HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 631
Bearbeiter: Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 361/22, Beschluss v. 22.03.2023, HRRS 2023 Nr. 631
1. Auf die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 6. Oktober 2021 wird
a) der Schuldspruch betreffend die Fälle II. B. 74. bis 84. der Urteilsgründe (gewerbsmäßiges Einschleusen von Ausländern) dahin abgeändert, dass die Angeklagte des gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in zehn Fällen schuldig ist;
b) das vorbezeichnete Urteil mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben
aa) in den Fällen I. A. 53. bis 58. der Urteilsgründe (Hinterziehung von Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuer); jedoch bleiben die Feststellungen zu den Umsätzen aus dem Prostitutionsbetrieb aufrechterhalten;
bb) im Strafausspruch in den Fällen I. A. 1. bis 51. (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt) und I. A. 59. bis 73. (Hinterziehung von Umsatzsteuer) der Urteilsgründe; jedoch bleiben die Feststellungen zu den Umsätzen aus dem Prostitutionsbetrieb und den an die Sexarbeiterinnen ausgezahlten Löhnen aufrechterhalten;
cc) im Strafausspruch in den Fällen II. B. 74. bis 84. (gewerbsmäßiges Einschleusen von Ausländern) der Urteilsgründe, jedoch unter Aufrechterhaltung der Feststellungen, sowie
dd) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und die Einziehung des Wertes von Taterträgen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 51 Fällen, wegen Steuerhinterziehung in 21 Fällen und wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Es hat ferner die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 881.298,97 Euro angeordnet und bestimmt, dass drei Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Die Angeklagte wendet sich mit ihrer auf Verfahrensbeanstandungen und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision gegen ihre Verurteilung. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Strafkammer hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Die Angeklagte beschäftigte von Februar 2011 bis jedenfalls April 2015 in verschiedenen von ihr zum Zwecke der Ausübung der Prostitution angemieteten Wohnungen („Terminwohnungen“) und Hotelzimmern Sexarbeiterinnen, bei denen es sich überwiegend um chinesische Staatsangehörige handelte, die teilweise über keinen gültigen Aufenthaltstitel verfügten. Sie trug die Kosten für die „Terminwohnungen“, Hotelzimmer, Verpflegung und Unterkunft der Prostituierten sowie für die Arbeitsmittel und Fahrten. Zur Beförderung der Frauen und Erledigung von Besorgungen beschäftigte sie zumindest zwischen August 2013 und Mai 2015 den anderweitig Verfolgten C. als Chauffeur. Die Angeklagte repräsentierte das Etablissement nach außen, akquirierte die Sexarbeiterinnen im Ausland, kümmerte sich um deren Einreise, bewarb den Bordellbetrieb, führte die Verhandlungen mit den Freiern und gab die Preisstruktur vor. Von den durch die Prostituierten erzielten Einnahmen zahlte sie diesen durchschnittlich 56,5 % als Lohn. Weder die Sexarbeiterinnen noch den Fahrer meldete sie zur Sozialversicherung an. Hierdurch entstand den Sozialversicherungsträgern ein Gesamtschaden in Höhe von 578.827,61 Euro. Die Angeklagte erklärte ferner in den Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Veranlagungszeiträume 2012 und 2013 die von ihr ausgeführten Umsätze nicht vollständig, für die Monate Januar 2014 bis März 2015 gab sie entgegen der ihr bekannten Verpflichtung keine Umsatzsteuervoranmeldungen ab. Auch die in den - für die Besteuerungszeiträume 2012 und 2013 zusammen mit den Umsatzsteuerjahreserklärungen abgegebenen - Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2010 bis 2013 angegebenen Einkünfte aus Gewerbebetrieb blieben hinter den tatsächlich erzielten zurück. Gleiches gilt für die zum selben Zeitpunkt für den Besteuerungszeitraum 2013 abgegebene Gewerbesteuererklärung; für 2011 und 2012 gab die Angeklagte keine Gewerbesteuererklärungen ab. Sie verkürzte so Steuern in Höhe von insgesamt 302.471,36 Euro.
Durch ihren Aufenthalt im Bundesgebiet und/oder ihre Arbeitsaufnahme im Bordellbetrieb der Angeklagten verstießen mindestens neun chinesische Sexarbeiterinnen sowie der anderweitig Verfolgte C. gegen das Aufenthalts- oder das Asylverfahrensgesetz. Der Angeklagten war dies ebenso bekannt wie der Umstand, dass sie den Genannten durch die Gewährung von Arbeit Hilfe zum illegalen Aufenthalt leistete und hierdurch selbst Vermögensvorteile erlangte. Sie nahm dies billigend in Kauf.
1. Den verfahrensrechtlichen Beanstandungen bleibt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zutreffend dargelegten Gründen der Erfolg versagt. Der ergänzenden Erörterung bedarf lediglich das Folgende:
Soweit die Revision rügt, das Landgericht habe einen am 1. Hauptverhandlungstag gegen die drei Berufsrichter erhobenen Ablehnungsantrag rechtsfehlerhaft unter Mitwirkung der abgelehnten Richter als unzulässig zurückgewiesen (Revisionsbegründung Rechtsanwalt V. vom 10. Mai 2022, Seite 18 ff.), dringt sie damit nicht durch. Offenbleiben kann, ob die Strafkammer in ihren Erwägungen zur Verwerfung des Gesuchs wegen Fehlens einer Begründung (§ 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO) ihr eigenes Verhalten in unzulässiger Weise gewürdigt hat. Denn das Landgericht durfte den Befangenheitsantrag zumindest mit der ergänzend herangezogenen Begründung der Verschleppungsabsicht (§ 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO) zurückweisen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. April 2019 - 1 StR 91/18 Rn. 6; vom 8. Juli 2009 - 1 StR 289/09, BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 19).
2. Die auf die Sachrüge veranlasste materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat keinen die Angeklagte benachteiligenden Rechtsfehler aufgedeckt, soweit diese unter I. A. 1. bis 51. der Urteilsgründe wegen 51 Fällen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, §§ 52, 53 StGB) und unter I. A. 59. bis 73. der Urteilsgründe wegen 15 Fällen der Steuerhinterziehung (Verkürzung von Umsatzsteuer, § 370 Abs. 1 AO, § 53 StGB) schuldig gesprochen worden ist. Die auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung basierenden Feststellungen tragen aus den zutreffend in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ausgeführten Gründen die Schuldsprüche. Indes haben die hierzu ausgesprochenen Strafen keinen Bestand (dazu unter: II. 2. a) und b)).
Als nicht frei von Rechtsfehlern erweist sich ferner die Verurteilung der Angeklagten unter I. A. 53. bis 58. der Urteilsgründe wegen sechs Fällen der Steuerhinterziehung (Verkürzung von Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuer, § 370 Abs. 1 AO, § 53 StGB; dazu unter: II. 2. c)).
Soweit die Angeklagte unter I. B. 74. bis 84. der Urteilsgründe wegen elf Fällen des gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern (§ 96 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, § 95 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 1a, Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und b, Nr. 2, § 48 Abs. 2, § 11 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 3 Abs. 1 AufenthG) verurteilt worden ist, hält dies im Wesentlichen rechtlicher Nachprüfung stand. Die diesbezüglichen Feststellungen gründen auf einer revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung. Lediglich die Annahme, die wiederholte Beschäftigung der anderweitig Verfolgten K. stelle zwei Taten im materiellrechtlichen Sinne dar, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken (dazu unter II. 2. d)).
Im Einzelnen:
a) Die Zumessung der für die 51 Fälle des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (I. A. 1. bis 51. der Urteilsgründe) ausgesprochenen Strafen erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft. Die den Schuldumfang bestimmende Berechnung der hinterzogenen Sozialversicherungsbeiträge ist bereits nicht schlüssig.
aa) Zwar begegnen die Schätzung der durch die Angeklagte aus dem Bordellbetrieb ausgeführten Umsätze und die darauf beruhende Bestimmung der Nettolöhne aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ausgeführten Gründen keinen rechtlichen Bedenken. Im Ansatz zutreffend erkennt die Strafkammer bei der Berechnung der hinterzogenen Sozialversicherungsbeiträge auch, dass der Lohn der Prostituierten zum Teil über der Beitragsbemessungsgrenze für die gesetzliche Sozialversicherung gelegen haben könnte. Die in den Urteilsgründen mitgeteilten Berechnungsbögen der Deutschen Rentenversicherung, die das Landgericht seiner Bestimmung der zu Unrecht nicht abgeführten Beiträge zugrunde gelegt hat, lassen jedoch besorgen, dass die Strafkammer dabei ihre Feststellungen zu der Anzahl der für die Angeklagte tätigen Sexarbeiterinnen aus dem Blick verloren hat. Danach waren im verfahrensgegenständlichen Zeitraum durchschnittlich lediglich 1,5 bis vier Prostituierte gleichzeitig für die Angeklagte tätig. Ausgehend hiervon hätte das Landgericht lediglich Bruttolöhne in Höhe der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze multipliziert mit der Anzahl der durchschnittlich tätigen Sexarbeiterinnen in Ansatz bringen dürfen. Dies ergibt sich aus den genannten Berechnungen der Deutschen Rentenversicherung indes gerade nicht.
bb) Auch die für den Fahrer C. zugrunde gelegten Bruttolöhne in Höhe von 4.229,92 Euro beziehungsweise 4.249,64 Euro sind nicht nachvollziehbar. Denn dieser hat nach den Feststellungen ein monatliches Nettogehalt in Höhe von lediglich 1.800 Euro erhalten.
cc) Die Strafaussprüche in den Fällen I. A. 1. bis 51. der Urteilsgründe sowie die zugehörigen Feststellungen unterliegen daher der Aufhebung. Nicht erfasst hiervon sind die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den Umsätzen aus dem Prostitutionsbetrieb und den an die Sexarbeiterinnen ausgezahlten Löhnen, die bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
b) Die in den Fällen I. A. 59. bis 73. der Urteilsgründe festgesetzten Einzelstrafen (15 Fällen der Hinterziehung von Umsatzsteuer, § 370 AO, § 53 StGB) halten rechtlicher Nachprüfung ebenso wenig stand. Auch insoweit hat die Strafkammer den Schuldumfang rechtsfehlerhaft bestimmt.
aa) Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift zutreffend Folgendes ausgeführt:
„Der Ansatz von Umsätzen aus der Untervermietung eines Zimmers in der Erdgeschosswohnung in der S. straße (UA S. 13, 136) ist nicht ausreichend belegt […].
Die Vermietung eines Zimmers ist nach § 4 Nr. 12 Buchstabe a UStG grundsätzlich umsatzsteuerfrei. Etwas anderes gilt bei Überlassung möblierter Zimmer an Prostituierte, wenn zusätzliche Leistungen der Gesamtleistung ein anderes Gepräge geben, insbesondere dann, wenn nicht die Grundstücksnutzung, sondern die Möglichkeit, Prostitution auszuüben, aus der Sicht des Leistungsempfängers im Vordergrund steht (vgl. Senat, Beschluss vom 29. Juli 2021 - 1 StR 30/21 -, Rn. 10 m. w. N.).
Nach der in den Urteilsgründen wiedergegebenen Einlassung der Angeklagten vermietete sie ein oder mehrere Zimmer in der Wohnung D. in F. an ihren Bekannten Ch. (UA S. 35, 42). Die Einräumung der Möglichkeit, Prostitution auszuüben, erklärt sich in diesem Zusammenhang nicht von selbst. Soweit die Angeklagte angegeben hat, Zimmer an Prostituierte vermietet zu haben (UA S. 34), ist die Strafkammer der Angeklagten gerade nicht gefolgt, weil sie sich davon überzeugt hat, dass die in den Wohnungen der Angeklagten tätigen Prostituierten in einem Beschäftigungsverhältnis mit der Angeklagten standen…"
bb) Wie von dem Generalbundesanwalt ferner zutreffend ausgeführt, hat die Strafkammer auch außer Acht gelassen, dass mit den bislang unberücksichtigt gebliebenen Betriebsausgaben der Angeklagten etwa für die Werbung über die Firma R. und im“ F.“ (UA S. 8 f., 14) abziehbare Vorsteuerbeträge gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG entstanden sein könnten.
(a) Der Berücksichtigung der Vorsteuern aus diesen Gemeinkosten im Rahmen des tatbestandlichen Verkürzungsumfangs steht zwar das Kompensationsverbot (§ 370 Abs. 4 Satz 3 AO) entgegen. Denn die betreffenden Steuervorteile beziehen sich nicht auf dasselbe Wirtschaftsgut wie die von der Angeklagten ausgeführten Ausgangsumsätze und stehen mit diesen daher nicht in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang (vgl. BGH, Urteil vom 13. September 2018 - 1 StR 642/17, BGHSt 63, 203 Rn. 16). Ein Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit der Angeklagten ist für eine Ausnahme vom Kompensationsverbot nicht ausreichend (vgl. Klein/Jäger, AO, 16. Aufl., § 370 Rn. 137; Rolletschke, wistra 2020, 270, 275), auch wenn er umsatzsteuerrechtlich für das Recht auf Vorsteuerabzug genügt (z.B. EuGH, Urteil vom 8. September 2022 - C-98/21 Rn. 46 mwN).
Soweit der Senat in seiner Entscheidung vom 28. Oktober 2020 (1 StR 158/20 Rn. 16) davon ausgegangen ist, die Kosten für den Erwerb von Hyaluronsäurespritzen zur Durchführung einer kosmetischen Behandlung seien bei der Bestimmung des Verkürzungsumfangs zu berücksichtigen, steht dies nicht entgegen. Denn die Spritzen wurden für die konkreten Dienstleistungen, für welche die Umsatzsteuer nicht abgeführt worden war, erworben und stellen damit keine allgemeinen Betriebsausgaben dar.
(b) Die Vorsteuern führen aber zu einer Minderung der verschuldeten Auswirkungen der Tat gemäß § 46 Abs. 2 StGB und sind deshalb gegebenenfalls im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2021 - 1 StR 27/21 Rn. 8 mwN).
cc) Die Strafaussprüche in den Fällen I. A. 59. bis 73. der Urteilsgründe sowie die zugehörigen Feststellungen unterliegen daher der Aufhebung. Nicht erfasst hiervon sind die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den Umsätzen aus dem Prostitutionsbetrieb und den an die Sexarbeiterinnen ausgezahlten Löhnen, die bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
c) Auch die Verurteilung der Angeklagten wegen sechs Fällen der Steuerhinterziehung (Verkürzung von Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuer, § 370 Abs. 1 AO, § 53 StGB) unter I. A. 53. bis 58. der Urteilsgründe erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft.
aa) Bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung müssen die steuerlich erheblichen Tatsachen festgestellt sein. Dazu gehören insbesondere diejenigen Parameter, die maßgebliche Grundlage für die Steuerberechnung sind (Besteuerungsgrundlagen; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2018 - 1 StR 111/18 Rn. 13; Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Steuerhinterziehung 1 Rn. 13). Die auf den festgestellten Besteuerungsgrundlagen aufbauende Steuerberechnung ist Rechtsanwendung und Aufgabe des Tatgerichts (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08 aaO Rn. 20 mwN).
bb) Diesen Anforderungen trägt das angefochtene Urteil in den Fällen I. A. 53. bis 58. der Urteilsgründe nicht Rechnung. Die Feststellungen zu der hinterzogenen Einkommen- und Gewerbesteuer sind für den Senat nicht nachvollziehbar.
(a) So geht aus der Berechnung des durch die Angeklagte erzielten Gewinns aus Gewerbebetrieb (Urteilsgründe Seite 137 ff.) nicht hervor, in welcher Höhe Aufwendungen für Werbemaßnahmen berücksichtigt worden sind. Auf Seite 137 der Urteilsgründe verweist die Strafkammer insoweit unter Bezugnahme auf die Strafakten auf einen Vermerk einer Zeugin, versäumt indes entgegen § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO, den Inhalt desselben darzulegen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 1987 - 3 StR 552/86 Rn. 9, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Bezugnahme 1). Unklar bleibt daher, ob und welche an anderer Stelle der Urteilsgründe mitgeteilten Beträge Berücksichtigung gefunden haben.
(b) Zudem sind die Feststellungen zu den Ausgaben für die Firma R. widersprüchlich. So werden auf Seite 9 der Urteilsgründe andere Beträge als in der Tabelle Seite 14 der Urteilsgründe genannt. Auch der Ansatz der Kosten für den Fahrer C. von monatlich 1.500 Euro steht in Widerspruch zu den an anderer Stelle genannten 1.800 Euro. Die Urteilsgründe verhalten sich überdies nicht dazu, ob die durch die Angeklagte für die Wohnung in der F. Straße in O. angegebenen Renovierungskosten über 25.000 Euro in die Berechnung der Gewinne eingeflossen sind.
(c) Hinsichtlich der Hinterziehung von Einkommensteuer lässt das Urteil ferner Feststellungen zu den Besteuerungsgrundlagen vermissen. So wird insbesondere für das Jahr 2010 nicht mitgeteilt, ob die Angeklagte mit ihrem Ehemann zusammen veranlagt wurde (vgl. UA Seite 22), bejahendenfalls welches Einkommen dieser hatte (vgl. §§ 26, 26a EStG). Auch zu etwaigen Sonderausgaben gemäß § 2 Abs. 4 EStG finden sich in den Urteilsgründen keine Ausführungen.
cc) Die Fälle I. A. 53. bis 58. der Urteilsgründe unterliegen daher mit den jeweils zugehörigen Feststellungen der Aufhebung. Eine (Teil-)Aufrechterhaltung des Schuldspruchs wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer kommt nicht in Betracht, da das Landgericht insoweit (rechtsfehlerhaft) von Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB) ausgegangen ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 2022 - 5 StR 309/22 Rn. 25; Beschluss vom 18. August 2020 - 1 StR 247/20 Rn. 8 mwN). Nicht erfasst von der Aufhebung sind indes die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den Umsätzen aus dem Prostitutionsbetrieb. Diese bleiben bestehen (§ 353 Abs. 2 StPO).
d) Schließlich hält die Verurteilung der Angeklagten unter I. B. 74. bis 84. der Urteilsgründe wegen elf Fällen des gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern (§ 96 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, § 95 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 1a, Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und b, Nr. 2, § 48 Abs. 2, § 11 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 3 Abs. 1 AufenthG) rechtlicher Nachprüfung nicht vollständig stand. Das Landgericht hat die durch einen Einsatz in einem anderen deutschen Bordell unterbrochene Beschäftigung der anderweitig Verfolgten K. in der Zeit vom 10. bis 22. September 2014 beziehungsweise 8. bis 13. Oktober 2014 rechtsfehlerhaft als zwei Fälle des gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern gewürdigt.
aa) Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift Folgendes ausgeführt:
„Durch die Strafvorschrift des § 96 Abs. 1 AufenthG werden nach den allgemeinen Regeln (§ 26, § 27 StGB) strafbare Teilnahmehandlungen an den in § 96 Abs. 1 AufenthG in Bezug genommenen Taten nach § 95 AufenthG zu selbständigen, in Täterschaft (§ 25 StGB) begangenen Straftaten heraufgestuft, wenn der Teilnehmer zugleich eines der in § 96 Abs. 1 AufenthG geregelten Schleusermerkmale erfüllt. Trotz dieser tatbestandlichen Verselbständigung zur Täterschaft gelten für die Tathandlungen des § 96 Abs. 1 AufenthG die allgemeinen Regeln der Teilnahme, einschließlich des Grundsatzes der limitierten Akzessorietät (Senat, Beschluss vom 23. September 2021 - 1 StR 173/21 -, Rn. 9 m. w. N.). Ob bei der akzessorischen Beihilfe Tateinheit oder Tatmehrheit anzunehmen ist, hängt sowohl von der Anzahl der Beihilfehandlungen als auch von der Zahl der vom Gehilfen geförderten Haupttaten ab. Handlungseinheit liegt vor, wenn sich mehrere Unterstützungshandlungen auf dieselbe Haupttat beziehen (vgl. Senat, Beschluss vom 22. August 2019 - 1 StR 267/19 -, Rn. 9 m. w. N.). Beim unerlaubten Aufenthalt handelt es sich um ein Dauerdelikt (Gericke in Münchener Kommentar zum StGB, § 95 AufenthG Rn. 49 für § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Wer dem Ausländer dazu Hilfe leistet, macht sich deshalb nur wegen eines einheitlichen Delikts nach § 96 Abs. 1 AufenthG strafbar.“ Dem schließt sich der Senat an und ändert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO ab.
bb) Um dem neuen Tatgericht eine widerspruchsfreie Strafzumessung zu ermöglichen, hebt der Senat den Strafausspruch in den Fällen I. B. 74. bis 84. der Urteilsgründe insgesamt auf. Hiervon nicht betroffen sind die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen, die bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
e) Die unter II.2. a) bis d) dargestellten Teilaufhebungen entziehen dem Gesamtstrafenausspruch sowie der Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen die Grundlage. Hiervon nicht betroffen ist indes die - rechtsfehlerfrei getroffene - Entscheidung über die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, die bestehen bleibt.
3. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Hinsichtlich der Feststellung der Gewinne aus Gewerbebetrieb wird das neue Tatgericht zu prüfen haben, ob diese nach § 4 Abs. 1 oder § 4 Abs. 3 EStG durchzuführen ist. Die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG setzt keine Buchführungspflicht voraus und stellt den Regelfall dar. Sie findet Anwendung, wenn der Steuerpflichtige keine (wirksame) Wahl für die Gewinnermittlungsart nach § 4 Abs. 1 oder § 4 Abs. 3 EStG getroffen hat (vgl. BFH, Urteile vom 5. November 2015 - III R 12/13 Rn. 20, BFHE 252, 304; vom 19. März 2009 - IV R 57/07 Rn. 15 f., 34; BGH, Beschluss vom 28. Juli 2015 - 1 StR 602/14 Rn. 58).
b) Bezüglich der konkurrenzrechtlichen Bewertung wird das neue Tatgericht zu berücksichtigen haben, dass Steuererklärungen, die mehrere Steuerarten oder Besteuerungszeiträume betreffen, auch dann zueinander in Tatmehrheit stehen (§ 53 StGB), wenn sie zu demselben Steuersubjekt gehören und zusammen abgegeben werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. August 2020 - 1 StR 198/20 Rn. 14; vom 22. Januar 2018 - 1 StR 535/17, BGHR AO § 370 Abs. 1 Konkurrenzen 26 Rn. 21 f.).
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 631
Bearbeiter: Christoph Henckel