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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 927

Bearbeiter: Fabian Afshar

Zitiervorschlag: BGH, StB 29/23, Beschluss v. 13.06.2023, HRRS 2023 Nr. 927


BGH StB 29/23 - Beschluss vom 13. Juni 2023

Zulässigkeit der Beschwerde gegen eine Durchsuchungsanordnung des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs; Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs (besondere Bedeutung der Tat); Durchsuchung bei Beschuldigten (erforderlicher Verdachtsgrad); Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung.

§ 102 StPO; § 304 Abs. 5 StPO; § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GVG; § 142a Abs. 1 GVG; § 129 StGB

Entscheidungstenor

Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 15. Februar 2023 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Der Generalbundesanwalt führt gegen den Beschuldigten und zahlreiche Mitbeschuldigte ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) und weiterer Straftaten. Auf seinen Antrag hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 15. Februar 2023 die Durchsuchung der Person des Beschuldigten, seiner Wohnung, seiner Garage sowie von vier von ihm genutzten Fahrzeugen zum Zweck der Sicherstellung von Beweismitteln angeordnet.

Nach Vollzug der Durchsuchung hat der Beschuldigte Beschwerde gegen diesen Beschluss erhoben. Er hat sein Rechtsmittel nicht begründet.

Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat der Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig. Ihr Ziel ist noch nicht prozessual überholt und daher nicht in einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme umzudeuten. Angesichts der nicht abgeschlossenen Durchsicht der vorläufig sichergestellten elektronischen Speichermedien dauert die Durchsuchungsmaßnahme weiterhin an (s. BGH, Beschluss vom 18. November 2021 - StB 6/21 u.a., NJW 2022, 795 Rn. 5 mwN).

2. Das Rechtsmittel bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Voraussetzungen für den Erlass der Durchsuchungsanordnung (§§ 102, 105 StPO) lagen vor.

a) Gegen den Beschuldigten bestand ein auf konkreten Tatsachen beruhender Verdacht einer Straftat.

aa) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es - unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit - nicht (st. Rspr.; BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 - 2 BvR 1219/05, BVerfGK 9, 149, 153; BGH, Beschlüsse vom 5. Juni 2019 - StB 6/19, juris Rn. 7; vom 9. Februar 2021 - StB 9/20 u.a., juris Rn. 9 mwN; vom 30. November 2021 - StB 37/21, juris Rn. 6; LR/Tsambikakis, StPO, 27. Aufl., § 102 Rn. 12 ff.). Ein solcher ausreichend konkreter Verdacht kann grundsätzlich auch durch ein Behördenzeugnis begründet werden (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 28. Juni 2018 - StB 7/18, juris Rn. 6; vom 6. Februar 2019 - 3 StR 280/18, BGHR StPO § 102 Tatverdacht 4 mwN; vom 5. Juni 2019 - StB 6/19, juris Rn. 8), zumal die Durchsuchung dazu dienen kann, die Qualität der Angaben zu überprüfen, und nicht nur zur Belastung, sondern ebenso zur Entlastung des Beschuldigten beizutragen vermag (s. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2022 - StB 40/22, NStZ-RR 2022, 380).

bb) Nach diesen Maßstäben lagen zureichende Gründe für folgenden Verdacht vor:

Spätestens ab Juni 2022 schloss sich der Beschuldigte mit dem sich seit dem Vorjahr in der Islamischen Republik Iran aufhaltenden Mitbeschuldigten Y., dem Mitbeschuldigten K. sowie dem gesondert Verfolgten J. zusammen, um in Deutschland Anschläge auf Synagogen und gegebenenfalls andere jüdische Einrichtungen zu verüben. In der Nacht vom 17. auf den 18. November 2022 feuerte K. mit einer scharfen Schusswaffe in Y. s Auftrag mehrfach auf das Rabbinerhaus der Alten Synagoge E. In diesem unmittelbar an das ehemalige Gotteshaus angebauten Gebäude befindet sich das S. -Institut für deutschjüdische Geschichte an der Universität D. Den Auftrag erhielt K. unter Beteiligung des Beschuldigten.

Innerhalb der Gruppierung („Operativteam“) nahm Y. in Zusammenarbeit mit einer staatlichen Stelle im Iran, den Quds-Kräften der Revolutionsgarde, eine koordinierende Funktion ein. Auf seine Aufforderung warf J. am späten Abend des 17. November 2022 einen Molotow-Cocktail gegen einen Gebäudeteil einer Schule in B., deren Gelände an den rückwärtigen Bereich der dortigen Synagoge grenzt.

(1) Der Anfangsverdacht zu der Gruppierung, der Anbindung an die Quds-Kräfte und der Beteiligung des Beschuldigten stützte sich vornehmlich auf Behördenzeugnisse. Die dortigen Angaben fanden indizielle Bestätigung durch weitere Ermittlungsergebnisse. Insbesondere hat sich J. bei seiner Beschuldigtenvernehmung dahin eingelassen, er habe im Auftrag einer Person X - womit er aus Gründen des Selbstschutzes naheliegend Y. bezeichnet hat - den Brandsatz auf das Schulgebäude in B. geworfen. Darüber hinaus hat ein Zeuge ausgesagt, J. habe ihn aufgefordert, am 17. November 2022 gegen 23 Uhr gemeinsam mit ihm einen Brandanschlag auf die Synagoge in Do. zu verüben; zudem hat der Zeuge bekundet, nach seiner Kenntnis habe J., der täglich mit Y. telefoniere, den Auftrag aus dem Iran erhalten.

Wegen weiterer Einzelheiten zur Beweislage wird auf die Ausführungen in der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 24. April 2023 verwiesen.

(2) In rechtlicher Hinsicht ist der dem Beschuldigten angelastete Sachverhalt jedenfalls als mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StGB zu beurteilen. Darauf, ob daneben der Verdacht der Gründung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 StGB) und der Beihilfe zur gemeinschädlichen Sachbeschädigung (§ 304 Abs. 1 StGB) oder zur Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) stand, kommt es hier ebenso wenig an wie auf eine konkurrenzrechtliche Bewertung der in Betracht kommenden Delikte.

Die Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung im Sinne von § 129 Abs. 2 StGB waren nach dem Ermittlungsstand im Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung erfüllt. Danach sind die für eine Vereinigung erforderlichen organisatorischen, personellen, zeitlichen und interessenbezogenen Elemente gegeben. Nach den vor der Anordnung gewonnenen Erkenntnissen verfügte die Gruppe zwar über einen vergleichsweise geringen Organisationsgrad; ihre Mitglieder wirkten jedoch unter der koordinierenden Anleitung des Y. zusammen, um ein über die Begehung der Straftaten hinausgehendes, als antisemitisch zu bewertendes Ziel zu erreichen (vgl. näher zu den Voraussetzungen BGH, Urteil vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21, BGHSt 66, 137 Rn. 19 ff.). Nach den Ermittlungsergebnissen galten die Anschläge insbesondere Synagogen. Soweit die Sakralbauten noch als jüdische Gotteshäuser genutzt werden, sind sie als dem Gottesdienst gewidmete (unbewegliche) Sachen im Sinne des Tatbestandes der gemeinschädlichen Sachbeschädigung gemäß § 304 Abs. 1 StGB zu beurteilen (vgl. für Kirchengebäude LK/Goeckenjan, StGB, 13. Aufl., § 304 Rn. 6 f.; MüKoStGB/Wieck-Noodt, 4. Aufl., § 304 Rn. 9 f.; NK-StGB/Kargl, 6. Aufl., § 304 Rn. 5 f., jeweils mwN). Aber auch soweit dort gegenwärtig etwa der Öffentlichkeit zugängliche kulturelle oder wissenschaftliche Einrichtungen untergebracht sind, unterfallen sie dieser Strafnorm (s. LK/Goeckenjan aaO, Rn. 14 ff.; MüKoStGB/Wieck-Noodt aaO, Rn. 18 ff.; NK-StGB/Kargl aaO, Rn. 11 ff., jeweils mwN). Nach der maßgebenden Verdachtslage war das „Operativteam“ somit gemäß seinen Zwecken und seiner Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind. Gleiches würde gelten, sollte die Gruppierung geplant haben, ihr übergeordnetes Ziel allein durch (einfache) Sachbeschädigungen nach § 303 Abs. 1 StGB zu verfolgen.

cc) Die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts und damit diejenige des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs (§ 169 Abs. 1 StPO) ergab sich aus § 142a Abs. 1, § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 74a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 GVG. Die die Strafgerichtsbarkeit des Bundes begründende besondere Bedeutung der Tat war gegeben.

(1) Die besondere Bedeutung im Sinne des § 120 Abs. 2 Satz 1 GVG ist grundsätzlich anzunehmen, wenn es sich bei der Tat unter Beachtung des Ausmaßes der eingetretenen Rechtsgutsverletzung um ein staatsgefährdendes Delikt von erheblichem Gewicht handelt, das die Schutzgüter des Gesamtstaats in einer derart spezifischen Weise angreift, dass ein Einschreiten des Generalbundesanwalts und eine Aburteilung durch ein die Bundesgerichtsbarkeit ausübendes Gericht geboten sind. Die Beurteilung der Bedeutung des Falls erfordert dabei eine Gesamtwürdigung der Umstände und Auswirkungen der Tat unter besonderer Berücksichtigung ihres Angriffs auf die betroffenen Rechtsgüter des Gesamtstaats (s. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2000 - 3 StR 378/00, BGHSt 46, 238, 253 ff.; Beschluss vom 13. Januar 2009 - AK 20/08, BGHSt 53, 128 Rn. 37). Dabei sind in erster Linie die konkreten Tatfolgen für die innere Sicherheit, insbesondere die Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung, in den Blick zu nehmen. Daneben sind die Beeinträchtigung des Erscheinungsbilds der Bundesrepublik in solchen Staaten, die ihr durch gemeinsame Wertvorstellungen verbunden sind, und die mögliche Signalwirkung auf potentielle Nachahmungstäter in Betracht zu ziehen (s. BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 2007 - StB 12/07 u.a., NStZ 2008, 146 Rn. 7; vom 22. September 2016 - AK 47/16, juris Rn. 23; vom 22. August 2019 - StB 21/19, juris Rn. 40; vom 15. Januar 2020 - AK 62/19, juris Rn. 19).

(2) Gemessen an den aufgezeigten rechtlichen Maßstäben hat die Tat besondere Bedeutung.

Eine Mehrzahl bewaffneter Anschläge auf Gebäude, die der Ausübung des jüdischen Glaubens dienen oder zumindest damit im Zusammenhang stehen und - mutmaßlich - von einem fremden Staat initiiert wurden, berühren nicht nur die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch ihre Souveränität. Das Grundgesetz schützt die freie Religionsausübung im besonderen Maße (Art. 4 Abs. 2 GG). Die Taten, die in Verbindung mit der Gruppierung um Y. stehen, sind über die Verletzung individueller Rechtsgüter hinaus geeignet, gegenüber in Deutschland lebenden Angehörigen der jüdischen Religionsgemeinschaft ein Klima der Angst und Einschüchterung zu verbreiten. Sie drohen, die verfassungsrechtlich vorausgesetzte Erwartung zu erschüttern, in Deutschland den Glauben ungestört ausüben zu können und dabei vor gewaltsamen Einwirkungen außerhalb des Grundgesetzes stehender Hoheitsträger geschützt zu sein. Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass die Bundesrepublik dem Schutz jüdischen Lebens in Deutschland eine herausragende Bedeutung beimisst, und andererseits, dass es zu einem Vertrauensverlust im Inland sowie einem Ansehensverlust im Ausland führte, wenn der Staat nicht imstande wäre, diesen Schutz effektiv zu gewährleisten.

b) Die Anordnung der Durchsuchung entsprach - auch unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Belange des Beschuldigten - dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

aa) Die Durchsuchung des Beschuldigten und der weiteren Objekte war zur Ermittlung der Tat geeignet und erforderlich, weil unter den gegebenen Umständen zu erwarten war, dass sie zum Auffinden der in dem Beschluss genannten Gegenstände führen werde, mit deren Hilfe der ihm angelastete Sachverhalt nachgewiesen werden kann.

bb) Die Ermittlungsmaßnahme stand zudem in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere der aufzuklärenden Tat und der Stärke des aufgezeigten Verdachts. Nach dem konkreten Tatbild ist das Gewicht der in Rede stehenden Delikte ganz erheblich (vgl. auch § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB [antisemitische Beweggründe und Ziele]).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 927

Bearbeiter: Fabian Afshar