hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1089

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, AK 32/22, Beschluss v. 12.10.2022, HRRS 2022 Nr. 1089


BGH AK 32/22 - Beschluss vom 12. Oktober 2022 (OLG Koblenz)

Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate (dringender Tatverdacht; Fluchtgefahr; besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen).

§ 112 StPO; § 121 StPO

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Koblenz übertragen.

Gründe

I.

Die Angeschuldigte wurde am 31. März 2022 aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 9. Juli 2020 (4 BGs 89/20) festgenommen und befindet sich seither ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, die Angeschuldigte habe sich im Zeitraum von Dezember 2014 bis März 2019 in Syrien und im Irak in vier selbstständigen Fällen als Mitglied an einer Vereinigung im Ausland - dem sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) - beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 VStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) und Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) zu begehen, davon in einem Fall (Fall 1) zugleich - im Rahmen eines ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung ? einen Menschen versklavt und sich dabei ein Eigentumsrecht an ihm angemaßt, ? einen Menschen unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt, - Beihilfe geleistet zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch sexuelle Gewalt nach § 7 Abs. 1 Nr. 6 VStGB, - eine andere Person mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel aufgenommen und beherbergt, um sie unter Ausnutzung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Zwangslage oder der Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, in Sklaverei zu halten, davon in einem weiteren Fall (Fall 2) zugleich im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt in erheblichem Umfang völkerrechtswidrig Sachen der gegnerischen Partei angeeignet, die der Gewalt der eigenen Partei unterlegen hätten, ohne dass dies durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts geboten gewesen sei, und in einem weiteren Fall (Fall 3) zugleich - die tatsächliche Gewalt über Kriegswaffen ohne Genehmigung gemäß § 2 Abs. 2 KrWaffKG oder Anzeige nach § 12 Abs. 6 Nr. 1 oder § 26a KrWaffKG ausgeübt, - ohne Erlaubnis nach § 2 Abs. 3 i.V.m. Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.3.4 der Waffenliste einen verbotenen Gegenstand besessen, - ohne Erlaubnis nach § 2 Abs. 2 i.V.m. Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 Satz 1 eine halbautomatische Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition nach Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 3 Nr. 1.1 besessen und geführt; strafbar gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3, 6 und 9, § 9 Abs. 1 Variante 3 VStGB, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 232 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, § 25 Abs. 2, § 27 Abs. 1, §§ 52, 53 StGB, § 22a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a und b KrWaffKG, § 52 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 Buchst. b, § 2 Abs. 2 WaffG.

Der Generalbundesanwalt hat am 13. September 2022 unter anderem wegen dieser Vorwürfe Anklage zum Oberlandesgericht Koblenz erhoben.

II.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Die Angeschuldigte ist jedenfalls dringend verdächtig eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Versklavung in Tateinheit mit Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch sexuelle Gewalt und mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland (Fall 1) sowie dreier weiterer Fälle der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland, davon in einem Fall in Tateinheit mit einem Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte (Fall 2) und in einem anderen Fall in Tateinheit mit Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen, Besitz verbotener Gegenstände sowie Besitz und Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe (Fall 3); § 7 Abs. 1 Nr. 3 und 6, § 9 Abs. 1 Variante 3 VStGB, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 25 Abs. 2, § 27 Abs. 1, §§ 52, 53 StGB, § 22a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a und b KrWaffKG, § 52 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 Buchst. b, § 2 Abs. 2 WaffG. Dieser dringende Tatverdacht trägt die Anordnung der Haftfortdauer. Deshalb kann für die Haftfrage dahinstehen, ob und inwieweit sich die Angeschuldigte mit dem nach § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsgrad der Begehung weiterer Delikte strafbar gemacht hat.

a) Im Sinne eines dringenden Tatverdachts ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

aa) Die in Syrien seit Februar 2011 gegen die Regierung von Bashar al-Assad schwelenden Proteste eskalierten ab März 2011 aufgrund des repressiven und gewaltsamen Vorgehens syrischer Sicherheitskräfte, Milizen sowie der Armee gegen Demonstranten und Oppositionelle. Die dadurch bewirkte Militarisierung der Protestbewegung entwickelte sich zu einem bewaffneten Aufstand, der Anfang 2012 schließlich weite Teile des Landes erfasste und sich zu einem großflächigen Bürgerkrieg ausweitete. Ab dem Jahreswechsel 2013/2014 griff dieser auf das Nachbarland Irak über, wo schließlich seit Anfang 2014 ebenfalls ein erheblicher bewaffneter Konflikt herrschte.

bb) Die Vereinigung „Islamischer Staat“ ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash-Sham“ - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Scharia zu errichten und dazu das Regime des syrischen Präsidenten Assad und die schiitisch dominierte Regierung im Irak zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht der IS als legitimes Mittel des Kampfes an.

Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des „Kalifats“ am 29. Juni 2014 aus „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“ (ISIG) in „Islamischer Staat“ umbenannte, wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm, hatte von 2010 bis zu seinem Tod Ende Oktober 2019 Abu Bakr al-Baghdadi inne. Bei der Ausrufung des Kalifats erklärte der Sprecher des IS al-Baghdadi zum „Kalifen“, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Kurz nach dem Tod al-Baghdadis berief die Organisation Abu Ibrahim al-Haschimi al-Kuraschi zu dessen Nachfolger.

Dem Anführer des IS unterstehen ein Stellvertreter sowie „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „Kriegsminister“ und ein „Propagandaminister“. Zur Führungsebene gehören außerdem beratende „Schura-Räte“. Veröffentlichungen werden von eigenen Medienstellen produziert und verbreitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel“ (einem weißen Oval mit der Inschrift „Allah - Rasul - Muhammad“) auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die zeitweilig über mehrere Tausend Kämpfer sind dem „Kriegsminister“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert. Zwischen 2014 und 2017 bildete der IS in großem Umfang männliche Kinder militärisch aus, deren wichtigste Aufgaben der bewaffnete Kampf, Wachdienste, Hinrichtungen (als Teil der Öffentlichkeitsarbeit des IS) und Selbstmordanschläge waren.

Die Vereinigung teilte von ihr besetzte Gebiete in Gouvernements ein und richtete einen Geheimdienstapparat ein; diese Maßnahmen zielten auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der irakischen und syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsbereich des IS in Frage stellten, sahen sich der Verhaftung, Folter und der Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht er immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So übernahm er für Anschläge in Europa, etwa in Paris, Brüssel und Berlin, die Verantwortung.

Im Jahr 2014 gelang es dem IS, große Teile der Staatsterritorien von Syrien und dem Irak zu besetzen. Er kontrollierte die aneinander angrenzenden Gebiete Ostsyriens und des Nordwestiraks. Ab dem Jahr 2015 geriet die Vereinigung militärisch zunehmend unter Druck und musste schrittweise massive territoriale Verluste hinnehmen. Im August 2017 wurde sie aus ihrer letzten nordirakischen Hochburg in Tal Afar verdrängt. Im März 2019 galt der IS - nach der Einnahme des von seinen Kämpfern gehaltenen ostsyrischen Baghouz - sowohl im Irak als auch in Syrien als militärisch besiegt, ohne dass aber die Vereinigung als solche zerschlagen wäre.

cc) In der Nacht vom 2. auf den 3. August 2014 griffen hunderte Milizionäre des IS die Region um das Sindschar-Gebirge im Nordwesten des Iraks an. Dort lebten vornehmlich Kurden jesidischen Glaubens, die nach den radikalsunnitischen Vorstellungen des IS als Ungläubige und „Teufelsanbeter“ angesehen wurden. Ziel der Operation war die vollständige Vernichtung der jesidischen Religion, des Jesidentums als solchem und seiner Angehörigen in den vom IS besetzten Gebieten, unter anderem durch Zwangskonversion und religiöse Umerziehung aller Jesiden, durch sofortige Hinrichtung der nichtkonversionsbereiten Männer und durch Versklavung der Frauen und Kinder.

Dementsprechend wurden diejenigen Männer hingerichtet, die sich weigerten, zum Islam zu konvertieren; diejenigen, die sich - um zu überleben - bereit erklärt hatten, zum Islam überzutreten, wurden gefangengenommen, verschleppt und in der Folgezeit zumeist als Zwangsarbeiter eingesetzt. Frauen und Kinder wurden zunächst an Sammelstellen zusammengetrieben und in Gruppenunterkünfte verbracht. Später wurden sie unter Androhung von Gewalt in Gebiete verschleppt, die schon länger vom IS besetzt waren, insbesondere nach Rakka in Syrien und nach Mossul im Irak. Dort wurden Frauen und Mädchen in Unterkünften zusammengelegt, in denen IS-Kämpfer sich einzelne der Gefangenen entweder aufgrund ihrer herausgehobenen Funktion, als Auszeichnung für besondere Leistungen, als Besoldungssurrogat oder gegen Geld aussuchen und mitnehmen konnten. Die jüngeren Frauen und Mädchen wurden sodann überwiegend als Sexsklavinnen gehalten und missbraucht, die älteren Frauen zumeist in Privathäusern als Haushaltssklavinnen eingesetzt. Soweit die Frauen und Mädchen nicht direkt aus den Unterkünften „vermarktet“ wurden, wurden sie über zentrale Sklavenmärkte verkauft, vor allem in Rakka oder Mossul, teilweise auch über Online-Auktionen.

dd) Die Angeschuldigte, die zum Islam konvertiert war und sich mit der Ideologie des IS identifizierte, reiste im Dezember 2014 aus Deutschland aus und begab sich gemeinsam mit ihrem Ehemann, einem syrischen Arzt, in zu dieser Zeit vom IS beherrschtes Gebiet im Irak. Sie gliederten sich dort einvernehmlich und unter Befürwortung der Ideologie des IS in die Organisation ein, ordneten sich dem Willen des IS unter und entfalteten folgende Tätigkeiten zur Förderung seiner Ziele:

(1) Der Ehemann betätigte sich in der Folgezeit an unterschiedlichen Orten mutmaßlich sowohl im Irak als auch in Syrien als Arzt in Krankenhäusern, Lazaretten und Gefängnissen des IS. Die Angeschuldigte unterstützte ihn hierbei umfassend, indem sie die vom IS für Ehefrauen vorgesehene Rolle ausfüllte. Nachdem sie sich zunächst mit ihrem Ehemann in F. /Irak aufgehalten hatte, führte sie spätestens ab Frühjahr 2015 den Haushalt der Familie in M. und organisierte nach der Geburt der Töchter S. am 31. August 2015 und Z. am 3. Mai 2018 die Kinderbetreuung. Neben ihrer Tätigkeit als Hausfrau und Mutter besuchte die Angeschuldigte einen Arabischkurs und absolvierte eine Ausbildung als Masseurin oder Physiotherapeutin. Erkenntnisse, inwieweit sie die erworbenen Fähigkeiten in Gesundheitseinrichtungen des IS zur Anwendung brachte, liegen derzeit nicht vor. Mit hoher Wahrscheinlichkeit erhielt der Ehemann der Angeschuldigten für seine Tätigkeit als Arzt vom IS ein monatliches Gehalt in bislang noch unbekannter Höhe, bei dessen Bemessung auch die Angeschuldigte und ihre Kinder Berücksichtigung fanden.

(2) Im Frühjahr 2015 bezogen die Angeschuldigte und ihr Ehemann ein für die dortigen Verhältnisse großes und luxuriöses Haus in M. Das zweistöckige Gebäude befand sich im Viertel H. in der Nähe der Universität. Sie hatten das Haus weder gekauft noch zahlten sie Miete. Hochwahrscheinlich überließ der IS das Haus, nachdem die Vorbesitzer des Anwesens geflohen oder vertrieben worden waren, der Angeschuldigten und ihrem Mann für ihre Dienste.

In diesem Haus nahmen die Angeschuldigte und ihr Ehemann nach Genehmigung und gegen Bezahlung durch den IS andere der Miliz zugehörige Frauen auf, die aus unterschiedlichen Gründen ohne Ehemänner lebten. So kam die Zeugin Ö. (alias“ ") dort für kurze Aufenthalte im Jahr 2015 und für einige Monate von etwa Mai bis Ende Juli 2016 unter. Des Weiteren hielten sich eine deutsche Staatsangehörige namens Sa. (alias“ ") sowie die Zeuginnen Sch. - von Juni bis August 2015 - und K. (alias“ ") - etwa von Februar bis Mai 2016 - dort auf.

Zu den weiteren in den Haushalt der Angeschuldigten aufgenommenen Frauen zählte etwa ab Sommer 2015 die deutsche Staatsangehörige Fe. (" "). Der Ehemann nahm diese etwa im September/Oktober 2017 nach islamischem Ritus neben der Angeschuldigten zur weiteren Ehefrau. Zwei andere Frauen, die teilweise schon länger im Haushalt der Angeschuldigten und ihres Mannes verweilten, heiratete er im Mai 2017 und Mitte April 2018.

(3) Während ihres Aufenthaltes in der Villa in M. - jedenfalls zwischen Juni 2015 und August 2016 - bewahrten die Angeschuldigte und ihr Mann im gemeinsamen Schlafzimmer eine große Anzahl von Waffen und Sprengstoff auf. So befanden sich in ihrem Kleiderschrank Handgranaten, Kalaschnikows, Sprengstoff, Sprengstoffwesten und Handfeuerwaffen, darunter eine Glock. Ferner nahmen beide mit der Glock Schießübungen vor, an denen auch weitere sich im Haus der Eheleute aufhaltende Frauen teilnahmen.

(4) Im Frühjahr 2016 brachte der Ehemann eine ihm vom IS als „Geschenk“ überlassene Jesidin als Sklavin in den mit der Angeschuldigten geführten Haushalt in M. Gemeinsam zwangen die Eheleute die Jesidin zur unentgeltlichen Verrichtung der Hausarbeit und behandelten sie wie ihr Eigentum. Sie musste von morgens früh bis spät in die Nacht im Haushalt der Angeschuldigten putzen, kochen, sich um die Kinder kümmern und wurde zudem von deren Ehemann mit Wissen der Angeschuldigten regelmäßig mit Gewalt zum Vaginalverkehr gezwungen. Die Jesidin durfte das umzäunte und verschlossene Anwesen nicht ohne Begleitung verlassen und wurde nach Verrichtung ihrer Zwangsarbeiten in einem Zimmer eingesperrt. Zudem veranlassten die Eheleute die Jesidin zur Einhaltung islamischer Glaubensregeln wie etwa des Gebets. Wegen seiner Betätigung als Arzt für den IS war der Mann der Angeschuldigten häufig ortsabwesend. Während solcher Zeiten hielt sie die Zwangslage der Jesidin aufrecht.

Mutmaßlich im Herbst 2016 begab sich die Angeschuldigte mit ihrer Familie und der Sklavin nach Syrien, ohne dass dies mit der Aufgabe des Anwesens in M. verbunden war. In Syrien setzte der Mann seine Betätigung als Arzt für den IS fort, während sich die Angeschuldigte um die Kinder und deren Erziehung zum islamischen Glauben kümmerte. Die Familie zog in Syrien mehrfach um, wobei sich ihre Aufenthaltsorte danach ausrichteten, wo er als Arzt des IS eingesetzt war. Im August 2018 wohnte die Angeschuldigte mit ihrer Familie in R.; das Haus wurde jedoch im Dezember 2018 bei einem Bombenangriff zerstört. Schließlich hielt sich die Angeschuldigte in der letzten Hochburg des IS in B. auf.

(5) Anfang März 2019 wurde die Angeschuldigte gemeinsam mit der Jesidin nach ihrer Flucht aus B. von Angehörigen der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) in D. aufgegriffen und in das Lager A. verbracht. Ihr Ehemann wurde in einem Gefängnis in Ha. inhaftiert. Die Jesidin konnte sich erst nach der Gefangennahme und Überstellung in das Lager von der Angeschuldigten trennen.

b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus Folgendem:

aa) Die Erkenntnisse zum Bürgerkrieg in Syrien und dem Irak, zur außereuropäischen Vereinigung IS sowie zu dessen Vorgehen gegen die Jesiden beruhen auf den - vom Generalbundesanwalt in Sonderordnern zusammengetragenen - Ergebnissen von Strukturermittlungen, insbesondere Sachverständigengutachten sowie Auswertungsberichten und -vermerken des Bundeskriminalamts.

bb) Die Angeschuldigte hat hinsichtlich der ihr zur Last liegenden Taten lediglich eingeräumt, im Tatzeitraum im IS-Herrschaftsgebiet gelebt und dort mit ihrem Ehemann und ihren Kindern mehrere Häuser und Wohnungen bewohnt zu haben.

Der dringende Tatverdacht beruht hinsichtlich - der bewussten Eingliederung der Angeschuldigten in die Strukturen des IS und ihrer mitgliedschaftlichen Betätigung für die Vereinigung insbesondere auf den Angaben verschiedener Auskunftspersonen, namentlich ihrer Eltern und dreier der benannten Syrien-Rückkehrerinnen, die in dem Frauenhaus Aufnahme gefunden hatten, sowie auf Telekommunikationsinhalten, - des Verhaltens der Angeschuldigten gegenüber der Jesidin in erster Linie auf deren schriftlich vorliegender Aussage gegenüber UNITAD, daneben auf den übereinstimmenden Angaben mehrerer Syrien-Rückkehrerinnen sowie einem Vermerk des Bundeskriminalamts betreffend die Angaben eines Journalisten in einem Pressehintergrundgespräch, - der Aneignung des Hauses durch die Angeschuldigte und deren Ehemann sowie der Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen, des Besitzes verbotener Gegenstände und des Besitzes und Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe vor allem auf den Zeugenaussagen zweier Syrien-Rückkehrerinnen, daneben auf den Ergebnissen von Strukturermittlungen, Lichtbildern und Telekommunikationsinhalten.

Wegen der Einzelheiten der Verdachtslage wird auf den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs und das in der Anklageschrift des Generalbundesanwalts vom 13. September 2022 dargelegte wesentliche Ergebnis der Ermittlungen verwiesen.

c) In rechtlicher Hinsicht ist der der Angeschuldigten angelastete Sachverhalt dahin zu beurteilen, dass sie jedenfalls dringend verdächtig ist eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Versklavung in Tateinheit mit Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch sexuelle Gewalt und mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland (Fall 1) sowie dreier weiterer Fälle der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland, davon in einem Fall in Tateinheit mit einem Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte (Fall 2) und in einem anderen Fall in Tateinheit mit Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen, Besitz verbotener Gegenstände sowie Besitz und Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe (Fall 3); § 7 Abs. 1 Nr. 3 und 6, § 9 Abs. 1 Variante 3 VStGB, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 25 Abs. 2, § 27 Abs. 1, §§ 52, 53 StGB, § 22a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a und b KrWaffKG, § 52 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 Buchst. b, § 2 Abs. 2 WaffG. Ihr oben unter Gliederungspunkt II. 1. a) dd) geschildertes Verhalten ist im Einzelnen wie folgt zu bewerten:

aa) Die Angeschuldigte ist der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland dringend verdächtig, da sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit dem IS anschloss und sich für ihn auf verschiedene Weise betätigte (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB). Dies gilt sowohl unter Zugrundelegung des früher nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgeblichen Vereinigungsbegriffs als auch auf der Grundlage der Legaldefinition des § 129 Abs. 2 i.V.m. § 129a Abs. 1 StGB in der seit dem 22. Juli 2017 gültigen Fassung.

Die der Angeschuldigten vorgeworfenen Aktivitäten im IS-Herrschaftsgebiet sind als aktive Beteiligungshandlungen zu beurteilen. So verhält es sich hier auch bei der Haushaltführungstätigkeit, die sich angesichts der aus den weiteren Umständen folgenden Einbindung der Angeschuldigten in den IS nicht lediglich als bloße alltägliche Verrichtung ohne Organisationsbezug darstellt (vgl. zu den Voraussetzungen der mitgliedschaftlichen Beteiligung im Einzelnen BGH, Beschluss vom 21. April 2022 - AK 14/22, juris Rn. 27 ff. mwN).

Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung liegt hinsichtlich des IS vor.

bb) Die Angeschuldigte ist eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Versklavung sowie der idealkonkurrierenden Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch sexuelle Gewalt dringend verdächtig.

(1) Die Voraussetzungen für die in § 7 Abs. 1 VStGB normierte Gesamttat liegen vor. Der IS führte gegen die kurdische Zivilbevölkerung jesidischen Glaubens in der Region um das Sindschar-Gebirge im Nordwesten des Iraks, beginnend mit dem Angriff am 2./3. August 2014, vorsätzlich einen ausgedehnten und systematischen Angriff im Sinne dieser Vorschrift (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2021 - AK 5/21, juris Rn. 31 ff. mwN; vom 4. Mai 2022 - AK 17/22, NStZ-RR 2022, 227, 228).

(2) Die Angeschuldigte beging bzw. förderte zumindest die im Katalog des § 7 Abs. 1 VStGB aufgeführten Einzeltaten der Nummern 3 und 6:

(a) Im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit ihrem Ehemann (§ 25 Abs. 2 StGB, § 2 VStGB) führte sie Handlungen aus, die sich rechtlich als Versklavung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 3 VStGB darstellen.

Voraussetzung des Tatbestandes des § 7 Abs. 1 Nr. 3 VStGB ist, dass der Täter ein angemaßtes „Eigentumsrecht“ an einem Menschen ausübt. Nachdem von Rechts wegen allerdings kein solches Eigentumsrecht an einer Person bestehen kann, umfasst der Tatbestand der Sklaverei eine de facto vergleichbare Behandlung, bei welcher der Täter einen Menschen seinem Willen und seinen Interessen unterwirft und diesem die Freiheit abspricht, selbstbestimmt zu handeln. Wesentliche Indizien dabei sind die Kontrolle der Bewegungsfreiheit des Opfers, seine Verletzlichkeit, Misshandlungen und die wirtschaftliche Beherrschung oder Ausnutzung der betroffenen Person. Nicht zwingend erforderlich ist es dagegen, dass das Opfer entgeltlich oder gegen eine sonstige Vergütung „erworben“ oder wieder „veräußert“ worden bzw. die Ausübung des „Eigentumsrechts“ von längerer Dauer ist. Diese Aspekte können jedoch starke Indizien für eine Versklavung sein (BGH, Beschluss vom 9. Februar 2021 - AK 5/21, BGHR VStGB § 7 Abs. 1 Menschenhandel 1 Rn. 39 mwN).

Gemessen daran beteiligte sich die Angeschuldigte als Mittäterin mit ihrem Ehemann an der Versklavung zum Nachteil der Jesidin. Beginnend im Frühjahr 2016 zwangen die Eheleute die von anderen Mitgliedern des IS gefangengenommene damals 21jährige Frau, unentgeltlich in ihrem Haushalt die alltäglichen Aufgaben zu verrichten und ihnen bei Umzügen zu helfen. Sie bestimmten über ihren Aufenthalt; die Jesidin durfte sich weder im Haus noch sonst frei bewegen. In Kenntnis der Angeschuldigten setzte jedenfalls ihr Ehemann mehrfach Gewalt gegen jene ein und nötigte sie, regelmäßig den Vaginalverkehr mit ihm zu dulden.

(b) Zugleich leistete die Angeschuldigte durch diese Tatbeiträge Beihilfe (§ 27 Abs. 1 StGB, § 2 VStGB) zur von ihrem Ehemann begangenen Vergewaltigung im Sinne der Variante 2 der in § 7 Abs. 1 Nr. 6 VStGB normierten sexuellen Gewalt. Diese Tatvariante liegt - in Anlehnung an die Auslegung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. g Variante 1 des IStGH-Statuts unter Heranziehung der Verbrechenselemente zum IStGH-Statut - unter anderem vor, wenn der Täter durch den Einsatz von Gewalt, die Androhung von Gewalt oder Zwang oder das Ausnutzen einer strukturellen Zwangssituation mit seinem Geschlechtsorgan in den Körper des Opfers eindringt (s. MüKoStGB/Werle, 4. Aufl., § 7 VStGB Rn. 83). So liegt es hier.

Zu dieser (Einzel-)Tat leistete die Angeschuldigte vorsätzlich Hilfe im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB. Als Hilfeleistung ist grundsätzlich jede Handlung anzusehen, die die Herbeiführung des Taterfolgs durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert. Dass sie für den Eintritt des Erfolgs in seinem konkreten Gepräge in irgendeiner Form kausal wird, ist nicht notwendig (s. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - 3 StR 236/17, BGHSt 64, 10 Rn. 95 mwN). Der die sexuellen Ãœbergriffe fördernde Beitrag der Angeschuldigten lag darin, dass sie daran mitwirkte, die Voraussetzungen für die wiederholte Tatbegehung zu schaffen. Sie hielt die Geschädigte unter Kontrolle und sorgte dafür, dass sie nicht fliehen konnte. Diese Aufrechterhaltung der Zwangslage stellte, wie der Angeschuldigten bewusst war, sicher, dass die Jesidin ihrem Ehemann für sexuelle Handlungen, namentlich die Ausübung des Vaginalverkehrs, zur Verfügung stand.

(3) Die Angeschuldigte und ihr Ehemann führten die Einzeltaten „im Rahmen“ der von § 7 Abs. 1 VStGB vorausgesetzten Gesamttat aus.

Für Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist erforderlich, dass sich die vom Täter begangene Katalogtat in die Gesamttat einfügt, er mithin seinen Tatbeitrag funktional in den Angriff einstellt (sog. funktionaler Zusammenhang; s. BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2021 - AK 43/21, juris Rn. 24 mwN). So verhält es sich hier. Denn die Versklavungs- und Vergewaltigungshandlungen waren in den ausgedehnten und systematischen Angriff gegen die kurdische Zivilbevölkerung jesidischen Glaubens eingebunden. Die Versklavung der Jesidin und die Förderung ihrer Vergewaltigung dienten dem Vorgehen des IS gegen die in der Region um das Sindschar-Gebirge ansässige Religionsgemeinschaft der Jesiden. Dies war der Angeschuldigten bewusst.

(4) Das Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung sowie die Beihilfe zu dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch sexuelle Gewalt stellen für die Angeschuldigte bereits aufgrund der Teilidentität ihrer Ausführungshandlungen eine Tat im materiellrechtlichen Sinne dar. Der Tatbestand der Versklavung verdrängt denjenigen der (Beihilfe zur) sexuellen Gewalt nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Mai 2022 - AK 17/22, NStZRR 2022, 227, 228; mit Nachw. aus der Rspr. der internationalen Strafgerichtshöfe: MüKoStGB/ Werle/Jeßberger, 4. Aufl., § 7 VStGB Rn. 144; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1121 f.).

cc) Die Angeschuldigte hat sich mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen eines Kriegsverbrechens gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 Variante 3 VStGB strafbar gemacht. Gemeinschaftlich mit ihrem Ehemann (§ 25 Abs. 2 StGB, § 2 VStGB) eignete sie sich das Wohnhaus in M. an, das, wie sie wusste, zuvor Angehörige der Zivilbevölkerung, die vor dem IS geflohen oder von diesem vertrieben worden waren, bewohnt hatten (vgl. im Einzelnen BGH, Beschlüsse vom 4. April 2019 - AK 12/19, NStZ-RR 2019, 229, 230 f.; vom 15. Mai 2019 - AK 22/19, NStZ 2020, 26 Rn. 29 f.; vom 9. Juni 2020 - AK 12/20, juris Rn. 28).

dd) Weiterhin hat die Angeschuldigte hochwahrscheinlich ohne Genehmigung oder Anzeige im Sinne des § 22a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a und b KrWaffKG die tatsächliche Gewalt über Kriegswaffen ausgeübt, entgegen § 2 Abs. 3 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.3.4 der Waffenliste einen verbotenen Gegenstand besessen und ohne Erlaubnis nach § 2 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 Satz 1 eine halbautomatische Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition nach Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 3 Nr. 1.1 besessen und geführt, indem sie gemeinschaftlich mit ihrem Ehemann mehrere Schnellfeuergewehre des Typs Kalaschnikow, Handgranaten, Sprengstoff, Sprengstoffwesten und Handfeuerwaffen, darunter eine Glock, in einem Kleiderschrank des gemeinsamen Schlafzimmers verwahrte und mit der letztgenannten Handfeuerwaffe Schießübungen unternahm.

ee) Im Ãœbrigen sind die Konkurrenzen wie folgt zu bewerten:

Die tateinheitlich begangenen bzw. geförderten Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 und 6 VStGB, § 25 Abs. 2 StGB und § 7 Abs. 1 Nr. 6 VStGB, § 27 Abs. 1 StGB (Fall 1) sowie das Kriegsverbrechen gemäß § 9 Abs. 1 Variante 3 VStGB (Fall 2) und die Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen ohne Genehmigung, der Besitz eines verbotenen Gegenstands sowie der Besitz und das Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe ohne Erlaubnis (Fall 3) sind materiellrechtlich als drei selbständige Taten zu beurteilen. Sie stehen jede für sich in (weiterer) Tateinheit zur mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland, weil sich die Angeschuldigte mit den jeweiligen Handlungen als Mitglied des IS für diesen betätigte. Die mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte, die nicht gegen ein anderes Strafgesetz als §§ 129a, 129b StGB verstoßen, treten als verbleibende tatbestandliche Handlungseinheit tatmehrheitlich hinzu (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308 Rn. 23, 37 ff.; vom 20. Dezember 2016 - 3 StR 355/16, BGHR StGB § 129a Konkurrenzen 6 Rn. 5; vom 20. Februar 2019 - AK 4/19, BGHR VStGB § 8 Abs. 1 Konkurrenzen 1 Rn. 27).

ff) Deutsches Strafrecht ist anwendbar. Dies ergibt sich für die Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch aus dessen § 1 Satz 1. Für die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland folgt die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB, weil die Angeschuldigte Deutsche ist und die Tat - als Anschluss an eine terroristische Organisation gemäß Art. 1 und 3 des syrischen Anti-Terror-Gesetzes Nr. 19 vom 28. Juni 2012 - auch in Syrien mit Strafe bedroht ist (s. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 3. März 2021 - AK 10/21, juris Rn. 42 mwN). Nach irakischem Recht ergibt sich die Strafbarkeit insoweit aus dem irakischen Antiterrorgesetz Nr. 13/2005. Im Hinblick auf die Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen, den Besitz verbotener Gegenstände und den Besitz und das Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe ist gleichfalls § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB einschlägig; die Strafbarkeit nach irakischem Recht ist insoweit aus dem irakischen Waffengesetz, Art. 27 Nr. 3 des Gesetzes Nr. 13/1992, und für die Zeit ab dem 20. März 2017 Art. 24 Nr. 3 des Gesetzes Nr. 51/2017, zu entnehmen.

gg) Die Verfolgungszuständigkeit des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof ergibt sich aus § 142a Abs. 1, § 120 Abs. 1 Nr. 6 und 8 GVG.

hh) Im Rahmen der Haftfortdauerentscheidung ist es wie ausgeführt nicht notwendig, das Verhalten der Angeschuldigten gegenüber der Geschädigten im Hinblick auf die weiteren im vollzogenen Haftbefehl und in der Anklageschrift aufgeführten Straftatbestände zu bewerten.

2. Es besteht neben dem im Haftbefehl angenommenen Haftgrund der Schwerkriminalität auch derjenige der Fluchtgefahr.

a) Nach Würdigung aller Umstände ist es wahrscheinlicher, dass sich die Angeschuldigte, auf freien Fuß gesetzt, dem Strafverfahren entziehen, als dass sie sich ihm zur Verfügung halten werde (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).

aa) Die Angeschuldigte hat im Fall ihrer Verurteilung mit einer langjährigen Haftstrafe zu rechnen. Von der Straferwartung geht ein ganz erheblicher Fluchtanreiz aus, der sich jedenfalls regelmäßig nach der prognostisch tatsächlich zu verbüßenden Strafhaft richtet (zur sog. Nettostraferwartung s. BGH, Beschluss vom 2. November 2016 - StB 35/16, juris Rn. 9; SSW-StPO/Herrmann, 4. Aufl., § 112 Rn. 64 f., jeweils mwN).

Der zu stellenden Prognose ist zugrunde zu legen, dass der Regelstrafrahmen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Versklavung (§ 7 Abs. 1 Nr. 3 VStGB) im Mindestmaß Freiheitsstrafe von fünf Jahren vorsieht. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass nach bislang vorliegenden Erkenntnissen der etwa drei Jahre währende Aufenthalt der Angeschuldigten in den Flüchtlingslagern A. und Ro. bei vorläufiger Bewertung voraussichtlich nicht gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 StGB auf eine Freiheitsstrafe anzurechnen sein wird. Insbesondere ist nach derzeitigem Kenntnisstand die Annahme gerechtfertigt, dass die die nordsyrischen Lager betreibenden kurdischen und die sie unterstützenden US-amerikanischen Kräfte mit der dortigen Internierung von IS-Angehörigen präventive Zwecke verfolgten (vgl. die in BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2021 - AK 44/21, juris Rn. 45 f. dargelegten, auf den hiesigen Fall übertragbaren Erwägungen).

bb) Diesem Fluchtanreiz stehen keine maßgeblich fluchthindernden Umstände entgegen. Vielmehr hat die Angeschuldigte in Deutschland seit Ende 2014 keinen Wohnsitz und keine Arbeitsstelle mehr. Auch der Umstand, dass sich ihre Töchter seit Ende März 2022 in Deutschland aufhalten, kann unter den gegebenen Umständen den Fluchtanreiz nicht beseitigen.

b) Die zu würdigenden Umstände begründen zudem die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung der Angeschuldigten vereitelt werden könnte, so dass die Fortdauer der Untersuchungshaft bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) ebenso auf den dort geregelten (subsidiären) Haftgrund gestützt werden kann.

3. Eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO analog) ist nicht erfolgversprechend. Unter den gegebenen Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als ihren Vollzug erreicht werden.

4. Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor. Der besondere Umfang der Ermittlungen sowie deren besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft. Der Aktenbestand umfasst mittlerweile 18 Bände Sachakten und mehrere Sonderhefte. Das Ermittlungsverfahren ist, auch nach der Festnahme der Angeschuldigten am 31. März 2022, mit der in Haftsachen gebotenen Zügigkeit geführt worden:

So sind die Protokolle der auf Grund eines Rechtshilfeersuchens vom 11. bis 14. April 2022 durch UNITAD befragten Jesidin unter dem 30. Juni 2022 an den Generalbundesanwalt übersandt und am 8. Juli 2022 eine weitere Syrien-Rückkehrerin - wenngleich ergebnislos - als Zeugin vernommen worden. Die Auswertung vom FBI zur Verfügung gestellter Chatkommunikation der Angeschuldigten aus dem Lager A. hat am 8. August 2022 abgeschlossen werden können.

Am 13. September 2022 hat der Generalbundesanwalt die 84 Seiten umfassende Anklageschrift fertiggestellt, die am 16. September 2022 beim Oberlandesgericht eingegangen ist. Der Vorsitzende des mit der Sache befassten Strafsenats hat am 20. September 2022 die Zustellung der Anklageschrift verfügt und eine Erklärungsfrist für die Angeschuldigte sowie ihren Verteidiger bis zum 14. Oktober 2022 bestimmt.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 26. September 2022 Bezug genommen.

5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht derzeit nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1089

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede