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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1092

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, StB 40/22, Beschluss v. 05.10.2022, HRRS 2022 Nr. 1092


BGH StB 40/22 - Beschluss vom 5. Oktober 2022

Durchsuchung bei Beschuldigten (Verdachtsgrad; Anfangsverdacht durch Behördenzeugnis).

§ 102 StPO

Entscheidungstenor

Die Beschwerde des Beschuldigten gegen die Beschlüsse des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 28. Juni 2022 (2 BGs 371/22) und vom 5. Juli 2022 (2 BGs 382/22) wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Der Generalbundesanwalt führt gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland („Islamischer Staat“), strafbar nach § 129a Abs. 1, § 129b Abs. 1 StGB. Auf seinen Antrag hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 28. Juni 2022 die Durchsuchung der Person des Beschuldigten und von ihm genutzter Wohn- und Nebenräume sowie am 5. Juli 2022 diejenige seines Kraftfahrzeugs nach näher beschriebenen Beweismitteln angeordnet. Letztere betreffen eine mögliche Beteiligung des Beschuldigten an der ausländischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS), insbesondere durch Teilnahme als Kommandant an den Kämpfen gegen die Freie Syrische Armee (FSA) und deren Verbündete in M. /Syrien zwischen März und Juni 2014.

Nach Vollzug der Durchsuchung am 15. Juli 2022 hat der Beschuldigte gegen die Durchsuchungsbeschlüsse mit der Begründung Beschwerde eingelegt, er habe mit dem IS nichts zu tun. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Das zulässige Rechtsmittel erweist sich als unbegründet. Die Voraussetzungen für den Erlass der Durchsuchungsanordnungen (§§ 102, 105 StPO) lagen vor.

1. Es bestand ein auf konkreten Tatsachen beruhender Verdacht einer Straftat.

a) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es - unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit - nicht (st. Rspr.; BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 - 2 BvR 1219/05, NJW 2007, 1443 Rn. 15; BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2021 - StB 9/20 u.a., juris Rn. 9 mwN; vom 5. Juni 2019 - StB 6/19, juris Rn. 7 mwN; vom 30. November 2021 - StB 37/21, juris Rn. 6; LR/Tsambikakis, StPO, 27. Aufl., § 103 Rn. 1). Ein solcher ausreichend konkreter Verdacht kann grundsätzlich auch durch ein Behördenzeugnis begründet werden (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 5. Juni 2019 - StB 6/19, juris Rn. 8; vom 6. Februar 2019 - 3 StR 280/18, NStZ 2019, 546 mwN; vom 28. Juni 2018 - StB 7/18 Rn. 6), zumal die Durchsuchung dazu dienen kann, die Qualität der Angaben zu überprüfen, und neben der Belastung zugleich zur Entlastung des Beschuldigten beizutragen vermag.

b) Nach diesen Maßstäben lagen zureichende Gründe für den Verdacht vor, der Beschuldigte habe sich im Jahr 2014 in Syrien dem IS angeschlossen und im selben Jahr als Kommandant am Kampf um M. gegen die FSA und andere Gruppierungen teilgenommen.

aa) Der Anfangsverdacht stützt sich vornehmlich auf ein Behördenzeugnis des Bundesamts für Verfassungsschutz vom 27. April 2021, demzufolge „aus nachrichtendienstlichem Aufkommen“ bekannt geworden sei, dass sich der Beschuldigte im Jahr 2014 dem IS angeschlossen habe und als Kommandant am Kampf um M. gegen die FSA beteiligt gewesen sei. Indizielle Bestätigung findet diese - für sich genommen eher pauschale - Mitteilung darin, dass ausweislich eines Gutachtens des Heidelberger Instituts für internationale Konfliktforschung aus dem Februar 2015 mit dem Titel „Der 'Islamische Staat' in Syrien und im Irak“ tatsächlich zu dem genannten Zeitpunkt in dem genannten Gebiet Kampfhandlungen unter Beteiligung des IS und unter anderem der FSA stattgefunden haben sollen. Im Verlauf der Kämpfe sei es zudem zu Hinrichtungen zurückgebliebener verletzter Kämpfer der Gegenseite durch den IS gekommen.

bb) In rechtlicher Hinsicht ist die Tat, derer der Beschuldigte verdächtig ist, als mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB zu beurteilen.

c) Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern des IS liegt vor.

d) Die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts und damit diejenige des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs ist gemäß § 142a Abs. 1 Satz 1, § 120 Abs. 1 Nr. 6 GVG gegeben.

2. Die Anordnungen der Durchsuchung entsprachen - auch unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Belange des Beschuldigten - dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

a) Sie waren zur Ermittlung der Tat geeignet und erforderlich, da - wie der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs zutreffend ausgeführt hat - unter den gegebenen Umständen zu erwarten war, dass die Durchsuchung zum Auffinden von Gegenständen führen würde, mit deren Hilfe eine Strafbarkeit des Beschuldigten nachgewiesen werden konnte.

b) Die angeordnete Durchsuchung stand zudem in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere der aufzuklärenden Straftat und der Stärke des aufgezeigten Tatverdachts. Das Gewicht des in Rede stehenden Delikts ist erheblich. Die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 129a Abs. 1 StGB stellt ein Verbrechen dar und eröffnet einen Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1092

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede