehnisse, die den neuen Tatvorwürfen zu Grunde liegen, sind den Ermittlungsbehörden erst durch die Vernehmungen der Zeugen A. am 21. September 2023 und K. am 19. Dezember 2023 bekannt geworden. Indes können die neuen Tatvorwürfe des erweiterten Haftbefehls gegenwärtig weder für sich genommen noch in ihrer Zusammenschau Untersuchungshaft rechtfertigen (vgl. zu dieser Voraussetzung BGH, Beschlüsse vom 19. Oktober 2023 - AK 58/23, juris Rn. 7, 21; vom 20. September 2023 - AK 54/23, NStZ-RR 2023, 349, 350; vom 25. Juli 2019 - AK 34/19, NStZ 2019, 626 Rn. 7 f.; vom 6. April 2017 - AK 14/17, juris Rn. 7; MüKoStPO/Böhm, 2. Aufl., § 121 Rn. 31a; BeckOK StPO/Krauß, 50. Ed., § 121 Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 121 Rn. 11).
Die neuen Tatvorwürfe, der Beschuldigte habe im Jahr 2013 in vier Fällen als ein im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt in Syrien tätiger Milizionär des Assad-Regimes im Stadtteil At-Tadamon von Damaskus Zivilpersonen an einer von seiner Miliz betriebenen Kontrollstelle angehalten, festgenommen und an einen anderen Ort verbracht, an dem sie Zwangsarbeit verrichten mussten (Fälle II. 4. a) und II. 4. b) des Haftbefehls vom 25. Januar 2024), stützen sich, was das konkrete Tatgeschehen bei diesen vier Taten anbelangt, allein auf diesbezügliche Bekundungen des Zeugen K. vom 19. Dezember 2023. Deshalb kann insofern gegenwärtig zwar ein für eine Anklageerhebung hinreichender, nicht jedoch der für Untersuchungshaft erforderliche dringende Tatverdacht bejaht werden. Denn der Zeuge hat hinsichtlich der ersten beiden Fälle lediglich bekundet, er habe wiederholt, wobei er die Vorfälle zeitlich nicht eingrenzen könne, aus der Ferne - aus 700 bis 800 Metern Entfernung - gesehen, dass der ihm als Angehöriger einer regimetreuen Miliz bekannte Beschuldigte an einem Checkpoint Personen anhielt, mit denen er anschließend wegfuhr. Was mit diesen sodann geschah, könne er aus eigener Anschauung nicht bekunden. Später habe er allerdings gehört, diese hätten Zwangsarbeit verrichten müssen. Zu den beiden weiteren Fällen hat dieser Zeuge lediglich als „Zeuge vom Hörensagen“ zu bekunden vermocht, seine beiden Brüder hätten ihm berichtet, jeweils vom Beschuldigten an einem Kontrollpunkt angehalten und zur Verrichtung von militärischen Hilfsdiensten an der Front der Kämpfe zwischen dem syrischen Militär und oppositionellen Kräften gezwungen worden zu sein; sie hätten Sandsäcke schleppen müssen. Der Beschuldigte habe ihnen zudem Geld und Mobiltelefone abgenommen und diese für sich behalten. Die betroffenen Brüder selbst sind (bislang) nicht vernommen worden.
Die weiteren neuen Tatvorwürfe, der Beschuldigte habe zwischen Mitte 2013 und November 2015 in mindestens einem Fall ein Gemüsegeschäft in At-Tadamon aufgesucht und dort zum Verkauf ausgelegtes Gemüse an sich genommen, ohne die Ware zu bezahlen, sowie dem Händler Geld abgenommen und sei an mindestens sechs weiteren derartigen Taten, die von anderen Angehörigen seiner Miliz begangen wurden, beteiligt gewesen (Fälle II. 5. des Haftbefehls vom 25. Januar 2024), werden zwar durch eine Zeugenaussage des Ladeninhabers A. vom 21. September 2023 gestützt. Indes kann insofern ein dringender Tatverdacht der Begehung von Kriegsverbrechen gegen das Eigentum (§ 9 Abs. 1 Alternative 1 VStGB - Plünderung) derzeit nicht bejaht werden. Denn die von diesem und weiteren Zeugen bekundeten Gesamtumstände des Agierens des Beschuldigten im Damaszener Stadtviertel At-Tadamon im Tatzeitraum vermögen den vom Tatbestand geforderten funktionalen Zusammenhang der Tathandlungen mit dem bewaffneten Konflikt (vgl. insofern BGH, Beschluss vom 17. November 2017 - AK 54/16, juris Rn. 29; Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 57/17, BGHSt 62, 272 Rn. 55; LK/Hiéramente/Gebhard, StGB, 13. Aufl., § 9 VStGB Rn. 5; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1216 ff., insb. Rn. 1222) zwar im Sinne eines für eine Anklageerhebung hinreichenden, nicht jedoch dringenden Tatverdachts zu belegen. Eine nicht fernliegend erscheinende Tatbegehung allein „bei Gelegenheit“ des bewaffneten Konflikts genügte für eine Strafbarkeit wegen eines Kriegsverbrechens nach § 9 Abs. 1 VStGB nicht. Bedenken bestehen auch in Bezug auf die Annahme, der Geschädigte sei der „gegnerischen Partei“ zuzuordnen; dieses Erfordernis gilt auch für die Plünderung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. April 2019 - AK 12/19, NStZ-RR 2019, 229, 231; vom 11. Januar 2018 - AK 75-77/17, juris Rn. 32; MüKoStGB/Ambos, 4. Aufl., § 9 VStGB Rn. 3, 7; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1373; insofern kritisch LK/Hiéramente/Gebhard, StGB, 13. Aufl., § 9 VStGB Rn. 26 ff.). Zudem ist hinsichtlich der mutmaßlich von anderen Milizionären vorgenommenen Entwendungen von Waren unklar, inwieweit der Beschuldigte an diesen durch einen konkreten Tatbeitrag mitwirkte. Soweit bei den dem Beschuldigten zur Last gelegten Taten zum Nachteil des Zeugen A. eine Strafbarkeit wegen (besonders) schweren Raubes gemäß § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 2 Nr. 1 Alternative 1 StGB oder (besonders) schwerer räuberischer Erpressung gemäß § 253 Abs. 1, §§ 255, 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 2 Nr. 1 Alternative 1 StGB, jeweils i.V.m. § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB, in Betracht zu ziehen ist, die auch bei Nichtvorliegen eines Kriegsverbrechens gegen das Eigentum nach § 9 Abs. 1 VStGB im Sinne einer Annexkompetenz der Verfolgungszuständigkeit des Generalbundesanwalts unterläge (vgl. insofern BGH, Beschlüsse vom 12. August 2021 - 3 StR 441/20, BGHSt 66, 226 Rn. 14; vom 20. September 2012 - 3 StR 314/12, juris Rn. 20; vom 13. Januar 2009 - AK 20/08, BGHSt 53, 128 Rn. 39), scheidet hierauf gestützte Untersuchungshaft aus, weil gegenwärtig keine Erkenntnisse zum Wert der entwendeten Waren vorliegen, die Bekundungen des Zeugen A. auf eine geringe Höhe des herausverlangten Geldbetrages hindeuten und damit die Verhältnismäßigkeit eines Haftbefehls (§ 120 StPO) nicht beurteilt werden kann.
Entsprechendes gilt für den neuen Tatvorwurf des erweiterten Haftbefehls, der Beschuldigte habe - wie erstmals der Zeuge K. bei seiner Vernehmung am 19. Dezember 2023 bekundet hat - im Jahr 2013 ebenfalls im Damaszener Stadtviertel At-Tadamon mit einem Sturmgewehr Kalaschnikow bewaffnet eine Apotheke betreten und die Herausgabe von Medikamenten verlangt, woraufhin der Apotheker ihm diese aus Angst vor ansonsten befürchteter körperlicher Gewalt ohne Bezahlung überreichte (Fall II. 6. des Haftbefehls vom 25. Januar 2024).
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Der Beschuldigte ist der ihm mit dem Haftbefehl vom 25. Januar 2024 zur Last gelegten Taten II. 1. bis II. 3. b), die bereits Gegenstand des ursprünglichen Haftbefehls vom 26. Juli 2023 gewesen sind, dringend verdächtig.
a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts insofern von folgendem Sachverhalt auszugehen:
Der seinerzeit in Damaskus (Syrien) lebende Beschuldigte schloss sich nach Ausbruch des innerstaatlichen syrischen Konflikts im Jahr 2011 einer regierungstreuen und im Damaszener Stadtviertel At-Tadamon tätigen „Shabiha-Miliz“ (Lijan Shaabiyah) an und agierte als einer ihrer lokalen Anführer. Er unterstand unmittelbar dem Leiter der Miliz, „Abu M. “. Die Gruppierung wurde Ende 2012 in die staatliche paramilitärische Organisation „National Defence Forces“ (NDF) eingegliedert und arbeitete eng mit dem syrischen Militärischen Geheimdienst zusammen. Aufgabe der Stadtteilmiliz war es, im jedenfalls seit Anfang 2012 vorliegenden nichtinternationalen bewaffneten Konflikt in Syrien gemeinsam mit dem syrischen Geheimdienst oppositionelle Bestrebungen in At-Tadamon zu unterbinden. Die Milizionäre gingen dort gewaltsam gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner vor. Sie errichteten Checkpoints auf den Straßen, an denen Zivilpersonen kontrolliert und teilweise auch willkürlich festgenommen und verschleppt wurden, unter anderem, um sie zwangsweise bei militärischen Hilfsdiensten in naheliegenden Kampfgebieten einzusetzen.
Der Beschuldigte, der in dem Stadtteil allgemein bekannt und wegen seiner früheren dortigen beruflichen Tätigkeit als Lkw-Fahrer und Führer von Baumaschinen „Abu H. Trucks“ genannt wurde, patrouillierte gemeinsam mit weiteren, ihm unterstellten Milizionären in einer Militäruniform und bewaffnet auf den Straßen, wobei es ihnen darum ging, die örtliche Zivilbevölkerung einzuschüchtern. Zudem war er an Kontrollstellen der Miliz in leitender Funktion tätig. Dabei nahm er willkürliche Festnahmen vor und zwang Zivilpersonen dazu, ihm Geld und Wertgegenstände auszuhändigen. Insbesondere hielt er vielfach arbeitsfähige Männer in größerer Zahl an, nahm ihnen die Ausweisdokumente ab und verbrachte sie in Gruppen von zehn bis 30 Personen zwangsweise an in der Nähe befindliche Abschnitte der Front zwischen Soldaten der syrischen Armee und oppositionellen Kämpfern, wo sie tageweise als Zwangsarbeiter Sandsäcke befüllen, Barrikaden errichten sowie Schützengräben ausheben mussten und dabei einer hohen Gefahr ausgesetzt waren, durch die Kampfhandlungen getötet oder verletzt zu werden.
aa) Zu einem bislang nicht näher festgestellten Zeitpunkt innerhalb der ersten acht Monate des Jahres 2013 wurde der Zeuge S. von Milizionären der Gruppierung des Beschuldigten an einer Kontrollstelle in At-Tadamon mit der Bezeichnung „Baraka“ festgenommen, gefesselt und zu einem nahegelegenen provisorischen Gefängnis verbracht. Der Grund für das Vorgehen war, dass der Zeuge seinen Werklohn eingefordert hatte für handwerkliche Arbeiten, die er für eine Ehefrau des „Abu M. “, des Anführers der Miliz, verrichtet hatte. Er sollte dazu gebracht werden, auf seine Entlohnung zu verzichten. Nachdem der Zeuge zwei Stunden inhaftiert worden war, wurde er in einen anderen Raum verbracht, wo er auf den ihm persönlich gut bekannten Beschuldigten traf. Der Beschuldigte forderte ihn auf, seine Lohnforderung „zu vergessen“, und schlug ihm mit der rechten und der linken Hand in das Gesicht. Einige Stunden später kamen zwei oder drei andere Milizionäre zu dem Zeugen und prügelten auf Anordnung des Beschuldigten über einen Zeitraum von eineinhalb Stunden mit Plastikrohren mit einer Länge von etwa 1,20 Metern und einem Durchmesser von zwei Zentimetern auf ihn ein. Am darauffolgenden Tag wurde der weiterhin gefangen gehaltene Zeuge wiederum auf Geheiß des Beschuldigten erneut mit den Plastikrohren geschlagen und zudem, nachdem er zu Boden gegangen war, gegen den Kopf getreten, wodurch er eine blutende Platzwunde erlitt, aufgrund derer eine sichtbare Narbe dauerhaft zurückgeblieben ist. Anschließend ließ die Miliz den Zeugen, der sich bedingt durch die Misshandlungen entschlossen hatte, auf seine Forderung zu verzichten, und dies dem Beschuldigten mitgeteilt hatte, frei (Fall II. 1. des Haftbefehls vom 25. Januar 2024).
bb) An einem Tag im Herbst 2014 kontrollierte der Beschuldigte gemeinsam mit „Abu M.“ und einem weiteren Milizionär Zivilpersonen, die in einer Schlange vor einer Bäckerei in der Nähe des „Baraka-Checkpoints“ anstanden, um Brot zu erwerben. Nachdem sie bei der Überprüfung des Ausweises eines der Wartenden festgestellt hatten, dass dieser aus einem von oppositionellen Kräften kontrollierten Ort stammte, beschimpften sie ihn und schlug „Abu M.“ ihn mit der Hand in das Gesicht. Diese Reaktion des Milizführers nahmen der Beschuldigte, der dritte Milizionär sowie ein zwischenzeitlich hinzugekommener Angehöriger des syrischen Militärischen Geheimdienstes zum Anlass, nun ihrerseits auf die Person einzuschlagen. Das Opfer ging zu Boden, woraufhin der Beschuldigte, der Militärstiefel trug, und die beiden anderen jeweils mindestens zwanzig Mal auf ihn eintraten. Weil das Opfer auf eine Frage des „Abu M. “, die er wegen der andauernden Misshandlung durch Tritte und Schläge nicht verstanden hatte, keine Antwort gab, packte der Beschuldigte den Geschädigten an den Haaren, schlug seinen Kopf auf den geteerten Bürgersteig und sagte zu ihm: „Wenn der Chef Dir Fragen stellt, hast Du gefälligst zu antworten, Du Hurensohn!“ Daraufhin fesselte der Beschuldigte die Hände des Opfers mit einem Kabelbinder und stellte ihm weitere Misshandlungen in Aussicht. Sodann hoben der Beschuldigte und der dritte Milizionär den unter anderem aus Mund und Nase blutenden Geschädigten vom Boden hoch und verbrachten ihn auf die Ladefläche eines zwischenzeitlich von „Abu M.“ per Funk herbeigeorderten Pickup-Fahrzeugs der Miliz. Anschließend fuhr der Beschuldigte mit dem Fahrzeug und dem Geschädigten, der mit hoher Wahrscheinlichkeit anderenorts weiter misshandelt wurde, davon (Fall II. 2. des Haftbefehls vom 25. Januar 2024).
cc) Im Dezember 2012 hielt der mit einem Sturmgewehr „Kalaschnikow“ bewaffnete Beschuldigte an einem Kontrollpunkt bei der „Kastana“-Fliesenfabrik am Rand von At-Tadamon den im hiesigen Ermittlungsverfahren anonymisiert als „Z_20_04_70017“ geführten Zeugen an. Als dieser aus seinem Auto ausstieg, nahm der Beschuldigte ihm den Ausweis ab und befahl ihm, mit ihm zur „Kastana“-Fabrik zu fahren. Dort zwang er ihn und 25 weitere Zivilpersonen, Sandsäcke auf Fahrzeuge, darunter das des Zeugen, aufzuladen. Anschließend mussten der Zeuge und die weiteren zur Zwangsarbeit verpflichteten Zivilpersonen mit den Fahrzeugen zum Büro des „Abu M.“ in der Daaboul-Straße in At-Tadamon fahren, wo ihnen bedeutet wurde, ihre Fahrzeuge an diesem einem Beschuss durch gegnerische Kräfte ausgesetzten Ort stehen zu lassen. Als der Zeuge anmerkte, sein Auto selbst zu benötigen, wies der Beschuldigte fünf dort anwesende Milizionäre an, gegen ihn vorzugehen, woraufhin diese vereint und massiv mit Fäusten auf den Zeugen einschlugen. Der Beschuldigte fuhr daraufhin mit den weiteren 25 Zwangsverpflichteten weg, während dem Zeugen befohlen wurde, vor Ort zu warten. Als der Beschuldigte einige Zeit später mit einem Pkw zurückkehrte, bemerkte er, dass der Zeuge im Begriff war, sich in ein anderes Gebäude zu begeben. Um einen vermuteten Fluchtversuch zu verhindern, fuhr der Beschuldigte ihn mit seinem Auto an. Er traf ihn an der rechten Schulter, wodurch der Zeuge erhebliche Schmerzen erlitt. Einige Zeit später wurde dem Zeugen, der sich mittlerweile etliche Stunden in der Gewalt der Miliz befand, gestattet, sich zu entfernen (Fall II. 3. a) des Haftbefehls vom 25. Januar 2024).
dd) An einem derzeit nicht näher bestimmbaren Tag im Juni oder Juli 2014 traf der Zeuge „Z_20_04_70017“ in der Nähe der „Kastana“-Fabrik erneut auf den Beschuldigten, der wieder einmal dabei war, arbeitsfähige Männer anzuhalten, gegen ihren Willen festzuhalten und zu militärischen Unterstützungsarbeiten für das syrische Regime zu zwingen. Der Beschuldigte stoppte den Zeugen, nahm ihm den Ausweis ab und gebot ihm, sich zur „Kastana“-Fabrik zu begeben und dort gemeinsam mit weiteren vom Beschuldigten verhafteten Zivilpersonen zu warten. Nachdem der Beschuldigte durch das Anhalten von Fahrzeugen 25 bis 30 weitere Personen in seine Gewalt gebracht hatte, fuhr er mit dem Zeugen und den übrigen mindestens 25 Gefangenen wiederum zum Büro des „Abu M.“ in der Daaboul-Straße in At-Tadamon. Dort mussten der Zeuge und die weiteren zur Zwangsarbeit verpflichteten Zivilpersonen Sandsäcke über die Straße und in ein Gebäude schleppen und dort im vierten Stock an den Fenstern zum Schutz vor Waffengewalt oppositioneller Kämpfer aufstapeln. Der Beschuldige trieb die Gefangenen mit einem Stock in der Hand dazu an, die Arbeit zu verrichten, wobei er einzelne Personen - nicht jedoch den Zeugen - auch mit dem Stock schlug. Insgesamt schleppten und stapelten der Zeuge und die anderen Inhaftierten in der Zeit zwischen 10.00 Uhr bis zu ihrer „Entlassung“ um 18.00 Uhr ungefähr 350 Sandsäcke. Weil sich die Örtlichkeit, an der die Zwangsarbeit verrichtet werden musste, genau an der Frontlinie zwischen einerseits syrischen Regierungskräften und andererseits oppositionellen Kampfgruppen befand, gerieten der Zeuge und die weiteren Gefangenen während ihrer Arbeit wiederholt unter Beschuss von beiden Seiten der Front. Der Zeuge wurde an diesem Tag nur knapp von einem Schuss eines Scharfschützen verfehlt; allein dem Zufall war geschuldet, dass keiner der zur Zwangsarbeit Verpflichteten körperlichen Schaden nahm (Fall II. 3. b) des Haftbefehls vom 25. Januar 2024).
b) Der dringende Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO) betreffend das Vorgenannte beruht auf Folgendem:
aa) Der Beschuldigte hat sowohl gegenüber einem Mitgefangenen in der Untersuchungshaft als auch - zuvor - gegenüber einem früheren Mitbewohner in B. eingeräumt, im syrischen Bürgerkrieg auf Regierungsseite tätig gewesen und an Gewalttaten zur Unterdrückung der oppositionellen Zivilbevölkerung beteiligt gewesen zu sein. Seine Mitgliedschaft in den „National Defence Forces“ (NDF), seine Tätigkeit für diese im Damazener Stadtteil At-Tadamon und seine Mitwirkung an Gewalttaten zum Nachteil der dortigen oppositionellen Zivilbevölkerung sind zudem von einer Vielzahl im Ermittlungsverfahren vernommener Zeugen bekundet worden, die seinerzeit selbst dort lebten, den Beschuldigten kannten und mitbekamen, dass und in welcher Form er für seine Miliz und die „National Defence Forces“ in At-Tadamon tätig wurde, unter anderem durch Folterung festgehaltener Zivilpersonen, Erpressung von Schutzgeldern und die Verpflichtung von Zivilisten zur Zwangsarbeit an von der Gruppierung betriebenen Kontrollstellen. Gestützt werden diese Erkenntnisse weiter durch die Auswertung von insgesamt 27 Videodateien, die von einem Angehörigen des syrischen Militärgeheimdienstes herrühren und unter anderem Massenexekutionen durch diesen Geheimdienst und die „National Defence Forces“ in At-Tadamon im Jahr 2013 zum Gegenstand haben. Auf einem der Videos ist hochwahrscheinlich der Beschuldigte zu sehen; dieser war nach Angaben eines Zeugen als Baumaschinenführer für das Ausheben der Gruben verantwortlich, an denen die Opfer hingerichtet wurden.
bb) Hinsichtlich der vorstehend geschilderten konkreten Taten, die dem Beschuldigten mit dem Haftbefehl vom 25. Januar 2024 zur Last gelegt werden und von denen im Sinne eines dringenden Tatverdachts auszugehen ist, gilt Folgendes:
(1) Der Zeuge S. hat das Tatgeschehen zu seinem Nachteil aus dem Jahr 2013 den obigen Ausführungen (III. 1. a) aa)) entsprechend bekundet. Zudem hat er den Beschuldigten bei einer Wahllichtbildvorlage eindeutig identifiziert. Die Annahme, dass die Misshandlungen des Zeugen durch Schläge mit Plastikrohren auf eine Anweisung des Beschuldigten zurückgingen, stützt sich auf seine herausgehobene Funktion innerhalb der Miliz und seine unmittelbare Einbindung in das Tatgeschehen.
(2) Das gewaltsame Vorgehen des Beschuldigten und seiner Mitstreiter gegen einen (vermeintlichen) Oppositionellen vor einer Bäckerei im Herbst 2014 (oben III. 1. a) bb)) wird im Sinne eines dringenden Tatverdachts belegt durch die Bekundungen des anonymisiert geführten unmittelbaren Tatzeugen „Z_25_08_70017“, der ebenfalls als Kunde vor der Bäckerei um Brot anstand, das Tatgeschehen beobachtete und dieses bei seiner Vernehmung so wie dargestellt detailliert geschildert hat.
(3) Die Taten zum Nachteil des Zeugen „Z_20_04_70017“ im Dezember 2012 (oben III. 1. a) cc)) und im Juni/Juli 2014 (oben III. 1. a) dd)) hat dieser Zeuge im Rahmen von zwei polizeilichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren detailliert bekundet. Etliche weitere Zeugen haben im Rahmen ihrer Vernehmungen bestätigt, dass der Beschuldigte an Kontrollstellen Personen festnahm und dazu zwang, für das Regime militärische Hilfsdienste im unmittelbaren Frontbereich der bewaffneten Kämpfe zu verrichten; diese Bekundungen stützen die Angaben des Zeugen „Z_20_04_70017“.
Wegen weiterer Einzelheiten zu den bisherigen Beweisergebnissen, die den dringenden Tatverdacht begründen, wird auf den Haftbefehl vom 25. Januar 2024, dort unter IV., Bezug genommen.
2. In rechtlicher Hinsicht folgt daraus, dass sich der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit wie folgt strafbar gemacht hat, soweit es Taten nach dem Völkerstrafgesetzbuch anbelangt:
- im Fall II. 1. des Haftbefehls vom 25. Januar 2024 (oben III. 1. a) aa)) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Folter in Tateinheit mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Freiheitsentziehung und mit Kriegsverbrechen gegen Personen durch Folter gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 5 und 9, § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB;
- im Fall II. 2. des Haftbefehls (oben III. 1. a) bb)) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Folter in Tateinheit mit Kriegsverbrechen gegen Personen durch Folter gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 5, § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB;
- im Fall II. 3. a) des Haftbefehls (oben III. 1. a) cc)) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung in Tateinheit mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Folter, mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Freiheitsentziehung und mit Kriegsverbrechen gegen Personen durch Folter gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3, 5 und 9, § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB sowie
- im Fall II. 3. b) des Haftbefehls (oben III. 1. a) dd)) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung in Tateinheit mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Freiheitsentziehung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3 und 9 VStGB.
Hierzu im Einzelnen:
a) Es besteht kein Verfahrenshindernis der allgemeinen Funktionsträgerimmunität; dem Beschuldigten kommt keine völkergewohnheitsrechtliche funktionelle Immunität zu, die ihn vor einer Strafverfolgung durch einen anderen Staat wegen der ihm zur Last gelegten Taten schützte. Zwar agierte der Beschuldigte hochwahrscheinlich im Dienste des syrischen Staates, so dass seine Taten als staatliches Handeln des Regimes zu bewerten sind, und kommt Personen, soweit es um hoheitliches Handeln für einen fremden Staat geht, unabhängig von einem formalen Status als Staatsbediensteter unter Umständen aus der Staatenimmunität abgeleitete funktionelle Immunität zu. Die allgemeine Funktionsträgerimmunität gilt jedoch bei völkerrechtlichen Verbrechen nicht, und zwar unabhängig vom Status und Rang des Täters. Der Ausschluss dieser funktionellen Immunität fremder Hoheitsträger bei Völkerstraftaten gehört zum zweifelsfreien Bestand des Völkergewohnheitsrechts (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2021 - 3 StR 564/19, BGHSt 65, 286 Rn. 163 ff. mwN [in Bezug auf Kriegsverbrechen gegen Personen durch nachrangige Hoheitsträger]; ICTY [Appeals Chamber], Urteil vom 29. Oktober 1997 - IT-95-14-AR 108 [Blaskic], Rn. 41; Israel Supreme Court, Urteil vom 29. Mai 1962 [Eichmann], International Law Reports 36 [1968], 277, 308 ff.; IMT, Urteil vom 1. Oktober 1946, www.legaltools.org/doc/45f18e, S. 56; s. ferner MüKoStGB/Ambos, 4. Aufl., Vor § 3 Rn. 135 ff.; Ambos, StV 2021, 557 f.; Cassese u.a., Cassese’s International Criminal Law, 3. Aufl., 240 ff.; LK/Esser/Gerson, StGB, 13. Aufl., § 2 VStGB Rn. 48 f.; Frank/Barthe, ZStW 133 [2021], 235, 238 ff.; Jeßberger/Epik, JR 2022, 10 ff.; Kreicker, Völkerrechtliche Exemtionen, Bd. 1, 2007, 175 ff.; Kreicker, JR 2015, 298, 299 ff.; Kreß in Ambos [Hrsg.], Rome Statute of the ICC, 4. Aufl., Art. 98 Rn. 22 ff.; MüKoStGB/Kreß, 4. Aufl., § 6 VStGB Rn. 117; Kreß, NJW 2021, 1335; Werle, JZ 2021, 732, 733 ff.; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 807 ff.). Insofern unterscheidet sich diese funktionelle Immunität von der uneingeschränkten personellen Immunität, die amtierenden höchsten staatlichen Amtsträgern - etwa Staatsoberhäuptern - von Völkerrechts wegen gegenüber fremdstaatlicher Strafverfolgung zukommt und die insofern auch bei völkerrechtlichen Verbrechen - also auch bei Taten, deren Strafbarkeit unmittelbar im allgemeinen Völkergewohnheitsrecht verwurzelt ist - keine Ausnahme erfährt (vgl. IGH, Urteil vom 14. Februar 2002 - 837 - Demokratische Republik Kongo / Belgien - I.C.J. Reports 2002, 3 Rn. 51 ff. [s. auch EuGRZ 2003, 563]; LK/Esser/Gerson, StGB, 13. Aufl., § 2 VStGB Rn. 50; Kreicker, Völkerrechtliche Exemtionen, Bd. 2, 2007, 729 ff.; Kreicker, JR 2015, 298, 302 f.; Kreicker, ZIS 2009, 350, 355; MüKoStGB/Kreß, 4. Aufl., § 6 VStGB Rn. 117; Kreß, GA 2003, 25, 33; Werle/ Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 819).
b) Sämtliche Tathandlungen waren funktional eingebunden in die von § 7 Abs. 1 VStGB für alle Straftatbestände der Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorausgesetzte Gesamttat. Sie waren Teil eines vorsätzlich durchgeführten Angriffs auf die Zivilbevölkerung, der sowohl als ausgedehnt als auch systematisch zu qualifizieren ist. Das Vorgehen des Assad-Regimes gegen die Opposition in Syrien erfüllt - nach hinreichend gesicherten Erkenntnissen - spätestens ab Ende April 2011 und damit im Tatzeitraum diese Tatbestandsmerkmale (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Februar 2021 - AK 50/20, NStZ-RR 2021, 155, 156; vom 6. Juni 2019 - StB 14/19, BGHSt 64, 89 Rn. 55 ff.).
aa) Bei einer Zivilbevölkerung handelt es sich um eine größere Gruppe von Menschen, die über gemeinsame Unterscheidungsmerkmale (etwa das gemeinsame Bewohnen eines geografischen Gebiets oder eine gemeinsame politische Willensrichtung) verfügen, aufgrund derer sie angegriffen werden. Kennzeichnend ist, dass die Maßnahmen auf die einzelnen Tatopfer nicht in erster Linie als individuelle Persönlichkeiten, sondern wegen ihrer Zugehörigkeit zu der Gruppe zielen. Nicht notwendig ist hingegen, dass sich der Angriff gegen die gesamte - in einem Gebiet ansässige - Bevölkerung richtet. Vielmehr ist ausreichend, dass gegen eine erhebliche Anzahl von Einzelpersonen vorgegangen wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Oktober 2021 - AK 43/21, juris Rn. 19; vom 3. Februar 2021 - AK 50/20, NStZ-RR 2021, 155, 156; vom 6. Juni 2019 - StB 14/19, BGHSt 64, 89 Rn. 56; Urteil vom 20. Dezember 2018 - 3 StR 236/17, BGHSt 64, 10 Rn. 164). Für eine Staatsmacht kann auch die eigene Zivilbevölkerung taugliches Tatobjekt sein; außerhalb bewaffneter Konflikte sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit regelmäßig von einem derartigen einseitigen Vorgehen geprägt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Oktober 2021 - AK 43/21, juris Rn. 19; vom 6. Juni 2019 - StB 14/19, BGHSt 64, 89 Rn. 56).
Ein gegen die Bevölkerung gerichteter Angriff ist ein Gesamtvorgang, in den sich die mehrfache Verwirklichung der Einzeltatbestände des § 7 Abs. 1 VStGB einfügt und hinter dem ein Kollektiv (ein Staat oder eine Organisation) steht (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juni 2019 - StB 14/19, BGHSt 64, 89 Rn. 57). Unter einem ausgedehnten Angriff ist ein in großem Maßstab durchgeführtes Vorgehen mit einer hohen Anzahl von Opfern zu verstehen; dies kann sich insbesondere daraus ergeben, dass sich der Angriff gegen eine Vielzahl von Personen richtet oder sich über ein großes geografisches Gebiet erstreckt. Als systematisch ist der Angriff zu beurteilen, wenn die Gewaltanwendung organisiert ist und planmäßig im Sinne eines konsequenten Handelns ausgeführt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Oktober 2021 - AK 43/21, juris Rn. 20; vom 3. Februar 2021 - AK 50/20, NStZ-RR 2021, 155, 156; vom 6. Juni 2019 - StB 14/19, BGHSt 64, 89 Rn. 57).
bb) Das Vorgehen des Assad-Regimes gegen die Opposition in Syrien während des sog. Arabischen Frühlings erfüllt - nach hinreichend gesicherten Erkenntnissen - diese tatbestandlichen Voraussetzungen spätestens mit dem gewaltsamen Vorgehen gegen Demonstranten und andere - auch vermeintliche - Oppositionelle jedenfalls ab Ende April 2011. Ab diesem Zeitpunkt und in der Folgezeit griff das Regime die eigene Zivilbevölkerung an, indem es planmäßig und organisiert mit massiver Gewalt gegen Demonstranten sowie (tatsächliche oder vermeintliche) Oppositionelle vorging, um die Protestbewegung niederzuschlagen. Diese Mitglieder der Zivilgesellschaft wurden zur Erreichung des Ziels, die Aufstände zu beenden, verfolgt, festgenommen, inhaftiert, gefoltert und getötet. Die durch die Sicherheitskräfte, namentlich die Geheimdienste, plan- und regelmäßig ausgeübte Gewalt diente der Einschüchterung der Bürger, um künftige Protestaktionen zu unterbinden. Das Agieren des Angeklagten als Angehöriger der staatlichen syrischen „National Defence Forces“ war Teil dieses Angriffs des Regimes gegen die eigene Zivilbevölkerung.
Der Angriff war auch ausgedehnt und systematisch. Dies belegt die Vielzahl der tatbestandsmäßigen Gewalttaten, die von Seiten der Staatsmacht über einen ganz erheblichen Zeitraum hinweg verübt wurden, sowie die hohe Anzahl der Opfer. Die zentrale Befehligung und Organisation des Vorgehens der Sicherheitskräfte durch die obersten politischen und militärischen Verantwortlichen um den Staatspräsidenten begründen außerdem den systematischen Charakter des Angriffs (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Februar 2021 - AK 50/20, NStZ-RR 2021, 155, 156; vom 5. September 2019 - AK 47/19, juris Rn. 36; vom 6. Juni 2019 - StB 14/19, BGHSt 64, 89 Rn. 58 ff.).
cc) Ob das Tatbestandsmerkmal des gegen die Bevölkerung gerichteten Angriffs im Sinne des § 7 Abs. 1 VStGB zusätzlich ein „Politikelement“ enthält, wonach ein Angriff voraussetzt, dass er in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation vorgenommen wird, die einen solchen Angriff zum Ziel hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2021 - AK 5/21, juris Rn. 37; vom 6. Juni 2019 - StB 14/19, BGHSt 64, 89 Rn. 61; Urteil vom 20. Dezember 2018 - 3 StR 236/17, BGHSt 64, 10 Rn. 168; Beschluss vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, BGHSt 55, 157 Rn. 26), kann an dieser Stelle dahinstehen. Denn ein solches versteht sich vorliegend von selbst.
c) Die beiden hochwahrscheinlichen Taten des Beschuldigten zum Nachteil des Zeugen „Z_20_04_70017“ und der weiteren 25 gemeinsam mit ihm festgenommenen und zur Zwangsarbeit verpflichteten Personen (oben III. 1. a) cc) und dd)) sind jeweils als Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3 VStGB zu werten.
aa) Voraussetzung dieses Tatbestandes ist, dass der Täter ein angemaßtes „Eigentumsrecht“ an einem Menschen ausübt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2022 - AK 32/22, juris Rn. 40; vom 4. Mai 2022 - AK 17/22, NStZ-RR 2022, 227, 228; vom 9. Februar 2021 - AK 5/21, BGHR VStGB § 7 Abs. 1 Menschenhandel 1 Rn. 39 mwN; BT-Drucks. 14/8524 S. 20; IStGH [Trial Chamber IX], Urteil vom 4. Februar 2021 - ICC-02/04-01/15 [Ongwen], Rn. 2711 ff.; MüKoStGB/Werle/Jeßberger, 4. Aufl., § 7 VStGB Rn. 57; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1022). Nachdem von Rechts wegen allerdings kein solches Eigentumsrecht an einer Person bestehen kann, umfasst der Tatbestand der Sklaverei eine de facto vergleichbare Behandlung, bei der der Täter einen Menschen seinem Willen und seinen Interessen unterwirft und diesem die Freiheit abspricht, selbstbestimmt zu handeln. Wesentliche Indizien dabei sind die Kontrolle der Bewegungsfreiheit des Opfers, seine Verletzlichkeit, Misshandlungen und die wirtschaftliche Beherrschung oder Ausnutzung der betroffenen Person. Nicht zwingend erforderlich ist es dagegen, dass das Opfer entgeltlich oder gegen eine sonstige Vergütung „erworben“ oder wieder „veräußert“ worden beziehungsweise die Ausübung des „Eigentumsrechts“ von längerer Dauer ist. Diese Aspekte können jedoch starke Indizien für eine Versklavung sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2022 - AK 32/22, juris Rn. 40; vom 4. Mai 2022 - AK 17/22, NStZ-RR 2022, 227, 228; vom 9. Februar 2021 - AK 5/21, BGHR VStGB § 7 Abs. 1 Menschenhandel 1 Rn. 39; ebenso die internationalen Strafgerichte: IStGH [Trial Chamber IX], Urteil vom 4. Februar 2021 - ICC-02/04-01/15 [Ongwen], Rn. 2712 ff.; IStGH [Trial Chamber II], Urteil vom 7. März 2014 - ICC-01/04-01/07 [Katanga], Rn. 975 f.; ICTY [Trial Chamber], Urteil vom 22. Februar 2001 - IT-96-23-T [Kunarac u.a.], Rn. 542; SCSL [Trial Chamber II], Urteil vom 18. Mai 2012 - SCSL-03-01-T [Taylor], Rn. 447; s. ferner LK/Esser, StGB, 13. Aufl., § 7 VStGB Rn. 99 f.; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1024).
Das völkerstrafrechtliche Verständnis von Versklavung hat sich mithin deutlich entfernt vom klassischen völkerrechtlichen Begriff der Versklavung (so auch LK/Esser, StGB, 13. Aufl., § 7 VStGB Rn. 99), so dass insbesondere die Heranziehung zu Zwangsarbeit - die für sich genommen kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist - unter Aufhebung der Fortbewegungsfreiheit vielfach dem Menschlichkeitsverbrechen der Versklavung unterfällt, insbesondere wenn die erzwungene Arbeitsleistung unentgeltlich erbracht werden muss und negative gesundheitliche Folgen für den Betroffenen haben kann (vgl. ICTY [Appeals Chamber], Urteil vom 17. September 2003 - IT-97-25-A [Krnojelac], Rn. 194 ff.; ICTY [Trial Chamber], Urteile vom 15. März 2002 - IT-97-25-T [Krnojelac], Rn. 358 f., 373; vom 22. Februar 2001 - IT-96-23-T [Kunarac u.a.], Rn. 542; s. ferner MüKoStGB/Werle/Jeßberger, 4. Aufl., § 7 VStGB Rn. 61; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1027 ff.).
Hieran gemessen war eine Versklavung im völkerstrafrechtlichen Sinne gegeben. Der Zeuge „Z_20_04_70017“ und die weiteren 25 Personen wurden festgenommen, an die direkte Frontlinie verbracht und mussten dort unter Lebensgefahr körperlich schwere Zwangsarbeit verrichten. Sie waren dem Willen und den Interessen des Beschuldigten und der weiteren beteiligten Milizionäre schutzlos ausgeliefert und konnten nicht mehr selbstbestimmt handeln. Ihre Bewegungsfreiheit war aufgehoben. Der Beschuldigte und seine Miliz beuteten den Zeugen „Z_20_04_70017“ und die weiteren Opfer aus, indem sie ihre Arbeitskraft ohne Entlohnung vollständig in Anspruch nahmen; neben die Freiheitsberaubung trat mithin eine wirtschaftliche Ausnutzung.
bb) Der Einordnung der Taten als Versklavung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3 VStGB steht die geringe Dauer der Gefangenhaltung und Verpflichtung zur Zwangsarbeit nicht entgegen.
(1) Zwar blieben der Zeuge „Z_20_04_70017“ und die weiteren vom Beschuldigten festgenommenen Personen nicht über eine besonders lange Zeit als Zwangsarbeiter in der Gewalt des Beschuldigten und dessen Miliz, sondern wurden die Gefangennahme und Verpflichtung zur Zwangsarbeit in beiden Fällen noch am selben Tag beendet. Indes gilt: Für die Erfüllung des Tatbestandes der Versklavung nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 VStGB bedarf es nicht zwingend der Ausübung eines angemaßten „Eigentumsrechts“ an dem Opfer über einen längeren Zeitraum; ein solcher ist lediglich ein Indiz für das Vorliegen einer Versklavung, ohne dass diese bei bloß kurzzeitigen Tatgeschehen ausgeschlossen wäre (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2022 - AK 32/22, juris Rn. 40; vom 4. Mai 2022 - AK 17/22, NStZ-RR 2022, 227, 228; vom 9. Februar 2021 - AK 5/21, BGHR VStGB § 7 Abs. 1 Menschenhandel 1 Rn. 39).
(2) Auch nach der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichte ist eine unbestimmte oder aber zumindest über einen längeren Zeitraum andauernde Tathandlung für eine Verwirklichung des Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Versklavung nicht erforderlich, sondern die Zeitdauer lediglich ein in die Gesamtwürdigung einzustellender Faktor (vgl. IStGH [Trial Chamber IX], Urteil vom 4. Februar 2021 - ICC-02/04-01/15 [Ongwen], Rn. 2714; ICTY [Appeals Chamber], Urteil vom 12. Juni 2002 - IT-96-23 [Kunarac u.a.], Rn. 121; ICTY [Trial Chamber], Urteil vom 22. Februar 2001 - IT-96-23-T [Kunarac u.a.], Rn. 542; SCSL [Trial Chamber II], Urteil vom 18. Mai 2012 - SCSL-03-01-T [Taylor], Rn. 447; s. auch LK/Esser, StGB, 13. Aufl., § 7 VStGB Rn. 99; MüKoStGB/Werle/Jeßberger, 4. Aufl., § 7 VStGB Rn. 58; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1024). Der Internationale Strafgerichtshof hat insofern formuliert: „The law also does not establish a minimum period of enslavement. (…) the duration of the exercise of powers attaching to the right of ownership is a factor to be taken into account in the specific circumstances of the case.“ (IStGH [Trial Chamber IX], Urteil vom 4. Februar 2021 - ICC-02/04-01/15 [Ongwen], Rn. 2714).
(3) Die gebotene Gesamtwürdigung aller Umstände ergibt vorliegend, dass das Handeln des Beschuldigten zum Nachteil des Zeugen „Z_20_04_70017“ und der weiteren gemeinsam mit ihm festgenommenen Personen den Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Versklavung ungeachtet der relativ kurzen Zeit ihrer Gefangennahme und Heranziehung zu Zwangsarbeit erfüllte. Denn die übrigen Umstände der Taten sprechen so deutlich für die Anmaßung eines „Eigentumsrechts“ an den Festgenommenen und haben solche Relevanz, dass sie den gegenläufigen Indizwert der kurzen Zeitspanne des Tatgeschehens aufwiegen: Den Betroffenen wurden die Ausweise abgenommen, ohne die es ihnen unmöglich war, sich in Damaskus einigermaßen frei zu bewegen. Das gesamte Auftreten des Beschuldigten und der weiteren Milizionäre verdeutlichte den Opfern zweifelsfrei, dass sie sich vollständig deren Botmäßigkeit zu unterwerfen hatten und ihnen bei jedwedem Widerstand massive körperliche Misshandlungen drohten. Sie mussten unter ganz erheblicher Gefahr für Leib und Leben sowie ohne Verpflegung und sonstige Versorgung direkt an der Front schwere körperliche Arbeiten verrichten, wobei die Entscheidung über die Art der Tätigkeiten, den Ort der Zwangsarbeit und deren Dauer allein dem Beschuldigten und seiner Milizionäre oblag. Während der Zeit ihrer Zwangsverpflichtung, die sich immerhin in einem Fall auf einen ganzen Arbeitstag, im anderen auf jedenfalls etliche Stunden erstreckte, waren sie der Willkür des Beschuldigten und der anderen Angehörigen der „National Defence Forces“ ausgeliefert, die sie wirtschaftlich ausnutzten, indem sie ihre Arbeitskraft ohne Entgeltzahlung in Anspruch nahmen und sie daran hinderten, ihrer normalen Erwerbstätigkeit nachzugehen. So wurde der Zeuge „Z_20_04_70017“ jeweils auf dem Weg zu seiner Arbeitsstätte festgenommen. Die Umstände zeigen mithin, dass die Gefangenhaltung und der Einsatz zur Zwangsarbeit in einem solchen Maß gekennzeichnet waren durch eine Missachtung der Unversehrtheit und Freiheit der Betroffenen sowie der Ausnutzung ihrer Arbeitskraft, dass der Zeitfaktor in den Hintergrund tritt.
cc) Eine völkerrechtliche Rechtfertigung der Zwangsarbeit kommt angesichts der unmittelbaren Lebensgefahr, der die Opfer bei ihrer Tätigkeit ausgesetzt waren, und ihrer Heranziehung zu militärischen Hilfsdiensten ungeachtet Art. 5 Abs. 1 Buchst. e ZP II nicht in Betracht (vgl. in Bezug auf das völkergewohnheitsrechtliche Kriegsverbrechen der Zwangsarbeit Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1308).
d) Durch die ihm zur Last gelegten Taten zum Nachteil des Zeugen S. (oben III. 1. a) aa)), gegen eine Zivilperson vor einer Bäckerei im Herbst 2014 (oben III. 1. a) bb)) und zum Nachteil des Zeugen „Z_20_04_70017“ im Dezember 2012 (oben III. 1. a) cc)) hat sich der Beschuldigte hochwahrscheinlich zudem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Folter gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB strafbar gemacht. Denn die Tatopfer befanden sich unter der Kontrolle des Beschuldigten. Durch ihn beziehungsweise auf sein Geheiß hin durch andere Angehörige seiner Miliz, deren Verhalten der Beschuldigte als Befehlshaber steuerte, wurden sie - jenseits einer völkerrechtlich zulässigen Sanktionierung - körperlich misshandelt. Zwar unterfällt die Zufügung körperlicher oder seelischer Schäden oder Leiden § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB nur, wenn die Behandlung „erheblich“ ist; insofern gilt das Gleiche wie beim Kriegsverbrechen gegen Personen durch Folter gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB. Der Begriff der Erheblichkeit verlangt ein hinreichend großes Maß der durch die Tathandlung verursachten Beeinträchtigung; dieses die Strafbarkeit begrenzende Merkmal dient nicht allein dazu, Bagatellfälle aus dem Anwendungsbereich auszuscheiden. Die Erheblichkeit ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls zu beurteilen, insbesondere der Art der Handlung sowie ihres Kontextes. Wie bei § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB muss das Ausmaß der Beeinträchtigung über dasjenige einer körperlichen Misshandlung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB deutlich hinausgehen. Eine bleibende Gesundheitsschädigung oder Schmerzen extremen Ausmaßes sind jedoch nicht erforderlich; besonders schwerer oder bleibender Folgen im Sinne des § 226 StGB bedarf es zur Tatbestandverwirklichung nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Februar 2021 - AK 50/20, NStZ-RR 2021, 155, 156 mwN; Urteil vom 28. Januar 2021 - 3 StR 564/19, BGHSt 65, 286 Rn. 65 ff.; Beschlüsse vom 5. September 2019 - AK 47/19, juris Rn. 38; vom 6. Juni 2019 - StB 14/19, BGHSt 64, 89 Rn. 63; vom 17. November 2016 - AK 54/16, juris Rn. 27; MüKoStGB/Werle/Jeßberger, 4. Aufl., § 7 VStGB Rn. 75). Da Bezugspunkt der Erheblichkeit die körperlichen oder seelischen Schäden oder Leiden sind, sind besonders die tatsächlich hervorgerufenen physischen und psychischen Auswirkungen in den Blick zu nehmen. Darüber hinaus können etwa die Art der Behandlung und ihres Kontextes, ihre Dauer sowie die Verfassung der Opfer zu berücksichtigen sein (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2021 - 3 StR 564/19, BGHSt 65, 286 Rn. 73).
Hieran gemessen waren die hochwahrscheinlichen Misshandlungen der Geschädigten erheblich. Sie wurden jeweils willkürlich festgehalten und brutal misshandelt. Der Zeuge S. wurde über lange Zeit wiederholt massiv von mehreren Personen unter Einsatz von Schlagwerkzeugen misshandelt. Die vor einer Bäckerei im Herbst 2014 angegangene Zivilperson wurde gleichfalls von mehreren Personen attackiert und zudem schwer verletzt. Angesichts der Massivität der Einwirkung auf den Zeugen „Z_20_04_70017“ ist auch seine Behandlung im Dezember 2012 (oben III. 1. a) cc)) als erheblich im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB zu werten, denn er wurde nicht nur von fünf Milizionären vereint mit Fäusten traktiert, sondern zudem vom Beschuldigten gezielt mit einem Auto angefahren und auch dadurch verletzt.
e) Durch die Taten zum Nachteil der Zeugen S. (oben III. 1. a) aa)) und „Z_20_04_70017“ sowie der weiteren 25 gemeinsam mit ihm festgenommenen und zur Zwangsarbeit verpflichteten Personen (oben III. 1. a) cc) und dd)) hat sich der Beschuldigte hochwahrscheinlich zudem jeweils wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Freiheitsentziehung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB (zur Tatbezeichnung vgl. BGH, Beschluss vom 30. November 2022 - 3 StR 230/22, BGHSt 67, 180 Rn. 60) strafbar gemacht. Denn das Tathandeln des Beschuldigten hinderte die Zeugen jeweils daran, ihren Aufenthaltsort frei zu verlassen; ihre Fortbewegungsfreiheit wurde aufgehoben. Dass sich der Zeuge „Z_20_04_70017“ und seine Mitgefangenen während der Verrichtung von Zwangsarbeit an der Arbeitsstätte bewegen durften, steht der Tatbestandserfüllung nicht entgegen, weil sie aufgrund ihrer Bewachung durch die Miliz daran gehindert waren, diese zu verlassen (vgl. BTDrucks. 14/8524, S. 22; MüKoStGB/Werle/Jeßberger, 4. Aufl., § 7 VStGB Rn. 104; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1045). Die Festhaltungen erfolgten unter Verstoß gegen das Völkerrecht, denn es handelte sich jeweils um willkürliche Freiheitsentziehungen ohne vorherige Durchführung eines rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Verfahrens (vgl. insofern MüKoStGB/Werle/Jeßberger, 4. Aufl., § 7 VStGB Rn. 106; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1046).
Die Freiheitsberaubungen waren jeweils auch schwerwiegend im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB. Dieses Tatbestandsmerkmal nimmt einerseits kurzzeitige Freiheitsbeschränkungen von der Strafbarkeit aus (vgl. BT-Drucks. 14/8524, S. 22), gebietet aber andererseits eine Gesamtbetrachtung der die Tatbegehung kennzeichnenden Umstände, so dass im Einzelfall auch Freiheitsentziehungen, die nicht von längerer Dauer sind, § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB unterfallen können. Das gilt etwa dann, wenn die Freiheitsentziehung für das Opfer über den Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit hinaus mit zusätzlichen Belastungen verbunden war, beispielsweise durch schlechte Haftbedingungen, Misshandlungen oder eine für das Opfer unabsehbare Dauer des Festhaltens (vgl. LK/Esser, StGB, 13. Aufl., § 7 VStGB Rn. 226).
Die vorliegend zu beurteilenden Freiheitsberaubungen waren zum einen nicht lediglich von kurzer Dauer, denn der Zeuge S. wurde länger als einen Tag inhaftiert und der Zeuge „Z_20_04_70017“ jeweils über etliche Stunden gefangen gehalten. Zum anderen waren die Taten für die Opfer mit gravierenden zusätzlichen Belastungen verbunden, etwa mit der jedenfalls für den Zeugen S. unabsehbaren Dauer des Freiheitsentzugs und mit der hohen Lebensgefahr, welcher der Zeuge „Z_20_04_70017“ und die weiteren 25 gemeinsam mit ihm festgenommenen und zur Zwangsarbeit verpflichteten Personen bei der Arbeit an der Frontlinie ausgesetzt waren.
f) Soweit der Beschuldigte durch seine jeweiligen Handlungen verschiedene Straftatbestände des § 7 Abs. 1 VStGB - Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Folter, Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Freiheitsentziehung - zugleich erfüllte, stehen diese Strafbarkeiten angesichts des Charakters des § 7 VStGB als eine eigenständige Straftatbestände enthaltene und nicht lediglich Tatbestandsvarianten einer einheitlichen Strafvorschrift pönalisierende Norm zueinander im Verhältnis der Tateinheit (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. November 2022 - 3 StR 230/22, BGHSt 67, 180 Rn. 60 ff.; vom 12. Oktober 2022 - AK 32/22, juris Rn. 8, 32; vom 4. Mai 2022 - AK 17/22, NStZ-RR 2022, 227, 228).
g) Die dem Beschuldigten zur Last gelegten Taten zum Nachteil des Zeugen S. (oben III. 1. a) aa)), gegen eine Zivilperson vor einer Bäckerei im Herbst 2014 (oben III. 1. a) bb)) und zum Nachteil des Zeugen „Z_20_04_70017“ im Dezember 2012 (oben III. 1. a) cc)) sind mit hoher Wahrscheinlichkeit (auch) als Kriegsverbrechen gegen Personen durch Folter zu werten (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB).
aa) Die in Syrien seit Februar 2011 gegen die Regierung von Präsident Bashar alAssad schwelenden Proteste eskalierten ab dem 15. März 2011 aufgrund des repressiven und gewaltsamen Vorgehens syrischer Sicherheitskräfte und Milizen sowie der Armee gegen Demonstranten und Oppositionelle. Die dadurch bewirkte Militarisierung der Protestbewegung entwickelte sich zu einem bewaffneten Aufstand, der Anfang 2012 weite Teile des Landes erfasste und sich zu einem großflächigen Bürgerkrieg ausweitete. Spätestens seit dieser Zeit herrscht daher in Syrien ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt im Sinne des § 8 Abs. 1 VStGB zwischen dem syrischen Regime mit offizieller Armee, Polizei, Sicherheitskräften sowie zivilen Milizen einerseits und einer Vielzahl kämpfender Gruppierungen andererseits (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Februar 2022 - AK 3/22, NStZ-RR 2022, 153; vom 13. Oktober 2021 - AK 44/21, juris Rn. 7, 24; vom 20. April 2021 - AK 30/21, juris Rn. 10; Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 57/17, BGHSt 62, 272 Rn. 11 f.; Beschluss vom 17. November 2016 - AK 54/16, juris Rn. 7, 23).
bb) Die Tathandlungen wurden jeweils im Zusammenhang mit dem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt in Syrien begangen. Der erforderliche funktionale Zusammenhang ist gegeben, wenn das Vorliegen des bewaffneten Konflikts für die Fähigkeit des Täters, das Verbrechen zu begehen, für seine Entscheidung zur Tatbegehung, für die Art und Weise der Begehung oder für den Zweck der Tat von wesentlicher Bedeutung war; die Tat darf nicht lediglich „bei Gelegenheit“ des bewaffneten Konflikts begangen werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Oktober 2019 - AK 56/19, juris Rn. 38; vom 4. April 2019 - AK 12/19, NStZ-RR 2019, 229, 231; vom 17. November 2017 - AK 54/16, juris Rn. 29; Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 57/17, BGHSt 62, 272 Rn. 55: s. auch MüKoStGB/Ambos, 4. Aufl., Vor § 8 VStGB Rn. 35; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1216 ff. mit Nachw. zur Rspr. der internationalen Strafgerichte). Diese Voraussetzung war hier gegeben. Die Taten hatten jeweils ihren Ursprung in Kontrollmaßnahmen der auf Seiten des syrischen Regimes im bewaffneten Konflikt agierenden „National Defence Forces“, die ihrerseits Teil des Vorgehens gegen die gegnerische Konfliktpartei waren. Die Misshandlungen des Zeugen „Z_20_04_70017“ standen zudem in einem inneren Zusammenhang mit dessen zwangsweiser Heranziehung zu militärischen Unterstützungsmaßnahmen.
cc) Die Tatopfer waren hochwahrscheinlich nach humanitärem Völkerrecht zu schützende Personen, und zwar Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnahmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befanden (§ 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB). Es handelte sich bei ihnen um nicht kampfbeteiligte Zivilpersonen. Sie befanden sich in der Gewalt des Beschuldigten und seiner Mittäter, mithin in der einer dem syrischen Regime zuzurechnenden Miliz.
Jedenfalls im Sinne eines dringenden Tatverdachts ist davon auszugehen, dass das syrische Regime und damit auch die Miliz des Beschuldigten im Verhältnis zu den Tatopfern „gegnerische Partei“ im Sinne des § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB waren (vgl. zu diesem Merkmal BGH, Beschluss vom 4. April 2019 - AK 12/19, NStZ-RR 2019, 229, 231; Urteil vom 20. Dezember 2018 - 3 StR 236/17, BGHSt 64, 10 Rn. 84 ff.; Beschluss vom 17. November 2016 - AK 54/16, juris Rn. 26), wenngleich dies im weiteren Verlauf des Verfahrens der näheren Aufklärung bedarf. Denn das Vorgehen der „National Defence Forces“ war gekennzeichnet davon, gegen Regimegegner unter der syrischen Zivilbevölkerung vorzugehen; hierauf zielte es ab. Bei der gebotenen materiellen Betrachtung spricht daher derzeit vieles dafür, dass die Opfer der in Gegnerschaft zum syrischen Regime stehenden Seite zuzuordnen sind. Insofern gilt, dass bei einer komplexen Bürgerkriegslage unter Beteiligung einer Vielzahl staatlicher und nichtstaatlicher Akteure mit unterschiedlichsten Interessen - wie im Fall des syrischen Bürgerkriegs - bereits diejenige Person einem Gegner zuzurechnen sein kann, die den Absichten der Konfliktpartei des Täters entgegenstehende Ziele verfolgt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2019 - AK 12/19, NStZ-RR 2019, 229, 231; Urteil vom 20. Dezember 2018 - 3 StR 236/17, BGHSt 64, 10 Rn. 86; Beschluss vom 17. November 2016 - AK 54/16, juris Rn. 26).
dd) Es besteht der dringende Tatverdacht, dass der Beschuldigte gemeinsam mit Angehörigen seiner Miliz die Geschädigten durch Zufügung erheblicher körperlicher und seelischer Leiden unmenschlich behandelte im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB. Das Tatbestandsmerkmal der unmenschlichen Behandlung durch Zufügung erheblicher körperlicher oder seelischer Schäden oder Leiden ist weit auszulegen, jedoch muss - wie beim Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Folter (§ 7 Abs. 1 Nr. 5 StGB) - die Misshandlung des Opfers „erheblich“ sein. Der Begriff der Erheblichkeit verlangt auch bei § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB ein hinreichend großes Maß der durch die Tathandlung verursachten Beeinträchtigung und dient nicht allein dazu, Bagatellfälle aus dem Anwendungsbereich auszuscheiden. Die Erheblichkeit ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls zu beurteilen, insbesondere der Art der Handlung sowie ihres Kontextes. Das Ausmaß der Beeinträchtigung muss - wie bei § 7 Abs. 1 Nr. 5 StGB - über dasjenige einer körperlichen Misshandlung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB deutlich hinausgehen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2021 - 3 StR 564/19, BGHSt 65, 286 Rn. 65 ff.; Beschluss vom 17. November 2016 - AK 54/16, juris Rn. 27). Da Bezugspunkt der Erheblichkeit die körperlichen oder seelischen Schäden oder Leiden sind, sind besonders die tatsächlich hervorgerufenen physischen und psychischen Auswirkungen in den Blick zu nehmen. Darüber hinaus können etwa die Art der Behandlung und ihres Kontextes, ihre Dauer sowie die Verfassung der Opfer zu berücksichtigen sein (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2021 - 3 StR 564/19, BGHSt 65, 286 Rn. 73). Daran gemessen wurde die Erheblichkeitsschwelle hier überschritten; insofern wird auf die obigen Ausführungen zur hochwahrscheinlichen Strafbarkeit des Beschuldigten nach § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB Bezug genommen.
ee) Die mutmaßliche Strafbarkeit des Beschuldigten wegen Kriegsverbrechen gegen Personen durch Folter tritt in weiterer Tateinheit zu derjenigen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinzu.
h) Die Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch unterfallen der deutschen Strafgewalt nach dem in § 1 Satz 1 VStGB normierten Weltrechtsprinzip.
3. Auf die Frage, inwieweit sich der Beschuldigte im Hinblick auf die Fälle II. 1. bis II. 2. des Haftbefehls vom 25. Januar 2024 tateinheitlich auch nach allgemeinem Strafrecht - im Fall II. 1. wegen erpresserischen Menschenraubs (§ 239a Abs. 1 StGB) und besonders schwerer räuberischer Erpressung (§ 253 Abs. 1, § 255, § 250 Abs. 2 Nr. 1 und 3 Buchst. a StGB); im Fall II. 2. wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB) - strafbar gemacht hat (vgl. hierzu die Darlegungen im Haftbefehl vom 25. Januar 2024, dort unter V. 2.), kommt es für die vorliegende Haftfortdauerentscheidung nicht an; sie bedarf deshalb hier keiner Erörterung. Die weitere Untersuchungshaft wird bereits von den genannten Strafbarkeiten nach dem Völkerstrafgesetzbuch getragen.
4. Die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts zur Verfolgung der dem Beschuldigten zur Last gelegten Taten und damit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs für die Haftentscheidungen (§ 169 Abs. 1 StPO) ergibt sich aus Art. 96 Abs. 5 Nr. 2 und 3 GG und § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG i.V.m. § 120 Abs. 1 Nr. 8 GVG.
5. Es ist jedenfalls der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gegeben. Es ist wahrscheinlicher, dass sich der Beschuldigte - sollte er auf freien Fuß gelangen - dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm stellen wird.
Der Beschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung wegen der vorstehend unter III. 1. a) geschilderten Taten mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Denn die Mindeststrafe für Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung und durch Folter beläuft sich gemäß § 7 Abs. 1 VStGB auf fünf Jahre Freiheitsstrafe; in - hier allerdings nach derzeitigem Ermittlungsstand fernliegenden - minder schweren Fällen gemäß § 7 Abs. 2 VStGB auf zwei Jahre Freiheitsstrafe. Der Beschuldigte ist mehrerer solcher Taten dringend verdächtig; jede der Taten ist gekennzeichnet von erheblicher körperlicher und psychischer Misshandlung der Opfer und wiegt daher schwer.
Dem von der hohen Straferwartung ausgehenden großen Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthemmenden Umstände entgegen. Insofern gilt, dass die Annahme von Fluchtgefahr kein sicheres Wissen um die sie begründenden Tatsachen erfordert; es genügt derselbe Wahrscheinlichkeitsgrad wie bei der Annahme des dringenden Tatverdachts (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2018 - StB 43 u. 44/18, juris Rn. 37; vom 2. November 2016 - StB 35/16, juris Rn. 11).
Der Beschuldigte, der die syrische Staatsangehörigkeit besitzt, ist in Deutschland nicht verwurzelt. Er war vor seiner Verhaftung zuletzt in B. als Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft registriert, hielt sich in dieser allerdings nicht auf, sondern an wechselnden anderen Orten. Einer Erwerbstätigkeit oder sonstigen Beschäftigung ging er nicht nach. In der Zeit zwischen seiner erstmaligen Einreise in die Bundesrepublik als vermeintlich in Syrien politisch Verfolgter im Jahr 2016 und seiner Festnahme lebte er wiederholt - teilweise auch für längere Zeit - in der Türkei. Dort befinden sich auch seine Ehefrau und seine Kinder. Noch kurz vor seiner Verhaftung trug er sich, wie sich aus überwachter Telekommunikation ergibt, mit dem Gedanken, erneut in die Türkei zu reisen.
Ob darüber hinaus - wie der Haftbefehl vom 25. Januar 2024 angesichts der Bemühungen des Beschuldigten annimmt, aus der Untersuchungshaft heraus verdeckt und unter Umgehung der ihm auferlegten Beschränkungen in Kontakt mit Familienangehörigen zu treten und diese zu ihn entlastenden Bekundungen zu bewegen - auch der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) gegeben ist, kann für die vorliegende Haftfortdauerentscheidung dahingestellt bleiben.
Der Zweck der Untersuchungshaft kann unter den gegebenen Umständen nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO erreicht werden.
6. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft. Das Verfahren ist bislang mit der in Haftsachen gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden.
Die Ermittlungen waren und sind besonders umfangreich und komplex; die Akten umfassen derzeit 53 Stehordner. Bislang wurden 38 Zeugen an verschiedenen Orten in Deutschland und Österreich vernommen, vielfach unter Zuhilfenahme von Dolmetschern. Es wurden Rechtshilfeersuchen an das Vereinigte Königreich, Dänemark und die USA gestellt sowie erlangte Verkehrsdaten der Kommunikation des Beschuldigten über soziale Netzwerke im Internet und insgesamt 27 bei dem Beschuldigten anlässlich seiner Verhaftung sichergestellte Asservate, darunter zwei Mobiltelefone, ausgewertet. Ferner wurden mehrere Sachverständigengutachten eingeholt, unter anderem das eines Islamwissenschaftlers zur Situation im Damaszener Stadtteil At-Tadamon seit 2011 und zu den „Nationalen Verteidigungskräften“ (NDF), denen der Beschuldigte hochwahrscheinlich angehörte und als deren Milizionär er die hier geschilderten Taten mutmaßlich beging. Zudem wurden 27 Videodateien, die Folterungen und Tötungen von Zivilpersonen durch die NDF in At-Tadamon zeigen, analysiert und das aufgezeichnete gesprochene Wort übersetzt.
Wegen näherer Einzelheiten der seit der Festnahme des Beschuldigten durchgeführten Ermittlungen wird Bezug genommen auf den diese beschreibenden Vermerk des Bundeskriminalamts vom 11. Januar 2024.
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Zuschrift an den Senat vom 29. Januar 2024 dargelegt, mit einem Abschluss der Ermittlungen sei noch im Februar 2024 zu rechnen; spätestens im März 2024 solle Anklage zum Hanseatischen Oberlandesgericht erhoben werden. Mithin ist davon auszugehen, dass das Verfahren auch in Zukunft mit der gebotenen Beschleunigung betrieben werden wird.
7. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits derzeit nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 596
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede