HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 789
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 257/12, Urteil v. 21.08.2012, HRRS 2012 Nr. 789
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 3. November 2011 im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Der Angeklagte war Finanzvorstand der I. AG. Ihm wird vorgeworfen, für die I. AG keine Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2000 abgegeben und so vom Unternehmen geschuldete Umsatzsteuer in Höhe von 29.728.541,85 DM (= 15.199.962,08 €) hinterzogen zu haben. Das Landgericht hat den Angeklagten deshalb zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Sechs Monate der erkannten Freiheitsstrafe hat das Landgericht für vollstreckt erklärt. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf die Sachrüge gestützten und wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch - Strafausspruch und Kompensationsausspruch - beschränkten Revision insbesondere dagegen, dass die Strafkammer bei der Strafzumessung nicht von einem besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung und von dem dann grundsätzlich eröffneten weiteren Strafrahmen ausgegangen ist. Denn der Angeklagte habe nicht nur Steuern im großen Ausmaß hinterzogen, sondern - was zur Tatzeit noch weitere tatbestandliche Voraussetzung des Regelbeispiels war - er habe auch aus grobem Eigennutz gehandelt. Dies habe die Strafkammer zu Unrecht verneint. Außerdem liege keine der Justiz vorwerfbare überlange Verfahrensdauer vor, jedenfalls sei die Kompensation, auf die erkannt wurde, überhöht. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
Den Feststellungen des Landgerichts ist Folgendes zu entnehmen:
1. Geschäftszweck der Unternehmensgruppe um die I. AG war ein Steuersparmodell durch die Auflage von Filmfonds. Die Fonds traten als Auftraggeber für ausländische Filmproduktionen und damit formell als Filmhersteller auf. Kapitalanleger konnten sich mit Kommanditanteilen in Höhe von mindestens 50.000 DM, von denen allerdings nur 48 % von den Kommanditisten zu erbringen waren, beteiligen. Die Fonds trugen im Namen alle die Firma W. mit vorangestellter fortlaufender Nummerierung. Im vorliegenden Verfahren sind der fünfte und der sechste W. relevant.
Federführend bei der Produktion der Filme war allerdings die I. AG auf der Grundlage von mit den Fonds abgeschlossenen Produktionsdienstleistungsverträgen. Danach führte die I. AG die Geschäfte für die Filmfonds, organisierte die Filmproduktionen im Ausland (USA) durch ausländische Unternehmen und deren Bezahlung. Sie stellte dann die Produktionskosten zuzüglich Umsatzsteuer - damals in Höhe von 16 % - den Fonds in Rechnung. Die I. AG nahm auch das Fremdkapital auf zur Abdeckung der restlichen 52 % der Kommanditanteile bei den Fonds. Die Erstellung der Finanzbuchhaltung erfolgte durch die E. Steuerberatungsgesellschaft mbH. Für die Erstellung der Prospekte, die Erstellung der Konzeption der Filmfonds, die Anlegerbetreuung und die Vertriebskoordination war die E. AG verantwortlich. Die Fonds stellten sich im Grunde nur als Gelddurchlaufstationen dar.
Der Angeklagte, ein promovierter Diplom-Volkswirt, war zwar nicht Gründer der I. AG. Dies waren die Musikproduzenten M. und A. Nachdem er aber wegen seiner Fachkompetenz gleich zu Beginn der Unternehmensgeschichte im Jahre 1999 angeworben worden war, beherrschte er - seiner Stellung entsprechend - das wirtschaftliche Geschehen der Unternehmensgruppe. Im September 1999 wurde er als sogenannter Finanzvorstand in den Vorstand der I. AG berufen, um zunächst den Börsengang des Unternehmens zu begleiten. Die Stellung als Finanzvorstand hatte er bis August 2006 inne. In den Jahren 2000 bis Mitte 2002 war er mit ca. 10 % an der I. AG beteiligt.
Der Angeklagte war Alleinaktionär der oben genannten E. AG. Weil der Angeklagte nicht gleichzeitig als Vorstand sowohl in dieser Aktiengesellschaft als auch bei der I. AG in Erscheinung treten wollte, wurden bei der E. AG meist formell andere Personen als Vorstand bestellt. An der tatsächlichen Führung der E. AG durch den Angeklagten änderte sich dadurch nichts. Aufgrund von Verwaltungsverträgen mit den einzelnen Fonds hatten diese eine Vergütung an die E. AG in der Höhe zwischen 10 und 11 % der Kommanditanteile einmalig, sowie eine jährliche Zahlung in Höhe von 0,54 % der Anteile zu entrichten.
Ob der Angeklagte auch an der E. Steuerberatungsgesellschaft mbH beteiligt war, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Darauf deutet allerdings die Verwendung des Namens E. auch bei dieser Gesellschaft hin. Diese Bezeichnung verwendete der Angeklagte schon zu Studienzeiten für ein von ihm aufgebautes wirtschaftswissenschaftliches Repetitorium.
Der Angeklagte war auch Gründungskommanditist jedenfalls des dritten, fünften und sechsten Fonds.
Die I. AG erlitt einen wirtschaftlichen Niedergang. Wann dies einsetzte, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Im Jahre 2006 wurde sie insolvent. In diesem Zusammenhang verlor auch der Angeklagte sein Vermögen und musste im Januar 2006 die eidesstattliche Versicherung gemäß § 807 ZPO abgeben. Wegen von ihm als Finanzvorstand zu verantwortender Insolvenzverschleppung wurde der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
2. Zum steuerstrafrechtlichen Vorwurf:
Die I. AG stellte - wie oben bereits gesagt - den Fonds die Produktionskosten zuzüglich 16 % Umsatzsteuer in Rechnung. Bei den Fonds ging die ausgewiesene Umsatzsteuer als abziehbare Vorsteuer in deren Umsatzsteuererklärungen ein. Dies führte auch zu erheblichen Steuererstattungen seitens der Finanzbehörde an die Fonds. Diese Zahlungen sind "weitestgehend" an die I. AG bzw. an die E. AG weitergeleitet worden.
Ende 1999 oder Anfang 2000 kamen aufgrund entsprechender "Beanstandungen" der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft der I. AG, der K., Überlegungen auf, dass Umsatzsteuern nicht oder nicht in voller Höhe angefallen sein könnten und zwar möglicherweise schon deshalb nicht, weil es sich um Auslandsproduktionen handelte, jedenfalls aber, da die Leistung zum Zeitpunkt der Rechnungsstellung eventuell nicht oder nicht vollständig erbracht war. In diese Überlegungen war auch der Angeklagte einbezogen. Die Buchhaltung informierte er darüber nicht, sodass weiterhin Rechnungen über Produktionskosten unter Ausweis der Umsatzsteuer an die Fondgesellschaften erstellt wurden, so auch im Jahre 2000.
Dabei handelte es sich um eine Rechnung vom 29. September 2000 und fünf Rechnungen vom 29. Dezember 2000 über einen Nettobetrag von insgesamt 184.905.000 DM zuzüglich 29.584.799,97 DM Umsatzsteuer. Aus zumindest vier dieser Rechnungen machten die Fondgesellschaften zeitnah Vorsteuern über insgesamt 15.924.000 DM geltend. 8.142.721,38 - dann schon - Euro erkannte das Finanzamt nach einer Umsatzsteuersonderprüfung bei den Fonds an. Davon wurden 2.758.341 € aufgrund einer Vereinbarung zwischen den beteiligten Unternehmen mit Steuerschulden der E. AG verrechnet. 4.952.280,98 € wurden bis zum 19. Februar 2002 an die Fonds überwiesen. Davon wurden jedenfalls 3.067.751,30 € am 20. Februar 2002 an die I. AG weitergeleitet.
Die im Jahre 2000 den Fonds in Rechnung gestellte Umsatzsteuer erklärte der Angeklagte - für die I. AG handelnd - nicht und führte sie auch nicht ab. Er gab überhaupt keine Umsatzsteuererklärung und auch keine Voranmeldungen für das Jahr 2000 ab. Deshalb blieben auch die Umsatzsteuern (ermäßigter Steuersatz) aus weiteren 689.783 DM unberücksichtigt. Hieraus folgt der Gesamthinterziehungsbetrag in Höhe von 29.728.541,85 DM (15.199.962,08 €). Hinsichtlich des Vorwurfs der Nichtabgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen für das Jahr 2000 hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren mit Verfügung vom 25. Juni 2010 (EA Bd. II, Blatt 481) gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt.
Im September 2002 erging auf der Grundlage von Schätzungen ein Steuerbescheid hinsichtlich der Umsatzsteuer 2000. Die sofortige Vollziehung wurde nach Einspruchseinlegung am 18. Dezember 2002 ausgesetzt. Bereits im August 2002 war gegen den Angeklagten ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.
Am 5. August 2005 wurden für die I. AG bezüglich der Jahre 2000 bis 2002 Umsatzsteuerjahreserklärungen eingereicht. Sie enthielten auch die Hinterziehungsbeträge des Jahres 2000, obgleich im Juli 2005 die hier maßgeblichen Rechnungen der I. AG unter dem Datum 31. Dezember 2002 intern wieder ausgebucht worden waren. An die Fondsgesellschaften wurden diese Korrekturen aber nicht weitergeleitet. Ob für das Jahr 2000 noch Umsatzsteuern durch Verrechnung mit Guthaben beglichen wurden, teilen die Urteilsgründe nicht eindeutig mit.
3. Bei der Strafzumessung ist die Strafkammer vom Strafrahmen des § 370 Abs. 1 (Nr. 2) AO (in der Fassung vom 10. September 1998) ausgegangen. Die Voraussetzungen des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO in der seinerzeit gültigen Fassung hat das Gericht "nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen" können. Zweifelsfrei habe der Angeklagte Steuern in großem Ausmaß hinterzogen. Die Tat sei auch auf die Erstattung von Vorsteuern angelegt gewesen. Es bestünden jedoch Zweifel, ob der Angeklagte im Sinne der damals geltenden Bestimmung aus grobem Eigennutz gehandelt hat. Das Landgericht hat zwar nicht übersehen, dass Vorsteuererstattungsbeträge, sei es durch Überweisung oder Verrechnung, in erheblichem Umfang der I. AG und insbesondere der E. AG, deren Alleinaktionär der Angeklagte war, zu Gute kamen. Nicht feststellen habe sie jedoch können, inwieweit der Angeklagte davon persönlich profitiert hat und ob Zahlungen aufgrund bereits bestehender Forderungen gegenüber den Fonds erfolgten.
Die Strafkammer ist davon ausgegangen, dass die Produktionskosten im Ausland nicht der deutschen Umsatzsteuer unterliegen. "Das Gericht hat deshalb bei der Strafzumessung nur den Schaden zugrunde gelegt, der aufgrund der Vorsteuererstattung an die Fonds (15.924.000 DM) entstanden ist. (Bei der Nennung von € an dieser Stelle - UA S. 32 - handelt es sich um ein offensichtliches Schreibversehen. Das folgt aus der eindeutigen Bezugnahme auf die erstatteten Beträge, deren Summe den genannten Betrag in DM ergibt. Außerdem sind 15,9 Millionen € mehr als der tatbestandlich festgestellte Gesamtsteuerschaden in Höhe von 15,19 Millionen €).
Strafmildernd habe sich auch ausgewirkt, dass das Finanzamt bei der Geltendmachung der Vorsteuer durch die Filmfonds keine weiteren Nachweise zum Leistungszeitpunkt eingefordert habe.
Schließlich hat die Strafkammer dem Angeklagten die lange Verfahrensdauer zu Gute gehalten. Dabei könne jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die erhebliche Verfahrensdauer auch darauf zurückzuführen gewesen sei, dass der Angeklagte immer wieder Stellungnahmen habe ankündigen lassen, die dann nicht oder erheblich verspätet eingegangen seien. Entsprechend habe es sich mit der Wahrnehmung von Besprechungsterminen verhalten.
Der Rechtsfolgenausspruch hat keinen Bestand.
Strafzumessung ist Sache des Tatgerichts. Sie ist revisionsrechtlich nur auf Rechtsfehler hin überprüfbar. Solche liegen hier jedoch vor.
1. Die Erwägungen zur Strafrahmenwahl weisen Lücken auf und enthalten Bewertungsfehler.
a) Bei der Prüfung der Frage, ob der Angeklagte - wie die frühere Fassung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO erforderte - aus grobem Eigennutz handelte, kann es bei dem Ausgangspunkt, nämlich inwieweit der Angeklagte überhaupt Nutznießer des durch Hinterziehung im großen Ausmaß entstandenen Steuervorteils war, letztlich keinen maßgeblichen Unterschied machen, ob die entsprechenden Beträge ihm direkt zu Gute kamen oder einem Unternehmen, dessen Alleinaktionär er war (E. AG) oder an dem er jedenfalls nicht völlig unerheblich als Aktionär beteiligt war (I. AG).
Die Strafkammer hat dazu weiter ausgeführt, sie habe nicht feststellen können, "ob die Zahlungen aufgrund bereits bestehender Forderungen gegenüber den Fonds erfolgte". Da sie hierzu nichts hat feststellen können und auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Variante genannt hat, stellt sich die Frage, wie sie überhaupt zu entsprechenden Überlegungen gekommen ist. Sollte dies auf Vermutungen oder der Einlassung des Angeklagten beruhen, ist zu bemerken, dass entsprechenden Äußerungen ohne konkrete tatsächliche Hinweise nicht gefolgt werden muss, allein weil eine Behauptung nicht widerlegt werden kann. Der Tatrichter darf Angaben, für deren Richtigkeit er keine zureichenden Anhaltspunkte hat, nicht ohne weiteres als unwiderlegt hinnehmen und seiner Entscheidung zu Grunde legen, nur weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Tatsachen gibt (BVerfG, Beschluss vom 8. November 2006 - 2 BvR 1378/06). Außerdem hätten, wenn auf bestehende Forderungen bezahlt worden sein sollte, Feststellungen dazu getroffen werden müssen, ob der entsprechende Fonds auch ohne die Steuererstattungsbeträge zur Zahlung in der Lage gewesen wäre. Das Ergebnis hätte in die Gesamtschau zum groben Eigennutz einbezogen werden müssen.
Ebenso hätte es der Erörterung bedurft, ob die E. AG auch ohne die Verrechnung in der Lage gewesen wäre, die Steuerforderung zu begleichen.
Es hätte sich der Strafkammer zudem der Gedanke aufdrängen und sie hätte sich damit auseinandersetzen müssen, ob nicht sowohl die I. AG, als auch die E. AG möglicherweise nur mit Hilfe der ihnen zugeflossenen Erstattungsbeträge liquide blieben. Die I. AG wurde 2006 insolvent. Die Strafkammer hat zu Gunsten des Angeklagten gewertet, dass ihm die Rettung der AG nicht gelang. Der Angeklagte wurde in diesem Zusammenhang wegen Insolvenzverschleppung verurteilt. Wann dieses Unternehmen in die Krise kam, etwa schon 2001/2002, hat das Landgericht nicht mitgeteilt. Über das Schicksal der E. AG ist den Urteilsgründen nichts zu entnehmen. Da der Angeklagte aber 2006 die eidesstattliche Versicherung für sich persönlich abgeben musste, dürfte zu diesem Zeitpunkt auch die E. AG nicht mehr aktiv und wertlos gewesen sein. Der Angeklagte könnte in den Jahren zuvor ein massives Interesse daran gehabt haben, die Unternehmen möglichst lange am Leben zu erhalten, da sie seine Existenzgrundlage darstellten. Wenn dies nur - oder überwiegend - mit den Steuererstattungsbeträgen zu bewerkstelligen war, muss auch dieser gewichtige Gesichtspunkt in die Bewertung, ob der Angeklagte aus grobem Eigennutz handelte, mit einbezogen werden.
b) Die Strafkammer hätte sich - bei Nichtfeststellung des groben Eigennutzes als der zur Tatzeit neben einer Steuerverkürzung in großem Ausmaß erforderlichen Voraussetzung des Regelbeispiels des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO in der damals geltenden Fassung - angesichts der Höhe des Hinterziehungsbetrags damit auseinandersetzen müssen, ob nicht jedenfalls ein unbenannter besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung zu bejahen ist. Ein Fall ist dann besonders schwer, wenn er sich bei einer im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung aller Zumessungstatsachen nach dem Gewicht von Unrecht und Schuld vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle so weit abhebt, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist (Jäger in Klein, AO, 11. Aufl., § 370 Rn. 276 mwN). Bei der Zumessung einer Strafe wegen Steuerhinterziehung hat das von § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB vorgegebene Kriterium der "verschuldeten Auswirkungen der Tat" dann besonderes Gewicht. "Auswirkungen der Tat" sind insbesondere die Folgen für das durch die Strafnorm geschützte Rechtsgut. Das durch § 370 AO geschützte Rechtsgut ist die Sicherung des staatlichen Steueranspruchs, d.h. des rechtzeitigen und vollständigen Steueraufkommens. Deshalb ist die Höhe der verkürzten Steuern ein bestimmender Strafzumessungsumstand i.S.d. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, Rn. 21, BGHSt 53, 71, 80 mwN). Bei sehr hohen Hinterziehungsbeträgen liegt deshalb ein besonders schwerer Fall jedenfalls nicht fern, auch wenn ein Regelbeispiel nach der zur Tatzeit geltenden Fassung des § 370 AO nicht gegeben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 22. September 2008 - 1 StR 323/08, Rn. 22, NStZ 2009, 159).
c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei umfassender Würdigung aufgrund der erforderlichen Feststellungen bei der Strafrahmenwahl zu einem anderen Ergebnis, nämlich zur Anwendung des erhöhten Strafrahmens gekommen wäre.
2. Die Strafkammer hat ihren Strafzumessungserwägungen im Übrigen einen zu geringen Schadens- und damit Schuldumfang zugrunde gelegt. Insoweit verweist sie ausdrücklich - allein - auf die Erstattungsbeträge in Höhe von 15,9 Millionen DM. Das Landgericht übersieht zwar nicht, dass die Umsatzsteuerschuld auch bei unrichtigem Steuerausweis mit der Rechnungsstellung unter Umsatzsteuerausweis entsteht (§ 14 Abs. 2 UStG aF, heute § 14c UStG). Wird die Umsatzsteuer dann nicht erklärt, ist das Steuerhinterziehung, wie die Strafkammer ebenfalls im Grundsatz nicht verkennt. Sie hat die tatbestandliche Steuerhinterziehung auch insoweit festgestellt. Dann ist aber auch der gesamte Hinterziehungsbetrag in die Erwägungen zur Strafzumessung einzubeziehen. Dies sind hier 29,7 Millionen DM. Zwar kommt den erstatteten Beträgen (umgangssprachlich ein - hier tiefer - "Griff in die Staatskasse") besonderes Gewicht zu. Aber die darüber hinaus hinterzogenen Steuern - hier immerhin in Höhe von weiteren 13,8 Millionen DM - können bei der Rechtsfolgenentscheidung nicht einfach außer Betracht gelassen werden.
Die Nichtbeachtung der aus § 14 Abs. 2 UStG aF (heute § 14c UStG) erwachsenden Steuerpflicht durch einen Steuerpflichtigen stellt nicht nur einen Formalverstoß dar. Der Hintergrund ist, dass derartige Rechnungen regelmäßig, wie auch hier, in die Umsatzsteuervoranmeldungen und -erklärungen der Rechnungsempfänger als Vorsteuerabzug (§ 15 UStG) eingehen und zur Minderung von deren Steuerlast oder gar zu Erstattungen führen können. Die Finanzbehörde erkannte im vorliegenden Fall nach einer Umsatzsteuersonderprüfung bei den Fonds die Erstattungsfähigkeit der gesamten geltend gemachten Vorsteuern auch an. Weshalb es über die ausbezahlten bzw. verrechneten 15,9 Millionen DM hinaus zu keinen weiteren Erstattungen mehr kam, teilen die Urteilsgründe nicht mit. Mitte des Jahres 2002 setzten allerdings schon die steuerstrafrechtlichen Ermittlungen ein.
3. Es ist hier nicht angezeigt, der Finanzbehörde ein Mitverschulden an der Erstattung der geltend gemachten Vorsteuer anzulasten (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 StR 275/10, Rn. 29 f, wistra 2011, 186, Anm. Meyberg PStR 2011, 58). Die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug sind durch Belege nachzuweisen (UStR Abschnitt 202, Aufzeichnung und Belege, Abs. 1 Satz 1). Das Finanzamt hat bei den Fonds geprüft und Rechnungen einer existenten und aktiven inländischen Aktiengesellschaft vorgefunden, die Umsatzsteuer ausweisen. Es ist nicht Sache der Finanzbehörde, die materielle Berechtigung einer Rechnungsstellung zu überprüfen. Das Steuerrecht und die Finanzverwaltung dürfen - und sind gehalten -, gerade bei Anmeldungssteuern, wie der Umsatzsteuer, zunächst von zutreffenden Angaben der Steuerpflichtigen auszugehen. Die Rechnungen wiesen keine formellen Mängel auf und gaben auch keinerlei Hinweis darauf, dass die Leistungen noch nicht oder nicht vollständig erbracht wurden. Soweit Produktionskosten in drei der Rechnungen nur anteilig (z.B. 31 % oder 70 %) in Ansatz gebracht wurden, entsprach dies dem Anteil ("Beteiligung") des jeweiligen Fonds an der abgerechneten Filmproduktion. Sollten allerdings die Leistungen, deren Bezahlung mit den Rechnungen geltend gemacht wurden, tatsächlich nicht erbracht worden sein, könnte sich die Überlegung aufdrängen, dass es sich insoweit sogar nur um Scheinrechnungen handelte, um unberechtigt Vorsteuererstattungen zu erlangen.
Allein schon der bei der Strafzumessung zu berücksichtigende erheblich größere Schuldumfang führt dazu, dass der Strafausspruch keinen Bestand haben kann. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Strafkammer, wenn sie bei der Festsetzung der Rechtsfolge den gesamten Hinterziehungsumfang im Blick gehabt hätte, auf eine höhere Strafe erkannt hätte.
4. Zu den Rechtsfehlern bei der Kompensation verweist der Senat auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 30. Mai 2012 und zur Beurteilung der Verfahrensdauer in Wirtschaftsstrafsachen auf den Beschluss des Senats vom 20. März 2008 - 1 StR 488/07, Rn. 23 ff. (BGHR StPO § 213 Terminierung 1).
5. Der Rechtsfolgenausspruch bedarf nach allem neuer Verhandlung und Entscheidung. Die bisher hierzu getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben, da insoweit lediglich Wertungsfehler vorliegen. Ergänzende Feststellungen sind möglich und auch geboten. Sie dürfen nicht im Widerspruch zu den bisherigen stehen.
6. Die nunmehr zur Verhandlung berufene Strafkammer wird auch ergänzende Feststellungen zur eventuellen Erledigung der Strafe aus der Verurteilung des Angeklagten wegen Insolvenzverschleppung zu treffen haben. In den Urteilsgründen wird bislang nur mitgeteilt, dass die Verurteilung nach dem Geschehen, das Gegenstand dieses Verfahrens ist, erfolgte. Dann sind die seinerzeit verhängte Freiheitsstrafe von zehn Monaten zur Bewährung und die in diesem Verfahren auszusprechende Strafe aber grundsätzlich gesamtstrafenfähig. Wahrscheinlich unterblieb die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe gemäß § 55 StGB, da die zehnmonatige Freiheitsstrafe nach Ablauf der Bewährungszeit bereits erlassen wurde. Zu überprüfen vermag der Senat dies jedoch nicht. Ob und ggf. wann die Erledigung der Strafe eintrat, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Auch können aus dem Urteilszeitpunkt und der Bewährungszeit keine Rückschlüsse gezogen werden, da auch diese Informationen fehlen.
HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 789
Bearbeiter: Karsten Gaede