HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1067
Bearbeiter: Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 335/22, Urteil v. 22.03.2023, HRRS 2023 Nr. 1067
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 30. März 2022
a) im Strafausspruch dahin ergänzt, dass die in den Niederlanden erlittene Auslieferungshaft im Maßstab 1:1 auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet wird und
b) im Ausspruch über die Anordnung der erweiterten Einziehung des Wertes von Taterträgen mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil im Ausspruch über die Anordnung der erweiterten Einziehung des Wertes von Taterträgen mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und ihn im Übrigen freigesprochen. Daneben hat es die „Einziehung von Wertersatz“ in Höhe von 67.500 € angeordnet. Die von der Staatsanwaltschaft zuungunsten des Angeklagten eingelegte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision, die sich gegen die Nichtanordnung der Einziehung der Taterträge über den Betrag von 67.500 € hinaus richtet, hat zuungunsten wie zugunsten (§ 301 StPO) des Angeklagten Erfolg (II.). Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung des materiellen Rechts geltend macht, hat im selben Umfang Erfolg, führt zu einer Ergänzung des Strafausspruchs und ist im Übrigen unbegründet (III.).
Nach den Feststellungen des Landgerichts bewahrte der Angeklagte, ein niederländischer und marokkanischer Staatsbürger, am 8. März 2021 in seiner Wohnung in Amsterdam rund 280 Gramm Haschisch mit einer Wirkstoffmenge von 52,6 Gramm Tetrahydrocannabinol auf. Die Betäubungsmittel hatte er in der Absicht erworben, sie später gewinnbringend zu veräußern. Neben den teils in der Küche und teils in einem doppelten Boden der Tischplatte eines Holztisches versteckten Betäubungsmitteln wurden in seiner Wohnung zudem 28 Mobiltelefone, eine Geldzählmaschine sowie Bargeld im Wert von 117.500 € aufgefunden und sichergestellt. Das Bargeld hatte der Angeklagte zusammen mit den Betäubungsmitteln in der Platte seines Tisches versteckt.
Das Landgericht hat in Höhe von 67.500 € „die erweiterte Einziehung des Wertersatzes gemäß §§ 73a, 73c, 73d StGB“ angeordnet. Es hat angenommen, jedenfalls in dieser Höhe habe der Angeklagte das sichergestellte Bargeld aus anderen rechtswidrigen Taten erlangt (§ 73a Abs. 1 StGB). Dafür spreche die Diskrepanz zwischen seinen legal erzielten Einnahmen und der sichergestellten Bargeldsumme, insbesondere unter Berücksichtigung der festgestellten Hinweise auf seine Einbindung in den Betäubungsmittelhandel und die weiteren in seiner Wohnung sichergestellten Gegenstände. Im Hinblick auf die verbleibenden 50.000 € hat es sich demgegenüber nicht die Überzeugung inkriminierte Herkunft zu bilden vermocht. Im Wege der Schätzung gemäß § 73d StGB ist es zu dem Ergebnis gelangt, ein Betrag in dieser Höhe könne „unter massiver zu Gunsten Rechnung für den Angeklagten“ aus legalen Einkünften und daraus resultierenden Ersparnissen stammen. Der Angeklagte habe in den Niederlanden zwischen den Jahren 2013 bis 2016 auf selbständiger Basis eine Eventagentur und einem Saalverleih betrieben. Daraus habe er Bruttogewinne in Höhe von 101.188 € im Jahr 2018 und in Höhe von 54.983 € im Jahr 2019 erzielt. In den Jahren 2020 und 2021 habe er infolge der Corona-Pandemie keine nennenswerten Umsätze erzielen können, allerdings staatliche Unterstützungsleistungen in einer Gesamthöhe von 6.000 € erhalten. Seine monatlichen Lebenshaltungskosten beliefen sich auf jedenfalls 2.500 €; zudem habe der Angeklagte Schulden in einer Gesamthöhe zwischen 20.000 € und 40.000 €. Auf seine im Jahr 2019 erzielten Einkünfte aus selbständiger Arbeit habe der Angeklagte mindestens den in den Niederlanden geltenden Eingangssteuersatz in Höhe von 37 % zu entrichten gehabt; auf diejenigen des Vorjahres mindestens einen Steuersatz von 40 %, jedoch „vermutlich deutlich mehr“. Nachdem eine zuverlässige Feststellung der geltenden Steuersätze nicht habe getroffen werden können, sei zugunsten des Angeklagten ein Steuersatz von 20 % zu unterstellen. Daraus ergäben sich für die betroffenen Jahre Nettoeinkünfte in Höhe von 124.000 €. Nach Abzug der vom Angeklagten angegebenen Lebenshaltungskosten verbleibe ein Betrag von maximal 45.000 €. Um Schätzungenauigkeiten Rechnung zu tragen, seien hierauf 5.000 € aufzuschlagen und dann von der Summe des aufgefundenen Bargelds in Abzug zu bringen.
Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer wirksam auf die Einziehungsentscheidung beschränkten Revision (vgl. dazu BGH, Urteile vom 17. Juni 2010 - 4 StR 126/10, BGHSt 55, 174, 175 f., Rn. 3 und vom 1. Juni 2021 - 1 StR 675/18 Rn. 7) zu Recht gegen die vom Landgericht festgesetzte Höhe der erweiterten Einziehung des Wertes der Taterträge. Die Anordnung der erweiterten Einziehung in Höhe von 67.500 € hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Die erweiterte Einziehung von Taterträgen gemäß § 73a Abs. 1 StGB oder deren Werts gemäß § 73c StGB setzt voraus, dass das Tatgericht aufgrund erschöpfender Beweiserhebung und -würdigung die Überzeugung gewonnen hat, der Angeklagte habe die betreffenden Gegenstände aus rechtswidrigen Taten erlangt. Deren Konkretisierung hinsichtlich einzelner bestimmter Taten oder hinsichtlich ihres allgemeinen Charakters ist nicht erforderlich (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. November 1994 - 4 StR 516/94, BGHSt 40, 371, 373 und vom 4. April 2018 - 3 StR 63/18 Rn. 6). Dabei dürfen - wie stets - an die Überzeugungsbildung keine überspannten Anforderungen gestellt werden (vgl. BGH, Urteile vom 18. September 2019 - 1 StR 320/18, BGHSt 64, 186 Rn. 15 ff. und vom 14. Oktober 2020 - 5 StR 165/20 Rn. 7; Beschluss vom 21. August 2018 - 2 StR 231/18 Rn. 19). Entlastende Angaben des Angeklagten sind nicht schon deshalb als unwiderlegbar hinzunehmen, weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 6. März 1986 - 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29, 34; vom 16. August 1995 - 2 StR 94/95, BGHR StPO § 261 Einlassung 6; vom 21. August 2012 - 1 StR 257/12 Rn. 26 und vom 14. Oktober 2020 - 5 StR 165/20 Rn. 7; Beschluss vom 19. September 2017 - 1 StR 436/17 Rn. 10). Allerdings reicht ein bloßer Verdacht der illegalen Herkunft des Gegenstandes für dessen Einziehung nicht aus. Begründen bestimmte Tatsachen die nicht nur theoretische Möglichkeit, dass Vermögensgegenstände des Täters aus anderen Quellen als aus rechtswidrigen Taten stammen und verbleiben deshalb vernünftige Zweifel an ihrer deliktischen Herkunft, steht dies der Anordnung der (erweiterten) Einziehung von Taterträgen entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juli 2020 - 4 StR 91/20 Rn. 7; Beschluss vom 23. März 2022 - 6 StR 611/21 Rn. 9; jeweils mwN). Bei auch legalen Einkommensquellen kann die Anordnung nicht auf das bloße Auffinden von Geldmitteln gestützt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Juli 2004 - 2 StR 209/04 Rn. 5; vom 21. August 2018 - 2 StR 231/18 Rn. 19 und vom 23. März 2022 - 6 StR 611/21 Rn. 9; vgl. aber auch BGH, Urteil vom 16. Juli 2020 - 4 StR 91/20 Rn. 7 ff.).
2. Hieran gemessen erweist sich die Einziehungsanordnung als durchgreifend rechtsfehlerhaft. Die zur Ablehnung einer Einziehung der sichergestellten Bargeldbeträge über 67.500 € hinaus herangezogenen Erwägungen lassen besorgen, dass das Landgericht überspannte Anforderungen an seine Überzeugungsbildung gestellt hat (§ 261 StPO). Darüber hinaus fehlt es an der Feststellung der für die Steuerberechnung herangezogenen Besteuerungsgrundlagen. Schließlich erweisen sich die Ausführungen des Landgerichts - wiederum dessen ungeachtet - als widersprüchlich.
a) Das Landgericht ist im Ausgangspunkt rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass das Bargeld, das in einer Tischplatte versteckt in der Wohnung des Angeklagten neben einer nicht unerheblichen Verkaufsmenge an Betäubungsmitteln aufgefunden wurde, aus nicht konkret feststellbaren Betäubungsmittelverkäufen stammt. Soweit das Landgericht diesen Schluss auf die hohe Diskrepanz zwischen den monatlichen Einnahmen, die der Angeklagte aus seiner selbständigen Tätigkeit erzielt haben will, und der sichergestellten Bargeldmenge gestützt hat, erscheint dieser nicht nur möglich, sondern sogar naheliegend. Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht dabei gesamtwürdigend in den Blick genommen, dass der Angeklagte das Bargeld professionell und direkt neben seinen Betäubungsmittelvorräten versteckt hat und mit den in seiner Wohnung sichergestellten Gegenständen (28 Mobiltelefone, Geldzählmaschine) weitere Anknüpfungstatsachen für seine Einbindung in einen schwunghaften Betäubungsmittelhandel bestehen. Demgegenüber ist die Annahme des Landgerichts, in Höhe von 50.000 € entstamme das sichergestellte Bargeld nicht ausschließbar legalen Quellen, beweiswürdigend nicht tragfähig belegt. Das Landgericht ist insoweit von einer rein denktheoretischen Geschehensvariante ausgegangen, die selbst der Angeklagte nicht behauptet hat. Zu seinen Gunsten von Umständen auszugehen, für deren Vorliegen keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte bestehen, gebietet indes auch der Zweifelssatz nicht (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 22. September 2016 - 2 StR 27/16 Rn. 26; vom 20. April 2021 - 1 StR 286/20 Rn. 16 und vom 25. Januar 2023 - 6 StR 163/22 Rn. 9; jeweils mwN). Zudem hätte das insoweit vorliegende Teilschweigen des Angeklagten der tatrichterlichen Würdigung bedurft (vgl. BGH, Urteile vom 10. Mai 2017 - 2 StR 258/16 Rn. 23 und vom 2. Februar 2022 - 5 StR 282/21 Rn. 11).
Die festgestellten Gesamtumstände lassen selbst die Herkunft nur eines Teils des Bargelds aus einer legalen Quelle als wenig realistisch erscheinen (vgl. insoweit etwa BGH, Urteil vom 16. Juli 2020 - 4 StR 91/20 Rn. 8 f.). Angesichts der zu erwartenden Entgegennahme und Verwahrung betrieblicher Einnahmen auf einem Bankkonto hätte es der Erörterung bedurft, dass es sich um Bargeld in auffälliger Höhe handelte, das gemeinsam mit den Betäubungsmitteln versteckt war. Darüber hinaus fehlt es an der gebotenen Auseinandersetzung damit, weshalb der Angeklagte trotz legaler Geldmittel Schulden in erheblicher Höhe hatte. Denn naheliegend wäre, dass er diese jedenfalls teilweise bedient hätte.
b) Aber auch unter Annahme eines legalen Teilerwerbs des Bargelds wären die Ausführungen im Urteil bedenklich, soweit sich diese auf die Steuerlast des Angeklagten in den Niederlanden beziehen. Entscheidend für die erweiterte Einziehung des Bargelds ist allein dessen Herkunft. Bestünden tatsächlich tatsachenfundierte Zweifel an dessen deliktischer Herkunft, weil belastbare Hinweise auf einen (teilweisen) Legalerwerb durch die selbständige Tätigkeit des Angeklagten hindeuteten, käme es auf die Versteuerung der Einkünfte nicht an. Denn diese lässt die - allein maßgebliche - Quelle der Einnahmen unberührt. Soweit den entsprechenden Ausführungen des Landgerichts Verhältnismäßigkeitserwägungen zugrunde liegen könnten, wären auch diese rechtsfehlerhaft. Denn die Prüfung, ob eine - wegen Unverhältnismäßigkeit - durch das Abzugsverbot eintretende Härte vorliegt, hat der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO in das Vollstreckungsverfahren verlagert (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Februar 2019 - 2 StR 8/19 und vom 22. April 2020 - 1 StR 261/19 Rn. 3). Im Übrigen wäre das Landgericht gehalten gewesen, die steuerlich erheblichen Tatsachen festzustellen. Dazu gehören insbesondere diejenigen Parameter, die maßgebliche Grundlage für die Steuerberechnung sind (Besteuerungsgrundlagen, vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Steuerhinterziehung 1 Rn. 13; Beschlüsse vom 5. Juli 2018 - 1 StR 111/18 Rn. 13 und vom 22. März 2023 - 1 StR 361/22 Rn. 23). Die auf den festgestellten Besteuerungsgrundlagen aufbauende Steuerberechnung ist Rechtsanwendung und Aufgabe des Tatgerichts (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08, aaO Rn. 20; Beschluss vom 6. Juli 2018 - 1 StR 234/18, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Steuerhinterziehung 2 Rn. 14, jeweils mwN). Auch insoweit genügte das angefochtene Urteil den zu stellenden Anforderungen nicht.
c) Schließlich sind die Ausführungen des Landgerichts zur Höhe theoretisch denkbarer Ersparnisse des Angeklagten aus seinen festgestellten Legaleinkünften widersprüchlich. Denn berechnet auf den Zeitraum von 2018 bis zum Zeitpunkt der Durchsuchung im März 2021 verbliebe auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nach Abzug der monatlichen Lebenshaltungskosten von mindestens 2.500 € (insgesamt 97.500 €) von der Summe der Legaleinkünfte in Höhe von 130.000 € (124.000 € „Nettogewinn“ aus selbständiger Tätigkeit zuzüglich 6.000 € Sozialleistungen) ein Betrag in Höhe von 32.500 €. Wie demgegenüber die vom Landgericht angenommene Ansparleistung von 45.000 € möglich gewesen sein soll, erschließt sich aus dem Urteil nicht.
3. Die Sache bedarf daher insoweit umfassender neuer Verhandlung und Entscheidung.
Die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge des Angeklagten hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben; jedoch war der Urteilstenor wie vom Senat vorgenommen zu ergänzen. Der Verurteilung des Angeklagten steht weder ein Verfahrenshindernis entgegen, noch greifen die gegen den Strafausspruch erhobenen Beanstandungen durch. Allerdings unterliegt die Einziehungsentscheidung auch auf die Revision des Angeklagten der Aufhebung.
1. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Spezialität (Art. 27 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten [2002/584/JI] in Verbindung mit § 83h Abs. 1 Nr. 1 IRG), der kein Verfahrens-, sondern lediglich ein Vollstreckungshindernis begründen würde (vgl. EuGH, Urteil vom 24. September 2020 - C-195/20 PPU, NStZ 2021, 237, 239; BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2012 - 1 StR 148/11, BGHSt 57, 138, Rn. 19 und vom 11. Januar 2023 - 6 StR 477/22 Rn. 3, jeweils mwN), liegt nicht vor. Zwar haben die Niederlande den Angeklagten nur wegen des Vorwurfs derjenigen Tat nach Deutschland ausgeliefert, die dem freisprechenden Erkenntnis des Landgerichts zugrunde liegt. Allerdings hat das Landgericht hinsichtlich der abgeurteilten Tat eine Erweiterung des Europäischen Haftbefehls erwirkt, woraufhin die Niederlande die Auslieferung darauf erstreckt haben.
2. Die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts ergibt sich aus § 6 Nr. 5 StGB. Danach gilt deutsches Strafrecht, unabhängig vom Recht des Tatorts, für im Ausland begangene Taten des „unbefugten Vertriebs von Betäubungsmitteln“. Eines legitimierenden Anknüpfungspunkts im Inland darüber hinaus bedarf es danach bei der Verfolgung einer Auslandstat zur Anwendung deutschen Strafrechts grundsätzlich nicht (vgl. BGH, Urteile vom 7. November 2016 - 2 StR 96/14, BGHSt 61, 290, Rn. 8 ff. [mAnm Heim NJW 2017, 1045] und vom 15. März 2017 - 2 StR 294/16, BGHSt 62, 90 Rn. 5, im Anschluss an BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2015 - 1 ARs 10/15 Rn. 6 ff., jeweils mwN; krit. Schiemann, JR 2017, 339 ff. [„Strafrechtsimperialismus“]). Die Voraussetzungen des Vertriebs im Sinne von § 6 Nr. 5 StGB sind vorliegend erfüllt. Es ist unschädlich, dass das Landgericht nicht festgestellt hat, ob der Angeklagte vorhatte, die in den Niederlanden zum gewinnbringenden Verkauf vorrätig gehaltenen Betäubungsmittel auch in Deutschland zu veräußern. Denn darauf kommt es für das Vorliegen des „Vertriebs“ und damit die Anwendbarkeit des § 6 Nr. 5 StGB nicht an (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2017 - 2 StR 294/16, BGHSt 62, 90 Rn. 5).
3. Das innerstaatliche Strafanwendungsrecht umfasst im Falle des unbefugten Vertriebs von Betäubungsmitteln i.S.d. § 6 Nr. 5 StGB unabhängig vom Recht des Tatorts auch die erweiterte Einziehung von Taterträgen und deren Werts gemäß §§ 73, 73a, 73c StGB aus Auslandstaten. Die erweiterte Einziehung von Taterträgen und deren Werts gemäß §§ 73, 73a, 73c StGB aus Auslandstaten setzt nicht voraus, dass sich die Auslieferung des Angeklagten auf die „anderen rechtswidrigen Taten“ i.S.d. § 73a Abs. 1 StGB erstreckt, die den Anknüpfungspunkt für die erweiterte Einziehung darstellen.
a) Wenngleich die Vermögensabschöpfung als Maßnahme eigener Art und nicht als Strafe zu qualifizieren ist (vgl. BVerfGE, Beschluss vom 10. Februar 2021 - 2 BvL 8/19, 156, 354 Rn. 103 ff.), setzt die erweiterte Einziehung nach § 73a StGB - wie jeder Ausspruch im Strafurteil - die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts voraus. Fehlt es an ihr, liegt ein Prozesshindernis vor (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 1986 - 3 StR 472/85, BGHSt 34, 1, 3). Für die erweiterte Einziehung hat dies zur Folge, dass ihre Anordnung nur möglich ist, wenn auch für die ihr zugrundeliegenden, von der Verurteilung nicht umfassten Anknüpfungstaten gemäß §§ 3 ff. StGB deutsches Strafrecht gilt. So liegt es hier.
Das Landgericht hat seine Einziehungsentscheidung auf die Feststellung gestützt, es handele sich bei dem der Abschöpfung unterliegenden Betrag um Einkünfte des Angeklagten aus weiteren rechtswidrigen Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, die im Einzelnen nicht konkretisierbar seien. Dies trägt die Annahme, es lägen auch insoweit im Ausland begangene Taten des „unbefugten Vertriebs von Betäubungsmitteln“ im Sinne von § 6 Nr. 5 StGB vor. Der Anwendung deutschen Strafrechts stehen mithin keine materiellen Schranken extraterritorialer Strafrechtsanwendung entgegen, die sich aus dem Nichteinmischungsgrundsatz ergeben könnten.
b) Im Übrigen besteht weder ein Vollstreckungshindernis, noch stehen die Vorschriften der Verordnung (EU) 2018/1805 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 über die gegenseitige Anerkennung von Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen (ABl. L 303 vom 28. November 2018, S. 1; im Folgenden: VO Sicherstellung und Einziehung) der erweiterten Einziehung entgegen.
aa) Für die Abschöpfung von Gewinnen aus Straftaten gilt in der Europäischen Union die Verordnung (EU) 2018/1805 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 über die gegenseitige Anerkennung von Sicherstellungsund Einziehungsentscheidungen (ABl. L 303 vom 28. November 2018, S. 1), die ab dem 19. Dezember 2020 als unmittelbar geltendes Recht anzuwenden ist (Art. 288 Abs. 2 AEUV). Die VO Sicherstellung und Einziehung regelt sowohl die Einziehung als Maßnahme der Vollstreckungshilfe als auch die vorangehende Sicherstellung als Maßnahme der sonstigen Rechtshilfe. Aufbauend auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen liegt das Ziel der Verordnung in der Schaffung eines wirksamen und effektiven Systems der Sicherstellung und Einziehung im Unionsraum als wirksamstem Mittel der Kriminalitätsbekämpfung (vgl. ErwG 1 u. 2 der VO Sicherstellung und Einziehung, aaO S. 1). Der Anwendungsbereich der Verordnung erstreckt sich auf alle Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen, die in „Verfahren in Strafsachen“ im europarechtlichen Sinne (vgl. ErwG 13 der VO Sicherstellung und Einziehung, aaO S. 2) erlassen werden und sich auf eine Katalogtat nach Art. 3 VO Sicherstellung und Einziehung beziehen. Anders als noch unter Geltung des - nunmehr ersetzten - Rahmenbeschlusses 2006/783/JI des Rates vom 6. Oktober 2006 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen (ABl. L 328 vom 24. November 2006, S. 59) ist daneben unerheblich, ob wegen der Tat eine Anordnung der Einziehung auch nach innerstaatlichem Recht des Vollstreckungsstaates hätte getroffen werden können. Umfasst sind sämtliche Formen der Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB, auch die selbständige Einziehung nach § 76a Abs. 1 bis 4 StGB, die erweiterte Einziehung nach § 73a StGB sowie die Einziehung bei Drittbegünstigten nach § 73b StGB (vgl. Art. 2 Abs. 2 und 3 VO Sicherstellung und Einziehung; vgl. auch den RegE zum Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 23. November 2020 [BGBl. I, S. 2474] vom 22. April 2020, S. 15). Sofern nicht einer der in Art. 8 VO Sicherstellung und Einziehung aufgeführten - fakultativ ausgestalteten - Versagungsgründe gegeben ist, erkennt die Vollstreckungsbehörde des Vollstreckungsstaats eine verordnungskonforme Sicherstellungsentscheidung grundsätzlich an und vollstreckt sie. Einen für Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz relevanten Versagungsgrund enthält dabei Art. 8 Abs. 1 lit. d VO Sicherstellung und Einziehung. Danach kann die Vollstreckungsbehörde die Anerkennung und die Vollstreckung einer Sicherstellungsentscheidung versagen, wenn diese sich auf eine Straftat bezieht, die ganz oder teilweise außerhalb des Hoheitsgebiets des Entscheidungsstaats und ganz oder teilweise im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats begangen wurde, und die Handlung, aufgrund der die Sicherstellungsentscheidung ergangen ist, nach dem Recht des Vollstreckungsstaats keine Straftat darstellt. Diese sogenannte Territorialitätsklausel trägt dem Vertrauen der handelnden Person in die eigene Rechtsordnung und ihrem Interesse an einer Nichtverfolgung im Ausland Rechnung. Auf die Entscheidung des Revisionsgerichts des Entscheidungsstaats wirken sich die Versagungsgründe des Art. 8 VO Sicherstellung und Einziehung allerdings nicht aus. Zwar hat gemäß Art. 27 Abs. 1 VO Sicherstellung und Einziehung der Entscheidungsstaat die Sicherstellungs- oder Einziehungsentscheidung unverzüglich aufzuheben, wenn die Sicherstellungs- oder Einziehungsentscheidung nicht mehr vollstreckbar oder nicht mehr gültig ist. Eine vom Tatgericht angeordnete, jedoch dauerhaft nicht vollstreckbare Einziehungsentscheidung wäre deshalb vom Revisionsgericht zu kassieren. Jedoch sind die Versagungsgründe des Art. 8 VO Sicherstellung und Einziehung sämtlich fakultativ gefasst, so dass sich daraus ein Vollstreckungshindernis nicht zwingend ergibt; allein unterfällt die Vollstreckbarkeit des Erkenntnisses bei Vorliegen eines Versagungsgrunds der Entscheidungsprärogative des Vollstreckungsstaats.
bb) Hieran gemessen hat das Landgericht die erweiterte Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß §§ 73, 73a, 73c StGB zu Recht auf im Einzelnen nicht feststellbare weitere Auslandstaten des Angeklagten gestützt, ohne dass es auf den Umfang der Auslieferung ankam. Der Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 BtMG stellt eine Katalogtat nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 5 VO Sicherstellung und Einziehung dar; die Verkaufserlöse sind Erträge daraus i.S.v. Art. 2 Abs. 3 lit. a VO Sicherstellung und Einziehung. Ein Versagungsgrund steht nicht entgegen. Es bleibt deshalb letztlich ohne Relevanz, dass der Handel mit Betäubungsmitteln im hier festgestellten Umfang auch in den Niederlanden strafbewehrt wäre, so dass der Angeklagte kein Vertrauen in die Rechtsordnung seines Herkunftsstaats und kein schutzwürdiges Interesse an einer Nichtverfolgung im Ausland geltend machen könnte.
4. Der Strafausspruch begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Das Landgericht hat die Annahme eines minder schweren Falles nach § 29a Abs. 2 BtMG verneint und die Strafe dem Regelstrafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG entnommen. Es hat bei der Strafrahmenwahl bei der vorgenommenen Gesamtwürdigung eine Reihe von Strafmilderungsgründen angeführt (Geständnis, strafloses Vorleben, weiche Droge, Sicherstellung der Betäubungsmittel) und diesen als gegen den Angeklagten sprechenden Umstand die Menge der Betäubungsmittel gegenübergestellt, deren Wirkstoffgehalt das 7-fache der Grenze der nicht geringen Menge betrage. Innerhalb des so bestimmten Strafrahmens hat es weiter zugunsten des Angeklagten gewertet, dass dieser sich der Strafverfolgung in den Niederlanden freiwillig gestellt und sich einige Monate in Untersuchungshaft befunden habe sowie infolge der Trennung von seiner Familie, der Sprachbarriere und den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie gesteigert haftempfindlich sei. Unter Gesamtwürdigung aller Umstände hat es eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten für tat- und schuldangemessen gehalten.
a) Ob eine Straftat nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG als minder schwerer Fall des § 29a Abs. 2 BtMG einzuordnen ist, in dem die Anwendung des Normalstrafrahmens nicht mehr angemessen erscheint, richtet sich danach, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maß abweicht, dass die Anwendung eines Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint (vgl. BGH, Urteile vom 19. März 1975 - 2 StR 53/75, BGHSt 26, 97, 99 und vom 15. März 2017 - 2 StR 294/16, BGHSt 62, 90 Rn. 13). In die anzustellende Gesamtwürdigung sind alle Umstände einzubeziehen, die für die Wertung von Tat und Täterpersönlichkeit relevant sind, gleichgültig, ob sie der Tat innewohnen, sie begleiten, ihr vorangehen oder ihr nachfolgen. Bei der Gesamtabwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände ist die Frage, ob der Grenzwert der nicht geringen Menge an Betäubungsmitteln um ein Vielfaches oder aber nicht sehr erheblich überschritten ist, regelmäßig von Bedeutung (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 1983 - 1 StR 721/83, BGHSt 32, 162, 164 f.; Urteil vom 15. März 2017 - 2 StR 294/16, aaO Rn. 13). Während eine nur geringe Grenzwertüberschreitung ein Kriterium für die Annahme eines minder schweren Falles ist, spricht eine ganz erhebliche Überschreitung gegen die Annahme eines solchen. Je geringer die Überschreitung des Grenzwerts ist, desto näher liegt die Annahme eines minder schweren Falles (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2017 - 2 StR 294/16, aaO Rn. 13 und Beschlüsse vom 16. Januar 2019 - 2 StR 488/18 Rn. 5; vom 11. September 2019 - 2 StR 68/19 Rn. 5 und vom 10. März 2022 - 1 StR 35/22 Rn. 5). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt es sich bei einem Handeltreiben mit dem 7,5-fachen der nicht geringen Menge nicht um eine derart geringe Überschreitung des Grenzwerts, dass diese Tatsache gemäß § 46 Abs. 3 StGB aus der Gesamtschau aller Strafzumessungsgründe ausscheiden müsste (BGH, Urteil vom 15. März 2017 - 2 StR 294/16, aaO Rn. 16). Ausgehend von der Untergrenze des gesetzlichen Strafrahmens hat eine solche Grenzwertüberschreitung vielmehr grundsätzlich strafschärfende Bedeutung und stellt regelmäßig einen im Sinne von § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO bestimmenden Strafzumessungsgrund dar (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2017 - 2 StR 294/16, aaO Rn. 17 f.).
b) Daran gemessen halten sich die der Strafrahmenwahl (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 BtMG) zugrundeliegenden Erwägungen innerhalb des dem Tatrichter zustehenden Spielraums. Denn für die Überschreitung des Grenzwerts um (genau) das 7-fache der nicht geringen Menge gilt nichts Anderes. Die von Rechts wegen erforderliche Gesamtwürdigung aller Strafzumessungstatsachen hat das Landgericht vorgenommen. Die straferschwerende Berücksichtigung der festgestellten Grenzwertüberschreitung erweist sich dabei nicht als rechtsfehlerhaft, sondern als zutreffend und geboten. Entgegen dem Revisionsvorbringen war für die Strafrahmenwahl zudem nicht die Menge der gehandelten Betäubungsmittel maßgebend, sondern auch die konkret festgestellte Auffindesituation, welche die Tat vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle nicht unerheblich zulasten des Angeklagten unterscheidet.
c) Die im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne (§ 46 Abs. 1 und 2 StGB) angeführten Erwägungen sind ebenfalls rechtsfehlerfrei. Soweit der Angeklagte lediglich seine eigene Wertung an die Stelle derjenigen des Tatgerichts setzt, ist dies revisionsrechtlich unbehelflich (vgl. dazu BGH, Urteil vom 24. Oktober 2017 - 1 StR 226/17 Rn. 9 mwN).
5. Zu der von dem Angeklagten in den Niederlanden vom 9. bis zum 17. März 2021 und vom 20. März 2021 bis zum 26. Mai 2021 erlittenen Auslieferungshaft hat das Landgericht versäumt, den Anrechnungsmaßstab (§ 51 Abs. 4 Satz 2 StGB) im Urteilstenor zu bestimmen. Dies holt der Senat nach (§ 354 Abs. 1 StPO entsprechend) und setzt diesen auf ein Verhältnis von 1:1 fest, weil der Angeklagte die Auslieferungshaft in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union erlitt und besondere Umstände, die einen anderen Maßstab geboten erscheinen lassen könnten, nicht ersichtlich sind (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 8. September 2020 - 4 StR 594/19 Rn. 2 und vom 4. Juni 2003 - 5 StR 124/03, BGHR StGB § 51 Abs. 4 Anrechnung 3).
6. Soweit die Einziehungsentscheidung des Landgerichts revisionsgerichtlicher Nachprüfung aus den bereits dargelegten Gründen nicht standhält, ist das Urteil insoweit auch auf die Revision des Angeklagten aufzuheben.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1067
Bearbeiter: Christoph Henckel