HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 49
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, AK 54/16, Beschluss v. 17.11.2016, HRRS 2017 Nr. 49
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Düsseldorf übertragen.
Der Angeschuldigte wurde am 6. April 2016 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 30. März 2016 (4 BGs 33/16) festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe zu nicht näher bekannten Zeitpunkten im September und im Oktober 2012 in Aleppo (Syrien) im Zusammenhang mit einem dort herrschenden nichtinternationalen bewaffneten Konflikt durch 41 rechtlich selbständige Handlungen eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person grausam und unmenschlich behandelt, indem er ihr erhebliche körperliche oder seelische Schäden zugefügt, insbesondere sie gefoltert habe (Kriegsverbrechen gegen Personen); außerdem habe er durch sechs rechtlich selbständige Handlungen geplündert (Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte), strafbar gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 6 Nr. 2 und Nr. 3, § 9 Abs. 1 Variante 1, § 4 Abs. 2 Satz 1 VStGB, § 53 StGB.
Wegen der dem Angeschuldigten mit dem Haftbefehl zur Last gelegten Kriegsverbrechen gegen Personen sowie wegen weiterer Vorwürfe hat der Generalbundesanwalt - mit abweichender konkurrenzrechtlicher Bewertung - unter dem 24. Oktober 2016 vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf Anklage erhoben; von der Verfolgung der im Haftbefehl angeführten Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte hat er gemäß § 154 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO abgesehen.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Der Senat lässt im Hinblick auf die zwischenzeitliche Verfolgungsbeschränkung dahinstehen, ob wegen der Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte hinreichender Tatverdacht besteht. Der Angeschuldigte ist jedenfalls der ihm mit dem Haftbefehl zur Last gelegten Kriegsverbrechen gegen Personen dringend verdächtig; bereits dies trägt den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft.
a) Insoweit ist nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand im Sinne eines dringenden Tatverdachts im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt auszugehen:
aa) Die seit Februar 2011 in Syrien gegen die Regierung des Staatspräsidenten Bashar al Assad schwelenden Proteste eskalierten ab dem 15. März 2011 aufgrund des repressiven und gewaltsamen Vorgehens syrischer Sicherheitskräfte, Milizen und Armee gegen Demonstranten und Oppositionelle. Die dadurch bewirkte Militarisierung der Protestbewegung entwickelte sich zu einem bewaffneten Aufstand, der Anfang 2012 schließlich weite Teile des Landes erfasste und sich zu einem großflächigen Bürgerkrieg ausweitete. Spätestens seit dieser Zeit herrschte in Syrien ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt.
Zu Beginn des Bürgerkrieges trat auf Seiten der bewaffneten Opposition die sog. Freie Syrische Armee (im Folgenden: FSA) als Hauptakteur in Erscheinung, die als Dachvereinigung eine Vielzahl inhomogener Kampfverbände und Gruppierungen mit unterschiedlichsten Motivationslagen zu vertreten versuchte. Die unter ihrem Verbund agierenden Milizen verfolgten teilweise sehr unterschiedliche Interessen und Ideologien und begannen bereits zu einem frühen Zeitpunkt des Aufstandes damit, sich auch untereinander zu bekämpfen. Im Laufe einer zunehmenden Radikalisierung der nichtstaatlichen Gewaltakteure, u.a. auch von Gruppierungen, die sich zunächst der FSA angeschlossen hatten, wurde diese ab dem Jahr 2013 von nunmehr dominierenden islamistischen Milizen - u.a. von der „Jabhat al Nusra“ und dem sog. Islamischen Staat - bekämpft und aus großen Teilen der von ihr bis dahin kontrollierten Gebiete verdrängt. Dem syrischen Regime mit offizieller Armee, Polizei, Sicherheitskräften und zivilen Milizen steht gegenwärtig eine Vielzahl von kämpfenden Gruppierungen gegenüber, die zumeist islamistisch motiviert sind und ihrerseits keine einheitliche Front bilden; demgegenüber spielt die FSA im Kriegsgebiet nur noch eine untergeordnete Rolle.
Im Rahmen der intensiv geführten kriegerischen Auseinandersetzungen wurden in zunehmendem Maße von allen Konfliktparteien gravierende Verletzungen des humanitären Völkerrechts begangen, unter anderem schwerste Verbrechen gegenüber nicht an den Kampfhandlungen beteiligten Personen.
bb) Der in Aleppo aufgewachsene und jedenfalls bis Anfang August 2013 dort wohnhafte Angeschuldigte war zumindest von September bis Anfang Dezember 2012 als Anführer einer örtlichen Miliz maßgeblich in den auch in Aleppo herrschenden Bürgerkrieg verwickelt. Er führte in dieser Zeit unter seinem Kampfnamen „A.“ eine mindestens 150-köpfige Miliz mit wechselnden Namen, die eine Untereinheit der bewaffneten Gruppierung „Ghoraba ash Sham“ (übersetzt: „Die Fremden von Syrien“) bildete. Diese Gruppierung gehörte offiziell der FSA an und beteiligte sich spätestens ab dem Sommer 2012 an dem bewaffneten Kampf gegen syrische Sicherheitskräfte, regierungsnahe Milizen und die reguläre syrische Armee in Aleppo. Die Einheit des Angeschuldigten kontrollierte zunächst den im Nordosten der Stadt gelegenen Stadtteil Sakhour.
Der Angeschuldigte nutzte die durch den militärischen Einsatz seiner Gruppierung und die Kriegswirren gewonnene Herrschaftsgewalt aus, um sich und seine Miliz in den von ihr kontrollierten Gebieten durch Plünderungen zu bereichern, zunächst in Sakhour, in der Folgezeit aber auch in benachbarten Stadtteilen wie Bustan al Pascha. Dort raubten der Angeschuldigte und die Angehörigen seiner Miliz vor allem Geschäfte von christlichen Inhabern aus, die unter Zurücklassung ihres Hab und Guts aus Aleppo geflüchtet waren, weil sie sich nach dem Rückzug der Regierungskräfte der Willkür der zumindest auch islamistisch motivierten Milizen hilflos ausgesetzt gesehen hatten.
Personen, die sich den Plünderungen widersetzten, sich der durch Waffengewalt begründeten Herrschaft des Angeschuldigten nicht bedingungslos unterwarfen oder ihm aufgrund anderer Umstände missliebig waren, wurden durch seine Milizionäre gefangengenommen und in von ihm geführte Gefängnisse in den Stadtvierteln Sakhour und Bustan al Pascha verschleppt. Dort wurden sie körperlich misshandelt und in der Regel erst gegen eine Geldzahlung entlassen. Der Angeschuldigte hatte insoweit als Anführer die oberste Befehlsgewalt in den von seiner Miliz unterhaltenen Gefängnissen. An den Misshandlungen nahm er entweder selbst teil oder er hielt seine Untergebenen zu diesen Taten an. Die Misshandlungen hatten in erster Linie den Zweck, Widerstände gegen die Miliz des Angeschuldigten zu brechen und deren Herrschaftsanspruch in den von ihr kontrollierten Gebieten zu sichern. Opfer solcher Misshandlungen wurden insbesondere die Zeugen H., As., S. sowie die Brüder N., B., T. und M. D. .
(1) H. und As. stammten aus Bustan al Pascha und gehörten einer bewaffneten Gruppierung an, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, ihren Stadtteil nach dem Abzug der syrischen Sicherheitskräfte vor Plünderungen zu schützen, namentlich die aufgrund der Kriegswirren verwaisten Geschäfte. Sie übten deshalb in Bustan al Pascha polizeiähnliche Tätigkeiten aus. Dabei hielten sie an einem nicht näher feststellbaren Tag zwischen dem 16. September und dem 24. Oktober 2012 Milizionäre, die entweder der Miliz des Angeschuldigten oder einer Miliz angehörten, die dem Angeschuldigten zumindest nahestand und mit ihm zusammenarbeitete, unter Vorhalt von Waffen davon ab, Geschäfte zu plündern.
Deshalb wurde H. kurze Zeit später von bewaffneten Kämpfern gefangengenommen und im Beisein des Angeschuldigten in eines von dessen Gefängnissen in Sakhour gebracht. Dort schlugen und traten der Angeschuldigte sowie seine Begleiter auf H. ein. Sie warfen ihm vor, die Regierung zu unterstützen, Kurde zu sein sowie geplündert, Alkohol getrunken und Geschlechtsverkehr mit zwei unverheirateten Frauen gehabt zu haben. H. wurde sodann über einen Zeitraum von vier bis fünf Tagen in mindestens vier Fällen von Milizionären des Angeschuldigten und von diesem persönlich getreten sowie mit Kabeln, Ketten, Wasserschläuchen und Stöcken auf den ganzen Körper geschlagen. Unter anderem wurde H. auf Füße und Fußsohlen geschlagen, nachdem er mit dem Rücken auf einen klappbaren Tisch gefesselt worden war. Der Angeschuldigte und einer seiner Milizionäre traten ihm auch auf den Kopf. In einem Fall wurde überdies der Kopf von H. so lange in einem Wasserbassin unter Wasser gedrückt, bis er fast ertrank.
Kurze Zeit nach der Gefangennahme von H. nahmen Angehörige der Miliz des Angeschuldigten in dessen Beisein und auf dessen Befehl unter Einsatz von Schusswaffen auch As. aus dem gleichen Grund wie H. fest. As. wurde ebenfalls in das Gefängnis in Sakhour verschleppt und dort in derselben Zelle wie H. eingesperrt. Er wurde etwa 40 Tage lang dort festgehalten. Während dieser Zeit wurde er mindestens 30 Mal mittels eines etwa einen Meter langen, abgeschnittenen gummiummantelten Kupferkabels mit einem Durchmesser von etwa 2,5 Zentimetern geschlagen, getreten sowie mit einem Elektroschockstab oder auf andere Weise misshandelt, und zwar wiederholt in Anwesenheit des Angeschuldigten sowie teilweise von diesem selbst. As. erlitt dadurch gravierende Schmerzen und Verletzungen, die zu länger sichtbaren Narben führten.
(2) S., der in einer Bäckerei im Stadtteil Bustan al Pascha gearbeitet und sich geweigert hatte, Brot an Kämpfer der FSA herauszugeben, weil dieses für Zivilisten und nicht für Milizionäre bestimmt sei, wurde deshalb etwa Mitte September 2012 von Milizionären des Angeschuldigten auf offener Straße in Aleppo unter Einsatz von Waffen gefangengenommen und in einem Kellergefängnis an einem unbekannten Ort in Aleppo eingesperrt. Nach zwei Tagen wurde er in ein von dem Angeschuldigten unterhaltenes Gefängnis in Sakhour gebracht und dort weitere 22 Tage lang festgehalten. Die Leitung dieses Gefängnisses hatte der Angeschuldigte seinem Cousin Ar. übertragen. Dieser zwang S. wenige Stunden nach dessen Ankunft, sich nackt auszuziehen. Anschließend trat er ihn und schlug mit einem zusammengeflochtenen, etwa einen Meter langen Kabel auf dessen Rücken ein. S. wurde vorgeworfen, Spion der syrischen Regierung und „ungläubig“ zu sein. Ab der zweiten Woche seiner Gefangenschaft wurde S. in mindestens zwei Fällen erneut misshandelt, indem Milizionäre des Angeschuldigten ihn an den Händen jeweils bis zu zwei Stunden lang mit Eisenketten an einem Haken an der Decke fesselten und ihn daran hochzogen, so dass seine Füße nur noch mit den Zehenspitzen, zeitweise gerade nicht mehr den Boden berührten. Sodann wurde er geschlagen und getreten, während des ersten dieser beiden Vorfälle auch von dem Angeschuldigten persönlich. Bei einer der insgesamt mindestens drei Misshandlungen wurde S. durch einen Tritt oder Schlag ins Gesicht die Nase gebrochen.
(3) N., B., T. und M. D. wurden einige Tage nach der Gefangennahme von H. und As. im Beisein des Angeschuldigten in das Gefängnis in Sakhour gebracht, weil sie sich gegen die Plünderung ihrer Bäckerei und ihres Obstladens in Bustan al Pascha durch die Miliz des Angeschuldigten gewehrt hatten. Sie wurden noch am Tag ihrer Inhaftierung unter anderem von dem Angeschuldigten persönlich so lange und brutal geschlagen, bis der Raum voller Blutspuren war; aufgrund der dadurch erlittenen Verletzungen waren alle vier zwei Tage lang nicht in der Lage zu sprechen. Auch ihnen wurde vorgeworfen, Spione der Regierung zu sein.
b) Die Erkenntnisse über die Entwicklung des syrischen Bürgerkrieges beruhen auf den Gutachten der Sachverständigen Dr. St. und Dr. K. Der dringende Tatverdacht hinsichtlich der dem Angeschuldigten zur Last gelegten Misshandlungen ergibt sich im Wesentlichen aus Zeugenvernehmungen.
Nach den übereinstimmenden Angaben verschiedener Zeugen, insbesondere denjenigen von As., dessen Cousin Mo. und H., war es allgemein bekannt, dass der Angeschuldigte in Sakhour eine Stadtteilmiliz der „Ghoraba ash Sham“ anführte, der schließlich etwa 150 Milizionäre angehörten. Aus den Zeugenaussagen ergibt sich auch, dass der Angeschuldigte die Befehlsgewalt in den von ihm geführten Gefängnissen innehatte. As., H. und S. haben zudem die jeweils zu ihrem Nachteil begangenen Taten sowie die Beteiligung des Angeschuldigten daran im Einzelnen geschildert. Die Bekundungen von As. und H. werden durch diejenigen von Mo. bestätigt, der seinen Angaben zufolge bereits einen Tag früher als As. und H. gefangengenommen worden war und deren Misshandlungen dann miterlebte. As. und H. haben zudem die in ihrem Beisein begangenen Taten zum Nachteil von N., B., T. und M. D. geschildert.
Die den Angeschuldigten belastenden Zeugenaussagen werden durch Erkenntnisse gestützt, die im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung sowie durch den Einsatz einer Vertrauensperson und von Verdeckten Ermittlern gewonnenen wurden. Aus den Äußerungen, die der Angeschuldigte in diesem Zusammenhang gemacht hat, ergibt sich unter anderem, dass ihm die betreffenden Vorfälle, die sich in seinem Machtbereich ereigneten, durchaus geläufig sind.
Wegen der weiteren Einzelheiten der den dringenden Tatverdacht begründenden Umstände wird auf die Ausführungen in dem Haftbefehl sowie der Anklageschrift und die dort in Bezug genommenen Beweismittel verwiesen.
c) Danach fallen dem Angeschuldigten in den ihm mit dem Haftbefehl vorgeworfenen Fällen mit hoher Wahrscheinlichkeit Kriegsverbrechen gegen Personen im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB zur Last.
aa) Bei den im Tatzeitraum in Syrien stattfindenden Kämpfen zwischen der staatlichen syrischen Armee und oppositionellen Gruppierungen handelte es sich um einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 8 Abs. 1 VStGB. Maßgebend für das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts ist der Einsatz von Waffengewalt, die einer der beteiligten Konfliktparteien zuzurechnen ist (BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, BGHSt 55, 157, 166). Während ein internationaler bewaffneter Konflikt die Anwendung von Waffengewalt zwischen Staaten voraussetzt, sind unter einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt solche Auseinandersetzungen zu verstehen, bei denen Streitkräfte innerhalb eines Staates gegen organisierte bewaffnete Gruppen oder solche Gruppen untereinander kämpfen, sofern die Kampfhandlungen von einer gewissen Dauer und Intensität sind. Die Erfordernisse einer gewissen Organisationsstruktur der betreffenden Gruppen sowie der Intensität und Dauer der bewaffneten Auseinandersetzungen stellen sicher, dass bloße innere Unruhen, Spannungen, Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen nicht als bewaffnete Konflikte eingestuft werden (vgl. zu allem BT-Drucks. 14/8524, S. 25; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 4. Aufl., Rn. 1131, 1136, 1148 ff.; MüKoStGB/Zimmermann/Geiß, 2. Aufl., § 8 VStGB Rn. 96, 108 ff.).
Die in Syrien stattfindenden Kämpfe zwischen den syrischen Streitkräften und oppositionellen bewaffneten Gruppen gingen zur Tatzeit über bloße innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte oder vereinzelt auftretende Gewalttaten weit hinaus. Sie dauerten im Herbst 2012 bereits längere Zeit an und hatten nahezu das ganze Land erfasst. Zumindest solche Konfliktparteien wie die FSA, die „Jabhat al Nusra“ und der - damals noch so genannte - „Islamische Staat im Irak und in Syrien“ waren zudem in hohem Maße organisiert: Sie waren hierarchisch strukturiert, verfügten über ein großes Ausmaß an militärischer Ausrüstung, kontrollierten weite Landesteile und waren in der Lage, ihre Kämpfer militärisch auszubilden sowie koordinierte Angriffe durchzuführen (vgl. zu diesen Kriterien Werle/Jeßberger, aaO Rn. 1152 Fn. 194). Dementsprechend handelte es sich um einen bewaffneten Konflikt, der jedenfalls zur Tatzeit noch als nichtinternationaler anzusehen war. Ungeachtet dessen, ob der Bürgerkrieg durch das Eingreifen ausländischer Kräfte inzwischen soweit „internationalisiert“ ist, dass mittlerweile von einem internationalen bewaffneten Konflikt auszugehen wäre (vgl. zur Internationalisierung nichtinternationaler bewaffneter Konflikte MüKoStGB/Zimmermann/Geiß, aaO Rn. 101 ff.), war dies zumindest im Herbst 2012 noch nicht der Fall.
bb) Bei den Geschädigten H., As., S. sowie N., B., T. und M. D. handelte es sich um nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen. Das ergibt sich aus § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB, wonach in einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt insbesondere solche Personen als nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende anzusehen sind, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen (vgl. dazu MüKoStGB/Zimmermann/Geiß, aaO Rn. 93 mwN) und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden. Hier haben alle Geschädigten nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilgenommen. Das gilt auch für H. und As. . Sie gehörten zwar ihrerseits einer bewaffneten Gruppierung an, die es sich aber nur zum Ziel gesetzt hatte, nach dem Rückzug der syrischen Sicherheitskräfte in dem Stadtviertel Bustan al Pascha polizeiähnliche Aufgaben wahrzunehmen und Plünderungen zu verhindern.
Die Geschädigten befanden sich auch in der Gewalt der gegnerischen Partei. Das ergibt sich im Hinblick auf die Besonderheiten von nichtinternationalen bewaffneten Konflikten im Allgemeinen sowie diejenigen des innersyrischen Konflikts im Besonderen daraus, dass sie nicht der an den Kampfhandlungen beteiligten Gruppierung des Angeschuldigten angehörten und deren Absichten entgegenstehende Ziele verfolgten. Ein anderes Abgrenzungskriterium kommt angesichts der Komplexität des syrischen Bürgerkrieges nicht in Betracht. Das gilt insbesondere für das Kriterium der Staatsangehörigkeit, das sich bei nichtinternationalen bewaffneten Konflikten regelmäßig als untauglich erweist (Werle/Jeßberger, aaO Rn. 1185; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. Februar 2001 - 3 StR 372/00, BGHSt 46, 292, 300 f.), sowie für das Kriterium der ethnischen Zugehörigkeit. Bei dem Bürgerkrieg in Syrien handelt es sich nicht um einen interethnischen Konflikt. Die Anzahl und die Ausrichtung der in die Kämpfe verwickelten Gruppen war und ist kaum überschaubar und wechselnd. Einzelne Gruppierungen entstehen, lösen sich wieder auf und kämpfen in wechselnden Koalitionen mal gemeinsam, mal gegeneinander. Letztlich sind die Geschädigten von der Miliz des Angeschuldigten gefangengenommen worden, weil sie von ihr als der Regierung nahe stehend und deshalb als Gegner betrachtet wurden, und die Miliz des Angeschuldigten stellte sich aus der Sicht der Geschädigten ihrerseits als Gegner dar.
cc) Es besteht der dringende Tatverdacht, dass der Angeschuldigte oder Angehörige seiner Miliz die Geschädigten durch Zufügung erheblicher körperlicher oder seelischer Leiden unmenschlich behandelt haben. Das Tatbestandsmerkmal der unmenschlichen Behandlung ist weit auszulegen. Es erfasst die Zufügung erheblicher körperlicher oder seelischer Schäden oder Leiden. Die Erheblichkeit ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles zu beurteilen, insbesondere der Art der Handlung sowie ihres Kontextes. Das Ausmaß der Beeinträchtigung muss über dasjenige einer körperlichen Misshandlung im Sinne von § 223 StGB deutlich hinausgehen (vgl. zu allem MüKoStGB/Zimmermann/Geiß, aaO Rn. 137 f. mwN).
Das ist hier auf der Grundlage des gegenwärtigen Sachstandes der Fall, ohne dass es darauf ankommt, ob sich jede einzelne dem Angeschuldigten zur Last gelegte Misshandlung als eine in § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB beispielhaft angeführte Folterung darstellt. Die Geschädigten sind jeweils willkürlich gefangengenommen und unter unwürdigen Umständen festgehalten sowie in erniedrigender Weise brutal misshandelt worden. Dadurch sind ihnen nach Lage der Dinge gravierende körperliche und seelische Leiden zugefügt worden.
dd) Die Taten sind auch im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt begangen worden. Der insoweit erforderliche funktionale Zusammenhang ist gegeben, wenn das Vorliegen des bewaffneten Konfliktes für die Fähigkeit des Täters, das Verbrechen zu begehen, für seine Entscheidung zur Tatbegehung, für die Art und Weise der Begehung oder für den Zweck der Tat von wesentlicher Bedeutung war; die Tat darf nicht lediglich „bei Gelegenheit“ des bewaffneten Konflikts begangen werden (Werle/Jeßberger, aaO Rn. 1163 ff.). Eine Tatausführung während laufender Kampfhandlungen oder eine besondere räumliche Nähe dazu sind hingegen nicht erforderlich (B-TDrucks. 14/8524, S. 25).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Angeschuldigte war militärischer Anführer einer aktiv in den syrischen Bürgerkrieg eingebundenen Kampfeinheit, die in ihrem Machtbereich frei schalten und walten konnte, nachdem die Regierungskräfte geflohen waren. Alle Geschädigten wurden angegriffen, weil sie sich dem Herrschaftsanspruch der Miliz des Angeschuldigten in den von ihr kontrollierten Gebieten nicht bedingungslos unterworfen hatten und deshalb aus seiner Sicht der Regierung nahestanden.
ee) Schließlich ist der Angeschuldigte im Hinblick auf alle Taten als Täter anzusehen. Soweit er die Misshandlungen nicht selbst vorgenommen hat, ergibt sich seine Verantwortlichkeit jedenfalls aus § 4 VStGB. Wenngleich er mangels rechtlicher Legitimation nicht als „militärischer Befehlshaber“ seiner Einheit im Sinne des § 4 Abs. 1 VStGB angesehen werden kann, so steht er doch gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 VStGB einem militärischen Befehlshaber gleich (vgl. zu dieser Differenzierung Werle/Jeßberger, aaO Rn. 640; MüKoStGB/Weigend, 2. Aufl., § 4 VStGB Rn. 19). Er übte als Anführer seiner hierarchisch strukturierten Miliz die tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle aus. Der Angeschuldigte hatte zu jeder Zeit die Möglichkeit, das Verhalten seiner Untergebenen zu bestimmen und insbesondere die Begehung von Straftaten zu unterbinden. Er hielt sie jedoch dazu an, Straftaten zu begehen, und beteiligte sich regelmäßig auch selbst daran.
d) Die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts und damit auch diejenige des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs sowie des Oberlandesgerichts Düsseldorf ist gegeben (§ 120 Abs. 1 Nr. 8, § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG, § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO).
2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Der Angeschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer hohen Freiheitsstrafe zu rechnen. Dem davon ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. Insbesondere verfügt der Angeschuldigte in Deutschland über keine persönlichen und familiären Bindungen, die geeignet sind, den Fluchtanreiz zu relativieren. Seine Ehefrau nach islamischem Ritus, Ba., hat sich von ihm getrennt und ist mit ihren Kindern, deren Vater nicht der Angeschuldigte ist, zu ihrem Bruder nach Ne. gezogen. Gegenüber der im Ermittlungsverfahren eingesetzten Vertrauensperson hat er wiederholt, zuletzt im Januar 2016, geäußert, dass er sich in Deutschland sehr unwohl fühle, weil er die Sprache nicht beherrsche, nicht arbeiten könne und weder einen Führerschein noch genug Geld habe, um einen für ihn angemessenen Lebensstil zu führen. Er hat dabei erkennen lassen, dass er mit dem Gedanken spielt, Deutschland zu verlassen und in ein arabisches Land zu gehen. Der Angeschuldigte verfügt zudem über vielfältige Beziehungen in die Türkei und andere Länder, und zwar - wie sich aus seinen Äußerungen gegenüber der Vertrauensperson ergibt - auch zu Passfälschern und Schleusern, sodass eine Flucht aus Deutschland für ihn leicht zu realisieren wäre. In Anbetracht dessen ist zu erwarten, dass sich der Angeschuldigte, sollte er in Freiheit gelangen, dem weiteren Strafverfahren durch Flucht entziehen wird.
Unter diesen Umständen kann dahinstehen, ob darüber hinaus der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) besteht.
Der Haftzweck kann nur durch den Vollzug der Untersuchungshaft erreicht werden; weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO reichen nicht aus.
3. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen entgegen der Auffassung des Verteidigers ebenfalls vor. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang des Verfahrens haben ein Urteil bislang noch nicht zugelassen.
Im Zusammenhang mit der Festnahme des Angeschuldigten am 6. April 2016 wurden mehrere Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt und zahlreiche Beweismittel, insbesondere Datenträger verschiedener Art, sichergestellt, deren Auswertung noch andauert. Auch eine Datenrekonstruktion, die sich als technisch aufwändig und schwierig erwiesen hat, konnte noch nicht abgeschlossen werden. Sie ist erforderlich, weil im Rahmen von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen bekannt geworden ist, dass der Angeschuldigte Fotos und Videos aus der Zeit in Syrien von Datenträgern gelöscht hat, und mehrere Zeugen bekundet haben, dass der Angeschuldigte im Besitz eines Datenträgers mit zumindest einem Video war, auf dem zu sehen ist, wie er selbst die Geschädigten H. und As. misshandelte. Das Vorbringen des Verteidigers, dass es ein derartiges Video „nach Auskunft“ des Angeschuldigten - der sich bislang nicht zur Sache eingelassen hat - „nie gegeben“ habe, hat nicht zur Folge, dass die weitere Sachaufklärung insoweit entbehrlich ist. Überdies konnten mehrere Zeugen aus ermittlungstaktischen Gründen erst nach der Festnahme des Angeschuldigten vernommen werden. Schließlich ist auch die Auswertung der Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung wegen deren außerordentlichen Umfangs noch nicht abgeschlossen. Der Angeschuldigte führte jeden Tag eine Vielzahl von Telefonaten in arabischer Sprache, die übersetzt und zusammengefasst werden mussten. Die Inhaltsprotokolle der aufgezeichneten Gespräche umfassen 35 Sachakten-Sonderordner.
Gleichwohl ist bereits unter dem 24. Oktober 2016 Anklage beim Oberlandesgericht Düsseldorf erhoben worden. In Anbetracht dessen ist das Verfahren bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.
4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht schließlich auch nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle der Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 49
Bearbeiter: Christian Becker